Verschiedene Presseartikel
2003
(es handelt sich um Artikel, die verlinkt
sind mit anderen Seiten der Website von Alemannia Judaica)
Übersicht:
1. Bericht in der Badischen Zeitung über die Jahrestagung von Alemannia Judaica am 23. März 2003
2. Auf den Spuren der Vorfahren: Familie Falk aus England besuchte Hochberg,
Bericht vom 29. Oktober 2003
1.
Bericht in der Badischen Zeitung über die Jahrestagung von Alemannia Judaica am
23. März 2003
Artikel
vom 28. März 2003
Erinnerung als
Mahnung
MENSCHEN IN
EMMENDINGEN: Amira Gezow, Überlebende des Holocaust, berichtet
EMMENDINGEN.
"Von etwas zu lesen und etwas zu erleben, ist etwas ganz anderes".
Mit der schlichten Wahrheit, beginnt Amira Gezow ihre Ausführungen im
Ratssaal des Emmendinger Rathauses. Als Zeitzeugin ist sie geladen zur
Jahrestagung der Alemannia Judaica, der Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung
der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum.
Die Augen der
heute 73-Jährigen - sie wirken konzentriert. Doch wenn sie von ihrem Leben im
Konzentrationslager Gurs in den Pyrenäen erzählt, dann schweift der Blick,
wie die Gedanken, weit weg, weg vom Saal, in dem heute Politik und an diesem
Morgen Geschichtsarbeit gemacht wird. Ihr Schicksal als Elfjährige, die Tage,
Wochen und Monate im Lager, sind der Israelin noch sehr präsent, das
Jahrzehnte zurückliegende Erleben scheint ihr noch dicht und klar vor Augen
zu stehen.
"Es regnete
schrecklich und im Schlamm verlor ich sofort meine Schuhe", erzählt
Amira Gezow mit bedächtiger Stimme von der Ankunft in Gurs. Im Oktober 1940
waren Juden aus Baden, dem Elsass und der Pfalz in das Lager deportiert
worden. "Der schrecklichste Moment der ersten Stunden, das war die
Trennung der Familie, die Separation der Väter und Söhne, die älter als 13
Jahre alt waren", berichtet sie. Dunkel sei es gewesen. Und in den
Baracken legten sich die Menschen, die haufenweise den Schlamm an ihren Füßen
mit hineingeschleppt hatten, nach dem tagelangen entkräftenden Bahntransport
einfach auf den Boden.
"Am nächsten
Morgen, bei Tageslicht, sahen wir, in welcher Hölle wir waren", so Amira
Gezow. Die Juden waren dort nicht allein, das Lager diente schon länger zur
Internierung von republikfreundlichen Spanierinnen, die dem Bürgerkrieg im
Nachbarland entkommen waren. Für die Aufnahme der mehreren tausend Juden
waren keine Vorbereitungen getroffen worden, es gab keine Decken und kein
Geschirr. Die kärgliche Brotration konnten wir in die Hand nehmen, für die wässrige
Suppe bekamen wir von den Spanierinnen leere Konservendosen. Später wurde
dies besser, die in Darmstadt gebliebene Großmutter schickte in einem
Hilfspaket Blechgeschirr. Doch auch das half nicht, wenn der Hunger nagte.
"Wir wussten, warum wir hier waren", berichtet die 73-Jährige. Und
sie erzählt von einer jungen Christin, die mit ihrem jüdischen Mann das
Schicksal teilen wollte - und dann plötzlich allein war. Mitgefühl in einer
deprimierenden Atmosphäre.
Dramatisch wird
ihr Lebensbericht bei der Schilderung ihrer Rettung. Gezow traf ihre Eltern
wieder in Rivesaltes, von wo aus Transporte nach Auschwitz losfuhren.
"Als Rotkreuz-Mitarbeiter verkleidete Resistance-Kämpfer forderten die
Eltern auf, ihre Kinder aus dem abfahrbereiten Zug herauszureichen", erklärt
sie. "Mutter wollte mich nicht weggeben, hat mich fest an sich gedrückt,
doch Vater schickte mich weg."
"Dann hab
ich meine Eltern nicht mehr gesehen", sagt Amira Gezow, die sich in die
Schweiz retten konnte und im Mai 1945 in Palästina einwanderte. Was hinter
diesen Worten für das Schicksal ihrer Familie steht, ist jedem im Saal
bewusst. Erleben, Zeitzeugen erleben, ist eben etwas ganz anderes als Lesen.
Wir sollten aufmerksam zuhören, solange sie noch erzählen können.
Markus
Zimmermann-Dürkop
2.
