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Jugenheim (VG
Nieder-Olm, Kreis Mainz-Bingen)
Jüdische Geschichte / Synagoge
(erstellt unter Mitarbeit von
Wolfhard Klein)
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english
version)
In Jugenheim bestand eine jüdische Gemeinde bis 1927. Ihre
Entstehung geht in die Zeit des 18. Jahrhunderts zurück. Bereits im 16.
Jahrhundert wohnten Juden in Jugenheim: Joseph und Abraham, Vater und Sohn,
werden 1614 als Weinhändler genannt. Sie verkauften damals größere Mengen Wein
aus dem Rheingau nach Frankfurt. In der Steuerrolle von 1725 werden zwei
steuerpflichtige Juden erwähnt, in der von 1740 drei und 1802 wieder zwei. 1775
wird Raphael Löb erwähnt. 1777 zahlten die Jugenheimer Juden 43 Gulden
Schutzgeld und 29 Gulden Steuern an die Ortsherrschaft (Fürst von
Nassau-Saarbrücken).
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie
folgt: 1800/1808 fünf jüdische Haushaltungen, 1821 62 jüdische Einwohner, 1824
49 (von insgesamt 816 Einwohnern), 1830 57,
1861 67 (6 % der Einwohnerschaft), 1871 42, 1880 44, 1900 29, 1905 34 (3,1 % von insgesamt 1.093 Einwohnern).
Namentlich genannt werden 1813 Samuel Blatt, Raphael Vogel, Salomon Teutsch,
1817 Emanuel Haas, 1819 Salomon Vogel, Raphaels Sohn.
Die
jüdischen Haushaltsvorstände waren als Händler tätig (mit Landesprodukten wie
Heu, Stroh, Getreide, Hülsenfrüchte, Kartoffeln, Wein; Viehhändler;
Lebensmittelhändler u.a.m.), auch werden jüdische Metzger genannt sowie eine
Kleidermanufaktur. Allerdings waren auch Christen im Handel tätig. So kamen von
den 37 Weinhändlern, die es im 19. Jahrhundert in Jugenheim gab, 21 aus
christlichen Familien und 16 aus jüdischen. Die Familien Teutsch und Blatt
hatten Anwesen mit großen Weinkellern.
1881 kam es in Jugenheim, Nieder-Olm,
Stadecken und Partenheim
zu schweren antisemitischen Ausschreitungen (siehe Berichte unten).
An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde eine Synagoge (Betstube,
s.u.), zeitweise eine Schule (Religionsschule, bereits um 1800) und einen
Friedhof.
Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde
war zeitweise ein Lehrer am Ort (bereits um 1800, da in der Sterbeurkunde
seiner Frau aus dem Jahr 1820 der verstorbene israelitische Schullehrer Callmann
Laub erwähnt wird), der auch als Vorbeter und Schochet tätig war. Die Gemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk in Bingen.
Jüdischen Familien gehörten Anfang des 20. Jahrhunderts unter anderem folgende
Häusern am Ort: Angergasse 7, Edelsberg 5,6,9 und 13, Gartenstraße 1, 1a und 5,
Hauptstraße 3, 9, 16, 19 und 33, Hintergasse 6, 8-10, 20, 24 und 36,
Mainzerstraße 9 und 14 sowie im Haus Schanzenkorb 6.
Um 1924 war die Gemeinde in Auflösung begriffen. Es gehörten ihr noch
26 Personen an. Damals hätten die Gemeinden Partenheim und Jugenheim gerne eine
gemeinsame Gemeinde gebildet, was jedoch behördlicherseits abgelehnt wurde, da
die Gemeinden unterschiedlichen Landkreisen angehörten.
1933 wurden noch 18 jüdische Einwohner gezählt (1,9 % der
Einwohnerschaft). Beim Novemberpogrom
1938 wurden die Synagoge zerstört und die jüdischen Wohnungen überfallen und
geplündert. Alle 1938 noch in Jugenheim lebenden jüdischen Personen wurden
gezwungen, noch im Laufe dieses Jahres in "Judenhäuser" in Mainz umzuziehen.
