Eingangsseite
Aktuelle Informationen
Jahrestagungen von Alemannia
Judaica
Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft
Jüdische Friedhöfe
(Frühere und
bestehende) Synagogen
Übersicht:
Jüdische Kulturdenkmale in der Region
Bestehende
jüdische Gemeinden in der Region
Jüdische
Museen
FORSCHUNGS-
PROJEKTE
Literatur
und Presseartikel
Adressliste
Digitale
Postkarten
Links
| |
zurück zur Übersicht "Synagogen in der Region"
zu den Synagogen in
Baden-Württemberg
Mühlen (Stadt Horb am Neckar, Landkreis
Freudenstadt)
Jüdische Geschichte / Betsaal/Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde
In dem bis zum Anfang des 19.Jahrhunderts
reichsritterschaftlichen Dorf Mühlen bestand eine jüdische Gemeinde bis 1921,
danach noch für einige Jahre in Verbindung mit Horb. Ihre Entstehung geht in
die Zeit um 1800 zurück. Seit 1832 war Mühlen noch Filialgemeinde zu Nordstetten,
wurde jedoch 1849 wieder selbständig.
Die ersten jüdischen Familien, die um 1800 durch den Freiherrn von Münch
aufgenommen wurden, wohnten im ehemaligen Schloss des Ortes, das allerdings 1807
abbrannte, wodurch 13 jüdische Familie vorübergehend obdachlos worden.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner
wie folgt: 1807 65 jüdische Einwohner, 1824 116, 1831 104, 1843 119, höchste Zahl jüdischer Einwohner um 1846 mit 142 Personen;
1869 65, 1886 41, 1900 31, 1910 16.
An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde eine Synagoge (s.u.), eine
jüdische Schule (1833 bis 1867 jüdische Konfessionsschule, danach
Religionsschule), ein rituelles Bad und einen Friedhof.
Die ehemalige "Judenschule" war zunächst im Haus Talmühleweg 9
untergebracht (ältere Schule bis 1845; Haus bis 1891 in jüdischem Besitz),
seit 1845 in der Stauffenbergstraße 3. In diesem Gebäude befanden sich seitdem
neben dem Schulzimmer auch die Lehrerwohnung, dazu eine im unteren Stock
eingerichtete Back- und Waschküche sowie das rituelle Bad. Zuvor (1824-1845)
war das Bad im ehemaligen "Feuerspritzenhäuschen" vor dem
"Löwen". Dieses Gebäude wurde 1858 abgebrochen. Zur Besorgung
religiöser Aufgaben der Gemeinde war ein Lehrer angestellt, der zugleich
als Vorbeter und Schochet tätig war. An jüdischen Lehrern ist unter anderen Karl
(Kallmann) Kahn bekannt (geb. 1824 in Nordstetten, gest. 1889 in Stuttgart;
Lehrer in Unterdeufstetten,
Gerabronn, dann in Mühlen von 1854 bis 1860, ab 1860 in Baisingen; Bericht über den Lebenslauf seines Sohnes
Seligmann siehe unten). Die Gemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk in Mühringen,
später Horb.
An ehemaligen jüdischen Häusern sind am Ort bekannt (Name des letzten Besitzers): Rebekka Bloch (bis 1910,
Rathausstraße 11), Sigmund Gideon (bis 1883, Rathausstraße 30), Liebmann Klein Erben (bis 1896,
Remigiusstraße 6), Ferdinand und Siegfried Levi (bis 1925, Rathausstraße 9), Ida Levi Erben (bis 1902,
Rathausstraße 28), Hermann Stein (bis 1919, Talmühleweg 10), Hugo Franz Stein (bis 1927, Rottenburger
Straße 3), Leopold Stein (bis 1924, ehemalige Synagoge, Rottenburger Straße
5), Oskar Stein (bis 1936, Lammstraße 5). Dazu ist als ehemaliger jüdischer Textilbetrieb die Mechanische Zwirnerei zu nennen, die in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden war (Gebäude Rathausstraße 14; 1857 von den jüdischen Fabrikanten Max und Heinrich Regensburger aus Haigerloch gekauft; 1872 weiterverkauft; Fa. Mayer &
Kober).
Im Ersten Weltkrieg fielen aus der jüdischen Gemeinde drei Söhne des
Handelsmannes Moritz Stein: Leutnant Bernhard Stein (gefallen 9. August 1916 in
Russland), Musketier Karl Stein (gefallen am 15. Oktober 1917 in Frankreich) und
Gefreiter Otto Stein (gefallen am 4. Juni 1918 in Frankreich). Ihre Namen stehen
auf dem Gefallenendenkmal des Gemeindefriedhofes.
1933 lebten noch drei jüdische Personen am
Ort, die kurz danach von Mühlen verzogen sind.
