Eingangsseite
Aktuelle Informationen
Jahrestagungen von Alemannia Judaica
Die Mitglieder der
Arbeitsgemeinschaft
Jüdische Friedhöfe
(Frühere und bestehende) Synagogen
Übersicht: Jüdische Kulturdenkmale
in der Region
Bestehende jüdische Gemeinden
in der Region
Jüdische Museen
FORSCHUNGS-
PROJEKTE
Literatur und Presseartikel
Adressliste
Digitale Postkarten
Links
| |
Zurück zur Seite über die Jüdische Geschichte/Synagoge
in Bad Homburg
Es bestehen zur jüdischen
Geschichte in Bad Homburg weitere Textseiten:
Bad Homburg vor der Höhe (Kreisstadt,
Hochtaunuskreis)
Texte/Berichte zum jüdischen Gemeindeleben in Bad Homburg 1850-1938
Die nachstehend wiedergegebenen Texte mit
Beiträgen zur jüdischen Geschichte in Bad Homburg wurden in jüdischen Periodika
gefunden.
Bei Gelegenheit werden weitere Texte eingestellt.
Die Texte
wurden dankenswerterweise von Susanne Reber abgeschrieben.
Übersicht:
Texte/Berichte
zum jüdischen Gemeindeleben in Bad Homburg - in chronologischer Reihenfolge
Gleichstellung
der jüdischen und christlichen Untertanen (1848)
Artikel
in der Zeitschrift "Der treue Zionswächter" vom 21. März 1848:
"Homburg v.d. H., den 8. März (1848). Verordnung, die
bürgerlichen und politischen Verhältnisse der Juden betreffend: 'Wir
Gustav, von Gottes Gnaden souveräner Landgraf zu Hessen etc. haben zur Erfüllung
unserer desfallsigen gnädigen Zusage vom Gestrigen verordnet und
verordnen wie folgt: Auch in orts- und staatsbürgerlicher Beziehung soll
fortan kein Unterschied mehr zwischen unseren christlichen und jüdischen
Untertanen stattfinden. - Urkundlich Unserer eigenhändigen Unterschrift
und des beigedruckten landgräflichen Insiegels.
Homburg, den 7. März
1848 . (L.S.) Gustav vdf. Heinrich."
Anmerkung: - Gustav:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_(Hessen-Homburg)
|
Die
Ehe zwischen Christen und Juden ist in der Landgrafschaft erlaubt (1848)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 14. August
1848: "Homburg v. d. H., 23. Juli. Durch ein unterm 21.
erschienenes Gesetz ist das Verbot der Ehe zwischen Christen und Juden in
unserer Landgrafschaft aufgehoben". |
Unter
den zahlreichen Kurgästen sind viele Israeliten (1853)
Artikel
in der "Allgemeine
Zeitung des Judentums" vom 15. August 1853 aus Bad Homburg: "Die
hiesige Badesaison reicht auch dieses Jahr wieder glänzende Früchte, und
ist die Zahl der Kurgäste in der Kurliste schon über 4500 gestiegen. die
große Zahl der hier zu Kur anwesenden Israeliten verdient allgemein
bewundert zu werden, denn schon seit langen Jahren und fast noch nie hat
man so viel Israeliten, und das sämtlich sehr reiche Familien, hier
bemerkt, der größte Teil kommt aus der Pfalz, dem Elsass und Holland.
man kann behaupten, dass immer unter den Anwesenden der dritte Teil Juden
sind". |
Gedächtnis-
und Totenfeier in der Synagoge für Landgräfin Louise von Hessen-Homburg -
verbunden mit einer Klage über den Zustand der jüdischen Einrichtungen (1859)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 25. April 1859: "Bei der vorjährigen Gedächtnis- und
Totenfeier für die einige Wochen vorher verstorbene verwitwete
Landgräfin Louise von Hessen-Homburg (geb. Prinzessin von Anhalt-Dessau),
einer sehr wohltätigen Fürstin, wurde auch unser Herr Rabbiner gleich
dem christlichen Geistlichen von der Regierung aufgefordert, eine
Trauerrede über Psalm 90 zu halten, die dieser auch in höchst würdiger
und taktvoller Weise abhielt. Ergötzlich war es nur, dass man damals die
hier noch üblich Mizwos-Versteigerung am Freitagabend abhielt, da man
für Samstagmorgen die Spitzen der Behörde erwartete, die sich auch
wirklich einfanden, und denen man das Schauspiel einer Versteigerung im
Gotteshaus doch nicht geben wollte. Man sieht hier demnach wohl die
großen Mängel im Kultuswesen ein, aber zwischen Erkenntnis und Tat st
noch eine weite, weite Kluft. Man will hier die ca. 400 Gulden jährliche
Einnahme von versteigerten Mizwos nicht schwinden lassen, damit die
direkten Steuern nicht größer würden. Aber das ist ja der Fehler.
Würden unsere großen, reichen und frommen Herren, die wie gewöhnlich
auch hier das große Wort zu führen haben, die ersten Steuerklassen verhältnismäßig
ebenso stark wie die Mittelklassen beanspruchen, so hätten wir statt eine
baufällige, ungeräumige Synagoge - ein herrliches Gotteshaus,
innerlich und äußerlich würdig einer so großen frommen Gottesgemeinde
in einem Badestädtchen, statt eines von Kloaken umringten Schullokals,
wo Lehrer und Schüler es namentlich im Sommer nicht aushalten können, -
ein geräumiges, freundliches Schulgebäude, um des Kindes Geist zu heben,
statt ihn niederzudrücken, statt eines stundenweit entfernten, im Walde
gelegenen, von einer Hecke umzäunten Friedhofes - einen in der
Nähe gelegenen, von einer Mauer umgebenen Ruheort für die müden Erdenpilger.
Doch ich will nciht weiter fortfahren, ich könnte bitter werden gegen mir
sonst befreundete und achtungswerte Personen, und überdies sagt ein
französisches Sprichwort: Il ne faut pas laver son linge sâle en public.
Louis Lehmann."
Anmerkungen: - Landgräfin Louise von Hessen-Homburg:
https://de.wikipedia.org/wiki/Luise_von_Anhalt-Dessau_(1798%E2%80%931858)
- Mizwo:
https://de.wikipedia.org/wiki/Mitzwa
- Il ne faut pas….: Besagt, dass man seine schmutzige Wäsche nicht in der
Öffentlichkeit wäscht. |
Die
Geburtstage des Landgrafen werden auch in der jüdischen Gemeinde feierlich
begangen (1859 / 1860)
Anmerkung: es geht wohl um die Feier des Geburtstages von
Ferdinand Heinrich Friedrich, dem letzten Landgrafen von Hessen-Homburg
(1783-1866); nach seinem Tod fiel Hessen-Homburg an Hessen Darmstadt, wenig
später an Preußen.
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 4. Juli 1859: "Homburg,
im Juni. (Privatmitteilung). Ich darf voraussetzen, dass es Ihnen bekannt
ist, dass im Landgraftum Hessen die Israeliten schon längere Zeit völlig
emanzipiert sind, und dass diese Emanzipation nicht nur auf dem Papier
steht, sondern durch unsern edlen und hochherzigen Fürsten auch zur Wahrheit
geworden ist, daher auch die große Anhänglichkeit und Liebe der Israeliten
des Landgrafentums zu ihrem durchlauchtigsten Landvater, der letzteres in
vollem Sinne des Wortes ist.
Dankbarkeit gegen den Landesfürsten veranlasste nun den Amtsrabbiner Herrn
Fromm am 26.ten April des Jahres, dem Geburtstage unseres edlen Fürsten,
eine diesem Tage angemessene Feier in der Synagoge anzuordnen, welchem auch
mehrere Nichtisraeliten beiwohnten. Von der vom Rabbiner hierbei gehaltenen
Predigt, welche alle Zuhörer tief ergriff und rührte, wurde dem Fürsten, der
einige Tage später von einer Reise zurückkam, erzählt, und er freute sich so
sehr darüber, dass er dem Rabbiner durch den Hofmarschall eine wertvolle
Brillantnadel überreichen ließ, und ihm später, als er seinen Dank mündlich
abstattete, weitere Versicherungen seiner Gnade und Zufriedenheit erteilte.
Es hat dieser Akt der Gnade bei der hiesigen israelitischen Bevölkerung um
so freudigeren Eindruck gemacht, als unserem würdigen Rabbiner, der,
nebenbei gesagt, nebst seinem Gehalte aus der Gemeindekasse auch einen
solchen aus Staatsmitteln bezieht, eine Anerkennung für sein segensreiches,
tätiges Wirken als Seelsorger und Religionslehrer in unserer Gemeinde
geworden und es uns weiter ein Beweis ist, dass unser Landesherr das
Verdienst belohnt, wo er es findet.
Emden, Landgräfl.-Hessischer Amtssekretär." |
|
Artikel
in der Zeitschrift "Jeschurun" vom September
1859: "Homburg, v. d. H., 22 Mai 1859. Im Landgraftum Hessen sind die
Israeliten schon längere Zeit völlig emanzipiert und diese Emanzipation
steht nicht nur auf dem Papier sondern ist bei unserem edlen und
hochherzigen Fürsten und höchst seiner erleuchteten Regierung, auch zur
Wahrheit geworden; daher auch die große Anhänglichkeit und Liebe der
Israeliten des Landgraftums zu ihrem Landesvater, der Letzteres auch im
vollen Sinn des Wortes ist. Dankbarkeit gegen den Landesfürsten veranlasste
nun den Amtsrabbiner, Herrn Fromm, am 26. April diesen Jahres, dem
Geburtstage unseres Fürsten, eine diesem Tage angemessene Feier in der
Synagoge anzuordnen, welcher auch mehrere Nichtisraeliten Von der vom
Rabbiner hierbei gehaltenen Predigt, welche alle Zuhörer tief ergriff und
rührte, wurde dem Fürsten, der einige Tage später von einer Reise zurückkam,
erzählt, und er freute sich so sehr darüber, dass er dem Rabbiner durch den
Hofmarschall eine wertvolle Brillantnadel überreichen ließ, und ihm später,
als er seinen Dank mündlich abstattete, weitere Versicherungen seiner Gnade
und Zufriedenheit erteilte. Es hat dieser Akt der Gnade bei der hiesigen
israelitischen Bevölkerung um so freudigeren Eindruck gemacht, als unserem
würdigen Rabbiner, der, nebenbei gesagt, nebst seinem Gehalte aus der
Gemeindekasse auch einen solchen aus Staatsmitteln bezieht, eine Anerkennung
für sein segensreiches, tätiges Wirken als Seelsorger und Religionslehrer in
unserer Gemeinde geworden und es uns weiter ein Beweis ist, dass unser
Landesherr das Verdienst belohnt, wo er es findet." |
|
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25. Juli
1860: "Bad Homburg, im Juli. Es wird den verehrlichen Lesern
dieses sehr gediegenen Blattes gewiss erwünscht sein, wenn sie aus unserer,
auch in fernsten Ländern rühmlichst bekannten Kurstadt die edle
Gesinnungsweise unseres hochverehrten Landesfürsten aus folgendem ersehen
werden, was einen erfreulichen Beweis liefert, in welcher Achtung unser Herr
Rabbiner und unsere Gemeinde bei dem Landesfürsten stehen.
Der hohe Geburtstag unsres edlen Landesfürsten wurde, wie üblich, auch in
unserer Synagoge durch besondere Gebete, Psalmen und durch eine Predigt
würdevoll gefeiert, bei welcher Gelegenheit auch die höchsten Spitzen
unserer Behörden in der Synagoge erschienen waren. Die geist- und
inhaltsreiche Rede unseres Herrn Rabbiner Fromm, in den herrlichsten und
blühendsten oratorischen Schmuck gekleidet, mit Herzenswärme und
überzeugender Beredsamkeit vorgetragen, machte einen erhebenden Eindruck auf
alle Zuhörer. Die Kunde drang auch zu den Ohren unseres gnädigsten
Landesfürsten und bewog Höchstdenselben, die Abschrift der bezeichneten Rede
von dem Herrn Rabbiner Fromm zu verlangen. Als diese nun dem Fürsten
überreicht wurde, nahm er dieselbe huldvoll entgegen und äußerte sich
äußerst wohlwollend gegen unseren geschätzten und geliebten Herrn Rabbiner,
sowie über die hiesige israelitische Gemeinde überhaupt, einige Tage darauf
erhielt der Herr Rabbiner Fromm folgendes hohes Schreiben von Seiten des
Herrn Hofmarschall, das wir wörtlich andurch wiedergeben:
Hochgeehrtester Herr Rabbiner!
Von des Herrn Landgrafen Hochfürstlicher Durchlaucht beauftragt, Ew.
Ehrwürden den verbindlichsten Dank auszudrücken für den von Ew. Ehrwürden
und der hiesigen israelitischen Gemeinde aus Anlass des diesjährigen hohen
Geburtstagsfestes Sr. Hochfürstlichen Durchlaucht in hiesiger Synagoge
veranstalteten, feierlichen Gottesdienst selbst von Ew. Ehrwürden gehaltene,
ausgezeichneten Festrede, gereicht es mir zugleich zu einem wahrhaften
Vergnügen, dieses höchsten Auftrages mich andurch zu entledigen und die
Versicherung der aufrichtigsten Hochachtung beizufügen, womit ich stets
beharre
Ew. Ehrwürden ergebenster (unterz:) von Ditzenhofer
Landgräflich-Hessischer Hofmarschall und Kammerherr
Es brachte dieses sowohl für unsere Gemeinde als für unsern Herrn Rabbiner
höchst ehrenvolle Schreiben eine allgemeine Freude bei uns hervor,
insbesondere freute man sich auch darüber, dass das segensreiche, tätige und
uneigennützige Streben und Wirken unseres Herrn Rabbiners auch von Seiten
des Fürsten die gebührende Anerkennung findet wie solches von Seiten der
ganzen Gemeinde und aller behördlichen Kreise längst rühmlich bekannt ist.
Binge, Regierungsadvokat."
