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Streitberg (Marktgemeinde
Wiesenttal, Kreis Forchheim)
Jüdische Geschichte
(Seite erstellt unter
Mitarbeit von Jürgen Hanke, Kronach)
Übersicht:
Zur jüdischen Geschichte in Streitberg
In Streitberg gab es zu keiner Zeit eine jüdische
Gemeinde, doch lebten zeitweise einzelne jüdische Personen am Ort:
In den 1860er-Jahre eröffnete Marx Oppenheimer (1807-1870) eine
"Israelitische Restauration" am Ort, die er jeweils für einige Monate
im Sommer betrieb. Nach seinem Tod 1870 wurde die Restauration noch einige
Jahre von seiner Witwe Jeanette geb. Löwenstein (1819-1878) weiterbetrieben.
Eine besondere Beziehung zu Streitberg entwickelte der Nürnberger Fabrikant
Ignaz Bing (geb. 29. Januar 1840 in
Memmelsdorf; gest. 24. März 1918 in Nürnberg) und seine Familie. Den
Luftkurort Streitberg (damals "Bad Streitberg") im Wiesenttal besuchte Bing
vermutlich erstmals in den 1860er Jahren, möglicherweise nachdem die jüdische
Restauration von Marx Oppenheimer bestand.
Zur Firmengeschichte der Gebr. Bing: 1863 gründeten Ignaz und Adolf
Bing die Fa. Gebr. Bing als reines Handelsunternehmen zum Vertrieb von Spiel-
und Haushaltswaren. 1879 begann die Errichtung eines eigenen Werks, das zwei
Jahre später in Betrieb ging ("Nürnberger Spielwarenfabrik Gebr. Bing"). Anfang
1890 wurden weitere Produktionsstätten errichtet ("Nürnberger Metall- und Lackierwaarenfabrik vorm. Gebr. Bing"). Ab 1919 zeichnete
das Unternehmen als "Bing-Werke AG". Um 1923 waren die
Bing-Werke die größte Spielzeugwarenfabrik der Welt mit ca. 23.000
Beschäftigten. Nach Turbulenzen in der Weltwirtschaftskrise
1932 wurde die "Bing Spielwaren GmbH Nürnberg" 1934 aufgelöst
und liquidiert.
Link zur
Firmengeschichte mit zahlreichen Abbildungen von Katalogen usw.
Genealogie:
https://www.geni.com/people/Ignaz-Bing/6000000022554092470
Wikipedia-Artikel
über "Bing (Unternehmen)"
Historisches
Lexikon Bayerns zur Firma Bing
Seite
zu den Bing-Werken bei Nuernberginfos.de
Link zum
Spielzeugmuseum in Freinsheim.
Nach seinem ersten Besuch in den 1860er-Jahren kehrte Ignaz Bing immer wieder
in die Fränkische Schweiz zurück. Kurz vor der Jahrhundertwende erwarb er ein
Grundstück am Rand des Streitberger Dorfplatzes und ließ das dortige Gebäude,
das er "Villa Marie" (nach seiner jüngsten Tochter) nannte, ausbauen.
Streitberg wurde für ihn eine zweite Heimat. Von 1899 bis 1918 hatte er in
Streitberg seinen zweiten Wohnsitz. Die Villa befindet sich zwischen dem
"Posthotel" (außer Betrieb, heute Flüchtlingsunterkunft) und dem ehrwürdigen
Gasthof und Hotel "Schwarzer Adler" am Ende einer kleinen Gasse. Auffällig sind
der Turmartige Anbau sowie die Geweihe an der Fassade des Haupthauses. Zu seinem
Anwesen ließ er eine Wasserleitung legen und als Gegenleistung für die
Wasserentnahme im Ort im Jahr 1900 einen Brunnen errichten. 1903 wurde Ignaz
Bing zum Ehrenbürger der Gemeinde Streitberg ernannt. 1904 spendete er den
"Prinz-Rupprecht-Pavillon" in Streitberg auf Grund eines Besuches des Prinzen
in Ebermannstadt und Streitberg 1901. Auf der Suche nach prähistorischen
Artefakten entdeckte er 1905 eine Tropfsteinhöhle. Er kaufte das Grundstück am
Höhleneingang, ließ die Höhle erforschen und touristisch erschließen.
