Eingangsseite
Aktuelle Informationen
Jahrestagungen von Alemannia Judaica
Die Mitglieder der
Arbeitsgemeinschaft
Jüdische Friedhöfe
(Frühere und bestehende) Synagogen
Übersicht: Jüdische Kulturdenkmale
in der Region
Bestehende jüdische Gemeinden
in der Region
Jüdische Museen
FORSCHUNGS-
PROJEKTE
Literatur und Presseartikel
Adressliste
Digitale Postkarten
Links
| |
zurück zur Übersicht "Synagogen in der Region"
zu den Synagogen in
Baden-Württemberg
Wildberg (Landkreis Calw)
Jüdische Geschichte
Übersicht:
Zur jüdischen Geschichte
in Wildberg
In Wildberg gab es im Mittelalter eine vermutlich nur kleine
jüdische Gemeinde, die möglicherweise in den Jahren nach der Stadtgründung 1240
entstanden ist. Während der Zeit der Judenverfolgungen 1348 bis 1350 war
Wildberg hohenbergisch, 1364 und 1377 wurde sie an den Pfalzgrafen bei Rhein
verkauft (damals Ruprecht I., vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Ruprecht_I._(Pfalz), Gründer der Universität
Heidelberg). Seit 1440 war Wildberg württembergisch.
Zeugnisse jüdischer Bewohner liegen erst aus dem 14. und 15. Jahrhundert
vor: 1383/93/bzw. bis 1401 Jud Jakob (Schutzjude von Herzog Ruprecht I. aus
Alzey: hatte Haus, Hofraite, Weinberg, Äcker,
Wiesen; die Güter erhielt 1401 Dieter von Balgheim); 1436 ein Jude von Wildberg,
der in Rottenburg genannt wird; 1460
Jud Kaufmann, 1462 Juden Isaak und Süßlin: zwei Tübinger werden für drei Jahre
durch den württembergischen Grafen in Wildberg aufgenommen).
An die mittelalterliche jüdische
Geschichte erinnert noch die von der Unteren Gasse (heute: Besetzte Gasse) abzweigende
(urkundlich jedoch nicht belegte) "Judengasse" (heute:
Badgasse), die zum "Judenbad" hinabführte.
Das Gebäude mit der Bezeichnung "Judenbad" unmittelbar an der Nagold
stellt eine besondere Erinnerung an die jüdische Geschichte dar (am Törle der alten Stadtmauer, Badgasse 6). Im
Keller des Hauses sind bis heute zwei Tröge sowie zwei Säulen zu sehen, von denen eine
die Zahl 6015 trägt, von rechts nach links gelesen 5106, was umgerechnet 1346 und damit vermutlich das Erbauungsdatum des Gebäudes
meint, womit es zu den
ältesten noch bestehenden Gebäuden Wildbergs gehört. Das Haus des
"Judenbades" war im 20. Jahrhundert ein Freizeitheim des CVJM
Esslingen in der Stadt. Ob die
erhaltenen Tröge in einem Zusammenhang mit der jüdischen Geschichte stehen, ist nicht
bekannt. 1446 wurde die Badstube von Graf Ulrich von Württemberg dem Hänslin Bader
zum Erblehen verliehen. Wie lange das Judenbad zuvor von jüdischen Familien
genützt wurde und ab wann es als öffentliche Badstube verwendet wurde, ist nicht
bekannt.
Weitere Erinnerung an die jüdische Geschichte ist ein Steilhang westlich der
Stadt außerhalb der Stadtmauer, der aus nicht bekannten Gründen die Bezeichnung
"Judenhalde" trägt.
Im 19./20. Jahrhundert werden nur vereinzelt jüdische Personen in
Wildberg genannt: bei den Volkszählungen 1875 eine Person, 1880 drei Personen,
1885 eine, 1890 null, 1895 zwei, 1900 bis 1910 null, 1925 eine Person, 1933
null, wobei es sich bei den genannten Personen auch um bei den Volkszählungen
zufällig anwesende Personen gehandelt haben kann. Im 20. Jahrhundert hatte der Viehhändler Hermann Hopfer aus
Rexingen (geb. 1887; dort Kirchstraße 12) bis 1938
eine Filiale in der Stadt, bevor er sich gezwungen sah, nach Amerika zu
emigrieren (gest. 1959, beigesetzt in Preston, New London County, Connecticut,
USA, Grab siehe
https://de.findagrave.com/memorial/157725840/herman-hopfer).
