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in Wiesbaden
Wiesbaden (Hessen)
Texte/Berichte zur jüdischen Geschichte der Stadt im 19./20. Jahrhundert
Allgemeine Texte sowie Berichte aus dem jüdischen Gemeinde- und Vereinsleben im
19./20. Jahrhundert
Die nachstehend wiedergegebenen Texte mit
Beiträgen zur jüdischen Geschichte in Wiesbaden wurden in jüdischen Periodika
gefunden.
Bei Gelegenheit werden weitere Texte eingestellt.
Die Texte wurden dankenswerterweise von Susanne Reber (Mannheim) abgeschrieben
und mit Anmerkungen versehen.
Übersicht:
Allgemeine Texte
Von der Schönheit
Wiesbadens
(1856)
Hinweis: der Bewunderer Wiesbadens sieht den 1851 durch Landesbaumeister
Philipp Hoffmann (der später auch die Synagoge baute) erstellten griechischen
Tempel im Mittelpunkt des Neroparks des Neroberges. Auch die 1847 bis 1851
gleichfalls von Philipp Hoffmann am Neroberg erbaute Russisch-Orthodoxe Kirche
hatte fünf goldene Kuppeln.
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 24. November 1856: "Wie prächtig erglänzen die vergoldeten
Kuppeln des griechischen Tempels auf dem Neroberge bei Wiesbaden in das
ferne Rheintal hinab. So und noch herrlicher magst du einst, stolzes Zion,
in den Tagen deiner Größe gestrahlt haben. So und noch prächtiger erglänzten
deine goldenen Zinnen, Tempel auf Moriah! So und noch köstlicher blinkten
einst deine Kuppeln in die Ferne, Jerusalem, du majestätische Stadt! In den
Tagen deiner Herrlichkeit, als Israel an seinen Festen hoch nach deiner
Thronstätte pilgerte. Ja, großartig schön muss es gewesen sein, wenn das
Volk in unabsehbaren Zügen nach Jerusalem seinen Schritt lenkte, um die
Erstlingsgaben (bikurim) darzubringen. In reichverzierten,
prächtig mit edlen Früchten geschmückten, teils geflochtenen, teils goldenen
Körben, bedeckt mit Trauben, umhangen von Tauben, war die Gabe enthalten.
Gleich mächtigen Stromesfluten schwollen die Züge an, je näher sie der
Hauptstadt kamen. War endlich unter Zimbel- und Flötenklang das Weitbild der
Stadt erreicht, so sagte der Anführer: 'Auf, lasset uns hinauf wandeln nach
Zion zum Ewigen, unserem Gotte!' von den Beamten des Tempels und den Großen
der Stadt eingeholt, betraten endlich die frommen Pilger die Tore der
heiligen Stadt, des Psalmisten Worte anstimmend: 'Unsre Füße stehen in
deinen Toren, Jerusalem!' Mit des Psalmisten Gruß: 'Der Segen Gottes über
euch! Wir preisen euch im Namen des Herrn!' wurden überall die Wanderer
empfangen. So schritt der festliche Zug immer unter dem frohen Schalle der
Musik durch die Straßen der Stadt dem Tempelberge zu. Hier angelangt fanden
es selbst Könige nicht unter ihrer Würde, den eigenen Korb auf die Schulter
zu nehmen, indem sie des gekrönten Sängers Worte anstimmten: 'Lobet den
Herrn in seinem Heiligtume. - - - Alles was Odem hat, lobe den Herrn!'
(hebräisch und deutsch:) Heil dem Auge, das solches geschaut!"
Anmerkungen: -
Zion: https://de.wikipedia.org/wiki/Zion
-
Moriah: https://en.wikipedia.org/wiki/Moriah
- Bikurim: vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Fest_der_Erstlingsfrucht
-
Zimbel: https://de.wikipedia.org/wiki/Zimbel
-
Tempelberge: https://de.wikipedia.org/wiki/Davidsstadt
|
Der
Privatier Phil. Zimmer (evangelisch) vermacht größere Summen auch den
jüdischen Gemeinden der Stadt (1890)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom
11. Juli 1890: "Wiesbaden, im Juli (1890). Vor einiger Zeit
starb dahier der hiesige Privatier Phil. Zimmer, ein evangelischer
Christ, der außer mehreren interkonfessionellen Wohltätigkeitsvereinen,
die er mit einem Legate von je 500 Mark bedachte, auffallender Weise auch
den 'beiden israelitischen Kultusgemeinden' dahier je 500 Mark
vermachte. Auffallend ist dieses Vermächtnis deshalb, weil der
Verblichene weder der evangelischen, noch der katholischen Kirchengemeinde
etwas vermachte, und auch die übrigen hier vorhandenen religiösen
Gemeinschaften leer ausgingen. (Wie ich höre, war seine im Tode
vorausgegangene Ehegattin eine getaufte Jüdin)." |
Vorstellung
einer Publikation zur Geschichte der Juden in Wiesbaden (1891)
Anmerkung: die Angaben zeigen den Forschungsstand Ende des 19. Jahrhunderts.
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 11. Juni 1891: "Der soeben erschienene 23. Band der 'Annalen des Vereins für nassauische
Altertumsfunde und Geschichtsforschung' (Wiesbaden 1891, Roths Buchhandlung)
enthält unter anderem eine recht interessante Abhandlung über 'Die Juden zu
Wiesbaden' von F. Otto. Wann zuerst Juden nach Wiesbaden gekommen, darüber
ist wenig bekannt. Aus dem Mittelalter existieren nur zwei Aufzeichnungen:
Eine aus dem Jahr 1385, die einen Juden Kirsam und eine aus dem Jahre 1427,
die einen Gebhardt erwähnt. Die Judenverfolgungen des 14. Jahrhunderts haben
also nicht die vollständige Austreibung der Juden oder das Verbot ihrer
Zulassung in die Stadt zur Folge gehabt. Mehr wissen wir über die erste
Hälfte des 16. Jahrhunderts: 1518 wird dem Juden Jacob von Nürnberg der
Schutzbrief vom Grafen Philipp erneuert; wiederum 1521 und 1534 auf dessen
Eidam Kipps ausgedehnt. Ein Streit der Bürgerschaft mit Jacob veranlasst
Philipp, den Jacob auszuweisen, nachdem die Bürger sich erboten, dem Grafen
100 Gulden zu zahlen, doch es tritt ein anderer Jude, Gump, an dessen
Stelle, zu dem dann noch ein Moses kommt, die mit den Bürgern in Frieden
leben. Ein weiterer ist hinzugekommen, Joseph, der noch anders veranlasst in
die Stadt zu ziehen, bekommt einen Prozess mit der Stadt, dem wir ein
interessantes Aktenstück verdanken. Alles Mögliche und Unmögliche wird den
Juden, deren Geschäftskonkurrenz die Bürger fürchten, nachgesagt; so unter
anderem, dass sie in ihren Häusern Fest feiern, welche das Christentum und
dessen Stifter verspotten. So lautet ein Anklagepunkt: 'Es hat Joseph Sohn,
Weib und sonst noch ein Judin bey ihn uff den Grünen Donnerstag, als weib
und mannsperson zu dem hl. Abendmahl gangen, uff der gassen gestanden, der
Juden weib zu der andern Judin gesagt, honischer und spottischer weiß.
Weich, weich, Last sie gehen, sie hungern, haben heutt gefast u.s.w.' So
sollen dann die Juden auch 'ein sonder Synagog uffgericht' haben, die
Christen zu verfluchen und ihnen alles Unglück anzuwünschen. 'Es ist hiebevorn, als Mohel hiebevorn Faßnacht nach jüdischer gewonheydt, hatt sich
Mohel Judt Knecht uff der Ert mit überschlagenen Füßen, ausgestreckten Armen
zur Kreuzfigur gelegt undt die anderen Juden umd ihn getanzt und undweilen
einer dan die andern dem liegenden Juden im Umtanzen ein Stoß mit einem Fuß
geben, also unsern Seligmacher, den Kreuzigsten verlestert.' In der Tat
stand es sehr schwach mit allen andern Klagepunkten, den Handel der Juden
betreffend, die nur deren größte Rührigkeit bewiesen, dass man zu solchem
Blödsinn die Zuflucht nehmen müsste. Das Gesuch war ohne Erfolg. Der Anfang
des 30jährigen Krieges sollte für die Machinationen der Judenfeinde, an
deren Spitze die Geistlichkeit stand, günstiger sein, die Verschlechterung
der Münzen durch die Kipper und Wipper gab den Vorwand, und Graf Ludwig
befahl im Jahre 1621 die Räumung der Stadt von den Juden. Doch blieben sie
noch, natür- |
lich gegen Aufwendung großer Geldmittel, bis zum Oktober 1626. Im Jahre 1637
wurde unter dem Erzbischof von Mainz, dem Wiesbaden zufiel, dem Juden Nathan
der Wohnsitz in Wiesbaden gestattet, seitdem siedelten sich dort wieder
Juden an, ohne aber, dass damit ihre Leidenszeit vorbei gewesen wäre. Um
1700 wurde der erste Rabbiner angestellt; das gegenwärtige Jahrhundert
brachte den dortigen Juden die Gleichberechtigung.-
Der Tod des bedeutenden und bis jetzt noch nicht ersetzten
Zentrumspolitikers, Ludwig Windthorst, hat das merkwürdige Wunder geübt, für
einen Moment allen Parteihader im deutschen Reiche verstummen zu lassen.
Alle einten sich angesichts des Hintritts dieses Mannes dem hohen
Gerechtigkeitssinne zu huldigen, das ihn während seines langen Lebens
auszeichnete. In all den traurigen Zeiterscheinungen, die manchen zum
Pessimisten machen könnten, ist es doch ein erhebendes Gefühl, dass die
Achtung vor der Wahrhaftigkeit, vor der Ehrlichkeit des Charakters größer
ist, als jede Parteirücksicht, dass sie sich über den Parteistandpunkt
erhebt. Wir werden hieran wieder durch eine kurze Lebensbeschreibung Ludwig
Windhorsts aus der Feder des Pfarrers Joh. Menzenbach (Trier, Paulinus-Druckerei) erinnert. Diese stellt, nachdem das Leben dieses
Mannes erzählt ist, zum großen Teile die Nachrufe zusammen, die diesem
Parlamentarier in den Zeitungen gewidmet wurden, unter denen sich natürlich
auch die der jüdischen Blätter befinden, die warme Worte für den Hintritt
Windthorsts, den Vertreter der Rechtsgleichheit aller Konfessionen, hatten."
Anmerkungen: -
Eidam: https://www.dwds.de/wb/Eidam
-
Mohel: https://de.wikipedia.org/wiki/Mohel
-
Machination: https://www.dwds.de/wb/Machination
-
Kipper und Wipper:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kipper-_und_Wipperzeit
-
Zentrum: https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Zentrumspartei
-
Ludwig Windthorst: https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Windthorst
https://www.demokratie-geschichte.de/koepfe/2089
|
Anlässlich
der Gründung eines antisemitischen Vereins in Wiesbaden: Aufruf gegen nicht reelle
Geschäftspraktiken unter jüdischen und christlichen Geschäftsleuten
(1892)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 14. November 1892: "Wiesbaden. Das hiesige Tagblatt enthält in seiner Samstagsnummer folgende
'Stimme aus dem Publikum': Das 'Tagblatt' brachte jüngst einen Artikel über
Gründung eines antisemitischen Vereins am hiesigen Platze. Seither hat man
derartige Gegensätze hier nicht gekannt, und konfessioneller Friede war in
Nassau, besonders in unserer Bäderstadt, von altersher. Viel wichtiger wäre
es, wenn sich ein Verein bilden würde, der es sich zur Aufgabe macht,
schwindelhafte Ausverkäufe etc. zu bekämpfen, gleichviel, von welcher Seite
sie kommen; denn die ganze Gründung des antisemitischen Vereins ist doch
weiter nichts, als ein Kampf gegen unreellen Handel. Es gibt Geschäfte,
christliche und jüdische, die seit Jahren in kurzen Zeiträumen unter
irgendeinem Vorwande Ausverkäufe inszenieren, bei denen das Publikum nur
getäuscht wird. Hier ist es die Aufgabe des reellen Geschäftsmannes und
aller ehrlich Denkenden, einerlei ob Christ oder Jude, Front zu machen, denn
nicht die Religion, sondern die Unreellität muss bekämpft werden. Kein
gediegener Geschäftsmann hat es nötig, vorausgesetzt, dass er nicht in
kurzer Zeit liquidieren will, seine Ware unter Wert, wie so oft heutzutage
zu lesen, zu verkaufen. Unter welcher Flagge auch der Ausverkauf angezeigt
wird, ob in Folge Umzugs, Inventur etc., die gute Ware hat immer ihren Wert
und wer bei solcher Gelegenheit auf den Leim geht, wird finden, dass er in
reellen Geschäften, ohne Ausverkauf, ebenso billig angekommen wäre. Also
Front gegen jeden Schwindel und alle marktschreierischen Annoncen. Gründen
wir einen Verein, dessen Mitglieder sich zur Aufgabe machen, das ehrliche
Geschäft zu unterstützen und die unreellen Ausverkäufe etc., kurzum jeden
Schwindel, zu bekämpfen und richtig zu beleuchten."
Anmerkung: -
Liquidieren: (hier) sein Geschäft aufgeben |
Abweisung
eines jungen jüdischen Kaufmanns bei der Bewerbung zum militärischen
Freiwilligendienst (1904)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 11. April 1904: "Wiesbaden, 4. April. Ein junger israelitischer Kaufmann hatte sich als
Zweijährig-Freiwilliger bei einer Batterie des Artillerieregiments Nr. 27
gemeldet. Der Hauptmann erklärte ihm unter Berufung auf die Weisung einer
anderen Dienststelle mit dem Ausdruck des Bedauerns, dass er israelitische
Freiwillige nicht mehr annehmen dürfe. Durch Vermittelung des Vereins der
Staatsbürger jüdischen Glaubens wurde dagegen Beschwerde geführt, in Folge
derer vom kommandierenden General des 18. Armeekorps der schriftliche
Bescheid kam, dass die Zurückweisung eines Freiwilligen seines Glaubens wegen
'nach den gesetzlichen Bestimmungen
ungerechtfertigt' ist. Das Erforderliche sei veranlasst worden, und dem
Bewerber werde anheimgestellt, sein Gesuch beim Regiment zu erneuern. Er
hatte sich aber inzwischen schon bei einem anderen Truppenteil gemeldet und
war angenommen worden. Der ersten Abweisung soll ein Missverständnis
zugrunde gelegen haben. Wie dieses entstehen konnte, ist nicht ganz
aufgeklärt worden, zumal der oben erwähnte Hauptmann für seine Person nicht
des Antisemitismus verdächtig sein kann, da bei seiner Batterie in der
letzten Zeit zwei jüdische Einjährige zum Vizefeldwebel befördert worden
waren."
Anmerkungen: -
Batterie:
https://de.wikipedia.org/wiki/Batterie_(Militär)
Einjährige: https://de.wikipedia.org/wiki/Einjährig-Freiwilliger |
Schlagfertiger
Fremdenführer in Wiesbaden (1909)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 26. August 1909: "(Antisemiten-Andacht) Fährt da ein Fremder in der Stadt Wiesbaden umher und
lässt sich vom wackeren Rosselenker die nötigen Aufklärungen über Namen und
Bedeutung der einzelnen Bauwerke geben. Der Cicerone weist mit der Peitsche
nach rechts und sagt mit dem ganzen Stolz des Mannes, der alles weiß: 'Die
Synagog’!' Und als der Fahrgast nicht sofort deutliche Zeichen des
Verständnisses von sich gibt, fügt er hinzu: 'Die Juddekerch!' - 'Ach', tönt es ihm aus dem Wagen entgegen,
'sind hier so viele Israeliten?
Das hätte ich gar nicht gedacht.' - 'Doch, es sinnere genug do!' - 'Hm, da
haben Sie wohl auch sehr viele Antisemiten hier?' - 'Ja, natürlich',
antwortete es die Weisheit vom Bock herab, 'e ganze Meng. Awwer zu einer
eigenene Kerch hawwe se’s noch net gebracht.'"
Anmerkungen: -
Cicerone: https://de.wikipedia.org/wiki/Cicerone
-
Juddekerch: 'Judenkirche'
- 'Doch, es sinnere…': 'Doch, es sind genug von ihnen da.'
- '..e ganze Meng…': '..eine ganze Menge. Aber zu einer eigenen Kirche haben
sie es bis jetzt noch nicht gebracht.' |
Der
jüdische Händler Citronenbaum aus Mainz erscheint am zweiten jüdischen Neujahrstag nicht vor
Gericht in Wiesbaden (1912)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 2. Oktober 1912: "Wiesbaden, 24. September. In einer am zweiten Rosch-Haschanah-Tage vor der
hiesigen Strafkammer angestandenen Strafsache war unter anderem auch der
Händler Citronenbaum aus Mainz, der jüdischer Religion ist, geladen. Bereits einige Tage vor dem Termin
hat er zu den Akten mitgeteilt, dass er infolge der hohen jüdischen Feiertage
(Neujahrsfest) nicht zu dem Termin erscheinen könne, er bat deshalb um
Verlegung des Termins. Der Vorsitzende der Ferienstrafkammer ließ dem Zeugen
darauf die Nachricht zugehen, dass er bei Meidung einer Strafe zu der
Verhandlung erscheinen müsse. Eine Verlegung der Sache sei wegen der anderen
geladenen Zeugen unmöglich. Citronenbaum leistete jedoch der Vorladung am
Freitag keine Folge, sondern sandte ein Telegramm des Inhalts: 'Meine
Religion verbietet mir jegliches Reisen. Citronenbaum.' Der Staatsanwalt
beantragte hierauf gegen den Zeugen 20 Mark Ordnungsstrafe. Das Gericht sah
jedoch von einer Bestrafung ab, indem es annahm, dass der Zeuge, wenn
religiöse Bedenken dem Erscheinen vor Gericht entgegen stehen, als
entschuldigt anzusehen sei. Zu Fuß von Mainz nach Wiesbaden zu gehen, könne
dem Zeugen keineswegs zugemutet werden, auch könne man dieses vielleicht als
ein Reisen auffassen."
Anmerkung: -
Rosch-Haschanah: https://de.wikipedia.org/wiki/Rosch_ha-Schana
|
Der
Hetzpastor von Borkum Ludwig Münchmeyer hält in Wiesbaden einen antijüdischen
Vortrag (1920)
Anmerkung: es handelt sich um Ludwig Münchmeyer (geb. 1885 in Hoyel, gest.
1947 in Böblingen); als evangelischer Pastor auf der ostfriesischen
Nordseeinsel Borkum (seit 1920) tat er sich durch besonders aggressive
antisemitische Hetzreden hervor. 1925 eröffnete das Landeskirchenamt der
Hannoverschen Landeskirche ein Disziplinarverfahren gegen Münchmeyer; 1929
wurde er aus dem Kirchendienst mit allen Konsequenzen entlassen. 1928 wurde
Münchmeyer "Reichsredner" der NSDAP, 1930 zog er in den Reichstag
ein, in dem er bis Mai 1945 verblieb. Bis zu seinem Tod blieb Münchmeyer
unbelehrbarer Nationalsozialist.
Vgl. Wikipedia-Artikel
Ludwig Münchmeyer.
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 14. Februar 1920: "Der bekannte Hetzpastor von Borkum,
Münchmayer, hielt auf einer
nationalsozialistischen Versammlung in Wiesbaden einen Vortrag und
verkündete, dass er und seine Freunde bestrebt sein würden, aus Wiesbaden 'ein zweites, großes Borkum' zu machen. Die Kurinstanzen und die Hoteliers
fordern energisches Einschreiten der Stadtverwaltung gegen solche Schädigung
des Rufes von Wiesbaden." |
Schwere
Zusammenstöße zwischen jüdischen Frontsoldaten und Nationalsozialisten (1927)
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 28. Januar 1927: "Wiesbaden. Hakenkreuzler und jüdische Frontsoldaten.
Bei dem ersten
Auftreten der Nationalsozialisten im besetzten Wiesbaden anlässlich einer
Wahlversammlung für die bevorstehenden Stadtverordnetenversammlung ist es
vorige Woche zu schweren Zusammenstößen mit einer Abordnung des Reichsbundes
jüdischer Frontsoldaten gekommen. Nach vorheriger Vereinbarung mit dem
Vorsitzenden, war der Abordnung unter der Voraussetzung, dass sie die Ruhe
nicht stören und sich nur an der Diskussion beteiligen würde, der Zutritt
erlaubt worden. Beim Eintritt kam es plötzlich durch das lärmende Vordringen
eines Versammlungsbesuchers zu einem Streit, der sofort in eine Schlägerei
mit Stöcken und Stühlen ausartete. Es gab zwölf bis fünfzehn mehr oder
weniger erheblich Verletzte. Nach Schluss der Versammlung wurden die
Teilnehmer auf Waffen hin untersucht; es wurden bei den Hakenkreuzlern
Gummischläuche und Stöcke, sowie eine Reitpeitsche festgestellt. Nachdem die
Hunderte, die sich auf der Straße angesammelt hatten, zerstreut waren,
verließen die Hakenkreuzler auf Lastautos, mit denen sie von
Frankfurt gekommen waren,
die Stadt. Vom R.j.F., der behauptet, die Polizei hätte energischer
zugreifen müssen, ist eine Eingabe hierüber dem Regierungspräsidenten
überreicht worden. Die Polizei behauptet dem gegenüber, der Streit sei so
plötzlich ausgebrochen und habe so rasch um sich gegriffen, dass nicht seine
Verhütung, nur seine Einschränkung und seine rasche Beilegung möglich
gewesen wäre."
Anmerkung: -
Reichsbund jüdischer Frontsoldaten:
https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsbund_jüdischer_Frontsoldaten |
Der
Besitzer des Hotels "Frankfurter Hof" zeigt seine antisemitische
Gesinnung (1927)
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 28. Januar 1927: "Wiesbaden. Der Besitzer des Hotels
'Frankfurter Hof' hier scheint keinen
Wert auf den Besuch von Juden in seinem Lokal zu legen. Wie wir der 'C.V.