Aus der
Geschichte der jüdischen Gemeinde
Allgemeine Berichte
Die
Annahme fester Familiennamen durch die Juden der Schwarzwaldgemeinden 1827 -
Übersicht über die Veränderungen in den Gemeinden Rexingen, Baisingen,
Mühringen und Mühlen (Beitrag von Oberlehrer Straßburger, 1927)
Artikel in der "Gemeinde-Zeitung für die israelitischen Gemeinden
Württembergs" vom 1. Dezember
1926: |
|
|
|
|
Berichte zu
einzelnen Personen aus der Gemeinde
Zum Tod von Seligmann Kahn, Sohn des Lehrers Karl Kahn in
Mühlen (geb. in Mühlen 1859, gest. in Stuttgart 1931)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8. Oktober 1931:
"Stuttgart, 5. Oktober (1931). Nach langem mit großer Geduld
ertragenen Leiden entschließ am Simchas Tauroh im 73. Lebensjahre
Seligmann Kahn. Er wurde in Mühlen als Sohn des dortigen bekannten
Lehrers Karl Kahn - er ruhe in Frieden - geboren. Sehr früh
verließ er sein trautes Elternhaus, um ein arbeitsreiches Leben zu
beginnen. In den Jahren seines geistigen Ringens fand er Halt in der
Lektüre der Erzählungen des unvergesslichen Rabbiners Dr. Lehmann - er
ruhe in Frieden. Der Begründer des "Israelit" übte damals
von Mainz aus einen Einfluss auf den Jüngling aus, der ihn sein ganzes
Leben hindurch begleitete.
Als dann Ende vergangenen Jahrhunderts der Verstorbene mit seinem Bruder
Siegfried Kahn - er ruhe in Frieden - in Stuttgart sich
geschäftlich verband, entwickelte sich ein Zusammenarbeiten, wie es nur
selten unter Brüdern anzutreffen ist. Im wahren Sinne des Psalmisten
konnte man hier den Vers 'Siehe, wie schön und lieblich ist's, wenn
Brüder zusammenwohnen' (Psalm 133,1) ausgeführt sehen. Dieses
brüderliche Zusammenwirken schuf hier in Stuttgart ein Haus, in dem Jeder
gerne weilte und aus dem Arm und Reich befriedigt zogen. Unermüdlich in
beruflicher Pflicht, war Seligmann Kahn zu jeder Zeit zu haben, wenn
jemand seines Rates bedurfte. Täglich holte er sich Orchim
(Gäste) zu seinem Tisch. Nicht allein die religionsgesetzliche Pflicht
des Gebens war hier selbstverständlich, sondern die persönliche
liebevolle Behandlung der Gäste löste bei ihnen ein Gefühl aus, das man
nicht zu schildern vermag.
Auch von vielen Nichtjuden wurde sein unerschütterliches Bitochaun
(Gottvertrauen) bewundert. Bei geschäftlichem Ungemach, bei Krankheiten,
bei irgend einem Ereignis des Bangens stand er felsenfest auf dem Boden
des Gottvertrauens. Mit seinem Grundsatz 'trotzdem vertraue ich'
riss er Zagende stets mit.
Wer diese patriarchalische Gestalt beim Lernen sah, musste für ihn
eingenommen sein. Mindestens drei Stunden am Tage verbrachte er mit dem
Studium der heiligen Lehre. Ganz besonders meisterte der Tenach
(hebräische Bibel), sodass er es nicht notwendig hatte, irgend einen
Posuk (Vers) aus diesen 24 Büchern nachzuschlagen.
Zu Eingang von Simchas Tauroh ist Seligmann Kahn in die bessere Welt
berufen worden. Mit der Tauroh (Tora) durfte er sein segensreiches Leben
beschließen, gerade an dem Tage, an dem er stets seinen Lernplan fürs
ganze Jahre neu festlegte.
Er lebt weiter in unserer Mitte. Sein Geist, sein Wirken gingen nicht nur
auf seine Gattin, seinen Sohn, Schwiegersohn und seine Tochter über,
sondern Viele, die zu seinem nächsten Kreise zählten, werden in seinem
Sinne künftig handeln.
Die Wohltätigkeit, die hier in Stuttgart ausgeübt wird, wird stets mit
dem gottgesegneten Namen Seligmann Kahn verbunden bleiben. Seine Seele sei
eingebunden in den Bund des Lebens." |
Zur Geschichte des Betsaales / der Synagoge
Die ersten Familien wurden im ehemaligen Mühlener Schloss aufgenommen (Haus Nr.
56 "Mitten im Dorf", heute Nachfolgebau auf Grundstück Rathausstraße
1). Reichsfreiherr Baron von Münch hatte den Familien bei ihrer Aufnahme gegen
Entrichtung von jährlich 20 Gulden "auf ewig" eine Synagoge
zugesichert. Der in einem Zimmer des Schlosses eingerichtete Betsaal war
mit "Ständern" (Stehpulten) ausgestattet. Am 14. Juli 1807
brannte das Schloss ab, wodurch die 13 jüdischen Familien vorübergehend
obdachlos wurden. Auch der Betsaal ist mit den Torarollen und allen
Einrichtungsgegenständen ein Raub der Flammen geworden.
