In Villmar bestand eine jüdische
Gemeinde bis 1938/40. Ihre Entstehung geht in die Zeit des 18. Jahrhunderts
zurück, doch werden bereits im 15. Jahrhundert jüdische Bewohner in Villmar
genannt.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie
folgt: 1823 12 jüdische Familien, 1843 68 jüdische Einwohner, 1871 71
(3,6 % von insgesamt 1.992 Einwohnern), 1885 62 (3,0 % von 2.077), 1895 61 (3,0
% von 2.049), 1905 50 (2,4 % von 2.054).
Zur jüdischen Gemeinde Villmar gehörten seit der Ende des 19. Jahrhunderts auch
die in Runkel (zuvor selbständige
Gemeinde), Schadeck und Aumenau lebenden
jüdischen Personen.
1841 nahmen die jüdischen Familien in Villmar folgende Familiennamen
an: Seligmann Isaak: Ackermann, Hirsch Feist: Saalberg; weitere
Familiennamen waren Bürger, Leopold, Blum, Frank, Löwenthal, Sternberg,
Neuberger, Rosenberg, Gerolstein, Lichtenstein u.a.m.
An Einrichtungen hatte die Gemeinde eine Synagoge (s.u.), eine
Religionsschule, ein rituelles Bad und ein Friedhof (zunächst Beisetzungen in Arfurt, dann auf einem eigenen
Friedhof in Villmar). Zur Besorgung religiöser
Aufgaben der Gemeinde war ein Lehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und
Schochet tätig war (vgl. Ausschreibungen der Stelle unten). Der Lehrer war auch
für die in umliegenden Orten lebenden Familien/Kinder zuständig: 1868
war ein gemeinsamer Schulverband der jüdischen Gemeinden Villmar, Runkel sowie
Weyer und Münster gebildet worden. Sitz des Schulverbandes war Villmar, die
anderen Orte waren seitdem Filialorte zu Villmar (siehe bei den Ausschreibungstexten
unten ab 1890). Unter den jüdischen Lehrern war 1896 Simon Ackermann tätig
(stammte aus Hermeskeil, nach 1896 Lehrer
in Simmern im Hunsrück).
Als die Zahl
der jüdischen Kinder auch in Villmar zurückging (nach 1900), wurde der
Unterricht durch einen auswärtigen Lehrer erteilt. Ob die Lehrerstelle
überhaupt nach 1901 (letzte Ausschreibung, siehe unten) nochmals besetzt werden konnte, ist
nicht bekannt. Im Bericht über den 1922 verstorbenen Leopold Herz (s.u.) ist
davon die Rede, dass dieser "lange Jahre in der lehrerlosen Zeit" den
Vorbeterdienst versehen habe.
Im deutsch-französischen Krieg fiel aus Villmar Simon Löb (1870, siehe unten).
Die jüdischen Haushaltsvorstände verdienten ihren Lebensunterhalt als
Viehhändler, Kaufleute, Landwirte, Pferdehändler, Bäcker, Schuster, Metzger
und Getreidehändler. Die jüdischen Einwohner waren im Ort bestens integriert und
in Vereinen engagiert: Isidor Saalberg leitete um 1900 mehrere Jahre den MGV
Teutonia. Siegfried Frank war 1930 Kirmesbursche.
Um 1924 wurden noch 40 jüdische Einwohner gezählt (1925 35, d.h. 1,8 % von
insgesamt 1.962 Einwohnern); zur Gemeinde gehörten die vier in Aumenau,
vier in Runkel und vier in
Schadeck lebenden jüdischen
Personen. Damals waren die Gemeindevorsteher Isidor Gutheim und Isac Ackermann. Als
Schochet war Ludwig Herz tätig. Den Religionsunterricht der damals fünf
schulpflichtigen jüdischen Kinder der Gemeinde erteilte Lehrer Siegmund
Bravmann aus Weilburg. An jüdischen Vereinen gab es insbesondere den Wohltätigkeitsverein
(1924 unter Leitung von Max Frank). Die Gemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk
Weilburg. 1932 waren die Gemeindevorsteher: Isidor Gutheim (1. Vors.), Isac
Ackermann (2. Vors.) und Ludwig Rosenthal (3.