Fotos / Plan
Plan
(Quelle: Veitshans s.Lit.) |
|
|
Plan der Altstadt
mit Eintrag der Judengasse (heute Badgasse), des Judenbades (Badgasse
6) und der Judenhalde |
|
|
|
Fotos von ca. 1930
(Quelle: Jüdische Gotteshäuser und Friedhöfe s.Lit.) |
 |
|
|
Das "Judenbad" am Ende
der "Judengasse" |
Im Inneren des
"Judenbades" |
|
|
|
Die "Judengasse" mit dem
Judenbad
am unteren Ende an der Nagold
(Fotos: Hahn, Aufnahmen von ca. 1985) |
|
 |
|
Die "Judengasse" |
Blick auf das "Judenbad"
(Fachwerkhaus) |
|
|
|
Das Gebäude des
"Judenbades"
(Fotos: Hahn, Aufnahmen von ca. 1985) |
 |
|
|
|
|
|
|
|
 |
|
|
Erhaltener
Trog im unteren Geschoss des Gebäudes - von der Größe her allerdings nicht
als Mikwe, höchstens zum "toweln" (z.B. Geschirr koscher machen) geeignet
|
|
|
|
 |
 |
|
Inschriften
und (Jahres-)Zahl an einer der Säulen. Die Inschrift ist schwer zu deuten,
teilweise auch eingemauert.
Die (Jahres-)Zahl "ANNO J6015" könnte auf das jüdische Jahr 5106 hinweisen
(von rechts nach links gelesen): die wäre das Jahr 1346. |
|
|
|
|
|
|
Weitere, eingemauerte
Säule ohne Inschrift |
|
|
|
Erinnerungsarbeit vor
Ort - einzelne Berichte
Februar 1990:
Das Freizeitheim ("Judenbad") wird
(wieder) überschwemmt
Anmerkung: Das Freizeitheim des CVJM Esslingen wurde am 15. Februar 1990
durch das Hochwasser der Nagold zum dritten Mal nach 1983/84 überflutet.
Dabei war der Keller völlig überflutet, die Inneneinrichtung und
Lebensmittel wurden zerstört. Im Erdgeschoss stand das Wasser 60 cm hoch,
sodass die Küche erneuert werden muss. Ein Schaden von 80.000,- DM entstand.
|
Bericht und Fotos zum Hochwasser im Mitteilungsblatt des CVJM Esslingen vom
April 1990. |
|
September 2017:
"Tag des offenen Denkmals"
Anmerkung: Zum "Tag des offenen
Denkmals" waren verschiedene Vorträge und ein Besuch des "Judenbades"
geplant. |
Artikel
von Timo Roller in der Website von MORIJA.de: "Zum 'Tag des offenen
Denkmals' im September 2017 hatten wir eine Veranstaltung mit dem Thema
Jüdische Spuren in Wildberg. Es war damals geplant, das Judenbad neben der
Volksbank in der Talstraße zu besichtigen. Leider ist dieses Vorhaben
gescheitert, da sich das Gebäude in Privatbesitz befindet und eine Öffnung
am geplanten Termin kurzfristig nicht möglich war. Nun ist es aber einer
kleinen Delegation doch noch gelungen, das Untergeschoss des Gebäudes in
Augenschein zu nehmen und ich selbst konnte zahlreiche Fotos zur
Dokumentation machen. Das Untergeschoss des schönen Fachwerkhauses in der
Badgasse ist schon lange Zeit als 'Judenbad' bekannt und wurde
wahrscheinlich vor vielen Jahrhunderten als Ritualbad und Versammlungsraum
genutzt. Noch heute zu sehen sind ein Trog sowie zwei Säulen, von denen eine
interessante Inschriften trägt. Die Bedeutung der dort eingravierten Zahl
'6015' war lange unklar, bis es Ulrich Romberg gelang, sie zu entschlüsseln:
Von rechts nach links gelesen ergibt sie in jüdischer Zeitrechnung die
Jahreszahl 1346, aller Wahrscheinlichkeit nach das Erbauungsdatum des
Gebäudes, das damit zu den ältesten noch bestehenden Häusern Wildbergs
gehört. Es stellt sich nun die Frage, in welcher Form man weitere
Erkenntnisse gewinnen kann und wie man diese Interessierten zur Verfügung
stellt. Wir haben spannende Ideen."
