Baisingen Friedhof 154.jpg (62551 Byte)  Segnende Hände der Kohanim auf einem Grabstein in Baisingen


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Kastel mit Kostheim (vorm. Mainz-Kastel und Mainz-Kostheim, Stadt Wiesbaden)
Jüdische Geschichte / Synagoge

Übersicht:

bulletZur Geschichte der jüdischen Gemeinde  
bulletBerichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde   
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer 
Aus dem jüdischen Gemeindeleben   
Berichte zu einzelnen Personen aus der Gemeinde  
Anzeigen  
Kennkarten aus der NS-Zeit     
bulletZur Geschichte der Synagoge   
bulletFotos / Darstellungen 
bulletErinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte  
bulletLinks und Literatur   

      
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde      
   
In dem bis 1945 zu Mainz gehörende Kastel bestand eine selbständige jüdische Gemeinde bis 1914. Ihre Entstehung geht in die Zeit des 15./17. Jahrhunderts zurück, doch dürften bereits zur Zeit der Römer in dem von Julius Cäsar gegründeten "Kastell" Juden sich hier aufgehalten beziehungsweise gelebt haben. 1432 ist eine jüdische Familie in Kastel bezeugt, 1446 sind es drei, 1452 mindestens fünf Familien. Je eine Familie war aus Bacharach, Mainz und Oppenheim zugezogen. Die jüdischen Familien lebten unter dem Schutz der Erzbischöfe von Mainz. Die Familien lebten u.a. vom Geldverleih. 1452 war geregelt, dass die jüdischen Geldverleiher höchstens einen Pfennig an Zins pro Gulden und Woche nehmen durften. Nach der Vertreibung der Juden aus dem Erzstift Mainz (1470 und 1471) mussten vermutlich auch die Juden Kastels den Ort verlassen.    
   
Die Entstehung der neuzeitlichen Gemeinde dürfte auf das 17. Jahrhundert zurückgehen. Um 1700 lebten in Kastel und dem benachbarten Kostheim (die jüdischen Familien der Orte bildeten eine gemeinsame Gemeinde) insgesamt etwa 12 bis 14 jüdische Familien. In den 1770er-Jahren waren es acht Familien. 
  
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie folgt: 1824 46 jüdische Einwohner, 1830 52, 1843 97 und 1905 60 Personen. 
  
An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde eine Synagoge, eine Religionsschule und ein rituelles Bad. Ab 1814 hatte die Gemeinde einen eigenen Lehrer und Vorsänger: eingestellt wurde Bernhard Kahn (Cahn, Cahen), ein napoleonischer Kriegsveteran aus Metz; er konnte 1864 sein 50jähriges Dienstjubiläum am Ort feiern und war noch bis 1871 in Kastel tätig. Danach verzog er nach Mainz, wo er 1877 starb. Seine Tagebücher sind eine großartige Quelle für die Geschichte der jüdischen Gemeinde und die allgemeine Geschichte in Kastel zwischen 1817 und 1871 (siehe Bericht unten). Nach Cahns Weggang wurde die Lehrerstelle vermutlich nicht mehr besetzt. 
  
Mit Dr. Elias Benedict Cahn (geb. 1808 in Mainz, gest. 1888 in Mainz) hatte Kastel von 1852 bis 1866 - zumindest dem Titel nach - einen eigenen Ortsrabbiner. Dr. Cahn war nach seinem Studium in Gießen und Bonn seit 1838 Religionslehrer in Mainz, seit 1843 auch Prediger. 1846 wurde er Rabbinatsverweser, 1851 zweiter Rabbiner in Mainz. Nach dem Amtsantritt von Rabbiner Dr. Joseph Aub 1852 behielt er die Rabbinatswürde für die Gemeinde Kastel; 1866 bis 1880 war Cr. Cahn dann erster Rabbiner der (liberalen) Israelitischen Religionsgemeinde in Mainz. 
  
An jüdischen Vereinen bestand seit 1830 ein Krankenverein. Die Toten der jüdischen Gemeinde wurden in Mainz beigesetzt.   
  
1914 wurden die in Kastel lebenden jüdischen Einwohner der Gemeinde in Mainz zugeteilt, die Gemeinde in Kastel wurde aufgelöst. Im April 1914 vermeldeten die jüdischen Presseorgane die Auflösung der jüdischen Gemeinde
:  

Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 3. April 1914: "Mainz. Die israelitische Gemeinde Kastel hat aufgehört zu existieren, sie ist mit der Mainzer verschmolzen worden. Die schöne Synagoge in der Frühlingsstraße wird schon seit längerer Zeit nicht mehr benutzt". 
 
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 17. April 1914: "Die israelitische Gemeinde Kastel hat aufgehört zu existieren, sie ist mit der Mainzer verschmolzen worden. Die schöne Synagoge in der Frühlingsstraße wird schon seit längerer Zeit nicht mehr benutzt"      

Trotz Auflösung der Gemeinde lebten einige jüdische Familien auch weiterhin in Kastel.  
  
Im Ersten Weltkrieg fiel aus der jüdischen Gemeinde Sally Dreyfuß (geb. 18.1.1892 in Kastel, vor 1914 in Mainz wohnhaft, gef. 13.8.1916).  
    
1941/42 wurden in der Eleonorenstraße für die am Ort bis dahin noch lebenden jüdischen Familien drei sogenannte "Judenhäuser" eingerichtet, in denen die jüdischen Einwohner in großer Enge zusammenleben mussten. Drei jüdische Familien (eines Weinhändler, eines Metallhändlers und eines Bankbeamten) wohnten bis zu ihrer Deportation in der Eleonorenstraße 16; in der Eleonorenstraße 19 wohnte eine Familie, in der Eleonorenstraße 36 zwei jüdische Familien, die am 27. September 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert wurden. Eine weitere Familie aus diesem Haus wurde am 30. September deportiert. 
   