Zeitung' entnehmen, wurden bei den Einweihungsfeierlichkeiten seiner Räume
auf sämtlichen Tischen Exemplare des antisemitischen 'Nassauer Beobachters'
ausgelegt und trotz Einspruchs der anwesenden jüdischen Gäste nicht
weggenommen."
Anmerkung: -
Der Besitzer war Metzgermeister Otto Nicol, Oberpfortstraße 2.
- C.V.-Zeitung = Zeitschrift des "Central-Vereins" |
Chassidische
Führer zu Besuch in Wiesbaden (1928)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 12. Juli 1928: "Chassidische Führer in Wiesbaden und Frankfurt.
Der bekannte Bobower Rebbe wird, wie uns aus Krakau gemeldet wird, kommende
Woche zur Kur nach Wiesbaden kommen und Parkstraße 53 absteigen.
Der Strykower Rebbe kommt von Nauheim
nächsten Dienstag oder Mittwoch nach Wiesbaden und von da nach
Frankfurt."
Anmerkungen: -
Chassidismus: https://de.wikipedia.org/wiki/Chassidismus
-
Rebbe: https://de.wikipedia.org/wiki/Admor
- Bobower Rebbe: vgl.
https://en.wikipedia.org/wiki/Bobowa |
Ausflug
einer jüdischen Jugendgruppe aus Frankfurt nach Wiesbaden (1928)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 29. November 1928: "Ein Sonntagnachmittag in Wiesbaden
Das war ja eine stattliche Zahl von fröhlichen Mädels und Jungens, die sich
vorigen Sonntagnachmittag um 1 Uhr am Hauptbahnhof traf, um gemeinsam einen
Abstecher nach Wiesbaden zu machen! Die Fahrt war sehr lustig und dort wurde
man am Perron erwartet. Die 'Meenzer' Freunde trafen auch kurz darauf ein,
und nun ging es im zwanglos geordneten Gänsemarsch durch die Stadt zum Neroberg. Für manchen Teilnehmer war es recht gesund, den Berg hinauf zu
kraxeln und wirklich, es lohnte sich der Mühe. Denn welch ein Anblick auf
die Rheinebene im Hintergrund, im herbstlichen Sonnenschein der glitzernde
Rhein und unten das herrliche Kurstädtchen bzw. die Großstadt Wiesbaden! Ein
lieber Freund, der Hoffotograf der Aguda-Jugend, Herr Arno Katz, hielt die
Teilnehmer im Bilde fest und welch lachende Gesichter durfte er knipsen!
Nach einem kurzen Blick ringsum auf die herrliche Herbstlandschaft und es
ging nun gar zu schnell wieder hinunter, da die Kehilla ihre jugendlichen
Gäste zum Gottesdienst in Schul erwartete.
Nachdem im Café recht gemütlich auch seines Magens gedacht hatte, trennte
man sich in kleine Gruppen zur Besichtigung der Stadt und des Kurhauses.
Selbst für den verwöhnten Frankfurter
waren die Eleganz der Auslagen und der Dekorationen wert, angesehen zu
werden, nicht zuletzt das Kurhaus, das man besichtigte.
Um 6.30 Uhr fand man
sich wieder im Hörsaal der Gemeinde ein und allmählich ward das Nachtmahl
aufgetragen. Wiesbadener und Frankfurter Damen hatten alles glänzend
arrangiert. Besondere Erwähnung muss die Tochter des Hauptorganisators der
Veranstaltung in Wiesbaden, Frl. Deutsch, finden, und auch eine
Frankfurterin, Frl. Wohl hatte mit viel Mühe alles 'wohl' zubereiten helfen.
Inzwischen haben sich verschiedene Wiesbadener Herrschaften eingefunden, um
einen gemütlichen Abend mit der Aguda-Jugend zu verbringen. Nach einigen
ermunternden Gesängen unter Leitung des lieben Freundes Ernst begrüßte der
Vorsitzenden der Frankfurter Gemeinde, Herr Rechtsanwalt Dr. Katz, die
Anwesenden, insbesondere Herrn Rabbiner Dr. Ansbacher und Herrn Lehrer Hes,
sowie den Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde, Herrn Cahn, ferner
die Mainzer Gäste und einen Vertreter der
Kreuznacher
Jugend. Im Verlauf des Abends, in abwechselnder Folge von Speis und Trank,
Gesang und becheinten jüdischen Witzen – besonders bei letzteren war die
Beteiligung recht rege – sprachen noch Herr Lehrer Hes, Herr Vorsteher Cahn,
sowie Herr Rechtsanwalt Sulzberger. Bei den gesanglichen Darbietungen sind
besonders die Herren Lehrer Hes und Lehrer Frankfurter aus
Mainz
hervorzuheben. Ein Rundgesang wurde unter allgemeiner Beteiligung recht laut
gesungen.
In der angenehmen Stimmung verlief der Abend so schnell, dass man sich, als
man sich schon nach 11 Uhr trennen musste, dazu kaum entschließen wollte.
Nach erfolgter allgemeiner Verabschiedung bestieg man den Zug, der einen
spät nach Mitternacht nach Frankfurt wieder zurückbrachte.
Das war nun eine wirklich wohlgelungene Veranstaltung der Jugendgruppe und
sie hatte gezeigt, dass die Jugend, die die Woche hindurch die Abendstunden
mit Ernst und Eifer sich dem Studium des Gotteswortes widmet, auch Sinn und
Interesse für echte jüdische Geselligkeit und jugendliche, muntere
Heiterkeit hat."
Anmerkungen: -
Perron: https://de.wikipedia.org/wiki/Bahnsteig
-
Aguda-Jugend:
https://de.wikipedia.org/wiki/Agudath_Israel_Weltorganisation
vgl. Artikel von
1925
-
Kehilla: https://de.wikipedia.org/wiki/Kehillah
-
Rabbiner Ansbacher: vgl.
Artikel zu seiner Amtseinführung in Heilbronn 1911
-
Becheint (jiddisch): nett, liebenswürdig, witzig
-
Rechtsanwalt Sulzberger: vgl.
Artikel von 1916 |
Verbot
des Aufmarsches von Hakenkreuzler (1929)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 11. April 1929: "Aufmarsch der Hakenkreuzler in Wiesbaden verboten
Wiesbaden, 3. April.
Für Sonntag hatten die Hakenkreuzler hier einen großen Aufmarsch ihrer
Verbände aus Nassau, Hessen und der Pfalz angekündigt. Sie hatten den Tag,
an dem hier die vielen hundert Ärzte aus Deutschland zu dem Medizinkongress
eintreffen, mit Absicht gewählt. Da die Kurinteressenten aber durch das die
Kur schädigende Treiben der Nationalsozialisten sich schon zu der Forderung
einer politischen Bannmeile für das Kurviertel veranlasst gesehen hätten,
hat die Polizei diesen Aufmarsch verboten, ebenso eine für den gleichen Tag
geplante Kundgebung der Sozialdemokraten gegen den Faschismus." |
In Wiesbaden herrscht abgesehen von kleinen
Zwischenfällen "Ruhe und Ordnung" (April
1933)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 7. April 1933: "Wiesbaden, 4. April (1933).
Von kompetenter Seite wird uns mitgeteilt: Um unbegründeten Gerüchten zu
begegnen, sehen wir uns veranlasst, der Öffentlichkeit mitzuteilen, dass
hier im Verkehrsleben Ruhe und Ordnung herrscht, abgesehen von kleinen
Zwischenfällen in den ersten Tagen der Umwälzung, niemand belästigt wird,
insbesondere, dass Kurfremde unbehindert in ihrem Aufenthalt bleiben. Andere
Mitteilungen sind erdichtet oder übertrieben." |
Gemeindebeschreibung der jüdischen Gemeinde Wiesbaden mit
Beschreibung der Synagoge(n) (1936!)
Artikel im "Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde Frankfurt"
vom Juni 1936 S. 358-359: "Wiesbaden. Hauptstadt des
Regierungsbezirks Wiesbaden, nach Einverleibung von Sonnenberg, Bierstadt,
Erbenheim, Biebrich,
Schierstein, Frauenstein
und Dotzheim, die alle eigene, zum
Teil alte, Judensiedlungen besaßen, heute 165.000 Einwohner, darunter
etwa 2.000 Juden (um 1930 rund 3.200). Zur Römerzeit 'Aquae Mattiacae', 'Mattiakische
Quellen' nach der Völkerschaft der Mattiaker, römischer Badeort und
bürgerliche Niederlassung. Zur Zeit Karls des Großen als 'Wisibada',
Wiesenbad, Vorort des Königs-Sondergaues. Kommt 1150 an die Gaugrafen von
Nassau. Im 14. Jahrhundert wird es wieder Badeort, und seine beiden
Geschlechtern gemeinsam offenen Bäder erregen manches Ärgernis. Mehrfach
kriegsverheert, sieht es gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges Hasen
und Rebhühner auf seinem Marktplatz nisten. Langsam zuerst, schneller
seit 1816, als Wiesbaden Hauptstadt von Nassau geworden war, geht es
aufwärts, noch schneller in preußischer Zeit. -
Vereinzelte Juden wohnen seit dem 14. Jahrhundert hier. Der
erste 1385 namentliche erwähnte, heißt Kirsan (Gerson); 1427
wird der Jude Gebhardt als Hausbesitzer genannt. Die Zahl wächst. Die
erste heute noch nachweisbare Judenwohnung ist die des Juden Joseph, der 1573
mit Frau, Sohn und Begleitung im Badhaus zum Helm (heute Hotel goldene
Kette), Goldgasse 1, Wohnung nimmt, rituell lebt, eigene Betstube
einrichtet. Auch jüdische Badegäste gibt es damals schon und einen
jüdischen Glaser Gump, der in der Metzgergasse, der heutigen
Wagemannstraße, wohnt, mit Glas und Nägeln handelt mund sogar Kredit
gewährt. Einige Jahrzehnte, man weiß nicht warum, ist Wiesbaden
judenfrei, aber 1620 nimmt die Bevölkerung eine Anzahl
Judenfamilien, die vor den Spaniern aus Eppstein
fließen mussten, freundlich auf. Das 'Judenbad' wird der Stern. Nach ihm
gibt's zwei Judenbäder: Die 'Zwei Böcke', noch heute in der
Häfnergasse, und den 'halben Mond'. Die Seelenzahl der Gemeinde wie die
der jüdischen Kurgäste wächst, obwohl die Wiesbadener K'hllah neben der
Idsteiner (Wiesbaden gehört zur
Herrschaft Nassau-Idstein) noch an Bedeutung zurückbleibt. Der erste uns
bekannte Rabbiner von Idstein und Wiesbaden ist R. David Grünhut,
der gleich seinen Kollegen von Hanau, Darmstadt und anderen Landgemeinden
in Frankfurt wohnt. Er ist hier Leiter der Oppenheimerschen
Jeschiwah, ist Kabbalist und Freund von Johann Jacob Schudt, der sich in
seinem berühmten Buch 'Jüdische Merkwürdigkeiten' auf ihn als den 'mir
durch öftere Konversation familiare' R. David Grünhut beruft. Zur
Bibelübersetzung des unerbittlichen Judenfeindes Prof. Andreas
Eisenmenger ('Entdecktes Judentum' stammt von ihm) schreibt R. David eine
Vorrede! Noch interessanter sein Nachfolger R. Hirsch Henoch Frenkel,
Freund des Rabbi Chajim Bacharach, Rabbiners von Koblenz
(Grab auf dem alten Wormser Friedhof).
Frenkel, ebenfalls Kabbalist, geht 1709 als Oberrabbiner nach Ansbach,
kommt 1812, der Unredlichkeit und Zauberei beschuldigt, ins Gefängnis,
und wird nach 24 Jahren, 74-jährige, entlassen (Carmoli: 'Der
Gefangene', im 'Israelit' 1868). Großes Aufsehen erregt um 1720 der
Fall von Heinrich Tileman König, Bürgern und Wagnern', der sich
trotz Gefängnis und sonstiger Repressalien öffentlich zum Judentum
bekennt, ohne allerdings Jude zu werden. 1724 wird das Bad zum
'Rebhuhn', der heutige 'Pariser Hof' in der Spiegelgasse, eröffnet:
Der 'Rebhinkel', das bald auch eine Betstube enthält. Der Friedhof
auf dem Kuhberg (heute 'Schöne Aussicht') wird erweitert. Ähnlich
wie in Frankfurt zwischen den Kann und Drach wütet in Wiesbaden um die
Mitte des 18. Jahrhunderts ein Gemeindekrieg, eine Folge allgemeiner Jagd
um Aufnahme jüdischer Kurgäste. Der Polizeidirektor entscheidet: da den
jüdischen 'Honoratioren', den 'sogenannten Fürsten des Volkes', die
Einkehr in bessere christliche Badhäuser freisteht, und das 'Rebhuhn' den
übrigen genüge, bestehe keine Wohnungsnot für jüdische Kurgäste;
vorübergehend Durchreisende können logieren, wo sie wollten, auch bei
jüdischen Privatleuten. Rabbiner von 'Wiesbaden und Idstein' ist damals,
1760-1790, R. Abraham Joseph aus 'Tennenlohe' in Mittelfranken, der
durch Heirat zugleich Badhausbesitzer wird und beide Berufe seinem
Sohne Rabbi Heyum (Chajim) Abraham 'Dentla' vererbt. Sein Enkel Abraham
Moses 'Tendlau' stirbt 1878 als Privatgelehrter und mit Recht
'vielgelesener' Schriftsteller in Frankfurt; ein letzter männlicher
Nachkomme der Manneslinie lebt noch in Wiesbaden. 1832 bis 1838 wirkt als
erster modern gebildeter Rabbiner der Gemeinde Wiesbaden Abraham Geiger
und legt hier die wissenschaftliche Grundlage für das liberale Judentum
sowohl mit seiner Zeitschrift 'Wissenschaftliche Zeitschrift für
jüdische Theologen' wie mit der von ihm 1837 einberufenen ersten
liberalen Rabbinerversammlung in der Welt. So rückt Wiesbaden für
wenige Jahre in den Brennpunkt jüdischer Interesses. Geiger, Sprössling
einer alten Frankfurter Familie, wird nach längerer Amtszeit in
Breslau Rabbiner seiner Vaterstadt und wirkt zuletzt in Berlin, Er stellt
eine neue, wichtige Beziehung zwischen den Gemeinden Frankfurt und
Wiesbaden nach den schon erwähnten dar. In den folgenden Zeiten bis zum Weltkriege
starker Aufschwung der Gemeinde wie der Stadt, der wohl zum Bau einer
stattlichen Synagoge und Anlage eines neuen schönen Friedhofs, 1891,
nicht aber zur Erwerbung oder zum Bau eines Gemeindehauses oder auch nur
eines dazu geeigneten Grundstückes führt - ein heute sehr schmerzlich
fühlbarer Mangel. Stillstand während des Krieges, danach zahlenmäßig
kurzer Aufstieg. Seit 1933 starke Abnahme der Seelenzahl durch
Abwanderung, vor allem der Jugend, und durch Tod, zu einem gewissen Teil
freilich ausgeglichen durch steten Zuzug von Rentnern und pensionierten
Beamten, die allmählich den Charakter der Gemeinde prägen werden.
Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde und des Rabbinatsbezirks
Wiesbaden, der 25 Gemeinden umfasst, ist Dr. Paul Lazarus. Rabbiner der
Altisraelitischen Kultusgemeinde (orthodoxe Separatgemeinde) ist Dr. Jonas
Ansbacher. Auch der Begründer dieser Gemeinde, Altrabbiner Dr. Leo Kahn,
lebt 95 Jahre alt, in glücklicher Rüstigkeit in Wiesbaden. Von den
Bezirksgemeinden liegen Wiesbaden-Bierstadt, Wiesbaden-Biebrich und
Wiesbaden-Schierstein seit der Stadterweiterung auf Wiesbadener Gebiet und
verwalten sich selbst; aber einen eigenen Lehrer hat nur noch
Wiesbaden-Schierstein.
Jüdische Sehenswürdigkeiten. Die Hauptsynagoge am Michelsberg. Erbaut
von Oberbaurat Hoffmann, 1869 geweiht; stattlicher maurischer Bau mit
schönklingender Orgel. Zahlreiche geschmackvolle Tora-Mäntel,
sehenswerter Silberschmuck; unter den Vorhängen ist auch ein Geschenk von
Mainzer Frauen als Dank für freundliche Aufnahme durch die Wiesbadener
Juden während der Mainzer Judenunruhen Ende des 18. Jahrhunderts
segenswert. - Synagoge der Altisraelitischen Kultusgemeinde,
Friedrichstraße 33, würdig und luftig, mit schönen Nebenräumen. - Ostjüdische
orthodoxe Betstätte 'Talmud Tora', Blücherstraße 6, Ahawath Zion,
Geisbergstraße 4, hat nur an Sabbat und Festtagen Gottesdienst. Es
bestehen ein Altersheim, ein Tagesheim für Kinder, eine rituelle
Mittelstandsküche, Gemeindebibliothek und die üblichen
zahlreichen Vereine, von denen das Jüdische Lehrhaus, mitgegründet
von Franz Rosenzweig - Frankfurt, als besonders wichtig genannt seien.
Außerordentlich schön der erwähnte alte Friedhof auf der schönen
Aussicht (Schlüssel beim Kastellan der Hauptsynagoge). Auf dem Neuen
Friedhof an der Platterstraße eindrucksvoller Obelisk mit den Namen
der Kriegsgefallenen der Gemeinde. - Die letzte Errungenschaft der
Gemeinde ist die jüdische Volksschule, schräg gegenüber der
Mündung der Gartenfeldstraße in die Mainzer
Straße; |
ein
Doppelhäuschen, einstöckig, inmitten eines großen Platzes, mit
Vorgarten. Sie ist soeben eröffnet worden. -
Zwei gut geleitete, rituell geführte Hotels: Kronprinz,
Taunusstraße 46, und Ritter, Taunusstraße 45. Außerdem zahlreiche
jüdische Pensionen und Mittagstische.
Sehenswürdigkeiten von allgemeinem Interesse. Der
Hugo-Reisinger-Brunnen, die 'Visitenkarte' der STadt, am Bahnhofsplatz;
die Wilhelmstraße, an ihrem Anfang das neue Museum mit beachtenswerter
naturwissenschaftlicher und Kunstsammlung; als ihr Abschluss eine der
schönsten Platzanlagen Deutschlands: im Osten die großartige
Kurhausanlage von Friedr. Thiersch mit einem der prunkvollsten
Konzertsäle Deutschlands (Dirigent: Generalmusikdirektor Schuricht); im
Süden das Deutsche Theater, früher Nassauisches Landestheater (die
Wandelhalle von Baronin Oppenheim aus Dessau gestiftet und von Baurat
Genzmer nach dem Muster des Foyers der Pariser großen Oper erbaut). Im
Westen das Hotel 'Vier Jahreszeiten' mit architektonisch bemerkenswertem
Speisesaal, 'Hotel Rose' und 'Nassauer Hof'. Eine großzügige
Umgestaltung der Kuranlagen vom 'Paulinenschlösschen' über die neue
Kochbrunnen-Anlage zum Kurhaus und Kurgarten hat diesen Mittelpunkt der
Kurstadt glanzvoll erneut. Alte Kochbrunnenquelle und Ausschank. In der
Langgasse die älteste Apotheke, 1672 gegründet: die
Schützenhof-Apotheke (Max Holländer). Römertor und Heidenmauer an der
Coulinstraße. Das alte Rathaus und der alte Marktbrunnen am Marktplatz,
die Landesbibliothek in der Rheinstraße (150.000
Bände).
Ausflüge. Wiesbaden ist Hauptstadt des Taunus, in nahem Halbkreis von
ihm umgeben. Immer neue Ausflüge lassen die Vielgestaltigkeit des
lieblichsten deutschen Gebirges erkennen, mit seinen Hochwäldern und
Langtälern, seinen hundert Heilquellen (Wiesbaden allein zählt 27),
seinen 100 Burgen, seinen 'Judenköpfen' und 'Judenpfaden', die auf besondere
Kapitel jüdischer Lebensnot im deutschen Mittelalter hindeuten, seinen
Römerkastellen, Limesgräben und Ringwällen, die von der Weite und Macht
römischer Herrschaft wie dem Opferwillen und der Freiheitsliebe der
heimischen Stämme zeugen. Genannt seien einige Nahwanderungen: Neroberg
(berühmter Aussichtspunkt); nahebei das Opelbad in 300 m Höhe,
eine in Deutschland einzig dastehende Anlage. Platte, ca. 500 m,
mit Jagdschloss (sehenswertes Treppenhaus und außerordentliche
Geweihsammlung). Bierstadterhöhe mit schöner Aussicht über Wiesbaden
und Mainz. Unterhalb der Bierstadterhöhe..."
Anmerkungen: -
K’hilah: https://de.wikipedia.org/wiki/Kehillah
-
Rabbiner David Grünhut:
https://www.jewishencyclopedia.com/articles/6908-grunhut-david
-
Jeschiwa: https://de.wikipedia.org/wiki/Jeschiwa
-
Johann Jakob Schudt:
https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Jacob_Schudt
-
Andreas Eisenmenger;
https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Andreas_Eisenmenger
-
Rabbi Chaim Bacharach:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jair_Chajim_Bacharach
-
Abraham Moses Tendlau:
https://de.wikipedia.org/wiki/Abraham_Tendlau
-
Rabbiner Abraham Geiger:
https://de.wikipedia.org/wiki/Abraham_Geiger
-
Rabbiner Dr. Paul Lazarus:
https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Lazarus_(Rabbiner)
-
Toramantel: https://de.wikipedia.org/wiki/Toramantel
-
Hugo-Reisinger-Brunnen:
https://www.wiesbaden.de/microsite/stadtlexikon/a-z/reisinger-hugo.php
https://www.wiesbaden.de/leben-in-wiesbaden/freizeit/natur-erleben/gruenanlagen-parks/herbert-reisinger-anlagen.php
-
Kurhausanlage: https://de.wikipedia.org/wiki/Kurhaus_Wiesbaden
-
Friedrich Thiersch:
https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_von_Thiersch
https://frankfurter-personenlexikon.de/node/1470
-
Deutsches Theater:
https://www.wiesbaden.de/microsite/stadtlexikon/a-z/hotel-vier-jahreszeiten.php
-
Hotel Vier Jahreszeiten:
https://www.wiesbaden.de/microsite/stadtlexikon/a-z/hotel-vier-jahreszeiten.php
-
Nassauer Hof:
https://de.wikipedia.org/wiki/Hotel_Nassauer_Hof_Wiesbaden |
Berichte aus dem jüdischen Gemeindeleben
Bei
der Einweihung der Bonifatius-Kirche wurden die Vertreter der jüdischen
Gemeinde zunächst nicht eingeladen (1849)
Anmerkung: es ging um die am 19. Juni 1849 erfolgte Einweihung der
römisch-katholischen St. Bonifatius-Kirche.
