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Kreis Gießen"
Holzheim mit
Grüningen (Stadt
Pohlheim, Kreis Gießen)
Jüdische Geschichte / Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english
version)
In Holzheim (mit Grüningen) bestand eine jüdische
Gemeinde bis 1938/42. Ihre Entstehung geht in die Zeit des 17./18. Jahrhunderts
zurück. Bereits 1640 werden jüdische Personen am Ort genannt. Holzheim und
Grüningen gehörten bis 1806 zum Fürstentum Solms-Braunfels.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie
folgt: in Holzheim 1836 27 jüdische Einwohner, 1852 42, 1861 39 (3,3 % von insgesamt
1.179 Einwohnern), 1871 53, 1880 32 (4,4 % von 1.186), 1900 31 (2,8 % von
1.107), 1910 37 (3,2 % von 1.163). In Grüningen 1830 8, 1905 23, 1910:
15, 1925 9, 1932 10 jüdische Einwohner. 1838 gab es acht jüdische
Gewerbetreibende in Holzheim: vier Viehhändler und vier Hausierer. In der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert eröffneten mehrere der jüdischen Familien
Handlungen und Läden am Ort.
Eine offizielle Gründung der jüdischen Gemeinde erfolgte im Jahr 1836.
An Einrichtungen bestanden eine Synagoge (s.u.), eine jüdische
Schule, ein rituelles Bad und (auf Gemarkung Grüningen) ein Friedhof.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die Gemeinde möglicherweise einen
jüdischen Lehrer, der auch als Vorbeter und Schochet tätig war. Spätestens
seit Ende des 19. Jahrhunderts übernahmen auswärtige Lehrer den
Religionsunterricht der jüdischen Kinder. Die Gemeinde gehörte zum liberalen
Provinzialrabbinat in Gießen.
Im Ersten Weltkrieg fiel aus der jüdischen Gemeinde Albert
Weinberg.
Um 1924, als zur Gemeinde 26 Personen in etwa 12 Familien gehörten (2,2 % von insgesamt
1.190 Einwohnern), waren die Gemeindevorsteher Moses Weinberg, Ferdinand Hess
(Grüningen) und Mayer Lindheimer. Als Vorbeter und Schochet war David Meyer in
der Gemeinde tätig (auch noch 1932). Damals erhielt ein jüdische Kind der
jüdischen Gemeinde, das eine höhere Schule in Gießen besuchte,
Religionsunterricht durch Lehrer Josef Marx aus Gießen. 1932 waren die
Gemeindevorsteher weiterhin Moses Weinberg (1. Vors.), Mayer Lindheimer (2.
Vors.) und Ferdinand Hess aus Grüningen (3. Vors.).
1933 lebten noch 19 jüdische Personen in Holzheim, 11 in Grüningen. In
den folgenden Jahren ist ein Teil von ihnen auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts,
der zunehmenden Entrechtung und der
Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert (vier Personen in die USA,
eine nach Belgien; zwei Berlin sind 1935 nach Berlin gezogen, zwei 1939-40 nach
Mainz). 1939/40 wurden noch 13
jüdische Einwohner in Holzheim gezählt, von denen 1942 elf deportiert
wurden (vier davon in das Ghetto Theresienstadt). Von den in Grüningen
lebenden elf jüdischen Personen sind zwei in die USA emigriert, je eine
Abmeldung gab es nach Bad Nauheim (Altersheim) und nach Pohl-Göns; sieben
Personen verzogen nach Frankfurt.
Von den in Holzheim geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Gertrud Bamberger (1910),
Isaak Bamberger (1880), Meier Bamberger (1878), Rosalie Bamberger geb. Weinberg
(1881), Mathilde Daniel geb. Grünebaum (1876), Rosa Frohwein geb. Bamberger
(1880), Leopold Goldschmidt (1881), Mathilde Goldschmidt geb. Grünebaum (1871),
Abraham Grünebaum (1873), Abraham Grünebaum (1876), Bertha Grünebaum (1874),
Lily Herz geb. Weinberg (1891), Mayer Katz (1873), Rosa Katz geb. Bamberger
(1882), Adolf Lindheimer (1879), Friedrich Lindheimer (1908), Jettchen
Lindheimer geb. Hammerschlag (1883), Ludwig Lindheimer (1910), Mayer (Meier) Lindheimer
(1877), Rosa Lindheimer (1911), Veitel Lindheimer (1940), Betty Rosenthal geb.