   
   
Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde        
    
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer   
Zum 50jährigen Dienstjubiläum des Vorbeters und Lehrers Bernhard Kahn (1864)  

Castel MZ 18051864.jpg (78797 Byte)Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 18. Mai 1864: "Kastel bei Mainz, 7. Mai (1864). Heute beging der hiesige israelitische Vorbeter und Lehrer, Herr Bernhard Kahn, sein fünfzigjähriges Dienstjubiläum. Während seiner langjährigen tätigen Wirksamkeit hat sich der noch rüstige Greis, welcher in seiner Jugend bereits die französischen Feldzüge mitgemacht, sehr viel Verdienste um seine Glaubensangehörigen und als rechtlicher und gottesfürchtiger Mann die Hochachtung aller Bewohner Kastels erworben. Seitens einer Anzahl seiner Schüler und Schülerinnen und ihrer Eltern wurden dem verehrten Jubilar ein silberner Pokal und ein von ihnen unterzeichnetes Festgedicht zum Andenken seines Jubelfestes und als Dank für seine zahlreichen Verdienste überreicht. Sein ältester Schüler, bereits ein sechzigjähriger Greis, überreichte ihm außerdem ein photographisches Album, die Bilder aller seiner Familienangehörigen, sämtlich Schüler und Schülerinnen des Jubilars. Möge der Himmel ihm noch viele Lebensjahre verleihen!"

      
      
Aus dem jüdischen Gemeindeleben 
Antijüdische Einstellungen in der Gemeinde anlässlich der Wahl einer jüdischen Einwohners in den Stadtrat von Kastel (1847)

Kastel AZJ 01031847a.jpg (142812 Byte)Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 1. März 1847: "Mainz, 4. Februar (1847). Bei einer Ergänzungswahl des Stadtrats in Kastel, die im November vorigen Jahres statt hatte, wurde auch ein Israelit, Herr S. zum Gemeinderat gewählt. Nachdem man lange Zeit auf die Installierung der Neugewählten, 5 an der Zahl, gewartet, wurden dieselben vor einigen Tagen zum Einweihungsakt eingeladen. Während der hiermit beauftragte Bürgermeister die vier Christen einfach auf das Gelöbnis der Treue gegen den Großherzog, die Verfassung und die Gesetze beeidete, wurde von dem Israeliten gefordert, Treue dem Großherzog, der Verfassung und den Gesetzen und Verordnungen, und zwar den bestehenden, wie den noch zu erlassenden, zu geloben und außerdem den Judeneid zu leisten. Herr S. verweigerte, mit Berufung auf die bestehenden Gesetze, den Eid, protestierte gegen jedes Formular, das von dem gegen seine christlichen Kollegen beobachteten verschieden wäre, und erklärte, dass er bereit sei, auf die zehn Gebote zu schwören, sobald den christlichen Mitgliedern des Gemeinderats aufgegeben würde, auf das Evangelium den Eid zu leisten. Er drückte seine Verwunderung darüber aus, dass noch vor einigen Tagen bei seiner Installierung als Vorsteher der israelitischen Gemeinde das einfache Gelöbnis hingereicht habe, während man ihm jetzt solche Zumutungen stelle. Schließlich verlangte er noch Abschrift der betreffenden kreisrätlichen Reskripts und des ihm vorgelegten Installationsformulars. Den Tag darauf wurde Herr S. auf das Gemeindehaus beschieden und seine Weigerung, den vorgeschriebenen Eid zu leisten, zu Protokoll genommen, wobei er die Gründe dieser Weigerung in das gehörige Licht stellte."

   
Das Bankett aus Anlass des Stiftungsfestes des Israelitischen Männervereins wird zugunsten einer Spende für russische Juden abgesagt (1891) 
  

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 17. Juni 1891: "Kastel, 7. Juni (1891). Wie alljährlich, so sollte auch in diesem Jahr das Stiftungsfest des israelitischen Männervereins am heutigen Rosch Chodesch (sc. der 7. Juni war der 1. Siwan 5651, Rosch Chodesch meint Monatsanfang) durch ein Bankett begangen werden. Auf Vorschlag des Herrn Baruch Cahn indes, sah man in diesem Jahr im Hinblick auf das Unglück unserer Brüder in Russland von einem solchen Essen ab und spendete den dafür bestimmten Betrag den genannten Unglücklichen. Ich glaube, dass ein solches Vorgehen auch anderwärts Nachahnung finden dürfte (Von der Gemeinde Weisenau bei Mainz wird uns Gleiches berichtet. Red.)."  

    
Rumänisch-jüdische Auswanderer kommen durch Kastel (1900) 

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 5. Juli 1900: "Mainz, 4. Juli (1900). Heute früh kamen in Kastel wieder 114 jüdische Auswanderer aus Rumänien hier an. Dieselben wurden von Mitgliedern des hiesigen Vereins zur Beschränkung des Wanderbettels in Empfang genommen, verköstigt, mit Wegzehrung versehen und auf die Schiffe nach Rotterdam verbracht. Heute Abend 6 Uhr trafen dieselben, wie uns ein Telegramm meldet, bereits in Köln ein, wo sie nach abermaliger Bewirtung um 9 Uhr nach Rotterdam weiter fuhren."

    
    
Berichte zu einzelnen Personen aus der Gemeinde  
Rückkehr der beiden Soldaten Max und Karl Neumann (1866)   

Kastel Israelit 10101866.jpg (36281 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 10. Oktober 1866: "Kastel bei  Mainz. Die zwei Brüder Max Neumann und Karl Neumann (Israeliten) von hier, Großherzoglich Hessische Soldaten, haben, indem dieselben glücklich von dem Schlachtfeld wieder nach Hause gekommen sind, den verflossenen Schabbat Paraschat Haazinu (das war Schabbat, 22. September 1866) den Brechat HaGomel gebenscht, beim Aufrufen zu der Tora". 

     
Zum Tod von Moritz Schott, der bis 1871 in Kastel lebte (1887)   

Castel MZ Israelit 24021887.jpg (96552 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 24. Februar 1887: "Eine große Menschenmenge geleitete am 21. Schewat die sterblichen Reste des Herrn Moritz Schott zu Grabe, um so demselben die letzte Ehre zu erweisen. Keiner, wie er, verdiente auch eine solche Teilnahme, hieß es einstimmig. Bei seinem Leben waren Rechtschaffenheit, Wahrheitsliebe und Wohl tun die Ziele seines Strebens und Handelns. Im Jahre 1871 von Kastel bei Mainz nach Hagenau verzogen, gründete er an diesem Platze ein Hopfen und Tabaksgeschäft, das bald eins der bedeutendsten wurde. Bereitwilligst gab er lohnende Arbeit dem als treu und fleißig Befundenen und freute sich, wenn brave Unbemittelte in seinem Unternehmen auch ihren Erwerb fanden. Auf diese Art ward manche arme, aber redliche Familie der Stadt und Umgebung durch den Herrn Schott – er ruhe in Frieden – vom Untergang gerettet. Wir können daher mit Recht sagen: ‚deine Gerechtigkeit wird vor dir herziehen und die Herrlichkeit des Herrn wird hinter dir gehen" (Jesaja 58,8). Der Vater der Waisen, der Richter der Witwen wolle Trost und Beruhigung gießen in die Herzen der tief trauernden Gattin und Kinder, denen er ein treuer Gatte und Vater gewesen war. Seine Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens. Amen. Sela".

