THERESE GIEHSE  -  IHRE VORFAHREN

AUS HAINSFARTH UND ICHENHAUSEN

 

recherchiert und vorgetragen von Rolf Hofmann in der ehemaligen Hainsfarther Synagoge

anlässlich der Rieser Kulturtage am 25. Mai 2000

 

 

 

 

 

Über die "Giehse" ist in den letzten Jahrzehnten immer wieder in vorzüglicher Weise geschrieben worden. Sie war eine der nicht allzu häufigen Persönlichkeiten, deren ausdrucksstarke Bühnenpräsenz ein Schauspiel zur eindrucksvollen Realität werden ließ. Was andererseits so gut wie gar nicht ins Rampenlicht gerückt wurde, das war ihre Herkunft, ihr familiengeschichtlicher Hintergrund.

 

So wie am Baum die Blätter existenziell mit der Wurzel verbunden sind (auch wenn man diese dem Baum nicht ansieht), so steht ein Menschenleben in geistiger Verbindung mit den Wurzeln der eigenen Vorfahren. Familiengeschichte ist mühsamste Forschungsarbeit, insbesondere bei jüdischen Familien. Allzu viel ist im 3. Reich  verloren gegangen. Die überlebenden Familien sind über die ganze Welt verstreut und wissen zumeist selbst recht wenig über ihre Vorfahren.

 

Aufgewachsen in München

 

Die "Giehse" wurde 1898 in München als spätes Nesthäkchen der Eltern Salomon und Getrude Gift geboren, den Künstlernamen "Giehse" nahm sie erst als Schauspielerin an, so wie sie dann auch erst später aus der Jüdischen Religionsgemeinschaft austrat. Jüdisch zu sein, war mit zunehmendem Antisemitismus im frühen 20. Jahrhundert nicht gerade Karriere fördernd, der Name "Gift" wohl auch nicht, klang er doch allzu "giftig".

 

Thereses Giehses Vater hatte bei ihrer Geburt bereits das 48. Lebensjahr überschritten, die anderen Geschwister (vier an der Zahl) waren alle wesentlich älter (um 9 bis 19 Jahre). Von deren Lebensweg soll später noch die Rede sein. Der Vater war Textilkaufmann mit eigenem Geschäft und blieb damit dem Beruf seines Vaters Mendel Gift treu, der aus Hainsfarth stammte und dort ehemals als Schnittwarenhändler Kleiderstoffe und Tuche aller Art einer anspruchsvollen Kundschaft zum Kauf angeboten hatte. (01)

 

Der Ursprung der Familie in Ichenhausen

 

Der Beginn der Ahnenreihe der Familie Gift in Hainsfarth geht weit zurück ins 18. Jahrhundert. Der Viehhändler Löw Bärle kam um 1748 aus Ichenhausen nach Hainsfarth. Er nannte sich auch "Löw Levi" in Erinnerung an die Herkunft seiner Familie in biblischer Zeit aus dem einstigen Stamme Levi in Israel. Der Familienname "Gift" ergab sich erst um 1813 in Folge der Forderung des königlich bayerischen Judenedikts, wonach alle jüdische Familien einen Familiennamen anzunehmen hatten, was bis dahin lediglich bei einer Minderheit der Fall war. Löw Levi heiratete in Hainsfarth zwei Jahre nach seiner Ansässigmachung, also 1750. Einträge hierzu finden sich in den Geldrechnungen des Evangelischen Oberamtes Oettingen der Herrschaftslinie Oettingen-Spielberg. (02)

 

 Die Herrschaftsverhältnisse in der historischen Grafschaft Oettingen waren um diese Zeit insofern etwas kompliziert, als neben den drei katholischen Linien der Grafen Oettingen-Spielberg, Oettingen-Wallerstein und Oettingen-Baldern bis 1731 auch noch die gefürstete evangelische Linie Oettingen-Oettingen existiert hatte, deren Erbe im Bereich Oettingen und Hainsfarth danach an die Linie Oettingen-Spielberg gegangen war und deren Verwaltungsstruktur, die Trennung in Evangelisches und Katholisches Oberamt, weiterhin beibehalten wurde. So gab es  in Oettingen und in Hainsfarth sowohl "katholische" als auch "evangelische" Juden, was die genealogische Forschung heute nicht gerade vereinfacht.