In der NS-Zeit ging 1935 die Binghöhle in den Besitz der Gemeinde Streitberg
über und wurde in "Streitberger Höhle" umbenannt. 1945 wurde die Höhle in "Binghöhle"
rückbenannt. Heute erinnert am Eingang zur Binghöhle eine Hinweis- und
Erinnerungstafel.
Dokumente und Abbildungen/Fotos zur jüdischen Geschichte in Streitberg
Anzeigen der "Israelitischen Restauration"
von Marx Oppenheimer (bzw. Witwe Jeanette Oppenheimer) in "Bad Streitberg" (1868 - 1877)
Anmerkung: Marx (Mordechai)
Oppenheimer ist am 27. März 1807 in Fürth geboren als Sohn von Hirschel
Oppenheimer und seiner Frau Sara geb. Ullmann. Er war verheiratet mit
Jeanette geb. Löwenstein, die am 14. Januar 1819 in Fürth geboren ist als
Tochter von Jakob Löwenstein und seiner Frau Breindl. Die beiden hatten einen
Sohn Leo, der am 24. August 1848 in Fürth geboren ist (gest. 11. September
1914). Marx Oppenheimer starb am 30. November 1870 in Fürth, seine Frau Jeanette
am 28. August 1878 ebd. Genealogische Informationen nach
https://www.geni.com/people/Mordechai-Oppenheimer/6000000071035119130 und
von dort weitere Links.
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20. Mai 1868:
"Bad Streitberg - Errichtung einer israelitischen Restauration.
Eröffnung am 20. Mai (1868). Hiermit bringe ich zur Kenntnis, dass
ich im Bad Streitberg (fränkische Schweiz) eine 'Israelitische
Restauration' errichtet habe, welche am 20. Mai eröffnet wird. Feine
Küche und prompte Bedienung zusichernd, ladet zu freundlichem Besuch
ergebenst ein
Marx Oppenheimer aus Fürth." |
Obige Anzeige erschien auch in der
"Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 26. Mai 1868.
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21. April 1869: "Bad
Streitberg. Einem geehrten Publikum die ergebene Anzeige, dass ich im
Bad Streitberg (fränkische Schweiz) auch in dieser Sommer-Saison wieder
meine Israelitische Restauration errichtet habe.
Für feine Küche, hübsch eingerichtete Zimmer, nebst prompter Bedienung ist
bestens gesorgt. Eröffnung am 2. Mai
Marx Oppenheimer aus Fürth."
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4. Mai 1870: "Bad
Streitberg. Einem verehrlichen Publikum die ergebene Anzeige, dass ich
meine Israelitische Restauration im Bad Streitberg (fränkische
Schweiz) am 15. Mai a.c. eröffnen werde.
Für feine Küche, hübsch eingerichtete Zimmer und prompte Bedienung ist
bestens gesorgt. Zu zahlreichem Besuche ladet ergebenst ein
M. Oppenheimer aus Fürth."
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Anzeige in der "Israelitischen Wochenschrift" vom 17. Mai 1871: "Bad
Streitberg (fränkische Schweiz) Eröffnung am 18. Mai 1881 (statt 1776).
Israelitische Restauration. Feine Küche, hübsche Zimmer und prompte
Bedienung.
Achtungsvollst M. Oppenheimer's Witwe aus Fürth."
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Anzeige
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 14. Mai 1872:
"Bad Streitberg (Fränkische Schweiz). Eröffnung am 12. Mai 1872.
Israelitische Restauration. Eröffnung am 12. Mai (1872). Feine
Küche, hübsche Zimmer und prompte Bedienung. Marx Oppenheimers Witwe
aus Fürth." |
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Anzeige
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 5. Mai 1874:
"Bad Streitberg (Fränkische Schweiz). Eröffnung am 15. Mai 1874.