Anmerkungen: - Amtsrabbiner Fromm:
https://freilandmuseum.de/entdecken/neuigkeiten-und-blogs/einzeleintrag/seligmann-pinchas-fromm
https://www.lagis-hessen.de/pnd/1140052071
- Landvater:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ferdinand_(Hessen-Homburg) |
Kritisches über das "Treiben der
Neo-Orthodoxen" und weitere Mitteilungen aus dem Gemeindeleben
(1862)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 8. April 1862: "Bad Homburg, im März. (Privatmitteilung)
In unserer Gemeinde, in der eine kleine, aber mächtige Partei (- und
darunter viele, die schon manch strenges biblisches Verbot verletzt haben -)
seit einem Dezennium den krassesten Formglauben unterstützt, die
widerwärtigsten Einrichtungen und Zustände aufrecht erhält und jeder anderen
Meinung ihr Ohr verschließt, regt sich seit Jahren doch immer mehr und
kräftiger, ein besserer Geist. Wir wollen darüber schweigen, dass in
jüngster Zeit ein namhafter Teil unserer Gemeindebürger sich geeinigt und
gegen hier herrschende Zustände und neue hierarchisch-finstere Bestrebungen
bei unserer wohlwollenden, aber über jüdische Kultuseinrichtungen nicht
gehörig unterrichteten Landesregierung protestierten, wir wollen, obschon
das viel Mühe und Arbeit kostete und sehr wichtig für unser Gemeindeleben
war, da der Zweck, wenn auch vorerst nur teilweise, erreicht wurde) darüber
hinweggehen. - Statt Ihnen das Treiben unserer Neu-Orthodoxen zu schildern,
die nicht danach fragen, ob die ganze jüngere Generation für Israels heilige
Institutionen gleichgültig wird, wenn man Letzteren nicht vom Staube des
Mittelalters, der dem gebildeten Juden wie Christen widerwärtig ist,
reinigt, die sich nicht darum kümmern, dass Tausende von hierher kommenden
Fremden, die hiesigen Kultuseinrichtungen tadeln und bespötteln, statt
solcher Schilderungen will ich Ihnen lieber von erfreulicheren Fakten
berichten. Der hiesige Gesangverein Harmonia, aus lauter Israeliten
bestehend, veranstaltete am 23. Februar diese Jahres eine Abendunterhaltung
(Konzert und Theater) zum Besten der Kleinkinder-Bewahranstalt, die so stark
besucht war, dass bei fl. 200 eingingen und beinahe fl. 140 abgeliefert
werden konnten. Der moralische Erfolg war ein bedeutender, ein wahrer
kiddusch haschem (Segen Gottes, Anm. S.R.). Man sah, dass die
hiesigen Juden mehr als das bloße Geldverwechseln und den Warenverkauf
verstehen, dass sie auf dem Gebiete der Kunst und des Verständnisses unserer
großen deutschen Meister nicht zurückgeblieben und das Ausharren der
höchsten Be- |
amten
und Honoratioren unserer Stadt bis nach Mitternacht bewies deutlich, dass
deren Worte der Anerkennung und des Lobes ernsthaft und warm aus dem Herzen
kamen. Das Verdienst, dieses bewirkt und unsere Jugend nach innen gehoben
und ihr nach außen Achtung verschafft zu haben, gehört, dem wegen hoher
Bildung und Gediegenheit des Charakters allgemein geachteten Herrn W.
Ackermann, der die Seele des Ganzen ist.- Zwei Jahre älter als dieser
Gesangverein ist der vom Unterzeichneten im Jahre 1855 gegründete
'israelitische' Lesezirkel, mit dem Motto es werde Licht, durch
welchen bei einem Jahresbeitrag von wenigstens 2 Gulden, durch Zirkulation
jüdischer Zeitungen und Bücher, seinen 18 Mitgliedern Unterhaltung und
Belehrung geboten wird. Allerdings sollten der Verein bei seinem schönen
Zwecken*) stärker an Teilnehmern sein, aber 'man muss die Stimmen nicht
zählen, sondern wägen', sagte unser berühmter Moses Mendelssohn, und wir
wollen lieber wenige und gebildete Mitglieder besitzen, als dass wir durch
Anschaffung ungeeigneter Blätter und in Gesinnung und Taten fernstehenden
Personen nähern und sie zu uns ziehen wollen. Es ist einmal rein unmöglich,
dass Licht und Finsternis sich gegenseitig vertragen können, und das ist
auch gerade gut, weil dadurch ein Kampf stattfindet in der Welt, wo das
Licht immer größere und schönere Siege erringt. - Mögen die Bestrebungen der
beiden genannten Vereine, sich einander ergänzend, in Verbreitung von
Bildung und Erkenntnis immer weiter hervortreten, und das schöne Wort
Goethes in Erfüllung geht:
Gar fruchtbar ist der kleinste Kreis
Wenn man ihn recht zu pflegen weiß.
Louis Lehmann.
Anmerkungen: - Louis Lehmann: vgl.
Artikel
zu seinem Tod 1900
- ...'man muss die Stimmen nicht zählen..': Friedrich Schiller, Demetrius,
1805, erster Aufzug
- Moses Mendelssohn:
https://de.wikipedia.org/wiki/Moses_Mendelssohn
https://www.bpb.de/themen/zeit-kulturgeschichte/juedischesleben/333299/moses-mendelssohn-wegbereiter-des-emanzipierten-judentums/
https://www.jmberlin.de/thema-moses-mendelssohn
- Goethe:
https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Wolfgang_von_Goethe |
Louis
Lehmann übt Kritik an einigen reicheren Gemeindegliedern
(1862)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 14. Oktober 1862: "Bad Homburg, Ende September. Noch
einige Tage und der heilige Versöhnungstag ist vorüber und mit ihm das
Frühaufstehn, die Herzensergießungen, das wider die Brust klopfen und die
langen Mischeberachs, die mit Beginn der hiesigen Badesaison ihren Anfang
nehmen und mit Schluss der heiligen Zeit ihr Ende erreichen. Welcher Segen
da auf die Häupter der von der Regierung – nicht von der Gemeinde –
ernannten Vorsteher in der engen und baufälligen Synagoge weinen und flehen,
manche Vormittagsstunde fastend auf dem weit im Walde entfernten, im
schmachvollsten Zustand sich befindlichen
Friedhofe geweilt haben, da auf dem Almemor hinaufgehen, den kleinsten
und entferntesten Verwandten in den meilenlangen Mischberachs nicht
vergessen, aber kein Herz haben, einmal 1.000 oder 2.000 Gulden für
Verbesserung der Gemeindezustände zu weihen und zur Nacheiferung herzugeben,
und doch sind diese Leute auch sonst reich, haben großartige Geschäfte und
vor allem, sind mit der Gemeindeverwaltung verwandt, eins und zufrieden, was
doch nicht allgemein der Fall ist und ihnen umso mehr jene Pflicht der
Unterstützung auferlegt. - ich meine auch, dass man solche saubere
Dividenden der Spielbankaktien (schönes Papier! Sic!) doppelt verzehnten
sollte, und das dies war und nicht aller Tage Abend ist, konnten ihre
frommen Inhaber an dem niedrigeren Kurs und den sehr beschnittenen
Dividenden jetzt merken. Ja, ja, wer nicht gibt an Jacob, der muss geben an
Esau! Das ist und bleibt ein wahres Sprichwort! Louis Lehmann."
Anmerkungen: - Versöhnungstag:https://de.wikipedia.org/wiki/Jom_Kippur
- Mischebrach:
https://www.juedische-allgemeine.de/glossar/mi-scheberach/
- Heilige Zeit: von Rosch HaSchana
https://de.wikipedia.org/wiki/Rosch_ha-Schana bis Jom Kippur :https://de.wikipedia.org/wiki/Jom_Kippur
- Almemor:
https://de.wikipedia.org/wiki/Bima
- Verzehnten:
https://www.dwds.de/wb/dwb/verzehnten
- Jakob:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jakob
- Esau:
https://de.wikipedia.org/wiki/Esau
- Louis Lehmann: vgl.
Artikel
zu seinem Tod 1900 |
Neues Gesetz, die Eidesleistungen der Israeliten im
Amte Homburg betreffend (1865)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
15. März 1865: "Homburg vor der Höhe, im Monat März. Nachdem in
dieser verehrlichen, die Interesse des Judentums nach allen Richtungen hin
mit Geist und Begeisterung vertretenden Zeitschrift schon mehrmals die hohe
Munifizenz unseres edlen innigst geliebten Fürsten – den Gott uns noch
länger in seiner vollen Geistes und Körperkraft erhalten möge – sowie die
Intelligenz und Gerechtigkeitsliebe unserer höchsten und hohen Behörden
besprochen, gereicht es mir zur innigsten Freude, den verehrten Lesern
dieses Blattes einen ferneren erfreulichen Fortschritt auf dem lichtvollen
Gebiete der Humanität durch folgende Mitteilung machen zu können. - Trotzdem
die vollständige Emanzipation unserer Glaubensgenossen schon seit dem Jahre
1848 ausgesprochen, ja mehr als dieses in vollständigster Praxis
verwirklicht war, so erhielt sich dennoch in unserem Amte Homburg der Eid
more judaico, und war dieser der entehrende gelbe Fleck, der auf unserem
bürgerlichen Ehrenkleide haftete.
Nachdem Herr Rabbiner Fromm dahier schon früher um Aufhebung dieser
Eidesform bei hl. Landesregierung petitioniert hatte, wurde in jüngster Zeit
dieser Gegenstand im Bezirksrate von Seiten des Herrn Stadt-Bezirksrat K. L.
Rothschild angeregt, und gelang es sowohl den Bemühungen des genannten
Herrn, als auch den des Herrn Rabbiners, der durch eine umfassende
Denkschrift darlegte, dass die Form des Eides more judaico in keiner Weise
in unserem heiligen Gesetze begründet sei und dass dieselbe die Heiligkeit
des Eides in keiner Weise fördere, hohe Landesregierung davon zu überzeugen,
worauf dann am 26. Februar a.c. (im laufenden Jahr) folgende höchste
Verordnung erschien, welche wir den geschätzten Lesern dieses Blattes
mitzuteilen uns beehren.
Gesetz,
die Eidesleistungen der Israeliten im Amte Homburg betreffend.
Wir Ferdinand,
von Gottes Gnaden souverainer Landgraf
zu Hessen etc etc
haben in der Absicht, die bisher üblich gewesenen besonderen Formalitäten
bei Eidesleistung der Israeliten im Unteren Amte Homburg, als in keinerlei
Hinsicht begründet oder zur Giltigkeit der Eide er- |
forderlich, für die Zukunft aufzuheben, nach Anhörung des Bezirksrats
Unseres genannten Amtes für dieses zu verordnen beschlossen und verordnen
hiermit:
Art. 1:
Die Eidesform für die Israeliten soll künftig lauten:
'Ich schwöre bei dem Ewigen, dem Gott Israels, dass etc. So wahr mir Gott
helfe!'
Der Schwörende hat dabei die Hand auf die linke Brust zu legen.
Art. 2: In den Fällen, in welchen bei Christen die Belehrung der Wichtigkeit des
Eides durch den Seelsorger gefordert werden kann, tritt bei Israeliten an
dessen Stelle der Rabbiner oder ein jüdischer Gelehrter.
Art. 3: In Anlehnung der Vereidigung der jüdischen Geschwornen und Zeugen bei
schwurgerichtlichen Verhandlungen bleiben die Vorschriften des Gesetzes vom
15. Oktober 1850 maßgebend.
Dagegen sind die für die Eidesleistungen der Israeliten eingeführt gewesenen
sonstigen Förmlichkeiten aufgehoben.
Urkundlich Unserer eigenhändigen Unterschrift und des beigefügten
Landgräflichen Insiegels.
Gegeben Homburg, den 21. Februar 1865
(L.S.) Ferdinand
vdt. F e n n er
Ist auch das Territorium unseres Landes kein großes zu nennen, so reicht
dennoch diese Anerkennung des Rechtes und der Humanität weit über die
Grenzen unseres Landes hinaus; es leuchtet und ruft dieser Strahl der
Gerechtigkeit unseres geliebten Fürsten und Seiner weisen Räte ermunternd
und erweckend zur edlen Nachahmung auf, bis endlich die goldnen Garben des
Lichtes und des Rechtes in allen Gauen der Menschheit gesammelt und geteilt
werden können."
Anmerkungen: -
Zeitschrift: https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Israelit
Fürst:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ferdinand_(Hessen-Homburg)
More judaico: https://de.wikipedia.org/wiki/Judeneid
Gelber Fleck: https://de.wikipedia.org/wiki/Gelber_Ring
Rabbiner Fromm: https://www.lagis-hessen.de/pnd/1140052071
Ferdinand:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ferdinand_(Hessen-Homburg)
|
Kritisches zu einigen Gemeindeverhältnissen
(1867)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 16. Juli 1867: "
Kritisches zu einigen Gemeindeverhältnissen (1867)
Homburg v. d. H., im Juli (Privatmitteilung) Mit Recht widmen Sie die
Spalten Ihres Blattes nicht bloß den Vorgängen in den großen Gemeinden,
sondern gewähren Ihren Lesern auch Einblicke in das Leben der kleineren,
sobald diese ein Kulturmoment aufweisen, das gefördert oder bekämpft sein
will. Wo sich in unserer Glaubensgenossenschaft Ausschreitungen kundtun, von
welcher Seite sie auch ausgehen, müssen sie besprochen werden. Wir haben im
Judentume eben nur die öffentliche Meinung, welche eine Kritik ausübt, und
von der wir eine Besserung der Zustände zu erwarten haben. In unserer
Gemeinde hat sich eine Partei geltend gemacht, welche nicht bloß alle
Entwickelung verrückt, sondern sich auch eine Gewalt anmaßt, welche in das
Mittelalter zurückgreift. Sang- und klanglos, aber mit vielen Schulden hat
man eine neue Synagoge (Elisabethenstraße 8, Anm. S.R.) gebaut und geweiht;
in dieselbe ist aber aller alter Unfug mit eingezogen, und eine große Anzahl
hiesiger jüdischer Familien sieht sich geistig und geistlich völliger
Unbefriedigtheit preisgeben. Noch heute hat die Gemeinde an der Wahl des
Vorstandes keinen Anteil, und bleibt so ohne Einfluss auf die Richtung und
Führung der Gemeindeangelegenheiten. Statt aller Worte wird ein Faktum die
Lage genügend charakterisieren.
In der Synagoge erlaubte sich am 15. Juni ein Mitglied des israelitischen
Kultusvorstandes, ein gewisser Jacob Rosenbaum, einem Gemeindegliede während
des Gottesdienstes eine persönliche Zurechtweisung in einer Weise zu
erteilen, dass ein unbeteiligtes Gemeindeglied, namens Herz Kahn, dem
Rosenbaum im Interesse der Heiligkeit des Ortes hierwegen glaubte,
vernünftige Vorstellungen machen zu müssen. Er tat dies nach beendetem
Gottesdienste. Rosenbaum nahm |
dies aber so auf, dass er laut schreiend dem Herz Kahn, eine sogenannte 'synagogale'
Strafe von 35 Kreuzern diktierte.
Einige Tage nachher kam dem Herz Khan folgendes merkwürdige Aktenstück zu,
das wir buchstabengetreu abdrucken lassen.
'Dem Herz Kahn dahier wird hiermit auf sein am Samstag den 15. dieses Monats
in der Synagoge gegen den Vorsteher Jacob Rosenbaum betätigtes,
respektwidriges und unpassendes Benehmen hiermit bekannt gemacht, dass man
von einem Antrag bei K. Justizamt auf Bestrafung für dieses Mal absehen
will, ihn jedoch in eine synagogale Strafe dahin verfälligt, dass er zwei
Monate lang – sofern noch an anderer Cohen sich in der Synagoge befindet –
nicht zur Tora aufgerufen und ihm ebenso lange keine Ehrenbezeugungen bei
der Tora zugelassen werden sollen.
Für die Zukunft wird man bei wiederholtem Betragen der angegebenen Art keine
Rücksichten mehr nehmen und ihn ohne weiteres bei dem Gericht zur Bestrafung
anzeigen.