Katz (1870).
Aus Grüningen sind umgekommen: Markus Engel (1877), Selma Engel geb.
Sommer (1880), Siegmund Engel (1873), Adolf Hess (1867), Emma Scheuer geb. Engel
(1866), Eliona Simon geb. Engel (1865), Meta Wallenstein geb. Engel
(1905).
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus der Geschichte der
jüdischen Lehrer
Zur Anstellung eines gemeinsamen Wanderlehrers mit Sitz
in Wieseck schließen sich mehrere jüdische Gemeinden zusammen (1904)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 18. April 1904: "Gießen, 21. April (1904). Als Ergebnis
des Eintretens der hessischen Regierung für Anstellung nur seminaristisch
gebildeter Religionslehrer in den israelitischen Gemeinden ist eine
Vereinigung der jüdischen Kultusgemeinden von Wieseck,
Großen-Linden (statt
Gießen-Linden), Langgöns, Leihgestern,
Holzheim, Grüningen und Watzenborn-Steinberg
(statt -Steinbach)
zustande gekommen, um einen Wanderlehrer mit dem Sitze in Wieseck
anzustellen, zu dessen Gehalt die Regierung vorerst einen kleinen Zuschuss
leistet. Wenn die Einrichtung sich bewährt, ist die feste Anstellung des
Lehrers in Aussicht genommen. Man hört, dass auch in den anderen
oberhessischen Kreisen Verhandlungen schweben, die die Frage der
israelitischen Religionslehrer in gleicher Weise regeln
sollen." |
Aus dem jüdischen Gemeindeleben
Vorstandwahl der israelitischen Gemeinde Grüningen und
Holzheim (1922)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 23. Februar 1922: "Grüningen,
10. Februar. Bei der Vorstandswahl der israelitischen Gemeinde Grüningen
und Holzheim wurden die seitherigen Vorstandsmitglieder Moses Weinberg,
Kaufmann in Holzheim und Meier Lindheimer, Viehhändler in Holzheim, sowie
als neues Vorstandsmitglied Kaufmann Ferdinand Heß, Grüningen
gewählt." |
Zur Geschichte der Synagoge
Zunächst war vermutlich
ein Betraum in einem der jüdischen Häuser vorhanden. Dabei handelte es
sich um eine Privatsynagoge im Haus des Moses Weinberg (beziehungsweise
seines Schwiegervaters) im Gebäude Hauptstraße 50 (Eckhaus an der heutigen
Turnstraße), wo in der rechten Gebäudehälfte,
die als Betsaal eingerichtet war, Gottesdienste abgehalten wurden. In der linken
Gebäudeseite lebte der Hausbesitzer.
Nach der Gründung der israelitischen Gemeinde in Holzheim (mit Grüningen),
kaufte die jüdische Gemeinde 1854 ein bestehendes Gebäude und richtete
darin eine Synagoge ein. Das Gebäude hatte 33 Plätze für Männer, 12 für
Frauen.
Beim Novemberpogrom 1938 sollte die Synagoge angezündet werden. Auf
Grund der Aufforderungen des Nachbarn, der um seine danebenliegende Scheune fürchtete,
wurde jedoch davon abgesehen. Die vom damaligen Bürgermeister sichergestellten
Bücher kamen in das Gemeindearchiv des Ortes. Das Synagogengebäude kam in
Privatbesitz.
1963 ließ der Besitzer, ein Landwirt, das Gebäude wegen angeblicher
Baufälligkeit abreißen. Nur ein Stück der gemauerten Einfriedung blieb
erhalten. Auf einem Teil des Synagogengrundstückes wurde ein Gebäude erstellt,
das als Werkstatt und Waschküche benutzt wurde.
Eine Gedenktafel für die ehemalige Synagoge wurde 2003 angebracht.
