Eingangsseite
Aktuelle Informationen
Jahrestagungen von Alemannia Judaica
Die Mitglieder der
Arbeitsgemeinschaft
Jüdische Friedhöfe
(Frühere und bestehende) Synagogen
Übersicht: Jüdische Kulturdenkmale
in der Region
Bestehende jüdische Gemeinden
in der Region
Jüdische Museen
FORSCHUNGS-
PROJEKTE
Literatur und Presseartikel
Adressliste
Digitale Postkarten
Links
| |
Zurück zur Seite über die Jüdische Geschichte/Synagoge
in Hanau
Hanau am
Main (Hessen)
Texte/Berichte zur jüdischen Geschichte der Stadt -
Hier: zur Geschichte des Rabbinates / Provinzialrabbinates im 19./20. Jahrhundert in Hanau
Die nachstehend wiedergegebenen Texte mit
Beiträgen zur jüdischen Geschichte in Hanau wurden in jüdischen Periodika
gefunden.
Bei Gelegenheit werden weitere Texte eingestellt.
Hinweis: die Texte auf dieser Seite
müssen teilweise noch abgeschrieben und teilweise mit Anmerkungen versehen werden,
können jedoch durch Anklicken der Textabbildung bereits gelesen werden. Mehrere
Texte wurden dankenswerterweise von Susanne Reber abgeschrieben und mit
Anmerkungen versehen.
Übersicht über die Rabbiner:
Hanau war seit 1823 Sitz eines Provinzialrabbinates. Als Rabbiner
wirkten im 19./20. Jahrhundert:
- 1795 bis 1830 Rabbiner Mose Tobias (Tubia) Sontheimer (geb. 1755
in Sontheim bei Heilbronn, gest. 1830 in Hanau): studierte in Fürth (Jeschiwa),
1783 Rabbiner in Leimen und Dajan der Kurpfalz; seit 1795/98 Landesrabbiner der
damaligen Grafschaft Hanau, 1824 erster Provinzialrabbiner in Hanau)
- 1833 bis 1836 Rabbiner Moses Schwarzschild (geb. 1804 in Hanau,
gest. 1875 in Schlüchtern): studierte in Fürth (Jeschiwa), Würzburg
(Jeschiwa), ab 1830 Marburg (Universität); nach seiner Zeit als
Rabbinatsverweser in Hanau war er von
1836 bis zu seinem Tod 1875 Kreisrabbiner und Religionslehrer in Schlüchtern.
- 1835 bis 1882 Rabbiner Samson Felsenstein (geb. 1807 in Bruck,
gest. 1882 in Hanau): studierte in Fürth (Jeschiwa) und an den Universitäten
Erlangen und Prag (hier auch Jeschiwa von Löb Glogau); nach 1830 in Frankfurt
tätig, seit Juni 1835 Provinzialrabbinat in Hanau; war verheiratet seit 1838
mit Elise geb. Igersheimer (geb. 1838 in Aschaffenburg), seit 1843 Regine geb.
Heine (geb. 1822 in Maßbach) und seit 1850 Babette geb. Strauß (geb. 1821 in
Weikersheim). Die beiden ersten Frau sind früh verstorben.
- 1884 bis 1901 Rabbiner Dr. Markus Koref (geb. 1833 in Prag, gest.
1900 in Hanau): studierte in Prag, Wien und Halberstadt, Promotion an der
Universität Wien; war zehn Jahre Direktor der Israelitischen Höheren
Bürgerschule in Hamburg; 1872 bis 1884 Rabbiner in Rawitsch, seit März 1884
Provinzialrabbiner in Hanau.
- 1901 bis 1920 Rabbiner Dr. Salomon Menachem Halevi Bamberger (geb.
1869 in
Frankfurt/Main, gest. 1920 in Hanau): studierte in Berlin, 1891 Promotion in
Leipzig, seit 1894 Rabbiner der IRG in Bingen, seit 1895 Rabbiner in
Burgpreppach, seit Januar 1901 Provinzialrabbiner in Hanau.
- 1920 bis 1938 Rabbiner Dr. Zvi (Hirsch) Hugo Gradenwitz (geb.
1876 in Rawitsch, Posen, umgekommen 1943 im KZ Auschwitz): studierte in Berlin;
1906 bis 1908 Rabbiner in Tarnowitz, Oberschlesien, 1917 bis 1918 Feldrabbiner
auf dem Balkan, 1920 bis 1938 Rabbiner in Hanau; 1939 Flucht nach Holland,
Deportation ins KZ Westerbork und 1932 nach Auschwitz. Zwei seiner drei Kinder
(Bertel, geb. 1915 und Josef, geb. 1914) kamen ebenfalls in der Shoa um.
Übersicht über die nachfolgenden
Texte:
- Beitrag
von Dr. Leopold Löwenstein (Mosbach) über "Das Rabbinat in Hanau..."
(1921)
- Über
Rabbiner Moses Tobias Sontheimer (1755-1830; Beiträge von 1915 / 1927 /
1930 / 1938)
- Rede
von Provinzialrabbiner Samson Felsenstein zur Eröffnung des
kurhessischen Landrabbinats (1846)
- Ausschreibung
der Stelle des Rabbinates (1882)
- Rabbiner
Dr. Markus Koref übernimmt das Provinzialrabbinat (1883)
- Zum
Tod von Provinzialrabbiner Dr. Markus Koref (1900)
- Zum
Tod von Provinzialrabbiner Dr. Markus Koref - zweiter Bericht (1900)
- Über Rabbiner
Dr. Markus Koref (1900)
- Ausschreibung
der Stelle des Rabbinates (1900)
- Zur
Situation der Gemeinde nach dem Tod von drei verdienten Gemeindegliedern und dem
Tod von Rabbiner Dr. Koref (1900)
- Rabbiner
Dr. Salomon Bamberger wird zum Rabbiner gewählt (1900)
- Rabbiner
Dr. Salomon Bamberger wird zum Provinzialrabbiner in Hanau ernannt (1900)
- Rabbiner
Dr. Salomon Bamberger verlässt Burgpreppach (1901)
- Rabbiner
Dr. Salomon Bamberger tritt seine neue Stelle in Hanau an (1901)
- Eine
Erinnerung an den Provinzial-Rabbiner Dr. Bamberger zu Beginn des Ersten
Weltkrieges 1914 im Kriegsgefangenenlager bei Bad Orb (Artikel von 1920)
- Zum
Tod von Rabbiner Dr. Salomon Bamberger (1920)
- Jahrzeitfeier
für Rabbiner Dr. Salomon Bamberger (1921)
- 10.
Jahrzeitstag von Dr. Salomon Bamberger (1930)
- Ausschreibung
der Stelle des Rabbinates (1921)
- Einführung
des neuen Bezirksrabbiners Dr. Hirsch Gradenwitz (1921)
Beitrag
von Dr. Leopold Löwenstein (Mosbach) über "Das Rabbinat in Hanau..."
(1921)
Beitrag in der Zeitschrift "Jahrbuch der
Jüdisch-literarischen
Gesellschaft", Jahrgang 1921 S. 1-74.
Der Beitrag kann gelesen werden über www.compactmemory.de. |
Über Rabbiner Moses Tobias Sondheimer
(geb. 1755 in Sontheim bei Heilbronn, Rabbiner in Hanau ab 1795, gest. 1830 in
Hanau)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 15. Oktober 1915: "Rabbi Moses Tobias Sondheimer. Ein
Gedenkblatt
In diesen Tagen des furchtbaren Weltenbrandes, da scheinbar nur ein Prinzip
die Erde beherrscht, dasjenige der brutalen, gewalttätigen Macht ist es
jedem, der sich seinen Glauben an die großen, ewigen Ideale des Guten und
Sittlichen bewahren will, unabweisbares Bedürfnis, sich von Zeit zu Zeit in
seinem Geiste wieder in Zeiten und Kulturzustände zu versenken, da noch
Friede und Eintracht die Welt regierte und an Stelle des Machtprinzips das
andere, höhere und größere Prinzip des Geistes, der Liebe in Geltung
stand. Wir Juden besonders seit Jahrtausenden die ausgesprochensten und
schärfsten Gegner aller Machtprinzipien, deren ganzes Dasein ein flammender
Protest gegen alle Herrschaft der nackten Macht, der harten Faust war, die
wir unsere Existenz einzig und allein der Stärke unserer geistigen und
sittlichen Kräfte verdanken, - wir Juden empfinden dieses Bedürfnis
besonders stark. Und welch anderes Volk hätte auch solche reiche
Zufluchtsstätten, in die es sich vor dem Anblick der gegenwärtig
herrschenden, sittlichen Anarchie flüchten könnte? Welch anderes Volk hat
eine solche an sittlicher Reinheit und geistiger Größe reiche Geschichte wie
die unsere, in die sich zu versenken den stärksten Trost gegen die Leiden
der Gegenwart gewährt?! Und so ist es uns seelisches Bedürfnis, gerade in
diesen Monaten mit besonderer Liebe und Pietät unserer großen Weisen und
sittlichen Helden zu gedenken, die unsere 1800-jährige Diasporageschichte in
so großer Zahl ausweist; und immer wieder sich die Art der Lebensgestaltung,
der Denk- und Empfindungsweise unserer großen Denker und Rabbinen zu
vergegenwärtigen, die durch ihr Sein und Wirken bewiesen haben, dass neben
der Macht auch die Liebe, neben der Gewalt auch der Geist die Welt regiert.