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 9. Juli (1849). Wiesbaden, 17. Juni (1849). Zu der
Kircheinweihungsfeierlichkeit, die auf ausdrücklichen Wunsch des Herzogs
so pompös wie nur möglich vonstatten gehen soll, sind außer der
römisch-katholischen Geistlichkeit von nah und fern auch die hiesigen und
benachbarten evangelischen, griechisch-katholischen und
anglikanischen Geistlichen eingeladen worden, die Geistlichen der deutsch-katholischen
und der israelitischen Gemeinde hat man jedoch übergangen. Ob man
aber die Deutsch-Katholiken und die Israeliten übergangen hat, als es
sich darum handelte, der in einer Anzahl von 700 Mann hierher kommenden
Geistlichkeit bei den Bürgern bequeme Quartiere zu bereiten, das
ist eine andere Frage; da hat man auf keinen Glaubensunterschied
Rücksicht genommen, und zur Ehre unserer Stadt sei es gesagt, die Bürger
haben sich großenteils sehr tolerant bewiesen und sich freiwillig zur
Beherbergung erboten und gerade geschah dies vielfach auch von jüdischen
Familien. Eine trübe und erbitterte Stimmung hat es deshalb aber auch
umso mehr hervorgerufen, als vor einigen Tagen das Festprogramm erschien,
aus welchem man ersehen musste, dass man den deutsch-katholischen und den
israelitischen Geistlichen nicht zur Feier eingeladen hat. Sofort wurden
von sehr vielen Bürgern und beinahe von sämtlichen Israeliten die
bereitwillig erbotene Beherbergung gekündigt und die große Mehrheit der
Bürgerwehrmänner, die ebenfalls das Fest durch Spalierbilden etc.
verherrlichen sollten, erklärten sich entschieden gegen eine jede
Beteiligung am Feste, was gewiss im andern Falle von beinahe allen
Wehrmännern ohne Frage geschehen wäre. Nun war der so unangenehm
überraschte Kirchenvorstand auf einmal so klug, nachträglich noch eine
Einladung zur Feier an den Herrn Rabbiner Dr. Süßkind ergehen zu lassen,
an den würdigen und sehr geachteten Prediger der hiesigen
deutsch-katholischen Gemeinde, Herrn Pfarrer Graf, jedoch nicht. Ersterer
hat aber in einem recht freundschaftlich gehaltenen Schreiben an den
Kirchenvorstand die Einladung abgelehnt, der Gemeinde jedoch alles Glück
und allen Segen wünschend."
Anmerkungen: -
Herzog:
https://de.wikipedia.org/wiki/Adolph_(Luxemburg) )
-
Bonifatiuskirche:
https://de.wikipedia.org/wiki/St._Bonifatius_(Wiesbaden)
-
Deutsch-Katholiken:
https://de.wikipedia.org/wiki/Deutschkatholizismus
-
Rabbiner Dr. Süßkind: vgl.
Artikel von 1892 |
Vortrag von Rabbiner Dr. Silberstein über "Gabriel
Rießer" (1895)
Anmerkung: Über Gabriel Rießer informiert u.a. der Wikipedia-Artikel
Gabriel Riesser - ein Bezug zu Wiesbaden besteht nicht.
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 20. Dezember 1895: "Auf Ersuchen des Synagogen-Gesangvereins
in Wiesbaden, der sich auch die Pflege des geistigen Lebens zur
Aufgabe setzt, hielt Herr Stadt- und Bezirks-Rabbiner Dr. Silberstein am
10. dieses Monats einen Vortrag 'Gabriel Rießer, ein Anwalt des Rechts',
dem ein sehr zahlreiches, auch nichtjüdisches Publikum
beiwohnte."
Anmerkung: -
Rabbiner Dr. Silberstein:
https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Silberstein |
Ein 16-jähriger jüdischer Schüler ließ sich durch einen evangelischen
Mitschüler taufen (1898)
Anmerkung: zu dem im Text vorkommenden Stichwort "Mortara-Fall"
vgl. den Wikipedia-Artikel
Edgardo Mortara
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 4. März
1898: "Wiesbaden, 28. Februar (1898). Hier ereignete sich
folgender, noch der Aufklärung bedürftige Fall: 'Ein etwa 16 Jahre alter
israelitischer Schüler des hiesigen Gymnasiums veranlasste einen
jüngeren Mitschüler, der evangelischen Bekenntnisses ist, ihn - den
Israeliten - zu taufen, und zwar nach katholischem Ritus. Wie der
evangelische Schüler dies zustande brachte, ist noch nicht bekannt. Wohl
aber behauptet der 'Rheinische Kurier', dass diese Knabentaufe von
katholischer Seite als gültig und in aller Form rechtens vollzogen
anerkannt worden sei, und zwar trotz des Widerspruches der israelitischen
Eltern des neugetauften Knaben. Es wäre also eine Art Mortara-Fall.
Anders scheint die Leitung der Schule, welcher die zwei Schüler
angehörten, den Vorfall aufgefasst zu haben: Beide sind sofort aus dem
Schulverbande ausgeschlossen worden. Der Fall erregt großes Aufsehen in
Wiesbaden." |
|
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 11. März 1898: "Wiesbaden, 6. März (1898). Wir
haben bereits mitgeteilt, dass kürzlich hier ein evangelischer Gymnasiast
an einem jüdischen Mitschüler durch die Taufe dessen Übertritt zum
Katholizismus vollzogen hat. Trotzdem der aktiv Beteiligte erklärte,
es handele sich nur um einen Dummenjungenstreich, wird von einer Anzahl
Blätter ganz ernsthaft die Frage, ob die Taufe gültig sei, bejaht. Ein
katholisches Blatt in Wiesbaden selbst hält mit seinen Lesern eine
förmliche Katechismusstunde ab und weist nach, dass der junge Mann, weil
es sich nicht um eine Nottaufe gehandelt habe, sich zwar ein fremdes Recht
angemaßt habe, dass aber der Gültigkeit der Taufe nichts im Wege stehe,
weil jeder Mensch, also auch ein junger Gymnasialschüler, gültig taufen
könne. Auch der katholische Prälat Dr. Keller in Wiesbaden hat
sich in ähnlichem Sinne ausgesprochen und folgende Darstellung des Falles
gegeben: 'Der betreffende junge Mann glaubte die feste Überzeugung von
der Wahrheit der katholischen Religion gewonnen zu haben und hielt sich
deshalb zum Übertritt verpflichtet. Er wollte diesen jedoch mit
Rücksicht auf seine Eltern, besonders seine Mutter, heimlich vollziehen
und wandte sich daher an verschiedene Geistliche mit dem Ersuchen, die
Taufe ohne Wissen der Eltern vorzunehmen. Da diese darauf nicht eingingen,
so gewann er einen protestantischen Mitschüler, der die Taufe an ihm vollzog.
Jeder Mensch kann gültig taufen. Die fragliche Taufe ist also
gültig, wenn der junge Mann sie in richtiger Weise vollzogen und dabei
die Absicht hatte, wirklich zu taufen. Dem katholischen Stadtpfarrer
erklärte der Betreffende, er habe wirklich seinem Freunde den
ausgesprochenen Wunsch erfüllen und ihn taufen wollen. Die Beschreibung
seines Verfahrens bei dem Akte ließ ebenfalls alles als
vorschriftsmäßig vollzogen erscheinen. Daher musste der Pfarrer die
Taufe als gültig ansehen. Nachträglich gibt der junge Mann vor, er habe
nicht taufen wollen, sondern sich nur einen Scherz erlaubt. Er allein kann
wissen, was seine Absicht war, er allein kann daher auch mit Sicherheit
die Entscheidung geben, ob die Taufe gültig ist oder nicht. Die beiden
Schüler sind inzwischen durch ihre Eltern vom Gymnasium abmeldet worden.'
Mit der Erklärung des jungen Mannes, er habe sich nur einen Scherz
erlaubt, könnten die Akten über den etwas verworrenen Fall geschlossen
werden. Auffallen muss aber, dass eine derartig vollzogene Taufe, wenn sie
ernst gemeint ist, gültig sein soll. Ist der Gymnasiast etwa auch
berechtigt, einen Taufschein auszustellen? Und ob die katholische Kirche
den so Getauften ohne Weiteres als vollgültiges Glied ansehen würde,
erscheint doch sehr zweifelhaft." |
Verschiedene Mitteilungen: 40-jähriges Jubiläum von Rabbiner Dr. Kahn - ein
jüdisches Krankenhaus wird geplant - der Synagogengesangverein hat eine
Restauration gemietet (1910)
Anmerkung: kritische Beurteilung aus konservativ-orthodoxer Sicht
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 11. Februar 1910: "Wiesbaden. Verschiedenes. Hier pulsiert das jüdische Leben schwach, sehr
leise, kaum merkbar. Es schlägt schwach, sehr leise, kaum merkbar. Es
schlägt nicht so hohe Wellen, wie bei Ihnen in
Frankfurt.
Die paar Vereinchen, welche sich ihre Redner von auswärts verschreiben,
geben manchmal ein Lebenszeichen von sich , - immerhin ein großer
Fortschritt gegen früher, da alles Interesse für das Judentum gleich Null
war. Belebend haben hier der Zionisten - , der jüdische Geschichts- und –
last not least der Sabbatverein gewirkt. Es wäre zu wünschen, dass diese
Vereine mehr die heimatlichen Kräfte zur Mitwirkung heranzögen und auch die
Propaganda eifriger betrieben.
Vom 40jährigen Jubiläum des hiesigen orthodoxen Rabbiners haben Sie bereits
Kenntnis genommen. Der allverehrte Jubilar hatte in seiner Bescheidenheit
jede öffentliche größere Festlichkeit abgelehnt, und so verlief dieser –
immerhin seltene – Anlass sang- und klanglos.
Die Errichtung eines jüdischen Krankenhauses, das schon längst ein
dringendes, schreiendes Bedürfnis war, soll hier endlich geplant werden.
Doch fehlt es an der Hauptsache, an der klingenden Münze, trotz der großen
Anzahl hiesiger Millionäre – und an der richtigen Initiative. Die hiesigen
jüdischen Ärzte wurden zur konstituierenden Versammlung beinahe gar nicht
hinzugezogen, auch haben die religiös-indifferenten Kreise das Heft in der
Hand.
Der Synagogengesangverein der Hauptgemeinde soll zur Gründung eines eigenen
Clubs größere Räumlichkeiten gemietet und die Führung der Restauration einem
Nichtjuden übergeben haben. Der Text zur Einweihungsfeierpredigt der neuen
Lokalität wird wohl 'kol trepho lau sauchelu' lauten!
Füge ich noch hinzu, dass der hiesige Pope den Kronenorden 2. Klasse
erhielt, während Rabbiner Dr. Kahn bei seinem 40jährigen Jubiläum leer
ausging, so haben Sie alle Neuigkeiten von Interesse.
Spectator.
Anmerkungen: -
40jähriges Jubiläum: vgl.
Artikel von 1909
-
Geschichtsverein: vgl.
Artikel von 1907
-
Zionistenverein: vgl.
Artikel von
1908
-
Sabbatverein: vgl.
Artikel von 1907
-
Synagogengesangverein: vgl.
Artikel von
1889
-
...an einen Nichtjuden übergeben: Was eine koschere Küche ausschließt. vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Treif
-
Kronenorden:
https://de.wikipedia.org/wiki/Königlicher_Kronen-Orden_(Preußen) |
Über
das jüdische Gemeindeleben in Wiesbaden (1927)
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 3. Juni 1927: "Gemeindeleben in Wiesbaden.
Das jüdische Gemeindewesen entwickelt sich rührig und stetig. Die etwa 3.200
Seelen zählende israelitische Kultusgemeinde, neben der noch eine 200 Seelen
große orthodoxe Austrittsgemeinde besteht, unterhält eine Synagoge und
subventioniert den einen eigenen Betsaal unterhaltenden Talmud-Tora-Verein.
Ein Gemeindehaus mit Versammlungs- und Vereinsräumen soll in absehbarer Zeit
errichtet werden. -
Das von Fräulein Frieda Capell schlechthin mustergültig geleitete
Altersheim, die gleich segensreich wirkende Mittelstandsküche, die leider
letzthin in ihrem Begründer Sally Herz auch ihren warmherzigsten und
tatkräftigsten Förderer verloren hat, endlich der vor der Eröffnung stehende
Kinderhort, in dem zunächst zwei hiesige jüdische Kindergärtnerinnen 30
jüdische Kinder betreuen sollen: Sie bezeichnen nur die sichtbarsten Gebiete
jüdisch-sozialer Arbeit. Deren immer noch zunehmenden Umfang hat nunmehr zu
seiner organisatorischen Zusammenfassung in der Hand eines Sozialbeamten,
Dr. Beatus aus Frankfurt a. M., geführt unter dessen einheitlicher Leitung die Vereine auch weiterhin ihre
Sonderaufgaben obliegen. - Einen starken Aufschwung nahm die Vereinigung
jüdischer Frauen unter dem Vorsitz von Frau Dr. Goldstein.
Stellenvermittlung Krankenbesuch, Stützung materiell Geschwächter in
schwesterlicher Zusammenarbeit aller sozialen und religiösen Gruppen
brachten Mühe und Erfolg. Der Kindergarten ist wesentlich das Werk der
Vereinigung, auch ihr Eintreten für das aktive und passive Gemeindewahlrecht
der Frau wird zum Ziel führen, die von ihr gebotenen Vorträge und
Unterhaltungen belegen das jüdische Interesse unter starker Betonung der
fraulichen Gemeinsamkeiten. -
Die Chewra der israelitischen Kultusgemeinde unter dem Vorsitz von Arthur
Ganz umfasst ca. 300 Mitglieder. Sie ist im vergangenen Vereinsjahre bei 41
Todesfällen hilfreich tätig gewesen und hat in mehreren Fällen auch die
Sterbekleider unentgeltlich geliefert. Die Gewährung einer obligatorischen
Beihilfe an die Hinterbliebenen verstorbener Mitglieder wird erwogen. Im
R.J.F. sprach Rabbbiner Dr. Ansbacher ('Jüdischer Mut in Lehre und Leben')
und gelegentlich der Delegiertenversammlung des Landesverbandes
Südwestdeutschland am 15. Mai Herr Rechtsanwalt Dr. Kann – Frankfurt a. M.
('Die politische Lage'). Die erwähnte Tagung wählte übrigens den Syndikus
des C.B., Dr. Marx – Frankfurt a. M., in den Vorstand des Landesverbandes.
Von den Veranstaltungen des C. B. Sind eine Purimfeier, ein Vortrag von
Prof. Kinkel – Gießen ('Humanität und
Judenfrage') und einer von Prediger i. R. Vorsanger –
Kassel
('Aus jüdischer Vergangenheit und Gegenwart' mit Lichtbildern) als besonders
werbekräftig hervorzuheben. - Auch die zionistische Ortsgruppe war lebhaft
tätig, bis in die letzten Vorsommertage hinein. Rechtsanwalt Dr. Landsberg –
Wies- |
baden ('Zionismus und Weltpolitik'), Jakob Herzberg – Frankfurt am Main
('Zionismus und Orthodoxie'). 'Zionismus und Liberalismus', Dr. Ernst Simon
– Frankfurt a. M. ('Erziehungsfragen innerhalb des Zionismus'), Dr. med.
Walter Kahn – Wiesbaden ('Zionismus und die Geistesströmungen der
Gegenwart') seien unter den zahlreichen Rednern genannt. - Die Nassau-Loge
(U. O. B. B.) lud weitere Kreise zu ihren Darbietungen in offener Loge. Aus
Anlass von Sigmund Freuds 70. Geburtstage sprachen Dr. med. Laser und Stadt-
und Bezirksrabbiner Dr. Lazarus über 'Die Lehrer Freuds von der
Seelenforschung'; Dr. Ludwig Cohn – Breslau feierte Spinoza ('Spinozas
ethische Sendung'), anlässlich der 250. Wiederkehr seines Todestages; Frau
Lilien – Braunschweig zeigte und besprach 'Die Welt der Bibel in Bildern',
Rechtsanwalt Guthmann referierte über modernen Aberglauben. -
Über das Konzert des Synagogengesangsvereins berichteten Sie schon.
Ergänzend sei hier noch auf den außerordentlichen künstlerischen Erfolg des
jungen Geigers Theo Ratner hingewiesen, dessen außerordentliche Technik die
tiefe Beseeltheit des Ausdrucks durchaus ebenbürtig war. 'Lied' von Achron
und 'Alter hebräische Themen' von Kirman, von Ratner gespielt, waren den
jüdischen wie den zahlreichen christlichen Zuhörern und Kritikern ein
Erlebnis. Ihn und die ebenfalls hervorragend mitwirkende Sopranistin Herta
Hirsch – Bramssen – sie sang besonders schön 'Erfüllung' von Bogumil Zepler,
dem leider früh verstorbenen jüdischen Komponisten, sollte man auch
außerhalb Wiesbadens häufiger bei jüdischen Veranstaltungen zu Worte kommen
lassen. -
Rühriges Leben herrscht auch in den Vereinen. Der – neutrale – Jugendverein
leistet in verschiedenen Arbeitsgemeinschaften ständige Arbeit: Wanderungen,
rhythmische Übungen, Freitagabendfeiern und Vorträge (z. B. Lehrer
Steinhardt – Magdeburg: 'Jüdische Gegenwartsfragen') sorgen für körperliche
Ertüchtigung, religiöse Anregung und allgemein jüdische Information. Der
Sportklub Hakoah ist im zweiten Jahre seines Bestehens, nachdem er die
Meisterschaft der A-Klasse ungeschlagen errungen hatte, in die Verbandsliga
aufgerückt. In seinem Spezialgebiet, dem Handballspiel, stehen ihm
zweifellos noch große Erfolge in Aussicht. Die stark aufgeblühte, von Ruth
Capell begründete und geführte Mädchengruppe 'Jüdische Jungschar' hat ihre
bisherige Selbstständigkeit aufgebend sich den 'Kameraden' angegliedert. -
Den Mittelpunkt des geistigen Lebens des jüdischen Wiesbadens bildet nach
wie vor das Jüdische Lehrhaus unter Leitung des Stadt- und Bezirksrabbiners
Dr. Paul Lazarus. In einem Zyklus 'Jüdische Geschichte' im Rahmen der
allgemeinen Weltgeschichte wurden folgende Themata behandelt: 'Der erste
jüdische Staat' (Rabbiner Dr. Dienemann – Offenbach); 'Berührung des jüdischen Volkes mit den Weltvölkern' (Rabbiner Dr. Salzberger
- Frankfurt);
'Der spanische Zweig der Judenheit' (Rabbiner Dr. Salzberger – Frankfurt a. M.);
'Der deutsche Zweig der Judenheit' (Rabbiner
Dr. Dienemann – Offenbach); 'Das 19. Jahrhundert' (Stadt- und
Bezirksrabbiner Dr. Lazarus – Wiesbaden). Mit Einzelvorträgen kamen zu Wort:
Dr. Martin Buber ('Der heutige Mensch und die Bibel'), Professor Dr. Erich
Stern – Gießen ('Der
Jude und die Gesellschaft'), Dr. Leo Löwenthal – Frankfurt a. M.
('Dostojewskis Stellung zur Judenfrage'), Rabbiner Dr. Hugo Fuchs – Chemnitz
('Humor und Satire in der Bibel'). An einem vom Lehrhause und der
zionistischen Ortsgruppe gemeinsam angesetzten Abende schilderte Dr. Ernst
Simon – Frankfurt a. M. 'Achad Haam und sein Wert'. Zwei Kurse 'Das Leben
der Juden im Spiegel der religiösen Vorschrift', sowie ein dritter Kursus,
in dem Neuhebräisch getrieben wurde, vervollständigten das Bild der
Winterarbeit. Alles in allem ein farbenfrohes und fruchtverheißendes Blühen
des jüdischen Lebens im Weltbade Wiesbaden."
Anmerkungen: -
Chewra: https://de.wikipedia.org/wiki/Chewra_Kadischa
-
R.J.F.:
https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsbund_jüdischer_Frontsoldaten
-
Purimfeier: https://de.wikipedia.org/wiki/Purim
-
Dr. Ernst Simon:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Simon_(Philosoph)
-
U.O.B.B.: https://de.wikipedia.org/wiki/B%E2%80%99nai_B%E2%80%99rith
- Spinoza (im Text
Spioniza): https://de.wikipedia.org/wiki/Baruch_de_Spinoza
-
Rabbiner Dr. Lazarus:
https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Lazarus_(Rabbiner)
-
Theo Ratner: Vgl.
Artikel von 1915
-
Achron: https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Achron
-
Bogumil Zepler: https://de.wikipedia.org/wiki/Bogumil_Zepler
-
Hakoah: vgl.
Artikel von 1928
https://de.wikipedia.org/wiki/Hakoah
-
Jüdisches Lehrhaus:
https://de.wikipedia.org/wiki/Freies_Jüdisches_Lehrhaus
vgl. Artikel von 1928
-
Rabbiner Dr. Dienemann:
https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Dienemann
-
Rabbiner Dr. Salzberger:
https://frankfurter-personenlexikon.de/node/986
https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Salzberger
-
Dr. Martin Buber: https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Buber
-
Prof. Dr. Erich Stern:
https://www.deutsche-biographie.de/sfz126816.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Stern
-
Dr. Leo Löwenthal: https://de.wikipedia.org/wiki/Leo_Löwenthal
-
Rabbiner Dr. Hugo Fuchs:
https://de.wikipedia.org/wiki/Hugo_Chanoch_Fuchs
http://www.chemnitzgeschichte.de/pers-kat-liste-top/97-hugo-fuchs
-
Zionistische Ortsgruppe: vgl.