 

Seelenbeschriebe Hainsfarther Juden

 

Ein Glücksfall in familiengeschichtlicher Hinsicht ist der Seelenbeschrieb Hainsfarther Juden von 1757, da Löw Levi unter den "Hausgenossen" (also nicht den "Haushäbigen") mit Nummer 41 notiert wird.  Er wird

beschrieben als "im 8. Jahr des wirklichen Schutzes, geheirateten Standes mit zwei ohnerzogenen Kindern", er selbst als im Alter von 36 Jahren. Mit 300 Gulden hat er nicht gerade viel Vermögen, die Geschäfte als Viehhändler gehen schlecht. Aber seine "Aufführung" wird als gut bezeichnet. Die Judenbeschreibung von 1770 gibt an, daß Löw Levi jetzt 5 Kinder habe, von denen noch keines "im Schutz sei", also mit Erlaubnis der Obrigkeit selbständig ansässig geworden sei. Löw Levi handele zuweilen mit Vieh und "schmuße" (also vermittle Viehkäufe) daneben. Als er 1806 dann mit 85 Jahren starb, muss er in sehr bescheidenen Verhältnissen seinen Lebensabend als  Witwer verbracht haben. (03)

 

Therese Giehses Urgroßvater

 

Von seinen bislang drei bekannten Kindern interessiert hier als Ur-Großvater von Therese Giehse in erster Linie Jakob Löw, der 1764 geboren wurde und sich 1803 mit Treinle (die sich später, in Angleichung an das christliche Umfeld, Theres nannte) verheiratete, einer Tochter von Salomon Mendel in Hainsfarth (dessen Familie sich nach 1813 den Namen "Reuter" erwählte). Jakob Löw hatte 1807 bereits zwei Kinder und ernährte seine Familie wie sein Vater zuvor als Viehhändler und Schmußer, erwarb sich hierbei jedoch keine Reichtümer, was aus der Schatzung von 1807 mit 400 Gulden Vermögen hervorgeht. Nach 1813 nahm er in Folge der allgemeinen Forderung des königlichen Judenedikts den Familiennamen Gift an und wurde  in Hainsfarth unter der Matrikel Nummer 38 im Judenregister eingetragen. Gestorben ist er dann am 16. April 1824 im Alter von lediglich 60 Jahren. Seiner Witwe verblieben fünf Kinder in großer Armut. Sie überlebte ihren Gatten um 41 Jahre, mußte also bei der Heirat 1803 sehr jung gewesen sein. (04)

 

Jakob Löw's Söhne

 

Von Jakob Löws Kindern sind bislang drei Söhne bekannt: Mendel (1806-1868), Löw (1809-1874, der sich später Leopold nannte) und David (1813-1884). Alle drei müssen beseelt gewesen sein von der Vision einer besseren Zukunft. Der Handel mit Pferden und Rindern schien Ihnen hierzu sicherlich nicht geeignet, Viehhändler gab es unter den Juden ohnehin mehr als genug. Sie wandten sich daher dem mehr Erfolg versprechenden Handel mit anspruchsvollen Textilwaren zu. Zwar gab es auch sogenannte textile "Schnittwarenhändler" unter den Juden zur Genüge, jedoch hatten sich die drei Gift'schen Brüder schwerpunktmäßig auf die Dult in Ingolstadt konzentriert und boten dort nur allerfeinste Tuch- und Modewaren feil. (05) Ihr Angebot bestand aus solch heute illuster anmutenden Textilwaren wie "Tibets, Ginghams, Napolitains, Shirtings und Bukskins". Beste Ware zu billigsten Preisen bei bestem Kundendienst anzubieten, dies war ihre Devise und Grundlage ihres erstklassigen Rufs. Mendel Gift  formulierte sein Angebot wie folgt: "Unter Zusicherung der reellsten Bedienung, schmeichelt sich mit zahlreichem Besuch beehrt zu werden, und hegt die Überzeugung, dass Jedermann sein Waarenlager befriedigt verlassen wird – M. Gift". (06)