Adresse/Standort der Synagoge: Im
Noll 3 (frühere Anschrift: Schulstraße 3)
Fotos
(Quelle: Altaras 1988 S. 82 und 2007 S. 201)
Das Synagogengebäude 1958 |
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"Judenschule am
Noll" (Foto von 1958; Archiv K.H. Jung, Pohlheim) |
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Standort des Synagogengebäudes
nach seinem Abbruch
(Foto vom Mai 1985) |
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Blick auf den Hof, wo die
ehemalige Synagoge bis 1963 stand;
im Vordergrund ein Stück der alten
Einfriedung. |
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Grundstück des
Synagogengebäudes
im Juni 2002 |
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Erinnerungsarbeit
vor Ort - einzelne Berichte
Januar 2019:
In Grüningen und Holzheim
sollen "Stolpersteine" verlegt werden |
Artikel von M. Bender im "Gießener Anzeiger"
vom 8. Januar 2019: Innerhalb des Artikels: "Denkmalschutz lässt
Holzheimer im Regen stehen. Der Wetterschutz an der Bushaltestelle
scheitert am Einspruch des Denkmalschutzes.
HOLZHEIM - ... Eine dreiköpfige
Abordnung der 'Initiative Stolpersteine e.V.' war zur Sitzung des
Ortsbeirates erschienen. Die Eheleute Simone und Tim van Slobbe (Vorsitzende
Stolpersteine Pohlheim), berichteten über das Anliegen, mit der an
deportierte und zumeist ermordete jüdische Mitbürger in der Zeit des Dritten
Reichs erinnert werden soll. Es würden weitere Personen gesucht, die
finanzielle 'Steinpatenschaften' übernehmen, wobei die Kosten für einen
Gedenkstein auf etwa 120 Euro veranschlagt würden. Die geschichtlichen
Recherchen für Grüningen hätten dort einen Bedarf von elf Steinen ergeben;
für Holzheim werde derzeit geprüft, ob statt bisher zwölf auch ein 13. Stein
angebracht sei. Der Ortsbeirat wurde gebeten, das Anliegen des Vereins zu
unterstützen..."
Link zum Artikel |
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April 2019:
In Grüningen wurden
"Stolpersteine" verlegt
Anmerkung: die Verlegung war am 10. April 2019.
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Artikel in "mittelhessen.de" vom 11. April
2019: "Gunter Demnig verlegt in
Langsdorf,
Hungen und Grüningen 32 'Stolpersteine'
'Die 'Stolpersteine' sollen uns an das erinnern, was die Menschheit kann,
aber nicht darf, und die guten Menschen bei ihrem Tun unterstützen', sagte
eine Nachfahrin jüdischer Nazi-Opfer. 32 'Stolpersteine' wurden in Hungen,
Langsdorf und Grüningen verlegt.
Langsdorf/Hungen/Grüningen (hek/ger). 'Die ',Stolpersteine' sollen uns
an das erinnern, was die Menschheit kann, aber nicht darf, und die guten
Menschen bei ihrem Tun unterstützen.' Yael Chalfan fasste bei der Verlegung
von 'Stolpersteinen' in Hungen für ihre
Großeltern und ihren Vater die Bedeutung dieser Art der Erinnerung in
einfachen Worten zusammen. Insgesamt 32 der im Boden eingelassenen Steine
mit den Messingtafeln mit biografischen Daten verlegte der Künstler Gunter
Demnig am Mittwoch in Langsdorf,
Hungen und Grüningen.
In Langsdorf wurde dabei zum ersten Mal
im Licher Stadtgebiet ein solcher 'Schritt in der Erinnerungskultur an das
jüdische Leben', wie es Bürgermeister Bernd Klein beschrieb, gemacht. Dieser
sei umso wichtiger, da mit dem zeitlichen Abstand zu den schrecklichen
Geschehnissen der NS-Zeit 'deren Bedrohlichkeit zu schwinden drohe. Deswegen
müssen wir Sorge tragen, dass so etwas nie wieder passiert', betonte Klein
bei der Gedenkveranstaltung in der Straße 'Im Himmerich'. Dort hatte die
Familie von Max und Bertha Oppenheimer ihre letzte selbst gewählte Wohnung
in Deutschland. In der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli 1934 wurden sie in
ihrem Haus von einem in Hungen
stationierten SS-Sturm mit Dolchen und Schusswaffen überfallen und schwer
misshandelt. Max Oppenheimer wurde bei dem Überfall so schwer verletzt, dass
er zwei Tage später im Krankenhaus in Gießen verstarb. Seine Witwe Bertha
und ihre vier Kinder Zilly, Siegfried, Hugo und Gerhard verließen
Langsdorf Ende 1935. Bis 1933 hatten
sie dort in guter Nachbarschaft gelebt. Nach einer Station in
Kulmbach gelang ihnen die Flucht in die
USA. 'Enkel und Urenkel von ihnen leben noch dort, aber es ist bisher leider
kein Kontakt zustande gekommen', erklärte Ursula Jack, die die 'Stolperstein'-Verlegung
in Langsdorf maßgeblich vorangetrieben
hat. Dass sie erst jetzt zustande kam, lag daran, dass der frühere Bewohner
des Hauses sich gegen 'Stolpersteine' vor dem Gebäude ausgesprochen hatte.