Homburg, den 20. Juni 1867
Der israelitische Kultusvorstand
Rabbiner Fromm, B. J. Goldschmidt, Perez Lissa
P. E Rosenberg, J. Rosenbaum, J. Wohlfahrth
Man sieht,, es wird hier der Versuch gemacht, die berüchtigten
'Kirchenstrafen' wieder einzuführen man fängt mit einem ganz kleinen 'Bann'
an, und hofft, mit der Zeit wieder bis zum 'großen' zu gelangen. Muss man
sich über eine 'fromme Partei' nicht wundern, dass sie eine Ausschließung
von religiöser Pflichterfüllung, als eine geringere Strafe ansieht, wie eine
etwaige Polizeistrafe? Oder griff man dazu, weil man vorher wusste, dass bei
dem Gerichte eine völlige Freisprechung des Kahn erfolgen würde? Und wo ist
das Gesetz zu finden, auf welches hin sie diese Ausschließung von
Toraaufrufen beschließen durften? Doch ich vergesse, dass ich es hier nicht
mit einer 'frommen', sondern mit einer 'krummen' Partei zu tun habe. Mag
diese aber nicht vergessen, dass wir jetzt in Preußen leben, wo kein
persönlicher Einfluss, sondern das Gesetz gilt.
Anmerkungen: -
Cohen: https://de.wikipedia.org/wiki/Cohen (mit Anspielung auf den Nachnamen
'Kahn')
-
Aufruf zur Tora:
https://www.talmud.de/tlmd/der-aufruf-zur-torah-halachot-anleitungen-und-umschriften-der-brachot/
-
Rabbiner Fromm: : https://www.lagis-hessen.de/pnd/1140052071
|
Jüdisches Leben in Bad Homburg (1870)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
28. Dezember 1870: "In Homburg. Wenn man in Homburg den im
altfranzösischen Stile angelegten Schlossgarten zu Ende gegangen ist, so
kommt man auf eine Landstraße, die durch einen großen Wald geraden Weges
über den Taunus führt; verlässt man aber nach wenigen Schritten die
Landstraße, links abbiegend, und die überall angebrachten Wegweiser sorgen
dafür, dass man den Weg nicht verfehlt. So kommt man nach der Meierei, einem
beliebten Vergnügungsorte der Homburger Kurgäste.
Unter einer schattigen Eiche sitzt an einem großen Tische eine Gesellschaft;
es sind unverkennbar Juden. fromme Juden; ...
die zur Kur hier ist, die andern erfreuen sich festester Gesundheit. Neben
ihrem kranken Mann sitzt Auguste, liebevoll um diesen besorgt, und voller
Aufmerksamkeit für ihn. Vor zehn Jahren noch war Wolfseck ein jugendlich
aussehender Mann, während Auguste schon zu altern begann; jetzt ist Wolfseck
ein hinfälliger Greis; aber seine Gattin scheint in zweiter Jugend erblüht
zu sein; und doch hat sie schon eine zahlreiche Enkelschar. Dort spiele sie
im Garten umher; fünf davon gehören Wilhelmine und Napthali an und drei sind
aus Moritz und Adelheids Ehe hervorgegangen. Auch diese sitzen am Tische und
das vierte würdige Ehepaar mit etwas englischem Anstriche, das sind Mr. und
Mrs. Löwenhaupt; sie sind die Helden des Tages; sie feiern heute das
Jubelfest einer fünfundzwanzigjährigen glücklichen Ehe und 'my good lady
'has' always right', heute wie vor fünfundzwanzig Jahren. Man wollte dieses
Familienfest nicht ohne Herrn und Frau Wolfseck feiern, und so waren Herr
und Frau von Löwenhaupt, Naphthali und Wilhelmine, Moritz und Adelheid,
nebst den Kindern, von B. hierher gekommen, während die alten Ruhdorfs nebst
Rosenstock und Martha zur Führung der beiden Geschäfte in B. zurückgeblieben
waren.
Während man in heiterer Stimmung den schönen Sommernachmittag genoss; kam
Naphthalis ältester sechsjähriger Sohn und bat den Onkel Moritz, ihn in
einen andern Teil des Gartens zu führen, wo eine Harfenistin 'schöne Lieder'
singe. Der Kleine liebte Musik und Gesang über alles und war nach Kinderart
nicht wählerisch in diesen Genüssen. Moritz tat ihm den Gefallen.
Die Harfenistin war eine noch junge Person; aber auf ihrem Gesichte, das
einst schön gewesen, hatten Elend und alle Arten von Leidenschaften ihre
tiefen Spuren eingegraben. Moritz fiel dieses Gesicht auf. Wo hatte er es
doch gesehen?
Die Harfenistin ging bei dem zahlreich anwesenden Publikum die Gaben
einsammelnd umher. Moritz warf ein großes Geldstück auf den Teller. Die
Harfenistin sah ihn dankbar an und
seufzte.
'Ach, schöner Herr', sagte sie, 'mir ist es nicht an der Wiege gesungen,
dass ich auf diese Weise mein Brot erwerben muss.' |
Während
sie sprach, betrachtete Moritz sie genauer. Immer deutlicher wurde ihm die
Erinnerung. Er hatte dieses Weib schon gesehen, aber hoch zu Ross.
'Mir deucht,' sagte er, 'ich habe Sie schon früher gesehen.'
'Möglich, ich bin viel in der Welt umher gekommen.'
'Mir deucht, ich hätte Sie einmal zu Pferde gesehen.'
'Möglich, möglich, ich war eine famose Reiterin, zum Leidwesen des armen
Wolfseck.'
Moritz stand wie vom Donner gerührt. Ja, sie war es, die Gräfin Aurora von
Hohenlinden, die einstige Gattin seines Vaters. Endlich fasste er sich.
'Wo wohnen Sie?', fragte er.
Sie nannte ihm ein ordinäres Wirtshaus.
'Erwarten Sie mich heute Abend um neun Uhr.'
Voller Aufregung kehrte Moritz zu seiner Gesellschaft zurück, wohin der
kleine Arthur gelaufen war, erzählend, dass sich Onkel Moritz mit der
Harfenistin unterhalte.
Alle wollten den Gegenstand der Unterhaltung wissen. Adelheid stellte sich
eifersüchtig und neckte den ernst dareinschauenden Moritz unaufhörlich; aber
ihre Scherzreden fanden diesmal keinen Anklang.
Auf dem Heimwege nahm Moritz seinen Schwager Naphthali unter den Arm und
erzählte ihm sein Erlebnis. Naphthali versprach, ihn zu begleiten. Er kannte
natürlich die ehemalige Frau von Wolfseck besser als Moritz, der sie nur
einmal flüchtig gesehen hatte, als sie umgeben vom Schwarme ihrer Verehrer
durch die Straßen von B. ritt.
Zur bestimmten Stunde fanden sich die beiden Männer in dem bezeichneten
Wirtshause ein.
'Sie ist es!' rief Naphthali, als er die Harfenistin erblickte.
Man ließ sich ein besonderes Zimmer geben.
'Frau von Wolfseck', sagte Naphthali, 'mein Freund und ich, wir haben ein
Interesse an dem Namen, den Sie führen. Es wird Ihr Schaden nicht sein, wenn
Sie uns Ihre Erlebnisse seit Ihrer Flucht von B. erzählen.'
Die Harfenistin ließ sich nicht lange bitten. Sie war mit ihrer Mutter und
dem Marquis d’Argenteuil in der Welt herumgereist und hatte als angebliche
Frau Marquise lustig und in Freuden gelebt. Aber der Marquis war ein
Spieler. So ungeheuer die Summen auch waren, die Aurora von B. mitgenommen
hatte – wie verschwanden allmählich durch die Verschwendungssucht der beiden
Frauen und durch die Spielwut ihres Begleiters. Als das Vermögen nach
wenigen Jahren durchgebracht war, schoss sich der Marquis eine Kugel durch
den Kopf, und die Gräfin Hohenlinde starb im Hospitale. Aurora ging aufs
Theater; aber sie hatte kein Talent zur Schauspielerin, nicht Gedächtnis
genug, um die Rollen zu lernen. Sie sank von Stufe zu Stufe und fristete
nunmehr als Harfenistin ihr Leben.
'Sie haben,' sagte Naphthali, 'einst einen uns werten Namen getragen. Wir
wollen für sie sorgen und Ihnen eine bescheidene Existenz sichern.'
Mit Freuden willigte die Harfenistin ein. Die beiden Schwager mieteten ihr
in dem benachbarten Oberursel https://www.alemannia-judaica.de/oberursel_synagoge.htm
ein Zimmer und setzten ihr ein Jahresgehalt aus. Anfangs fühlte sie sich
überaus glücklich, bald aber war ihr das einfache Leben zu stille.Sie zog
wieder mit ihrer Harfe in die Welt hinaus und erlag nach kurzer Zeit einer
grauenhaften Krankheit, wie solche die Folge eines ausschweifenden Lebens zu
sein pflegt.
Als unsre Freunde nach B. zurückkehrten, erfuhren sie, dass während ihrer
Abwesenheit der Kaufmann Bernstein plötzlich und ohne Testament gemacht zu
haben, verstorben sei. Sein großes Vermögen fiel der ihm so verhassten
Schwägerin und ihren Kindern zu.
Diejenigen Personen, die wir Simon und Leah Ruhdorf, Wilhelm, Auguste,
Moritz und Adelheid von Wolfseck, Naphthali und Wilhelmine Ruhdorf, Rabbi
Aufer und Martha Rosenstock, Herr und Frau Löwenhaupt genannt haben, leben
noch heute. -
Wilhelm von Wolfseck zwar kränklich und schwach, die andern alle gesund und
froh mit ihren Kindern und Enkeln. Im Interesse unserer Leser tut es uns
leid, dass wir die wirklichen Namen dieser liebenswerten Leute nicht nennen
dürfen; sie verdienten es, dass man sich bemühe, ihre Bekanntschaft zu
machen."
Anmerkungen: - Schlosspark:
https://www.bad-homburg.de/de/erleben/entdecken/landgraefliche-gartenlandschaft/schlosspark
- Meierei:
http://www.kleiner-tannenwald.de/meierei/ |
Beitrag der israelitischen Kultusgemeinde zum Bau der
protestantischen Kirche (1874)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 1. September 1874: "Homburg, 19. August. Der 'Trierer
Volkszeitung' wird von hier ein Akt wirklicher Toleranz mitgeteilt. Die
hiesige israelitische Kultusgemeinde hat nämlich dem protestantischen
Presbyterium in Homburg als Beitrag zum Bau der protestantischen Kirche 60
Gulden zukommen lassen."
Anmerkung: Kirche:
https://de.wikipedia.org/wiki/Evangelische_Kirche_(Gonzenheim) |
Louis
Lehman übt wieder Kritik an einigen Gemeindeverhältnissen (1876)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 29. Februar 1876: "Homburg v. d. H., 7. Feb. (Privatmitteilung)
Eine hier bestandene Verordnung verbot jede israelitische Privatandacht und
ließ nur solche in den 7 Trauertagen bei Sterbefällen zu, sowie diejenigen
der sogenannten Maariw Chebroh. - Diese Verordnung in bester Absicht von der
früheren landgräflichen Regierung erlassen – um Separierungen in der
Gemeinde zu verhüten – hat nichtsdestoweniger schon zu verschiedenen
Streitigkeiten Veranlassung gegeben. So wurde z. B. vor 2 Jahren ein Matador
der 'Frommen' in Frankfurt, der
als Kurgast hier anwesend, in seiner Behausung Minjan machte, vor Gericht
belangt, dort aber nach einer selbst geführten, sehr schönen
Verteidigungsrede freigesprochen. Diese Verordnung verträgt sich nun einmal
nicht, weder mit dem Buchstaben, noch mit dem Geiste der preußischen
Verfassung und es gibt glücklicherweise andere und bessere Mittel, um Fremde
und Einheimische das geräumige neue Gotteshaus aufsuchen zu lassen. Man
sorge, dass es dort anständiger zugehe, geben den öffentlichen
Mitzwosverlauf, verbiete den Wohltätigkeitsvereinen ihre Torarollen (über
die Trauerzeit eines Leidtragenden hinaus) zu verleihen, teile den
Sabbat-Morgengottesdienst in zwei Teile, damit die fremden Kurgäste nicht zu
spät kommen etc etc.
Als Chronik unserer jüdischen Gegenwart, die ihr Blatt sein soll, teile ich
Ihnen nun die Annullierung der früheren Verordnung mit, spätere Mitteilungen
vorbehaltend. - L. Lehmann."
Anmerkungen: - Sieben Trauertagen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Schiv'a
Maariw:
https://de.wikipedia.org/wiki/Maariw_(Judentum)
Chebroh = Chevra (Hl. Bruderschaft):
https://de.wikipedia.org/wiki/Chewra_Kadischa
Minjan:
https://de.wikipedia.org/wiki/Minjan
Sabbat-Morgengottesdienst: Gottesdienst am Samstagmorgen
Louis Lehmann: vgl.
Artikel
zum Tod von Louis Lehmann (1900) |
Ein neues Leichenhaus wird auf dem Friedhof gebaut -
und weitere Mitteilungen aus dem Gemeindeleben (1884)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 6.
April 1884: "Homburg v.d. Höhe, 24. April 1884: "In allernächster
Zeit wird hier zum Bau eines Leichenhauses geschritten, da sich das Bedürfnis
nach einem solchen fortwährend gesteigert hat, Schon oft musste der Rabbiner
seine Rede abkürzen oder gar unterbrechen, weil Zugluft, Nässe und Kälte zu
fühlbar wurden oder der Regen in Strömen herabgoss. Es ist aber auch schon
vielfach vorgekommen, dass Fremde, die hier Heilung von gefährlichen Leiden
suchten, plötzlich starben, interimistisch untergebracht werden mussten oder
dass deren Verwandte hierdurch veranlasst, die Leiche nach weit entfernter
Heimat verbringen ließen. - Es wird deshalb der der Leichenhalle ein heizbares
Wärter- und ein größeres Leichenzimmer nebst sonstigen Räumen verbunden sein,
die Baukosten sich aber nicht über 5-6000 Mark belaufen. Ein kürzlich von hier
weggezogenes früheres Vorstandsmitglied, Herr Michael Kaufmann in Frankfurt am
Main, spendete hierfür 2000 Mark, wozu noch freiwillige Gaben von Privaten und
Vereinen kommen oder in Aussicht stehen. - So hat in relativ kurzer Zeit - 20
Jahre - unsere Gemeinde Synagoge, Friedhof und Leichenhaus und last not least
ein neues Gemeindehaus, verbunden mit herrlichen Schulräumen etc. neu
erstehen sehen, obschon durch den Wegzug begüterter Familien und bei sehr
veränderten Geschäftsverhältnissen sich die Steuerkraft vermindert hatte.
Eine gleich größere Tätigkeit und ein Streben mehr zu leisten, zeigt sich
erfreulicherweise auch bei unseren Wohltätigkeitsvereinen. - Wenn die Welt
draußen uns Juden jetzt feindlich ist, so wollen wir uns in unsere Gemächer
zurückziehen ad ki jaabor hasaam (= bis die Gefahr vorbei ist), um, wenn der Sturm vorüber, wieder
mit Allen im allgemeinen Garten der Menschheit zu wandeln. Bis dahin dauert es
aber eine geraume Zeit, denn es ist zu viel Verleumdung, Hass und Bosheit in die
Menschenherzen gebracht worden. Pflegen wir daher einstweilen mit aller Energie
das, was unser Eigen ist. 'Wenn die Rose selbst sich schmückt, schmückt sie
auch den Garten.'