Artikel von 1911
-
Achad Haam: https://de.wikipedia.org/wiki/Achad_Ha%27am
https://www.spektrum.de/lexikon/juedische-philosophen/achad-haam/12
-
Neuhebräisch: https://de.wikipedia.org/wiki/Ivrit
|
Veränderungen
im Wahlrecht der Israelitischen Kultusgemeinde (1928)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 19. Juli 1928: "Wiesbaden. In der hiesigen Israelitischen Kultusgemeinde ist das
Frauenwahlrecht und das Proportionalwahlrecht eingeführt worden." |
Veranstaltungen
zur Jahrzeit von Oberrabbiner Kuk (= Kuuk, 1936)
Über Oberrabbiner Abraham Isaak Kook - erster aschkenasischer Großrabbiner
Palästinas (1865-1935) vgl. den Wikipedia-Artikel
Abraham Isaak Kook
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 3. September 1936: "Wiesbaden, 26. Aug. Eine ehrfurchtsvolle Stille, die über der ganzen
Veranstaltung schwebte, herrschte im großen Saale des Hotel Kronprinz, als
der Leiter der Veranstaltung, Herr Lehrer Grünbaum, das Jahrzeitlicht zu
Ehren von Oberrabbiner Kuk – das Andenken an den Gerechten ist zum Segen –
unter passenden hebräischen Versen entzündete. Sodann sangen die Herren
Grünbaum und Szafir das Lewandowski’sche mah adom,
worauf der Bachad-Sprechchor das kum chai wekajam anstimmte und ein
von B. Grünbaum gedichtetes Lied von Arnold Czinowitz ebräisch und von Nelli
Ebbe deutsch vorgetragen wurde. Anschließend fand das Schlusslernen der
Talmud-Traktate chagiga und moed katan statt, die während des
ganzen Trauerjahres von einem Verehrerkreis des Rabbi Kuk - das Andenken
an den Gerechten ist zum Segen - unter Leitung des Herrn Lehrer Grünbaum
gelernt wurden. Nach dem Kaddisch hielt Herr Rabbiner Dr. Neuhaus -
Frankfurt am Main, eine fesselnde
Gedenkrede, in der er den großen Rabbi Kuk - das Andenken an den
Gerechten ist zum Segen - als Gelehrten und Menschen mit zu Herzen
gehenden Worten feierte."
Anmerkungen: -
Hotel Kronprinz: Taunusstraße 38 siehe
Anzeige von 1893
-
Jahrzeit: https://de.wikipedia.org/wiki/Jahrzeit
-
Lewandowski: https://de.wikipedia.org/wiki/Louis_Lewandowski
https://www.deutschlandfunkkultur.de/200-geburtstag-von-louis-lewandowski-der-triumph-eines-100.html
https://www.youtube.com/watch?v=Qrn8lHr5U_4
- Talmudtraktate
https://de.wikipedia.org/wiki/Chagiga_(Mischna) und
https://de.wikipedia.org/wiki/Moed_Qatan_(Mischna)
-
Kaddisch: https://de.wikipedia.org/wiki/Kaddisch
https://www.talmud.de/tlmd/das-kaddisch-gebet/ |
Berichte aus dem jüdischen Vereinsleben
Der
Synagogengesangverein verschönert ein Jubelfest der deutsch-katholischen
Gemeinde -
die orthodoxe Gemeinde wird größer (1870)
Hinweis: die Kritik gegenüber dem Auftreten des Synagogen-Chor-Vereins
entspringt der orthodox-konservativen Sichtweise der Zeitung "Der
Israelit".
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 23. März 1870: "Wiesbaden, den 13. März
(1870). Heute feiert die hiesige deutsch-katholische Gemeinde das
Jubelfest ihres 25-jährigen Bestehens. Zur Verherrlichung der Feier trug
sehr viel der hiesige Synagogen-Gesang-Verein bei. Reformsynagoge und
deutsch-katholisches Bethaus unterscheiden sich ja nicht so sehr
voneinander. Nihilismus auf religiösem Gebiete hier wie dort.
Die hiesige orthodoxe Gemeinde erstarkt Gott sei Dank von Tag zu Tag. Von
den 77 schulpflichtigen Kindern besuchen 39 den Religionsunterricht
unseres ebenso gelehrten wie streng-religiösen Rabbiners Dr. L. Cahn,
dessen Wirksamkeit bereits eine sehr segensreiche ist. Wenn, so Gott will,
im nächsten Sommer so viele Kurgäste zu uns kommen werden, die Jahre
lang mit tiefem Schmerz den Verfall der hiesigen israelitischen Gemeinde
beobachtet haben, so werden sie sich freuen der Umwandlung, die sich hier
unter göttlichem Beistande gegenwärtig vollzieht." |
50.
Stiftungsfest des Israelitischen Männer-Kranken-Vereins (1885)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 17. Februar 1885: "Wiesbaden, im Februar (Privatmitteilung). Am 1. dieses Monats feierte der
hiesige israelitische Männer-Kranken-Verein, der seinerzeit von Dr.
Abraham Geiger begründet ward, sein 50jähriges Stiftungsfest in solenner
Weise. In der beim Festgottesdienste gehaltenen Festpredigt regte Herr
Rabbiner Dr. Silberstein die Gründung eines Waisenhauses an, dessen die
Provinz Nassau bisher entbehre. Der Gedanke zündete und ein Gemeindemitglied
stellte dem Herrn Dr. Silberstein sofort nach Beendigung des Gottesdienstes
die Summe von 1.000 Mark für diesen Zweck zur Verfügung, dem bald ein
anderes mit der gleichen Summe folgte. Beim Festmahle, bei welchem eine
Subskriptionsliste im Umlauf gesetzt war, wurden etwa 2.000 Mark gezeichnet,
sodass circa 5.000 Mark bereits vorhanden sind. Anmerkungen: -
Männer-Kranken-Verein:
https://de.wikipedia.org/wiki/Chewra_Kadischa
-
Rabbiner Dr. Abraham Geiger:
https://de.wikipedia.org/wiki/Abraham_Geiger
-
Solenn: https://www.dwds.de/wb/solenn
-
Rabbiner Dr. Silberstein:
https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Silberstein
|
Jahresbericht des "Israelitischen
Unterstützungsvereins"
(1886)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 16. März 1886: "Der Israelitische Unterstützungsverein zu
Wiesbaden, der seit dem Jahre 1872
die löbliche Gewohnheit angenommen, einen Jahresbericht zu veröffentlichen,
hat dagegen die Freude, im letzten Jahre allein 29 neue Mitglieder gewonnen
zu haben. Er wendete im vorigen Jahre 2.851 Mark zu Wohltätigkeitszwecken an
und konnte doch noch 1.200 Mark, dem Grundstocke hinzufügen, der jetzt Mark
8.032 beträgt. Im vorigen Jahre erhielten die Armen der Stadt Mk. 1.023, die
der Umgegend Mk. 248; dagegen arme und kranke Fremde Mk. 1.570,-" |
Über den neu gegründeten Waisen-Unterstützungsfond
(1889)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 17. Januar 1889: "Wiesbaden, im Januar (Privatmitteilung). Bei der Feier des 50jährigen
Bestandes des hiesigen israelitischen Männer-Kranken-Vereins wurde vom
Rabbiner Dr. Silberstein der Gedanke angeregt, einen
'Waisen-Unterstützungsfonds' zu gründen. Dieser Gedanke hat in den seitdem
verflossenen drei Jahren den Erfolg gehabt, dass der Fonds bereits Mk.
11.538 beträgt. Natürlich reicht derselbe noch lange nicht aus, um zu dem
vorgesteckten Ziele gelangen zu können und der Minister des Innern hat
deshalb vorläufig dem Komitee die Rechte einer juristischen Person
verweigert. Indes war die Beteiligung bis jetzt doch eine so rege, dass wir
hoffen können, dass bei dem Eifer des Komitees die Mittel die Mittel des
Vereines sich rasch vermehren werden, um mit wirksamer Tätigkeit für den
edlen Zweck beginnen zu können." |
Gesellige Feier des Synagogengesangvereins
(1889)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 17. Januar 1889: "Wiesbaden, 1. Januar (Privatmitteilung). Die moderne jüdische Gemeinde hat
eine Reihe von Bedürfnissen erzeugt, die die früheren nicht gekannt haben
und für deren Befriedigung neue Vereine, innerhalb der Gemeinden erstanden
sind. So war es insbesondere die würdige Gestaltung des Gottesdienstes, für
die in den jüngsten Dezennien in den auftretenden Gemeinden sich neue
Vereine gebildet haben. Auch die hiesige, sehr emporblühende Gemeinde
erfreut sich eines solchen Vereins, des Synagogen-Gesang-Vereins, der nun
schon auf ein Vierteljahrhundert seiner Wirksamkeit zurückblicken darf. An
einem der jüngsten Samstage beging derselbe unter der lebhaften Teilnahme
der Gemeinde sein Jubiläum. Beim Morgengottesdienste, wo die Stätte seiner
Tätigkeit mit Topfgewächsen, Girlanden und Blumen sinnig geschmückt war,
feierte Herr Rabbiner Dr. Silberstein in seiner Festpredigt die Verdienste,
die sich der Verein um die Hebung und Veredelung unseres Gottesdienstes
erworben, wie er, der auch die Pflege der Geselligkeit in den Kreis seiner
Aufgaben gezogen, die Glieder der Gemeinde auch menschlich einander näher
gerückt und hob es insbesondere anerkennend hervor, wie der
Synagogen-Gesangs-Verein durch Veranstaltung populärwissenschaftlicher
Vorträge sich zum Mittelpunkte des geistigen Lebens innerhalb unserer
Gemeinde erhoben haben möge. - Die gesellige Feier, welche am Abend in dem
prachtvollen Räumen des Hotels Victoria stattfand, zeugte von den tüchtigen
Kräften, über die der Verein verfügt. Treffliche Reden, in denen feiner
Humor mit würdigem Ernste wechselte, wurden gehalten. Vier Mitglieder, die
seit Begründung dem Verein ihre Kräfte weihten, wurden vom Vereinsvorstande
unter Überreichung reich ausgestatteter Diplome zu Ehrenmitgliedern ernannt.
Der Vorstand der Gemeinde, der den Verein zu seiner Jubelfeier
beglückwünschte, teilte demselben mit, dass er in seiner Festpredigt
gegebenen Anregung zur Ehre des Tages und zur bleibenden Erinnerung an
denselben die Begründung eine jüdische Gemeindebibliothek beschlossen habe.
- Mit Genugtuung darf die Gemeinde auf das schönst verlebte Fest blicken.
Galt es doch einem Vereine, der auch über den engen Kreis der Gemeinde
hinaus sich Ansehen verschafft, wie ihm auch die hohe Ehre zuteil geworden,
zweimal Gesangsaufführungen zu veranstalten, denen das eine Mal Kaiser
Wilhelm, das andere Mal der unvergessene Liebling der Nation, Friedrich
beigewohnt hat."
Anmerkungen: -
Hotel Victoria:
https://www.wiesbaden.de/microsite/stadtlexikon/a-z/hotel-viktoria-victoria-hotel.php
https://www.museum-reinhard-ernst.de/de/news/zur-geschichte-der-wilhelmstrasse-1/
-
Rabbiner Dr. Silberstein:
https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Silberstein
-
Kaiser: Wilhelm:
https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_II._(Deutsches_Reich)
https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_III._(Deutsches_Reich) |
18. Jahresbericht des
Israelitischen Unterstützungsvereins (1889)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom
12. September 1889: "Der 18. Jahresbericht des Israelitischen
Unterstützungsvereins zu Wiesbaden hat ein erfreuliches Wachstum zu
verzeichnen. Die Zahl seiner Mitglieder vergrößert sich jährlich und
beträgt jetzt 163 mit einer Summe von 2.400 Mark als Beiträgen. So
fließen ihm auch recht ansehnliche Schenkungen zu. Seine Einnahmen
betrugen 1888: 6.632 Mark, wovon 3.026 Mark auf den Ankauf von
Wertpapieren verwendet werden. Das Vermögen besteht in 13.440 Mark. Um
heute mit zwar kleinem, aber sehr erfreulichen Gegenstande zu schließen,
machen wir noch auf den israelitischen Armen-Holz-Verein, der seit
1818 in segensreicher Tätigkeit besteht, und den Verein zur
Ausstattung israelitischer Mädchen (seit 1886) in Homburg
v. d. Höhe aufmerksam. Einigkeit macht starb und vermag deshalb
in kleinen Kreisen eine segensreiche Wirksamkeit zu
entfalten." |
19.
Jahresbericht des Israelitischen Unterstützungsvereins (1889/90)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom
4. April 1890: "Der israelitische Unterstützungsverein in
Wiesbaden versendet seinen Jahresbericht für 1889. Der Verein zählt
170 Mitglieder mit Beiträgen von 12 bis 36 Mark. Das Vermögen beträgt
15.664 Mark. An Unterstützungen wurden 2.870 Mark
ausgegeben." |
25-jähriges Bestehen des Israelitischen
Frauenvereins (1896)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 16. März 1896: "Wiesbaden. Der hiesige israelitische Frauenverein, eine der humanitärsten
Institutionen unserer Bäderstadt, feierte dieser Tage die 25. Wiederkehr des
Gründungstages. Der Verband, der auf die stattliche Mitgliederzahl von 110
Damen blickt, ist aus kleinen Anfängen hervorgegangen und zeigt deshalb so
recht, welche segensreiche Ausdehnung wohltätige Vereinigungen nehmen
können, die sich des Vorteils einer wackren Leitung erfreuen. Der Verein,
welcher seinen Ehrentag nicht vergehen lassen wollte, ohne seinem
unermüdlichen Protektor, Herrn Rabbiner Dr. Kahn Schalit 1, ein äußeres
Zeichen seiner dankbaren Hochschätzung zu geben, ließ durch die Dirigentin,
Frau Lichtenstätter, dem hochverehrten Herrn Rabbiner – sein Licht leuchte –
eine prachtvolle Widmungsgabe übermitteln. Möge dem Verein und seinem edlen
Gesamtvorstande durch fernerhin ein so segensreiches Wirken beschieden sein,
wie in dem ersten Vierteljahrhundert seines Bestehens.
Anmerkungen: -
Rabbiner Dr. Kahn: vgl.
Bericht von 1920
https://www.wiesbaden.de/microsite/stadtlexikon/a-z/kahn-lippmann-leo-elieser.php |
Jahresbericht des "Israelitischen
Unterstützungsvereins"
(1898)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 25. Februar 1898: "Der Israelitische Unterstützungsverein in
Wiesbaden versendet seinen 27.
Jahresbericht. Die Einnahmen sind von 12.105,65 Mark im Jahre 1898 auf
13.990,23 Mark, die Ausgaben von 10.291,69 Mark auf 13.571,06 Mark (davon an
1.035 durchreisende Fremde und auswärtige Kurgäste 2.337,10 Mark) gestiegen.
Das Vereinsvermögen beträgt 23.490,90 Mark." |
Vortrag
von Rabbiner Dr. Silberstein im Synagogen-Gesangverein (1902)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 5. Dezember 1902: "Wiesbaden, 30. November (1902). Am
9. dieses Monats hielt Herr Stadt- und Bezirksrabbiner Dr. Silberstein im
Synagogen-Gesangverein einen einstündigen Vortrag. In fesselnder Weise
zeigte der gefeierte Redner zunächst die historische Entwicklung des
'Deutsch-Israelitischen Gemeindebundes', sprach über dessen Einrichtungen
und zuletzt über den jüngsten Gemeinde- und Verbandstag und die
Eindrücke, welche er (Redner) auf demselben empfangen hatte. Auf Anregung
des Herrn Rabbiners, welchem für seinen wohldurchdachten Vortrag
lebhafter Beifall gezollt wurde, wird sich demnächst innerhalb des
genannten Vereins eine Sektion bilden, welche sich die Pflege der
Jüdischen Geschichte und Literatur zur besonderen Aufgabe
stellt."
Anmerkung: -
Rabbiner Dr. Silberstein:
https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Silberstein
|
33.
Jahresbericht des Israelitischen Unterstützungs-Vereines (1904)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom
8. April 1904: "Wiesbaden, 4. April (1904). Aus dem 33.
Jahresbericht des hiesigen Israelitischen Unterstützungs-Vereins ist
zu ersehen, dass die Ausgaben des Vereins gegen das Vorjahr sich in fast
allen Zweigen seiner Tätigkeit vermehrt haben, während die Einnahmen
nicht dementsprechend gewachsen sind. Der Umstand schon, dass durch dessen
Tätigkeit der Hausbettel seitens israelitischer Hilfsbedürftiger in
hiesiger Stadt vollständig aufgehört hat, sollte alle diejenigen
wohlhabenden Gemeindeangehörigen, welche noch nicht Mitglieder unseres
Vereins sind, zu baldigstem Eintritt veranlassen. Je größer die
demselben zur Verfügung stehenden Mittel sind, desto nachdrücklicher
kann unseren armen Glaubensgenossen Hilfe geleistet werden. In der im Dezember
vorigen Jahres stattgehabten Mitgliederversammlung ist der bisherige
Vorstand wiedergewählt worden. Die Einnahmen betrugen 13.782,28 Mark, die
Ausgaben 12.665 Mark, das Vereinsvermögen 28.617,34 Mark. Im vergangenen
Sommer konnte der Verein 17 Kinder unbemittelter Eltern in die
Sommerfrische senden. Der Vorstand besteht aus folgenden Herren:
Moritz Heimerdinger, Vorsitzender, Moritz Elsberg, Kassierer, Bernhard
Groedel, Mayer Baum, Seligmann Blumenthal, Saly Hamburger, Simon Heß,
Abraham Marxheimer, M. D. Strauß, Benedict Straus,
Schriftführer." |
Jahresbericht des "Israelitischen
Unterstützungsvereins" (1906)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 20. April 1906: "Wiesbaden, 16. April. Der 'Israelitische Unterstützungsverein' konstatiert
in seinem Jahresbericht für 1905, dass die Zahl der Mitglieder von 263 auf
276 gestiegen ist. Die Liste der 'Ewigen Mitglieder' wurde infolge
hochherziger Legate ebenfalls um drei vermehrt. Die Einnahmen aus den
ordentlichen Beiträgen der Mitglieder haben sich indessen doch nur um
weniger vergrößert, während die ordentlichen Ausgaben an Arme und Bedürftige
eine ziemlich höhere Summe in Anspruch nahmen, als im Vorjahre. Nur durch
hochherzige Schenkungen und Legate ist es gelungen, den an die Vereinskasse
gestellten Anforderungen gerecht zu werden. Der Rechnungsabschluss
balanciert in Einnahmen und Ausgaben." |
Musikabend
des Vereins für jüdische Geschichte und Literatur (1907)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 8. März 1907: "Wiesbaden. Der Verein für jüdische Geschichte und Literatur, der im
vergangenen Jahre von Herrn Dr. Adolf Friedemann gegründet wurde und heute
bereits 131 Mitglieder zählt, veranstaltete am 24. Februar einen 'jüdischen
Musikabend', den man vielleicht als die glänzendste Veranstaltung dieses
Vereins betrachten darf. Es wurde beim Publikum ein Bild von der
geschichtlichen Entwicklung der jüdischen Musik – von den altsynagogalen
Melodien des Altertums, der Ghettomusik des Mittelalters bis zu den
Schöpfungen der neuesten Autoren - gegeben. Mittlerweile waren Herr Levy –
Berlin (Cello) und Frl. Rose Kahn – Berlin (Gesang). Beide erstklassigen
Künstler wurden durch lebhaften Beifall und wiederholtes Herausrufen der
über 400 Personen zählenden Zuhörerschaft ausgezeichnet. Herr Levy ist ein
ausgezeichneter Cellist, der sein Instrument ganz beherrscht. Frl. Kahn,
eine blendend schöne Erscheinung, besitzt eine prachtvolle Altstimme, die
nie, ob in der Höhe oder Tiefe, ihren Schmelz verliert. Besonders gefielen
Jargonlieder, Carmen und 'Ich schlage Dich, mein Tambourin'. Als sie geendet
hatte, wollten die Beifallsrufe kein Ende nehmen und Frl. Kahn musste noch
ein Lied als Zugabe singen.
Am 28. Februar veranstalteten die beiden Künstler noch ein eigenes Konzert,
das in den Lokalblättern durchweg lobende Anerkennung fand. Besonders der
Sängerin wurde eine große Zukunft geweissagt.
B. St." |
Gründung
einer Ortsgruppe des "Verbandes der Sabbatfreunde" (1907)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 17. Oktober 1907: "Wiesbaden, 9. Okt. Am 14. September fand im Friedrichshof in einer gut
besuchten Versammlung die offizielle Konstituierung einer Ortsgruppe
Wiesbaden des 'Verbandes der Sabbatfreunde' statt. Herr Rabbiner Dr. Kahn
hielt eine kurze, wirkungsvolle Ansprache, in der er auf die Bedeutung des
Sabbats als Grundlage des Judentums hinwies. Bei der darauffolgenden
Vorstandswahl wurden gewählt die Herren Rabbiner Dr. L. Kahn, J. Aktuarius,
Berthold Kahn, M. Sulzberger und Fritz Herz. Es wurde für ratsam erachtet,
die zu gewinnenden Mitglieder der Nachbarplätze dem Verein Wiesbaden
anzugliedern, anstatt dort ebenfalls einzelne Ortsgruppen zu gründen. Aus
jedem Ort der näheren Umgebung ist daher je ein Beisitzer vom Vorstand zu
kooptieren."