Vors.). Im Schuljahr 1931/32 gab es noch sechs schulpflichtige jüdische
Kinder in der Gemeinde.
1933 lebten noch 35 jüdische Personen am Ort (1,5 % von 2.405 Einwohnern). Zur Gemeinde gehörten
weiterhin drei in Aumenau, vier in Runkel und fünf in Schadeck lebende jüdische
Personen. In
den folgenden Jahren ist ein Teil der
jüdischen Gemeindeglieder auf Grund der zunehmenden Entrechtung und der
Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert. 21 jüdische Einwohner
flüchteten nach England, Argentinien und in die USA. Zwei Personen verstarben
1934, eine weitere 1936. Beim
Novemberpogrom 1938 wurde die Inneneinrichtung der Synagoge zerstört (s.u.),
die jüdischen Männer in das Gefängnis nach Diez
gebracht. Josef Ackermann und die Brüder Heinrich und Sally Rosenthal wurden in das KZ Buchenwald verschleppt, wo
Sally am 28. Dezember
1938 umgekommen ist. 1939 wurden noch 22 jüdische Einwohner gezählt (1,0 % von
2.108 Einwohnern). Die
letzten sechs jüdischen Einwohner wurden von Villmar deportiert (darunter die
zuletzt in der Kaiserstraße 35 lebende Familie Ackermann: Josef, Berta und
Leopold Ackermann) sowie die Familie Löwenstein.
Der letzte
Gemeindevorsteher Isidor Gutheim wurde 1942 im KZ Sachsenhausen ermordet (Gedenkstein
im jüdischen Friedhof
Ungedanken).
Von den in Villmar geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Berta Ackermann geb. Adler
(1890), Josef Leo Ackermann (1885), Leopold Ackermann (1922), Rosa Blum geb.
Saalberg (1869), Cäcilie (Zessi) Forst (1897), Betty Frank geb. Ackermann
(1885), Isidor (Israel) Gutheim (1865), Fred S. Isenberg (1935), Gertrud
Isenberg geb. Bär (1912), Flandine Kahn geb. Saalberg (1864), Irma (Irene)
Liebmann geb. Isenberg (1896), Berta Löwenstein geb. Saalberg (1884), Berta
Löwenstein geb. Isenberg (1902), Lotte Löwenstein (1936), Rudolf Löwenstein
(1901), Siegbert Löwenstein (1937), Lucie Nathan geb. Isenberg (1901), Johanna
Rosenthal geb. Eisenthal (1875), Salomon (Salli) Rosenthal (1897), Hermann
Saalberg (1869), Isidor Saalberg (1871).
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 31. Juli 1872: Die hiesige
Lehrer-, Vorbeter- und Schächterstelle mit einem jährlich fixierten
Gehalte von 400 Gulden wird bis zum 1. Oktober laufenden Jahres vakant.
Bewerber wollen sich brieflich wenden an J. Ackermann, Vorsteher.
Villmar, den 26. Juli 1872."
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 13. März 1890: "Die
Lehrer-, Vorbeter- und Schächterstelle zu Villmar a.L. und Filialorten
wird mit dem 1. April laufenden Jahres vakant. Jährlicher Gehalt 600
Mark, nebst 200 Mark Nebenverdienste. Qualifizierte Bewerber
(Unverheiratet) wollen sich melden bei Vorsteher Wolf Ackermann."
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20. September 1892:
"Die Gemeinde Villmar a.d. Lahn mit Filialorten sucht per 22.
Oktober einen unverheirateten Lehrer, Vorbeter und Schächter. Gehalt 600
Mark, Nebenverdienst 200 Mark. Meldungen richte man an den Vorstand Wolf
Ackermann."
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 18. Mai 1893: "Die
Gemeinde Villmar a.d. Lahn mit Filialorten sucht per sofort einen
unverheirateten Lehrer, Vorbeter und Schächter. Gehalt 625 Mark.
Nebenverdienst 200 Mark. Meldungen richte man an den Vorstand Wolf
Ackermann."
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 10. Januar 1901: "Vakanz.
