Baisingen Friedhof 154.jpg (62551 Byte)  Segnende Hände der Kohanim auf einem Grabstein in Baisingen


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Merchingen (Stadt Ravenstein) mit Osterburken (Neckar-Odenwald-Kreis) 
Jüdische Geschichte / Betsaal/Synagoge 

   
Übersicht:  

bulletZur Geschichte der jüdischen Gemeinde  
bulletBerichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde   
Aus der Geschichte des Bezirksrabbinates in Merchingen   
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer und der Schule   
Berichte zu einzelnen Personen aus der Gemeinde 
Anzeigen jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen  
Kennkarte aus der NS-Zeit      
bulletZur Geschichte der Synagoge   
bulletFotos / Darstellungen 
bulletErinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte    
bulletLinks und Literatur   

  

Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english version)         
       
In dem bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts als Besitz der Herren von Berlichingen zum Ritterkanton Odenwald gehörenden Merchingen bestand eine jüdische Gemeinde bis 1938. Ihre Entstehung geht in die Zeit des 17. Jahrhunderts zurück. Bisweilen angestellte Vermutungen, dass bereits im Mittelalter Juden am Ort lebten (während einer Verfolgung von Krautheim nach Merchingen geflohene Personen), ließen sich bislang nicht bestätigen. 
  
1740 lebten 40 jüdische Familien am Ort (210 Personen). 
 
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie folgt: 1809 31 jüdische Familien, 1812 68 Familien, 1825 250 jüdische Einwohner (26,0 % von insgesamt 962 Einwohnern), 1849 Höchstzahl mit 325 jüdischen Einwohnern, 1875 218 (19,5 % von insgesamt 1.116), 1900 101 (10,4 % von 967), 1910 74 (8,1 % von 910).  
 
An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde eine Synagoge (s.u.), eine jüdische Schule (bis zur Einrichtung einer gemischt-konfessionellen Schule 1869 eine Elementarschule), ein rituelles Bad (in einem kleinen zweigeschossigen Häuschen bei der Schafbrücke, Ulmenstraße 5, um 1960 abgebrochen, in einer angebauten Remise wurde ein Sargwagen aufgewahrt) und einen Friedhof. Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war (neben dem Bezirksrabbiner) ein Lehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war. Bei der Einteilung der badischen Rabbinatsbezirke wurde Merchingen Sitz eines Bezirksrabbinates, dem im Laufe der Zeit bis zu 19 jüdische Gemeinden angehörten, darunter Adelsheim, Walldürn und Buchen. Seit 1886 wurde das Rabbinat Merchingen vom Bezirksrabbinat Mosbach aus versehen. Das Rabbinatsgebäude stand neben der Synagoge (zuletzt als Wohnhaus genutzt, 1965 abgebrochen, heute Garten bei der Synagoge). 
   
Als Bezirksrabbiner in Merchingen amtierten: Zacharias Staadecker (1832-1857), Dr. Julius Fürst (1858-1860), Baruch Hirsch Flehinger (1861-1886) sowie - noch unter Bezirksrabbiner Flehinger als Rabbinatsvikar (bzw. Rabbinatsverweser) Dr. Louis Heilbut (1883-1884). 1884 wurde die Stelle noch einmal ausgeschrieben (s.u.), 1885 jedoch gemeinsam mit dem Bezirksrabbinat in Wertheim und wenig später mit dem seit 1886 in Mosbach tätigen und von dort aus auch für die Rabbinatsbezirke Wertheim und Merchingen tätigen Rabbiner Dr. Leopold Löwenstein besetzt (vgl. dazu unten im Bericht zum Tod von Abraham Strauß).
   
Unter den Lehrern in Merchingen sind zu nennen: Lehrer D. Callner (Kallner; 1882-1909, siehe Artikel unten), Bravmann (1909 oder bereits zuvor bis 1938).  
  
Neben Vieh- und Fruchthandel betrieben die Merchinger Juden Ladengeschäfte oder betätigten sich als Handwerker.  
 