Anmerkungen: -
Rabbiner Dr. Kahn:
https://www.wiesbaden.de/microsite/stadtlexikon/a-z/kahn-lippmann-leo-elieser.php
-
J. Aktuarius: Kunstsalon F. J. Aktuaryus, Taunusstraße 6
-
M. Sulzberger: Vorsänger Meyer Sulzberger vgl.
Artikel von 1914 |
Diskussionsabend
der Zionistischen Ortsgruppe (1908)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 4. Dezember 1908: "Wiesbaden,. Die Zionistische Ortsgruppe veranstaltete am 25, November einen
Diskussionsabend,, in dem Herr Bertram Stern über 'Was hat der Zionismus bis
jetzt erreicht?' referierte. Nachdem der Redner am Eingange seiner
Ausführungen die finanziellen Schöpfungen des Zionismus, wie Kolonialbank,
Nationalfonds usw. besprochen hatte, wandte er sich den Veränderungen zu,
die der Zionismus in Beziehung auf das geistige jüdische Leben, besonders in
Westeuropa hervorgerufen hat. Selbstbewusstsein, Stammesgefühl hat er
verbreitet, eine jüdische Kultur hat er erweckt. Neues Leben hat er in dem
alten Judenland herbeigeführt, neuen Lebensmut hat der dem Judentum
eingeflößt . Unter dem lebhaften Beifall der Erschienen schloss der Referent
seine Ausführungen, indem er am Schlusse erklärte, dass das, was wir für das
jüdische Volk schafften, der ganzen Menschheit zugute käme."
Anmerkungen: -
Kolonialbank:
http://www.lexikus.de/bibliothek/Theodor-Herzls-Zionistische-Schriften/Die-Juedische-Kolonialbank
-
Jüdischer Nationalfonds:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jüdischer_Nationalfonds |
75-jähriges Bestehen des Israelitischen
Männerkrankenvereins (1910)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 11. Februar 1910: "Der 'Israelitische Männerkrankenverein' in
Wiesbaden blickt auf ein
75jähriges Bestehen zurück. Sein wohltätiges Wirken hat sich besonders auch
in der Errichtung einer Waisenanstalt für die Provinz Hessen-Nassau gezeigt." |
Jahresbericht des "Israelitischen
Unterstützungsvereins"
(1910)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 31. März 1910: "Wiesbaden, 25. März. Der Israelitische Unterstützungsverein veröffentlicht
folgenden Bericht über seine Tätigkeit im abgelaufenen Geschäftsjahre:
Unsere Aufgaben sind in fast allen Positionen bedeutend gewachsen. Selbst
die uns reichlich zugefallenen Geschenke haben nicht hingereicht, um den
gesteigerten Ansprüchen zu entsprechen, und so haben wir gegen Ende des
Jahres eine kleine Anleihe aufnehmen müssen und schließen mit einem Defizit
ab. Das sind unerfreuliche Zustände, auf deren Abstellung nicht oft genug
hingewiesen werden kann. So lange es nicht ein jedes Mitglied der beiden
Gemeinden als Ehrenpflicht betrachtet, unserem Vereine nach Kräften
beizusteuern, können wir nicht auf geordnete Verhältnisse rechnen. Die
zunehmende Verarmung unserer Glaubensgenossen auf dem Lande, die stets
anwachsende Zuströmung in- und ausländischer mittelloser Juden nach der
Stadt und die Tatsache, dass mit Ausnahme des stets hilfsbereiten
Schwestervereins in Frankfurt
ein leistungsfähiger Unterstützungsverein in unserer Heimatprovinz nächst
uns nicht besteht, lässt eine Verminderung unserer Ausgaben nicht erhoffen.
Ganz besonders schwere Lasten legt uns in der letzten Zeit die Wegschaffung
russischer und galizischer Familien hier auf. Eine Anzahl dieser Familien
findet in den Zigarettenfabriken Beschäftigung. Aber auch hier untersagt das
Gesetz für die Ausländer die dauernde Arbeitsgelegenheit. Es bleibt somit
nur Hausierhandel, der die Anzahl der Konkurrenten unmöglich ernähren kann.
Solange die Familienhäupter gesund sind, bleibt es bei gelegentlichen
Unterstützungen. Erkrankt nur das eine, so ist die Familie lediglich auf uns
angewiesen, da sie aus begreiflichen Gründen sich scheuen muss, die
städtische Armenpflege in Anspruch zu nehmen. Wir bitten daher dringend,
dass jeder nach Kräften vor derartigem Zuzug warnt. Am 12. Dezember fand
unsere Generalversammlung statt. Die vom Deutsch-Israelitischen Gemeindebund
angeregte Zusammenschließung der Klassen gegen Wanderbetel stieß auf
entschiedene Gegnerschaft. Eine später in Frankfurt stattgehabte
Versammlung, bei der das Berliner Projekt zur Beratung stand, hat dasselbe
gegen wenige Stimmen abgelehnt. Es soll nun ein Zusammengehen der
Hilfsvereine der Provinz Hessen-Nassau, sowie des Großherzogtums Hessen in
die Wege geleitet werden. - Der Bericht schließt mit einem warmen Appell an
die Mitglieder, stets werbend für den Verein einzutreten und seiner bei
jeder sich darbietenden Gelegenheit eingedenk zu sein."
Anmerkung: -
Deutsch-israelitischer Gemeindebund:
https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsch-Israelitischer_Gemeindebund |
Jahresbericht
des "Israelitischen Unterstützungsvereins" (1911)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 9. Juni 1911: "Wiesbaden, 1. Juni. Der hiesige Israelitische Unterstützungsverein
bezeichnet in seinem Jahresbericht für 1910 als eine bedeutsame Förderung
des jüdischen Armenunterstützungswesens den mit dem 'Israelitischen
Hilfsverein' in Frankfurt a. M.
als Vorortsgruppe vollzogenen Eintritt in die große Gesamtorganisation.
Durch das Zusammenwirken so vieler Einzelverbände wird eine wirksamere
Bekämpfung des unwürdigen Wanderbettels erhofft. Durch ein Bestreben, den
armen Leuten auf dem Lande an ihrem Wohnorte selbst zu helfen und zu
verhindern, dass diese als Bettler im Lande umherziehen, sind dem Verein
bedeutende Ausgaben erwachsen. Diese wie die Gaben an hiesige Hausarme
übersteigen bei weitem die Einnahmen aus den Mitgliederbeiträgen. Die Kasse
schließt in Einnahmen und Ausgaben mit 16.480,47 Mark ab, das Gesamtvermögen
beträgt 37.038,33 Mark. Von dem Vereinsvorstande wurde auch die Verwaltung
des Ferienfonds für Kinder unbemittelter Eltern übernommen. Im Berichtsjahre
konnten von dem Sammelfonds, der die nennenswerte Höhe von 3.339,10 Mark
erreichte, 29 Kinder zur Erholung aufs Land geschickt werden. Da für diesen
Zweck 1.427,90 Mark verausgabt wurden, weist die Kasse beim Jahresabschluss
einen Bestand von 1.911,20 Mark auf. Die Verwaltung gedenkt am Schlusse des
Berichts ihres früheren Vorsitzenden, des dahingeschiedenen Rabbiners Dr. M.
Silberstein, der seine Anhänglichkeit an den Verein durch ein Vermächtnis
von 500 Mark bestätigte und in die Liste der ewigen Ehrenmitglieder
eingetragen wurde. Dasselbe geschah auch bei Regine Wolfsohn, die vor ihrem
Tode den Verein mit einem Legat von 1.000 Mark bedachte."
Anmerkung: -
Rabbiner Dr. Silberstein:
https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Silberstein |
Versammlung
der zionistischen Ortsgruppe (1911)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 1. Dezember 1911: "Am 26. dieses Monats fand die erste Versammlung der neuorganisierten
zionistischen -Ortsgruppe unter der Leitung des Lehrers S. Jakob Rosenberg
statt. Rechtsanwalt Dr. Schwarzschild -
Frankfurt
referierte in anschaulicher und instruktiver Weise über den X. Kongress. Der
2. Redner Martin Levigard – Frankfurt sprach packend über die allgemeine
Lage der Juden in Ost und West und über die Notwendigkeit der Schaffung
eines Zentrums in Palästina. Beide Redner fanden bei dem zahlreich
erschienenen Publikum begeisterte Aufnahme, was sich auch in der Anmeldung
von 6 neuen Mitgliedern zeigte."
Anmerkungen: -
Dr. Schwarzschild: Dr. jur. Ferdinand Schwarzschild, Bleidenstraße 6 I, Tel.
I.3962, Wohn. Mendelssohnstraße 65 E, Tel. I. 1271, Frankfurt a. M.
Martin Levigard: Frankfurter Handels- und Gerichts-Zeitung, Schillerstraße
26, Inh. Martin Levigard, Wohn. Altegasse 39 II, Tel. I. 7228 |
Vortrag
mit Debatte über den "Untergang der deutschen Juden" in der
Zionistischen Ortsgruppe (1912)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 7. Juni 1912: "Wiesbaden. In der Zionistischen Ortsgruppe sprach Parteisekretär Curt
Rosenbaum über das Thema 'Der Untergang der deutschen Juden.'
Dem interessanten Vortrage schloss sich eine gleichfalls interessante
Debatte an.
Herr Vorsanger, der erst jüngst ein gegen das Hebräische im
Religionsunterricht gerichtetes Zirkular (die Assimilanten sind auch bei uns
eifrig mit dem Niederreißen beschäftigt) mit unterzeichnet hatte, kam, um
auch hier gegen das Hebräische zu sprechen. Man müsse das Hebräische in der
Synagoge auf ein Mindestmaß beschränken und man werde wieder religiöses
Interesse fördern. Ein weiteres Mittel zur Erhaltung des deutschen Judentums
sei die energisch durchgeführte Assimilation.
Auch Lehrer Capell, der zweite Diskussionsredner, erblickt allein in der
Religion das einigende Moment im Judentum, wenngleich er nicht bestreiten
kann, dass die jüdische Religion von nationalen Ideen durchsetzt ist, er
erhofft die Lösung der Judenfrage von einem 'geistigen Zion'.
Beiden antwortete Curt Rosenbaum. Er führte ihnen den Berliner Reformtempel
mit seiner gähnenden Leere – trotz gut stilisierter deutscher Gebete -recht
drastisch vor Augen, zeigte, dass grade die radikale Reform die Hauptschuld
an der Auflösung des deutschen Judentums trifft, und wie das Hebräische
grade jetzt seine Auferstehung zu einer lebendigen Sprache feiert. Er
betonte ferner, dass doch auch 'die anderen' bei der Assimilation mitzureden
hätten.
Die Ausführungen ernteten lebhaften Beifall. Der eine Diskussionsredner
erklärte offen, dass er sich gegen einen solch gewandten Redner nicht
behaupten könne, und der zweite Diskussionsredner war von den begeisterten
Ausführungen so hingerissen, das er sich veranlasst sah, dem Redner den Dank
aller Anwesenden für seine von warmer Liebe zum Judentum zeugende
Ausführungen auszusprechen."
Anmerkungen: -
Zirkular: https://de.wikipedia.org/wiki/Rundschreiben
Herr Vorsanger:
https://moebus-flick.de/die-judenhaeuser-wiesbadens/grillparzerstr-9/
Lehrer Capell: Edmund Isaak Capell
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Edmund_Capell,_Kaiser-Friedrich-Ring_34_(Wiesbaden).jpg
Berliner Reformtempel:
https://de.wikipedia.org/wiki/Neue_Synagoge_(Berlin) |
Veranstaltungen
der zionistischen Ortsgruppe (1912)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 25. Oktober 1912: "Wiesbaden. Unstreitig macht der Zionismus auch in Wiesbaden Fortschritte.
Langsam, aber sicher geht er seines Weges, sein Ziel stets vor Augen und
schließlich wird es ihm gelingen, in die Indolenz, durch die sich Wiesbaden
besonders 'auszeichnet', eine Bresche zu schlagen.
Nach einem Jahr intensiver Arbeit innerhalb ihres Kreises unternahm es die
Ortsgruppe, mit einer großzügigen Versammlung in die Öffentlichkeit zu
treten. Und der Versuch gelang. Am 22. Sept. sollte Dr. Schmarja Levin
sprechen, der aber am Erscheinen verhindert war, und so sprang in letzter
Minute Nachum Goldmann - Frankfurt
für diesen ein. Etwa 300 Personen waren der Einladung gefolgt. Herr Goldmann
erntete mit seiner Rede stürmischen Beifall.
Eine Woche später, am 29. Sept., füllte mindestens ebenso viel Publikum den
Festsaal der Loge Plato, um den angekündigten Vortrag Dr. Schmarja Levins zu
hören. Dieser sprach über 'Die Assimilation und der nationale Gedanke.' In
einem mit zwingender Logik meisterhaft durchgeführten Gedankengang zeigte
er, wie die Assimilation den nationalen Gedanken erzeugen musste und zeigte
dann die jüdische Entwicklung in Palästina, wo wir Juden in 20 Jahren
größere Fortschritte machten als anderswo in 200 Jahren.
Anmerkungen: -
Indolenz: https://de.wikipedia.org/wiki/Indolenz
-
Dr. Schmarja Levin:
https://de.wikipedia.org/wiki/Schemarjahu_Levin
-
Nachum Goldmann: https://de.wikipedia.org/wiki/Nahum_Goldmann
|
Vortragsabend
der zionistischen Ortsgruppe (1912)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 29. November 1912: "Wiesbaden. Am 17. dieses
Monats sprach in unserer Ortsgruppe
Parteisekretär Curt Rosenbaum über die Lage der zionistischen Bewegung. Dem
Vortrag schloss sich eine Diskussion an, in der die Herren Karpin, Stern und
der Referent sprachen.
Im Anschluss an die Diskussion fand die Generalversammlung statt. Lehrer
Rosenberg erstattete den Jahresbericht, der ein Erstarken der Ortsgruppe
konstatiert. Es fanden im abgelaufenen Berichtsjahr 8 Veranstaltungen statt.
Besonders erfreulich waren die Eingänge für den jüdischen Nationalfonds; sie
betrugen 546 Mark.
Der zweite Punkt der Tagesordnung betraf die Vorstandswahl; es wurden
wieder- bzw. neugewählt: Lehrer Rosenberg (Vorsitzender), Brocziner,
Gutmann, Karpin und Bertram Stern."
Anmerkungen: -
Bertram Stern:
https://moebus-flick.de/die-judenhaeuser-wiesbadens/dotzheimer-str-15/klara-stern-und-ihre-geschwister/
-
Jüdischer Nationalfonds:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jüdischer_Nationalfonds |
50-jähriges Bestehen des Synagogengesangvereins
(1913)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 21. Februar 1913: "Wenn alle deutschen Lande die Erinnerung an die Völkerschlacht von Leipzig
festlich begehen werden, wird der Wiesbadener Synagogengesangverein
gleichzeitig das Fest seines 50jährigen Bestehens feiern. Wenn ich als
Mitbegründer und langjähriger Vorsitzender dieses Vereins auf die
Entwickelung unseres Chors zurückblicke, so empfinde ich ein Gefühl der
Befriedigung, besonders deshalb, weil wir auf die Ausgestaltung unseres
hiesigen Gottesdienstes einen künstlerisch-ästhetischen Einfluss ausgeübt
und weil wir nur echte Synagogenmusik aufgeführt und alle profane – auch die
'kirchliche' Choralmusik – ausgemerzt haben. Welch genussreiche Stunden
bereitete uns schon das Studium unserer Klassiker wie Sulzer, Naumburg, Lewandowski und Deutsch; mit welchem großen Interesse beobachteten wir, wie
die Meister Birnbaum, Henle, Kirschner, Tennenbaum und andere es verstanden
haben, den Synagogengesangsstil mit moderner Musik zu verbinden. - Es
schärft sich das Verständnis für Chasonus und das Urteil über
Synagogengesänge, wenn man 50 Jahre aktiv im Synagogenchore mitwirkt. Unser
Chor hat sich seit langem befleißigt, einer künstlerischen Höhe zuzustreben,
und diesem Bestreben verdanken wir es, dass eine ganze Anzahl von
Tonkünstlern Synagogengesänge für unseren Chor geschaffen und sie unserem
Vereine gewidmet haben. So sind wir zu einer stattlichen Sammlung von
Manuskriptn gelangt, unter denen sich manche Perle des Synagogengesanges
befindet. Es wäre Egoismus, wollten wir anderen Synagogen diese wertvollen
Gesänge vorenthalten. Man muss es daher als eine musikalische Tat begrüßen,
dass unser geschätzter Oberkantor, Herr Nußbaum, in Gemeinschaft mit unserem
tüchtigen Dirigenten, Herrn Musikdirektor Otto Wernicke, sich der Mühe
unterziehen, honoris causa die 'Wiesbadener Synagogengesänge' zu unserem
Jubiläum herauszugeben. Die Ausgabe wird einen stattlichen Quartband füllen
und außer Gesängen für die verschiedenen Gottesdienste des Jahres einen
Zyklus von Predigtliedern von Professor Nicolai von Wilm enthalten, der für
viele Synagogenchöre eine willkommene Gabe sein wird. Wir haben eine
Subskription eröffnet; denjenigen Gemeinden und Kantoren, welche bis zum 1.
April subskribiert haben, sind Vorzugspreise bewilligt, außerdem werden sie
in einem Anhang als Förderer des Unternehmens aufgeführt werden. Es liegt im
Interesse der Herren Kantoren, ihre Gemeinden zur Anschaffung unseres Werkes
zu veranlassen, denn das Aufführungsrecht unserer Gesänge steht gesetzlich
nur denjenigen Gemeinden zu, die mindestens ein Exemplar käuflich erworben
haben.
Wiesbaden, den 6. Februar 1913.
Benedict Straus." |
|
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 31. Oktober 1913: "Samstag früh hielt Rabb. Dr. Kober die Festpredigt. Samstagabend fand ein
Synagogenkonzert statt. Sonntag nahmen die Veranstaltungen mit einer
akademischen Feier und einem Festessen ihren Abschluss.
Die Feier zu Ehren war die Herausgabe der Wiesbadener Synagogengesänge
vorausgegangen. Eine Denkschrift wird demnächst erscheinen." |
|
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 7. November 1913: "Wiesbaden, 31. Oktober. Der hiesige Synagogengesangverein feiert sein
fünfzigjähriges Jubiläum, bei dem unter anderen ein Festkonzert stattfand,
weiterhin kam auch ein von Oberkantor Nußbaum verfasstes und vom
Musikdirektor Wernicke komponiertes Festepos
'Von Tempel zu Tempel' zur Erstaufführung. Das Stück erwies sich als recht
eindrucksvoll. Es gibt einen Einblick in die ehemalige Tempelmusik durch den
Chor der Leviten, zeigt unter Erzählung der Schicksale des jüdischen Volkes
nacheinander Resignation, Wehmut und Befreiungspsalmen, unterbrochen vom
Kriegerlied und Heimatjubel, um in einem Festrhythmus anbetungsvoll und
dankbar zu enden. Die Mitwirkenden, Herr Nußbaum, Frau Zimmer- Glockner als
Ruth, Frau Herterich (Frankfurt)
als Deborah und Fräulein Emma Wernecke (Frankfurt) als Mirjam verhalfen dem
Festspiel zu gutem Erfolge.
Anmerkungen: -
Völkerschlacht von Leipzig:
https://de.wikipedia.org/wiki/Völkerschlacht_bei_Leipzig
-
Sulzer: https://de.wikipedia.org/wiki/Salomon_Sulzer
-
Naumburg: https://de.wikipedia.org/wiki/Samuel_Naumbourg
-
Lewandowski: https://de.wikipedia.org/wiki/Louis_Lewandowski
-
Deutsch:
https://www.laurentius-musikverlag.de/synagogale-musik/moritz-deutsch/
-
Birnbaum: Eduard Emanuel Birnbaum
https://www.laurentius-musikverlag.de/synagogale-musik/emanuel-birnbaum/
- Henle: https://de.wikipedia.org/wiki/Moritz_Henle
-
Kirschner: https://de.wikipedia.org/wiki/Emanuel_Kirschner
https://www.muenchenwiki.de/wiki/Emmanuel_Kirschner
-
Chasonus: Liturgischer Gesang der Synagogalmusik
-
Oberkantor Nußbaum: Abraham Nußbaum
https://moebus-flick.de/die-judenhaeuser-wiesbadens/emma-august-und-das-ehepaar-nussbaum/
-
Wiesbadener Synagogengesänge:
https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/freimann/search?operation=searchRetrieve&query=bib.personalName%3D%22Nussbaum%2C%20Abraham%22%20and%20vl.domain%3Ddomain%20sortBy%20dc.title%2Fasc
https://www.laurentius-musikverlag.de/synagogale-musik/nicolai-von-wilm/
-
Professor Nicolai von Wilm:
https://de.wikipedia.org/wiki/Nicolai_von_Wilm
-
Leviten: https://de.wikipedia.org/wiki/Leviten
-
Ruth: https://de.wikipedia.org/wiki/Buch_Rut
- Deborah:
https://de.wikipedia.org/wiki/Debora_(Richterin)
- Mirjam:
https://de.wikipedia.org/wiki/Mirjam_(Prophetin) |
Jahresbericht
des Israelitischen Unterstützungsvereins (1914)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 3. April
1914: "Wiesbaden, 27. März. Der Israelitische Unterstützungsverein in Wiesbaden
versendet soeben seinen 48. Jahresbericht. Der Bericht stellt die
bemerkenswerte Tatsache an die Spitze, dass zum ersten Mal seit dem Bestehen
des Vereins die Ausgaben im Jahre 1913 die Einnahmen überschritten haben.
Wenn es sich bei dieser Überschreitung auch nur um die einige wenige hundert
Mark handelt, so gibt dies dem Berichterstatter doch Anlass zu ernsten
Erwägungen. Die Not der jüdischen Kleinbevölkerung sowohl auf dem platten
Lande wie in der Stadt steigt fast täglich. Es werden Anforderungen an den
Verein gestellt, die so berechtigt sie auch manchmal seien, weitaus die
Kräfte des Vereins übersteigen. Einen großen, ja den größten Teil unserer
Pfleglinge in Wiesbaden stellt die zunehmende Einwanderung russischer und
galizischer Glaubensgenossen. Für diesen Andrang reichen die
Erwerbsmöglichkeiten unserer Stadt nicht aus. 'Wir richten deshalb an unsere
Mitglieder das dringende Ersuchen, nicht durch besondere Gaben den Zuzug
noch zu stützen, sondern in allen Fällen auf unsere Mitwirkung
zurückzugreifen. Nur so wird es möglich, wenigstens die einheimische
jüdische Kleinbevölkerung vor der äußersten Not zu schützen und sie nicht
geradezu auf die Landstraße zu werfen'. - Aus dem Rechnungsabschluss ergibt
sich, dass Einnahmen und Ausgaben gegenüber dem Vorjahre um rund 2.500 Mark
gestiegen sind. Sie balancieren 1912 mit 16.036 Mark und im verflossenen
Jahre 1913 mit 18.510 Mark. Die Einnahmen aus Mitgliederbeiträgen sind
gleichfalls gestiegen, um ca. 260 Mark, die Geschenke um rund 250 Mark.