 

Nach der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Hainsfarth für die drei Brüder und ihre Söhne offensichtlich als Geschäfts- und Wohnsitz uninteressant. 1850 ging Leopold Gift nach Oettingen und eröffnete in der Pfarrgasse einen ständigen Laden. 1862 ging er dann mit seinem Bruder David Gift nach Ingolstadt, als dort die ständige Ansässigmachung auch für Juden möglich wurde. (07) 1863 wagte Mendel Gift den Sprung nach München, wohin ihm 1867 bzw 1877 seine beiden Brüder Leopold und David folgten. (08)

 

Die Verhältnisse in München damals

 

München war zu jener Zeit ein atemberaubend schnell wachsendes Gemeinwesen, ein Schmelztiegel biederer Arbeiterschaft und aufstrebenden Bürgertums. Der bisher die Juden in ihrer Mobilität stark behindernde Matrikelparagraph war inzwischen weggefallen, auch Juden konnten Wohnsitz und Gewerbe nun im Rahmen der allgemein geltenden Gesetze frei wählen. Allerdings war es weiterhin den persönlichen und beruflichen Verhältnissen durchaus förderlich, wenn man sich in der Stadt nicht gar so "jüdisch" gab. In seinen Bemühungen um Emanzipation und Assimilation näherte sich das deutsche Judentum in seiner Religiosität sehr stark dem Christentum. Austritte aus den Jüdischen Religionsgemeinschaften wurden häufiger, auch Mitglieder der nächsten Generation der Gift'schen Familie konvertierten zum Christentum, doch davon später.

Hainsfarth zu jener Zeit

 

In der ländlich verschlafenen Gemeinde Hainsfarth sahen die Verhältnisse weitaus weniger turbulent aus. Insbesondere auch bei den jüdischen Familien, die dort geblieben waren. Man lebte in bescheidenen Verhältnissen ohne sonderliche bürgerliche Ambitionen. Die Eisenbahn fuhr in Sichtweite an Hainsfarth vorbei und verband trotz des fehlenden Bahnhofs (der nächste war in Oettingen, auf der anderen Seite der Wörnitz) irgendwie mit der großen weiten Welt, die vor allem für die jungen Leute und die Wohlhabenden Hoffnung auf ein besseres Leben versprach. Manch einer schaffte auch die Auswanderung nach Amerika, wie Michael Ries, der dort durch Bodenspekulation reich wurde und dessen protzig monumentales Grab in Wallerstein an seinen vergänglichen weltlichen Reichtum erinnert. Daheim blieben die Alten und Kranken, die weniger Wagemutigen und jene, denen das bescheidene Dorfleben ganz einfach genügte, weil es ihnen Heimat war. Die Jüdische Gemeinde in Hainsfarth hatte sich 1850 einen eigenen Friedhof geleistet, nachdem bis dahin die Toten jahrhundertelang auf dem weit entfernt liegenden altehrwürdigen Jüdischen Zentralfriedhof in Wallerstein begraben worden waren. 1865 war dann die neue Synagoge fertig gestellt und wurde ob ihres in antiker Renaissance im Stil des königlichen Architekten Friedrich von Gärtner gehaltenen dekorativen Formenschmucks allgemein bewundert. Das grosse Vorbild für diese flächendeckende Schablonenmalerei war die von Gärtner im königlichen Auftrag erbaute Ludwigskirche in München gewesen. Der im Innern ungewöhnlich opulent gestaltete Neubau der Hainsfarther Synagoge erfolgte erstaunlicher Weise zu einer Zeit, als eigentlich keine Landsynagogen mehr errichtet wurden. Der Trend ging in die Stadt, und der Mitgliederschwund bei den jüdischen Landgemeinden ließ auch deren finanzielle Möglichkeiten schrumpfen. (09)

 