Auf dem Gefallenendenkmal 1870/71 und 1914/18 beim Schloss und auf einer Wandtafel im Rathaus finden sich auch die Namen und Bilder der jüdischen Gefallenen und Kriegsteilnehmer aus Merchingen. Im Ersten Weltkrieg sind aus der jüdischen Gemeinde gefallen: Nathan Kahn (geb. 4.5.1880 in Oberaltertheim, gef. 13.10.1916), Jakob Ostheimer (geb. 27.10.1882 in Merchingen, gest. 26.8.1914 in Gefangenschaft), Martin (Morton) Rhonheimer (geb. 20.9.1893 in Merchingen, gef. 18.4.1918). Außerdem ist gefallen: Philipp Kallner (geb. 21.7.1892 in Merchingen, vor 1914 in Mainz wohnhaft, gef. 28.7.1915)
  
1924 wurden noch 68 jüdische Einwohner gezählt (7,5 % von insgesamt etwa 900 Einwohnern). Damals waren die Vorsteher der Gemeinde Nathan Ostheimer, Julius Fleischhacker und Albert Rödelsheimer. Als Religionslehrer, Kantor und Schochet war Heimann Bravmann tätig. Er unterrichtete an der Religionsschule der Gemeinde sieben Kinder. Unter den jüdischen Vereinen wird der Wohltätigkeitsverein Chewra schel Poale touw (Verein der Werke des Guten) genannt (1924 unter Leitung von Nathan Ostheimer).  Zur jüdischen Gemeinde in Merchingen gehörten auch die 1924 in Osterburken lebenden acht jüdischen Personen (1932 sieben). 1932 gehörten der jüdischen Gemeinde 62 Personen an, weiterhin unter dem Vorsitz von Nathan Ostheimer. Auch Lehrer Bravmann war noch in der Gemeinde. Er hatte im Schuljahr 1931/32 neun Kinder in Religion zu unterrichten.    
    
An ehemaligen, bis nach 1933 bestehenden Handels- und Gewerbebetrieben sind bekannt: Schuhgeschäft Simon Falk (Eichenstraße 2), Metzgerei und Schächterei Adolf Fleischhacker (Eichenstraße 7, abgebrochen), Einzelhandels- und Lebensmittelgeschäft Nathan Fleischhacker (Akazienstraße 3), Lebensmittelgeschäft Fam. Götz (Kastanienweg 2, Buchenweg 1/3 abgebrochen), Textilgeschäft Hermine Kahn (Eichenstraße 12), Textilgeschäft Fam. Levi (Eichenstraße 18), Viehhandlung Fam. Mai (Holunderweg 4), Haferflockenherstellung und Grünkernerzeugung Fa. Rhonheimer (Birnbaumweg 1), Viehhandlung Max Rhonheimer (Buchenweg 17), Schuhgeschäft Albert Rödelsheimer (Eichenstraße 4).   
   
1933 lebten noch 38 jüdische Personen in Merchingen (4,7 % von insgesamt 827 Einwohner). Auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts, der auch in Merchingen zunehmenden Repressalien und der Entrechung sind in den folgenden Jahren die meisten jüdischen Einwohner abgewandert oder ausgewandert. 19 konnten in die USA, England und Palästina emigrieren. Die letzten drei jüdischen Einwohner (Julius und Selma Fleischhacker, Thekla Ullmann) wurden am 22. Oktober 1940 von Merchingen nach Gurs deportiert.      
    
Von den in Merchingen geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"):  Emilie Adler geb. Strauß (1869), Jette Buxbaum (1873), Joel (Julius) Emrich (1867, vgl. Kennkarte unten), Karoline Emrich (1871), Wolf Emrich (1855), Emil Fleischhacker (1910), Gustav Fleischhacker (1907), Ida Fleischhacker geb. Weil (1891), Julius Fleischhacker (1880), Nathan Fleischhacker (1887), Selma Fleischhacker geb. Fleischhacker (1886), Siegmund Fleischhacker (1883), Emma Grünebaum geb. Ullmann (1871), Emil Gutmann (1870), Sophie Jacob (1870), Betty Löwenthal geb. Stadecker (1876), Babette Mai (1868), Bertha Mai geb. Reis (1868), Max Mai (1872), Gerda Meierhof geb. Kuder (1899), Lina Ostheimer (1874), Lina Rosenthal (1873), Baruch Rothschild (1859), Max Strauß (1874), Julius Thalheimer (1869), Berta Tänzer geb. Strauß (1876), Leon Ullmann (1873), Thekla Ullmann geb. Wertheimer (1866), Thekla Woll geb. Levy (1894). 
 