Israelitische Restauration. Eröffnung am 15. Mai 1874. Feine Küche,
hübsche Zimmer und prompte Bedienung. M. Oppenheimers Witwe aus
Fürth." |
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Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 18. April 1877: "Eröffnung
am 10. Mai.
Bad Streitberg (fränkische Schweiz). Israelitische Restauration,
feine Küche, hübsche Zimmer, prompte Bedienung.
M. Oppenheimers Witwe aus Fürth."
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Dokumente zur
Restauration von Marx Oppenheimer
Dokumente zur Israelitischen
Restauration
von Marx Oppenheimer in Streitberg
(Staatsarchiv Bamberg)
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Anmerkung: Jürgen Hanke
(Kronach) erkundigte sich im
Staatsarchiv Bamberg nach Dokumenten zur
Israelitischen Restauration von Marx Oppenheimer in Streitberg. Nach
Auskunft des Staatsarchives vom 16. Februar 2021 fand sich In den
archivierten Unterlagen des Bezirksamts/Landratsamts Ebermannstadt unter der
Aktenrubrik "Konzession für Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe" eine
Schankerlaubnis für Oppenheimer, Marx, Streitberg (1868). Von den etwa 25
Seiten sind oben drei Seiten abgebildet. |
Der Nürnberger Fabrikant Ignaz Bing, die "Binghöhle" und weitere Erinnerungen in
Streitberg - Dokumente und Fotos
Die Firma von Ignaz Bing: die
Nürnberger
Metallwarenfabrik Gebr. Bing (1888)
(erhalten von J. Hanke, Kronach) |
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Die obige
Rechnung der Firma Gebr. Bing mit einer Darstellung der Firmengebäude wurde
am 7. Februar 1888 an Eduard Griebel in Eisfeld geschickt. |
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Werbemarke der Gebr. Bing,
Nürnberg (undatiert)
(erhalten von J. Hanke, Kronach) |
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Historische
Fotos der Binghöhle
(Quelle: Peter Karl Müller, Kirchheim/Ries) |
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1905 wurde durch
Ignaz Bing
eine Tropfstein-Galerie-Höhle in Streitberg entdeckt. Er ließ sie als Schauhöhle ausbauen und beleuchten. Die Höhle
heißt seitdem "Bing-Höhle" (in der NS-Zeit "Streitberger
Höhle"). |
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Fotos zur Binghöhle im
Dezember 2020
(Fotos: J. Hanke, Kronach) |
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Die
Hinweistafel enthält den Text: "Ignaz Bing (1840-1918). Jüdischer
Unternehmer in Nürnberg und Besitzer der größten Spielwarenfabrik war ein
großer Gönner, Förderer und Ehrenbürger von Streitberg und entdeckte 1905
die nach ihm benannte Höhle". Rechts ein Foto des 1938 vollendeten
Ausganges. |
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Die "Villa Marie" -
historisches Foto und
Foto vom Dezember 2020
(erhalten von J. Hanke, Kronach;
Repro links von Manfred Franze) |
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Die Villa
Marie, die Ignaz Bing um 1900 in Streitberg baute und in der er zu
Weihnachten die Kinder des Ortes beschenkte. Am oberen Bildrand ist der
"Prinz Rupprecht-Pavillon" zu sehen; etwas rechts über der Giebelspitze der
"Villa Marie" im Wald (auf Foto nicht zu sehen) befindet sich die Bing-Höhle.
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Der
Eingang zur "Villa Marie"
(Fotos: J. Hanke) |
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Eingang zur "Villa
Marie" am Dorfplatz 5 / 5A |
"Villa Marie" über dem
Eingang |
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Der
von Ignaz Bing gestiftete Marktbrunnen (1900)
(Fotos: J. Hanke) |
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Der Brunnen steht
am Dorfplatz (Ecke Bahnhofstraße / Streitberger Berg)
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Prinz-Rupprecht-Pavillon
mit Hinweistafel
(Fotos: J. Hanke) |
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Hinweistafel
mit dem Text: "Prinz-Rupprecht-Pavillon - Zur Erinnerung an den
Besuch des Prinzen Rupprecht von Bayern in der Fränkischen Schweiz im Jahre
1900. Erbaut im Auftrag von Kommerzienrat Ignaz Bing durch den Streitberger
Zimmerermeister J. Martin. Die Restaurierung des Pavillon wurde vom
Fränkischen Schweiz-Verein Streitberg und ehrenamtlichen Helfern getragen.