Das Landrabbinat Oettingen

 

Auch im einstmals bedeutenden Landrabbinat Oettingen (das für Hainsfarth zuständig war) hatten sich gravierende Veränderungen ergeben.. Zu Beginn der Gift'schen Familiengeschichte in Hainsfarth war elf Jahre lang (1753-1764) Abraham Benjamin Wolf Levi Landrabbiner gewesen. Seine Grabplatte wurde 1999 anläßlich einer Reinigungsaktion mit Schülern der Gymnasien in Nördlingen und Oettingen auf dem Wallersteiner Judenfriedhof wieder entdeckt. (10) Bis 1795 war dann Jakob Pinchas aus der bedeutenden Rabbinerfamilie Katzenellenbogen Vorsteher des Oettinger Landrabbinats, daran anschließend sein Sohn Pinchas Jakob bis zu dessen Tod 1845. Beides waren sehr respektable religiöse Persönlichkeiten, die auch mit ihrer Talmudschule einen überregionalen Ruf genossen. Nach deren Tod wurde das Oettinger Rabbinat eine Zeit lang vom Rabbiner Dr Meier Feuchtwang aus Pappenheim betreut, der später dann Landesrabbiner in Nikolsburg in Mähren wurde und dessen Sohn Dr David Feuchtwang 1936 als Oberrabbiner von Wien starb. Das Oettinger Rabbinat wurde nach dem Weggang von Dr Meier Feuchtwang nicht mehr neu besetzt und letztendlich vom Wallersteiner Rabbinat unter David Weißkopf auch der billigeren Kosten halber mitbetreut. (11)

 

Der Hainsfarther Judenfriedhof

 

Aus der Familie Gift war 1865 nach dem Tod von Theres Gift (der Mutter der drei Brüder Mendel, Leopold und David) niemand mehr in Hainsfarth. Allerdings wird für alle Zeit ein Grab auf dem Jüdischen Friedhof an hervorragender Stelle an die Familie Gift erinnern. Chaja Gift (eine Tochter des Stammvaters Löw Levi, der 1748 aus Ichenhausen nach Hainsfarth gekommen war) hatte wohl um 1785 Hirsch Samuel geheiratet (der sich nach 1813 "Neumann" nannte) und war dann im Oktober 1850 gestorben. Mit ihrem Grab wurde der neu angelegte Hainsfarther Judenfriedhof eingeweiht, nachdem bisher über all die Jahrhunderte der Wallersteiner Judenfriedhof als wichtigster Zentralfriedhof in der Grafschaft Oettingen auch ewige Ruhestätte für die Hainsfarther Juden gewesen war. Chajas Grabinschrift weist ihren Vater als "Jehuda Segal" aus. Eingeweihte wissen, dass dies der Synagogenname von Löw Levi war, mit der er zur Thora gerufen wurde.

 

Mendel Gift's Familie in München

 

Was nun die weitere Lebensgeschichte der nach München gezogenen Gift'schen Brüder betrifft, so ließe sich darüber ein ganzes Buch schreiben, immerhin erreichten 17 Kinder das Erwachsenenalter. Stellvertretend für

diesen wachsenden Familienverband sollen im Folgenden ein paar wenige Lebensläufe etwas genauer betrachtet werden:  (12)