   
Ein christlicher Metzgermeister aus Kastel steht vor Gericht und wird von Antisemiten versehentlich als "jüdische Person" denunziert (1897)  

Kastel ImdtReich 051897 267-268.JPG (116168 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Im Deutschen Reich" vom Mai 1897 S. 267-268: "Mainz, 4. Mai 1897: Vor der Strafkammer des hiesigen Landgerichts stand kürzlich der Metzgermeister Jakob Hessenthaler aus Kastel wegen Vergehens gegen das Nahrungsmittelgesetz. Der Fleischwurst hatte er Kartoffelmehl als 'Bindemittel' zugesetzt und zur Fabrikation von Leberwust die Lunge einer tuberkulösen Kuh verwendet. Das Urteil lautete auf 150 Mark Geldbuße und Urteilspublikation. Da antisemitische Blätter den Vornamen 'Jakob' dazu benutzten, um Hessenthaler zum 'Juden' zu machen, insbesondere der Deutsche General-Anzeiger /Nr. 51 vom 30. Januar), über die Verurteilung unter der Überschrift 'Höre Israel' berichtete, so sei hiermit konstatiert, das Jakob Hessenthaler in Obersontheim in Württemberg als Sohn evangelischer Eltern geboren ist. - Unter derselben Rubrik 'Höre Israel' wurde in Nr. 53 desselben Blattes berichtet, der Kommis Gg. Paul August Mayer aus Fulda habe hier in Mainz, sowie in Darmstadt und Worms namhafte Betrügereien verübt und sei deshalb zu 8 1/2 Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Der betreffende Kommis hieß aber Georg Paul August Mager und war Katholik; um die Rubrik 'Höre Israel' nicht gar zu mager erscheinen zu lassen, hatte die Redaktion des 'General-Anzeiger' den Namen 'Mager' in den etwas jüdischer klingenden 'Mayer' umgewandelt."

  
  
Anzeigen       
Anzeige der Firma Carl Schliessmann in Kastel (1894)     

Kastel Israelit 20081894.jpg (259865 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20. August 1894.  
Die in Kastel seit 1869 bestehende Firma von Carl Schliessmann warb in ihrer Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" als "Specialität" auch für "Zusammenlegbare Laubhütten - Sukkot, genau nach ritueller Vorschrift, in allen Größen und Preisen".                

   

Kennkarten aus der NS-Zeit            
               
Am 23. Juli 1938 wurde durch den Reichsminister des Innern für bestimmte Gruppen von Staatsangehörigen des Deutschen Reiches die Kennkartenpflicht eingeführt. Die Kennkarten jüdischer Personen waren mit einem großen Buchstaben "J" gekennzeichnet. Wer als "jüdisch" galt, hatte das Reichsgesetzblatt vom 14. November 1935 ("Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz") bestimmt. 
Hinweis: für die nachfolgenden Kennkarten ist die Quelle: Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland: Bestände: Personenstandsregister: Archivaliensammlung Frankfurt: Abteilung IV: Kennkarten, Mainz 1939" http://www.uni-heidelberg.de/institute/sonst/aj/STANDREG/FFM1/117-152.htm. Anfragen bitte gegebenenfalls an zentralarchiv@uni-hd.de       
 
 Kennkarten zu Personen, 
die in Kastel geboren sind
 
 Kastel KK MZ Cahn Leo.jpg (85652 Byte)  Kastel KK MZ Feist Ludwig.jpg (98921 Byte)  Kastel KK MZ Kahn Moritz.jpg (91091 Byte)
  KK (Mainz 1939) für Leo Cahn (geb. 
7. Februar 1873 in Kastel), Weinhändler 
      
KK (Mainz 1939) für Ludwig Feist (geb. 
30. Juni 1864 in Kastel), Händler / Kommissionär, 
gest. 3. April 1942 in der Heil- und Pflegeanstalt Sayn  
KK (Mainz 1939) für Moritz Kahn 
(geb. 18. September 1877 in Kastel),
 Kaufmann      

    
    
    
Zur Geschichte der Synagoge        
    
Bis Anfang des 19. Jahrhunderts wurden die Gottesdienstes in Betstuben von Privathäusern abgehalten. 
    
1833-1834
wurde eine Synagoge mit Gemeindehaus in der Frühlingsstraße gebaut. Damaliger Vorsteher war Michael Seemann. Die Einweihung am 24. Januar 1834 erfolgte durch Rabbiner Leo Ellinger aus Mainz. Die Synagoge in Kastel enthielt wertvolle Ritualien, u.a. eine silberne Hand (Jad), gestiftet von Maier Lasi Levi aus Kostheim (1740), vier Torarollen aus den Jahren 1786 (gestiftet von Sender), 1798 (von der Gemeinde), 1809 (gestiftet von Mentli und Michael Seemann) und 1815 (gestiftet von Heium und Israel Siessel). 
  
Nach 1900
wurden in der Synagoge kaum noch Gottesdienste abgehalten, da es immer schwieriger geworden war, die notwendige Zehnzahl der jüdischen Männer zu erhalten. 1908 wird berichtet, dass die Synagoge nur noch an den Feiertagen geöffnet sei.  

Kastel FrfIsrFambl 15041908.jpg (58685 Byte)Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 15. April 1908: "Mainz. Die hübsche altertümliche Synagoge in Kastel, die prächtig geschriebene antike Torarollen und wertvolle silberne und goldene Kultusgeräte enthält, wird nur zu den Feiertagen geöffnet, da an anderen Tagen keine Minjan zu erreichen ist. Mit der Eingemeindung Kastels in Mainz entsteht nun die Frage, ob die jüdische Gemeinde Mainz verpflichtet ist, die Kultusgemeinde Kastel aufzunehmen und dort einen ständigen Filialgottesdienst einzurichten. Das Kreisamt ist um Klärung der Verhältnisse ersucht worden." 
      