In diesen Tagen drängt sich uns da die Erinnerung auf, an einen solchen
großen Weisen und sittlichen Helden jener reichen, tiefen Welt des jüdischen
Ghettos, die heute in Westeuropa für immer entschwunden ist, an einen
Rabbinen, der in seiner Wesensart und Lebensführung, in seinem Tun und
Wirken vorbildlich ist für die Art der jüdischen Lebensgestaltung und seit
dessen Hingang gerade in diesen Wochen 85 Jahre ihren Kreis
schließen: Rabbi Moses Tobias Sondheimer s. A.
Es ist nicht viel von den äußeren Lebensereignissen dieses großen Rabbinen
zu berichten. Wie es aber für alle Großen unseres Volkes typisch und
kennzeichnend ist, dass von ihrem äußeren Leben wenig zu erzählen ist, weil
eben ihr ganzes Sein und Tun nicht auf die Erlangung äußerer Glücksgüter,
sondern auf die inneren Reichtums und sittlicher Größe hinausging, - so
beschränkten sie alles äußerliche Streben ihres Lebens auf ein Minimum, das
eben noch zur Existenz ausreichend war, und konnten dann mit allen anderen
Kräften ihres Geistes und Charakters umso unermüdlicher an der Erreichung
ihrer großen sittlichen Lebensziele arbeiten.
Rabbi Moses Tobias war zu Sontheim (bei
Heilbronn) geboren und kam als kleines
Kind zur Erziehung zum bekannten Rabbiner Rabbi Naftali Hirsch,
Katzenellenbogen in Mergentheim, dem
späteren Rabbiner der Hamburger Gemeinde. Dort blieb der Knabe bis zu seinem
16. Lebensjahr und ging dann nach Fürth,
wo er in der berühmten Jeschiwah des großen Rabbi Joseph Steinhard sich in
seinen talmudischen und halachischen Kenntnissen vervollkommnete. Dort
schloss er auch Jugendfreundschaft mit dem späteren berühmten Nikolsburger
Gaon Rabbi Mordechai Baneth, die beide für das ganze Leben hin verband. Mit
19 Jahren war der Jüngling bereits so reich an Wissen und Gelehrsamkeit,
dass ihn sein früherer Erzieher Rabbi Katzenellenbogen als Dajan zu sich
nehmen konnte; er blieb aber nur kurz in dieser Stellung und ging bald als
Rabbiner nach Leimen (Pfalz, statt
Leiman). Aber auch hier war seines Bleibens nicht lange, und der Grund,
der ihn vor hier fortzuführen ließ, ist in seiner schlichten Größe und
Selbstverständlichkeit so überaus charakteristisch für das Wesen dieses
Mannes, so charakteristisch zugleich für das Wesen des jüdischen sittlichen
Helden überhaupt. In seiner Gemeinde öffnete ein vom aufklärerischen Geiste
der Zeit ergriffener Jude sein Geschäft am Sabbat. Rabbi Moses Tobias gab
hierauf sofort sein Amt auf und verließ die Stadt. Aber indes war sein Ruf
als bedeutender junger Gelehrter, der für die Zukunft Großes versprach,
schon weit hinausgedrungen, und die alte berühmte Gemeinde bot ihm das
Rabbinat an. Er ging nach Hanau und verblieb daselbst bis an sein
Lebensende durch 35 Jahre hindurch als Rabbiner. Viele größere und reichere
Gemeinden wollten ihn zu sich berufen, er aber blieb mit jener Treue und
Liebe, die unsere großen Rabbiner charakterisiert, seiner Gemeinde treu und
wies alle Anerbietungen ab.
Damit war der äußere Lebensgang Rabbi Moses Tobias abgeschlossen; für das
Minimum der äußeren Lebensgrundlage war gesorgt, und alle freigebliebenen
reichen Kräfte seines Geistes und und Charakters wurden nur einzig und
allein auf die Erreichung des inneren, sittlichen Daseinszieles verwandt.
Zwei große Prinzipien beherrschen fortan das Leben und Schaffen des
Gelehrten; jene zwei Prinzipien, die in ihrer Verschmelzung den tiefsten
Gehalt jüdischer Wesens- und Lebensart bilden: Das Prinzip des Geistes und
das der Liebe. Geistige Arbeit auf der einen Seite, Liebestätigkeit auf der
anderen, darin ging fortan all sein Tun und Wirken auf. Und von Natur aus
reich begabt, scharfsinnig und vielumfassend in seinem Geiste, unermüdlich
und rastlos in seinem Fleiße, unabhängig und zielbewusst in seiner Energie,
rein und lauter in seinem Charakter, vorbildlich und ergreifend in seiner
Güte, ward es ihm vergönnt, auf beiden Bahnen seiner Lebensarbeit weit zu
gelangen und Großes zu erreichen.
In seiner gemeinsamen Wirksamkeit als Talmudist und Halachist zählt er zu
den Großen seiner Zeit. Von seiner Bedeutung macht man sich eine
Vorstellung,wenn man die Briefe liest, die die größten talmudischen
Autoritäten der Zeit an sie gerichtet haben. Der große Gaon, der Fürst
Israels, der Vater des jüdischen Exils nennt ihn der große Chasam-Sofer, und
man weiß, wie reserviert und selbstbewusst gerade dieser geniale Weise in
seinen Lobsprüchen zu sein pflegte. Als im berühmten Hamburger Tempelstreit
das Hamburger Rabbinat eine Sammlung der Gutachten der berühmten
rabbinischen Autoritäten der Zeit herausgab (unter dem Namen Eleh diwreh
habris), da befand sich unter den ersten Gutachten auch dasjenige des
Rabbi Moses Tobias, das durch seine scharfsinnige und wuchtige Widerlegung
aller Reformbestrebungen, zugleich aber durch die Güte und Milde seiner
Beurteilung des Gegners, durch seine Mahnung zu Eintracht und Frieden auch
heute noch auf den Leser großen Eindruck macht. Welche Wirkung es in seiner
Zeit gehabt hat, beweist der Umstand, dass in der Erwiderungschrift, die die
Reformer auf diese Gutachtensammlung herausgaben, gerade das Gutachten des
Rabbi Tobias besonders eingehen behandelt wird. Denn abgesehen von der
zwingenden Logik und seltenen Prägnanz seiner Beweisführung, zeichnete es
sich durch Schönheit und Klarheit des Stils aus, und überdies konnte man
Rabbi Moses Tobias nicht gut Einseitigkeit und Weltfremdheit vorwerfen, da
er auch als Mann des profanen Wissens galt und nicht nur ein klassisches
Hebräisch, sondern auch ein gutes Deutsch schrieb. Und was der Hamburger
Tempelstreit an einem historisch berühmten Fall zeigt, wiederholte sich in
minder wichtigen Fällen tagtäglich: Von allen Gauen und Gemeinden
Deutschlands, ja auch von anderen Ländern richteten unzählige halachische
Anfragen an Rabbi Moses Tobias, wandten sich Verfasser und Autoren an ihn
mit der Bitte um eine Urteilsfällung über ihre Werke, in Hanau selbst hatte
er eine große Jeschiwah, und neben all diesem blieb der Hauptteil seiner
Zeit und Tätigkeit doch der stillen, tiefen Versenkung in die halachische
Literatur, der Abfassung eigener, bedeutsamer
Werke gewidmet.
Nicht minder groß und erfolgreich war aber auch seine Wirksamkeit in seiner
Wohltätigkeit und Menschenliebe; die Schüler seiner Jeschiwah beköstigte er
auch lange Jahre hindurch aus den eigenen Mitteln seines spärlichen Gehalts
bis die Gemeinde die Fürsorge für die Zöglinge übernahm. Armen zu helfen,
Kranke zu trösten, Leidende zu stärken war ihm zu jeder Stunde seines Lebens
heiligste Pflicht. Die grenzenlose Liebe und Verehrung mit der er seine
Gemeinde und weit darüber hinaus die Juden der gesamten Umgegend an ihm
hingen, zeugt am besten von seiner Güte und Liebe; denn nur, wer die
Menschen liebt, wird von ihnen wiedergeliebt.