Die Religionslehrer-, Vorbeter- und Schächterstelle zu Villmar a. Lahn
und Filialorten ist sofort zu besetzen. Fixes Gehalt inklusive Mark 100,
vom deutsch-israelitischen Gemeindebund Mark 750, Nebeneinkommen ca. Mark
250. Inländische unverheiratete Bewerber wollen unter Einsendung ihrer
Zeugnisse sich wenden an H. Cron,
Kultusvorsteher."
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. August 1901:
"Vakanz. Die Religionslehrer-, Vorbeter- und
Schächterstelle zu Villmar a. Lahn und Filialorten ist sofort zu
besetzen. Fixes Gehalt inkl. Mark 100, vom deutsch-israelitischen
Gemeindebund Mark 750, Nebeneinkommen ca. Mark 250. Inländische
unverheiratete Bewerber wollen unter Einsendung ihrer Zeugnisse sich
wenden an den Kultusvorsteher
Lehmann Saalberg."
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 7. November 1901: "Die Stelle eines Religionslehrers,
mit welcher die Funktionen eines Kantors und Schächters
verbunden sind, ist in Villmar (Kahn) per sofort oder später zu besetzen.
Einkommen einschließlich der Nebeneinkünfte 1100 bis 1200 Mark.
Der Kultusvorstand: Lehmann Saalberg."
Mitteilung in "Der Israelit" vom 16. November 1870:
"2. Nassauisches Infanterie-Regiment Nr. 88.
Musketier Simon Löb aus Villmar, Kreis Oberlahn, tot.
Musketier Wolff, leicht verwundet, Schuss ins Bein.
Musketier Isaac Isselbächer aus Isselbach,
Kreis Unterlahn, tot.
Musketier Gefreiter (Einjährig-Freiwilliger Magnus Heller aus
Eiterfeld, Kreis Hünfeld, schwer
verwundet, Schuss in den Oberschenkel."
Zum Tod von Olga Ackermann geb. Löb (1922)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 13. Juli 1922: "Villmar,
10. Juli (1922). Eine herrliche Frau haben wir heute hier unter überaus
starker Beteiligung zu Grabe getragen. Frau Olga Ackermann geb. Löb ist,
kaum sechzigjährig, in Homburg, wo sie Heilung gesucht hatte, ihrem
Leiden erleben. Wer die Liebe und nie versagende Güte dieser Frau
gekannt, weiß, was der Gatte, die Kinder und Enkel wie die Gemeinde
verloren haben. Eine ideal veranlagte Natur, ein für alles Edle, Gute und
Schöne warm schlagendes Herz, war sie der treue Schutzengel der Ihren und
über deren Kreis hinaus erstreckte sich ihre liebende Fürsorge auf alle,
die ihrer Hilfe und ihres Rates bedurften. Mit ihrer tiefen, schlichten
Frömmigkeit wusste sie ihr Haus an der Seite ihres wackeren Gatten zu
einem jüdischen Heiligtum zu gestalten, wo schwere Schickungen in
Gottergebenheit überwunden und Glück in Bescheidenheit und Dankbarkeit
gegen Ihn genossen wurden. Am Freitag Abend wurde sie sanft in die
Ewigkeit hinübergeleitet. Ihre letzte Mizwohtat war das Lichtentzünden,
wie ihr ganzes Leben ein Lichtspenden war; ihre letzte Freude, die an
ihren Enkelkindern, die gerade gekommen waren, um die Großmutter zu
besuchen; mit segnend ausgebreiteten Händen sank sie dahin in die Arme
des Gatten und der Tochter. Möge dieser letzte Muttersegen erhaltne und
ihr Geist des Hauses Hüter sein, dass Kraft und Trost den Gatten, Kindern
und Enkeln wird im Angedenken an die Unvergessliche. Ihre Seele sei
eingebunden in den Bund des Lebens."