Auf den Spuren der Vorfahren: Familie Falk aus England besuchte
Hochberg
Autor: Wolfgang Kek, 29.10.2003 Quelle: Eduard
Theiner, Gemeindearchivar, gefunden in http://portal.remseck.de/
Es begann vor einem Jahr. 'Stadtarchiv
Hochberg bei Waiblingen, Stuttgart' stand auf dem Schreiben aus England, das
ein findiger Postbote im Oktober 2002 dennoch an die richtige Adresse brachte.
Die Sache war nämlich so: Brian Falk aus dem englischen Norfolk hatte sich
auf die Suche nach seinen Vorfahren begeben. Im Londoner Public Record Office
wurde er fündig: dort lag die Einbürgerungsurkunde seines Großvaters Max
aus dem Jahre 1892. Und in dieser Urkunde stand zu lesen, dass eben dieser Max
Falk aus Hochberg bei Waiblingen im Königreich Württemberg stammte. Also
wollte Enkel Brian nun hier die Fährte weiter verfolgen.
Dem Manne konnte geholfen werden. Hatte
doch Gertrud Bolay, ehedem Schulleiterin in Hochberg, die Geschichte der
Familie Falk bis ins Jahr 1818 zurückverfolgt. Damals war Lazarus Falk,
seines Zeichens jüdischer Schullehrer, aus Braunsbach bei Schwäbisch Hall
nach Hochberg gekommen.
Auf diese Nachricht hin entschloss sich
Brian Falk, ins Land der Vorväter zu reisen. Zusammen mit seinem Bruder
Peter - der übrigens geläufig deutsch spricht, weil er jahrelang in
Frankfurt gearbeitet hat -, fuhren die beiden los, begleitet von ihren Frauen.
Im Neckarremser 'Hirsch' quartierten sie sich für zwei Tage ein, und dann
standen sie auf dem jüdischen Friedhof in Hochberg, an den Gräbern ihrer
Familie. Dank der Freundlichkeit von Frau Raiser konnten sie sogar einen
Blick ins Haus Hauptstraße 18 werfen, das ihr Urgroßvater Ferdinand Falk
1849 erheiratet hatte.
Nach und nach fügte sich so eins zum andern. Besagter Ferdinand
Falk nämlich war der Sohn jenes Schullehrers Lazarus Falk gewesen und Metzger
von Beruf. Drei Söhne von Ferdinand wanderten in den 1880er Jahren nach England
aus: Salomon, Max und Viktor. Nur einer, Adolf, blieb in Hochberg und führte
das Handwerk des Vaters fort, in der Hauptstraße 18. Aber seinen Sohn Hugo zog
es schon mit 16 Jahren, anno 1905, nach London, wo die drei Onkels mittlerweile
eine gut gehende Lampenfabrik betrieben. Das renommierte Unternehmen blieb bis
1965 im Besitz der Familie.
Adolf Falk war übrigens der letzte Jude in Hochberg. Seine Frau Karoline war
schon 1925 gestorben. 1939, mit 81 Jahren, gelang es ihm, zu seinem Sohn Hugo
nach London auszuwandern. Älteren Hochbergern ist er heute noch in guter
Erinnerung, wie denn auch bis ums Jahr 1930 stets zur Weihnachtszeit von der
Familie Falk aus England ein Scheck kam, zur Unterstützung der Armen in
Hochberg.
Vom Stammvater der Hochberger Falk, dem Schullehrer Lazarus, hatte Frau Bolay
einige Anekdoten aus den Akten gegraben. Als dieser 1818 nach Hochberg kam, hieß
es in einem amtlichen Bericht: "Der Unterricht der jüdischen Jugend ist
ganz schlecht. Die Lehrer, die sie haben, können größtenteils selbst nichts.
In dem hiesigen Ort treten 5 bis 6 Familien zusammen, diese dingen einen Lehrer
auf ein halbes Jahr, welcher dann etwa 30 bis 40 Gulden Lohn bekommt und wochen-
oder tagweise umgeatzet (reihum verköstigt) wird. Ist er nach Verfluß des
halben Jahres nicht anständig, so wird er fortgeschickt und ein anderer
angenommen."
Nun, fortgeschickt wurde Lazarus Falk zwar nicht. Weil aber seit 1826 auch jüdische
Lehrer ein Examen vorzuweisen hatten, musste Falk den Dienst alsbald
quittieren. Bis zu seinem Tod 1871 schlug er sich als "Judenbüttel,
Schulklopfer und Synagogendiener" durch. Sein bescheidener Grabstein ist
noch erhalten. Und weil er, wie gesagt, 1818 von Braunsbach gekommen war,
wollten sich die Besucher aus England auch dort noch für ein paar Stunden auf
Spurensuche begeben.