So lebte er, schlicht und einfach, still und bescheiden, rastlos tätig, und
doch fern allem äußeren Lärm des Tages, unermüdlich wirksam und doch ein
Feind allen äußeren Hastens, ganz auf Menschenliebe und Geistestätigkeit
eingestellt, zeitlebens nur von dem einen Wunsche beseelt; sittlich reiner
und vollkommener zu werden, ein immer besserer Mensch und Jude, ein immer
besserer Diener Gottes; in seinem Lehren wie in seinem Wirken, in seinem
Denken und Empfinden, der wahre Vertreter und Typus jener heute so seltenen
Art jüdischer Weisen und Rabbinen, die in ihrem Wesen die lebendige
Verkörperung der reinsten und höchsten Lehren des Judentums darstellen. Als
Rabbi Moses Tobias am 5. Tischri des Jahres 6591 (1830) dahinschied, da
trauerte Israel in der Tat um einen seiner 'Fürsten', wie ihn sein großer
Freund, der Chasam-Sofer, genannt hatte.
Durch eine ungünstige Verkettung der Umstände sind die Schriften des Rabbi
Moses Tobias, die bleibenden Zeugen und Denksteine seiner Größe, bis heute
noch nicht veröffentlicht worden. Jetzt aber sollen die Schriften auf
Veranlassung der Urenkel des großen Rabbiners, der Brüder Sondheimer, in
Druck erscheinen. Die Werke umfassen im wesentlichen eine Sammlung von
Abhandlungen über alle Sidraus und Haftauraus des Chumesch,
eine zweite Sammlung talmudisch-halachischer Arbeiten und einen Band von
Responsen.
Wie ein seltsamer Lichtstrahl aus einer ferne, fernen Zeit mag manchen
dieses Bild des Lebens und Wesens des Rabbi Tobias gerade in diesen Monaten
anmuten. Stärkerer Kontrast zu dem Charakter dieser blutigen Zeit ist nicht
denkbar. Gerade dann aber ist es so gut und notwendig, immer wieder zu
diesen Kontrasten zurückzukehren und sich das Wesen jener entschwundenen
Welt des jüdischen Ghettos zu versenken. Man wird daraus die Überzeugung
immer wieder entnehmen, dass neben aller Gewalt und Ungerechtigkeit, die im
Erdenleben vorhanden sind, doch auch die großen ewigen Prinzipien des
Geistes, der Liebe, der Gerechtigkeit immerdar wirken und mehr als dies,
schließlich doch über alle Widerkräfte des Bösen und der brutalen Macht
gegründet haben, sind untergegangen; unser kleines Judenvolk aber, dessen
Dasein auf den Prinzipien des Geistes und Liebe ruht, existiert noch heute:
Der stärkste Beweis für den schließlichen Triumpf des Guten über das Böse,
der Sittlichkeit über die Anarchie des Geistes über die Gewalt, der Liebe
über die Macht, um zu stärken und zu beleben."
|
|
Hinweis: im nachfolgenden Text enthalten
die hebräischen Zitate teilweise Fehler auf Grund schwerer Lesbarkeit
|
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
3. November 1927: "Ein Hanauer Gaon und sein Werk.
An der Schwelle unseres Jahrhunderts in den Jahren bis 1830, lebte und
lehrte in der Gemeinde Hanau ein Meister und ein Führer von einem Ausmaße,
das in das Bild der Zeit, gekennzeichnet von Rabbi Mosche Sofer und
Rabbi Akiba Eger, sich ganz harmonisch einreihte. Dass die jüdische
Welt den Namen des Rabbi Mosche Tuwje aus
Suntheim - das Andenken des Gerechten ist zum Segen - noch nicht
kennt, wie die der genannten Großen, liegt wohl am zurückhaltenden Wesen
dieses Mannes, der im stillen Hintergrunde arbeitete, für eine spätere
Zukunft. Von seiner in umfangreichen Manuskripten halachischen und
homilektischen Inhalts auf uns überkommenen reichen Lebensarbeit zeugt ein
jetzt im 'Hermon'-Verlag Frankfurt a.
M. erschienenes Werk, das die rabbinische Welt in Staunen setzen und
alle Torabeflissenen den Tag ersehnen lassen, da der ganze reiche
Schatz gehoben und ans Licht gefördert ist.
Rabbi Mosche Tuwje hat im württembergischen
Sontheim bei Heilbronn am 28. Tewet
5513 (1753) das Licht der Welt erblickt. Sein Ehrengrab befindet sich auf
dem jüdischen Friedhof zu Hanau, wo er am
4. Tischrim 5591 (1830) als Provinzialrabbiner sein gesegnetes, tatenreiches
Leben, bald 78 Jahre, beendete. Knapp vier Jahrzehnte wirkte er in Hanau und
machte die Gemeinde mit einer blühenden Jeschiwah und einer weit über die
Grenzen der Provinz hinausgehenden Lehrtätigkeit zu einem Brennpunkte der
Toralebens.
Nach Hanau kam er im Jahre 5555 aus Leimen
bei Heidelberg, wo er eine zeitlang
das Rabbinat seines ersten Lehrers und Erziehers, Rabbi Napthali Hirsch
Katzenellenbogen – das Andenken des Gerechten ist zum Segen –
inne hatte. Er verließ die Gemeinde, die ihn in Ehren hielt, einzig aus dem
Grunde, weil dort ein Gemeindemitglied am Sabbat sein Geschäft öffnete. Sein
eigentlicher Lehrer, dem er die ersten Grundlagen und die unerschöpfliche
Liebe zur Lehre verdankte, war der bekannte Rabbi Josef Steinhardt -
das Andenken des Gerechten ist zum Segen – in
Fürth, sein Freund und Glaubensgenosse
Rabbi Mordechai Benet – das Andenken des Gerechten ist zum Segen.
Von Fürth aus ergossen sich zwei Strahlen nach Südost und Norden. Rabbi
Mordechai Benet ging nach Nikolsburg, Rabbi Mosche Tuwje nach Hanau.
Die ängstliche Bescheidenheit Rabbi Mosche Tuwjes konnte es nicht
verhindern, dass seine großen Zeitgenossen einen Ebenbürtigen in ihm sahen,
ihn mit Lob und Anerkennung überhäuft und seine Meinung in hochbedeutsamen
jüdischen Fragen entscheidend in die Wagschale legten. Der 'Chatam Sofer'
druckt Entscheidungen in seinem Responsenwerke zu 'Eben haeser' und an
vielen anderen Stellen ab. Ebenso zitieren ihn und berufen sich in ihren
Werken auf seine Meinung. Rabbi Wolf Hamburg, Rabbi Hirsch Hurwitz, der Sohn
des Baal Haafloh – das Andenken des Gerechten ist zum Segen. Ferner
R. Israel Lipschütz Baal tifärät Jisrael, auch Wolf Heidenheim. Rabbi
Mosche Sofer – das Andenken des Gerechten ist zum Segen - nennt ihn
nasi Jisrael, lemelachim lmoel aw legalut Jisrael.
In der Gutachtensammlung Ele diwre haberit, die beim ersten Ansturm
der Reform in Hamburg gegen die Orgel und die deutschen Gebete in der
Synagoge erschienen ist, finden wir Rabbi Chatam Sofer, Rabbi Akiba Eger,
Rabbi Mordechai Benet und Rabbi Jakob Lissa – das Andenken der Gerechten
ist zum Segen – und seine Abhandlung zeichnet sich durch besondere
Geistesschärfe und Klarheit in der Formulierung aus.
Was aber bis jetzt aus der geistigen Werkstätte dieses großen Meisters im
Drucke aus zweiter Hand der Welt zur Kenntnis kam, mutet wie ein Tropfen aus
dem Meere an, wenn man Gelegenheit hatte, den im Besitze der Nachkommen
befindlichen Handschriftennachlass zu sehen und einen Einblick in diese von
einem abgeklärten Geiste in vielen stillen nachdenklichen Tages- und
Nachtstunden geschaffene Welt zu tun. Die nachgelassenen Werke umfassen alle
Gebiete der mündlichen und schriftlichen Lehre, vom Texte des Chumisch bis
zur entlegenen Sugja des Talmuds. Und wenn Rabbi Mosche einen Bibelvers
erklärt, so tut sich ihm wie ein Felsen der Quell auf, aus dem sich in
herrlichem Strahlenspiele alles ergießt, was die ältesten und spätesten
Erklärer aus diesem Grunde herausholten und wenn Rabbi Mosche Tuwje eine
halachische Abhandlung über einen Gegenstand im Talmud oder eine Frage der
praktischen Halacha schreibt, dann strömten ihm die Lichtfluten von allen
Seiten aus den entlegensten Bezirken zu, ein Ganzes und Umfassendes
ergebend, dergestalt, dass man durch die Lichtfülle den Blick frei behält
auf den letzten Grund, auf den Bibeltext als Ausgangspunkt.
Dabei ist leider der Nachlass noch nicht einmal vollkommen erhalten. So
fehlt ein großes handschriftliches Werk zum Sifri, das in einem Hesped
seines Schülers, Rabbi Jakob Koppel Löwenstein – das Andenken an den
Gerechten ist zum Segen -, Rabbiner in
Gailingen, als das Meisterwerk des Hanauer Gaons gepriesen wird.