Von einer Neuerung bei unserem Sabbat-Gottesdienst respektive von der
Wiedereinführung eines uralten schönen Gebrauchs, der Erklärung des gelesenen
Wochenabschnittes und der Haphtorah (= Prophetenabschnitt aus der Bibel)
seitens unseres Herrn Rabbiners Herr Dr. M. Appel, muss ich Ihnen noch berichten
und haben sich diese Vorträge eines allseitigen Beifalls zu erfreuen. Zu den
großen Verdiensten, die Herr Dr. Appel sich seit Jahren um Unterricht und
Erziehung unserer israelitischen Schuljugend erworben - Verdienste, die
allseitig gewürdigt werden - fügt er neue hinzu, indem er nun das religiöse
Wissen und den Sinn für das Gute und Edle auf sinnige Weise auch bei der
älteren Generation zu wecken oder zu vermehren versteht. Ehre solchem Streben!
Louis Lehmann." |
Das neue Leichenhaus ist fertig (1884)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
30. Dezember 1884: "Homburg vor der Höhe, im Dezember (1884).
Das von der hiesigen israelitischen Gemeinde neu erbaute Leichenhaus,
welcher vor zwei Monaten zur Vollendung gelangt ist, verdient seiner
praktischen inneren Einrichtung sowohl, als wegen seines so sehr
gelungenen Baustils der allgemeinen Beachtung, und dieses umso mehr, als
es zu einem derartigen Gebäude keine Gelegenheit zu einem Vorbilde gibt,
indem kleinere Gemeinden mit Leichenhäusern nicht versehen sind, während
die in großen Gemeinden vorhandenen, wegen ihrer umfangreichen und
kostspieligen Einrichtungen nicht als Muster dienen konnten.
Das Leichenhaus der hiesigen israelitischen Gemeinde wurde um den geringen
Betrag von Mark 6.000 hergestellt.
Dem Herren Baumeister Louis Jacobi hier, welcher den Plan zu diesem
Leichenhause entworfen hat, und unter dessen Leitung dieser wohlgelungene
Bau ausgeführt worden ist, wurde deßfalls von dem israelitischen
Kultusvorstande wohlverdienterweise ein besonderes Dank- und
Anerkennungsschreiben zugestellt."
Anmerkungen: - Louis Jacobi:
https://de.wikipedia.org/wiki/Louis_Jacobi und
https://www.lagis-hessen.de/pnd/11703861X |
Gründung eines "Israelitischen
Mädchen-Ausstattungs-Vereins" (1887)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 7. April 1887: "In Homburg vor der Höhe war, wie der
Bericht ergibt, auch die verflossenen Jahre der 'Israelitische
Armen-Holz-Vereins' tätig. Es wurde aber auch im verflossenen Jahre ein
'Israelitischer Mädchen-Ausstattungs-Verein' gegründet, indem dem
desfalsigen Aufruf, 'alsbald von allen Seiten ermunternde und
beglückwünschende Beitrittserklärungen, verbunden mit sofortigen
Einsendungen von Jahresbeiträgen und Spenden' folgten. Bedenkt man, wie
klein der Kreis derer ist, von welchen die bestehenden anderen Spenden
erwarten kann, so ist es gewiss erfreulich, dass die Einnahmen Mark 652
betragen, welche den Grundstock des Fonds bilden sollen. Es scheint also
auch diesem Vereine eine segensreiche Wirksamkeit bevorzustehen."
Anmerkungen: - Desfalsig:
https://www.dwds.de/wb/dwb2/desfällig
- Mädchen-Ausstattungsverein: Verein, der die Aussteuer bezahlt. |
Gemeindebeschreibung von 1887
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
14. Juli 1887: "Bad Homburg, 13. Juli. Unsere liebliche
Badestadt mit den sie umgebenden schönen Bergen und Tälern, den bei dieser
tropischen Hitze Kühlung schenkenden Wäldern und prachtvollen Kuranlagen,
ihren heilkräftigen Quellen, wird jetzt wieder von Tausenden besucht, welche
hier Genesung oder Linderung von ihren Leiden oder Erquickung und Erholung
suchen und finden. Jedem Besucher unseres Badeortes muss es auffallen, dass
das einzige monumentale, gottesdienstliche Gebäude in unserer Badestadt die
Synagoge ist. Wenn man vom Schlossgarten oder vom kleinen Tannenwalde aus
die Stadt überschauet, so haftet das Auge sofort an der Synagoge, die mit
ihren vier Kuppeln alle übrigen Häuser der Stadt um ein Bedeutendes
überragt. Hamburg besitzt außer der kleinen, unscheinbaren englischen Kirche
kein eigentliches kirchliches Gebäude. Die lutherische Gemeinde, die bei
weitem größte der Stadt, hält ihre Gottesdienste der Schlosskirche ab. Die
kleine katholische Gemeinde sammelt seit Jahren einen Baufonds, der aber vor
einigen Monaten beim Zusammenbruch der hiesigen Gewerbebank verloren wurde,
sodass man aufs Neue zu sammeln beginnen muss. -
Die Synagoge wurde im Jahre 1868 erbaut und ist ein schönes, lichtvolles und
geräumiges Gebäude. Die Gemeinde zählt 110 Familien, welche mit wenigen
Ausnahmen der orthodoxen Richtung angehören. Sämtliche Läden, bis auf zwei
oder drei, sind am Sabbat streng geschlossen. Als Rabbiner fungiert Herr
Dr. Kotteck, ein ehemaliger Schüler des unter Dr. Hildesheimers Leitung
stehenden orthodoxen Rabbinerseminars zu Berlin: Derselbe erteilt auch den
Religionsunterricht. Mehrere Vereine singen für die religiöse Fortbildung
der Männer und Jünglinge. Als Kantor fungiert seit länger als 30 Jahren
Herr Abraham Braunschweig, dessen vorzügliche Restauration sich weit und
breit eines wohlverdienten Rufes erfreut.
Erster Vorsitzender ist Herr Rechtsanwalt Dr. Bing, der ebenfalls auf
streng-orthodoxem Standpunkte steht und jeden Tag, morgens und abends, die
Synagoge besucht. Unsre Gemeinde ist eine sehr alte; vielleicht berichte ich
Ihnen ein anders Mal, was Bemerkenswertes, teils Geschichte, teils Sage,
sich hier ereignet hat oder ereignet haben soll."
Anmerkungen: - Synagoge:
https://de.wikipedia.org/wiki/Synagoge_(Bad_Homburg_vor_der_Höhe)
- Englische Kirche:
https://de.wikipedia.org/wiki/Englische_Kirche_(Bad_Homburg)
- Lutherische Gemeinde:
https://www.bad-homburg.de/de/erleben/entdecken/schloss/schlosskirche
- Rabbiner Dr. Kotteck: vgl.
Artikel zum Tod von Rabbiner Dr. Heymann Kotteck von 1865
- Dr. Hildesheimer:
https://de.wikipedia.org/wiki/Esriel_Hildesheimer
- Kantor Braunschweig: vgl.
Artikel zum 70. Geburtstag des Kantors Adolf Braunschweig (1895)
- Restauration: vgl.
Artikel zur Eröffnung der Restauration von Kantor Braunschweig (1865)
|
70-jähriges Bestehen des Israelitischen
Armen-Holz-Vereins und zweijähriges Bestehen des Mädchen-Ausstattungsvereines
(1888)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 15. März 1888: "Neben großen Vereinen in großen Städten darf man
das Aufblühen ähnlicher Veranstaltungen in kleineren Gemeinden nicht
übersehen, da es hier die weise Benutzung der in geringerem Maße vorhandenen
Mittel gilt. So besteht in Homburg v. d. H. ein 'Israelitischer
Armen-Holz-Verein', welcher dieses Jahr seinen siebzigsten Gründungstag
feierte und seit zwei Jahren einen Zweigverein 'Zur Ausstattung
israelitischer Mädchen' gründete. Jene Feier wird in dem Berichte in einem
schönen Gedichte und einer recht lesenswerten Einleitung begangen. Durch
zahlreiche Geschenke nahmen die Einnahmen die Höhe von 5.553 M. ein, wovon
3.976 M. neu angelegt wurden, wodurch das Vermögen des Vereins aus 6.214 M.
besteht. Die Bilanz des Mädchen-Ausstattungsvereins zeigt 1.168 M., von
denen jedoch noch keine Unterstützung gewährt werden. Das sind gewiss schöne
Resultate, die der Tätigkeit des Vorstandes alle Ehre machen!" |
Jahresbericht des Israelitischen Armen-Holz-Vereins
und des Mädchen-Ausstattungs-Vereins von 1888 (1889)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
7. März 1889: "Homburg v. d. H. Dem Bericht des israelitischen
Armen-Holz-Vereins und Vereins zur Ausstattung israelitischer Mädchen zu
Homburg v. d. Höhe entnehmen wir:
Ein neues, glänzendes Zeugnis von dem, selbst von den schärfsten Gegnern,
anerkannten Wohltätigkeitssinn unserer Glaubensgenossen, hat uns das
abgelaufene Vereinsjahr gebracht. Mit erhebendem Gefühle blicken wir auf
dasselbe zurück. Immer mehr wächst am hiesigen Platze die Erkenntnis, dass
es heilige Pflicht ist, an ernsten Erinnerungstagen und bei freudigen
Familienereignissen, nicht allein in herkömmlicher Weise der Notleidenden
direkt zu gedenken, sondern auch der für dieselben sorgenden Institute.
Diese Erkenntnis in Taten umgesetzt, verbirgt den immer mehr erblühenden
Bestand unserer Wohltätigkeitsvereine… Wohl kann eine politische oder eine
Kultusgemeinde für ihre Bedürfnisse Steuern ausschreiben und diese müssen
gezahlt werden, auch von denen, die das ganze Jahr über mit zugeknöpften
Taschen umhergehen, Werke der Barmherzigkeit aber werden nur gefördert von
freiwilligen Gaben solcher Personen, denen
das herrliche Wort 'Zdokoh' – die mit Liebe gepaarte ausgleichende
Gerechtigkeit gegen seine Mitmenschen – kein leerer Schall ist. - So nur ist
es möglich geworden, dass in unserer verhältnismäßig kleinen Gemeinde 7
Wohltätigkeitsverein vorhanden sind und dass außerdem für lokale und
auswärtige Hilferufe, kommen sie von Juden oder Nichtjuden, die Hände bereit
sind, zu geben. Wahrlich das große Herz Israels zeigt sich im Kleinen wie im
Großen, im Besonderen wie im All-gemeinen!
Der Holzverein hat im abgelaufenen Jahre 3 Doppelwaggons Kohlen d. i. 600
Zentner Steinkohlen und 6 Raummeter Buchenholz zur Verteilung gebracht.
Diese Unterstützung beanspruchten 10 Familien und 7 alleinstehende Personen.
Die Zahl der Empfänger, die vor wenigen Jahren noch 20 betrug, hat sich
demnach erfreulicherweise um 3 vermindert. Das Vereinsvermögen erreichte in
diesem Jahre die Summe von Mk. 6.616,52 (gegen Mk. 6.214,29 im vorhergehende
Jahre).
Der jüngere Bruder dieses Vereins, dessen Tätigkeit vorerst nur in der
Ansammlung eines Fonds besteht, ist der Verein zur Ausstattung
israelitischer Mädchen. Trotz erheblicher, fast unglaublich erscheinender
Schwierigkeiten und Hindernisse, die öfters den Weg versperren – gewinnt der
Verein fortwährend an Ausdehnung und Sympathie. In der kurzen Zeit seine
Bestandes – seit Mai 1886 – hat derselbe eine recht stattliche
Mitgliederzahl aufzuweisen, dabei erwarten wir noch mit Zuversicht die
baldige Beitrittserklärung hiesiger und auswärts wohnender Heimatgenossen.
Deß-gleichen beträgt der Grundstock unseres Vereins die Summe von Mk.
3.196,19 (gegen 1,766,58 im Vorjahre)."
Anmerkungen: - Zdokoh:
https://de.wikipedia.org/wiki/Zedaka
https://de.chabad.org/parshah/article_cdo/aid/702416/jewish/Was-ist-Zedaka.htm
- Israel: Jüdische Gemeinschaft
- Raummeter:
https://de.wikipedia.org/wiki/Raummeter " |
Jahresbericht
des Israelitischen Armen-Holz-Vereins und des Mädchen-Ausstattungs-Vereins von
1889 (1890)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 18. April 1890: "Homburg, 8. April. Sie haben in Nr.
8 der 'Allgemeinen Zeitung des Judentums' ein sehr günstiges Urteil über
einen von mir verfassten 'Rechenschaftsbericht' mehrerer hier bestehender
Wohltätigkeitsvereine gebracht. Ich freute mich sehr damit, nicht, weil ich
mich gerne gelobt sehe - in |
meinen
Jahren ist man darüber hinaus – sondern, weil sich die Leser jüdischer
Zeitschriften, wenn sie im Sommer geistige und körperliche Erfrischung in
unserem Badestädtchen suchen und finden, vielleicht beim Lesen eines ihnen
hier zugesandten 'Berichts', dessen erinnern und uns um so eher eine Spende
zukommen lassen. - Nächst dem nahen
Frankfurt a. M. nimmt Berlin den bedeutendsten Rang in unseren
Spendenlisten ein; an beiden Orten sind noch viele Herzen zu finden, die
einen edlen Gebrauch von ihren Glücksgütern zu machen verstehen. - Durch
solche Spenden ist es uns möglich geworden, die Leistungen des
Israelitischen Armen-Holz-Vereins auf das Doppelte (von 300 auf 600 Mk. für
Holz und Steinkohlen) und den Kapitalstock von 2.500 auf 7.000 Mark zu
erhöhen. Außerdem sind wir durch diese Erfolge ermutigt worden, einen hier
einst bestehenden, in den 40er Jahren durch die Ungunst der Verhältnisse
aufgelösten 'Verein zur Ausstattung israelitischer Mädchen' wieder ins Leben
zu rufen. 'Was unsere Väter mit Trauer im Herzen untergehen sahen, wir, ihre
Kinder und Enkel, lassen es neu erstehen im Lichte einer bessern Zeit!'.
Dieser im Frühjahr 1886 neu begründete Verein bezweckt, unbemittelten
Mädchen ein Stab und Stütze zu werden, bei Ausbildung für einen Lebensberuf,
bei Begründung eines Geschäfts oder einer Häuslichkeit. Hohe
weitausgesteckte Ziele. - Wer das Los eines armen, alternden Mädchens
betrachtet, den muss großes Mitleid ergreifen. Jene Mädchen stehen meist
ganz vereinsamt da oder sind vielen Demütigungen seitens ihrer Umgebung
ausgesetzt, fallen auch nicht selten der öffentlichen Wohltätigkeit anheim.