Liebe Besucher. Anlage bitte reinhalten, auf Malereien und Schnitzereien zu
verzichten. 2003." |
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Grab von Ignaz Bing,
seiner Frau und Tochter in
Nürnberg, israelitischer Friedhof
(Fotos: J. Hanke) |
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Grabstein
mit Eintragung von Ignaz Bing (1840-1918), seine Frau Ida (geb. Ottenstein,
1844-1919)
und der Tochter Anna verh. Kuhn (1877-1925). |
Verlobung von Marie Bing mit Leo
Benario (1907)
Anmerkung: Genealogische Informationen siehe
https://www.geni.com/people/Marie-Benario/6000000022734495582: Marie geb.
ist am 2. Oktober 1886 in Nürnberg geboren und am 1. Februar 1976 in England
gestorben. Ihr Mann Leo (Lyon) ist am 5. Juli 1875 in
Obernbreit geboren und 1947 in Nice /
Frankreich gestorben. Leo Benario war Journalist, Hochschullehrer, Wirtschafts-
und Zeitungswissenschaftler.
http://blexkom.halemverlag.de/leo-benario/
Anzeige
in der "Neuen jüdischen Presse" vom 30. August 1907: "Verlobte...
Marie Bing, Streitberg/Nürnberg - Redakteur Leo Benario, Frankfurt". |
Kommerzienrat Ignatz Bing wird
Ehrenbürger der Stadt Grünhain (1911)
Anmerkung: Ignatz Bing war auch in Grünhain Inhaber einer großen Fabrik für
Blechwaren vgl. http://www.emgr.de/start.php?menu=untern&lang=de&vw=geschichte.
Mitteilung
in "Der Gemeindebote" vom 18. August 1911: "Dem Geheimen Kommerzienrat
Ignatz Bing in Nürnberg überreichte dieser Tage in seiner Villa in
Streitberg eine Kommission des Gemeinderates Grünhain i.Sa. unter Führung
des Bürgermeisters Nestlers die ihm aus Anlass seiner Ernennung zum
Ehrenbürger der Stadt Grünhain ausgefertigte Ehrenurkunde." |
Weitere
Mitteilungen zur jüdischen Geschichte in Streitberg
Meta Lehmann-Lewin grüßt aus dem
Ulrike Norwitzky-Haus (1915)
Anmerkung: es liegen bislang keine weiteren Informationen zu Meta Lehmann-Lewin
und ihrem Aufenthalt in Streitberg vor; unklar ist auch, ob sich "Streitberg"
auf das oberfränkische Streitberg bezieht. Vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Streitberg Jemenitenhäuser gab es
in Palästina, vielleicht hieß eines Streitberg???
Mitteilung
in der "Jüdischen Rundschau" vom 3. Dezember 1915: "Arbeiterheimstätten.
(Yemenitenhäuser).
Ulrike Norwitzky-Haus: Meta Lehmann-Lewin, z.Zt. Streitberg,
Chanukahgruß an Heinrich Maier, Kowno." |
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Mitteilung in der "Jüdischen Rundschau" vom 14. Januar 1916: "Arbeiterheimstätten.
(Yemenitenhäuser).
Ulrike Norwitzky-Haus: Frau Norwitzky dankte Lewins in Königsberg und
Meta Lehmann in Streitberg."
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Auch in Streitberg gibt es ein
judenfeindliches Sanatorium (1927)
Mitteilung
in der "CZ-Zeitung" (Zeitschrift des 'Central-Vereins") vom 8. April 1927:
"Verzeichnis der judenfeindlichen Erholungsorte, Hotels und Pensionen
1927. (Ohne Gewähr): |
Fränkische
Schweiz: Streitberg.