Die vorerwähnten drei Gift'schen Brüder Mendel, Leopold und David hatten alle noch ihre Familien in Hainsfarth gegründet, ihre Gattinnen stammten aus den jüdischen Landgemeinden von Bechhofen, Oettingen und Hainsfarth. Mendel Gift war wohl in München geschäftlich nicht mehr sehr aktiv, zumal er ja auch bereits 1868 starb. Sein Sohn Salomon Gift jedoch betrieb ab 1879 mit seinen Geschäftspartnern Abraham Holzer und Alois Eisenreich einen Posamentier- und Seidenwarenhandel en gros. Er heiratete 1879 auch die 17 jährige Getrude Hainemann, deren Vater in New York eine Farbenfabrik besessen hatte, und dort in New York war sie auch zur Welt gekommen. (13)  Salomon Gift starb 1911 mit 62 Jahren und hinterließ der Witwe (die das Geschäft tatkräftig weiter führte) 5 Kinder im Alter von 13 bis 30 Jahren. Der älteste Sohn Max half der Mutter bei den kaufmännischen Notwendigkeiten und wurde später Geschäftsführer im Kaufhaus Landauer in Augsburg. Sein wehmütiger Abschiedsbrief an die dortige Belegschaft, als ihm 1934 wegen seiner jüdischen Abstammung gekündigt wurde, ist erhalten. (14) Therese, die sich später "Giehse" nannte, war das jüngste Kind von Salomon Gift. Ihre Jugend hat sie sicherlich nicht in Oettingen verbracht, wie dies dort am "Gift'schen Haus " (Pfarrgasse 13) auf einer Gedenktafel steht , sondern in München im elterlichen Haus in der Herzog Rudolf Strasse 34. (15)

 

Leopold Gift und David Gift in München

 

Leopold Gift war der geschäftlich wie privat auch aktivste der drei Brüder. Er hatte alles in allem 20 Kinder von seiner Gattin Blümle (Pauline) geborene Goldbacher aus Oettingen. Allerdings überlebten hiervon nur acht das Kindheitsalter. Als Leopold Gift 1874 im Alter von 65 Jahren starb, erhielt er eine ganzseitige Todesanzeige in den Münchner Neuesten Nachrichten. Sein Schnitt- und Modewarengeschäft im Rosenthal 4 wurde vom Sohn Philipp noch eine Zeit lang weitergeführt, bis jener sich um die Jahrhundertwende aus dem Geschäftsleben zurückzog.

 

Nun  fehlt noch der Letzte in dieser Betrachtung der drei Brüder in München. David Gift wurde dort nicht mehr geschäftlich aktiv und starb in München 1884 im Alter von 71 Jahren. Von seinen 5 Kindern sind 3 allzu früh in Ingolstadt verstorben. Dies waren Jakob, Pauline und Joseph, verstorben mit 16, 11 und 9 Jahren. Nachdem es in Ingolstadt damals noch keinen jüdischen Friedhof gab, wurden diese Kinder in ihrem Heimatort Hainsfarth begraben. Die Grabsteine sind noch erhalten. Therese Giehse's Großeltern waren dies beileibe nicht, wie dies immer wieder fälschlicher Weise auch in der Lokalpresse  behauptet wurde, sondern zwei im Kindesalter verstorbene potentielle "Onkel" und eine potentielle "Tante". (16)

 

Die nächste Gift'sche Generation

 

Die 4. Generation des Gift'schen Familienverbands (also die Kinder von Mendel, Leopold und David) hatte ihren Lebensschwerpunkt zumeist in München. Beruflich befasste diese Generation sich mit Textilhandel, Cigarrenhandel und Schuhhandel. Heiraten fanden nicht mehr unbedingt im rein jüdischen Milieu statt. Leopold's Söhne Philipp und Bernhard hatten katholische Gattinnen, demzufolge deren Kinder katholisch getauft und erzogen wurden. Die Mischehen erwiesen sich dann im 3. Reich als lebensrettend; diese Mitglieder des Gift'schen Familienverbands haben zwar leidvoll, aber trotzdem einigermaßen unbeschädigt diese schlimme Zeit überstanden. Philipp Gifts Sohn Philipp junior erhielt eine Berufsausbildung als Arzt und wirkte ("ein Arzt namens Gift") in Straubing. (17) Auch sein Bruder Adolf betätigte sich als Arzt und verstarb bereits früh im 1. Weltkrieg. Der Bruder Hugo wurde Jurist und krönte seine Laufbahn als Präsident des Landesarbeitsgerichts. Er  starb 1949.