Vielleicht trägt der jetzt erschienene Teil der Responsen und Abhandlungen
dazu bei, dass das vermisste kostbare Manuskript von Kennern und Freunden
der jüdischen Lehre im Privatbesitz oder in Bibliotheken gefunden wird. Auch
sonst sollten Erstbesitzer von Gutachten, Entscheidungen und sonstige
Schriftstücken aus der Feder des Rabbi nicht versäumen, lisechut at
charabim Abschriften derselben dem Verlage für die Ausgabe der weiteren
Teile zuzustellen.
Das jetzt im Hermon-Verlage Frankfurt
a. M. erschienene erste Werk (herausgegeben von den Urenkeln des
Rabbi)**) ist schon in seiner äußeren Aufmachung im lichten Drucke, in
Buchform und Einbanddecke ein Denkmal der Liebe und Pietät. Der Inhalt wird
Segen ausströmen für weitere Kreise und Segen verheißend wirken mit Hinblick
auf die Fortsetzung der Ausgabe. Dem rund hundert Seiten starken Buche
voraus geht eine eingehende Biographie des stillen Rabbi, der bald hundert
Jahre nach seinem Tode zu uns zu sprechen beginnt. An erster Stelle der
Responsen finden wir das bereits genannte klargeistige und von zwingender
Logik getragene Gutachten und Abhandlungen, alle so klar und übersichtlich
in der Diktion, wie tief durchdacht und erschöpfend in ihrer
Zusammenstellung. Der Vorbeter und Schächter einer Gemeinde ist in üblen Ruf
gekommen. Rabbi Mosche Tuwje, um Entscheidung angerufen, stellt die gesamte
einschlägige Literatur über den Fall zusammen und schließt bescheidentlich
mit den Worten: 'All dieses rein theoretisch, lehalacha welo lemaaseh,
denn wie sollte ich von der Ferne die Sachlage prüfen können?' Die damals
schon aktuell gewordene Frage der Sabbatumgehung durch Nichtjuden wird von
allen Seiten behandelt und beleuchtet und erschwerend entschieden. Es folgen
Fragen über die Konstruktion einer Mitzwah und verwandte Dinge auf dem
Gebiete des nedah-Gesetzes. In einer kleinen Gemeinde hatte in
ausgelassener Gesellschaft ein Jüngling einem Mädchen im Scherz einen Ring
überreicht und die Trauungsformel vor Zeugen ausgesprochen. Die
Anerkennung der Ehe schien den Eltern des Mädchens unmöglich und sie wandten
sich an den Meister in Hanau. Nichts lässt Rabbi Mosche Tuwje in den
Dezisionen von Maimonides bis zu den jüngsten, bei Prüfung der Gültigkeit
der Kiduschin außer acht und kommt zu einem erschwerenden Resultat. Freilich
sei der Jüngling zur Ausfertigung und Überreichung eines Bet zu zwingen. Dem
strengen Rabbi folgt der Menschenfreund, der nach einem Ausweg sucht, um
Unheil von Fa- |
milien
abzuwenden. Das gleiche Bestreben in der großen und tiefgründigen Abhandlung
im Falle einer Aguna, deren Mann aus dem Wasser gezogen, auf seine
Identität agnosziert werden soll. Er neigt mischum Tiknat aguna nach
Berücksichtigung aller Umstände zur Erleichterung, bittet aber in seiner
rührenden Bescheidenheit, noch ein Gutachten von Rabbi Akiba Eger in der
Sache einzuholen,dem er sich, falls es ebenfalls in erleichterndem Sinne
ausfällt, mit ganzem Herzen, anschließen wollte. Es wird dann, schließt er,
so sein, wie es im Talmud heißt: halecha korbei akiba uchabraw
Weitere Entscheidungen betreffen Fragen von ewig aktueller Bedeutung. Ob es
erlaubt sei, ein Grab zu öffnen auf das Gerücht hin, dass die Leiche des
Leichengewandes beraubt wurde; ob eine Braut, die Waisenkind ist,
verpflichtet ist, Maasser von ihrer Mitgift zu geben. (Die Antwort
lautet bejahend). Einige halachische Fragen akademischer Natur folgen, dann
Anweisungen zum Akte der Sonnenwende, Kidusch hachema für Milo am
Sabbat, für das Schreiben von Torarolle und Megiloh,
einiges über das Omerzählen und die im Talmud gebrauchten Maßstäbe
Schiurin mdrebanan. Die in vielen Kreisen ungeklärte Frage des
Maassergebens vom Vermögen und laufenden Verdienste wird auf vier
Druckseiten erschöpfend behandelt, auf ebenso vielen Seiten finden alle
Fragen des Schaatnes-Verbotes ihrer Klärung. Im Ganzen 24 Gutachten und
Abhandlungen, von denen keine einzige Nummer fehlen wird, das Interesse von
Rabbinen und torakundigen Laien zu bannen.
Dem ersten Band ist ein besonderes Geschenk der Herausgeber an die Leser
megilat hanau oder sichron maase nisim, eine anschauliche
Schilderung der Belagerung Hanaus durch Napoleon und die Kämpfe vor der
Stadt aus der Feder von Rabbi Mosche Tuwje. Über dieses hochwertige
historische Dokument soll noch in anderen Zusammenhängen gesprochen werden.
Es sollte hier auf Grund der ersten halachischen Proben nur angedeutet
werden, von welchem Formate der Hanauer Gaon war und von welcher Bedeutung
sein Lebenswerk ist."
* Er unterzeichnet sich Mosche Towje miSuntheim
**Erhältlich beim Verlag und im Buchhandel zu Ladenpreise von Mk. 3,50.
Unbemittelte Toragelehrte, die das Werk nachweislich zu Studienzwecken
erwerben wollen, wenden sich wegen Ermäßigung an den Verlag.
Anmerkungen: - Rabbi Naftali Hirsch Katzenellenbogen:https://www.geni.com/people/Naftali-Katzenellenbogen-A-B-D-Manheim/6000000001926370410
- Jeschiwah:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jeschiwa
- Gaon:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gaon
- Rabbi Mordechai Baneth:
https://www.deutsche-biographie.de/sfz45598.html
- Dajan: Richter an einem Rabbinatsgericht
https://de.wikipedia.org/wiki/Beth_Din
- Talmudist: Talmudgelehrter
https://de.wikipedia.org/wiki/Talmud
- Halachist: Kenner der Halacha
https://de.wikipedia.org/wiki/Halacha
- Israel: (hier) jüdische Gemeinschaft
- Hamburger Tempelstreit:
https://de.wikipedia.org/wiki/Israelitischer_Tempel_(Hamburg)
- Chasam-Sofer:
https://de.wikipedia.org/wiki/Moses_Sofer
- Sidraus:
https://de.wikipedia.org/wiki/Parascha
- Haftauraus:
https://de.wikipedia.org/wiki/Haftara
- Rabbi Mosche Sofer:
https://de.wikipedia.org/wiki/Moses_Sofer
- Rabbi Akiba Eger:https://de.wikipedia.org/wiki/Akiba_Eger
- Tewet:
https://de.wikipedia.org/wiki/Tevet
- Tischri:
https://de.wikipedia.org/wiki/Tischri
- Rabbi Josef Steinhardt:https://www.fuerthwiki.de/wiki/index.php/Josef_Steinhardt
- Rabbi Mordechai Benet:
https://en.wikipedia.org/wiki/Mordecai_Benet
- Nikolsburg:
https://en.wikipedia.org/wiki/Mikulov
- Rabbi Israel Lipschütz:
https://de.wikipedia.org/wiki/Israel_Lipschitz
- Wolf Heidenheim:
https://de.wikipedia.org/wiki/Wolf_Heidenheim
- Reform:
https://de.wikipedia.org/wiki/Israelitischer_Tempel_(Hamburg)
)
- Orgel: (Hier)
https://www.dw.com/de/zwischen-tradition-und-aufbruch/a-16973835
- Chumisch:
https://de.wikipedia.org/wiki/Chumasch
- Sugja: Abhandlung im Talmud
- Sifri:
https://en.wikipedia.org/wiki/Sifri_Zutta
- Hesped:
https://www.juedische-allgemeine.de/glossar/hesped/
- Mitzwah:
https://de.wikipedia.org/wiki/Mitzwa
- Dezisionen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Dezisionismus
- Maimonides:
https://de.wikipedia.org/wiki/Maimonides
- Kiduschin:
https://de.wikipedia.org/wiki/Qidduschin_(Mischnatraktat)
- Aguna:
https://de.wikipedia.org/wiki/Aguna
- Maasser: Der zehnte Teil einer Summe, der für wohltätige Zwecke gespendet
wird
- Megiloh:
https://de.wikipedia.org/wiki/Megilla_(Mischna)
- Omer:
https://de.wikipedia.org/wiki/Omer_(Bibel)
- Schaatnes:
https://de.wikipedia.org/wiki/Schatnes |
|
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 17. Oktober 1930: "Zum
hundertjährigen Todestage Rabbi Mosche Tuwjes - das Andenken an den
Gerechten ist zum Segen - aus Sontheim.
Am 4.
