Der alte jüdische Friedhof in Essingen wurde nach einer
Inschrift am Eingang des Friedhofes 1618 angelegt. Archivalische Belege hierfür
fehlen, auch sind aus dieser Zeit keine Grabsteine mehr vorhanden. Eine
juristischer Vergleich aus dem Jahr 1707 belegt jedoch das hohe Alter des
Friedhofes. Demnach hatten die Juden "ungefähr vor 50 Jahren" einige
Gräber zu nahe an einer vorbeiführenden Straße angelegt. Diese Straße war in
den unruhigen Zeiten des 17. Jahrhunderts von Unkraut und Hecken fast
zugewachsen gewesen und sollte 1707 wieder angelegt werden. Der Friedhof wurde
bis ins 19. Jahrhundert hinein mehrfach erweitert. 1761 wurde er auch teilweise
aufgefüllt, sodass eine weitere Gräberschicht angelegt werden konnte. Damals
kaufte die jüdische Gemeinde vom Dalbergischen Keller in Essingen Erde zur
Auffüllung. Auf dem Essinger Friedhof wurden verstorbene Juden aus zahlreichen
(bis ca. 30) umliegenden Gemeinden beigesetzt, bis einige dieser Gemeinden
eigene Friedhöfe anlegten. Zu diesen Gemeinden gehörten im 19. Jahrhundert noch
Arzheim, Böchingen,
Edesheim, Venningen,
Altdorf, Gommersheim, Kirrweiler,
Maikammer, Diedesfeld, Böbingen, Freimersheim,
Burrweiler und Edenkoben.
1869 wurde, da der alte Teil des Friedhofes belegt war, auf der anderen Seite der
vorbeiführenden Straße ein neuer jüdischer Friedhof angelegt.
Fläche des Alten Friedhofes (Lagerbuch-Nr. 6156): 85,87 ar. Fläche des Neuen Friedhofes (Lagerbuch-Nr. 6036): 24,28 ar.
Die Inschrift am Eingang des (alten) Friedhofes (nach
Schmidt S. 113): Auf dem östlichen Torpfosten ist zu lesen: " K (?)
Ali dreifuß aus Herxheim (meherisqe) / Sohn des Benjamin, des Sohnes des
gewöhnlichen Priesters Isai aus Edenkoben (edenqove)", auf der Außenseite
des westlichen Pfostens: "Dieses Tor für jeden Lebendigen wurde erbaut
/ unter der Schatzmeisterschaft unseres Lehrers und Rabbis des Herrn / Ali, des
Sohnes des Gelehrten Herrn Benjamin, - / sein Andenken gereiche zum Segen, -
Grünebaum, dem Vorsteher des Gerichtshauses / aus dem Gerichtsbezirk Landau, -
/ Gott schütze über ihnen Glückssterne und Sternbilder, - des Sohnes Abrahams,
/ des Sohnes des Gelehrten Michael, - sein Andenken gereiche zum Segen, - / aus
Edesheim"; auf der Innenseite des westlichen Pfostens:
"Vorabend des Monatsbeginns des / Kislew des Jahres / 5tausend/ und
sechshundert / und zwei." (5602 = 1841/42).
Aus der Geschichte des Friedhofes
Schwere Schändung des Friedhofes
1928
Artikel
in der "Jüdisch-liberalen Zeitung" vom 2. März 1928: "Essingen.
(Friedhofsschändung).
Der jüdische Friedhof in Essingen bei Landau in der Pfalz wurde vor
etlichen Tagen verwüstet. 42 Grabsteine wurden umgeworfen und teilweise zerstört.
Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen eingeleitet. Als Täter wurden
Burschen im Alter von 17 bis 19 Jahren festgestellt. Der jüdische Friedhof in
Essingen dient schon seit nahezu tausend Jahren den jüdischen Gemeinden
von Speyer bis Landau als Grabstätte. Seit dem Jahre 1923 ist die
Zerstörung des Friedhofs in Essingen in der Liste der
Friedhofsschändungen in Deutschland die 52."
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8. März 1928: "Landau.
