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Weickersgrüben (Gemeinde
Gräfendorf, VG Gemünden am Main, Kreis Main-Spessart)
Jüdische Geschichte / Synagoge
(erstellt unter Mitarbeit von Hermann
Fischer, Weickersgrüben)
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde
In Weickersgrüben bestand ein kleine jüdische Gemeinde
im 18./19. Jahrhundert. 1750 wurde den am Ort lebenden jüdischen
Familien das nicht mehr genutzte (um 1560 erbaute) Schloss der Freiherren von
Thüngen überlassen. Das Schloss wird seitdem (bis heute) als "Thüngensches
Judenschloss" bezeichnet. Im Zusammenhang mit Beisetzungen auf dem
jüdischen Friedhof in Pfaffenhausen
erfährt man aus der Hammelburger Amtsrechnung 1771/72 die Namen mehrere
jüdischer Familienväter aus Weickersgrüben. Es wurden u.a. beigesetzt: Natan
aus Weickersgrüben Sohn, Seeligmann aus Weickersgrüben, Samuel aus Weickersgrüben
Kind, ein armes Kind aus Weickersgrüben, Samuel Sohn aus Weickersgrüben".
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner
wie
folgt: 1813 41 jüdische Einwohner (16,6 % der Gesamteinwohnerschaft), 1832:
58, 1833: 55 jüdische Einwohner in elf Familien; 1854: sechs jüdische
Haushaltungen, 1871 nur noch vier jüdische Einwohner. Die Zahl war mit der in
den 1840er-Jahren stark einsetzenden Auswanderung nach Amerika schnell
zurückgegangen.
Bei der Erstellung der Matrikellisten 1817 wurden auf insgesamt zehn
Matrikelstellen in Weickersgrüben noch die folgenden jüdischen
Familienvorstände genannt (mit neuem Familiennamen und Erwerbszweig): Isack
Feist Tannenberg (Krämer und Schlachten, Vorgänger), Baruch Hirsch Reis
(Schlachten und Schmusen), Baruch/Baer Feist Thormann (Schmusen und Kramhandel),
Joseph Feist Tannenberg (Kramhandel), Abraham Eisig Berg (Viehhandel), Herz
Abraham Berg (Viehhandel), Kaje Jakob Wald (Lumpenhandel und Schlachten), Zirla
Löb Sichelbaum (Kramhandel), Mariam Wolf Muller (Kramhandel), Michel Mayer Steiner
(Viehhandel, seit 1817). Keine Matrikelstelle wurde eingetragen für Israel
Hirsch Holzmann (Buchbinder) und Simon Levi Ortmann (jüdischer
Lehrer).
An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde einen Betsaal/Synagoge
(s.u.), eine Religionsschule, vermutlich auch ein rituelles Bad. Aus örtlichen
Überlieferungen ist bekannt (Mitteilung von Christian Fischer, Weickersgrüben), dass es am Ort auch einen jüdischen Friedhof gab:
ein Acker, in Richtung Ochsenthal gelegen, wurde noch lange Zeit als "Jüdekirfich"
(Judenkirchhof, Judenfriedhof) bezeichnet. Heute wird das Flurstück gewöhnlich
als "Säugraben" bezeichnet (Foto siehe unten).
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden die Toten der Gemeinde im
jüdischen Friedhof Pfaffenhausen
beigesetzt (vgl. die Nachweise in der bereits oben genannten Hammelburger
Amtsrechnung 1771/72).
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten die jüdischen Familien
einen Lehrer, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war: 1817
wird (s.u.) Simon Levi Ortmann als Lehrer genannt.
Unter den Auswanderern im 19. Jahrhundert war Michael Stein, der sich 1841 mit seiner
Familie auf den Weg in die USA machte. Seine Enkelin war Gertrude Stein
(1874-1946), die die Auswanderung ihrer Großeltern in dem 1925 erschienenen
Familienepos
"The Making of Americans: Being a History of a Family's Progress"
verarbeitet hat (die Großeltern kommen hier in den Gestalten der Eltern von
David Hersland vor).
Das Foto links zeigt den Grabstein für die in Oakland verstorbenen Eltern von
Gertrude Stein: Daniel Stein (1832 Weickersgrüben - 1891 Oakland) und Amalia
geb. Keyser (1843 in Baltimore - 1888 Oakland). Quelle des Fotos:
https://www.findagrave.com/memorial/127714469/amelia-stein
Zur Familie von Gertrude Stein hat Alexander L. Nagel einen Stammbaum
erstellt:
Familie Gertrude Stein (als pdf-Datei eingestellt;
Stand März 2020; bei Ergänzungen oder
Rückfragen bitte an den Autor wenden:
aln@zeelandnet.nl).