Tischri dieses Jahres (= 26. September 1930) rundete sich ein Jahrhundert seit dem Tode des
letzten Gaon aus Hanau, Rabbi Mosche Tuwje aus Sontheim. Eine ausführlich
Biographie dieses großen Rabbi an der Schwelle unseres Jahrhunderts ist
anlässlich der Herausgabe eines kleinen Teiles seiner Responsen unter dem
Titel Or Penei Mosche im Jahre 1927 im 'Israelit' erschienen. Es
sei hier noch kurz registriert, dass Rabbi Mosche Tuwje am 28. Teweth 1753
in Sontheim bei Heilbronn das Licht der Welt erblickt hat und seine erste
Erziehung beim damaligen Rabbiner von Mergentheim, Rabbi Naftali Hirsch
Katzenellenbogen - das Andenken an den Gerechten ist zum Segen - erhalten
hat. Nach seiner Verheiratung ging er in jungen Jahren nach
Fürth, wo er
zu Füßen von Rabbi Josef Steinhardt, zusammen mit dem späteren
berühmten Oberrabbiner von Nickolsburg, Rabbi Mordechai Banett, saß. Er
war erst Rabbiner in Leiman (Leimen), verließ die Gemeinde, nachdem
eines seiner Gemeindemitglieder seinem Proteste zum Trotz das Geschäft am
Sabbat öffnete, und wurde dann Oberrabbiner von Hanau, wo er am 4. Tischri 1830, verehrt von der gesamten Diaspora, seine Seele aushauchte.
Die größten Männer seiner Zeit, u.a. Rabbi Mosche Sofer aus Preßburg,
bezeichneten ihn als 'Gaon und Fürst, eine Zierde seiner Generation'.
Neben dem genannten erschienenen Werke harrt sein ungemein reiches
geistiges Erbe auf dem Gebiete der Halacha wie der Homiletik noch der
Veröffentlichung. Erst wenn diese Werke im Lichte des Druckes allgemein
bekannt werden, wird der Name Rabbi Mosche Tuwjes, eines kongenialen
Zeitgenossen von 'Chatam Sofer' und Rabbi Akiba Eger, zu seiner vollen
Geltung in der jüdischen Welt gelangen.
Ein Wort Rabbi Mosche Tuwjes zu Bereschit (1. Buch Mose) sei hier
wiedergegeben: 'Die Gottesfurcht ist der Anfang der Erkenntnis'. Dieser
Satz in Mischli 1,7 erklärt, warum die Tora mit Bereschit (am Anfang)
anfängt und nicht, wie die Übersetzer der Septuaginta es ändern
mussten, mit Elohim (Gott).
Im Talmud wird wiederholt betont, dass man bei einem Gelübde, das man
für G'tt gelobt, nicht zuerst G'tt sage, wie es auch immer heißt
Korban Le... (Opfer für Gott) und nicht umgekehrt. Das dürfte auch der Grund sein, warum
unser Lehrer Moses, als er die Tora niederschrieb, nicht gleich mit G'tt
beginnen wollte.
Nun aber wird an mehreren Stellen im Talmud derjenige als
wahrer Gottesfürchtiger dahingestellt, der peinlich auf die Ehrung des
g'ttlichen Namen bedacht ist, ihn nicht unnütz ausspricht. Der Sinn des
angeführten Satzes wäre danach: Anfang der Erkenntnis. Wenn Erkenntnis,
das ist die Tora, mit Beginn beginnt und nicht mit dem Gottesnamen, so
geschah dies, wie zu Anfang gesagt wird, aus Gottesfurcht, um uns
Gottesfurcht einzuprägen, die sich darin ausdrückt, dass man in
höchster Ehrerbietung mit dem Namen Gottes
umgeht." |
|
Abbildung
von Rabbi Mosche Tuwje aus Sontheim (Sondheimer), Oberrabbiner von Hanau,
starb am 3. Tischri 5593; Abbildung in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7.
Oktober 1938. |
Zum Tod von Rabbiner Mose Schwarzschild (geb. in
Hanau, wo er von 1833 bis 1836 Rabbinatsverweser war, Bericht von 1875)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
10. Februar 1875: |
|
Rede von Provinzialrabbiner Felsenstein zur
Eröffnung des kurhessischen Landrabbinats (1846)
Artikel in der Zeitschrift "Der treue Zionswächter" vom 7.
April 1846: |
|
Ausschreibung des Stelle des
Rabbinates (1882)
Anzeige in der "Allgemeinen Israelitischen Zeitung" vom
9. Januar 1883: |
Rabbiner Dr.
Markus Koref übernimmt das Provinzialrabbinat
(1883)
Artikel in der Zeitschrift "Jeschurun (Alte Folge)"
vom Dezember 1883 S. 861: |
|
Artikel
in der Zeitschrift "Jeschurun" Januar 1884 S. 9:
"Schlüchtern, 26. Dezember. Unsere Rabbinatsangelegenheit ist nun
zum glücklichen Abschluss gelangt. Die Königliche Regierung zu Kassel
hat die Wahl des Herrn Dr. Koref aus Rawitsch bestätigt. Mögen die
berechtigten Hoffnungen mit welchen wir unseren neuen Provinzialrabbiner
erwarten, zum Heil und Segen verwirklicht werden." |
|
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 22.
Januar 1884: |
Zum Tod von
Provinzialrabbiner Dr. Markus Koref (1900)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 22. Februar 1900: Hanau, 21. Februar (1900). Unsere
Gemeinde hat einen schweren Verlust zu beklagen. Nach langem schweren
Leiden ist vorgestern unser geistliches Oberhaupt, Herr Provinzialrabbiner
Dr. Marcus Koref verschieden. Der Dahingeschiedene, der streng auf dem
Boden des gesetzestreuen Judentums stand - er war im Vorstande der 'Freien
Vereinigung für die Interessen des orthodoxen Judentums' erfreute
sich allenthalben der größten Beliebtheit und Achtung, sowohl wegen
seines lauteren Charakters, wie wegen seiner hervorragenden Kenntnisse auf
jüdischem und weltlichem Gebiete. Herr Dr. Koref, einer berühmten Prager
Familie entstammend, war in jungen Jahren Leiter einer Unterrichtsanstalt
in Hamburg, alsdann Rabbiner zu Rawitsch und am vor ungefähr zwanzig
Jahren hierher. Er fand die religiösen Zustände hier sehr verwahrlost,
sein Vorgänger Rabbiner Felsenstein stand auf neologem Boden, und Koref
tat viel zur Hebung derselben.
Die Beerdigung begann um drei Uhr und endete gegen sechs; die Beteiligung
war eine sehr große. Im Hause sprach Herr Dr. Horowitz - Frankfurt
am Main. In der Synagoge, wohin die Leiche hierauf gebracht wurde, ergriff
Herr Landrabbiner Dr. Prager - Kassel das Wort, um im Auftrage des
Vorsteheramtes der Israeliten in meisterhafter Weise die Verdienste des
Verblichenen zu würdigen. Im Vorhofe der Synagoge sprachen dann die
Herren Dr. Cahn - Fulda und Dr. Munk - Marburg und am Grabe
die Herren Dr. Marx - Darmstadt und Dr. Hirschfeld -
Gießen. Im Hause redeten noch nach der Beerdigung Rabbiner Dr.
Wachenheimer - Aschaffenburg und Lehrer Strauß - Gelnhausen.
Anwesend war noch Herr Rabbiner Dr. Goldschmidt - Offenbach. Wir
werden später ausführlich über das Leichenbegängnis
berichten." |
|
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 2. März 1900: "In Hanau ist am 19. dieses Monats der
Provinzial-Rabbiner Dr. Koref gestorben. Er war früher Dirigent einer
Schule in Hamburg, dann Rabbiner in Rawitsch. In Hanau wirkte er seit 20
Jahren in streng orthodoxem Sinne. An seinem Grabe sprachen die Rabbiner
Dr. Horowitz - Frankfurt am Main, Prager - Kassel, Cahn - Fulda, Munk -
Marburg, Marx - Darmstadt, Hirschfeld - Gießen, Wachenheimer -
Aschaffenburg und Lehrer Strauß -
Gelnhausen." |
Zum Tod von Provinzialrabbiner Dr.
Markus Koref - zweiter Bericht (1900)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
28. Februar 1900: |
|
|
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
28. Februar 1900: |
Über Rabbiner Dr.