Der jüdische Friedhof in Essingen bei Landau in der Pfalz wurde vor zwei
Tagen verwüstet. 42 Grabsteine wurden umgeworfen und teilweise zerstört.
Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen eingeleitet. Als Täter wurden
Burschen im Alter von 17-19 Jahren festgestellt. Der jüdische Friedhof in
Essingen dient schon seit nahezu tausend Jahren den jüdischen Gemeinden
von Speyer bis Landau als Grabstätte."
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Wiesbaden und
Umgebung" vom 9. März 1928:
"Ein tausend Jahre alter jüdischer Friedhof zerstört.
Berlin (J.T.A.) Der jüdische Friedhof in Essingen bei Landau in der
Pfalz wurde - wie von dort telegraphiert wird - vor zwei Tagen verwüstet.
42 Grabsteine wurden umgeworfen und teilweise zerstört. Die
Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen eingeleitet. Als Täter wurden
Birschen im Alter von 17 bis 19 Jahren festgestellt.
Der jüdische Friedhof in Essingen dienst schon seit nahezu tausend Jahren
den jüdischen Gemeinden von Speyer bis Landau als Grabstätte.
Seit dem Jahre 1923 ist die Zerstörung des Friedhofs in Essingen in der
Liste der Friedhofsschändungen in Deutschland die
zweiundfünfzigste."
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 15. März 1928: "Landau.
Zwei junge Burschen haben, wie bereits bekannt, auf dem jüdischen
Friedhofe in Essingen 36 Grabsteine umgeworfen und eine Reihe Grabmäler
beschädigt. Einer, 19 Jahre alt, erhielt 10 und sein Mithelfer, 17 Jahre
alt, 6 Wochen Gefängnis."
Artikel
in der "Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung" vom 15.
März 1928: "Die Schändung des Israelitischen Friedhofes in
Essingen.
Am 17. Februar 1928 wurden im israelitischen Friedhof der Gemeinde
Essingen (Rheinpfalz) einundvierzig Grabsteine umgeworfen und zum Teil
schwer beschädigt. Wir entnehmen dem 'Landauer Anzeiger' vom Samstag, 25.
Februar 1928, nachstehende Zuschrift des Vorsitzenden des Verbandes der
israelitischen Kultusgemeinden der Pfalz:
Von Landau aus erreicht man in eineinviertel Stunden zu Fuß den
israelitischen Friedhof in Essingen. Gleich hinter dem Dorfe führt ein
bequemer Weg zu diesem Gottesacker, auf dem mehr als 5.000 Tote ruhen. Vor
vielen Jahrhunderten (bestimmt mehr als 1.000 Jahre zurück) wurde dieser
Friedhof angelegt und diente den Juden von Speyer bis Landau als
Begräbnisstätte. Es wurden bis jetzt Gräber von nachstehenden Gemeinden
aufgenommen:
Böchingen 162, Burrweiler 9, Böbingen 7, Vellheim 10, Deidesheim 7,
Dürkheim 1, Duttweiler 10, Diedesfeld 12, Edenkoben 120, Edesheim 45,
Essingen 187, Fischlingen 37, Flemlingen 1, Freimersheim 22, Freisbach 6,
Germersheim 6, Godramstein 3, Geinsheim 30, Gommersheim 55, Harthausen 2,
Hambach 26, Herxheim 56, Hochstadt 151, Ilbesheim 2, Kirchheim am Eck 2,
Ingenheim 4, Kirrweiler 136, Landau 132, Lustadt 52, Maikommer 15,
Neustadt 31, Offenbach 14, Queichheim 1, Rheinzabern 1, Rülzheim 18,
Venningen 23.
Es ist bemerkenswert, dass die Gemeinden Ingenheim und Rülzheim schon
mindestens vor 500 Jahren ihre eigenen Friedhofe anlegten, also die
Gräber in Essingen viel älter sein müssen. Auch Landau hat vom Jahre
1845 ab seinen eigenen Friedhof. In Godramstein haben nach Belegen nur bis
Ende des 16. Jahrhunderts Juden gewohnt.