Ihr Gemüt fühlt sich beständig tief verbittert, und was solchen
Unglücklichen am meisten wehe tut, sie betrachten sich mit der Zeit als
überflüssige Mitglieder der menschlichen Gesellschaft, die von ihrem
traurigen Schicksal nichts weiß, nichts wissen will. Mich jammerte das
traurige Geschick jener verlassenen Personen und nach Rücksprache mit
heimischen Freunden und nach Erkundigungen bei auswärtigen namhaften und
weitblickenden Männern ward das Wort unternommen, und zwar mit aller nur
möglichen Kraftanstrengung. Ja, es bedarf großer Ausdauer und voller
Hingebung, um an einem kleinen Platze einen solchen Verein in die Höhe zu
bringen, denn sein Wirken kann nur geräuschlos vor sich gehen. Seine Taten
sind wenig in die Augen fallend, seine Zwecke mehr idealer Natur, von der
großen Menge zum Teil unverstanden, aber die Hilfe Gottes hat uns noch nicht
verlassen. Günstiger steht es mit dem seit über 70 Jahren hier wirkenden
'Israelitischen Armen-Holz-Verein', dessen Hilfeleistungen durch
dringendsten Bedürfnissen des Alltagslebens entsprechen. Alljährlich, wenn
die Nebel des Herbstes sich zusammenballen, wenn der scharfe Wind über die
leeren Fluren streicht, steht man hier schwer beladene Wagen mit Holz und
Kohlen über die Straße fahren, um bei unbemittelten Mitgliedern der hiesigen
Gemeinde abgeladen zu werden. Jeder, der diese Hilfe in Anspruch nimmt,
selbst derjenige, der noch Haus und Hof besitzt, erhält mit größter
Diskretion den ihm zugedachten Anteil. Noch nie ist ein Missbrauch
vorgekommen. Dagegen waren wir im Laufe einer langjährigen Tätigkeit oft so
glücklich, von vielen Familien benachrichtigt zu werden, dass die Zeit der
Not und der Trübsal vorüber und dass die jetzt erwachsenen Kinder selbst im
Stande seien, die Pflichten zu übernehmen, für die bisher andere eingetreten
waren. Aber die entstandenen Lücken bleiben nicht: Bald nahen neue
Hilfesuchende, denn, wie unsere Weisen sprachen: 'Gilgol jesch beolom!' 'Das
Rad des Geschickes kreist beständig auf Erden', und während es den einen
hinaufhebt, lässt es den anderen hinunter sinken. So ist es gekommen, dass,
während die Zahl der in hiesiger Gemeinde seither Unterstützten von 19 auf
14 heruntergegangen, sich die Notlage auf umliegende Ortschaften vergrößert
hat und wir den Beschluss gefasst haben, hier helfend einzutreten, ehe es zu
spät ist. Denn die Armut afu dem Lande ist, wenn sie einmal ausgebrochen,
viel trauriger und schwerer zu heilen als in den Städten, wo mehr Mittel und
Einrichtungen zu deren Bekämpfung vorhanden sind. Die Vorschläge die wir
neuerdings zur Hebung und Sicherung dieses Vereins gemacht haben und die
jüngst in diesen geschätzten Blättern als nutzbringend und daher als
selbstverständlich angenommen betrachtet wurden, haben bis jetzt noch nicht
die Billigung unserer Mitglieder gefunden. Wir greifen hier nur zwei
Bestimmungen heraus, nämlich, dass der Verein unter Aufsicht des jeweiligen
Kulturvorstandes gestellt wurde. Diesem – der bei reger Beteiligung der
hiesigen Gemeindemitglieder in freier direkter Wahl unter Aufsicht eines
Regierungsbeamten gewählt wird – soll die Befugnis zustehen, bei zu spärlich
besuchten Generalversammlungen die Prüfung der Abrechnung selbst zu
besorgen, den eisernen Fond in Verwahrung zu nehmen und einen Vorstand
wählen zu können, damit nicht alles dem Zufall anheim gegeben sei. Nach
Rücksprache mit bedeutenden und erfahrenen Männern aus kleinen Gemeinden,
halte ich diese Bestimmung in den Statuten unserer Vereine für sehr
notwendig, sie verhütet manches, was durch zu große Selbständigkeit, bei
vielfach vorhandenen Indifferentismus, sich als große Gefahr für die Zukunft
erweisen könnte.- Ein zweiter Vorschlag war derjenige, dass unser Verein
solchen ehrenhaften Mitgliedern unserer Gemeinden, welche den untersten
Steuerklassen angehören, die Gelegenheit zur Selbsthil-fe reichen sollte,
indem die Betreffenden durch kleine wöchentliche Ratenzahlungen (etwa von
Mai bis September) das Anrecht auf je 1 Wagen Steinkohlen – das ist 40 – 50
Zentner – zu den billigsten Engros-Preisen erwerben könnten. Hierdurch würde
unser Holz-Verein zugleich einer der einfachsten und billigsten
Konsumvereine werden, in einer Zeit, in welcher das Heizmaterial so teuer
geworden. Werden diese Auseinandersetzungen die Zwecke, die ich damit
verfolge, errei-chen, nämlich, dass sie den hiesigen Leser nochmals zum
Nachdenken und zur Erfüllung meiner Wünsche bringen, und werden sie
vielleicht in kleinen Gemeinden anregend auf die Bildung und Hebung von
Wohltätigkeitsvereinen wirken, dann werde ich froh sein, als einer der
ältesten Mitar-beiter dazu beigetragen zu haben, dass wir im eigenen Lager
Hand anlegen zur Besserung unserer Institutionen. Louis Lehmann."
Anmerkungen: - Konsumverein:
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Konsumvereinen
- Louis Lehmann: vgl.
Artikel
zum Tod von Louis Lehmann (1900) |
Jahresbericht des Israelitischen Armen-Holz-Vereins
(1891)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
19. Februar 1891: "Homburg. Der hiesige israelitische
Armen-Holz-Verein, der nunmehr eine 25jährige segensreiche Tätigkeit hinter
sich hat, brachte im vergangenen Jahre 522 ½ Zentner und 6 Raummeter
verkleinertes Holz an 10 Familien und 5 alleinstehende Personen zur
Verteilung. Die Ausgabe hierfür, wie für 88 Zentner Steinkohlen für
Hilferufende vom Lande betrugen 737 Mark. Der 1886 von diesem Verein ins
Leben gerufene Ausstattungsverein für israelitische Mädchen weist 64
Mitglieder mit einem Jahresbeitrag von 433 Mark auf und besitzt ein Vermögen
von 6.512 Mark. Kleinere Unterstützungen war der Verein schon in der Lage zu
gewähren und wird für die nächsten fünf Jahre 2.000 Mark auf einmal zu geben
in der Lage sein." |
|
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 19. Februar 1891: "Homburg v. d. H., 15. Februar. Der
Jahresbericht des Israelitischen Armen-Holz Vereins und des Vereins zur
Ausstattung israelitischer Mädchen ist soeben zur Ausgabe gelangt und legt
ein schönes Zeugnis von dem gedeihlichen Wirken der beiden Vereine ab. Der
Vorsitzende beider Vereine, unser verdienstvoller langjähriger Mitarbeiter,
Herr Louis Lehmann, verbindet mit diesem Bericht zugleich die Übersicht über
ein fünfundzwanzigjähriges Wirken im Interesse des Holzvereins. Für wahr,
ein erhebendes Bewusstsein, ein solches Jubiläum der humanitären Tätigkeit
feiern zu dürfen. Möge es dem verehrten Manne noch lange Jahre hindurch
vergönnt sein, so segensreiche Tätigkeit zu entfalten!"
Anmerkungen: - Raummeter:
https://de.wikipedia.org/wiki/Raummeter
Louis Lehmann: vgl.
Bericht
zum Tod von Louis Lehmann (1900) |
Kollekte der Mädchen der Gemeinde zu Gunsten der russischen
Juden (1891)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
2. Juli 1891: "Homburg v. d. H. Unter den hiesigen jungen Mädchen
herrscht augenblicklich eine fieberhafte Tätigkeit. Dieselben wetteifern
miteinander, angeregt durch die hierher gelangten Briefe der bekannten
'Schneeball-Kollekte', zu Gunsten der russischen Juden, eine möglichst große
Summe in ihrem Bekanntenkreis zusammenzubringen. Nach den Bestimmungen
dieses Briefes soll der Empfänger diesen zweimal abschreiben und an zwei
Freundinnen schicken, letztere sollen dasselbe tun usw. Entgegen diesen
Bestimmungen, würde der Brief an die meisten jungen Mädchen hier verteilt,
die nun persönlich ihre Bekannten um milde Gaben für genannten Zweck angehen
und auch recht gute Resultate erzielen. Die zusammengebrachte Summe wird auf
einmal dem Komitee in Berlin übersandt, wodurch Spesen erspart werden. Wegen
seiner Einfachheit verdient dieses Verfahren auch in anderen Gemeinden
Nachahmung."
Anmerkung: - Schneeball-Kollekte:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kettenbrief |
Frage nach der Unterbringung der vertriebenen
russischen Juden (1891)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
31. August 1891: "Homburg v. d. H., 28. Aug. Wie uns Herr
Baron von Hirsch, der einige Tage zum Besuche des Prinzen von Wales hier
anwesend war, mitgeteilt hat, sei ein Ausweg zum Unterbringen der
vertriebenen russischen Juden bis heute noch nicht gefunden. Eine ganze
Reihe hervorragender Männer seien fortwährend mit der Prüfung der Frage
beschäftigt und man hoffe zuversichtlich doch endlich eine Lösung
herbeizuführen zu können. So schnell freilich, wie dies für die Notlage der
Juden erforderlich ist, ginge dies nicht und dürfte das Transportieren der
Armen von einem Orte zum anderen noch eine Zeit lang andauern.
Auf unsere Frage, wie der Herr Baron glaube, dass die Vertriebenen, die doch
meistens dem Handwerkerstande angehören, wo sie doch nur auf den Ackerbau
angewiesen seien, meinte der Sekretär des Herrn Baron, Herr Barrelet, dass
man auch die Frage der Errichtung großer Fabriken, die die Produkte des
Landes wie carne pura etc. herstellen, in Erwägung gezogen habe und in
welchen diejenigen der Vertriebenen Beschäftigung finden soll, die sich
vermöge ihrer Körperkonstitution zum Landbau nicht eignen. Von der
Ansiedelung der Juden in Palästina ist Baron Hirsch ein großer Gegner, da
das Land seiner Ansicht nach sich durchaus nicht dazu eigne und auch die
türkische Regierung eine Kolonisation zu verhindern suchte. Bedauerlich sei,
dass eine sehr große Anzahl russischer Juden, die weder aus Russland
ausgewiesen, noch Schwierigkeiten in Bezug auf Beschaffung ihrer
Existenzmittel in Russland gehabt hätten, freiwillig ihre Heimat verlassen
und sich hierdurch in das große Unglück stürzen. Nach dieser Seite müsste in
Russland noch aufklärend gewirkt werden und sei hierzu in erster Linie die
russisch-jüdische Presse berufen.
Herr Baron Hirsch ist heute Mittag nach Mähren abgereist."
Anmerkungen: - Russische Juden: Juden lebten im Ansiedlungsrayon des
Russischen Reichs
https://de.wikipedia.org/wiki/Ansiedlungsrayon
- Baron von Hirsch:
https://de.wikipedia.org/wiki/Maurice_de_Hirsch
- Prinz von Wales: httphttp://www.zeno.org/Meyers-1905/A/Carne+puras://de.wikipedia.org/wiki/Eduard_VII.
- Carne pura:
http://www.zeno.org/Meyers-1905/A/Carne+pura
- Türkische Regierung:
https://de.wikipedia.org/wiki/Osmanisches_Reich
https://de.wikipedia.org/wiki/Abdülhamid_II. |
Erinnerung an die Pogromstimmung Anfang der
1850er-Jahre und die Unterstützung der jüdischen Gemeinde durch den Landgrafen
(1892)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
14. Januar 1892: "Homburg v. d. H. Ihr wertes Blatt
bringt in Nr. 100 eine Korrespondenz aus Homburg v. d. H., die in großen
Zügen die Geschichte der Homburger jüdischen Gemeinde skizziert und gibt
dies Veranlassung, diesen Bericht durch Mitteilungen zu ergänzen.
Es war anfangs der 1850er-Jahre als die Bewohner des Dorfes
Seulberg, welches zur Landgrafschaft
Homburg gehörte, sich gegen ihre jüdischen Mitbürger zusammenrotteten, weil
diese ihren Anteil an den Gemeindewaldungen forderten, und in edler
Kampfestaktik den Mut und durch Fenstereinschlagen, Häuserdemolierungen und
ähnliche Heldentaten zum Ausdruck brachten, sodass die jüdischen Einwohner
in der Nacht nach dem nahen Homburg flüchten mussten. Sobald der Landgraf
davon erfuhr, ging er aufs Schärfste gegen die Rädelsführer vor. Seulberg
erlebte damals die Proklamierung des Standrechtes gegen die Judenhetzer, die
dann auch zum befriedigenden Schadenersatz für alle Eigentumsverletzungen,
die sie sich zu Schulden hatten kommen lassen, angehalten wurden.
Landgraf Ferdinand war ein Grandseigneur im alten, echt vornehmen Sinne, er
machte keinen Unterschied zwischen den Angehörigen der verschiedenen
Konfessionen in seinem Lande. So wurde Rabbiner Fromm, der von 1851 – 1875
als Rabbiner fungierte, gar oft ins Schloss befohlen, wo der Fürst gern mit
dem gelehrten jüdischen geistlichen Gespräche pflog. Auch ließ sich der
Landgraf gar oft von dem bei ihm in hoher Gunst stehenden Rabbiner Fromm
über die Angelegenheiten der jüdischen Gemeinde Vortrag halten, und auf die
persönliche Fürbitte Rabbiner Fromm hin hatte dann auch der Landgraf zum
Neubau der jüdischen Synagoge einen namhaften Beitrag gezeichnet, ebenso wie
er auch die Bemühungen des Rabbiners bei den Behörden seines Landes um
Förderung des geplanten Baues aufs Freundlichste unterstützte. Der hohe Herr
bewahrte dieses Wohlwollen dem Homburger Rabbiner und seiner Gemeinde stets,
und noch kurz vor dem Ableben des Fürsten wurde genannter Herr Rabbiner als
Zeichen der Anerkennung mit einer Brillantnadel, die der Landgraf mit einem
überaus anerkennenden Handschreiben durch seinen Hofmarschall überbringen
ließ, beehrt.
Wenn daher in diesen Tagen der 25jährige Gedenktag des Baues der Synagoge
gefeiert worden ist, so ist es gewiss in vielen Herzen dabei auch des
Wohlwollens des edlen Fürsten gegen die jüdische Gemeinde Homburgs gedacht
worden, ebenso aber auch des langjährigen Wirkens des geistigen Führers, des
Herrn Rabbiner Fromm, dessen einflussreichen Bemühungen bei den Behörden,
dessen erfolgreiche Kollekten bei den die Badestadt besuchenden Kurgästen
wesentlich zur Erbauung des schönen Gotteshauses beigetragen haben."