Markus Koref (1900)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
5. März 1900: "Über das Leben des verstorbenen Rabbiner Dr.
Koref weiß die Prager 'Israelitische Zeitung' noch Folgendes zu
berichten:
Der Verblichene war in Prag geboren, woselbst sein Vater ein achtbarer
Kaufmann gewesen. Die streng-religiöse Erziehung, welche dieser seinem
einzigen Sohne angedeihen ließ, sowie die frühzeitig entwickelte
geistige Veranlagung desselben, waren für dessen künftigen Beruf
bestimmend. Nachdem der zarte Knabe die Volksschule verlassen, versuchte
er das damalige Piaristen-Gymnasium
in Prag, woselbst er auch die Maturitätsprüfung mit Auszeichnung
angelegt hatte. Schon während jener Zeit oblag er den talmudischen Studien,
in welchen er von dem berühmten Talmudgelehrten R. Herschmann Teweles
unterrichtet wurde, mit glühendem Eifer und Vorliege. Die pilpulistischen
Diskussionen Rappaports,
die Kusari-Vorträge Wesselys waren für ihn sehr anziehend und zum
weiteren Studium der jüdischen Wissenschaften anspornend. Mit reichem
Wissen ausgestattet, wendete er sich nun nach Wien, studierte daselbst
Philosophie und wurde nach abgelegten Rigorosen zum Doktor der Philosophie
promoviert. Um sich immer mehr in das Studium der jüdischen Literatur zu
vertiefen und sich eine gewisse Weltanschauung zu erwerben, begab sich Dr.
Koref nach Deutschland und zwar zuerst nach Berlin, wo er in dem
unvergesslichen Michael
Sachs ein treffliches Vor- und Lebensbild gefunden hatte. In seiner
Selbstverleugnung und Bescheidenheit hielt er sich aber trotz seines
großen Wissens für ein Seelsorgeramt immer noch nicht reif genug, und
von der Ansicht ausgehend, dass ein Rabbiner auch ein Bildner der Jugend
sein müsse, entschloss er sich, zuvor in einer Unterrichtsanstalt zu
Hamburg zu wirken, deren Leitung er dann später übernahm. Erst nach
mehrjähriger Wirksamkeit in derselben hat er sich zur Annahme einer Rabbinerstelle
in Rawitsch
entschlossen. Bald nachher wurde er von der Religionsgemeinde in Hanau
als Bezirksrabbiner berufen, wo er bis zum Erlöschen seines wahrhaft
frommen und gottesfürchtigen Lebens sechszehn Jahre zum Wohle seiner
Gemeinde, die ihn liebte und ehrte, mit voller Hingebung in seinem
heiligen Amte ununterbrochen gewirkt hat. Seine Kanzelvorträge, die mehr
ein realistisches Gepräge an sich trugen, zeichneten sich durch
formschöne Sprache und Gedankenreichtum aus, aus ihnen sprach die
Überzeugungstreue eines festen Charakters. In welchem Rufe übrigens Dr.
Koref's Charakter und Gelehrsamkeit stand, beweist die Tatsache, dass, als
es sich während des nach Rappaports
Tode in der Prager Israeliten-Gemeinde eingetretenen Provisoriums um die
Widerbesetzung des verwaisten Oberrabbinates gehandelt hat, auch er in die
Kombination gezogen ward, die jedoch der von der damaligen
Kultus-Repräsentanz gehuldigten Ansicht, dass niemand der Problem in
seinem Vaterlande sei, gewichen ist. Dr. Koref lebte trotzdem glücklich
und zufrieden in seinem Wirkungs- und Familienkreise, ein wahrer Priester,
der seinen heiligen Beruf voll und ganz erfasst und in demselben
unermüdlich gewirkt hat." |
Ausschreibung der Stelle des Rabbinates (1900)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
7. Mai 1900: |
Zur Situation der Gemeinde nach dem Tod von drei
verdienten Gemeindegliedern und dem Tod von Rabbiner Dr. Koref
(1900)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
28. Mai 1900: |
|
Rabbiner Dr. Salomon Bamberger wird zum Rabbiner
gewählt (1900)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16. August
1900: |
|
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20. August
1900: |
|
links:
Rabbiner Dr. Salomon Bamberger (Quelle: Sammlung Monica Kingreen): Dr. Salomon Bamberger war seit dem Jahre 1901 Rabbiner in Hanau. Als Provinzialrabbiner war er auch für 32 jüdische Gemeinden im Kreis Hanau, im Kreis Gelnhausen und im Kreis Schlüchtern zuständig. Das Foto wurde im Jahre 1910 aufgenommen.
. |
Rabbiner Dr.
Salomon Bamberger wird zum Provinzial-Rabbiner in
Hanau ernannt (1900)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
18. Oktober 1900: |
Rabbiner Dr.
Bamberger verlässt Burgpreppach (1901)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21. Januar 1901:
"Burgpreppach, 15. Januar (1901). (hebräisch und deutsch:) Das
Scheiden des Frommen aus einem Orte lässt eine fühlbare Lücke zurück!
Die Wahrheit dieses Ausspruches sollen auch wir tief empfinden. Herr Dr.
Bamberger wird demnächst die Stätte seiner seitherigen segensreichen
Wirksamkeit verlassen, um einem ehrenvollen Rufe als Rabbiner in Hanau zu
folgen. Mit seinem Weggange verlieren wir einen Führer voll heiligen
Ernstes, voll inniger Liebe, dem das geistige Wohl seiner Gemeinde und das
Gedeihen der seiner Leitung anvertrauten Talmud-Toraschule dahier warm am
Herzen lag. Sein Einfluss wirkte auf alle, die mit ihm in Berührung
kamen, veredelnd und anregend. Nicht allein in religiöser, sondern auch
in jeder anderen Angelegenheit stand er jedem mit Rat und Tat gerne zur
Seite. Durch seine Friedensliebe und Menschenfreundlichkeit gewann er
viele für Tora, Gottesdienst und Wohltätigkeit". |
Rabbiner Dr.
Salomon Bamberger tritt seine neue Stelle in Hanau an
(1901)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
31. Januar 1901: |
|
Eine Erinnerung an den Provinzial-Rabbiner Dr. Bamberger zu Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 im Kriegsgefangenenlager bei Bad
Orb (Artikel von 1920)
Bericht in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2. Dezember 1920:
"Nicht 'taitsch', sondern 'harzig'. Eine Erinnerung an
Provinzial-Rabbiner Dr. Bamberger - das Andenken an den Gerechten ist
zum Segen - in Hanau.
Unvergesslich bleibt mit ein Erlebnis im Herbst 1914, da ich Rabbiner
Bamberger ins Gefangenenlager bei Bad Orb begleiten durfte, wo er zum
ersten Mal die Seelsorge auszuüben hatte. Die Sache war damals noch ganz
neue. Gefangene hatte man auf der Straße noch nicht gesehen und von jüdischen
Gefangenen sprach man noch im Tone eines Märchens. In Hanau stieg
Rabbiner Dr. Bamberger zu mir in das Abteil 3. Klasse, obwohl er im
Heeresauftrage Anspruch auf 2. und 1. Klasse hatte, und in anregender
Unterhaltung waren die Stunden der Fahrt rasch verflossen.
Nach einstündiger, nicht gerade angenehmer Wagenfahrt von Bad Orb aus,
waren wir im Lager. Wir wandelten durch die aufgeweichten Zeltstraßen und
sahen uns das bunte Leben der fremden Soldaten an. Zum größten Teil
Russen, zum kleineren auch Franzosen. Die Wachtmannschaft verwies uns auf
eine große Baracke. Dort waren alle jüdischen Gefangenen untergebracht
und harrten unser. Zum ersten Male sahen wir unsere Brüder, die 'in Not
und Gefangenschaft' geraten waren, von Angesicht zu Angesicht. Es waren
etwa 100 an der Zahl, halb Kinder noch, aber auch ergraute Köpfe, in
allen möglichen Monturen, aus allen Schlachtfeldern des östlichen
Kampfgebietes und aus allen Gegenden des weiten Zarenreiches. Zumeist
Überlebende von Tannenberg, denen die ganzen Schrecken des
schaurigen Abgrundes in Masurien noch deutlich in den Augen saß. Wie eine
aufgeschreckt Herde drückten sich die Leute aneinander und misstrauisch
schauten sie auch zu dem großen stämmigen Mann hinauf, in dem sie etwas
wie einen preußischen Hauptmann in Zivil vermuteten. Ich sprach zu ihnen
so gut es ging, in den Sprachen ihrer Heimat und klärte sie auf, und ich
sehe noch, wie sie sich um die mitgebrachte Torarolle scharten und sie mit
Küssen bedeckten, als gelten diese Küsse der Heimat und all dem, was
dort lieb und teuer und heilig ist.
Und nun sprach Rabbiner Bamberger von einer ad hoc zusammengestellten
Kanzel zu den Gefangenen in der einfachsten, schlichtesten Weise, nach den
leichtesten, verständlichsten Ausdrücken gerade angelnd. Er sprach von
der Heimat und von der Pflicht, und ich musste bewundern, mit welchem Mut
und welch feinem Takte - die deutsche Wachtmannschaft mit mit dabei - er
auch von ihrer für ihr Vaterland treu erfüllten Pflicht sprach
und von ihren Rechten im Feindeslande und dann von ihrer Zugehörigkeit
zum jüdischen Ganzen. Tröstend sprach er von Frieden und von froher
Heimkehr. Und viele, viele ehrliche Tränen sah ich in dieser aus Juden
Kaukasiens, Sibiriens, Polens und Litauens zusammengewürfelten, durch
eine Laune des Krieges eigenartig geschaffenen neuen Gemeinde des Hanauer
Rabbinatsbezirks fließen.