Demgegenüber sind allerdings auch die Ausgaben zum Teil sehr wesentlich
gewachsen. Die einmaligen Gaben an Einheimische erforderten im Berichtsjahre
eine Steigerung von ca. 33 1/3 Prozent; sie erforderten 1912 2.760 Mark und
stiegen 1913 auf 4.092 Mark. Das Vereinsvermögen erreichte am 1. Januar 1913
die Höhe von 46.910,97 Mark. - Der unter Verwaltung des Vereins stehende
Ferienfonds konnte im abgelaufenen Jahre allen Anforderungen gerecht werden.
Pension für 48 Kinder in Sommerfrischen, einschließlich des vorjährigen
Kassenbestandes von 1.490 Mark, insgesamt 3,593 Mark, sodass am 1. Januar
1914 sich ein Kassenbestand von 1.025 Mark ergibt." |
Ereignisse
und Aktivitäten in der jüdischen Gemeinde zu Kriegsbeginn (1914)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 2. Oktober 1914: "Wiesbaden, 25. September (1914). Wie in
anderen Gemeinden fand auch hier bald nach dem Kriegsausbruch ein überaus
starb besuchter Bittgottesdienst statt, an dem auch die jüdische
Mannschaft der hiesigen Garnison teilnahm. Herr Rabbiner Dr. Kober hatte
neu eingetretene Militärpersonen auf den Eid vorbereitet und
veranstaltete am vorletzten Freitag abends für die noch hier befindliche
jüdische Mannschaft einen Militärgottesdienst. In den zahlreichen
Lazaretten hiesiger Stadt befinden sich auch jüdische Verwundete, die von
unserem Rabbiner regelmäßig besucht werden. Gleich nach Kriegsausbruch
hat der jüdische Frauen-Krankenverein unter seinen Mitgliedern 2.287 Mark
aufgebracht und dem Kreiskomitee zum Roten Kreuz zur Verfügung gestellt.
Auch der Verein 'Gemilus Chesed' hat 500 Mark für denselben Zweck
aufgebracht. Der Verein zur Errichtung eines israelitischen Krankenhauses
und Schwesternheims hat seine Räume der Militärbehörde zu
Lazarettzwecken zur Verfügung gestellt und seine Schwestern mit den
anderen Schwestern der Großloge zur Marinestation nach Kiel gesandt. Die
Nassauloge U.O.B.B. hat sich mit dem israelitischen Unterstützungsverein
zusammengetan, um den armen jüdischen Familien während der Kriegszeit
hilfreich zur Seite zu stehen. Die Nassauloge hat außerdem für etwa 1000
Mark für unbemittelte Glaubensgenossen in Stadt und Bezirk
Versicherungsscheine der Nassauischen Kriegsversicherung gekauft. Der
israelitische Waisenunterstützungsverein hat 1000 Mark der
Nationalstiftung für die Hinterbliebenen der im Kriege Gefallenen
überwiesen. Dass außerdem die jüdische Privatwohltätigkeit im Dienste
der Allgemeinheit sehr rege ist und zahlreiche Männer, Frauen, Mädchen
und Kinder unserer Gemeinde im Dienste der allgemeinen Kriegsfürsorge
stehen, bedarf wohl keines besonderen Hinweise." |
Festschrift
zur Fünfzigjahrfeier des Synagogen-Gesangvereins (1914)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 16. Oktober 1914: "Festschrift zur Fünfzigjahrfeier des
Synagogen-Gesangvereins zu Wiesbaden. 1863-1913. I. Zur Geschichte der
Juden Wiesbadens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Von Dr. Adolf
Kober. 2. Rückblick auf die fünfzigjährige Tätigkeit des
Synagogen-Gesangvereins. Von Benedict Straus. (Der ersten Teil dieser
Festschrift ist auch in einem Separatdruck erschienen.)
Die Schrift zerfällt, wie der Titel besagt, in zwei Teile. Auf den
zweiten Teil kann ich nur kurz eingehen. Ich will nur bemerken, dass die
Bemühungen für einen modernen Chorgesang mit einem Schreiben beginnen,
das mein Vater 1836 an den Synagogenvorstand richtete, einen Chorgesang
einzuführen, wobei er den Vorschlag machte, die Schüler der
Religionsschule zu Chorsängern heranzubilden. Sonst sind die Mitteilungen
über den Synagogen-Gesangverein zwar interessant genug, aber doch mehr
von lokaler Bedeutung, sodass sie für den größten Teil unserer Leser
nicht wichtig genug sind. Dagegen ist der erste Teil von allgemeinem
Interesse, weil es sich hier nicht bloß um die Geschichte einer einzelnen
Gemeinde, sondern um die der Judenschaft von ganz Nassau handelt, und die
Ereignisse vom Anfange des 19. Jahrhunderts bis ums Jahr 1850 dargestellt
werden. Diese Ausführungen beginnen mit einer Bittschrift der Judenschaft
aus dem Jahre 1807, einen Rabbiner anzustellen, einem höchst wichtigen
Dokument. Die langen Verhandlungen bis zur Anstellung meines Vaters sind
merkwürdig genug. Bei diesem Punkte geht der Verfasser nicht ins
einzelne, sondern verweist auf meine Darstellung in dem meinem Vater
gewidmeten Gedenkbuche. Ich konstatiere nur mit Vergnügen, dass Kober,
entgegen den orthodoxen Ausstreuungen, daran festhält, dass Geiger 'ohne
persönliches Verschulden' seine Stellung aufgab (S. 25). Dann folgt die
Würdigung des Rabbiners Süßkind und manches andere. Es ist ein sehr
lehrreicher Beitrag für die Provinzialgeschichte der Juden, die in
einfacher Sprache sehr merkwürdige Verhältnisse illustrier. L.G. =
Sohn von Rabbiner Dr. Abraham Geiger". |
Gedenkveranstaltung
für Rabbi Akiba Wreschner im Talmud-Thora-Verein (1915)
Anmerkung: es ist unklar, welcher der verschiedenen Rabbinen Wreschner mit
"Akiba W." gemeint ist.
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 19. März 1915: "Wiesbaden, 15. März. Bei dem am
7. Adar abgehaltenen Hesped (Traueransprache) auf den
verstorbenen Rabbi Akiba Wreschner – das Andenken an den Gerechten ist zum
Segen – im hiesigen Talmud-Tora-Verein hat nicht wie irrtümlich eingegeben
war, Herr Rabbiner Dr. Bamberger aus Hanau,
sondern der Chemiker Dr. Bamberger in Wiesbaden den Vortrag gehalten."
Anmerkungen: -
Rabbiner Dr. Bamberger: Vgl.
Artikel von 1920
-
Chemiker Dr. Bamberger:
https://de.wikipedia.org/wiki/Eugen_Bamberger_(Chemiker)
|
Ein
ritueller Mittagstisch und das jüdische Altersheim wurden eingerichtet (1924)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 29. Mai 1924: "Wiesbaden, 20. Mai. Wiesbaden war früher als Stadt der Rentner bekannt. Alle
Not, die den Rentner der Krieg und die Nachkriegsjahre und ganz besonders
die Inflation des letzten Jahres gebracht hat, ist in Wiesbaden mit aller
Schärfte hervorgetreten und die jüdischen Rentner, wie überhaupt alle nicht
mehr im Erwerbsleben stehenden Glaubensgenossen sind von ihr in gleicher
Weise betroffen worden. Um diese Not zu steuern, sind in Wiesbaden zwei
Einrichtungen von jüdischer Seite geschaffen worden: Ritueller Mittagstisch
und das jüdische Altersheim.
Die rituelle Küche geht auf eine Anregung zurück, die von Frau Löwenstein
ausgegangen, von der Arbeitsgemeinschaft der Jüdischen
Wohlfahrtsorganisationen in Wiesbaden bereitwillig aufgenommen und sofort in
die Tat umgesetzt wurde, nachdem eine Anzahl opferwilliger
Gemeindemitglieder sich zur Unterstützung durch Geldmittel und Waren
bereiterklärt haben. Am 22. April 1923 erfolgte der Eröffnung zunächst in
zur Verfügung gestellten privaten Räumen. Da die Teilnehmerzahl stark
anwuchs, genügten diese Räume bald nicht mehr. Es wurde möglich, sie in ein
eigenes Haus Faulbrunnerstraße Ecke Schwalbacherstraße zu verlegen. Die
Räume in dem neuen Heim bestehen aus einem großen hellen Speisesaal und
einem zweiten, gemütlich ausgestatteten Zimmer, das den Gästen auch an den
Nachmittagen zur Verfügung steht, eine Einrichtung, die während des letzten
langen Winters besonders dankbar empfunden wurde. Zeitungen, Bücher und
Spiele sorgen für Unterhaltung.
Als Entgelt wird gegenwärtig 1,50 Goldmark für eine Woche erhoben. Dieser
geringe Preis natürlich nur infolge der vielen, der Küche gespendeten
Zuschüsse durchzuführen. Einer recht erheblichen Anzahl der Gäste muss auch
dieser geringe Preis erlassen werden. An den Nachmittagen wird den Gästen
kostenlos ein Glas Tee mit Brot verabreicht.
Die Besucherzahl ist von anfänglich 10 Personen auf 55 bis 70 Personen
täglich gestiegen, obwohl der Zutritt der Zustimmung einer besonderen
Kommission bedarf.
Als Eigentümerin des Hauses ist die Nassau-Loge eingetragen, die die
Räumlichkeiten bereitwillig auch für Versammlungen der anderen jüdischen
Vereine zur Verfügung stellt. Die Leitung der Küche untersteht einem von der
Nassau-Loge eingesetzten Ausschuss, dessen Arbeiten seit Begründung der
Küche Herr Sally Herz leitet.
Die Notwendigkeit der Einrichtung eines jüdischen Altersheims ist schon vor
Jahren von Moritz Heimerdinger, dem Rektor der jüdischen Wohlfahrtspflege in
Wiesbaden, betont worden. Als die Not immer dringlicher wurde, kam es
unerwartete Hilfe durch ein Vermächtnis des im Jahre 1922 verstorbenen
Deutschamerikaners Moritz Archenhold. Dieses Vermächtnis wurde durch
Verwandte des Verstorbenen weiter erhöht und nach langem Suchen war es
möglich, das Haus Walkmühlstraße 85 zu erwerben. Eine Reihe weiterer Spenden
ermöglichte uns, das Haus von Grund auf zu renovieren. Es kann 12 Personen
Aufnahme gewähren. Ein behaglich ausgestattetes Speisezimmer dient den
Insassen zum gemeinschaftlichen Aufenthalt. Mitten im Grünen und in der Nähe
prächtiger Anlagen und des Waldes gelegen, ist es vorzüglich für seine
Zwecke geeignet. Den Insassen wird außer der Wohnung volle Beköstigung in
gut bürgerlichem Stil geboten. Die Pensionsplätze sind äußerst niedrig
bemessen, es ist bei ihnen in jedem einzelnen Falle auf die
Leistungsfähigkeit der Pensionäre oder ihrer Angehörigen Rücksicht genommen.
Wegen der geringen zur Verfügung stehenden Plätze sind Neuaufnahmen
augenblicklich nicht möglich. Das Eigentum des Hauses ist wie bei der
Rituellen Küche der Nassau-Loge übertragen worden, die ein Kuratorium für
die Verwaltung eingesetzt hat, an dessen Spitze Herr Gustav Flörsheim steht.
Am Sonntag, den 11. Mai 1924 wurde das Heim mit einer schlichten Feier
seiner Bestimmung übergeben.
Anmerkungen: -
Moritz Archenhold:
http://www.jacob-pins.de/?article_id=356&clang=0
-
Gustav Flörsheim. Gustav Flörsheim (1860 -1917), Wechselmakler,
Beethovenstraße, Frankfurt a. M. |
Winterprogramm
der Agudas Jisroel-Gruppe (1925)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 29. Oktober 1925: "Wiesbaden, 22. Oktober. Mit Herbstbeginn entfaltet die hiesige Agudas
Jisroel-Gruppe wieder eine lebhafte Tätigkeit. Das Winterprogramm bietet
unter der Leitung der Herren Rabbiner Dr. Kahn, Dr. Ansbacher, Lehrer Hes,
Felix Goldschmidt und Jacob Tischel fast jeden Abend Schiurim
(Lehrstunden) für
Herren oder Damen. Nach Minchoh versammelten sich Mitglieder und Freunde der
Agudoh in der 'Rituellen Küche', wo eine größere Anzahl Damen Erfrischungen
und Leckerbissen gespendet hatten. Die Herren Rabbiner Dr. Ansbacher,
Sanitätsrat Dr. Kornblum, Lehrer Hes und Herr Teig würzten die Seuda
durch geistreiche und launige Worte des Tora, sodann setzte nach Maariw der fidele Teil ein, um den sich besonders Herr Leopold Deutsch
verdient machte. Die Geschwister Ruth und Heinz Kahn, Sulamith und Joseph
Ansbacher unterhielten das Publikum mit drolligen kurzen Vorträgen. Lehrer
Hes trug den Jahrkidusch vor und Berthold Kahn schöpfte aus seinem
reichhaltigen Born Dialektdeklamationen und 'erleuchtete' mit seinem
Geisteslicht selbst eine durch Stromstörung eingetretene Dunkelheit.
Besonders gelungen war das Luststück 'Wenn der Hof verreist ist', worin die
Herren Gebrüder Steinlauf, Deutsch, Goldmann, Frl. Neustadt und der 9jährige
Adolf Zippel großen Beifall ernteten.
Einen äußerst lehr- und genussreichen Abend bot am Sonntag, den 18. Oktober,
ein Vortrag des Herrn Redakteurs S. Schachnowitz -
Frankfurt a. M.
über 'Chazaren und Karäer, ein Kapitel jüdischer Geschichte und seiner
Lehren'. In seiner rühmlichst bekannten zündenden und wortreichen
Darstellungskunst veranschaulichte er die beiden, aus einer Zeit stammenden,
gewissermaßen Gegenstücke zueinander bietenden Ereignisse, und verstand es,
zu bewirken, dass die Zuhörer durch seine lebhafte Schilderung und
Erläuterung dieselben gleichsam miterlebten. Als logische Folgerung zog er
hieraus erstens die Lehre, dass das Judentum ohne Tradition dem Tode
entgegen gehen müsse, wie der Karaismus zeigt, andererseits die besonders
für unsere Zeit beachtenswerte Wahrheit, dass die vereinigende Kraft Israels
nicht die Blutsgemeinschaft sei, - denn Karäer verloren trotz dieser den
Zusammenhang, während Chazaren als fremde Rasse wertvolle Teile wurden -
sondern die Glaubensgemeinschaft. Die geistreichen und überzeugenden
Ausführungen lösten reichen Beifall aus, den auch der Vorsitzende, H. Felix
Goldschmidt, mit Dankesworten aussprach. Herr Rabbiner Dr. Ansbacher zeigte
noch an einigen Beispielen, wie unentbehrlich die Tradition für die Ausübung
der einzelnen Mizwoh sei, gleichzeitig aber auch, wie der feinsinnige Text
des Gotteswortes, gründlich und wahrhaft wissenschaftlich genommen, selbst
die traditionelle Auslegung unwiderleglich bestätige, sodass die karäische
Lehre von der schriftlichen Thora selbst Lüge gestraft sei. Auch diese
Ausführungen fanden reichen Applaus und die zahlreiche Hörerschaft ging
dankbar für den herrlichen Abend mit reichem geistigen Gewinn nach Hause. -
r. - "
Anmerkungen: -
Agudas Jisroel:
https://de.wikipedia.org/wiki/Agudath_Israel_Weltorganisation
Rabbiner Dr. Kahn:
https://www.jg-wi.de/blog/150-jahre-alt-israelitische-kultusgemeinde/
und
Artikel und 1920
Rabbiner Dr. Ansbacher: vgl.
Artikel von 1931
Minchoh: https://de.wikipedia.org/wiki/Mincha
Maariw:
https://de.wikipedia.org/wiki/Maariw_(Judentum)
Leopold Deutsch: Womöglich
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de851771
Kidusch: https://de.wikipedia.org/wiki/Kiddusch
Berthold Kahn: Womöglich
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de891633
S. Schachnowitz: https://de.wikipedia.org/wiki/Selig_Schachnowitz
Chazaren: https://de.wikipedia.org/wiki/Chasaren
Karaismus: https://de.frwiki.wiki/wiki/Karaïsme |
Über
das jüdische Gemeindeleben im Winter 1925/1926 (1926)
Artikel in der "Jüdisch-liberalen Zeitung" vom
29. Januar 1926: "Wiesbaden. (Vom jüdischen Gemeindeleben). In den einzelnen Vereinen unserer
israelitischen Kultusgemeinde herrscht reges geistiges Leben. So hat der
neutrale jüdische Jugendverein nach längerer Pause seine Tätigkeit wieder
aufgenommen. So pflegt die Vereinigung jüdischer Frauen neben ihren sozialen
Aufgaben auch Geistesarbeit und lässt interessante Vorträge aktueller Art
halten. Das jüdische Lehrhaus widmet diesen Winter jüdischen
Erziehungsfragen, verbreitete durch Vorträge Aufklärung und Wissen, die
Ortsgruppe des CV hat am 21. Februar vor geladenen Publikum Juden und
Christen, von Professor Dr. Erik Nölting aus
Frankfurt a. M.
(Nichtjude) einen Vortrag über 'Das Judentum als deutscher Kulturfaktor'
halten lassen. Die vor etwas mehr als Jahresfrist gegründete Ortsgruppe der
'Vereinigung für das liberale Judentum' hatte sich zunächst mit den Wahlen
zum 'Preußischen Landesverband jüdischer Gemeinden' zu beschäftigen und
Propaganda für sich zu betreiben. Diesem Zwecke diente auch der Vortrag des
Herrn Lehrer Lilienthal hier über das Thema 'Liberales Judentum und
religiöse Erziehung'. Die Ortsgruppe, die schon über eine stattliche
Mitgliederzahl verfügt, ließ am 13. Januar von dem als eifriger Förderer des
liberalen Judentums und ausgezeichneter Redner bekannten Herrn Rabbiner Dr.
Caesar Seligmann aus Frankfurt a. M. einen Vortrag über das Thema: 'Mission
des Judentums' halten. Der Saal war dicht besetzt und alle Zuhörer lauschten
gespannt den 1 1/2-stündigen Ausführungen des Redners der nachwies, dass im
Gegensatz zu der Schulchan-aruch-Auffassung von der Erschwerung des
Proselytentums zur Zeit der griechisch-römischen Kulturepoche vom Judentum
eifrig Mission betrieben wurde bzw., dass die unter dem Namen 'Septuaginta'
bekannte Bibelübersetzung ins Griechische Tausende von Heiden, denen ihre
Götter und Götzen schon lange schal und nichtig erschienen erschienen waren,
dem Judentum zuführten, unter ihnen sogar Könige. Viele wurden, als die sogenannten
'gere zedek', Volljuden, während andere, die nur die sogenannten
sieben noachtischen (?) Gebote befolgten, als 'gere toschab' bezeichnet
worden. Das neuentstandene Christentum nahm der jüdischen Mission allmählich
den Boden weg. Jedenfalls, so betonte der Redner, besteht für uns nach wie
vor die Pflicht, unsere am Sinai empfangene Aufgabe, ein 'Reich von
Priestern' zu sein, getreulich zu erfüllen und daran mitzuarbeiten, dass in
Zukunft alle Menschen den einig-einzigen Gott verehren. Redner schloss mit
dem Zitat:
'Haschem chofez lemaan zidko iagdil tor wejadiir.'
'Gott will um seiner Anerkennung willen, dass die Lehre von seiner Einheit
verbreitet und verherrlicht werde.'
Die Ausführungen hinterließen bei den Zuhörern einen tiefen Eindruck. Ende
Februar wird Herr Erich Toeplitz, Leiter des jüdischen Museums in Frankfurt
a. M.,der Vorbereitungszeit für Pessach entsprechend einen Vortrag mit
Lichtbildern halten, und zwar über das Thema: 'Der Sedertisch und seine
Geräte, die Haggada und ihr Bilderschmuck.'"
Anmerkungen: -
R.J.F.:
https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsbund_jüdischer_Frontsoldaten
-
CV:
https://www.dhm.de/lemo/kapitel/kaiserreich/antisemitismus/centralverein.html
-
Prof. Dr. Erik Nölting: https://de.wikipedia.org/wiki/Erik_Nölting
-
Rabbiner Dr. Cäsar Seligmann:
https://frankfurter-personenlexikon.de/node/1227
https://de.wikipedia.org/wiki/Caesar_Seligmann
-
Schulchan aruch: https://de.wikipedia.org/wiki/Schulchan_Aruch
-
Proselytismus: https://de.wikipedia.org/wiki/Proselytismus
-
Septuaginta: https://de.wikipedia.org/wiki/Septuaginta
-
Sinai:
https://de.wikipedia.org/wiki/Sinai_(Berg)
-
Jüdisches Museum Frankfurt: https://www.juedischesmuseum.de/
-
Pessach: https://de.wikipedia.org/wiki/Pessach
- Sedertisch:https://de.wikipedia.org/wiki/Seder
-
Haggada: https://de.wikipedia.org/wiki/Haggada |
Damenschiur
der Agudas Jisroel mit Lehrer Hes (1926)
Erfolg
des jüdischen Handballvereins Hakoah Wiesbaden (1927)
Artikel
in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und Waldeck" vom 27.