Kastel Israelit 30041908.jpg (134406 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 30. April 1908: "Mainz, 10. April 1908: Mit der Eingemeindung der Stadt Kastel in Mainz ist auch die Frage aktuell geworden, was mit der Kasteler Israelitischen Gemeinde geschehen wird. Dereinst eine große blühende Gemeinde, ist sie heute auf zehn Mitglieder zusammengeschmolzen, von denen die meisten auch erst vor nicht allzu langer Zeit von Biebrich herübergezogen sind. Die hübsche altertümliche Synagoge ist fast das ganze Jahr geschlossen, da die erforderliche Minjanzahl fast nie erreicht wird. Nur an den hohen Feiertagen öffnen sich die Pforten des Gotteshauses, da man sich dann von Mainz Vorbeter, Prediger und noch andere Kultusbeamte kommen lässt. Mit der Eingemeindung Kastels in Mainz entsteht nun die Frage, ob die jüdische Gemeinde Mainz verpflichtet ist, die Kultusgemeinde Kastel aufzunehmen, dort einen ständigen Filialgottesdienst einzurichten, einen Schächter zu bestellen, die Religionsschule zu überwachsen usw. Die jüdischen Toten Kastels werden schon von jeher auf dem Mainzer jüdischen Friedhofe beerdigt. Die Gemeinde ist im Besitze prächtig geschriebener Torarollen und wertvoller silberner und goldener Kultusgeräte. Ihr letzter Kultusbeamter starb bereits in den siebziger Jahren, es war Vorbeter Cahen aus Metz, ein napoleonischer Veteran, der im Besitze der St.-Helena-Medaille war. Der Vorstand der jüdischen Gemeinde hat beim Kreisamte um Klärung der Verhältnisse nachgesucht."

Bereits zur Zeit der Auflösung der jüdischen Gemeinde 1914 besuchten die jüdischen Familie Kastels die Synagoge in Mainz. Doch wird das jüdische Gotteshaus in Kastel damals noch explizit als "schöne" beziehungsweise als "hübsche altertümliche Synagoge" bezeichnet. Nach Räumung der nicht mehr benutzten Synagoge kamen wertvolle Ritualien - zumindest teilweise - in ein damals im Aufbau befindliches "Museum für jüdische Altertümer" in Main:    
  
Das Inventar der Synagoge Kastel kommt teilweise in das projektierte jüdische Museum in Mainz (1915) 

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. Januar 1915: "Ein Museum für jüdische Altertümer in Mainz. Die ersten bescheidenen Anfänge zur Begründung eines Museums hat die Mainzer Israelitische Gemeinde gemacht, indem sie einen ihr von einem auswärtigen Gönner zur Verfügung gestellten Prunkschrank dazu verwendet hat, um in ihm einen Teil der ihr gehörigen jüdischen Altertümer zu einer kleinen Ausstellung zu vereinigen. Der Schrank ist recht vorteilhaft im großen Sitzungssaale des Gemeindehauses an der Hauptsynagoge (Bonifaziusstraße) untergebracht. Neben kostbaren silbernen und goldenen antiken Kultusgeraten sieht man hier die altertümlichen gewaltigen Schlüssel von Mainzer Synagogen früherer Zeiten, uralte Verträge der Israelitischen Gemeinde mit der kurfürstlichen, der französischen und der hessischen Regierung, hebräische Pergamentrollen, alte Siegel des Rabbinates usw. Das Prachtstück der ganzen Sammlung ist aber unstreitig eine alte 'Pessach-Hagadah', ein Buch in Folioformat, das Gebete, Gesänge und Erzählungen für die beiden Osterabende enthält. Die Hagadah stammt von dem Großvater des früheren Kolonialdirektors Bernhard Dernburg, David Dernburg, aus der Zeit, da dieser erster Vorsitzender der Mainzer Israelitischen Gemeinde gewesen ist. Sie wurde vor einigen Jahren von der Gemeinde erworben. Das Buch, auf Pergament geschrieben, ist mit einer großen Zahl der herrlichsten Bilder im Stile altholländischer Meister geschmückt, in ihnen wird der Auszug der Kinder Israel aus Ägypten, ihr Durchzug durch das rote Meer, die zehn Plagen usw. in der naiven Weise des 16. Jahrhunderts dargestellt. Das kostbare Werk trägt auf der Innenseite des Deckels verschiedene Eintragungen der Familie Dernburg. Die Israelitische Gemeinde besitzt auch eine Reihe goldgestockter und seidengewebter Toravorhänge von hohem Werte, die aus dem frühen Mittelalter stammen, ein Teil davon gehörte der früheren Gemeinde Kastel. Mainz ist noch reich an jüdischen, geschichtlich wertvollen Altertümern. Die kleine Sammlung kann sich daher mit der Zeit zu einer recht stattlichen, ähnlich der Wormser, auswachsen." 

Das Synagogengebäude wurde 1922 verkauft.    
     
An Stelle des nicht mehr bestehenden Gebäudes steht heute ein Mehrfamilienhaus. 
     
     
Adresse/Standort der SynagogeFrühlingsstraße 11 
     
     
Fotos / Darstellungen  

Skizze der Synagoge  
(Quelle: "Allgemeine Zeitung" vom 
8.4.2010, siehe Artikel unten)
  Kastel Synagoge 710.jpg (48350 Byte)
   Die ehemalige Synagoge in der Frühlingstrasse  
         
Das Synagogengrundstück Kastel Synagoge 240.jpg (14995 Byte)
  Die ehemalige Synagoge stand an Stelle des Mehrfamilienhauses in der Mitte des Fotos 
     

   
   
Erinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte  
(Hinweis: eine Verlinkung zu den Presseartikeln ist nicht mehr möglich, da die Artikel nicht mehr frei zugänglich sind; so kann jeweils nur der Anfang der Artikel zitiert werden)  

Mai 2009: In Kastel sollen "Stolpersteine" gelegt werden   
Artikel im "Main-Rheiner"/"Wiesbadener Kurier" vom 6. Mai 2009: "Ortsbeirat zahlt einige Stolpersteine für Kastel - 
GEDENKPROJEKT Auch Schüler wollen sich an der Aktion beteiligen / Skepsis bei SPD und FDP.  