Zum Tod von Leopold Herz (1922)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 6. April 1922: "Villmar
a.d. Lahn, 27. März (1922). Unserer Besten einen haben wir, früher als
wir es ahnen konnten, zur letzten Ruhe gebettet. Leopold Herz ist im Alter
von erst 63 Jahren im Jüdischen Krankenhaus zu Frankfurt am Main, wo er
Heilung suchte, seinem Leiden erlegen. Leopold Herz gehörte zu denen, die
in schwerer Zeit all ihre Mühe und Kraft darein setzten, die Gemeinde als
solche zu erhaltne. Ein Mann von echter schlichter Frömmigkeit, versah er
lange Jahre in der lehrerlosen Zeit den Vorbeter- und Balkorehdienst mit
Sachkunde und Innigkeit, wie sie ihresgleichen suchte. Mit seiner
Ehrlichkeit und Redlichkeit in Handel und Wandel, mit seinem freundlichen
Wesen und der ihm eigenen Herzlichkeit bei der Ausübung von Wohltaten und
Gastfreundschaft, erwarb er sich die Liebe und Verehrung aller, und
rührend war die tiefe Teilnahme, die die Todeskunde hier überall, bei
Juden und Nichtjuden erweckte. Trotz der umständlichen reise war bei der
Beerdigung, die auf dem Friedhof der Jüdischen Gemeinde zu Frankfurt am Main
am letzten Dienstag stattfand, seine Gemeinde stark vertreten. Aus jedem
jüdischen Hause waren, neben vielen nichtjüdischen Freunden, mindestens
ein oder zwei Mitglieder anwesend, ebenso der gesamte Vorstand. An der
Bahre hielt Herr Rabbiner Dr. Lazarus eine ehrende Gedenkrede, worauf noch
Herr Redakteur Schachnowitz das Wort ergriff und aus eigener Anschauung
als Kenner der Verhältnisse in der Lahngemeinde, die Bedeutung des
Verstorbenen für seine Kehillah (Gemeinde) und seinen Wert als Mensch und
Jehudi schilderte. Leopold Herz ruht hier nicht in fremder Erde, denn hier
in Frankfurt wohnen seine Kinder, in denen er in den letzten Jahren
schwerer Schickungen sein Glück und seinen Trost gesehen hat. Möge der
Geist des Vaters in deren Mitte walten. Seine Seele sei eingebunden in den
Bund des Lebens."
Zunächst war vermutlich ein Betraum in einem der
jüdischen Wohnhäuser vorhanden, Um 1844 wurde von der jüdischen Gemeinde ein
Wohnhaus erbaut, in dem 1846 im Obergeschoss eine Synagoge eingerichtet wurde.
Im Untergeschoss befand sich die Lehrerwohnung. Beim Gebäude handelt es sich um ein zweigeschossiges Fachwerkhaus mit einem
steilen Satteldach traufseitig zum Straßenzug. Die Synagoge hatte je 50 Plätze
für Männer und Frauen.
Bereits vor dem Novemberpogrom 1938 wurde das Gebäude verkauft und kam in
nichtjüdischen Besitz.
Beim Novemberpogrom 1938 wurde das Synagogengebäude, obwohl es bereits
in christlichem Besitz war, überfallen, die Inneneinrichtung zerstört und die
Kultgegenstände auf die Straße geworfen und zerstört. Danach wurde das
Gebäude zu einem bis zur Gegenwart bestehenden Wohnhaus umgebaut.
Von den Ereignissen beim Novemberpogrom liegt ein Bericht von Manfred Rosenthal
vor. Die (jüdische) Familie Rosenthal lebte damals im Erdgeschoss des
Synagogengebäudes.
Bericht von Manfred Rosenthal: "In
den Mittagsstunden des 9. (vermutlich: 10.) November 1938 drangen
unbekannt Männer - ohne Uniform - in unsere Wohnung im Erdgeschoss der
Synagoge ein. Anwesend waren meine schwer herzkranke Mutter und außer mir
noch drei meiner Geschwister, von denen keines 16 Jahre alt war. Die
Eindringlinge forderten mich auf, ihnen in die Synagoge im ersten Stock zu
folgen und deren Einrichtungsgegenstände zu zerstören. Als ich mich
weigerte, ihren Forderungen Folge zu leisten, schlugen sie mir mit
Holzknüppeln über den Kopf und begannen wutentbrannt allein ihr
Zerstörungswerk in den Gebetshäusern. Die Fenster und die
Inneneinrichtungen wurden demoliert, Tora und Gebetbücher und alle
heiligen Kultgegenstände auf die Straße geworfen und vernichtet.