DIE NEUVERLEGTEN STOLPERSTEINE.
Grüningen:
Vor dem Haus 'Langgönser Straße 1':
Adolf Hess, geboren 1867, 1942 ins KZ Theresienstadt deportiert, im
Vernichtungslager Treblinka ermordet
Vor dem Haus 'Taunusstraße 33'
Markus Engel, geboren 1877, 1941 in das Ghetto nach Minsk deportiert,
Todesdatum unbekannt
Selma Engel, geboren 1880, 1941 in das Ghetto nach Minsk deportiert,
Todesdatum unbekannt
Meta Wallenstein, geboren 1905, 1941 in das Ghetto nach Minsk deportiert,
Todesdatum unbekannt
David Wallenstein, geboren 1899, 1941 in das Ghetto nach Minsk deportiert,
Todesdatum unbekannt
Friedel Wallenstein, geboren 1931, 1941 in das Ghetto nach Minsk deportiert,
Todesdatum unbekannt
Vor dem Haus 'Untergasse 4'
David Engel, geboren 1863, gestorben 1940 in Bad Nauheim
Paula Grünbaum, geboren 1895, 1939 in die USA geflüchtet
Abraham Grünbaum, in die USA geflüchtet
Heinz Grünbaum, geboren 1924, 1939 in die USA geflüchtet
Bella Goldschmidt, geboren 1899, 1942 in das Ghetto Izbica verschleppt,
Todesdatum unbekannt.
Mit Gedanken der Langsdorfer
Konfirmanden, in welcher Welt sie zukünftig leben wollen - einer friedlichen
Welt ohne Rassismus und Diskriminierung - endete die Gedenkveranstaltung
rund um die Verlegung in Langsdorf.
In Hungen verlegte Gunter Demnig im
Anschluss 15 'Stolpersteine' vor drei Gebäuden, von denen Bürgermeister
Rainer Wengorsch hofft, dass Passanten im übertragenen Sinne darüber
stolpern und zum Nachdenken angeregt werden, 'wenn sie einen Blick auf das
Haus werfen und an die erinnert werden, die fehlen, denen ihr Leben genommen
wurde'. Und an die Nachfahren der mit einem 'Stolperstein' Bedachten, die
aus Israel, Kanada und Südafrika extra für die Verlegung angereist waren,
drückte er die Hoffnung aus: 'Mögen die 'Stolpersteine' einen kleinen
Beitrag zur Versöhnung leisten.'
Elf 'Stolpersteine' erinnern jetzt im Pohlheimer Stadtteil Grüningen
an damalige Nachbarn, Freunde und Bekannte. Der Erste davon wurde in der
Langgönser Straße 1 ins Pflaster eingelassen. Nur Hammer, Meißel und Kelle
mit entsprechendem Zement benötigt Demnig in ruhiger Arbeit zur Verlegung.
Kurze Zeit später strahlte im Glanz der Sonne das Messingschild vor dem
früheren Zuhause und erinnert an den 1867 geborenen Grüninger Adolf Hess.
Zahlreiche Bürger, darunter Bürgermeister Udo Schöffmann, würdigten in
Stille den Moment der Verlegung. 2009 wurden in einer vom verstorbenen Frank
Pötter initiierten Aktion 20 'Stolpersteine' in
Watzenborn-Steinberg
verlegt. Heute tragen unter anderem Tim und Simone van Slobbe die 'Stolperstein'-Initiative
in Pohlheim. Am Abend wurde in einer Andacht mit Pfarrer Matthias
Bubel und dem Chor 'Laudate' der ehemaligen Mitbürger gedacht und bei einem
Rundgang durch Grüningen an den 'Stolpersteinen' Halt gemacht."