Wenn ich diese Aufstellung Ihnen einsende, so geschieht es, um darauf
aufmerksam zu machen, dass man sich diese heilige Stätte in Essingen
ansehen muss, um die Gefühlsrohheit beurteilen zu können, die bisher
sonst nirgends in Deutschland in dieser Weise gewütet hat.
Einundvierzig Grabsteine sind mit Gewalt umgeworfen, zum Teil abgebrochen
und liegen zerschmettert am Boden umher. Es handelt sich in der Hauptsache
um Gräber, in denen Tote vor 150-200 Jahren zur letzten Ruhe bestattet
wurden.
Ich sage zur letzten Ruhe. Kann und darf von einer letzten Ruhe gesprochen
werden, wenn Verbrecherhände die Gräber schänden: Ein Schauer
überkommt denjenigen, der der Toten Sprach verstehen will und sie rufen
hört: 'Was haben wir euch jemals getan? Gönnt uns wenigstens die letzte
Ruhe!'
Es kann und soll meine Sache nicht sein, junge Burschen im Alter von 17-19
Jahren als Sünder anzuklagen. Ich klage vielmehr diejenigen an, die an
diesem Verbrechen durch Verhetzung in Wort und Schrift die Schuld tragen,
weil sie durch ihre Arbeit in dem jungen Kinderhirn den bösen Gedanken
pflanzten und so zur rohen Tat erstehen ließen.
Ich sprach auf dem Friedhof mit den Herren Bürgermeistern und
Gemeinderäten von Essingen; die haben alle ihr aufrichtiges Bedauern zum
Ausdruck gebracht mit dem Hinweis, dass in Essingen Christ und Jud seit
den ältesten Zeiten in bestem Einvernehmen lebten. Dies wurde mir auch
von den Israeliten in Essingen bestätigt. Die Untersuchung wird ergeben,
wer hinter dieser Freveltat steht.
Wir aber hören die Toten rufen: Schützt unsere Gräber vor diesen
Feiglingen, die uns selbst im Grabe nicht ruhen lassen!
Wie wir soeben erfahren, sind die beiden Täter, junge Burschen im Alter
von 17-19 Jahren, zu sechs Wochen beziehungsweise zwei Monate Gefängnis
verurteilt worden."
März 1928: Milde
Strafen für die Friedhofschänder
Artikel
in der "Jüdisch-liberalen Zeitung" vom 16. März 1928: "Milde
Strafen für Friedhofsschänder.
Vor dem Schöffengericht in Landau hatten sich - wie von dort telegraphiert
wird - der 19-jährige Schneidergeselle Willi Dörr und der 17-jährige
Landwirtssohn Emil Huck, beide aus Essingen in der Pfalz, wegen
Schändungen und Zerstörungen auf dem israelitischen Friedhof in Essingen
zu verantworten. Sie hatten 36 Grabsteine umgestürzt und zum Teil
zerschlagen, eine Reihe anderer Grabmäler schwer beschädigt. Die beiden
halbwüchsigen Burschen gaben weinend die Tat zu, bestritten aber, auf
Anstiften eines Dritten gehandelt zu haben. Der Staatsanwalt, der die Tat
als einen beispiellosen Rohheitsakt bezeichnete, hielt es nicht für
erwiesen, dass es sich um eine antisemitische Demonstration gehandelt
habe.
Das Gericht verurteilte Dörr als den Anstifter zu zehn und Huck zu sechs
Wochen Gefängnis.
'Vossische Zeitung' bemerkt zu den Darlegungen des Staatsanwalts: Wenn
auch bei den beiden Burschen antisemitische Motive nicht bewusst bei der Schändung
des Friedhofs mitwirkten, so sind sie eben Opfer jener schamlosen
antisemitischen Hetze geworden, die durch die Nationalsozialisten in die Landbevölkerung
der Pfalz hineingetragen
wird."
Schändung des Friedhofes im September 2013
Gemeinsame Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft
Landau und des Polizeipräsidiums Rheinpfalz:
"In Essingen wurden jüdische Grabsteine geschändet.