Anmerkungen: - Landgraf Ferdinand:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ferdinand_(Hessen-Homburg)
- Rabbiner Fromm:
https://www.lagis-hessen.de/pnd/1140052071 sowie
Berichte auf
der Seite zum Rabbinat in Homburg |
Jahresbericht
des Israelitischen Armen-Holz-Vereins und des Mädchen-Ausstattungs-Vereins von
1891 (1892)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 18. März 1892: "Homburg v. d. H.,12. März. Die beiden
unter dem Vorsitz des Herrn Louis Lehmann stehenden Vereine, der
israelitische Armen-Holz-Verein, gegründet 1818 und Verein zur Ausstattung
israelitischer Mädchen bezw. Ausbildung für einen Lebensberuf, Begründung
eines Geschäftes oder einer Häuslichkeit (gegründet 1886), veröffentlichen
gemeinsam ihren Rechenschaftsbericht für das Jahr 1891. Derselbe zeugt von
erfreulichen Fortschritten hinsichtlich der Einnahmen und der Wirksamkeit.
Dem Bericht ist als poetische Beigabe ein Gedicht des Vorsitzenden, das
derselbe bei Gelegenheit seines 25jährigen Jubiläums als Vorsteher des
erstgenannten Vereins verfasst hat, angefügt."
Anmerkung: - Louis Lehmann: vgl.
Bericht
zum Tod von Louis Lehmann (1900) |
Vortrag von Rabbiner Dr. Munck (1893)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
30. November 1893: "Homburg v. d. H. Sozialismus und
Judentum, so lautete das Thema über welches Herr Provinzialrabbiner Dr.
Munck gestern Abend im vollbesetzten Saale des Schützenhofes im hiesigen
Klub 'Freundschaft' einen Vortrag hier und in diesem etwa Folgendes
ausführte: Die soziale Frage ist kein Kind der Neuzeit, sie bestand in allen
Staatengebilden, wo Herrschende und Besitzende einerseits und Beherrschte
und Besitzlose andererseits sich gegenüberstanden. In fast allen Ländern
ward diese Frage zeitweise akut und führte dann zu Revolutionen, Bürger- und
Bauernaufständen. Ein Staat des Altertums machte hiervon eine Ausnahme und
dies war der palästinensische Staat. Die Gründe hierfür erblickte Redner in
der vollständig nicht nur auf dem Papier durchgeführten Rechtsgleichheit
aller Bewohner des Landes, vom Könige herab bis zum Knechte; nach dem
Grundsatze, dass alle Menschen Kinder eines Vaters, Brüder seien. Neben der
Rechtsgleichheit bestand durch die biblische Gesetzgebung ein Ausgleich der
sozialen Klassen. Der Arme hatte einen gesetzlichen Anspruch an
Unterstützung. Dadurch, dass die Juden keinen Handel trieben, sondern
lediglich ein ackerbauendes und Handwerkervolk waren, hatte bei dem
Zinsverbot eine Ansammlung von Kapitalien keinen Wert. Nur produktiv
angelegte Kapitalien waren von Nutzen. Durch die biblischen Agrargesetze war
der völligen Verarmung der Familien vorgebeugt. Der Handwerker stand in
höchsten Ehren. Altersversicherung und Invaliditätsversicherung waren vor
3.000 Jahren im jüdischen Staate schon gesetzlich eingeführt. Selbst der
unfreie Knecht glich in nichts dem Sklaven der anderen Völker. Er war nie
ein Ding in den Händen seiner Besitzer, er war nur ein Arbeiter auf ewig,
dessen Behandlungsart jedem freien Dienstboten gleichstellt sein musste. Wem
heute nach 3.000 Jahren die moderne Staaten mit der sozialen Gesetzgebung
allerdings nur langsam vorgehen, so geschieht dies nach biblischem Vorbilde
und je rascher das Ideal der biblischen sozialen Gesetzgebung in einem
modernen Staate erreicht wird, desto eher ist er von den Gefahren, welche
die schroffen sozialen Gegensätze in sich bergen, gefeit. - Dieses in sehr
gedrängter Form die Ideen des Redners, welche in fast 1 ½ stündigem Vortrage
die Zuhörer fesselte. Der Redner verfügt über ein sehr anziehendes
wohlklingendes Organ und trug in formvollendeter Weise vor. Reicher,
wohlverdienter Beifall wurde dem Vortragenden zuteil." |
Jahresbericht
des israelitischen Armen-Holz-Vereins und des Vereins zur Ausstattung
israelitischer Mädchen von 1893 (1894)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 27. April 1894: "Homburg
v. d. H., im April. Der israelitische Armen-Holz-Verein (gegründet 1818)
und der Verein zur Ausstattung israelitischer Mädchen beziehungsweise
Ausbildung für einen Lebensberuf, Begründung eines Geschäfts oder einer
Häuslichkeit (gegründet 1886). Aus den Bilanzen beider Vereine ist zu
erkennen, dass sie fortwährend bestrebt sind, den hohen Zielen, die sie sich
gesteckt, näher zu kommen. Der Holzverein war nicht allein im Stande, allen
Anforderungen, welche 4 größere und 4 kleinere Familien, sowie 5
alleinstehende Personen an ihn stellten, mit 582 ¾ Zentner Steinkohlen und
einem Klafter geschnittenen Buchenholzes zu entsprechen, sondern er gewährte
auch noch mehreren Hilfesuchenden vom Lande, die zum Teil außerdem von
Frankfurt
Unterstützung erhalten. 43 ¼ Zentner Steinkohlen und Mk.7,82 übrig, welche
in Verbindung mit den ihm zuteil gewordenen Geschenken im Betrage von
Mk.305,79 den Kapitalstock gegen das Vorjahr um Mk.313,61 vermehrten.
Derselbe hat jetzt die Höhe von Mk.8,242,85 erreicht, eine Summe, die bei
der Beliebtheit des Vereins, der eine der notwendigsten Lebensbedürfnisse
der Armen zu befriedigen sucht, uns die schönsten Aussichten für die Zukunft
des Holzvereins eröffnet. Der Mädchen-Ausstattungsverein dagegen hat in
seinem fast 8jährigen Bestande noch wenig geleistet, weil er vorerst noch
mit der Schaffung eines Kapitalstocks beschäftigt ist. Außer seinem
Spendenanteil von Mk.1.417,94 vereinnahmte der Verein circa Mk. 1.000 an
Beiträgen und Zinsen, eine Summe, die uns schon jetzt befähigen würde, alle
4 Jahre Mk. 4.000 für unseren Vereinszweck herzugeben, also mit viel
größeren Gemeinden wetteifern zu können. Der Vorstand ist Louis Lehmann,
unser verehrter alter Mitarbeiter, der auch diesem Bericht einige warm
empfundene poetische Worte und Verse mit auf den Weg gegeben hat.
Anmerkungen: - Klafter:
https://de.wikipedia.org/wiki/Klafter
- Louis Lehmann: vgl.
Bericht
zum Tod von Louis Lehmann (1900) |
Jahresbericht
des Israelitischen Armen- Holz-Vereins und des Mädchen-Ausstattungs-Vereins (1898)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
25. April 1898: "Worms. Vor mir
liegen die Jahresberichte des israelitischen Holzvereins und des Vereins zur
Ausstattung israelitischer Mädchen zu Homburg v. d. Höhe für die
Jahre 1896 und 1897. Wir müssen gestehen, diese Berichte heben sich gewaltig
von denen anderer Vereine ab. Ein eigentümlicher poetischer Reiz ist über
diese Berichte ausgegossen. Die vielsprechenden Zahlen sind von einem
herrlichen Rahmen umgeben, wodurch sich uns ein prächtiges Bild frisch
pulsierendes Vereinsleben präsentiert. Dafür steht auch Herr Louis
Lehmann, der bescheidene, für alles Edle und Gute begeisterte Mann an
der Spitze. Der Holzverein, welcher im Jahre 1818 gegründet wurde,
hat im Jahre 1896 in Homburg an 10 Familien und drei alleinstehende Personen
40 Zentner Rußkohlen und 670 Zentner melierte Kohlen zur Verteilung
gebracht, sodann 87 Zentner Rußkohlen, 16 Zentner Buchenholz und drei
Zentner Kiefernholz.
Der Verein zur Ausstattung israelitischer Mädchen, gegründet 1886,
hatte im Jahr 1896 die Freude, einem Mädchen behufs Ermöglichung seiner
Verheiratung eine Mitgift von 3.500 M. auszuzahlen. Außerdem zählte dieser
Verein für ein begabtes junges Mädchen, das sich zur Lehrerin ausbildet,
monatlich M.30. Dabei war er im Stande gewesen, dem eisernen Kapitalstock M.
917,82 zuzuführen.
Im Jahre 1897 hat der Verein an zwei Mädchen Beihilfe gewährt und ist auch
in diesem Jahr wieder in der glücklichen Lage, eine Mitgift von M. 3.000 zu
gewähren. Das Vermögen des Holzvereins beträgt Ende 1897 M. 6,477,78 das des
Vereins zur Ausstattung israelitischer Mädchen M. 17.485,11. Möchten beide
Vereine sich auch künftig so günstig gehalten zum Wohle dem Hilfesuchenden
und zur Freude der Leiter der Vereine.
Anmerkung: - Louis Lehmann: vgl.
Bericht
zum Tod von Louis Lehmann (1900) |
Jahresbericht des Israelitischen
Armen-Holz-Vereins und des Mädchen-Ausstattungs-Vereins (1903)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 3.
April 1903: |
Jahresbericht des Israelitischen Armen-Holzvereins und
des Mädchen-Ausstattungs-Vereines (1908)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 19.
März 1908: "Homburg v. d. H., 10. März. Der
Rechenschaftsbericht des 'Israelitischen Holzvereins' und des 'Vereins
zur Ausstattung israelitischer Mädchen zu Homburg v. d. Höhe' bringt
einen Festesgruß, da er mit dem 2. März 1908 sein neunzigjähriges Bestehen
vollendet. Damals als noch in der alten trauten Stube das Holz als
Heizmaterial allein herrschend war, konstituierte sich dieser Verein und
stiftete Segen, während 9 Jahrzehnte hindurch. Das Holz wurde längst von der
Kohle verdrängt, doch der Verein änderte seinen liebgewonnenen Namen nicht
und vergrößerte den Kreis seiner Wirksamkeit in dem Maße, wie sich auch die
Zahl seiner Gönner und Förderer vermehrte. Neben dem Zwecke, bedürftige
Mitglieder mit Brennmaterial zu versorgen, ließ sich der Verein auch
angelegen sein, nach seinen Mitteln arme Bräute auszuhalten. Auch darin hat
der Verein den Wandlungen der Zeiten tapfer standgehalten, so wurden auch im
Jahre 1907 an drei Bräute insgesamt 3.500 Mk. Mitgift ausgezahlt. Was der
Verein in den 90 Jahren seiner Tätigkeit geleistet hat, lässt sich
ziffernmäßig kaum angeben, aber ein Rückblick auf die letzten 10-20 Jahre
beweist schon, dass er unaufhörlich seiner Aufgabe treu geblieben. Es ist
unmöglich, diesen Rückblick zu schließen, ohne des Mannes zu gedenken, der
den Verein in neue Bahnen geleitet und zu erhöhter Wirksamkeit geführt hat,
Louis Lehmann s. A. Durch seine schlichte, innige Frömmigkeit, die
mit der strengsten Einhaltung des Gottesgesetzes die größte persönliche
Milde gegen Andersdenkende verband, gewann er die Sympathie aller, die in
seine Nähe traten. Und diese Sympathie, er benutzte sie, um seinem geliebten
Verein immer neue Gönner und Freunde zuzuführen, sodass die heutige Blüte
des Vereins zum großen Teil als sein Werk betrachtet werden muss. So wird
denn auch, so lange der Verein besteht und gedeiht, sein Name unvergessen
sein."
Anmerkung: - Louis Lehmann: vgl.
Bericht
zum Tod von Louis Lehmann (1900)
- s.A.:
https://de.wiktionary.org/wiki/sel._A. |
90-jähriges Bestehen des Israelitischen
Armen-Holzvereins
(1908)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 27. März 1908: "Homburg v. d. H. 'Der Israelitische Holzverein
und Verein zur Ausstattung israelitischer Mädchen' besteht jetzt 90
Jahre. Während dieses Zeitraumes hat der Verein durch Versorgung bedürftiger
Juden mit Heizmaterial sowie armer Bräute mit Beiträgen für eine Mitgift
eine segensreiche Wirksamkeit entfaltet. Sein Hauptförderer und Organisator
war Herr Louis Lehmann."
Anmerkung: - Louis Lehmann: vgl.
Bericht
zum Tod von Louis Lehmann (1900) |
Rechenschaftsbericht des israelitischen Holzvereins
und des Vereins zur Ausstattung israelitischer Mädchen (1910)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 31. März 1910: "Homburg v. d. H., 25. März. Der Israelitische
Holzverein (gegründet 1818) und der Verein zur Ausstattung
israelitischer Mädchen (gegründet 1886 von Louis Lehmann s. A.)
erstatten folgenden Rechenschaftsbericht für das Jahr 1909: Der Holzverein
und Mädchen-Ausstattungsverein schauen auf ein Jahr segensvoller Tätigkeit.
Es galt zunächst 25 hiesige und benachbarte Familien, bzw. allein stehende
Personen mit Winterbrand zu versorgen. Nahezu 1.000 Mark sind einschließlich
der Verwaltungskosten hierfür verausgabt worden. Nicht minder war auch der
Mädchen-Ausstattungsverein bemüht stets das Seinige zu tun. In den letzten
zehn Jahren sind insgesamt 18.000 Mark für Mitgiften ausgezahlt worden und
wenn wir im nächsten Frühjahr, so Gott will, das 25jährige Bestehen dieses
Vereins feiern werden, dann dürfen wir mit inniger Befriedigung auf seine
bisherigen Leistungen zurückblicken. Fünf treue Mitglieder haben wir im
Jahre 1909 durch den Tod verloren; hierselbst die Herren Leopold Schiff,
Moses Wiesenthal und Frau Sarah Eichenberg – auswärts (in
Frankfurt) Herrn Samuel Mela
und Frau Lina Iggersheimer. Wir werden den Entschlafenen ein ehrendes
Andenken bewahren. Für mehrere von ihnen sind bereits Hinterbliebene als
neue Mitglieder eingetreten, ebenso wurde für die Herren Leopold Schiff und
Moses Wiesenthal die Eintragung als ewige Mitglieder nachgesucht und
ausgeführt. - Die Liebe und Anhänglichkeit für unsere Vereine wird durch
solche Alte der Pietät in ein so klares herzerhebendes Licht gestellt, dass
wir auch an dieser Stelle gern unseren tiefgefühlten Dank dafür Ausdruck
geben. Recht schmerzlich wurden wir sodann noch durch das Hinscheiden einer
edlen Gönnerin unserer Vereine - der in weiten Kreisen als hochherzige
Wohltäterin geschätzten Frau Georg Speyer (Frankfurt)
bewegt. - Ihr Andenken wird in unserer Mitte fortleben. - An Stelle der
heimgegangenen Vorstandsmitglieder des Mädchen-Ausstattungsvereins: Herren
Leopold Schiff und Moses Wiesenthal sind gewählt worden: Herr Benno
Schiff und Herr Dr. A. Rosenthal. Wir dürfen von beiden
Neuerwählten erwarten, dass sie ihren bewährten Vorgängern an
Pflichterfüllung nicht nachstehen werden.- Mit dem Dank an alle Freunde
unserer Vereine verbinden wir die Bitte, uns weiterhin zu unterstützen zum
Wohle der Bedürftigen und zur Ehre des Judentums."