 

Schlimmes Leid im 3. Reich

 

Die fünfte Generation der Hainsfarther Familie Gift hatte am meisten zu leiden unter den schrecklichen Verhältnissen des Dritten Reichs. Therese Giehse, sowie ihre Geschwister Irma und Max entzogen sich dem Grauen durch Emigration. Ihre Schwester Jeannette heiratete den Textilfabrikanten Carl Löwengart in Hechingen und starb dort gerade noch "rechtzeitig" 1941, bevor ihr Schicksal unwiderruflich in der Finsternis der Deportation geendet hätte. (18)  Der Bruder Siegfried überlebte in "Mischehe" in München und starb dort erst Anfang der 1960er Jahre.

 

Besonders schwer traf es die Enkelkinder von David Gift. Meta Gift heiratete Siegfried Sternglanz aus Ederheim, der 1921 im Alter von 50 Jahren verstarb. Meta und ihre Tochter Alice wurden im Zweiten Weltkrieg nach Riga deportiert, wo sie "verschollen" sind, was nur die amtlich nüchterne Umschreibung ihrer Ermordung bedeutet. (19)

Für die Not all jener Juden, die im 3. Reich existenziell zu leiden hatten und an ihrem Schicksal zerbrochen sind, möge noch abschließend die tragisch-schöne Lebens- und Sterbegeschichte des Opernsängers Emil Gift stehen, genau wie Therese Giehse ein Ur-Ur-Enkel des einst von Ichenhausen nach Hainsfarth gekommenen Stammvaters der Familie Gift, jenes Löw Levi, der sich in der Grafschaft Oettingen wohl sicherere Lebensbedingungen als in Ichenhausen erhofft hatte, nachdem Ichenhausen zwar unter (für Juden) relativ behüteter reichsritterlicher Herrschaft stand, andererseits jedoch auch auf vorderösterreichischen Territorium lag und man hier vor "Ausschaffungen" nie sicher war.

 

Der Opernsänger Emil Gift

 

Therese Giehse ist heute noch in Deutschland als Schauspielerin wohl bekannt. Aber niemand mehr erinnert sich an ihren Cousin Emil Gift. In den Goldenen Zwanziger Jahre war er bereits ein hervorragender Opernsänger am Nationaltheater in München, während Therese Giehse am Kammertheater ihre Karriere begann. Als Bassist hatte er ein Repertoire ohnegleichen. Er war berühmt und geschätzt nicht zuletzt wegen seiner Fähigkeit, andere Sänger kurzfristig zu ersetzen, die wegen Krankheit oder sonstiger Unpässlichkeit ausfielen.

 

Emil Gift's Großvater David Gift (1813-1884) war ein Bruder von Therese Giehses Großvater Mendel Gift (1806-1868). Emil Gift wurde 1879 in Ingolstadt geboren, wo der ursprünglich aus Hainsfarth stammende Vater ansässig geworden war, während Therese Giehse (die sich erst als Schauspielerin "Giehse" nannte) 1898 in München geboren wurde. Emil Gift wählte übrigens ebenfalls einen Künstlernamen, er nannte sich "Grifft". Der Name "Gift" erschien wohl Beiden nicht sonderlich hilfreich bei der Entfaltung und Akzeptanz ihrer künstlerischen Talente.

 

Bemerkenswerte Karriere und  tragisches Ende

 

Emil Gift's Karriere begann 1903 als Dirigent des Stadtorchesters in Mainz, 1905-1906 war er erster Heldenbariton im "Theater des Westens" in Berlin, 1907-1912 am Stadttheater in Kiel und 1912-1916 am Breslauer Stadttheater. Zu jener Zeit hatte er bereits einen soliden Ruf als gefragter Sänger für das "Bassbariton- und Bassbuffo-Fach", was letzten Endes zum Engagement am Münchner Nationaltheater führte. Emil Gifts starke Seite waren die Heldenrollen. So sang er den König in der Aida, den Hunding in der Walküre, den Alberich im Rheingold und den Pizarro in Fidelio, insgesamt über ein gewaltiges Repertoire von mehr als 70 Rollen verfügend.