Drei Jahre nach der Brandkatastrophe bemühte sich die jüdische Gemeinde um den
Bau einer Synagoge am Ort. Ein Grundstück war 1810 erworben und der Mühlener
Zimmermeister Konrad Müller mit dem Bau der Synagoge beauftragt worden. Der
Eutinger Maurermeister Gsell fertigte den Bauplan. Am 2. April 1811 baten die
Vorsteher der jüdischen Gemeinde Mühlen bei der Regierung in Stuttgart um die
Erlaubnis, den Bau der Synagoge ausführen zu dürfen. Damals gab es 22 jüdische
Familien mit 84 Personen in Mühlen, die den auf 1.300 Gulden veranschlagten Bau
zu finanzieren hatten. Die Stuttgarter Behörde genehmigte mit Schreiben vom 25.
April 1811 den Bau. Etwa die Hälfte der Kosten wurde mit dem Verkauf von
Synagogenplätzen an die Gemeindeglieder eingebracht. Der noch fehlenden Betrag
musste über Kredite von der Grundherrschaft aufgebracht werden. Jedenfalls
konnte in den folgenden Monaten der Bau ausgeführt und noch 1811 oder spätestens
1812 eingeweiht werden.
Bei der Neueinteilung der Synagogengemeinden in Württemberg 1832 wurde Mühlen
Filialgemeinde von Nordstetten.
Dies hätte das Ende des öffentlichen jüdischen Gottesdienstes in Mühlen
bedeutet, wenn nicht die Mühlener Gemeinde energisch darauf bestanden hätte,
weiterhin eigene Gottesdienste am Ort zu feiern. Von Seite der Behörden wurde
ein "provisorische Gottesdienst" in Mühlen unter der Voraussetzung
genehmigt, dass die Mühlener Gemeinde dennoch ihre Beiträge zur Gesamtgemeinde
Nordstetten bestreitet und durch den Gottesdienst in Mühlen derjenige in
Nordstetten nicht gefährdet wurde. Dem stimmten die Mühlener zu, worauf sie in
den folgenden Jahren auch einen eigenen Vorsänger und Lehrer anstellen konnten.
Für ihn und die israelitische Schule in Mühlen konnten zunächst jedoch nur
Mieträume zur Verfügung gestellt werden, bis 1845 zum Preis von 2.338
Gulden ein Gebäude erworben wurde, in dem die Schule und die Lehrerwohnung
eingerichtet werden konnten (Haus Stauffenbergstraße 3). 1849 wurde Mühlen
wieder eine selbständige, von Nordstetten unabhängige Gemeinde.
Staatszuschuss für den Erwerb des Schulhauses
Für
den Kauf eines Gebäudes, in dem die Schule und die Lehrerwohnung
eingerichtet werden konnten, erhielt die jüdische Gemeinde einen
Staatszuschuss von 300 Gulden (aus einer Zusammenstellung solcher
Staatszuschüsse in einem Artikel in der Zeitschrift "Der
Israelit" vom 30. November 1911). |
Mehr als einhundert Jahr lang diente die kleine Synagoge in
der Rottenburger Straße 5 den Mühlener Juden als Versammlungsort und
Gotteshaus. Anfang 1921 war die Zahl der ortsansässigen Juden jedoch so
klein geworden, dass die Gemeinde bei der Israelitischen Oberkirchenbehörde den
Antrag auf Selbstauflösung und Eingliederung in die Horber Gemeinde stellte. 1922
wurde die Synagoge verkauft und im Folgejahr zu einem bis heute erhaltenen
Wohnhaus umgebaut.
Fotos / Pläne:
Fotos nach 1945/Gegenwart:
Neuere Fotos werden noch
ergänzt; über Zusendungen freut sich der Webmaster der "Alemannia
Judaica"; Adresse siehe Eingangsseite. |
|
|
|
|
Links und Literatur
Links:
Quellen:
Literatur:
| Paul Sauer: Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. 1966. S.
128-129. |
| Manfred Steck: Die alten Häuser von Mühlen. Mühlener Schriften
in 6 Folgen. Band I (Hefte 1-2) 1997, Bd. II (Hefte 1-2) 1998; zur Synagoge insbesondere Band III, Heft 2 (6. Folge). Horb 2002. S. 91-94. |
| Joachim
Hahn / Jürgen Krüger: "Hier ist nichts anderes als
Gottes Haus...". Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte
und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen. Hg. von Rüdiger Schmidt,
Badische Landesbibliothek, Karlsruhe und Meier Schwarz, Synagogue Memorial,
Jerusalem. Stuttgart 2007.
|
vorherige Synagoge zur ersten Synagoge nächste Synagoge
|