Von den in Jugenheim geborenen und/oder längere Zeit am Ort
wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"), ergänzt durch Angaben von
Wolfhard Klein: Paula (Pauline) Bendorf geb. Müller (1897), Else Blatt (1907),
Salomon Blatt (), Siegfried Blatt (1875), Otto Blatt (1879), Siegmund Engel (1871), Rosa Günzburger
geb. Müller (1870), Auguste Kahn
geb. Blatt (1868), Elisa Metzger geb. Schwab (1873), Doris Müller (1934), Eugen
Müller (1903), Fritz Müller (1900), Hilde Müller (1930), Recha Müller geb.
Oppenheimer (1902), Ricke
(Rebekka) Müller (1873), Robert (Raphael) Müller (1895), Rosa Müller geb. Beretz (1881), Salomon Müller (1876),
Jenny Seligmann geb. Schwab (1870), Arthur Urnstein (1901), Helene Urnstein geb.
Schwarz (1860), Max Markus Urnstein
(1896), Bertha Wolf geb. Blatt
(1866), Siegmund Wolf (1857).
Anmerkung: Es kommt in den Listen immer wieder zu einzelnen Verwechslungen
mit Personen, die in Jugenheim an der Bergstraße
gelebt haben.
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus dem
jüdischen Gemeindeleben
Berichte zu den antisemitischen Ausschreitungen in
Jugenheim und Partenheim (1881)
Anmerkung: vgl. die Artikel in den
Seiten zu Nieder-Olm,
Stadecken und
Partenheim.
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 9.
Februar 1881: "Aus Rheinhessen. Auch in unserer Provinz hat die
Antisemitenbewegung böse Früchte gezeitigt. In den beiden, meistens von
Protestanten bewohnten Dörfern Partenheim und Jugenheim ist die
bekannte antisemitische Petition fast von allen protestantischen Bewohnern
derselben unterzeichnet worden. - "Was von Berlin kömmt," sagte ein
Bürgermeisterei-Adjunkt, "ist gut und muss unterschrieben werden."
Dabei ließen es aber die Herren Antisemiten nicht bewenden. Sie warfen den
Juden die Fenster ein; schwere Steine wurden auf die Dächer geworfen, die
natürlich großen Schaden gelitten haben. Schon haben sich einige Israeliten
entschlossen, diese beiden Dörfer zu verlassen und nach Mainz oder Bingen zu
ziehen. - Gegen die in den genannten Dörfern wohnenden Juden liegt nicht die
geringste Beschwerde vor; es sind fleißige, friedliche Menschen, und unter
ihnen befinden sich keine Wucherer. Der Hass ist ein künstlich geschürter,
lediglich durch die von Berlin ausgehende Antisemitenbewegung angefacht,
Während der großen Kälte in den verflossenen Wochen hatte man, um den Juden
einen Schabernack zu spielen, auf das Strengste verboten, für die Juden am
Sabbat Feuer anzumachen und die Wärmeöfen zu bedienen, sodass die Armen gezwungen
waren, bei 12 Grad Kälte in ungeheizten Zimmern zu sitzen.
Nach den hier geltenden Gesetzen sind die politischen Gemeinden verpflichtet,
für den durch Ruhestörung verursachten Schaden aufzukommen und werden beide
Gemeinden die eingeworfenen Fenster und die zerstörten Dächer wieder
herstellen müssen, wenn die Täter nicht zu eruieren oder nicht im Stande zu
bezahlen sind. Die Anzeuge ist bereits bei der Staatsbehörde gemacht. Die
Herren Stöcker, Förster etc. können auf diese Erfolge stolz sein.
Wie wir vernehmen, sind von der Behörde energische Maßregeln ergriffen worden,
um die Wiederkehr der Exzesse zu verhindern." |
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Artikel
in der Beilage zur Zeitschrift "Der Israelit" vom 9. Februar 1881: "Mainz. Auf Verfügung des Großherzoglichen
Ministeriums ist die Gemeinde Partenheim, in welcher jüngst verschiedene
Ausschreitungen gegen die dort wohnenden Israeliten vorgekommen sind, auf die
Dauer von vier Wochen mit einem Gendarmerie-Wachposten, aus zwei Mann bestehend,
belegt worden."
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Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 18.