KASTEL (zel). Fünf Stolpersteine will der Ortsbeirat bezahlen, um das Gedenken an Bürger wachzuhalten, die nach 1933 von den Nazis in die Emigration getrieben oder in Konzentrationslagern ermordet wurden. "Was andere Ortsbeiräte können, das können wir in Kastel auch", sagte Ortsvorsteherin Margot Schäfer (SPD). Anlass für ihre Anmerkung war die skeptische Haltung der CDU zu dem Projekt. Jeder solle selbst aus der Geschichte lernen. Wenn ein Ortsbeirat an ihre Stelle trete und Stolpersteine bezahle, dann nehme er einzelnen Menschen die Möglichkeit, sich mit dem Thema zu befassen, sagte André Weck (CDU). Er habe kein gutes Gefühl, wenn Institutionen wie der Ortsbeirat die Stolpersteine bezahlten, fügte CDU-Fraktionschef Bernd Kaltenbach an..."   
   
August 2009: Die Verlegung der "Stolpersteine" ist für Oktober 2009 geplant    
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung" vom 7. August 2009: "'Stolperstein-Orte' markiert. 
KASTEL/KOSTHEIM
(zel). Klare Konturen hat das Projekt "Stolpersteine" bekommen, mit dem im öffentlichen Raum an Einwohner erinnert werden soll, die in der Nazi-Zeit ermordet, verfolgt oder in die Emigration getrieben wurden. In Zusammenarbeit mit dem aktiven Museum Spiegelgasse hat die vom Ortsbeirat eingesetzte Arbeitsgruppe die Stellen mit orangenen Tupfen markiert, an denen die von dem Künstler Gunter Demnig entworfenen "Stolpersteine" eingelassen werden sollen..."    
    
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung" vom 8. August 2009: "Kleine Mahnmale.  
KASTEL.   STOLPERSTEINE Gedenken an Opfer des Nationalsozialismus
 
Mit dem Verlegen von "Stolpersteinen" will ein vom Ortsbeirat eingesetzter Arbeitskreis an die während der Nazi-Zeit Ermordeten, Verfolgten und Emigrierten erinnern. Auf diese Weise gingen auch die Pläne des Fördervereins für eine Gedenkstätte in Erfüllung, sagte der Sprecher des Arbeitskreises, Hartmut Bohrer, bei der Vorstellung der für den 12. Oktober vorgesehenen Aktion. Jeder "Stolperstein" sei eine Gedenkstätte für sich. Gründe, sich die Ereignisse von 1933 bis 1945 in Erinnerung zu rufen, gebe es genug..."   
   
August 2009: Verlegung von "Stolpersteinen" im Oktober 2009 in Kostheim   
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung" vom 15. August 2009:  "Stolpersteine an acht Stellen 
KOSTHEIM
. (zel). Veröffentlicht hat der Arbeitskreis "Stolpersteine" die Liste der Standorte, an denen die kleinen Mahnmale zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus am 12. Oktober eingelassen werden sollen. Ein "Stolperstein" komme vor das Haus Eleonorenstraße 18, in dem der Chemiefabrikant Dr. Julius Thilo in Miete lebte, ein jüdischer Bürger, der im Februar 1942 inhaftiert und in Auschwitz umgebracht wurde. Sechs "Stolpersteine" sollen vor dem Nachbarhaus Eleonorenstraße 16 verlegt werden, das Dr. Thilo vermietet hatte..."   
     
September 2009: Erinnerungen an den Chemiefabrikanten Dr. Julius Thilo 
Artikel von Wolfgang Wenzel in der "Allgemeinen Zeitung" vom 2. September 2009:    "Befremdet über "Stolpersteine"
KASTEL. ELEONORENSTRASSE Ein Hauseigentümer hält die geplante Aktion für nicht gerade gut gelungen.
 
Vorbehalte gegen die geplante Stolperstein-Aktion zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus haben Anwohner der Eleonorenstraße geäußert. Im Haus 16, in dem der jüdische Fabrikant Dr. Julius Thilo und später bis in die 90er Jahre Angehörige seiner Familie lebten, überwiegt die Skepsis. "Die Leute werden hier stehen bleiben, das ist nicht gerade angenehm. Doch es geht nicht um mich, sondern um Frau Thilo. Ich denke, das bin ich ihr schuldig", sagt Miteigentümer W., der seinen Namen nicht gerne in der Zeitung lesen will. Dort in der Eleonorenstraße sind im Trottoir schon die Stellen mit Leuchtfarbe markiert, an denen der Künstler Gunter Demnig zusammen mit einem vom Ortsbeirat gegründeten Arbeitskreis am 12. Oktober sechs "Stolpersteine" einlassen will..."   
   
Oktober 2009: Die "Stolpersteine" wurden verlegt   
Artikel von Wolfgang Wenzel in der "Allgemeinen Zeitung" vom 13. Oktober 2009: "Mahnmale gegen das Vergessen.  
KASTEL. STOLPERSTEINE Verlegungsaktion findet in Kastel großen Rückhalt bei vielen Menschen.
 
Sieben Stolpersteine hat der Künstler Gunter Demnig gestern in einer Aktion an verschiedenen Stationen in Kastel in die Trottoirs vor Häusern gesetzt, in denen Opfer der Nazi-Herrschaft lebten. Die Menschen bekommen auf den mit Namen, Geburtstag und Todesdatum versehenen Messingplatten posthum ein Stück Identität zurück. Und zwar in der Absicht, die Opfer nach über 60 Jahren dem Vergessen zu entreißen, wie der Stadtverordnete Hartmut Bohrer sagte, als der erste Stolperstein für den jüdischen Bürger und Fabrikanten Dr. Julius Thilo in der Eleonorenstraße ins Pflaster eingelassen wurde..."    
  
Januar 2010: Die Aufzeichnungen von Kantor Bernhard Cahn werden übertragen    
Artikel von Wolfgang Wenzel in der "Allgemeinen Zeitung" vom 12. Januar 2010: "Tagebücher von Kantor Cahn
KASTEL. JÜDISCHE GEMEINDE Historiker übertragen Aufzeichnungen aus dem Kastel des 19. Jahrhunderts ins Lesbare. 