Mai 1927: "Wiesbaden. Hakoah Wiesbaden – Wormatia Worms 10:4 (7:2). Nach den guten
Ergebnissen des Sportvereins und der Polizei hat nun auch der dritte
Wiesbadener Ligavertreter Hakoah gegen die komplette Liga der Wormatia
Worms einen eindrucksvollen
Sieg errungen. Die Wiesbadener befanden sich in einer Form, die manchem
Gegner zum Verhängnis geworden wäre. Der Sturm, von Birnbaum geführt, bot
eine Leistung, die so leicht nicht zu übertreffen war. Kombination,
Täuschungs- und Wurfvermögen sind glänzend ausgebildet, sodass Tore (auch
10) fallen mussten. Die Läuferreihe hatte einen großen Tag, besonders
auffällig war die gute Disposition des Mittelläufers Birnbaum II. Die beiden
Ersatzverteidiger besitzen sehr gute Anlagen. Der sehr gute gegnerische
Sturm machte ihnen viel zu schaffen. Die Tore warfen Gro??ant (5) und
Halberstedt (5), sämtliche Tore waren Früchte exakten Kombinationsspiels und
unhaltbar. Im Ganzen ein schönes Spiel. Die allzu siegessichere Reserve des
HSV Rödelheim erzielte ein
mäßiges 1 : 1 gegen die mit fünf Spielern Ersatz angetretene Reserve der
Hakoah. Die Frankfurter vermochten in Wiesbaden nicht sonderlich zu
imponieren, ihr Ausgleich kam reichlich spät. Bei kompletter Mannschaft wäre
das Vorspielergebnis von 4 : 1 für Hakoah nicht unwahrscheinlich gewesen. -
Hakoah 2. Jugend gegen Hakoah 1. Schüler 2 : 0 (2 : 0)." |
Vortragsabend
der Ortsgruppe der "Vereinigung für liberales Judentum" (1927)
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 23. Dezember 1927: "Wiesbaden. Die hiesige Ortsgruppe der Vereinigung für liberales Judentum
erfüllte mit der Einladung zu Referaten über 'Liberalismus und Zionismus'
ein altes Versprechen. Wie aktuell diesse Thema ist, beweisen die
Verhandlungen der letzten liberalen Rabbinerversammlung wie die die der
Frankfurter
Hauptversammlung der Vereinigung. Der erste Referent des Abends, Herr Dr. G.
Goldstein, stützte sich vor allem auf den ersten Satz der bekannten
liberalen Resolution. Wurden die Gemeindewahlen anfänglich, der im Prinzip
religiösen Aufgabe der Kultusgemeinden gemäß, zwischen Liberalen und
Orthodoxen entschieden, so ist die religiöse Einstellung der Kandidaten
heute fast Zufallssache, weil den Zionisten, die andere Gesichtspunkte in
der Gemeindeverwaltung zur Geltung bringen wollen, Centralvereinler und
Liberale als Anti-Zionisten geschlossen gegenübertreten. Die innere
Berechtigung dieser Front ist zu erweisen. Der Begriff 'Entwicklung' nach
Abraham Geiger uns anderen, das methodische Prinzip des Liberalismus,
widerspricht konvervativer, nichtzionistischer Auffassung, wohl aber die
Idee des Liberalismus selbst, der Universalismus. Das Wesen des Judentums
wir in dem erblickt, was allgemeine Menschheitsreligion sei. Wer sich zum
einig-einzigen Gott, zur unmittelbaren Gotteskindschaft, zum Messianismus
bekenne, sei Jude, nach Ansicht des Referenten ohne jede Rücksicht auf
Abstammung und Tradition. Die Judenheit solle mehr als
Schicksalsgemeinschaft sein. War der Zionismus ursprünglich der
Nationalismus des Ostjudentums, so führen heute in ihm Kulturzionisten
mannigfacher Schattierungen, eine Wandlung, die sich in der Gemeindepolitik
in Deutschland noch nicht bemerkbar gemacht hat, die aber erwarten lässt,
dass der Zionismus seinen religiös eingestellten Anhängern künftig kein
Hindernis mehr auf dem Wege zum Liberalismus sein werde. Während Herr Dr.
Goldstein mehr dem Referat des Herrn Rabbiners Dr. Vogelstein – Breslau auf
der erwähnten Tagung folgte, steht der andere Referent, Herr Stadt- und
Bezirksrabbiner Dr. P. Lazarus, den damaligen Ausführungen des Herrn
Rabbiners Dr. Wiener näher. Der den deutschen Verhältnissen eigentümliche
Gegensatz des religiösen Liberalismus zum politischen Zionismus erkläre sich
aus dem Steckenbleiben des ersteren im Nationalismus mit seinen Leistungen
(Wissenschaft des Judentums, Universalismus, Stellung der Frau) und seiner
Unfähigkeit zur Gemeindebildung. Der Liberalismus solle Tat sein, nach der
Resolution der liberalen Rabbinen, lebensnah wie die amerikanische Reform –
fordern darum soziale Verwirklichung – auch in Palästina. Gerade Erez
Jisroel, aber kann das spezifisch Jüdische, den religiösen Geist, neu
schaffen. Vom Zionismus aus betrachtet, sei der Liberalismus, abgesehen von
der Minderheit des 'Misrachi', der einzige Weg zur vollkommenen Renaissance
des Judentums, weil dieses eben doch vom Religiösen der bestimmt wird. Es
gibt keinen Gegensatz solange beide Gruppen das Reich Gottes auf Erden
verwirklichen wollen und revolutionär sind, d.h. lebendig, schöpferisch. Der
Referent wandte sich noch gegen die 'Dolchstoßlegende', dass der
Liberalismus vor 100 Jahren zum Abfall geleitet habe, wie gegen die
Klassifizierung der Liberalen als 'irrende Brüder' und schloss mit einem Midrasch. Der Vorsitzende, Herr Dr. Goldstein, dankte Herrn Dr. Lazarus für
den ästhetischen Genuss, der das Referat auch dem Gegner geboten habe. Herr
Lehrer E. Capell erinnerte nochmals daran, dass die Einseitigkeit der
'Jüdisch-liberalen Zeitung' dem Liberalismus wertvolle Kräfte entfremden. Da
keine weiteren Wortmeldungen vorlagen, schloss der Vorsitzende die gutbesuchte Versammlung mit der Parabel von den drei Ringen. Geschäftlich
wurde noch mitgeteilt, dass es gelungen sei, im Generalsekretär des Vereins,
Herrn George Goetz, einen hervorragenden Redner für einen Vortrag zu
gewinnen. Ferne hat sich Herr Rabbiner Dr. Dienemann –
Offenbach
bereiterklärt, sein Frankfurter Hauptreferat ,'Judentum und Gesellschaft',
hier zu wiederholen."
Anmerkungen: -
Centralvereinler:
https://de.wikipedia.org/wiki/Central-Verein_deutscher_Staatsbürger_jüdischen_Glaubens
Abraham Geiger:
https://de.wikipedia.org/wiki/Abraham_Geiger
Rabbiner Dr. Vogelstein:
https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Vogelstein
Rabbiner Dr. P. Lazarus:
https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Lazarus_(Rabbiner)
Erez Jisroel: https://de.wikipedia.org/wiki/Eretz_Israel
Misrachi: https://de.wikipedia.org/wiki/Misrachi
Dolchstoßlegende: https://de.wikipedia.org/wiki/Dolchstoßlegende
Midrasch:
https://de.wikipedia.org/wiki/Midrasch
Lehrer E. Capell; Lehrer Capell: Edmund Isaak Capell
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Edmund_Capell,_Kaiser-Friedrich-Ring_34_(Wiesbaden).jpg
https://www.wiesbaden.de/microsite/stadtlexikon/a-z/capell-familie.php |
Über den jüdischen Sportklub Hakoah Wiesbaden
(1928)
Artikel im "Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde Frankfurt"
vom Januar 1928: "Sportklub Hakoah Wiesbaden
In Wiesbaden wurde vor zirka einem Jahre der Sportklub Hakoah Wiesbaden
gegründet, der zurzeit über 500 Mitglieder zählt. Der Verein hat es sich zur
Aufgabe gemacht, jüdische Sportleute, die in bürgerlichen Vereinen dem
Judentum entfremdet werden, in seine Reihen zu bringen. Der Vorstand, dem
als Vorsitzender Herr Rückersberg angehört, hält die Mitglieder strengstens
an, nichts zu tun, was gegen die heiligen Gesetze verstößt.
Im letzten Jahre konnte der Sportklub Hakoah die A-Meisterschaft im Handball
erringen und kämpft heute in der Liga des
Frankfurter
Landesverbandes. Am 8. Januar spielt Hakoah in
Frankfurt a. M. - Rödelheim an der
Wetterbach-Straße um 3 Uhr, sodass unseren Gemeindemitgliedern hierdurch
gute Gelegenheit gegeben wird, dem Spiel beizuwohnen. Wir hoffen, dass
niemand verfehlen wird, dort zu erscheinen, um der jüdischen Mannschaft
einen Rückhalt im Spiel zu geben."
Anmerkung:
Hakoah: https://de.wikipedia.org/wiki/Hakoah
" |
Bezirksrabbiner
Dr. Lazarus referiert über Martin Luther (1928)
Artikel in der "Jüdisch-liberalen Zeitung" vom
9. März 1928: "Wiesbaden (Aus dem Gemeindeleben). Zum
Abschluss des Zyklus 'Religionsstifter, ihr Leben und ihre Bedeutung für
die Gegenwart' sprach Bezirksrabbiner Dr. Lazarus vor ca. 400 Hörern,
Juden und Christen, über 'Luther'. Ausgehend von einer
kulturgeschichtlichen Skizze des 16. Jahrhunderts, dem Zeitalter der
Erfindungen und Entdeckungen, streifte Redner zu Beginn nur kurz Luthers
Stellung zu den Juden, die nach einer Periode der Gleichgültigkeit dazu
übergeht, die Juden für das neue Evangelium zu gewinnen; als der
erwartete Erfolg nicht eintritt, ändert Luther seine Haltung zu den
Juden, die nunmehr eine gehässige und überaus feindselige wird. (S.
Reinhold Lewin 'Luthers Stellung zu den Juden', Berlin 1911). Der
Vortragende geht dann über zu seiner eigentlichen Aufgabe, Luthers
Stellung innerhalb der christlichen Kirche darzustellen, das Nee an ihm
darzutun und seine Haltung im Gesamtbild der modernen Kultus zu bewerten,
um abschließend dann demgegenüber: die Anschauung des Judentums zu
betonen. Die deutsche Reformation war nichts weniger als eine einheitliche
Bewegung; sie war die Resultante aus vier Komponenten: der reiigiösen,
der nationalen, der wirtschaftlichen und der wissenschaftlichen. Das
Gemeinsame, das alle diese so verschiedenartigen Richtungen zu einer
Einheit verknüpfte, war die Berufung auf die Bibel. Als eine durch und
durch mittelalterliche Erscheinung, als tyischer Übergangsmensch an der
Wende einer neuen Zeit, stellt Luther den letzten großen Mönch dar, den
Europa gesehen hat. Das Neue an ihm war nach Ansicht des Redners:
Rückkehr zur Bibel als der einzigen Autorität gegenüber der Auslegung
durch die katholische Kirche, Wiedererweckung des Gedankens des
allgemeinen Priestertums, Hineinschiebung des Gewissens als der
entscheidenden Macht gegenüber der Entscheidung durch den Priester. Diese
Elemente stellen eine nachträgliche Rechtfertigung des jüdischen Standpunktes
dar.
Innerhalb der christlichen Kirche selber betont er die Paulinische
Anschauung der Glaubensreligion im Gegensatz zur Sakramentsreligion. Abkehr
von der Wertschätzung der guten Werke. Anzuerkennen ist, dass L. die
Freiheit der Forschung aufgestellt hat, das Gewissensmoment, die persönliche
Verantwortung des Einzelnen stärker betont und das Recht des Individuums in
den Vordergrund geschoben hat. Andere Ergebnisse aber haben ungünstig die
Folgezeit beeinflusst, dadurch, dass Luther die Lebensbezirke
verselbständigt, dass er die katholische Haltung vom Primat des Religiösen
im ganzen Leben zerstört und ferner bewusst in das Denken der Menschen die
Staatsautorität als eine religiöse Einrichtung eingeführt hat. L. ist der
Vater der Staatsvergottung. Heute sieht man selbst in protestantischen
Kreisen eine gewisse Abkehr von diesen Gedankengängen und Hinwendung zum
allgemein jüdischen Standpunkt: Hinneigung zum Primat des Religiösen als dem
Umspannenden aller Lebensbezirke, und ebenso macht sich ein Protest gegen
die Staatsvergottung geltend. Nachdem Redner die Bedeutung von Luthers
Bibelübersetzung eingehend geschildert, sucht er den jüdischen Standpunkt
klar auszuführen, der dahin geht, Einheit von Leben und Religion zu
erzielen. Dazu ist notwendig, das Vertrauen des Menschen auf die eigene
Kraft. Das Judentum kennt kein Sakrament, das ihm Gnade, keine Anstalt, die
ihm Sünde vergibt – Gott allein offenbart ihm die sittliche Welt; er gab ihm
auch die Kraft, aus sich selbst heraus die sittliche Welt Gottes auf Erden
zu verwirklichen. - Die vor 5 Jahren vom Bezirksrabbiner Dr. Lazarus
gegründete Chewrah der Israelitischen Kultusgemeinde beging zum ersten Mal
im Gegensatz zu früheren Jahren auf Anregung des Herrn Oberkantor Nußbaum am
7. Adar, dem Todestag Moses’, ihr Stiftungsfest, dass in einem Gottesdienst,
Besuch des Friedhofs und einem Chewrah-Essen unter Beteiligung von über 100
Personen aus allen Kreisen der Gemeinde bestand. Außer der Begrüßungsrede
des überaus verdienstvollen Vorsitzenden der Chewrah, Herrn Arthur Ganz,
hielten der Gemeinderabbiner Dr. Lazarus und der Vorsitzende der
Israelitischen Kultusgemeinde, Justizrat Markheimer, kurze Ansprachen, in
denen sie auf die Bedeutung der Chewrah hinwiesen. Um das Gelingen des
Festes hatten sich neben den beiden Lehrern Nußbaum und Capell besonders
verdient gemacht die Herren Rothschild und Singer."
Anmerkungen: -
Rabbiner Dr. Lazarus:
https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Lazarus_(Rabbiner)
Chewrah: https://de.wikipedia.org/wiki/Chewra_Kadischa
Zu Oberkantor Nussbaums Familie:
https://moebus-flick.de/die-judenhaeuser-wiesbadens/emma-august-und-das-ehepaar-nussbaum/
Adar:https://de.wikipedia.org/wiki/Adar_(Monat)
Justizrat Markheimer:
https://www.wiesbaden.de/microsite/stadtlexikon/a-z/marxheimer-moritz.php
Adelheidstraße 46
Lehrer Capell: Edmund Capell
https://www.wiesbaden.de/microsite/stadtlexikon/a-z/capell-familie.php
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Stiftungsfest
der Chewra Kadischa (1928)
Bericht
aus dem jüdischen Gemeindeleben - Vorträge des Jüdischen Lehrhauses und
weitere Veranstaltungen (1928)
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 19. Oktober 1928: "Wiesbaden (Aus dem Gemeindeleben). Das Jüdische Lehrhaus hier, das den
Mittelpunkt des jüdischen geistigen Lebens der Gemeinde darstellt, wird in
diesem Winter ein Zyklus von Vorträgen veranstalten, über das Thema: 'Der
Beitrag des Judentums zur Kultur der Gegenwart'. Ausgehend von der heutigen
Kulturkrise soll in diesem Zyklus gezeigt werden, dass das Judentum als eine
der großen Weltreligionen zu allen Problemen der Gegenwart Stellung nehmen
muss. Folgende Vorträge sind angesetzt: 'Die Krise unserer modernen Kultur'
(Rabb, Dr. Italiener – Hamburg); 'Saat, Welt und Bürger (Rabb. Dr. Dienemann
-Offenbach Die Synagoge in Offenbach am Main (Hessen); 'Mensch und Recht' (Rabb.
Dr. Eschelbacher – Düsseldorf); 'Arbeit und Wirtschaft' (Rabb. Dr. Dienemann
– Offenbach); 'Das moderne Sexualproblem' (Rabb. Dr. Lazarus – Wiesbaden).
Zur Vertiefung des behandelten Stoffes werden Arbeitsgemeinschaften
gebildet, die in kleinem Kreise Gelegenheit geben sollen, durch Frage und
Antwort sich eingehend mit der Materie zu beschäftigen. Ein Vortragsabend
über das Thema: 'Schöpferische Mitarbeit der Juden in der zeitgenössischen
Musik' unter Leitung des Herrn Lehrer Lilienthal -Wiesbaden wird die
Winterarbeit des Lehrhauses beschließen. - Am 14. des Monats fand hier die
Tagung des Hessischen Landesverbandes jüdischer Jugendvereine statt. Im
Mittelpunkt standen zwei Referate Dr. Karger – Breslau: 'Die Arbeit der
Jugend an der Neugestaltung der jüdischen Gesellschaft' und Dr. Lazarus –
Wiesbaden. 'Jüdische Jugend – ihr Sinn und ihr Schicksal'. - In der letzten
Sitzung des Gemeindeparlaments referierte der Vorsitzende über einen von ihm
skizzierten Entwurf für das neue Wahlreglement, das infolge des Beschlusses
des Vorstandes vom 20. Juni dieses Jahres über die Einführung des
Frauenwahlrechts und des Verhältniswahlrechts nötig geworden ist. Nach
längerer Diskussion wurde der Entwurf einer aus dem Vorsitzenden, Dr.
Goldstein und Dr. Kahn, bestehenden Kommission bestehenden Kommission zur
Beratung und zur Berichterstattung in der nächsten Sitzung überwiesen. - Der Rendant, Herr Arthur Straus, berichtete über die Finanzlage der Gemeinde,
über die Steuereingänge und das Steueraufkommen der Gemeindemitglieder für
das laufende Jahr. Die Steuerkraft hat sich keineswegs gehoben, wie man am
Anfange des Jahres erwartet hatte; es ist im Gegenteil mit erheblichem
Ausfall zu rechnen. Eine Reihe wichtiger Aufgaben muss deshalb
zurückgestellt werden, und es ist nur infolge angepasster Sparsamkeit
möglich, von einer Erhöhung der Steuerquote wurde dann auch wie im Vorjahre
einstimmig auf 17 Prozent der Staatssteuer festgesetzt. Zur Erörterung
gelangte alsdann eine Reihe von Mängeln des Gottesdienstes an den
Hauptfeiertagen."
Anmerkungen: -
Rabb. Dr. Italiener: https://de.wikipedia.org/wiki/Bruno_Italiener
https://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/italiener-bruno
Rabb. Dr. Dienemann: https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Dienemann
vgl.
Artikel von 1940
Rabb. Dr. Eschelbacher:
https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Eschelbacher
Rabb. Dr. Lazarus:
https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Lazarus_(Rabbiner)
Arthur Straus:
https://moebus-flick.de/die-judenhaeuser-wiesbadens/bahnhofstr-25/arthur-straus-und-seine-frau-anna-geborene-waller/ |
Über
die Chanukka-Feier der "Vereinigung jüdischer Frauen" (1930, Artikel
vom Januar 1931)
Veranstaltung
der Ortsgruppe der Vereinigung für das liberale Judentum (1931)
Artikel in der "Jüdisch-liberalen Zeitung" vom 28.
Januar 1931: "Wiesbaden. (Ortsgruppe der Vereinigung für das liberale Judentum). Am
Mittwoch, dem 14. Januar des Jahres sprach im Kreise der Ortsgruppe Herr
Oberkantor Nußbaum
über das Thema: 'Der Gemeindegesang'. Der Redner gab zunächst einen
historischen Überblick über Entstehung und Entwicklung des Gemeindegesanges
in den Gotteshäusern überhaupt und in den jüdischen speziell. Um dem
Tohuwabohu Einhalt zu bieten, schuf Salomon Sulzer den vierstimmigen
Chorgesang; er ging aber zu weit, indem er der Gemeinde jede intonierende
Äußerung wegnahm. Der goldene Mittelweg ist einzuschlagen. Die Gemeinde muss
beschäftigt werden, soll sie nicht den Gottesdienst stören. Die
Gemeindegesänge müssen sich durch Einfachheit, leichte Fasslichkeit, scharfe
Rhythmik, Volkstümlichkeit und Begrenzung im Stimmumfang auszeichnen. Einer
der besten Gemeindegesangskomponisten ist Professor Kirschner – München. Die
wichtigste Frage ist naturgemäß die Einführung des Gemeindegesanges. Zu
diesem Zwecke ist die Zusammenstellung der Gemeindegesänge in einem
besonderen Gesangbuch erforderlich. Ein solches wird von der 'Liberalen
Kommission des Preußischen Landesverbandes Jüdischer Gemeinden' bereits
vorbereitet. Die Einheitlichkeit der Texte kann nur durch die Einführung des
'Einheitgebetbuches' erzielt werden. In den Gemeindegesang hinein kann am
besten die Jugend führen; darum ist es unbedingt erforderlich, dass der 'liturgische Gesang' einen integrierenden Unterrichtsgegenstand in allen
jüdischen Religionsschulen bildet, wie dies in unserer Gemeinde bereits seit
zwei Jahrzehnten der Fall ist. - In der lebhaften Diskussion, an der sich
vor allem die Herren Dir. Dr. Goldstein, Rabb. Dr. Lazarus und Lehrer Capell
beteiligten, wurden besonders nochmals die Fragen des Einheitgebetbuches,
der Ästhetik im Gottesdienst und des Jugendgottesdienstes besprochen."