Ich frage nach der Predigt einen jungen Litauer, ob er die Rede verstanden
hätte. 'Barwoß nit?' (warum nicht), gab er mit einer Gegenfrage zurück.
'Aber er sprach doch deutsch'? bezweifelte ich. 'Taitsch? harzig
hat er geredet' (sc. harzig im Sinne von herzlich, von und zu Herzen
gehend).
Das Wort blieb mir in Erinnerung. Und wenn ich heute den Menschen
Bamberger - abgesehen von seiner Bedeutung als Rabbiner und Lehrer, als
Mehrer der jüdischen Wissenschaft - gerecht werden will, so denke ich nur
an jenes Wort des litauischen Gefangenen. Es war das Geheimnis seines
großen Menschentums, dass alles, was er sprach, was er unternahm und war
er tat, mit dem Herzen tat." |
|
Weiterer Bericht - nicht ausgeschrieben
- in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 15. April 1915:
"Bei den jüdischen Kriegsgefangenen in Bad Orb". |
|
|
|
|
Zum Tod von Rabbiner Dr. Salomon Bamberger (1920)
Artikel in der Zeitschrift
'Der Israelit' vom 11.
November 1920: 'Provinzialrabbiner Dr. Salomon Bamberger – das
Andenken an den Gerechten ist zum Segen. 'Am Mittag ist die Sonne
untergegangen.' Eine Leuchte, die Licht und Wärme spendete, ist nicht
mehr. Als ihr voller Strahlenglanz uns noch soeben erfreut hatte, ist sie
plötzlich erloschen. Das Klagewort unserer Weisen 'Am Mittag ist die
Sonne untergegangen' beschreibt in treffender Weise die unversehens
hereinbrechende Dunkelheit, wenn der Allgütige in Seinen Garten geht, um
eine kostbare Menschenblüte zu sich hinauf in die ewigen Höhen zu
nehmen. Nur nach dieser Seite ist der Vergleich mit dem Verschwinden der
im Zenith stehenden Sonne gemeint. Es soll damit aber nicht gesagt werden,
dass der in der Vollkraft seines Wirkens hinweggenommene Große, wenn er
bei uns geblieben wäre, gleich der Sonne bald vom Höhepunkt
herabgestiegen wäre. Nein, die Toralehrer nehmen mit dem Alter an Wissen
und Wirken zu. Der vielgeliebte und vielbewunderte Meister, der am Rüsttage
des jüngsten Sabbat im Hause des Gebets nach vollendetem Gebet seine
reine Seele aushauchte, hat uns verlassen, mitten in einem reich
gesegneten Leben stehend. Wir aber hatten nicht anders gedacht, als dass
wir mit jedem neuen Lebensjahre, wenn es uns vergönnt gewesen wäre,
immer neue und immer reichere Früchte seiner Tätigkeit hätten genießen
dürfen. Ein Alter nur von 51 Jahren hat Salomon Bamberger erreicht, doch
wie unsagbar viel hat er in diesem allzu kurzen Leben geleistet. In früher
Jugend schon bewunderte man in seiner Geburtsstadt Frankfurt am Main seine
hohe Begabung. Der Allgütige hat auch diesem Salomon Weisheit geschenkt.
Ein Sohn herrlicher Eltern aus edelstem Stamm, hatte er das Glück, in dem
unvergessenen Rabbi Sekel, dem Sohne des großen Rabbi Seligmann Bär, und
in seiner klugen und zielbewussten Mutter, der würdigen Tochter des hoch
geschätzten Kolmarer Rabbiners R. Salomon Klein, verständige Pfleger und
Wächter seiner Herzens- und Geistesgaben zu finden.
Früh schon und erfolgreich wurde er zum Studieren des Talmud geführt,
und weit schneller als die Altersgenossen durcheilte er die Klassen der
Realschule der Frankfurter Religionsgesellschaft und des Goethegymnasiums.
Die Erfolge des Studenten auf Torahochschulen und Universitäten machten
die Hoffnungen wahr, die man auf den Schüler gesetzt. In seiner
Dissertation behandelte er den arabischen Text der Erklärung des
Maimonides zu dem schwierigen Traktat Kilaim; und die Vereinigung der
talmudischen und philologischen Kenntnisse des jungen Autors machte seine
Erstlingsschrift zu einem kleinen Meisterwerk. 25 Jahre alt, wurde er
Rabbiner der Religionsgesellschaft in Bingen, leitete dann einige Jahre
Distriktsrabbinat und Präparandenschule Burgpreppach, um dann zwei
Jahrzehnte hindurch mit sich von Jahr zu Jahr steigerndem Erfolge
Provinzialrabbiner von Hanau zu sein. Seine gewissenhaft geleistete
amtliche Arbeit genügte ihm nicht, nach den verschiedensten Seiten hin
bemühte er sich, der jüdischen Allgemeinheit nützlich zu werden. In den
orthodoxen Rabbinervereinigungen gewann er bald eine führende Stellung.
In den Jugendorganisationen, ob es Kaufleuten galt in der jungen Aguda,
oder Studenten in dem Verein jüdischer Akademiker, stets war er ein hoch
willkommener Lehrer und Mitarbeiter. Wohltätigkeitsvereine aller Art
wusste er zu fördern, die altjüdischen Unternehmungen in und für Palästina
rechneten auf ihn, im Kampf gegen die Feinde des jüdischen Gesetzes und
des jüdischen Volkes stand er seinen Mann. Eifrig ergeben war er dem
Studium der höchsten und ersten Wissenschaft, dem Forschen im Talmud.
Auch auf sonstigen wissenschaftlichen Gebieten fehlte er nicht. Bekannt
ist sein großes Verdienst um die Herausgabe des vor zwei Jahren
erschienenen nachgelassenen Bandes Dorot Harischonim des R. Jizchak Halevi.
Die Hauptarbeit der Jüdisch-literarischen Gesellschaft Frankfurt am Main
ruhte auf seinen Schultern.
Dr. Salomon Bamberger war der verdienstvolle Redakteur der dreizehn, sich
immer steigender Anerkennung erfreuenden Jahrbücher dieser
wissenschaftlichen Gesellschaft. Er war kein Streiter, aber ein Sieger.
Auch hier trug er den Namen Salomon nicht umsonst. Ohne Kriege erreichte
es König Salomo durch Weisheit, dass das Israelitische Reich den höchsten
Gipfel an Macht und Ansehen gewann. Unser Salomo erzielte in seinen
Gemeinden und für seine Gemeinden reibungslos, was er sich vorgesetzt;
bei allgemeinen und öffentlichen Angelegenheiten setzte er sich durch,
ohne als Kämpfer auf den Plan zu erscheinen. Sein untrügliches Gefühl für
Recht und Gerechtigkeit, seine Selbstlosigkeit, Klugheit, sein klarer
Blick in Verbindung mit stets sich gleichbleibendem liebenswürdigem und
sonnigem Wesen gaben ihm in Frieden Erfolge, wie sie andere durch Streit
und Kampf selten nur erringen. Und dieser, in den vordersten Reihen des öffentlichen
Lebens stehende Mann, wie musterhaft war er als Familienvater! In edelster
Harmonie mit seiner Gattin, der würdigen Tochter des in Fürth in
dankbarer Erinnerung lebenden Waisenhausdirektors Königshöfer, bemühte
er sich mit Liebe und Verständnis, seine Kinder zu wackeren, echten
Jehudim zu erziehen. Nächst seiner Familie gehörte seine Liebe seinen
Gemeinden. In den letzten Gesprächen, die ich mit ihm führte, erörterte
er mit liebevoller Sorge, wie sich in den jetzigen schweren Zeiten der wünschenswerte
Umbau oder Neubau der Synagoge in Hanau bewerkstelligen ließe. Die letzte
Arbeit für das nächste Jahrbuch, das er in die Druckerei trug, war eine
auf seine Anregung zurückgehende Studie eines hervorragenden
Geschichtsforschers über die Hanauer Rabbiner. In seinem weiten,
trefflichen Herzen fand sich Raum für die jüdische Allgemeinheit, für
Gemeinde und Familie. Doch damit erschöpfte er sich nicht. Jedes einzelne
Gemeindemitglied stand ihm nahe, ein seltener, herzensguter Bruder war er
den Geschwistern, der treueste Freund den Freunden.
Wie vielen ist mit ihm eine Sonne leider allzu früh untergegangen! Fügen
wir uns in |
Demut dem Willen des Höchsten – gepriesen sei er;
danken wir Ihm, dass er unserer Zeit und uns einen solchen Mann
geschenkt hat.
Es war ein ergreifendes und zugleich ein erhebendes Bild, das Hanau am
Montag in seinen Straßen erlebte: 'Und es sah der Bewohner, und sie
sprachen, eine schwere Trauer ist diese...' Schon nach Ankunft der ersten
Morgenzüge strömten die endlosen Scharen vom Bahnhof durch die Stadt.