Einen Schatz aus der Zeit, in der Kastel noch eine jüdische Gemeinde hatte, hebt das Institut für geschichtliche Landeskunde an der Mainzer Universität. In einem von der Historikerin Dr. Hedwig Brüchert geleiteten Projekt werden die Tagebücher des Kantors Bernhard Cahn ins Lesbare übertragen, die Aufzeichnungen eines Mannes, der mit wachen Augen durch das Leben gegangen war..."  
  
April 2010Skizze der Synagoge wieder aufgetaucht  (Skizze siehe oben)  
Artikel von Wolfgang Wenzel in der "Allgemeinen Zeitung" vom 8. April 2010): "Synagoge erhält ein Gesicht. KASTEL. 
SAKRALBAU Skizze zeigt Ansicht des Zentrums der früheren jüdischen Gemeinde von Kastel und Kostheim. 

Wieder aufgetaucht ist eine verschollen geglaubte Skizze von der Synagoge der früheren jüdischen Gemeinde von Kastel und Kostheims. Bisher kannten nur wenige die Existenz eines Sakralbaus in der Frühlingsstraße 11, der im 19. und 20. Jahrhundert rund 80 Jahre lang als Ort der geistlichen und geistigen Wegbegleitung diente. Die Zeichnung zeigt einen stattlichen, mit einer hoch aufragenden Fassade versehenen Bau, der von einem Davidstern gekrönt wurde...."   
 
August 2010: Die weitere Verlegung von "Stolpersteinen" ist geplant    
Artikel im "Wiesbadener Tageblatt" vom 19. August 2010: "Weitere 'Stolpersteine'. 
KASTEL
(zel). Fortsetzen will ein vom Ortsbeirat eingesetzter Arbeitskreis die Verlegung von 'Stolpersteinen', mit denen an ermordete Menschen und Widerständler aus der Zeit des Nationalsozialismus erinnert werden soll. Vorgesehen sei, bei einer Aktion vor dem Haus Eleonorenstraße 16 weitere kleine Mahnmale in den Bürgersteig einzulassen, sagte der Stadtverordnete Hartmut Bohrer (Linke Liste). Und zwar zusammen mit Nachfahren von damals in der Eleonorenstraße lebenden jüdischen Familien, die zur Verlegung nach Kastel kämen..."   
    
September 2010: Weitere Informationen zur nächsten "Stolpersteine"-Verlegung am 20. September 2010     
Artikel von Wolfgang Wenzel im "Wiesbadener Tageblatt" vom 4. September 2010: "Kleine Denkmäler für Nazi-Opfer . 
KASTEL. STOLPERSTEINE Weitere Verlegungsaktionen in der Kasteler Eleonorenstraße und vor der Amöneburger Kirche. 

Weitere Stolpersteine wollen das Aktive Museum Spiegelgasse sowie eine Arbeitsgruppe des Ortsbeirats an ausgewählten Stellen ins Trottoir einlassen. Sie sollen auf Schritt und Tritt an die Menschen erinnern, die von den Nazis umgebracht wurden, weil sie Juden waren oder Widerstand leisteten. Der nächste Termin ist am 20. September in der Eleonorenstraße 16..."  
     
Januar 2011: Auf dem neuen Denkmal am Michelsberg wird auch an Kasteler Juden erinnert 
Artikel von Wolfgang Wenzel in der "Allgemeinen Zeitung" vom 1. Februar 2011: "In Gedenken an Kasteler Juden
KASTEL.
MAHNMAL. Am Michelsberg erhalten die von Nazis Ermordeten am Beispiel von Dr. Julius Thilo wieder ihre Namen. 
Aufgeführt in der neuen Gedenkstätte am Michelsberg für die in der Nazi-Zeit ermordeten jüdischen Bürger aus dem Stadtgebiet sind auch Einwohner, die bis zu ihrer Verschleppung in Kastel lebten. Wer die Namen lesen will, muss zu ihnen aufblicken. Zu dem von Dr. Julius Thilo aus der Eleonorenstraße, dem Fabrikanten, dessen 'Augentropfen Thilo' noch heute in der Apotheke zu haben sind. Zu Itta und Abraham Laub, zu Marie und Moritz Oppenheim sowie Selma und Heinrich Wolff, ebenfalls aus Kastel..." 
    