Eine Spur von Menschlichkeit kehrte bei den Vandalen erst wieder zurück
beim Anblick meiner im Bett liegenden kranken Mutter... In unserer Wohnung
rührten die auswärtigen, mir unbekannten Männer nichts mehr
an."
Im November 1988 wurde eine Gedenktafel aus Villmarer
Marmor am ehemaligen Synagogengebäude angebracht.
Im Sommer 2009 konnte eine Gedenktafel am Synagogengebäude bei einem Aufenthalt
in Villmar allerdings nicht entdeckt werden (vgl. jedoch Friedhof).
Adresse/Standort der Synagoge: Grabenstraße
/ Weilburger
Straße 73
Februar 2020:
Erste Verlegung von
"Stolpersteinen" in Villmar
Artikel
in der Website der Gemeinde Villmar
https://www.marktflecken-villmar.de/marktflecken/stolpersteine
(abgerufen am 29. Dezember 2019): "Zur Geschichte des Marktfleckens Villmar
gehört auch die Zeit von 1933 bis 1945. Das Gedenken an die Opfer sowie die
Aufklärung über die menschenverachtende Politik des Nationalsozialismus ist
seit Gründung der Bundesrepublik Teil der Erinnerungskultur der deutschen
Gesellschaft. Das Stolperstein-Projekt setzt sich dafür ein, die Erinnerung
an die Opfer und Verfolgten der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft
durch Gedenksteine vor ihrem letzten selbstgewählten Wohnsitz in unseren
Alltag zu holen. 'Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen
ist', zitiert der Künstler Gunter Demnig, Urheber des Stolperstein-Konzepts,
den Talmud. Auf Initiative der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB)
Villmar hat die Gemeindevertretung am 14. Februar 2019 die Genehmigung zur
Verlegung von 'Stolpersteinen' im öffentlichen Raum des Marktfleckens
Villmar erteilt. Unterstützt wird das Projekt von einer Arbeitsgruppe
zur Recherche der Opfer und Verfolgten sowie durch den Bauhof des
Marktfleckens bei der Vorbereitung der Verlegungen.
In einer ersten öffentlichen Veranstaltung des Arbeitskreises am 16. Mai
2019 im Pfarrsaal Villmar wurde über das Projekt ausführlich informiert. Der
Künstler Gunter Demnig erinnert an die Opfer der NS-Zeit mit Gedenktäfelchen
aus Messing, die in die Bürgersteige eingelassen werden. Darauf sind Name,
Geburtsjahr, Deportationsort und Angaben zum weiteren Schicksal der
verfolgten Menschen eingraviert. Es geht um das Gedenken, nicht um
Schuldzuweisung. Mit den STOLPERSTEINEN wird ausdrücklich auch der Menschen
gedacht, die den Holocaust überlebt haben. Sei es, dass sie sich verstecken
konnten, ein Lager überlebt haben, flüchten oder auf andere Weise ihr Leben
retten konnten. Gewürdigt werden alle verfolgten oder ermordeten Opfer des
Nationalsozialismus...
Mitglieder der Arbeitsgruppe Stolpersteine: Paul Arthen (Villmar),
Vorsitzender der KAB (Initiator); Gertrud Brendgen (Weyer), Ausschuss für
Kultur, Sport und Soziales;
Jutta Brahm (Villmar); Corina Braun (Weyer); Isabelle Faust (Runkel),
Rektorin für die Sekundarstufe I, Johann-Christian-Senckenberg-Schule Runkel-Villmar; Dr. Bernold Feuerstein (Villmar), Ausschuss für Kultur,
Sport und Soziales, Vorsitzender des Ortsausschusses für den Kirchort
Villmar; Helmut Hübinger (Villmar), Initiator;
Pfarrer Michael Vogt (Villmar), Pfarrgemeinde Hl. Geist Goldener Grund /
Lahn; Willi Wünschmann (Villmar).