Anmerkungen: -
Oberkantor Nußbaum:
https://moebus-flick.de/die-judenhaeuser-wiesbadens/emma-august-und-das-ehepaar-nussbaum/
http://www.gaechter.cc/uploads/media/Didaktikmappe_Kantoren.pdf
-
Tohuwabohu: https://de.wikipedia.org/wiki/Tohuwabohu
-
Salomon Sulzer: https://de.wikipedia.org/wiki/Salomon_Sulzer
https://www.jm-hohenems.at/juedisches-viertel/biografien/salomon-sulzer
-
Prof. Kirschner: http://de.pluspedia.org/wiki/Emanuel_Kirschner
-
Rabb. Dr. Lazarus:
https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Lazarus_(Rabbiner)
-
Lehrer Capell: Edmund Capell
https://www.wiesbaden.de/microsite/stadtlexikon/a-z/capell-familie.php
|
Bericht
aus dem jüdischen Gemeindeleben - Vorträge des Jüdischen Lehrhauses (1931)
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 9. Oktober 1931: "Wiesbaden. (Aus der Gemeinde) Das jüdische Lehrhaus nimmt Ende des Monats
seine Tätigkeit wieder auf. Nach einem einleitenden Vortrag des Herrn
Rabbiner Dr. Lazarus über 'Das Bildungsproblem des modernen Juden' wird in
einem Vortragszyklus 'Die Stellung der Konfessionen zu den sozialen und
politischen Problemen unserer Zeit' von hervorragenden Führern des
Protestantismus, des Katholizismus und des Judentums behandelt. Es sprechen
die Herren Universitätsprofessor Dr. Tillich (Frankfurt a. M.) über 'Religiöser Sozialimsus und protestantische Kirche', Dr. Scharp,
Chefredakteur der 'Rhein-Mainischen Volkszeitung' (Frankfurt a. M.) über 'Der deutsche Katholizimus und die politische Welt', Rabbiner Dr. Dienemann
(Offenbach) über
'Juden und Judentum im Wandel der Politik'. Freie Ausspracheabende über das
Thema 'Sinn des Lebens und des Leides – das Schicksalsproblem nach jüdischer Auffassung' mit einleitenden Referaten des Herrn Rabbiners Dr. Lazarus
beschließen das diesjährige Winterprogramm."
Anmerkungen: -
Prof. Dr. Tillich: https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Tillich
-
Rabbiner Dr. Dienemann:
https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Dienemann
-
Rabbiner Dr. Lazarus:
https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Lazarus_(Rabbiner)
|
Abschlussprüfung
in den Jugendgruppen der Agudas Jisroel (1935)
Anmerkung: Pirchim-Gruppen werden auch Pirche Agudas Jisroel (bzw. Esra
Pirche Audath Jisroel u.ä.) genannt, ein Teil der Jugendorganisation der Agudas
Jisroel. Vgl. Wikipedia-Artikel
Jüdische Jugendbewegung.
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 16. Mai 1935: "Wiesbaden, 6. Mai. In Wiesbaden ist es üblich, dass am Ende eines Jahres,
das zeitlich mit dem Schuljahr zusammenfällt, eine Abschlussprüfung in den Pirchim-Gruppen stattfindet, zum Zwecke der Prüfung der Kenntnisse der
Kinder. So fand auch dieses Jahr am 28.4. eine solche Prüfung statt. Schon
vor der festgesetzen Zeit sah man Kinder sich vor der Türe drängen, die es
nicht erwarten konnten, ihre Kenntnisse unter Beweis zu stellen. Nach
einigen einleitenden Chören kam die mit Herzklopfen erwartete Verlesung der
Namen mit der Nennung der Preise. Das Ergebnis war durchaus befriedigend,
sowohl für die Führerschaft als auch für die Geführten. Mit besonderen
Leistungen warteten auf: Malwine Dachs, Rosel Förster, Ruth Sulzberger und
Moritz Offen. Ebenfalls ausgezeichnete Ergebnisse erzielten Miriam
Ehrenreich, L. Tiefenbrunner, B. Erteschik, J. Ansbacher, O. Tiefenbrunner,
Harry Spett und Heinz Keh. Eine kurze Ansprach von 'Jonti' bildete den
Beschluss. Zugleich nahmen die Kinder von eiem bisherigen Führer, der zur
Jeschiwa ging, Abschied. Die letzten Worte dieses Bachurs, E. Rottenberg,
gingen denn auch daraufhin, weiterzuarbeiten und die Arbeit der Esra Pirche,
Agudas Jisroel, nicht zu vernachlässigen. Damit nahm die harmonisch
verlaufene Feier ihren Abschluss."
Anmerkungen: -
Moritz Offen: https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de1610443
-
B. Ersteschik: Womöglich Bernhard Erteschik:
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de861112
- L. Tiefenbrunner: Womöglich:
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de981988
-
O. Tiefenbrunner: Womöglich:
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de1199400
-
Jeschiwa: https://de.wikipedia.org/wiki/Jeschiwa
-
Bachur: (Hebräisch) junger Mann
-
Agudas Jisroel:
https://de.wikipedia.org/wiki/Agudath_Israel_Weltorganisation
|
Generalversammlung
des Verbandes polnischer Staatsangehöriger (1936)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 22. Oktober 1936: "Wiesbaden, 15. Okt. In der Generalversammlung des Verbands polnischer
Staatsangehöriger wurde folgender Vorstand gewählt: M. Eckstein,
Vorsitzender, Viktor Goldmann, Schriftführer, Jakob Millmann, Kassierer, M.
Neumann, Rechtsfragen, Ch. Cyowitz, Kulturfragen, N. Hofstedter und W. Salz,
Soziales. - Die erste Aktion war eine Rosch-Haschono-Sammlung, welche mit
gutem Erfolg durchgeführt wurde. Der Vorstand hat es sich zur Aufgabe
gestellt, kulturelle und gesellschaftliche Arbeit besonders zu pflegen. Am
10. Oktober veranstaltete er eine Simchas-Torafeier, welche einen starken
Besuch aus unserer Stadt, sowie unserer Freunde aus der Nachbarstadt
Mainz aufzuweisen hatte. Zum
Gelingen des Abends trugen durch ihre Mitwirkung besonders bei: Herr
Rabbiner Dr. Ansbacher durch seine Ansprache, ferner als mitwirkende
Künstler: Herr Steinbrecher, Herr und Frau Dolginever, sowie die Frl.
Rottenberg, Dachs, Ehrenreich, Ebbe und Herr Tiefenbrunner. Der finanzielle
und ideelle Erfolg war zufriedenstellend."
Anmerkungen: -
Rosch Haschono: https://de.wikipedia.org/wiki/Rosch_ha-Schana
-
Simchas Tora: https://de.wikipedia.org/wiki/Simchat_Tora
-
Rabbiner Dr. Ansbacher: Rabbiner Dr. Jonas Ansbacher
-
Herr Steinbrecher: Womöglich
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de974513
-
Fräulein Rottenberg: Womöglich
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de954842
-
Fräulein Ehrenreich: Womöglich
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de859957
oder
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de859960
-
Fräulein Ebbe: Womöglich
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de30615
|
|
Hinweis: im Frühjahr 1936 fand in
Wiesbaden bereits eine Tagung
der Ortsgruppen Südwestdeutschlands der Polnischen Staatsbürger
statt: |
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 18. Juni 1936: "Wiesbaden, 16. Juni. Die Ortsgruppen Südwestdeutschland der Polnischen
Staatsbürger hält am Sonntag, den 21. Juni, vormittags pünktlich 10 Uhr, in
Wiesbaden, Gemeindesaal Michelsberg 28. ihre erste Tagung ab. Das Programm
enthält nach der Eröffnung durch den Vorsitzenden, Herrn M. Eckstein
Begrüßungen und die Wahl des Präsidiums, Referate der Herren Dr. Meithis,
Berlin, N. Fuchs, Oberhausen a. Rh.; Entgegennahme von Berichten der
Ortsgruppen, Generaldebatte und Wahl eines Präsidiums für den
Südwestdeutschen Verband." |
Anzeige
für eine Kundgebung des Keren Hajessod in der Synagoge in Wiesbaden (sowie in
Hannover und Mannheim, 1936)
Anzeige in der "Jüdischen Nationalzeitung" vom 8. Mai
1936:
"Jubiläums-Kundgebungen des Keren Hajessod
HANNOVER
Sonnabend, den 9. Mai 1936, 21.15 Uhr in der Großen Synagoge, Bergstraße
DR. FRIEDRICH BRÜDNITZ, Berlin
DR. HANS FRIEDENTHAL, Berliner
Palästina im Rahmen der Weltpolitik
Die jüdische Antwort auf die Ereignisse in Erez Israel
Ortskomitee der Jewish Agency
i.A.: Dr. Walter Dux, Karl Schleisner
MANNHEIM
Sonntag, den 10. Mai 1936, 20.30 Uhr in der Hauptsynagoge
Rabb. Dr. Grünewald, Begrüßung
DR. MICHAEL TRAUB, Berlin
Auf der Suche nach Lebensraum
Jüdische Not in Osteuropa/Soziale und geographische
Wanderfahrten/Dreieinhalb Millionen Juden verlassen Europa/Wohin?/Uganda und
Palästina/Judenproblem in Deutschland/Hilfe und Aufbau/Können wir
auswandern?/Entdeckungsfahrten/Krise in Palästina?/Unsere Realpolitik
Synagogenrat Mannheim
Ortskomitee der Jewish Agency
Zionistische Ortsgruppe
Wiesbaden.
Mittwoch, den 13. Mai 1936, 20.30 Uhr.
Dr. Marxheimer - Rabbiner Dr. Lazarus
Begrüßungen.
Dr. Michael Traub, Berlin:
Das jüdisch-arabische Problem und die
englische Mandatspolitik.
Israelitische Kultusgemeinde Wiesbaden."
Anmerkungen: -
Große Synagoge:
https://de.wikipedia.org/wiki/Neue_Synagoge_(Hannover) )
-
Dr. Hans Friedenthal:
https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Wilhelm_Carl_Friedenthal
-
Erez Israel: https://de.wikipedia.org/wiki/Eretz_Israel
-
Jewish Agency:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jewish_Agency_for_Israel
-
Dr. Walter Dux: https://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Dux
-
Mannheim, Hauptsynagoge:
https://de.wikipedia.org/wiki/Hauptsynagoge_(Mannheim)
-
Rabbiner Dr. Grünewald:
https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Grünewald
-
Rabbiner Dr. Lazarus:
https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Lazarus_(Rabbiner)
|
Bericht
über eine Vortrag von Dr. Ludwig Feuchtwanger im Jüdischen Lehrhaus
(1936)
Artikel
in der "Jüdischen Nationalzeitung" vom 5. Mai 1935: "Wiesbaden.
Im Jüdischen Lehrhaus hielt den Schlussvortrag 'Die Schicksalsstunde
der jüdischen Religion' Dr. Ludwig Feuchtwanger. Er ging von den
trennenden Prinzipien des gesetzestreuen Judentums sowie des religiösen
Liberalismus aus und besprach die verschiedenen Bestrebungen des
religiösen Zionismus. Den größten Nachdruck legte er auf den Gestalt-
und Bedeutungswandel des traditionsgebundenen Judentums. Nach der
Emanzipation suchte man Weltaufgeschlossenheit mit Thoratreue vereinbar zu
machen. Dieser Versuch scheiterte; die gesetzesfreie und die gesetzestreue
Richtung näherten sich infolgedessen unbewusst und ohne es selbst zu
wollen einander von innen heraus. Der Hauptteil des Vortrages enthielt den
Versuch, die jüdisch-religiösen Richtungen mit der europäischen
Rangordnung der Werte zu vergleichen." |
Sonstiges
Sitzung des "Synagogenrates", eines Gremiums der drei Rabbinatsbezirke
des früheren Herzogtums Nassau
(1890)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 1. August
1890: "Wiesbaden, 27. Juli. Auf den 24. des Monats war der Synagogenrat durch den
Königlichen Regierungspräsidenten Freiherrn von Wurmb hierselbst zu der
alljährlich stattfindenden ordentlichen Sitzung berufen worden. Dieses
Kollegium, eine Schöpfung der preußischen Regierung aus dem Jahre 1871,
welche hierdurch vielfach hervorgetretenen Wünschen nach einer Vertretung
der israelitischen Kultusgemeinden des ehemaligen Herzogtums Nassau
entsprach, besteht aus einem Regierungskommissar, der den Vorsitz führt (zur
Zeit Herr Regierungsrat Cäsar), dem Bezirksrabbiner Dr. Silberstein –
Wiesbaden und dem ersten Vorsteher der israelitischen Kultusgemeinde
Wiesbaden (Simon Heß), sowie je einem gewählten Vertreter der drei
Rabbinatsbezirke, in die Kultusgemeinden des früheren Herzogtums Nassau
geteilt sind (zur Zeit Kirchberger – Weilburg
für den Rabbinatsbezirk Weilburg, Meyer
- Dietz für den Bezirk Ems
und Strauß – Höchst
für den Rabbinatsbezirk Wiesbaden). Als Schriftführer fungierte
Regierungssekretär a. D. Driesch. Nachdem die Rechnung des vorigen Jahres
1889/90 geprüft und richtig befunden, auch einem neu aufgezogenen
Bezirksrabbiner aus den Mitteln des Zentralkultusfonds eine Entschädigung
für Umzugskosten gewährt war, beauftragte der Vorsitzende namens der
Regierung die Erhöhung der Gehälter der Bezirksrabbiner, die er einerseits
durch den gesunkenen Geldwert und die damit verbundene Verteuerung der
Lebensbedürfnisse, andererseits durch den Hinweis auf die häufigen Vakanzen
der Bezirksrabbinate begründet. Es liege aber nicht nur im Interesse der
Gemeinden, sondern an der Regierung, dass die Bezirksrabbiner lange auf
ihren Stellen bleiben, um so größere Vertrautheit mit den Gemeinden und
insbesondere mit den Schulen zu erlangen. Hier bedürfe es aber einer
angemessenen Dotierung der Stellen. - Die Gehälter erfuhren denn auch eine,
freilich bescheidene Erhöhung, die aber doch eine Erhöhung der Umlage – von
vier auf fünf Prozent der Staatssteuer – erforderlich macht. Der Beitrag der
größten Gemeinde des Bezirks, auf die die Hälfte der Umlage für den
Zentralkultusfonds fällt, erhöht sich hierdurch etwa von 2.000 Mark auf ca.
2.600 Mark. Der Jahresbedarf des Zentralkulturfonds beziffert sich auf 5.200
Mark."
Anmerkungen: -
Freiherr von Wurmb: https://de.wikipedia.org/wiki/Lothar_von_Wurmb
https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/rsrec/sn/bio/register/person/entry/wurmb%252C%2Bguenther%2Bkarl%2Blothar%252A%2Bvon
-
Rabbiner Dr. Silberstein:
https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Silberstein |
Karte
aus Wiesbaden - Gruß aus dem Ratskeller (1906)
Quelle: aus der Sammlung
von
Peter Karl Müller, Kirchheim / Ries |
|
|
Die Karte mit dem Gruß aus dem Ratskeller
Wiesbaden ist das Zeugnis einer Einladung zu einem die Religionsgrenzen
überwindenden gemeinsamen Umtrunk im "Ratskeller zu Wiesbaden"
mit dem Text: "Ob Heide, Jud oder Christ. Herein was durstig
ist". Die Karte wurde am 13. April 1904 von Wiesbaden nach Hamburg
St. Pauli an den Bildhauer A. Schienemanns geschrieben. Die Zeichnung
stammt vom Wiesbadener Maler Kaspar Kögler, der den Ratskeller in
Wiesbaden mit launigen Gemälden versehen hat. In der NS-Zeit wurde die
Malereien - obwohl unter Denkmalschutz stehend - übertüncht
(Informationen aus dem Wikipedia-Artikel
"Neues Rathaus (Wiesbaden)" |
Bericht
eines Kurgastes aus Wiesbaden (1925)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 10. September 1925: "Kleines Feuilleton. Wiesbadener Brief
Wer seit einigen Jahrzehnten Gelegenheit nahm, Sommers oder Winters einige
Zeit in dem herrlich gelegenen Wiesbaden zuzubringen, der konnte erleben,
dass mit der Erholung und Auffrischung des Körpers nicht immer eine
Abstumpfung des Geistes Hand in Hand gehen müsse; dass man sich nur dort
erholen könne, wo man von Schabbat zu Schabbat kein Minjon habe, wo man
aller geistigen Anregung durch Schiurim (Lehrstunden) und dergleichen ledig sei,
dass vielmehr nach der zwiefachen Natur des Menschen auch die neschamah
(Seele)
ihrem Recht kommen müsse, wenn die körperliche Erholung gelingen soll. So
war denn vor 55 Jahren unter den Auspizien des großen Rabbiners Hirsch - das
Andenken an den Gerechten ist zum Segen – von dem ehrwürdigen Rabbiner Dr.
Kahn - sein Licht leuchte – mit einigen begeisterten Gesinnungsgenossen
gegründete kehilah ein Sammelpunkt, die die gottbegnadeten landschaftlichen
Schönheiten, verbunden mit heilkräftigen Wirkungen innerhalb eines echt
jüdischen Milieus auf einige Zeit der Muße – wer es sich leisten konnte, das
ganze Jahr -, genießen wollten.
Wesentlich zurück ging dies mit dem alles durcheinander wühlenden unseligen
Krieg, der besonders die Zufuhr vom Osten abschnitt, und ein böses
Verhängnis wollte es, dass der Ort mit mit Kriegsende in das 'besetzte
Gebiet' fiel, eine Bezeichnung, die für viele – teils mit Unrecht – einen so
schreckhaften Beigeschmack hat – für manche bedeutet es bald so viel als
Kriegsschauplatz, besonders für die, welche so glücklich waren, letzteren
nicht gesehen zu haben.
Wir vermuten sogar, dass diese mehr oder weniger suggerierte Furcht bei
unseren Glaubensgenossen besonders stark besteht - Gottlob ist sie von
unseren Gegnern, den Anstiftern der berühmten Judenzählung noch nicht
entdeckt worden – denn sonst wäre es unerklärlich, dass bei der
wöchentlichen um 2.000 – 4.000 Fremdenzahl – bis heute seit Januar ca.
80.000 – in unseren Kreisen immer noch die Anschauung oft gehört wird, als
wäre das besetzte Gebiet als Kurort für uns fast indiskutabel. Es möchte uns
fast scheinen, und von mancher eingeweihten Seite wird es uns bestätigt,
dass es hauptsächlich die Konkurrenz im unbesetzten Gebiet ist, die beim
Publikum die Angst vor unserem Gegner nährt. Es ist nachgewiesen, dass seit
Jahren niemand von der Besatzung irgendwie belästigt wurde. Und wenn man in
manchen Gegenden unseres Reiches – besonders im Süden – über Rischus zu
klagen hatte, so ist es hier an unserem Platze eher besser als schlimmer im
Verhältnis zu anderen Orten. Bleibt nur die eine Schwierigkeit mit dem Paß
1) loorchim (für die Gäste), an das so mancher etwa im allsabbatlichen
mi scheberach denkt,
die auch heute bis zu einem Personalausweis erleichtert, und sofern dieser
in Ordnung, gar keinen Grund zur Nervosität bietet, empfehlen ja schon
unsere Chachomim seligen Andenkens – pat besalo 2) zu haben. Es scheint
überhaupt keine Besatzung, die frelich keine angenehme Beigabe ist, von
außen her in den schwärzesten Farben gemalt worden zu sein und die hier und
da auftauchenden sind wahrlich
1) wörtlich Brot, bekannte Stelle in mi scheberach des Schabbos (Sabbat)
2) ursprünglich Brot in der Tasche, das schon teilweise den Hunger stillt.
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nicht imstande, den herrlich gelegenen Kurort mit seiner romantischen
Schönheit zu beeinträchtigen. Ein besonderer Vorzug Wiesbadens ist es, dass
die Saison durch das warme Klima länger als irgendwo, und wenn die Witterung
anderswo stark 'klichezt', kann man immer noch hier einen schönen
Strohsommer mitmachen, selbst der Herbstwind scheint durch den rosch
haschana - Schaufor (Schofar) hier nicht so stark zu blasen, und wer selbst in der
bedauernswerten Lage ist, wegen seines Leidens, 'auf Dreien' gehen zu
müssen, kann den dritten R'GL 3) nirgends angenehmer verbringen als
hier, umso mehr als ja für geistige Anregung reichlich gesorgt ist. Lernen
kann man vor und nach dem Kochbrunnen, aus dem a sch r ch morgens und abends
nach Schul, an größeren Schiurim fehlt es auch nicht unter allerhand und
ohne Flaggen: Agudoh – neutral und – selbst Misrachi. Am sch b/w/v ch kann
man sich an Droschaus und Schiurim aus dem Munde des alten und jungen Raw
erbauen – und die sich morgens – wie überall – langsam füllende Schul zeigt
wohl, dass sie sich auch im besetzten Gebiet sehr ruhig schlafen lässt, und
wenn wir auch nirgends noch den vollen Schalom baArez (Frieden im
Lande) haben, hebräisch und deutsch: 'Ihr werdet
ruhen, ohne, dass Euch jemand stört', 3. Buch Mose 26, 6) ist eine Brochoh,
die wir auch hier - G'tt sei Dank - genießen. Also nicht große Angst vor der
besetzten Zone, wer seiner Gesundheit oder Überanstrengung zuliebe das
einzigartige Taunusbad aufsuchen will, lasse sich nicht von Ängstlichen und
Angstmachern abschrecken und verhelfe ihm wieder zu seinem alten,
wohlverdienten Ruf; er wird körperlich und seelisch gestärkt wieder
heimkehren."
3) Sukkausfest
Anmerkungen: -
Minjon: https://de.wikipedia.org/wiki/Minjan
Kehilah: https://de.wikipedia.org/wiki/Kehillah
-
Rischus: Risches (Jiddisch für 'Antisemitimus'
https://dewiki.de/Lexikon/Liste_deutscher_W%C3%B6rter_aus_dem_Hebräischen_und_Jiddischen)
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Elul: https://de.wikipedia.org/wiki/Elul
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Rosch Haschana:https://de.wikipedia.org/wiki/Rosch_ha-Schana
-
Schiurim: Plural von Schiur https://de.wikipedia.org/wiki/Schi'ur
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Kochbrunnen: https://de.wikipedia.org/wiki/Kochbrunnen
https://www.wiesbaden.de/tourismus/sehenswertes/virtuellerundgaenge/panorama/kochbrunnen.php
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Misrachi: .https://de.wikipedia.org/wiki/Misrachi
-
Brochoh: https://de.wikipedia.org/wiki/Bracha |
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