März 2017: Schüler beschäftigen sich mit der Geschichte einer jüdischen Familie    
Artikel von Lisa Bolz im "Wiesbadener Kurier" vom 17. März 2017: "'Krass, wie viel passiert ist'
KASTEL -
Vor dem großen hellgrünen Haus in der Eleonorenstraße 16 sind sieben glänzende Steine in den Gehweg eingelassen. 'Hier wohnte Heinrich Wolff. Jahrgang 1878. Deportiert 1942. Piaski. Ermordet.' ist auf einem dieser Stolpersteine zu lesen. Sie wurden vor acht Jahren in den gepflasterten Weg eingelassen und sollen an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern. Heute sind die kleinen Gedenktafeln matt und verdreckt. Deshalb erhalten sie jetzt von den Schülern der Wilhelm-Leuschner-Schule eine Politur.
Erst polieren, dann meditieren. Die Eleonorenstraße ist die letzte Station, bevor die Schüler nach Mainz in die Stephanskirche fahren, um die berühmten Fenster von Marc Chagall zu besichtigen und über die Versöhnung zu meditieren. Über jede Person, deren Name auf einem der Stolpersteine steht, halten die Schüler ein kurzes Referat. Dazu gehören nicht nur Menschen jüdischen Glaubens, sondern auch Sozialdemokraten, Kommunisten und ein katholischer Pfarrer. Auf den bunten Plakaten stehen die historischen Daten zur Person und einige Bilder – wenn es denn welche gibt. So wohnte zum Beispiel das Ehepaar Selma und Heinrich Wolff für wenige Wochen bis zur Deportation 1942 in der Eleonorenstraße. Der angesehene Weinkommissionär Heinrich Wolff starb vermutlich noch auf dem Transport im polnischen Piaski bei Lublin. Die Umstände von Selma Wolffs Tod sind bis heute unbekannt, genauso der Verbleib des Vermögens der Familie. Die Söhne Heinrich und Herbert lebten zu diesem Zeitpunkt schon einige Jahre bei einer Tante in New York. Die Enkelkinder haben ihre Großeltern nie kennengelernt. Nach dem Krieg gab es für die Angehörigen zur 'Wiedergutmachung' fünf Mark für jeden Tag, an dem die Eltern eingesperrt waren. Das Schicksal der Familie Wolff in der Zeit der nationalsozialistischen Verfolgung ist nur eines von vielen. 'Es ist krass, wie viel in dieser kurzen Zeit passiert ist', sagt Meryem, die sich für ihr Referat zusammen mit einer Klassenkameradin mit der Geschichte der Wolffs auseinandergesetzt hat. Daniel wollte mehr über die Geschichte der Juden lernen und Patrick ist einfach froh, 'dass es heute nicht mehr so ist wie früher'. Die drei 15-Jährigen sind aus der Jahrgangsstufe neun der Wilhelm-Leuschner-Schule in Kostheim. Dort findet gerade das Projekt 'Orte des gelebten Glaubens und der Mitmenschlichkeit' des Fachbereichs Ethik und Religion statt. Und während diese Schülergruppe die Kasteler Stolpersteine poliert, ist eine der anderen Gruppen in der Opel-Arena von Mainz 05 und beschäftigt sich mit dem Thema Fußball und Moral. Zum Abschluss schreiben die Schüler eine Hausarbeit über ihr Referatsthema. Unterstützt werden sie dabei auch von Karl-Heinz Reisner. Der ehemalige Religionslehrer der Leuschnerschule ist Mitglied im Verein 'Aktives Museum Spiegelgasse', dem Ort zur Dokumentation des deutsch-jüdischen Erbes in Wiesbaden. 'Es ist gut, dass die Schüler die Steine polieren, dann fallen sie wieder mehr auf', sagt Reisner. Für die Recherchearbeiten der Schüler hat der Verein die Texte aus der Gedenkschrift über die Stolpersteine zur Verfügung gestellt. 'Das Projekt bringt Schüler zusammen, die sonst getrennte Wege im Religionsunterricht gehen', sagt Christine Rosenberger, Fachbereichsleiterin Ethik und Religion an der Leuschnerschule. Die interreligiösen und weltanschaulich neutral angelegten Projektwochen seien im Religionsunterricht der Leuschnerschule seit Langem die Regel. 'Die Schüler, die in den gemischten Gruppen zusammenarbeiten, gewinnen ein erweitertes Verständnis voneinander', so die Fachbereichsleiterin..." 
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November 2017: Schwierigkeiten im Blick auf eine mögliche Verlegung von "Stolpersteinen" in Kostheim 
Artikel von Wolfgang Wenzel im "Wiesbadener Kurier" vom 9. November 2017: "Stolpersteine: Was in Kastel möglich war, wird sich in Kostheim nicht mehr so einfach umsetzen lassen
KOSTHEIM/KASTEL.
Der 9. November, ein Tag zum Innehalten, 1938 zündeten die Nazis an diesem Datum die Synagogen an, später ermordeten sie die Juden und brachten Regimegegner, Kirchenleute und Angehörige von Minderheiten um. In Kastel erinnern Stolpersteine an Opfer und Widerstand, in Kostheim gibt es nichts dergleichen. Nicht, dass das Interesse erlahmt wäre, wie Ortsbeiratsmitglied Marion Mück-Raab sagt. Sondern wegen Differenzen zwischen dem Aktiven Museum Spiegelgasse in Wiesbaden und dem Künstler Gunter Demnig, der die Stolpersteine entwirft. Dabei geht es um den Gebrauch von Begriffen aus der Nazisprache auf den kleinen Mahnmalen. Um Worte wie Schutzhaft und Gewaltverbrecher, die nicht leicht zu vermitteln sind: 'Wir möchten nicht, dass Nazi-Begriffe im Stadtbild verewigt werden', sagt Inge Naumann-Götting von dem Museumsverein, der die Stolpersteinverlegungen im Stadtgebiet koordinierte.
Über 600 Mahnmale im Stadtgebiet. Über 600 der Mahnmale sind im Stadtgebiet zu finden, vor den Wohnungen der Menschen, die umgebracht wurden. Der Verein habe das Projekt auf Eis gelegt, um mit dem Künstler Demnig und seiner Stiftung eine Verständigung zu erreichen. Er lege eine Pause ein, sagt Naumann-Götting. Ob der Konflikt aufgelöst werden könne, wisse man nicht. Dem Verein wäre es am liebsten, die Differenzen aus der Öffentlichkeit herauszuhalten, um nicht Öl ins Feuer einer aufgeheizten Stimmung zu gießen. Das Aktive Museum Spiegelgasse würde das Stolperstein-Projekt gerne weiterführen. Künstler Demnig schreibt auf seiner Webseite, dass die deutliche Sprache auf den Stolpersteinen die Zeitgeschichte dokumentieren solle. Die Menschen sollen über die Fakten stolpern, beschreibt Hartmut Bohrer vom Förderkreis Gedenkstätte AKK, der den Aktionen in Kastel zuarbeitete, die Intention des Künstlers.
'Deportiert 1942 Auschwitz, ermordet 3.12.1942' steht auf dem Stolperstein, der an den ermordeten Fabrikanten Julius Thilo in der Kasteler Eleonorenstraße erinnert. Auch in Kostheim gibt es mehrere Stellen, an denen die kleinen Mahnmale ihren Platz finden könnten. Es wäre hilfreich, den Konflikt zwischen dem Museumsverein und dem Künstler aufzulösen, sagt der Historiker Hartmut Bohrer, der sich im Förderkreis Gedenkstätte engagiert und zahlreiche Recherchen angestellt hat. Ein Stolperstein solle dem Kostheimer Mädchen Maria Theresia Lehmann gewidmet werden, am Mainzer Weg, dort, wo die Familie mit sechs Kindern wohnte. Die Angehörige einer Musikerfamilie wurde Opfer des Rassenwahns und überlebte das Konzentrationslager Auschwitz. Auch politisch Verfolgte wie Karl Maul und Jakob Gremm, der Flugblätter verteilte und im Strafbataillon 999 umkam, müssten in Kostheim erwähnt werden.
Archive müssen durchforscht werden. Über die Gedenkplatten aus Messing, die in die Bürgersteige eingelassen werden, gibt es unterschiedliche Ansichten. Oft seien skeptische Stimmen zu hören. Man dürfe auf den Opfern nicht noch ein zweites Mal herumtreten. Andere finden es positiv, dass man nach stehenbleibe, lese und dann unwillkürlich anfange, zu denken, sagt Ortsbeiratsmitglied Marion Mück-Raab. In Kostheim sei es nicht vorangegangen, weil Kräfte nötig wären, die Zeit für Recherchen hätten. Im Konzept des Aktiven Museums Spiegelgasse sei das Verlegen von Stolpersteinen nur der eine Teil. Der andere bestehe darin, das Mahnmal mit biografischen Daten zu unterlegen. Archive müssten durchforscht, Nachkommen gefragt werden. Der Anspruch lautet, die wenigen Worte auf den Stolpersteinen mit verlässlichen Informationen zu unterlegen. Im Aktiven Museum Spiegelgasse gebe es eine Sammlung von Erinnerungsblättern, die Aufschluss über das Leben derer geben, denen die Stolpersteine gewidmet sind. Versuche, die Spuren aufzunehmen, seien nicht einfach und oft von Zufällen bestimmt, sagt Hartmut Bohrer vom Förderkreis Gedenkstätte. Bei den Stolpersteinen in der Eleonorenstraße hätten sich die Historiker auf die Mitarbeit des Enkels des im Konzentrationslager ermordeten Ehepaars Wolf stützen können. In Kostheim habe eine Zeitungsnotiz zu den Nachfahren nach Hochheim geführt..." 
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Juni 2019: Kunstaktion von Schülern zu den "Stolpersteinen"   
Artikel von Wolfgang Wenzel in der "Allgemeinen Zeitung" vom 9. Juni 2019: "Kunstaktion der Kasteler Leuschnerschule mit Stolpersteinen
Neuntklässler der Gesamtschule haben an die Schicksale von Kasteler Bürgern erinnert, die von den Nazis ermordet wurden. Die Illustrationen werden noch einige Wochen zu sehen sein.
KASTEL -
Mit einer Kunstaktion haben Leuschnerschüler zusätzliche Informationen zu den Stolpersteinen in der Eleonorenstraße gegeben. 'Wir wollten den Opfern ein Gesicht geben', sagte die Kunstlehrerin Stefanie Duch. Am Freitag machte sie sich mit Neuntklässlern auf den Weg an die Stätten in Kastel, an denen jüdische Bürger wohnten, die 1942 von den Nazis deportiert und in Konzentrationslagern ermordet wurden. Mithilfe von Schablonen und Kreidespray zeichneten sie auf dem Trottoir neben den kleinen Mahnmalen die Antlitze der Ehepaare Oppenheim und Wolf nach. Die Illustrationen werden noch einige Wochen zu sehen sein, bevor sie im Regen verschwimmen.
Die Ansichten fußen auf originalen Passbildern und Fotografien, die im Internet zu finden sind und im Kunstunterricht die Vorlagen für die Schablonen lieferten. Die Jahrgangsstufe neun befasst sich in einem mehrwöchigen Unterrichtsprojekt mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust. Die einzige Ansicht, die auch das Internet nicht preisgab, war die des Industriellen Dr. Julius Thilo, der ebenfalls in der Eleonorenstraße wohnte und in Mainz eine pharmazeutische Fabrik betrieb, die 'Dr. Thilos Augentropfen' herstellte. Anwohnern entging die Kunstaktion nicht. Sie empfanden es als eine respektable Leistung, dass sich jemand um die Geschichten kümmert, die sie selbst aus der Zeitung oder aus anderen Veröffentlichungen kennen. Manche von ihnen dokumentierten die Stellen mit den Kreidebildern. Beim Anfertigen kam es unter den Schülern zu bewegenden Szenen. Auch dem Journalisten und Kommunisten Friedel Janeczek, der im Konzentrationslager inhaftiert war, gaben sie an dessen Stolperstein in der Nähe der Rathausstraße ein Gesicht. Einem Schüler, der sich dieses Motiv ausgesucht hatte, sei das Erleben so nahegegangen, dass er die Aufgabe an Mitschüler abgab, berichtete die Kunstlehrerin. Die Leuschnerschule hatte sich schon in den Vorjahren um die Stolpersteine in Kastel gekümmert und die kleinen Denkmale aus Messing blank poliert, damit sie wieder ins Auge fallen. Anwohner bekundeten, dass sie keine einhellige Meinung über die Stolpersteine haben. Es sei positiv, die Geschichte lebendig zu halten, und weniger gut, darauf zu treten. In der Leuschnerschule geht die Beschäftigung mit dem Thema weiter. Zum Abschluss des Projekts empfängt die Gesamtschule Mitte Juni die Frankfurter Zeitzeugin Edith Erbrich, die als Achtjährige mit ihren Eltern 1945 in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert wurde."
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Links und Literatur