Gegen 10 Uhr war das Rabbinerhaus und der ganze Platz davor von einer
wogenden Menge angefüllt. Im Lernzimmer, wo der Verstorbene in stiller
Abendstunde bei seinen Büchern saß, fing gegen ½ 11 Uhr die
Abschiedsfeier an, ein würdiger Auftakt zu der beredten Trauerkundgebung,
die sich bis tief in den Mittag hineinzog. Zunächst beweinte im Namen der
Familie Herr Lehrer Ochsenmann in herzlichen, schlichten Worten den
Verlust mit der Klage des Propheten: 'Es fiel die Krone von unserem
Haupte'. Herr Distriktsrabbiner Dr. Stein, Schweinfurt, sprach als Freund
des Verblichenen von den Tagen des gemeinsamen Studiums und des
gemeinsamen Wirkens in Bayern und als letzter im Hause hatte auch Herr
Distriktsrabbiner Dr. Bamberger, Kissingen, Worte treuen Gedenkens.
Nun bewegte sich der unabsehbare Zug durch die Straßen, wo die Läden zum
Zeichen der Trauer geschlossen waren und die Straßenbahnen den Verkehr
einstellen mussten, zur Synagoge. Auf der Kanzel, von wo aus der
Verstorbene zwei Jahrzehnte das Wort Gottes verkündet hatte, stand nun
der Amtskollege Landrabbiner Dr. Walter aus Kassel, der dem Schmerz der
großen Trauerversammlung in kunstvoller Rede würdigen Ausdruck zu geben
wusste. Er dankte im Namen der Gemeinden des Bezirkes. Ergreifend war es,
als nun Rabbiner Dr. Bondi, Mainz seinem intimen Freund und
wissenschaftlichen Mitarbeiter Worte der Liebe, des Abschiedes und des
Dankes widmete. Er sprach auch von den Verdiensten Bambergers um die
Literarische Gesellschaft, die jedem Leser des Jahresbuches zur Genüge
bekannt sind, wie als Mitarbeiter, Interpret und Popularisator des großen
Historikers Halevy. Er dankte auch im Namen des traditionellen
Rabbinerverbandes. Wieder klang tief empfundener Schmerz der Familie aus
dem Munde des Schwagers des Verstorbenen, Oberrabbiners Biedenburg aus
Arnheim und des Herrn Rabbiner Dr. Wolf, Köln. Dann traten nacheinander
Vertreter verschiedener Korporationen und Vereine an die Bahre, den
Scheidegruß und den Dank der Körperschaften überbringend, denen der
Verstorbene nahe stand. Herr Jacob Rosenheim – Frankfurt am Main sprach
herzliche Worte im Namen der Israelitischen Religionsgesellschaft,
Frankfurt am Main, der Jeschiwa Frankfurt am Main (die außerdem durch
zwei Herren vertreten war), der 'Freien Vereinigung' und der Palästina-Verwaltung.
Herr Dr. Hofmann sprach im Namen der Agudas Jisroel-Jugendorganisation und
des Bundes Jüdischer Akademiker. Es sprachen noch Herr Rabbiner Dr. Marx
– Darmstadt im Namen des Orthodoxen Rabbinerverbandes, Herr Rabbiner Dr.
Michalski – Burgpreppach für das Kuratorium und die Bildungsanstalt
Burgpreppach, wo der Entschlafene seine erste rabbinische Wirksamkeit und
Lehrtätigkeit ausgeübt hatte, und Herr Dr. Martin
Marx – Frankfurt am Main im Namen des Zentralvereins.
Es war bereits Nachmittagsstunde, als der Zug den Weg von der Synagoge
nach dem Friedhof antrat. Neben den Leidtragenden hinter der Bahre, die
den ganzen Weg von Männern des Heiligen Vereins getragen wurde, gingen
die offiziellen Vertreter der Stadt und der staatlichen Behörden, eine
große Anzahl von Rabbinern (von den Rabbinern der weiten Umgegend dürfte
kein einziger gefehlt haben). Dann sah man in geordneter Gruppe die Schüler
der Religionsschule und hinter ihnen die nach vielen Hunderten zählende
Menge der Trauergäste. Auf dem Friedhofe angelangt, sprachen als Freunde
und Nachbarkollegen Provinzialrabbiner Dr. Cohn – Marburg und
Provinzialrabbiner Dr. Cahn – Fulda. Den Dank der Gemeinde Hanau brachte
Herr Vorsteher Rosenberg zum Ausdruck, den des Vorsteheramtes Herr Julius
Stern, für die Kreisvorsteherämter Herr Rechtsanwalt Dr. Koreff. Zuletzt
sprachen noch Herr Lehrer Sulzbacher – Hanau den Dank der
Gemeindebeamten und der Lehrerschaft des Bezirkes aus und Herr Josef
Rothschild als geborener Hanauer legte der verwaisten Gemeinde nahe, im
Sinne des Verstorbenen Hanau zu einer 'Stätte der Tora' zu machen. Viele
Redner, so auch Vertreter des Frankfurter 'Mekor Chajim', der Orts- und
Jugendgruppe der Agudos Jisroel, konnten wegen der vorgerückten Stunde
nicht mehr zu Wort kommen.
Nach einem kalten Morgen war inzwischen die Sonne in herrlich klarem
Herbstglanze aufgegangen, und in die dumpfe Trauer schlich sich, als man
still zur Bahn pilgerte, das trostreiche Wort der Weisen zum Schriftsatze
'Es geht neue Sonne auf, wenn in Israel eine Sonne untergeht...' |
|
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2. Dezember 1920:
"Die Trauerkundgebung für den Hanauer Raw.
Die Räume des Mekor Chajim konnten am letzten Sonntag abend die
Menge der Erschienenen, die wohl nach mehreren Hunderten zählten, nicht
fassen, und wer zu spät kam, musste sich mit einem bescheidenen Stehplatz
vor der Türe begnügen. Alles war gekommen, was das Bedürfnis in sich fühlte,
das Andenken Bambergers zu ehren. Und der Verehrer dieses Mannes und
Menschen, sind eben nicht wenige.
Auf dem Podium stand als Dozent des Mekor Chaim, Herr Redakteur
Schachnowitz, der auch im Auftrage der Jugendorganisation, Ortsgruppe,
Jugend- und Mädchengruppe der Agudas Jisroel in Frankfurt wie in Hanau
sprach. Er erzählte einleitend von den Weisen, die, vom Grabe Raws zurückgekehrt,
zum zweiten Mal ihre Kleider zerrissen, da sie für die erste an sie
herantretende Frage die letzte Entscheidung des Meisters nicht mehr
anrufen konnten. Anknüpfend an diesen Talmudbericht sprach er von den
vielen Fragen, die mit dem Tode Bambergers unbeantwortet, von den vielen
Aufgaben, die jetzt ungelöst blieben. Rabbi Elieser wird auf seinem
Krankenbette nach Talmud 'Sanhedrin' Regentropfen, auch Sonnenball genannt
und zuletzt wird seine Wirksamkeit mit der von Vater und Mutter verglichen.
Diese drei Bezeichnungen nimmt Redner zum Ausgangspunkt für die
Schilderung des Charakters und der Wirksamkeit Bambergers als Rabbiner und
Lehrer, als Gelehrter und als Mensch. In seiner wissenschaftlichen
Bedeutung war er einer jener Saburäer, die nach Jahrhunderten gewaltiger
geistiger Produktion mit einer Selbstverleumdung ohnegleichen unter
Hintansetzung ihrer eigenen Ansichten, ja ihres Namens nur ordneten und
sichteten, und Epigonen wurden, wo sie Wegweiser hätten sein können. An
diesem historischen Bild bespricht Redner eingehend die Verdienste
Bambergers um die Ausgabe des arabischen Urtextes vom Mischnakommentar des
Maimonides und auch insbesondere seinen hervorragenden Anteil am
Lebenswerke Jizchok Halevis. Dann stellte Redner aus einer Reihe
menschlicher Züge des Heimgegangenen ein anschauliches Charakterbild des
Menschen Bamberger zusammen und schloss mit homiletischen Ausdeutungen von
Bibel- und Talmudstellen, die Trauer wie Trost in solchen Fällen
schmerzlicher Verluste widerspiegeln.
Die Stille und Weihe des großen Auditoriums während des ganzen Vortrages
zeigte, wie tief und innig die Verehrung für den heimgegangenen Lehrer in
aller Herzen saß. Ein Sohn sagte darauf das Kaddisch und mit dem
Maariw-Gebete schloss die eindrucksvolle Gedenkfeier.' |
Jahrzeitfeier für Rabbiner Dr. Salomon Bamberger
(1921)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 24. November 1921: |
|
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
1. Dezember 1921: |
10. Jahrzeitstag von Dr. Salomon Bamberger
(1930)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 13. November 1930: |
Ausschreibung der Stelle des Rabbinates
(1921)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 20. Januar 1921: |
Einführung des neuen Bezirksrabbiner Dr. Hirsch
Gradenwitz (1921)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
13. Oktober 1921: |
|