Sanatorium Streitberg (leitender Arzt Dr. Dieckhof). |
Erinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte
Oktober 2010:
Über die Binghöhle und ihre
Geschichte |
Artikel in "Nordbayern.de" vom 10. Oktober
2010: "Die Binghöhle bei Streitberg. Hinab in die Unterwelt - der
Hund darf mit..."
Link zum Artikel (auch
eingestellt als pdf-Datei) |
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August 2018:
Presseartikel zur Geschichte der Familie Bing und der Binghöhle in
Streitberg |
Artikel in "In Franken" vom 8. August 2018:
"Streitberg. Enteignung. Kampf um Binghöhle war zäh.
Ignaz Bing war Fabrikant, Forscher und Streitberger Mäzen. Seine
Nachkommen wurden von den Nazis gezwungen, seine Höhle zu verkaufen. Nach
dem Krieg mussten die Überlebenden jahrelang um ihr Recht kämpfen.
Bis 1954 musste Kommerzienrat Ignaz Bings Familie vom Ausland aus
prozessieren, um eine Entschädigung für die unrechtmäßige Enteignung der
Binghöhle durch die Nazis zu bekommen. Zahlreiche seiner Nachkommen starben
durch die Hände der Nazis.
Diese Aspekte werden in einem zweiten Teil unserer Miniserie beleuchtet. Die
Streitberger Tropfsteinhöhle zieht seit über 100 Jahren Touristen aus nah
und fern an. Ihre Entdeckung und Entschließung durch den Nürnberger
Unternehmer Ignaz Bing (1840-1918) ist in vielen Publikationen dokumentiert
und beschrieben worden. Weniger bekannt ist, wie die Schauhöhle in der Zeit
des Naziterrors in den Besitz der Gemeinde Streitberg gekommen war.
Dieser Frage ist die Heimatforscherin Renate Illmann nachgegangen. Unter dem
Titel "Die "Arisierung" der Binghöhle (Fränkische Schweiz) im Spiegel der
Archivalien 1932-1938" hat sie 2015 Dokumente zusammengetragen, die sie im
Staatsarchiv Bamberg, im Gemeindearchiv Wiesenttal und im Höhlenkataster
Fränkische Alb fand. Sie zeigen, mit welchen Methoden und Maßnahmen die
örtlichen nationalsozialistischen "Machthaber eine legal aussehende
Herausgabe des Besitzes" durchsetzten, noch bevor von Berlin aus die
Enteignung der Juden organisiert wurde.
Rückforderung. Nach Ende des Dritten Reichs forderten die
überlebenden Bing-Erben vom Ausland aus über ihre Rechtsanwälte eine
Entschädigung oder die Rückgabe ihres Eigentums. Die amerikanische
Besatzungsmacht stellte die Streitberger Höhle - wie sie noch bis Anfang der
50er Jahre hieß - unter Kontrolle des Landesamts für Vermögensverwaltung und
Wiedergutmachung und übergab die Finanzverwaltung einem Treuhänder.
Mit dem Militärregierungsgesetz Nr. 59 zur "Rückerstattung feststellbarer
Vermögensgegenstände an Opfer der nationalsozialistischen
Unterdrückungsmaßnahmen" begann zwischen der Gemeinde und den
Bing-Nachfahren ein Rechtsstreit, der sich bis 1954 hinzog. In einer eigens
zu diesem Thema einberufenen Bürgerversammlung sagte Bürgermeister Hans
Gebhard im Januar 1949: Die Gemeinde habe "beim Erwerb der Höhle nicht aus
unedlen Motiven gehandelt, sondern es sei im Interesse der Allgemeinheit
versucht worden, das einzigartige Höhlenwunder arm und reich restlos
zugängig zu machen. ... Der Erwerb der Höhle sei kein politisches Geschäft,
sondern der Ausfluß moralischer Verpflichtung gewesen."