Links:  

bulletWebsite der Stadt Wiesbaden  
bulletDer Inhalt dieser Seite wurde auch in einem Artikel in der "Allgemeinen Zeitung" verarbeitet: "Allgemeine Zeitung" vom 8. Mai 2008: Artikel von "Wolfgang Wenzel": An die Synagoge erinnert nur noch eine Skizze  (pdf-Datei)  

Literatur:  

bulletGermania Judaica III,2 S. 831.
bulletPaul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. 2 S. 8.24.   
bulletHartmut Bohrer: "Erst den Namen eines Juden ausgelöscht - dann die jüdischen Mitmenschen selbst." Unveröffentlichtes Manuskript. Mainz-Kastel 1992. 
Auf diese Arbeit wird hingewiesen in: 
bulletStudienkreis Deutscher Widerstand (Hg.): Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945. Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt. 1995 S. 350-361. 
bulletDieter Krienke: Die Synagogen der Mainzer Vororte Bretzenheim, Ebersheim, Hechtsheim und Kastel. In: Die Mainzer Synagogen. Hrsg. von Hedwig Brüchert im Auftrag des Vereins für Sozialgeschichte Mainz e.V. Mainz 2008. Weitere Informationen zu diesem Buch bei den Literaturangaben auf der Seite zu den Synagogen in Mainz.    

    
      

                   
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Stand: 18. Mai 2020