Mai 1881: "Partenheim, 10. Mai (1881). Die Antisemiten scheinen immer noch
keine Ruhe zu haben; neuerdings verlegen sie sich auf Schändlichkeiten, die
nicht scharf genug getadelt werden können. In einer der jüngst verflossenen
Nächte wurden die Reben derjenigen Weinberge, die Israeliten gehören, fast
sämtlich abgeschnitten, dem Weinmakler B. von Partenheim wurden nicht allein
die Einlager und Sprösslinge, sondern auch die Stöcke aus der Erde
herausgerissen." |
Zur Geschichte der Synagoge
In Jugenheim gab es bereits im 18. Jahrhundert eine "Judenschule"
und damit ein Haus, in dem jüdische Gottesdienste abgehalten wurden. Um 1846
wurde eine (neue) Synagoge (Betstube) eingerichtet, die
über mehrere Jahrzehnte Mittelpunkt des jüdischen Lebens am Ort war. Auch die
in Partenheim lebenden Juden kamen zu den Gottesdiensten nach Jugenheim (noch 1927). Wie
lange in der Synagoge Gottesdienste abgehalten wurden, ist nicht bekannt,
vermutlich bis Ende der 1920er-Jahre oder auch noch Anhang der 1930er-Jahre.
Beim Novemberpogrom 1938 wurde das Bethaus nach einem Augenzeugenbericht durch
Jugenheimer und auswärtige NSDAP- und SA-Mitglieder zerstört. Es brannte bis auf die Grundmauern nieder. Nach dem
Verkauf des Grundstückes wurden unter Verwendung der Mauerreste des Gebäudes
ein Werkstatt und ein Laden erstellt.
Adresse/Standort der Synagoge: Hintergasse
5
Fotos
Fotos und
Abbildungen zur jüdischen Geschichte in Jugenheim sind noch nicht
vorhanden;
über Zusendungen oder Hinweise freut sich der Webmaster der
"Alemannia Judaica";
Adresse siehe Eingangsseite. |
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Erinnerungsarbeit vor
Ort - einzelne Berichte
November 2018:
Vortrag zum 80. Jahrestag der
Pogromnacht 1938 |
Pressemitteilung in
der Website der Gemeinde Jugenheim im November 2018: "Vortrag ‘Jüdisches
Leben in Jugenheim‘ fand großes Interesse.
Vortrag jüdisches Leben in Jugenheim
Ein interessiertes Publikum von über 80 Zuhörerinnen und Zuhörern verfolgte
mit großem Interesse den Vortrag 'Historisches Jugenheim –Juden in
Jugenheim' von dem Chronisten und Heimatforscher Wolfgang Klein im
Vereinsraum der Sport- und Gemeindehalle. Ortsbürgermeister Herbert Petri
betonte in seiner Begrüßung, dass mit diesem Vortrag zum 80. Jahrestag der
Reichspogromnacht Erinnerungen an das jüdische Leben in Jugenheim
wachgerufen werden sollen. Der jüdische Friedhof ist noch heute ein stiller
Zeitzeuge dafür, dass Jugenheim in vergangenen Tagen ein Zentrum des
jüdischen Glaubens in der Region war. Wolfhard Klein stellte in einem sehr
spannenden, lebendigen, mit vielen Bildern und Zeitdokumenten illustrierten
Vortrag die tragischen Schicksale der jüdischen Mitbürgerinnen und
Mitbürgern vor. 'Ich habe die Geschichte der Jugenheimer Juden nicht
recherchiert um anzuklagen, sondern weil ich meinen Teil dazu beitragen
möchte, dass sich Vergleichbares nicht wiederholt', so Wolfhard Klein in
seinem Schlusswort, das von viel Applaus begleitet wurde. Ortsbürgermeister
Herbert Petri dankte Wolfhard Klein, der - ausgehend von der Dorfchronik zur
1250-Jahrfeier im Jahr 2017 - mit großem Aufwand seine Recherchen zu unseren
jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern fortgesetzt hat und heute darüber
fast lückenlos berichten kann."
Link zum Artikel |
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Juni 2020:
Neue Publikation zur jüdischen Geschichte in
Jugenheim (vgl. unten bei der Literatur) |
Artikel in der
"Allgemeinen Zeitung"
vom 17. Juni 2020: "Zur Erinnerung an eine 500-jährige Geschichte.