Zum Familienepos "The Making of Americans..." - ein autobiografischer Roman mit
vielen Informationen zur Geschichte von Gertrude Steins Vorfahren in
Weickersgrüben - siehe den Beitrag von Ulrich Gineiger in der "Main-Post" vom
17./18. Januar 1987:
"Ein Weltroman
wurzelt in Franken..." (eingestellt mit freundlicher Erlaubnis des Autors;
pdf-Datei). |
Neu
in 2022: Alexander L. Nagel: Meine Gertrude Stein. Erschienen im
Eigenverlag des Autors 2022. 116 S. Bei Rückfragen:
alnag@ziggo.nl
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Berichte
zur Geschichte der jüdischen Gemeinde
In jüdischen Periodika des 19./20.
Jahrhunderts wurden noch keine Berichte zur jüdischen Geschichte in
Weickersgrüben gefunden. |
Zur Geschichte der Synagoge
Eine Synagoge befand sich im Bereich des
"Judenschlosses". Von ihr ist nichts mehr erhalten.
Adresse/Standort der Synagoge: Bereich des
Schlosses
Fotos
Das
"Judenschloss"
in heutigem Zustand
(Foto links: Hermann Fischer;
Foto rechts: Leonhard Scherg) |
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Das "Judenschloss"
wurde 1560 von den Freiherrn von Thüngen erbaut und diente unter anderem als
Wohnsitz des Thüngenschen Verwalters. Der große Gewölbekeller wurde als
Lagerraum für landwirtschaftliche Erzeugnisse des Thüngenschen Hofes und
sicher auch für die Aufbewahrung bestimmter Zehntabgaben genutzt. Um 1750
nahmen Freiherren von Thüngen "Schutzjuden" in Weickersgrüben auf. Ihnen
stellten sie das Schloss als Wohnraum zur Verfügung. Seinen Schlosscharakter
verlor das Gebäude, als um 1900 die zwei Türme aus Sandstein abgerissen
wurden. Die Steine vermauerte man wenige Jahre später beim Bau der
Weickersgrübener Schule. Heute steht das Judenschloss leer. Es befindet sich
im Besitz der Familie Stürzenberger, die das Thüngensche Hofgut Anfang des
20. Jahrhunderts erworben hat. |
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Vermutlich
abgegangener jüdischer Friedhof
in Weickersgrüben
(Foto: Hermann Fischer) |
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Dieses in
Richtung Ochsenthal gelegene Flurstück wird heute noch gelegentlich mit "Jüdekirfich"
(Judenfriedhof) bezeichnet. Eingetragen ist es in den offiziellen
Gemarkungsplänen der Gemeinde unter "Säugraben". Da die in Weickersgrüben
verstorbenen Juden spätestens um 1770 in
Pfaffenhausen beigesetzt wurden,
dürfte der Friedhof in Weickersgrüben nur in den ersten Jahrzehnten der
Ansiedlung am Ort belegt worden sein. |
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Dokument zur
Auswanderung
nach Nordamerika (1840) |
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Kopie aus
den Aufzeichnungen der Gemeinde Weickersgrüben vom 14. Juli 1840 über eine
Zusammenkunft der Familie Stein und Mitgliedern der Gemeindeverwaltung
Weickersgrüben. Michael Stein bekundet bei diesem Treffen seinen Entschluss,
sich den ausreisewilligen Kindern und seiner Frau Hannah anzuschließen und
sich somit "...im Verlaufe der besagten 14 Tage zur Abreise nach Amerika
fertig zu machen...". Links unten befinden sich die Unterschriften der
anwesenden Gemeindevertreter, rechts die der Mitglieder der Familie Stein.
Michael Stein hat in Hebräisch unterzeichnet, seine Frau Hannah mit drei
Kreisen.
Diese Aufzeichnungen der Gemeindechronik belegen die engen Beziehungen
zwischen dem Familienepos von Gertrude Stein "The Making of Americans..."
mit der Geschichte ihrer Vorfahren in Weickersgrüben. |
Links und Literatur
Links:
Literatur:
| Israel Schwierz: Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in
Bayern. Eine Dokumentation der Bayerischen Landeszentrale für politische
Bildungsarbeit. A 85. 1988 S. 124. |
| Leonhard Scherg: Jüdisches
Leben im Main-Spessart-Kreis. Reihe: Orte, Schauplätze, Spuren. Verlag
Medien und Dialog. Haigerloch 2000 S. 18. |
| Dirk Rosenstock: Die unterfränkischen
Judenmatrikeln von 1817. Eine namenkundliche und sozialgeschichtliche
Quelle. Reihe: Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg Band 13.
Würzburg 2008. S. 129.
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