 

17 Jahre lang war Emil Gift ein bedeutendes Mitglied der Münchner Oper, von 1917 bis zum Schicksalsjahr 1933. Das Judentum hatte er bereits 1919 verlassen und war zum Katholizismus konvertiert, vermutlich um antisemitischen Konfrontationen aus dem Weg zu gehen. Dennoch wurde er dann 1933 Opfer seiner jüdischen Herkunft, als die nationalsozialistische Regierung binnen Monatsfrist ein Berufsverbot gegen ihn aussprach. Auch sein flehentlicher Hinweis, dass er sich nie als Jude gefühlt habe und darüber hinaus auch 1918 in revolutionärer Zeit beim Einzug der Weißen Garde unter General von Epp auf Seiten der Konterrevolution gestanden habe, nützte ihm nichts mehr. Und so fiel Emil Gift praktisch über Nacht aus dem Rampenlicht der Bühne ins existenzielle Nichts. Singen war einst sein Leben gewesen und die Bühne seine Heimat. Mit einer kleinen Hungerpension vegetierte der Star vergangener Zeiten noch einige Jahre in schlimmer Zeit vor sich hin, im Telefonbuch immer noch trotzig als "Kammersänger" eingetragen – wehmütige Erinnerung an einst. Zuletzt müssen die Verhältnisse für Emil Gift so grauenhaft unerträglich geworden sein, dass er am 25. November 1941 seinem Leben ein Ende setzte. Nichts erinnert heute mehr an ihn. (20)

 

 

 

 

 

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Anmerkungen und Quellenangaben

 

(01) Ausführliche Angaben zu Therese Giehse's Lebenslauf sind nachzulesen in der von Monika  Sperr verfassten Biographie mit dem Titel "Ich habe nichts zu sagen".

 

(02) FÖSAH (Fürstlich Oettingen-Spielberg'sches Archiv Harburg): Die Geldrechnung 1748 des Evangelischen Oberamts Oettingen zeigt im Bereich "Judenschutzgelder Hainsfarth" auf Seite 267 die Schutzaufnahme von Löw Bärle aus Ichenhausen (der sich auch Löw Levi nannte) per Decret vom 2. August 1748. Die Heirat wird in der Amtsgeldrechnung 1750 in der Beilage Cccc per 21. Januar 1750 vom Hainsfarther Barnos David Löw attestiert.

 

(03) Die Seelenbeschriebe der Hainsfarther Juden von 1757 und 1770 sind Teil der Jüdischen Archivalien im Fürstlich Oettingen-Spielberg'schen Archiv Harburg (Signatur FÖSAH Reg Reg K 63)

 

(04) Näheres zur Schutzaufnahme von Jakob Löw findet sich im Bestand FÖSAH RegReg O 25 (Akte 11-1803). Isrealitische Standesregister für Hainsfarth ab 1825 sind im Staatsarchiv Augsburg (Band Nr 13 I+II).

 

(05) Wesentliche, sorgfältig recherchierte Informationen zur Bedeutung der Ingolstädter Dult für die Gift'schen Brüder aus Hainsfarth und deren Ansässigmachung in Ingolstadt sowie später dann in München stammen von Dr Theodor Straub in Ingolstadt, einem Studienkollegen von Dr Pankraz Fried (emeritierter Inhaber des Landesgeschichtlichen Lehrstuhls an der Augsburger Universität). Dr Straub ist auch Verfasser eines vorzüglichen Buchs zur Familiengeschichte der Ingolstädter Juden.

 

(06) Diese heute exotisch anmutenden Textilbezeichnungen wurden 1849 im Ingolstädter Wochenblatt anlässlich der Dult in einer Verkaufsanzeige von Mendel Gift veröffentlicht.

 

(07) Leopold Gift zeigte im Oettinger Wochenblatt per Ausverkaufsanzeige 1862 seinen Umzug nach Ingolstadt an.

 

(08) Die allermeisten Angaben zu den einzelnen Mitgliedern der Gift'schen Familie in München stammen aus dem alphabetisch geordneten Bestand "Polizeimeldebögen" des Stadtarchivs München, zum Teil auch aus Sterbeanzeigen der Münchner Neuesten Nachrichten bzw aus den Adressbüchern des Stadtarchivs München.