Anstrich von Legalität. Und ein Jahr später wieder in einer
"öffentlichen Bürgerversammlung" zu diesem Thema betonte Kraus, "daß die
Transaktion völlig legal abgewickelt wurde, weder Zwang noch
Gewalttätigkeiten angewendet wurden". 1950 übernahm die Gemeinde zwar wieder
die Verwaltung der Höhle, aber juristisch entschieden wurde der Rechtsstreit
erst durch einen Vergleich im Mai 1954. Gegen eine zusätzliche Zahlung in
Höhe von 45 000 DM an die Erben ging die Binghöhle in das Eigentum der
Gemeinde Streitberg gegenüber.
Verfolgung der Bing-Familie. 1903 verlieh die Gemeinde Streitberg
Ignaz Bing wegen seiner großen Verdienste um den Ort die Ehrenbürgerwürde.
Auf ihn ging nicht nur die Erschließung der nach ihm benannten Höhle zurück.
Er stiftete in der Mitte des Orts den Brunnen, den Prinz-Rupprecht-Pavillon,
der Volksschule die Bücherei und der Feuerwehr eine Spritze. Zu Weihnachten
lud er die Kinder der Gemeinde zu sich in die Villa Marie ein und bescherte
sie mit Geschenken.
Das alles zählte nicht, als die Nationalsozialisten an die Macht kamen.
Ignaz Bing starb 1918, so dass er die antisemitische Hetze nicht mehr
erlebte. Umso mehr aber litten seine Nachfahren unter dem Hass von Hitlers
Rassefanatikern.
Rudolf Benario (1908-1933), Enkel von Ignaz Bing, legte im Wintersemester
1929/30 an der Universität Erlangen sein Examen als Diplom-Volkswirt ab. Im
Januar 1930 nahm er als Vertreter der Fraktion "Freiheitliche Studenten" an
einer Sitzung des Allgemeinen Studentenausschusses (AStA) teil. Seine
Anwesenheit veranlasste die Mitglieder des Nationalsozialistischen Deutschen
Studentenbundes (NSDStB), geschlossen die Sitzung zu verlassen und sie
platzen zu lassen.
Wegen seiner politischen Aktivitäten bei den Jungsozialisten und in der KPD
wurde Benario unmittelbar nach Hitlers Machtübernahme am 10. März 1933
verhaftet. Schon einen Tag nach seiner Einlieferung ins KZ Dachau wurde er
zusammen mit drei anderen jungen Männern am 12. April 1933 von drei
SS-Wachtposten ermordet, die heute namentlich bekannt sind. Offiziell hieß
es aber, er sei "auf der Flucht erschossen" worden.
Nazi-Hetze. Bei den Verhandlungen über die Arisierung der Binghöhle
hob Regierungsamtmann Heinz Wirsching in einem Schreiben an die Ansbacher
Regierung hervor, dass Marie Benario, eine der fünf Erben, die Mutter des
bei einem Fluchtversuch in Dachau erschossenen "kommunistischer
Studentenführers" sei.
Wirsching drängte auch schon ab 1934 darauf, die Bing-Villa in Streitberg zu
beschlagnahmen, um die Verhandlungen über die Binghöhle zu beschleunigen.
Mit Hilfe ihres Rechtsanwalts gelang es den Erben, sie privat zu verkaufen.
Nach einer Meldung im Wiesent-Boten, ging die "Villa des früheren
Kommerzienrates Bing im Verkaufswege von dessen Erben" für 22 000 Reichsmark
im November 1935 an eine ortsansässige "Gasthofsbesitzerwitwe".
Viele Bing-Nachkommen starben durch das Terrorregime. Nach Auskunft
der Polizei lebten 1934 alle Bing-Erben in Deutschland. Das änderte sich
erst, als 1938 Rudolf Benarios Eltern zunächst die Staatsbürgerschaft
entzogen und sie zwei Jahre später ausgebürgert wurden. Sie mussten nach
Nizza emigrieren und überlebten in völliger Armut den Krieg. Rudolfs Vater
Leo Benario, von Beruf Zeitungswissenschaftler, starb dort 1947. Seine
Mutter übersiedelte danach zu ihrer Tochter Irene, verheiratete Nahon, und
starb in den 50er Jahren.