In Jugenheim ist eine neue Dorfchronik erschienen
JUGENHEIM. Die Ortsgemeinde Jugenheim freut sich sehr, dass ihr
Dorfchronist Wolfhard Klein nach seiner erfolgreichen Dorfchronik nun ein
weiteres Buch zur Jugenheimer Historie veröffentlicht: Juden in Jugenheim –
Zur Erinnerung an eine 500-jährige Geschichte.
Jüdische Bewohner. Das spannende Buch berichtet über die ehemaligen
jüdischen Dorfbewohner, ihre Berufe, ihren Grundbesitz und ihre Integration
in das Vereinsleben des Dorfes. Am Beispiel der Aufträge für Bau und
Sanierung der Synagoge ist erkennbar, wie Christen und Juden
zusammenarbeiteten – bis die Nationalsozialisten die Macht übernahmen.
Bis heute ist der jüdische Friedhof als wichtiges Kulturdenkmal und Zeugnis
der jüdischen Kultur in Jugenheim erhalten. Über die Jahrzehnte hat er sich
zu einem Biotop entwickelt, um dessen Pflege sich Ortsgemeinde und NABU
kümmern. Das Buch, das viele Fotos und Dokumente enthält, kostet 13 Euro. Es
kann über die Ortsgemeinde per Mail an die Adresse
rathaus@jugenheim-rheinhessen.de oder telefonisch bestellt werden.
(red)
Link zum Artikel |
Links und Literatur
Links:
Literatur:
| Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang -
Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. I S. 413-414. |
| Adolf Schick: Die jüdischen Familien in Jugenheim nach der
Erinnerung eines Zeitgenossen. In: Heimatjahrbuch 1994 Landkreis
Mainz-Bingen S. 79-82. |
| ders.: Jugenheimer Juden im 20. Jahrhundert. In: AVZ (Aus
vergangenen Zeiten - Beiträge zur Jugenheimer Ortsgeschichte) 2 1980
S. 10-13. |
| Landesamt für Denkmalpflege Rheinland-Pfalz/Staatliches Konservatoramt
des Saarlandes/ Synagogue Memorial Jerusalem (Hg.): "...und dies
ist die Pforte des Himmels". Synagogen in Rheinland-Pfalz und dem
Saarland. Mainz 2005. S. 196 (mit weiteren Literaturangaben). |
|
Wolfhard Klein: Juden in Jugenheim. Zur Erinnerung an eine
500-jährige Geschichte. 2020. 172 S. mit zahlr. Abb. Preis 13 € (plus
Versandkosten). Bestellmöglichkeit beim Autor: E-Mail
info@wolfhard-klein.de.
Zum Buchinhalt: Seit dem 16. Jahrhundert lebten Juden in Jugenheim. Es
wird beschrieben, womit sie ihren Lebensunterhalt verdienten, in welchen
Häusern die Familien gelebt haben, wie sehr sie in das Dorfleben integriert
waren. Berichtet wird über ihr religiöses Leben, die Synagoge und deren
Einrichtung, über den jüdischen Bezirksfriedhof in Jugenheim, der heute noch
existiert. Vor allem aber geht es um die Menschen, die Familien, die den Ort
mit geprägt haben und von denen viel zu viele Opfer der
nationalsozialistischen Gewaltherrschaft geworden sind. Zeitzeugen und
erstmals erschlossene Dokumente machten es möglich, 500 Jahre jüdisches
Leben in Jugenheim zu rekonstruieren. Eine Geschichte, die im November 1938
brutal endete. |
| Wolfhard Klein: Die Synagogen in Essenheim,
Jugenheim, Nieder-Saulheim, Partenheim, Stadecken und Vendersheim. In:
Mandelzweig (Hrsg.: Förderverein der Synagoge Weisenau) Nr. 2 - 2022.
Eingestellt als pdf-Datei. |
Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the
Holocaust".
First published in 2001 by NEW
YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad
Vashem Jerusalem, Israel.
Jugenheim Hesse. Numbering
67 (6 % of the total) in 1861, the community fell victim to antisemitism in the
1880s and disbanded in 1927. Most of the few remaining Jews (18 in 1933) left
after Kristallnacht (9-10 November 1938), when the synagogue was
vandalized.
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