 

(09) Die hier vertretene architekturgeschichtliche Auffassung resultiert aus eigenen Nachforschungen des Autors Dipl-Ing Rolf Hofmann und steht im Widerspruch zur Betrachtung von Dr Bernd Vollmar (Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege München), von letzterem vorgetragen anlässlich der Einweihung der restaurierten Hainsfarther Synagoge im Rahmen der Rieser Kulturtage, nachzulesen in der Publikation "Die ehemalige Synagoge Hainsfarth", herausgegeben 1996 vom Verlag des Vereins Rieser Kulturtage. Herr Vollmar betont dort allzu sehr das "orientalisch Exotische" speziell im Hinblick auf die Hufeisenbögen der äußeren Fensterleibungen, übersieht jedoch dabei, dass die inneren Leibungen und die Fenster selbst formenreine "Gärtner'sche" Rundbögen aufweisen. Andererseits jedoch weist Herr Vollmar ganz explizit darauf hin, dass die Ornamentik an den Wänden und der Decke so garnicht "neo-maurisch" sei, ohne allerdings auch hier den Gärtner'schen Ursprung zu bemerken. Nach neuester Erkenntnis kann wohl davon ausgegangen werden, dass die Hainsfarther Synagoge nicht als "neo-maurisch" im Baustil zu betrachten ist, sondern eher dem Typus einer bayerischen Dorfkirche entspricht, der mit geringfügigen maurischen Stilelementen (z.B. Hufeisenbögen) ergänzt wurde, um ihn von christlichen Bauwerken zu unterscheiden.

 

(10) Die Reinigung von Grabsteinen auf dem Jüdischen Friedhof in Wallerstein wurde von Dipl-Ing Rolf Hofmann in Absprache mit dem Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern organisiert und photographisch dokumentiert, jedoch nicht publiziert.

 

(12) Informationen hierzu aus den Polizeimeldebögen des Münchner Stadtarchivs.

 

(11) auch gelegentlich "Meyer Feuchtwanger" geschrieben

 

(13) Das New Yorker Adressbuch von 1869 weist Simon Hainemann, Sampson Hainemann und David Steiner als Compagnons mit ihrem Farbengeschäft in der Fulton Street (Haus Nr 89) im südlichen Manhattan aus. Die Farbenfabrik der Firma Hainemann & Steiner befand sich damals an der Ecke Gold und Tillary Street in Brooklyn, das seinerzeit noch eine selbständige Stadt war und erst ab 1898 zu New York gehörte.

 

(14) Informationen zu Max Gift sind dem Buch "Schwäbische Juden" von Gernot Römer entnommen.

 

(15) Im "Gift'schen Haus" in Oettingen in der Pfarrgasse 13 hatte Leopold Gift sein Textilwarengeschäft von 1850 bis 1862.

 

(16) Als Beispiel für legendenartige Fortschreibungen einer einmal fixierten Falschaussage sei der Artikel der Rieser Nachrichten vom 6.03.1998 genannt. Titel: "Therese Giehse – ihre Wurzeln sind im Ries".

 

(17) Die Information zum Arzt namens Gift stammt aus der Alten Meldekartei des Stadtarchivs in Straubing.

 

(18) Die Informationen zu Hechingen hat Otto Werner beigetragen, der sich dort seit vielen Jahren in vorbildlicher Weise um die Lebensgeschichten der Juden bemüht, die einst bis zum 3. Reich dort gelebt haben.

 

(19) Dem unendlichen Leid der Juden im 3. Reich wird in einem gewaltigen zweibändigen Werk des Deutschen Bundesarchivs gedacht, das neben den Namen und Geburtsdaten auch in den allermeisten Fällen den Verbleib und das Todesdatum der Deportierten nennt. Der Titel: "Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland: 1933-1945", Koblenz 1986

 

(20) Ausführliche Darstellungen zum Lebenslauf des Opernsängers Emil Gift finden sich in zwei Personalakten im Hauptstaatsarchiv München mit den Signaturen "Kultusministerium MK 45101" und "Staatstheater 15043"