Eine weitere Enkelin Bings - Gertrud Babette Hirschmann, geboren 1900 - kam
1931 in die Heil- und Pflegeanstalt Erlangen, wurde im September 1940 über
München in die Tötungsanstalt Schloss Hartheim bei Alkoven in Oberösterreich
gebracht und dort in der Gaskammer ermordet. Auch ihr Vater Heinrich Hirsch
Hirschmann, verheiratet mit der ältesten Tochter Ignaz Bings und Teilhaber
der Firma, fiel der nationalsozialistischen Vernichtung zum Opfer. Der
79-Jährige und seine 66-jährige Schwägerin Frieda Brüll, geborene Bing,
wurden zusammen mit 531 weiteren alten Juden am 10. September 1942 von
Nürnberg aus ins KZ Theresienstadt deportiert. Heinrich Hirschmann wurde
dort am 12. März 1943 und Frieda Brüll am 29. September 1942 in Treblinka
ermordet. Mit Friedas Tochter Dora Brüll, geboren 1899, verlor Ignaz Bing
sein drittes Enkelkind. Dora Brüll wurde am 20. Oktober 1942 in Riga von den
Nationalsozialisten ermordet. Ihr Sohn Otto Philipp Brüll kam mit 37 Jahre
am 2. September 1942 in Auschwitz ums Leben.
Ignaz Bing, Ehrenbürger und Mäzen von Streitberg, Kommerzienrat und
hochdekorierter bayerischer Unternehmer, verlor durch den
nationalsozialistischen Holocaust eine Tochter, einen Schwiegersohn, drei
Enkelkinder und einen Urenkel."
Link zum Artikel |
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Links und Literatur
Links:
Literatur:
| Toni Eckert: Ignaz Bing - sein Leben in
Streitberg. Forchheimer Reihe F. Streit. Forchheim 1995. ISBN 3-922716-11-3.
|
| Ignaz Bing: Aus meinem Leben. Wellhausen &
Marquardt Medien. 2004. ISBN 978-3-921844-72-4.
|
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Ilse
Vogel: Emanzipation - und dann? Die Geschichte der jüdischen
Familien Ottenstein und Bing über fünf Generationen. Verlag Ph.C.W. Schmidt
2019. ISBN 978-3-87707-163-2 Preise 29,00 €. Bestellbar über den Verlag:
www.verlagsdruckerei-schmidt.de E-Mail
verlag@verlagsdruckerei-schmidt.de
Bestellseite
zum Inhalt des Buches: Ottenstein gab es ab 1817 in Pahres, auch
in Diespeck und Neustadt an der Aisch, Bing kamen aus Scheinfeld und
Memmelsdorf in Unterfranken - in Gunzenhausen begegneten sie sich zum ersten
Mal. Bald lebten die Ottenstein in Bamberg, später in Fürth und
Nürnberg, Bing etablierten sich ab 1865 in Nürnberg. Im heutigen
Nürnberg erinnert nichts mehr an die Familien Ottenstein, Nachkommen leben
in Holland, England und Schweden. Der Name Bing dagegen lebt weiter als
Bingstraße in Zabo und als Binghöhle, der viel besuchten Tropfsteinhöhle in
der Fränkischen Schweiz, Nachkommen gibt es unter anderem in USA und in
Israel. Das Buch berichtet von der 200-jährigen deutschen Geschichte der
jüdischen Familien Ottenstein und Bing: Ottenstein in Pahres -
Religionslehrer und Cantor in Bamberg - Ottenstein in Fürth - Hopfenhandlung
in Nürnberg - Gründer der Victoria Werke - Gebr. Bing, Blechspielwaren -
Ignaz Bing als Höhlenforscher - Reise-Erinnerungen - Die Kriegsgeneration -
Die Erbengeneration: Nachkommen - Antisemitismus - Entkommen - Der Kampf um
Erstattung - Die Frauen der Ottenstein - Zerstörte Biographien.
Inhaltsbeschreibung aus dem
Flyer zum
Buch. |
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