Essingen. Die Staatsanwaltschaft Landau und das Polizeipräsidium Rheinpfalz veröffentlichen den Fall einer Grabschändung auf dem Essinger Jüdischen Friedhof.
Vor dem Nachmittag des 15. September beschädigten unbekannte Täter auf dem Jüdischen Friedhof in der Gartenstraße mehrere Grabsteine.
Zwei Grabsteine aus Sandstein wurden umgeworfen und beschädigt. Auf elf weiteren Grabsteinen brachten die Täter mit Farbe volksverhetzende Parolen auf. Das Fachkommissariat für politisch motivierte Kriminalität beim Polizeipräsidium Rheinpfalz hat die Ermittlungen wegen Volksverhetzung und Sachbeschädigung aufgenommen.
Bislang gibt es keine Hinweise auf Tatverdächtige. Der genaue Sachschaden steht derzeit noch nicht fest." Hinweise auf die Täter bitte an: Polizeipräsidium Rheinpfalz
Wittelsbachstraße 3 67061 Ludwigshafen Telefon: 0621/963-0.
Fotos (Fotos: Hahn, Aufnahmedatum: 26.8.2004)
Der alte Friedhof
Eingangstor zum
alten Teil
Blick über den
Friedhof
Teilansichten
Teilansichten
Einzelne
Grabsteine
Der neue Friedhof
Eingangstor zum
neuen Friedhof
Hinweistafel
Blick über den
Friedhof vom Eingangstor
Teilansichten
Einzelne
Grabsteine
Einzelne
Grabsteine
Hinweis auf ein Video von Michael Ohmsen - Gang über die jüdischen Friedhöfe
in Esslingen
Franz Schmidt: Die Steine reden. Zeugnisse jüdischen Lebens im
Landkreis Südliche Weinstraße. (Hg. vom Landkreis Südliche Weinstraße).
Rhodt 1989.
Bernhard Kukatzki/Mario Jacoby: Der alte jüdische Friedhof in
Essingen. Schifferstadt/Pfalz 1993. 44 S.
Bernhard Kukatzki: Der alte jüdische Friedhof in Essingen. In:
SACHOR. Beiträge zur Jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit
in Rheinland-Pfalz Heft. Hrsg. von Mathias Molitor und Hans-Eberhard
Berkemann in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung
Rheinland-Pfalz. Erschienen im Verlag Matthias Ess in Bad Kreuznach. 4.
Jahrgang Ausgabe 2/1994 Heft Nr. 7. S. 33-41. Online
eingestellt (pdf-Datei).
Frowald G. Hüttenmeister: Jüdischer Friedhof Essingen. In: "Ein
edler Stein sei sein Baldachin ..." Hg. vom Landesamt für
Denkmalpflege Rheinland-Pfalz. [Katalog u. Ausstellung: Martina Strehlen].
Mainz 1996. S. 155-161.
Andrea Döhrer/Jutta Illichmann/Rosemarie Kosche:
Jüdischer Friedhof in Essingen: wissenschaftliche Erfassung.
Jiddistik-Mitteilungen. Nr. 11 = 1994, S. 17-20.
Tobias Benner: Spuren jüdischer Geschichte in
Essingen: In: SACHOR. Beiträge zur Jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit
in Rheinland-Pfalz. Hrsg. von Matthias Molitor
und Hans-Eberhard Berkemann in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für
politische Bildung Rheinland-Pfalz. Erschienen im Verlag Matthias Ess in Bad
Kreuznach. 7. Jahrgang Ausgabe 2/1997 Heft Nr. 14 S. 71-77. Online
eingestellt (pdf-Datei).
Klaus Cuno: Zum ältesten bekannten Epitaph des jüdischen
Friedhofs in Essingen. In: Jiddische Philologie. Hg. von Walter Röll. Tübingen
1999. S. 98-109.
Michael Brocke/Christiane E. Müller: Haus des Lebens.
Jüdische Friedhof in Deutschland. Leipzig 2001. S. 143-144.
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