Anmerkungen: - Louis Lehmann: vgl.
Bericht
zum Tod von Louis Lehmann (1900)
- s.A.:
https://de.wiktionary.org/wiki/sel._A.
- Winterbrand: Heizmaterial für den Winter
- Frau Georg Speyer: Franziska Speyer, Ehefrau von Georg Speyer
https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Speyer und
https://frankfurter-personenlexikon.de/node/1279
|
25-jähriges
Jubiläum des "Vereins zur Ausstattung israelitischer Mädchen" (1911)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 7. April
1911: "Homburg v. d. H., 30. März. Am 14. März diesen Monats
sind 25 Jahre verstrichen, seit der hiesige 'Verein zur Ausstattung
israelitischer Mädchen', der sich auch die Ausbildung israelitischer
Mädchen für einen Lebensberuf oder Begründung eines Geschäfts für solche zur
Aufgabe gestellt hat, begründet worden ist. Der soeben zur Ausgabe gelangte
Rechenschaftsbericht für das Jahr 1910 gedenkt dieses Ereignisses der
Vierteljahrhundertfeier und gibt in seinem ersten Teil eine kurze Skizze der
Geschichte dieses, von dem edlen Menschenfreund Louis Lehmann am 14. März
gegründeten Vereins. 'Langsam, aber stetig wuchs die Zahl der Mitglieder wie
der Spender; die Jahresbilanzen zeigen erfreuliche Resultate – nur eins
fehlte noch: Mädchen, die Veranlassung hatten, die Wohltaten des Vereins in
Anspruch zu nehmen.' Erst im Jahre 1898, also zwölf Jahre nach Begründung
des Vereins erfolgte das erste Gesuch. Dann folgten allerdings offenbar
beträchtlich mehr, denn der Bericht erzählt: 'Wir haben geholfen, soweit der
jeweilige Kassenbestand es erlaubte.' Das aber scheint doch in ansehnlichem
Maße der Fall gewesen zu sein, denn im Laufe von reichlich einem Dezennium
wurden zehn Bräute mit einem Kostenaufwand von 20.500 Mark ausgesteuert und
außerdem wurden mehrere junge Mädchen für einen Lebensberuf ausgebildet.
Auch die pro 1910 veröffentlichte Bilanz weist die Position Aussteuer mit
2.500 Mark aus. Aktiva und Passiva Aussteuer des Vereins bilanzierten 1910
mit 6.857,64 Mark. Das Vermögen des Vereins belief sich am 1. Januar 1911
auf 31.846,34 Mark. Zugleich mit dem Geschäftsbericht des Aussteuervereins
wird derjenige des 'Israelitischen Holzvereins', dessen Gründungsjahr bis
1818 zurückgeht, veröffentlicht. Seine Aufgabe ist aus seinem Namen
ersichtlich. Wie aus der Bilanz dieses Vereins hervorgeht, hat er bei einer
Gesamteinnahme von 3.137,95 Mark für Brennmaterialien im Berichtsjahr 1910
nur 944,79 Mark verausgabt, dagegen 2.076,10 Mark zu Neuanlagen verwandt.
Das Vermögen des Holzvereins wird mit 15.219,51 Mark am 1. Januar 1911
ausgewiesen."
Anmerkungen: - Louis Lehmann: vgl.
Bericht
zum Tod von Louis Lehmann (1900)
- Dezennium:
https://www.dwds.de/wb/Dezennium |
Rechenschaftsbericht
des Israelitischen Holzvereins und des Vereins zur Ausstattung israelitischer
Mädchen (1914)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 17. April
1914: "Homburg v. d. Höhe, 10. April. Der israelitische
Holzverein (gegründet 1818) und Verein zur Ausstattung israelitischer
Mädchen bzw. Ausbildung für einen Lebensberuf (gegründet 1886 von
Louis Lehmann s. A.) versendet soeben den Rechenschaftsbericht für das
Jahr 1913. Der Bericht konstatiert mit Befriedigung, dass dem Verein auch in
diesem Jahre wieder bei den verschiedensten Anlässen Gaben überreicht worden
sind, die es zuzüglich der regulären Einnahmen ermöglichten, der
Wohltätigkeit in gewohnter Maße zu genügen. Mehr als zwanzig hiesige und
nächstbenachbarte Familien konnten mit Winterbrand versorgt werden, in
einzelnen besonders dringenden Fällen hat der Verein auch in den
Sommermonaten kleinere Zuschüsse bewilligt. Die Gesamtausgabe für
Brennmaterial betrug im Jahre 1913: 899,20 Mark. - Der
Mädchenausstattungsverein musste sich in diesem Jahre mit der Unterstützung
eines jungen Mädchens, bei Erlangung eigener Erwerbsfähigkeit, begnügen.
Nicht unbeträchtlich ist der Verlust – beziehungsweise die Verringerung an
den Reservefonds beider Vereine, infolge niedrigen Kursstandes der Effekten.
Der Bericht gedenkt zum Schluss mit warmen Worten der im Laufe des Jahres
verstorbenen Freunde und Gönner des Vereins.
Anmerkung: - Louis Lehmann: vgl.
Bericht
zum Tod von Louis Lehmann (1900)
- s.A.:
https://de.wiktionary.org/wiki/sel._A.
- Winterbrand: Brennmaterial für den Winter |
Chanukkafeier der Esragruppe (1920)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
23. Dezember 1920: "Bad Homburg v. d. H., 27. Kislev. Zu einer
kleinen Feier echt jüdischen Charakters gestaltete die am Dienstagnachmittag
stattgefundene Chanukkafeier der hiesigen Esragruppe. Nicht weniger als 55
Esraknaben und -mädchen hatten sich in den Räumen des Hotels Braunschweig,
die der Besitzer, Herr Leo Schönbach, in liebenswürdiger Weise zur Verfügung
gestellt hatte, eingefunden. Nach den einleitenden Worten der
Führerschaftsleiterin Fräulein Recha Kottek, die die zahlreich erschienene
Gäste begrüßte und auf die Bedeutung der Esrazeit hinwies, dankte Frau
Richard Rothschild im Namen der Mütter der Führerin für ihre selbstlose
Arbeit. Gesang, Vorträge und lustige Spiele hielten Alt und Jung mehrere
Stunden gemütlich beisammen."
Anmerkungen: - Kislev:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kislew
- Chanukka:
https://de.wikipedia.org/wiki/Chanukka
- Recha Kottek:
https://www.geni.com/people/Rebbeca-Adler/6000000005572481508
- Esra:
https://de.wikipedia.org/wiki/Esra_(Person) |
Feier des Tu biSchewat (15. Schewat - Neujahrsfest der
Bäume, 1921)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
3. Februar 1921: "Homburg, 24. Januar. Im Jüdischen Jugendbund
zu Bad Homburg fand am Sonntagabend unter Leitung des Herrn Rabbiner Dr.
Winter, eine wohlgelungene Chamischo oser beschwat-Feier statt.
Eingeleitet wurde dieselbe durch einen stimmungsvollen Vortrag von Frau
Edwin Feist, die über ihre Erlebnisse in Erez Israel in fesselnder und
ergreifender Weise berichtete. An den Vortrag schlossen sich neben den
üblichen Truchsessen gesangliche, musikalische und deklamatorische Vorträge
an. Mit einer Sammlung für die Waisenkinder in Palästina wurde der Abend
beschlossen.
Anmerkungen: - Rabbiner Dr. Winter:https://de.wikipedia.org/wiki/David_Alexander_Winter
- Erez Israel:
https://de.wikipedia.org/wiki/Eretz_Israel
- Truchsess:
https://de.wikipedia.org/wiki/Truchsess_(Hofamt) |
Vortrag
von Redakteur S. Herz im Talmud-Tora-Verein (1934)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 1. März 1934: "Bad
Homburg, 20. Februar (1934). Im Talmud-Tora-Verein sprach dieser Tage Redakteur
S. Herz vor einem großen Hörerkreis über das Thema 'Das Judentum in
der satirischen Illustration', in dem mit wissenschaftlicher
Gründlichkeit die Geschichte des europäischen Judentums, von der
Perspektive des Karikaturisten aus betrachtet, aufgerollt wurde. Referent
verstand es, seiner Gemeinde durch kulturhistorische Betrachtungen zu
fesseln und das Interesse für das Thema durch zahlreiche
Bildvorführungen noch zu steigern, sodass er abschließend stärksten
Beifall ernten konnte." .
Anmerkung: . Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten:
https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsbund_jüdischer_Frontsoldaten |
Vortrag
von Redakteur S. Herz bei einem Vortragsabend verschiedener Vereine (1934)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8. November 1934: "Bad
Homburg, 4. November (1934). Am 3. November sprach in einem von
Talmud-Tora-Verein, dem Jüdischen Frauenverein und der Sportgruppe des Reichsbunds
jüdischer Frontsoldaten einberufenen Vortragsabend Redakteur S. Herz
über das Thema 'Wir im Rom der cäsarischen und frühpäpstlichen Ära'.
In einständiger Rede zeichnete der Referent ein vielfarbiges Bild über
die ersten zehn Jahrhunderte jüdisches Rom, wobei er mit besonderer
Prägnanz das Kulturelle dieser Epoche beleuchtete und seine Ausführungen
- unter Hinweis auf das besonders an Schicksalen reiche jüdische Leben im
antiken Rom - in einen flammenden Appell zur jüdischen Solidarität
ausklingen ließ." |
Chanukkafeier
der Sportgruppe des "Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten" (1934)
600 Jahre Homburger Jüdische Gemeinde
(1935)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8. August 1935: "600 Jahre
Homburger Jüdische Gemeinde
Am 5. August des Jahres jährte sich zum 600. Male den Tag, an dem durch den
Erlass des Kaisers 'Lodewig dem Eteln Manne Gottfriden von Eppinstein' die
Ansiedlung von 10 Juden in Homburg gestattet wurde. Seit diesem ersten
Homburger Minjan kann man vom Bestehen einer Homburger Kehilla sprechen.
Als der 'schwarze Tod' durch Deutschland raste und allerorten auf die
Beschuldigung hin die Juden hätten die Brunnen vergiftet, die grausame
Judenverfolgungen einsetzten, ersehen wir aus den vorhandenen Quellen, dass
dieser Kelch scheinbar an der Homburger Gemeinde vorbeigegangen (1348).
Wechselvoll, wie die Geschichte unseres Volkes im Golus überhaupt, ist auch
die Geschichte der Homburger Gemeinde. Oftmals schmolz sie bis auf einen
winzigen Rest zusammen. So meldet z.B. die sogenannte 'Amtsrechnung von
der Anzahl der Judenschaft im Jahre 1683' von nur vier Homburger Juden:
1. Eleasar, der Hofjud, 2. Baruch, 3. Löw, 4. David, sowie von vieren in
Seulberg, zwei in Köppern, einem in
Steden und zwei in Gunzelheim (heute Gonzenheim). Aber trotz aller
Begrenztheit des jüdischen Lebensraumes hat sich die Gemeinde im Laufe der
Zeit stetig vergrößert, sodass im Jahre 1750 56 jüdische Familien in Homburg
ihren Wohnsitz hatten.
Allerdings wurden nur diejenigen Juden aufgenommen, die mindestens 300 fl.
(Gulden) Vermögen mitbrachten. Ihnen gab man den 'Schutzbrief', der aber
auch bei weitem keine Gleichstellung mit den anderen Untertanen brachte.
'Doch wird dieser ihm zugesagte Fürstliche Schutz, auf seine Person, Weib
und Kinder, solange letztere ohnverheirathet bleiben, und weiter nicht
verstanden…..', heißt es in dem Judenschutzbrief, den Landgraf Friedrich dem
Isaac Mendle im Jahr 1784 gegen eine 'Taxa von 4 fl.8 Xer (Kreuzer)'
verliehen hat.
Aber auch in Homburg äußerte sich der mildere Geist einer toleranteren Zeit.
So wird uns berichtet, dass der Landgraf im Jahr 1750 zum Synagogenbau 50
Taler beisteuerte. Typisch für die soziale Stellung der Juden war es, dass
um 1840 die Gebrüder Metzler beim Landgrafen um die Erlaubnis, Lumpen
sammeln zu dürfen, nachkommen mussten.
1848 erfolgte die vollständige bürgerliche Gleichstellung.1866 wurde die
heutige Synagoge eingeweiht.
Die Synagoge war jahrhundertelang der Ort, von dem aus die ungeheuren
religiösen Kraftströme geflossen sind, die unsere Väter Scheiterhaufen
besteigen ließ, mit dem Schma Israel auf den Lippen. Eine Zeit der
Aufklärung und des Emanzipationswahns hat vielen den Glauben gegeben, dass
die Synagoge nicht mehr das Zentrum des jüdischen Geisteslebens sein dürfe,
sondern dass die Tatkraft des angeblich befreiten Juden nach außen gelenkt
werden müsse.
Heute wissen wir, dass dieser Weg ein Irrweg war. Die Homburger
Israelitische Kultusgemeinde begeht darum diesen Tag nicht mit einer lauten
Feier, sondern wird innerhalb des G’ttesdienstes von Schabbat nachamu
würdiger Weise ihrer 60-jährigen Geschichte gedenken. R."
Anmerkungen: - Minjan:
https://de.wikipedia.org/wiki/Minjan
- Kehilla:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kehillah
- Schwarzer Tod:
https://de.wikipedia.org/wiki/Judenverfolgungen_zur_Zeit_des_Schwarzen_Todes
- Golus: Exil, Diaspora
- Hofjud:
https://de.wikipedia.org/wiki/Hoffaktor
- Taxa: (hier) Schutzgeld
- Landgraf (1750):
https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_VIII._(Hessen-Darmstadt)
- Landgraf (1840):
https://de.wikipedia.org/wiki/Philipp_(Hessen-Homburg)
- Schma Israel:
https://de.wikipedia.org/wiki/Schma_Jisrael
- Emanzipation:
https://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCdische_Emanzipation |
Gemeindebeschreibung (April
/ Juni 1937)
Artikel im "Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde Frankfurt"
vom April 1937 S. 28-29: "Bad Homburg v. d. H.
das heißt eigentlich Homburg vor dem Taunus, der bis zum Anfang des 19.
Jahrhunderts 'die Höhe' hieß. 18.000 Einwohner, 150 Juden. - Uralte
Siedlungen, wahrscheinlich noch aus vorrömischer Zeit. Der Kern: Das alte
Dorf Dietigheim; die 'Hoemburg' dagegen erst in den letzten Jahren
Barbarossas von den Eppsteiner Herren errichtet. Nach dem üblichen Wechsel
der Besitzer wurde Homburg 1596 Residenz der Landgrafen von Hessen-Homburg.