Quelle:
https://www.morija.de/anno-1346/ |
|
Artikel von Martin Bernklau im
"Schwarzwälder Boten" vom 12. September 2017: "In Wildberg finden sich
wenig Spuren
"Macht und Pracht" war das Thema am "Tag des offenen Denkmals". Wildberg
scherte da etwas aus. In der Volksbank und nebenan, am so genannten
Judenbad, gab es Vorträge zur Geschichte der Wildberger Juden – und derer im
Kreis Calw.
Wildberg. Mit 'Jüdischen Schicksalen im Nordschwarzwald' beschäftigte
sich der Vortrag des Nagolder Realschullehrers Gabriel Stängle, der sich mit
seinen Schülern in das Thema eingearbeitet und ein Buch darüber verfasst
hat. Schuldekan Thorsten Trautwein sprach anschließend über den Umgang mit
dem Holocaust in der Kirche und im Unterricht. Ulrich Romberg schließlich
stellte am Schluss vor, was er über das so genannte Judenbad im Erdgeschoss
des benachbarten historischen Fachwerkhauses herausgefunden hat. Das
stattliche Haus an der alten Stadtmauer zur Nagold hin könnte – nach einer
Inschrift in der Säule – im Jahr 1346 von einem Maurer Yakob Rehhammer für
einen jüdischen Besitzer namens Leble errichtet worden sein, einen Betsaal
und ein rituelles Bad, eine Mikwe, enthalten haben. Nach alten Plänen führte
von diesem Abschnitt der heutigen Talstraße aus eine 'Judengasse' hinauf in
die Oberstadt, die jetzige Badgasse. Für das Jahr 1383 ist der Lehensbesitz
eines 'Jakob, der Jud' aus Alzey urkundlich
erwähnt.
Im 20. Jahrhundert aber, also schon vor der nationalsozialistischen
Entrechtung, Verfolgung und Vernichtung der Juden, gab es in Wildberg
praktisch keine Juden. Im ganzen Nordschwarzwald waren es auch nicht viele.
Eine Gemeindeleben oder Synagogen (wie zeitweise in
Unterschwandorf) gab es nicht
oder nicht mehr.
Schon Graf Eberhard im Bart hat den Juden zugesetzt. Deshalb hat
Gabriel Stängle mit seiner Gruppe auch nur die vergleichsweise kleine Zahl
von 15 Juden ausmachen können, die während der Nazi-Herrschaft der
Vernichtung anheimfielen und in Auschwitz, Treblinka oder Izbica ermordet
wurden. Der aus dem 'Judendorf' Rexingen
bei Horb stammende Viehhändler Hermann Hopfer besaß bis 1938 einen Stall und
eine Scheuer sowie einige Grundstücke in und um Wildberg. Er entkam der Shoa
und starb 1959 in den USA.
Geschichte hat immer auch eine Vorgeschichte. Was die Wildberger
Juden angeht und die wenigen verstreuten Juden des 1934 aus den Oberämtern
gebildeten Landkreises Calw, gehören zu diesen Gründen die Judenvertreibung
durch den württembergischen Landesherrn Graf Eberhard im Bart 1477 und der
Judenhass des Reformators Martin Luther, aber auch die oft besonderen Berufe
der Juden, zu denen sie auch die Ausgrenzung und die stetige Gefahr von
Pogromen und Vertreibung nötigte: Handlungsreisende, Kaufleute, aber auch
Ärzte, Künstler, Musiker. Nur als 'Schutzjuden' lokaler Adeliger wie der
Stauffenbergs oder des Malteser-Ordens hatten Juden eine Lebensgrundlage und
konnten in Dörfern wie Rexingen oder Baisingen leben.
Von der Märkten in Altensteig, Nagold, Wildberg, Neubulach oder Calw wurden
die jüdischen Viehhändler schon in den Dreißigerjahren ausgesperrt,
angestachelt durch die fanatischen Nazi-Größen und Abgeordneten in Stuttgart
und Berlin, den Schreiner Philipp Bätzner und den Arzt Eugen Stähle, die das
Obere Nagoldtal schon früh zu einer Hochburg der Hitlerpartei gemacht
hatten.