Der Arbeitskreis arbeitet eng mit der Johann-Christian-Senckenberg-Schule am
Standort Runkel zusammen, die bereits im zweiten Jahr im Stundenplan den
Wahlpflichtkurs 'Erinnerungskultur' etabliert hat. Die Recherchen der
Schülerinnen und Schüler und der Mitglieder des Arbeitskreises sind die
Grundlage für die Verlegung der Stolpersteine. Hierzu wurden schon
umfangreiche Informationen zusammengetragen. Aktuell befasst sich der
WPU-Kurs mit der Kontaktaufnahme zu den Nachfahren der Verfolgten und mit
der Darstellung der einzelnen Biografien. Zeitzeugen der damaligen
Ereignisse und Umstände sind herzlich eingeladen, ihre Erinnerungen und
Informationen an den Arbeitskreis oder die Schülerinnen und Schüler
weiterzugeben und somit für die Nachwelt zu erhalten. Ansprechpersonen sind für den Arbeitskreis Bernold Feuerstein und für die
Senckenberg-Schule am Standort Runkel Isabelle Faust.
Die Recherchearbeit konzentriert sich im Marktflecken Villmar auf folgende
Opfergruppen: Ermordete und vertriebene jüdische Mitbürger, Opfer des
organisierten Krankenmordes, Opfer politischer Verfolgung...
Es sollen nach derzeitigem Stand der Recherche 50-60 Stolpersteine im
Marktflecken Villmar verlegt werden. Die Verlegung der ersten 19
Stolpersteine durch Gunter Demnig wird am Montag, 3. Februar 2020 an je
zwei Verlegestellen in Villmar und Weyer erfolgen. Villmar, Grabenstraße 3: Isaak Ackermann | Leo Joseph Ackermann |
Bertha Ackermann, geb. Adler | Gretel Moses, geb. Ackermann | Leopold
Ackermann. Villmar, Peter-Paul-Str. 44: Johanna Rosenthal, geb. Saalberg |
Salomon Rosenthal | Emmi Rosenthal, geb. Wolf | Liselotte Rosenthal. Weyer, Brühlstraße 7: Betty Blumenthal, geb. Hofmann | Karoline
Schönberg, geb. Blumenthal | Albert Schönberg | Hermann Walter Schönberg. Weyer, Laubusstraße 14: Mina Saalberg, geb. Blumenthal | Ida Simon,
geb. Saalberg | Emil Simon | Herta Irene Heymann, geb. Simon | Julius
Heymann | Heinz Heymann.
Die Stolpersteine werden über Spenden (120 € pro Stein) finanziert. Es sind
auch anteilige Spenden möglich. Bankverbindung: KAB Diözesanverband Limburg
e. V.
IBAN DE95500100600060308609 BIC PBNKDEFF (Postbank Frankfurt) Kennwort
(bitte unbedingt angeben!): STOLPERSTEINE."
Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang -
Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. II S. 325-327.
Thea Altaras: Synagogen in Hessen. Was geschah seit
1945? 1988 S. 98-99.
dies.: Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in
Hessen. Was geschah seit 1945 Teil II. 1994. S.
Studienkreis Deutscher Widerstand (Hg.):
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der
Verfolgung 1933-1945. Hessen II Regierungsbezirke Gießen und Kassel. 1995 S.
140-141.
Pinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish
Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume
III: Hesse - Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992
(hebräisch) S. 537-538.
Lydia Aumüller: Zur Geschichte der Juden in
Villmar. In: Juden im Kreis Limburg-Weilburg. Schriftenreihe zur Geschichte
und Kultur des Kreises Limburg-Weilburg 1991. (Die Ergebnisse
dieser Publikation konnten bislang nur teilweise eingearbeitet werden).
Bilder zur Geschichte Villmars 1053-2003. Hrsg.
Markflecken Villmar. Wiesbaden 2003.
Villmar an der Lahn
Hesse-Nassau. Established in 1772, the community opened a synagogue in 1846 and
numbered 71 (4 % of the population) in 1871, declining to 35 in 1933. The Jews
were mostly dealers in cattle and farm produce, and the community was affiliated
with the rabbinate of Bad Ems. Until 1911 a separate, much older community
existed in nearby Runkel, where Shelomo
Zalman Runkel (died c. 1400) - the teacher of Yaacov Moellin ('Maharil') - was
born. On Kristallnacht (9-10 November 1938), the interiore of Villmars
Synagogue was destroyed. A third of the Jews emigrated and another 12 perished
in the Holocaust.
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