Link zum Artikel |
Vgl. Artikel von Stefan Schaal in der "Gießener
Allgemeinen" vom 9. April 2019: "Nach Initiative von Frank Pötter. Demnig
verlegt heute Stolpersteine in Grüningen..."
Link zum Artikel |
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August 2020:
Erinnerungen an die jüdische
Geschichte Holzheims sollen wach werden |
Artikel von Stefan Schaal in der "Gießener
Allgemeinen" vom August 2020: "Wo einst die Synagogen standen.
Zwei jüdische Gebetshäuser gab es einst in Holzheim. Heute weist nichts mehr
im Dorf darauf hin. Pfarrer Matthias Bubel will das ändern und gleichzeitig
weitere historische Orte, die im Dorf zunehmend in Vergessenheit geraten, in
Erinnerung rufen. Er sucht Mitstreiter. Übrigbleibsel der alten Scheune sind
noch zu erkennen, der hölzerne Giebel ist unverändert. Direkt vor dem
früheren Scheunengebäude, das zu einem Wohnhaus umgebaut wurde, klafft
allerdings eine Lücke. Eine Lücke, die nur ältere Holzheimer erkennen - oder
Dorfbewohner, die sich mit der Geschichte ihres Orts befassen. Wo heute
Autos parken, stand bis in die 60er Jahre hinein ein kleines, einstöckiges
Fachwerkhaus: eine Synagoge. 'Wir brauchen Orte der Erinnerung', sagt
Matthias Bubel, während er vor der Fläche steht, auf der das jüdische
Gebetshaus einst beheimatet war. Er fügt hinzu: 'Damit wir uns diesem Teil
der Geschichte stellen können.' Der 51 Jahre alte evangelische Pfarrer hat
ein Buch aufgeschlagen, in dem die Synagoge in der früheren Schulstraße, die
heute Im Noll heißt, abgebildet ist. '33 Männer und 12 Frauen haben in der
Synagoge Platz gefunden', erzählt er. Auch eine Schule für jüdische Kinder
habe sich in dem Gebäude befunden. 1963 wurde das Haus wegen Baufälligkeit
abgerissen. Der Holzheimer Pfarrer engagiert sich dafür, die Erinnerung an
Orte in seinem Dorf wach zu rufen. Dass zwei frühere Synagogen in Holzheim
allmählich aus dem Gedächtnis der Dorfbewohner verschwinden, sei traurig und
dürfe man nicht hinnehmen. Vor zwei Jahren hat Bubel in einer Gedenkstunde
zur Reichspogromnacht auch auf die beiden einstigen jüdischen Gebetshäuser
aufmerksam gemacht. 'Einige Ältere sind danach auf mich zugekommen und haben
von ihren Erinnerungen erzählt.' Dass das Gebäude der Synagoge in der alten
Schulstraße den Nationalsozialismus überstand, war allein der Tatsache zu
verdanken, dass das Gebetshaus mitten im eng bebauten Dorf stand. Die
Synagoge wurde in der Pogromnacht im November 1938 nicht in Brand gesteckt,
nachdem Anwohner die Befürchtung geäußert hatten, dass das Feuer auf den
benachbarten Stall und weitere Gebäude übergreifen könnte. Bubel spaziert
mit Albert Mehl vom Kirchenvorstand seiner Gemeinde durch den Dorfkern
Holzheims. Bubel ist ein Zugereister, erst 2015 kam er aus Ulrichstein im
Vogelsberg als Pfarrer nach Pohlheim. In der Geschichte Holzheims allerdings
kennt er sich mittlerweile bestens aus. 'Als Pfarrer habe ich viel mit
älteren Menschen zu tun, die mir häufig aus ihrer Kindheit erzählen',
erklärt er. Nahe des Haingrabens hält Bubel an. 'Wusstest du, dass es an
dieser Stelle mal zwei Bäche gab?', fragt der Pfarrer Mehl, der in Holzheim
geboren ist und sein ganzes bisheriges Leben in dem Dorf verbracht hat. Mehl
schüttelt den Kopf. Und Bubel erzählt. 'Hier war die Treppebach. Da wurden
im Herbst die Kartoffelsäcke gewaschen.' Und weiter hinten sei 'die
Wäschebach' geflossen. 'Die Dorfkinder sind dort zum Schwimmen
hineingesprungen.' Von beiden Bächen ist heute nichts mehr zu sehen.