In Calw gab es die jüdische
Lindenwirtin Rosa Creuzberger und das Manufakturwarengeschäft Geschwister
Klemann der Michelsons. Ein Drogerie- und Fotogeschäft führten die Müllers
in Schömberg, in Wildbad – von jüdischen Gästen aus ganz Europa als Kurort
hoch geschätzt – gab es Häuser jüdischer Hoteliers und jüdische Kur- und
Badeärzte. Der in Neuweiler
praktizierende Landarzt und Witwer Eugen Marx konnte über Schanghai der
Verfolgung entkommen, seine in Nagold geborenen Töchter Ruth und Rosemarie
wurden jedoch im weißrussischen Lager Maly Trostinez ermordet. Dort in der
Nähe wütete auch der aus gut evangelisch-pietistischem Neubulacher
Elternhaus stammende SS-Standartenführer Eugen Steimle mit seinen
Einsatzgruppen-Kommandos bei Massenerschießungen von Juden hinter der Front.
Der in Nürnberg zunächst zum Tode verurteilte Schlächter wurde auf
Fürsprache von Leuten wie Theodor Heuss, Carlo Schmid und Landesbischof
Theophil Wurm bald begnadigt und aus dem Kriegsverbrechergefängnis Landsberg
freigelassen. Bis zu seiner Pensionierung lehrte er im evangelischen
Internats-Gymnasium Wilhelmsdorf Deutsch und Geschichte und starb dort
friedlich und unbehelligt im Jahr 1987. Schuldekan Thorsten Trautwein wies
auf den beschämenden Fall hin, ohne Namen zu nennen.
Das einstige Judenbad nebenan, wo früher der Wildberger CVJM sein Domizil
hatte, konnte zwar entgegen den Hoffnungen von Mitveranstalter Timo Roller
nicht besichtigt werden, aber der Bibel-Archäologe und Mikwe-Experte Ulrich
Romberg erläuterte den gut 40 Gästen von außen noch ein paar Details seiner
Forschungen zum dortigen Judenbad. Er hatte ja schon Namen genannt und gab
noch halb im Ernst eine Wildberger Redensart zum Besten, die womöglich auf
den einstigen jüdischen Besitzer des Hauses und seine Eigenheiten
zurückzuführen sein könnte: 'Du bisch mer au so’n Leble.'"
Link zum Artikel sowie
https://www.chr-nagold.de/fileadmin/CHR_Uploads/Presseberichte/2017-18/swb-nagold-2017-09-13-S_16.pdf
|
Links und Literatur
Links:
Literatur:
 | Paul Rieger (Text) / Oberrat der Israelitischen
Religionsgemeinschaft Württembergs (Hrsg.): Jüdische Gotteshäuser und
Friedhöfe in Württemberg. Stuttgart 1932 142 S. (= Publikation der
Soncino-Gesellschaft der Freunde des Jüdischen Buches e.V. Bd. 12). |
 | Helmut Veitshans: Die Judensiedlungen der
schwäbischen Reichsstädte und der württembergischen Landstädte im
Mittelalter. Band 1. Arbeiten zum historischen Atlas von Südwestdeutschland.
Kohlhammer 1970. Bd. V S. 59 und Bd. VI S. 24. |
 | Quelle für vor 1401: Jacob der Jude: in Karl-Heinz
Spieß: Das älteste Lehnsbuch der Pfalzgrafen bei Rhein vom Jahr 1401.
Edition und Erläuterungen (= Veröffentlichungen der Kommission für
geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe A Quellen Bd. 30).
Stuttgart 1981 S. 64 Nr. 340. |
 | Quelle für 1436: Quellen zur Verwaltungs- und
Wirtschaftsgeschichte der Grafschaft Hohenberg Bd. II S. 104.
|
 | Wilfried Braunn (Bearb.) Quellen zur Geschichte
der Juden bis zum Jahr 1600 im Hauptstaatsarchiv Stuttgart und im
Staatsarchiv Ludwigsburg. Stuttgart 1982. Nr. 134, 161, 876 und 878. |
 | Gabriel Stängle mit Sebastian Röhrle, Jeremias
Viehweg, Fabian Gote, Pascal Grimm und Kevin Schmidt (Hrsg.
Christiane-Herzog-Realschule Nagold): "Wir waren froh, als es vorbei war":
die Ausgrenzung und Verfolgung von Juden im Kreis Calw zwischen 1933-1945.
Horb am Neckar: Geigerdruck GmbH 2017 143 S. Ill. Karten ISBN
978-3865956491. |

vorherige Synagoge zur ersten Synagoge nächste Synagoge
|