Friedrich II., als 'Prinz von Homburg' der Held des gleichnamigen Dramas,
der bedeutendste Fürst des Ländchens, rief die Hugenotten, die Waldenser und
– die Juden ins Land und begründete mit ihnen die Neustadt von
Homburg. 1866 kam Homburg an Hessen-Darmstadt und im selben Jahr durch
Tausch an Preußen. Der moderne Kurort erstand erst vor etwa 100 Jahren,
nachdem schon 1824 der Bankier Louis Lippmann aus Dessau seine Einrichtung
durch Fassung einiger Mineralquellen, Bau eines Gesellschaftshauses und
Anlage eines Kurparks erfolglos versucht hatte. Neben den Quellen war die
lange berühmte Spielbank der Hauptanziehungspunkt für die aus aller Herrn
Länder herbei strömenden gekrönten und ungekrönten Gäste. Dostojewskis
'Spieler' 'spielt' hier in Roulettenburg. Kaiser Friedrich III. kam häufig,
Wilhelm II. regelmäßig zur Kur. Eine englische, russische, eine französische
Kirche wie der 'Siamesische Tempel' (Geschenk des Königs Chulalongkorn) sind
Zeugen einer glänzenden Vergangenheit.- Heute ist die Umstellung auf das
reine Heilbad, zum Teil auch mittels geldlicher Unterstützung durch
Frankfurt, im Gang. - 1798-1800
vollendet hier Friedrich Hölderlin bei seinem Freunde Isaac Sinclair den
unsterblichen 'Hyperion' und kämpft 1804 -1806 als Bibliothekar des
Landgrafen den letzten erfolglosen Kampf gegen die Umnachtung seines großen
reinen Geistes.
Die Judengemeinde hatte ihren Anteil an den Geschicken ihres
Wohnortes. 1335 darf Gottfried von Eppstein 10 Judenfamilien in Homburg
ansiedeln. Schon in den vierziger Jahren finden wir hier die Juden Moses und
Gumprecht als Geschäftsleute und Geldverleiher. Von Judenverfolgungen hört
man in Homburg so wenig wie in anderen eppsteinischen Landen. 1561 geschieht
die außerordentliche Seltenheit, dass eine, allerdings getaufte, Jüdin
namens Otilia, nach Aufsehen erregendem Prozess wegen Kindesmordes
hingerichtet wird. 1622 wohnen in Stadt und Amt Homburg 20 jüdische
Familien, deren Friedhof wahrscheinlich bei dem im 30jährigen Krieg
zerstörten Niederstedten westlich von Homburg lag. Im 30jährigen Krieg geht
die Zahl der Juden zurück bis auf 3 Familien im Jahre 1671. Bald hebt sie |
sich
wieder, da Friedrich II. 'mit dem silbernen Wein' nach den Hugenotten und
Waldensern auch die Juden ins Land ruft. Er siedelt sie in einer neuen, an
das alte Ghetto angrenzenden Judengasse an, aus der sich allmählich die
heutige Wallstraße entwickelt. Die bisher in der Altstadt angesessenen
Judenfamilien ziehen allmählich auch in die Neustadt: Lehmann, Kahn,
Rotschild, Engel, Levy, Bär, die zum Teil noch heute hier wohnen. Die
erneute Gemeinde erwirbt 1703 einen Friedhof westlich von
Seulberg, obwohl der alte noch für lange
Zeit ausreicht. Auch ihre alte Synagoge in einem der Häuschen des alten
Ghettos wird weiter benutzt, bis 1731 der Bau einer neuen erlaubt wird.
Diese stand hinter dem heutigen Hause Wallstraße 29. Anstelle dieses
Vorderhauses lag der Vorplatz der Synagoge. Inzwischen hatte das
Gemeindeleben wohl auch durch die Gründung einer jüdischen Druckerei
Auftrieb erhalten, die 1710 - 1757 bestand. Unter den Gemeindemitgliedern
befindet sich jetzt ein Moses Setzer. Einzelne Vereinigungen hatten die Zeit
des Mitgliederschwundes überstanden; als älteste die heute noch bestehende
Chewra Kadischa. Die 'Kippestub' in dem heute noch stehenden Haus
Wallstraße 24 (noch in jüdischem Besitz) vereinigte die 'Maariw-Kippe' zum
Lernen und zum alljährlichen Stiftungsfest am Erew Rausch Chaudesch Schwat
(Vorabend zum 1. Schwat) an dem 'Fietzen', ein nicht mehr übliches Gebäck,
gegessen wurden. Die Kippe lebt heute noch als 'Talmud-Thora-Verein. Quer
vor die Judengasse war ein starkes Seil gespannt. Das wurde allerdings an
Fest-Vorabenden angezündet, damit die Feiertage vom Gottesdienst Kommende an
den glimmenden Enden ihre Zigarren oder Pfeifen anzünden konnten, ohne zu
sündigen! - 1803 wird wie in ganz Hessen der Leibzoll abgeschafft, 1808 die
Aufnahme jüdischer Kinder in die allgemeinen Schulen verfügt, 1848 die
Gleichberechtigung der Juden ausgesprochen, 1853 die noch heute geltende
Gemeindeverfassung verfügt. 1866 entsteht in der Elisabethenstraße,
gegenüber der Wallstraße, die heutige Synagoge, deren Bau bezeichnenderweise
auch von der Spielbank, der Staatskasse, der Stadt, den Kurfremden und dem
Landgrafen finanziert wird, und die lebendiges Zeugnis ablegt von der
Bedeutung und den Hoffnungen der damaligen Gemeinde. 1861 wird auch der
Friedhof bei Seulberg geschlossen und
von nun an der Friedhof am Glucksteinweg
(in dessen Winkel mit der südlichen Hälfte des Götzmühlenwegs) benutzt.
Um 1900 – 1914 hat die Gemeinde etwa 450 Seelen. Es ist ihre Blütezeit. Ihr
gehörten damals Männer an, deren Bedeutung erst eine spätere Zeit erkannte:
Chaim Nachman Bialik, Samuel Joseph Czaczkes ('Agnon'), Saul Tschernichowski
wohnten zeitweise hier. Georg Speyer, der Frankfurter Mäzen, ist auch
Homburg ein Freund gewesen. Nach ihm ist eine Straße heute benannt. Noch
während des Krieges stiftet der Frankfurter Sanitätsrat Dr. Kaufmann das
Samariter-Denkmal, dessen Schöpfer sein Neffe, der Bildhauer Hugo Kaufmann
ist. - 1924 hat die Gemeinde noch 400 Seelen, heute weniger als 60 Familien
und nur 8 schulpflichtige Kinder. Das selbständige Rabbinat Homburg, das
weniger als 100 Jahre bestand, hat 1934 mit dem Tode von Rabbiner Dr.
Wreschner wohl endgültig aufgehört. Lehrer und Kantor der Gemeinde ist seit
1898 Moses Herz, nun schon 2 Generationen Erzieher und Berater. Vorsteher
ist der Bankier i. R. Louis Rothschild.
Sehenswert: Die Synagoge, ein stattlicher viertürmiger Bau,
auch innen sehr hoch, sehr hell und von harmonischen Maßen. Gedenktafel
für 8 Kriegsgefallene. Memorbuch, dessen erstes Datum 1790 ist, das
aber, wohl in Folge falschen Einbindens, erst nachher Daten zeigt, die weit
ins 17. Jahrhundert zurückgehen; die ohne Zweifel ältesten Texte tragen
überhaupt kein Datum. Torarollen aus der Mitte des 18. Jahrhunderts.
Die Entstehungszeit noch älterer ist leider nicht festzustellen. Zum Teil
sehr alter Silberschmuck. Im Betsaal des Gemeindehauses hinter der
Synagoge wochentags Gottesdienst an Tagen mit Toravorlesungen. An der
Erhaltung dieser Gottesdienste hat die Ortsgruppe des 'Reichsbundes
Jüdischer Frontsoldaten 'entscheidenden Anteil. Ein 'Misrach',
ähnlich einem Toraschreinvorhang, zeigt eine goldbestickte Menora, deren Fuß
die Worte trägt: Schemen sajis soch (lauteres Olivenöl), (II. Mos. K
27,20). Es ist eine Erinnerung an 1866: Homburg war von den Österreichern
besetzt. Freitagabend sitzt eine jüdische Familie im Erdgeschoss eines
Hauses in der Wallstraße vor der Sabbatlampe. Ein österreichischer Offizier
blickt durchs Fenster. Man erschrickt. Da sagt er laut: 'Schemen sajis
soch' und geht weiter – man atmet auf. Ein Greis, der dieses Erlebnis
als kleines Kind hatte, hat es in dem von ihm gestifteten Misrach verewigt.
- Neu und wohl einzigartig ist ein schön gearbeitetes Toraschild mit den
Symbolen der vier ausgezeichneten Sabbaten vor Pessach.- Der
Friedhof an der Glucksteinstraße
ist wohlgepflegt. - Der alte Friedhof kaum 10 Minuten südwärts von
Bahnhof Seulberg, auf sehr
schönem Weg in 45 Minuten zu erreichen. An ihm hatten alle umliegenden
Gemeinden, selbst Oberursel, Anteil. -
Im Kurpark an der Kisselerstraße das Samariter-Denkmal (s.o.), zur
Erinnerung an die im Weltkrieg gefallenen Sanitätssoldaten. - Jüdische
Unterkünfte, streng rituell: Hotel Braunschweig, Inhaber Schwarz,
Luisenstraße 72, Pension und Sanatorium Dr. Rosenthal,
Kaiser-Friedrich-Promenade 49-51; Taunus-Sanatorium, im Stadtteil
Gonzenheim, Terrassenstraße. |
|
Schluss
des Artikels im "Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde
Frankfurt" vom Juni 1937 S. 20: "(Fortsetzung). Zahlreiche
Sehenswürdigkeiten von allgemeiner Bedeutung. Der Kurpark, von Lenné
geschaffen, dem Schöpfer des Berliner Tiergartens und dem Schloss von
Sanssouci. Das Kurhaus mit seinem berühmten Theaterraum und den berüchtigten
Spielsälen, in denen seit 1872 nicht mehr gespielt werden darf. Das Schloss,
seit seinem letzten Umbau 1825 wohl 300 Zimmer enthaltend, mit dem 50 m
hohen Bergfried der einstigen Hoheburg. Das Waisenhaus, in dem vorübergehend
auch die kürzlich erwähnte jüdische Druckerei betrieben wurde, die
Stadtbibliothek, die Engel-Apotheke, dahinter das evangelische Pfarrhaus aus
dem Jahre 1600, das Gasthaus Stadt Kassel, Reste der alten Stadtbefestigung,
der Hexenturm und zahlreiche Privathäuser und Kirchen sind gleichfalls
sehenswert. Berühmt sind die Fresken der Erlöserkirche. Unter den
zahlreichen Brunnen ist der Elisabethenbrunnen der wichtigste."
Anmerkungen: - Barbarossa:
https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_I._(HRR)
- Eppsteiner Herren:
https://de.wikipedia.org/wiki/Eppstein_(Adelsgeschlecht)
- Dietigheim:
https://www.bad-homburg.de/de/leben/ueber-unsere-stadt/stadtgeschichte
- Friedrich II:
https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_II._(Hessen-Homburg)
- 'Prinz von Homburg':
https://de.wikipedia.org/wiki/Prinz_Friedrich_von_Homburg_oder_die_Schlacht_bei_Fehrbellin
- Hugenotten:
https://de.wikipedia.org/wiki/Hugenotten
- Waldenser:
https://de.wikipedia.org/wiki/Waldenser
- Chulalongkorn:
https://de.wikipedia.org/wiki/Chulalongkorn
- Spielbank:
https://de.wikipedia.org/wiki/Spielbank_Bad_Homburg
- Dostojewski:
https://de.wikipedia.org/wiki/Fjodor_Dostojewski
- 'Der Spieler':
https://de.wikipedia.org/wiki/Fjodor_Dostojewski
- Friedrich III.:
https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_III._(Deutsches_Reich)
- Wilhelm II.:
https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_II._(Deutsches_Reich)
- Friedrich Hölderlin:
https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Hölderlin
- 'Hyperion':
https://de.wikipedia.org/wiki/Hyperion_(Hölderlin )
- Landgraf (1806):
https://de.wikipedia.org/wiki/Philipp_(Hessen-Homburg)
- Chewra Kadischa:
https://de.wikipedia.org/wiki/Chewra_Kadischa
- Kippe:
https://de.wikipedia.org/wiki/Chewra_Kadischa
- Schwat:
https://de.wikipedia.org/wiki/Schevat
- Chaim Nachman Bialik:
https://de.wikipedia.org/wiki/Chaim_Nachman_Bialik
- Samuel Joseph Czaczkes:
https://de.wikipedia.org/wiki/Samuel_Agnon
- Saul Tschernichowski:
https://de.wikipedia.org/wiki/Saul_Tschernichowski
- Georg Speyer:
https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Speyer und
https://frankfurter-personenlexikon.de/node/1279
- Hugo Kaufmann:
https://de.wikipedia.org/wiki/Hugo_Kaufmann
- Rabbiner Dr. Wreschner: vgl.
Bericht zum Tod von Rabbiner Dr. Wreschner (1935)
- Moses Herz: vgl.
Bericht zum 40-jährigen Amtsjubiläum von Kantor und Lehrer Moses Herz (1938)
- Louis Rothschild:
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de955684
- Memorbuch:
https://de.wikipedia.org/wiki/Memorbuch
- Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten:
https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsbund_j%C3%BCdischer_Frontsoldaten
- Misrach:
https://de.wikipedia.org/wiki/Misrach
- Menora:
https://de.wikipedia.org/wiki/Menora
- 'Lauteres Olivenöl': Spielt auf Mose an, der für die Leuchter des
Heiligtums in der Wüste reines Olivenöl beschaffen musste
- Sabbatlampe:
https://de.wikipedia.org/wiki/Sabbatampel
- Toraschild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Toraschild
- Pessach:
https://de.wikipedia.org/wiki/Pessach
- Streng rituell:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jüdische_Speisegesetze
- Hotel Braunschweig: vgl.
Bericht zur Eröffnung der Restauration von Kantor Braunschweig (1865)
und zur
Wiedereröffnung des Hotels Braunschweiz (1930)
- Sanatorium Dr. Rosenthal: vgl.
Bericht zum 70. Geburtstag von Sanitätsrat Dr. Erich Rosenthal (1936)
und
Anzeigen des Kurheims Dr. Rosenthal (1931 / 1937)
- Kurpark:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kurpark_Bad_Homburg
- Lenné:
https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Joseph_Lenn%C3%A9
- Tiergarten:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Fer_Tiergarten
- Sanssouci:
https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Sanssouci
- Kurhaus:
https://www.kurhaus-bad-homburg.de/
- Hoheburg:
https://de.wikipedia.org/wiki/Burgruine_Hohenburg_(Homburg)
- Waisenhaus:
https://www.bad-homburg.de/de/erleben/entdecken/denkmaeler/waisenhausplatz~a0QYKd9eAPM
- Stadtbibliothek:
https://www.architektur-bildarchiv.de/image/Stadtbibliothek-Bad-Homburg-39685.html
- Engel-Apotheke:
https://www.bad-homburg.de/de/erleben/entdecken/altstadt/engel-apotheke
- Stadtbefestigung:
https://www.bad-homburg.de/de/erleben/entdecken/altstadt/stumpfer-turm
- Hexenturm:
https://www.architektur-bildarchiv.de/image/Hexenturm-und-Br%C3%BCckenw%C3%A4rterhaus-Bad-Homburg-39598.html
- Erlöserkirche:
https://de.wikipedia.org/wiki/Erl%C3%B6serkirche_(Bad_Homburg)
- Elisabethenbrunnen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Elisabethenbrunnen |
|