'Historische Orte drohen in Vergessenheit zu geraten', sagt der Pfarrer.
'Das ist leider in vielen Dörfern so.' Es gehe auch darum, Verbindungen zu
den Eltern und Großeltern der heutigen Dorfbewohner zu knüpfen. 'Und damit
auch die Bedeutung von Orten für die Gegenwart und die Zukunft zu würdigen.'
Mit Blick auf die früheren Synagogen im Dorf stehe man derweil gleichzeitig
in der Verantwortung. Es gelte, auch das traditionsreiche jüdische Leben in
Holzheim wieder in das Heute und Jetzt zu holen. Holzheim war seit dem 19.
Jahrhundert von jüdischem Leben geprägt. Viehhändler, Kaufmänner und
Schuhmacher jüdischen Glaubens lebten in dem Dorf. In der Hauptstraße war im
Eckhaus an der heutigen Turngasse eine weitere Synagoge untergebracht. Im
linken Teil des heute noch stehenden Hauses hatte ein Gewürzhändler seinen
Laden, in der rechten Hälfte war ein Betsaal eingerichtet. Die Shoa
bedeutete das Ende der 1836 gegründeten jüdischen Gemeinde in dem Dorf, 1942
wurden zwölf jüdische Holzheimer deportiert. Bubel sucht Ehrenamtliche, die
helfen, das Gedächtnis an das jüdische Leben in Holzheim neu zu wecken. 'Wir
wollen unter anderem vor den früheren Synagogen Stolpersteine anbringen',
sagt er. Planungen gibt es dafür bereits seit vergangenem Jahr. Gleichzeitig
schlägt Bubel vor, weitere historische Orte in Holzheim wieder in Erinnerung
zu rufen. 'Die vielen Schulen zum Beispiel, die es in Holzheim bisher
gegeben hat.' Der Pfarrer schlägt vor, Schilder und Zeittafeln an Häusern
anzubringen. 'Möglich wären auch QR-Codes, um dann mit dem Handy weitere
Informationen zur Geschichte der Orte abrufen zu können. Für einen Moment
hält er inne. Vielleicht sei das Ziel zu hoch gegriffen, sagt er. 'Aber man
wird ja noch träumen dürfen.'"
Link zum Artikel |
Links und Literatur
Links:
Literatur:
| Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang -
Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. I S. 387-388 und auch Bd. I S. 235 (innerhalb
des Abschnittes zu Gambach). |
| Thea Altaras: Synagogen in Hessen. Was geschah seit
1945? 1988 S. 82. |
| dies.: Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in
Hessen. Was geschah seit 1945 Teil II. 1994. S. |
| dies.: Neubearbeitung der beiden Bücher. 20078 S. 99.104. |
| Studienkreis Deutscher Widerstand (Hg.):
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der
Verfolgung 1933-1945. Hessen I Regierungsbezirke Gießen und Kassel. 1995 S.46-47. |
| Pinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish
Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume
III: Hesse - Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992
(hebräisch) S. 170-171. |
| Karl Heinrich Jung: Die Holzheimer Juden.
Manuskript, teilweise veröffentlicht in "Hessische Heimat" =
Wochenendausgabe Gießener Allgemeine Zeitung. 1988 Nr. 12/4 S. 45. |
|
Hanno Müller (unter Mitarbeit von Monica Kingreen): Juden in
Pohlheim - Garbenteich 1789-1945, Grüningen 1763-1942, Holzheim
1784-1942, Watzenborn-Steinberg 1758-1942. Hrsg. von der
Ernst-Ludwig-Chambré-Stiftung Lich. Lich 2015. 208 S. 226 Abb. Zu beziehen
über den Autor Hanno Müller Tel. 06404-5768. Website http://www.fambu-oberhessen.de/
Vgl. Artikel
in der Giessener Allgemeinen vom 24.3.2015. |
Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the
Holocaust".
First published in 2001 by NEW
YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad
Vashem Jerusalem, Israel.
Holzheim
Hesse. Jews lived there from 1640 and the community gained official status
in 1836. It numbered 52 (4 % of the total) in 1880, but thereafter declined. In
the late 19th century the most extreme antisemitic party won 90 % of local votes.
Six of the 19 Jews who remained after 1933 managed to emigrate; 11 were deported
in 1942.
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