Im Mai 2012 wurden vor dem Haus Akazienstraße 4 "Stolpersteine" für das Ehepaar Nathan Fleischhacker und Ida geb. Weil verlegt, die im Hause gegenüber in der Akazienstraße 3 lebten (vgl. Link zum Pressebericht unten).    
     
Aus Osterburken werden in den genannten Listen keine Personen genannt.    
      
      
      
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde       
      

Aus der Geschichte des Bezirksrabbinates in Merchingen          

Zum Tod von Bezirksrabbiner Zacharias Staadecker (Stadecker, 1857)       

Merchingen AZJ 28091857.jpg (185826 Byte)Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 28. September 1857: "Merchingen, im Großherzogtum Baden, im August (1857). Nekrolog. Nach längerem Leiden starb am 25. August, in einem Alten von 58 Jahren, Bezirksrabbiner Zacharias Staadecker von hier, nachdem derselbe dem diesseitigen Rabbinate ein Vierteljahrhundert vorgestanden.
Derselbe gehörte entschieden der Klasse der strenggläubigen Rabbiner an, war aber auch in vielen anderen Beziehungen ein höchst achtenswerter Charakter. Er suchte zu belehren, zu überzeugen und seine religiöse Anschauung zu verbreiten; ließ sich aber da, wo seine lehren keinen Eingang, keinen fruchtbaren Boden fanden, weder von leidenschaftlichen Ausbrüchen noch gar von Verfolgungen hinreißen. 
Nächst der Toleranz zeichneten ihn Bescheidenheit, Demut und Genügsamkeit aus, ein Dreigestirn, das wir in unserer Zeit so selten vereinigt finden! 
Sein umfassendes rabbinisches Wissen veranlasste ihn nie zu jener orthodoxen Arroganz, die viele seinesgleichen kennzeichnet. Auch auf hierin minder befähigte Kollegen sah er nie gering schätzend herunter, wusste vielmehr das anderweitige Wissen jener gebührend zu würdigen. 
Aber trotz seiner streng talmudischen Denkens und Lebens, war er den Anforderungen der Zeit nie entgegen getreten, sobald er die Überzeugung gewonnen, dass das religiöse Leben dadurch nicht beeinträchtigt oder gefährdet werde. 
Mit diesen Eigenschaften ausgerüstet, stand er unermüdet, ja oft nur mit zu großer Ängstlichkeit seinem Berufe vor. Sein Leichenbegängnis bekundete die Anhänglichkeit nicht nur der seiner geistlichen Obhut anvertrauten Gemeinden, sondern sogar von zehnstündiger Entfernung eilten Leute herbei, um ihm den letzten Liebesgang zu erzeigen. Sämtliche angrenzende Orte Württembergs waren zahlreich vertreten. Noch nie ist hier und in der Umgegend ein größerer und feierlicherer Leichenzug gesehen worden. Erschütternd war insbesondere der Moment, als die Leiche in die Synagoge getragen und an der Stelle niedergesetzt wurde, von der der Verstorbene so oft sein mahnendes Wort ertönen ließ.
Zuerst trat ein intimer Freund der Verstorbenen, Herr Rabbiner Hirsch Berlinger von Berlichingen, auf und hielt einen rabbinischen Vortrag. Nach ihm sprach noch Herr Bezirksrabbiner Löwenstein von Tauberbischofsheim und Herr Bezirksrabbiner Weil von Mosbach. Ersterer in der Synagoge, letzterer auf dem Friedhofe. Beide Redner forderten mit eindringlichen Worten die Umstehenden auf, die Liebe zu dem Entschlafenen auf dessen Hinterlassenen zu übertragen. Derselbe hinterlässt nämlich eine kranke Witwe mit 8 Kindern, von denen 6 noch unmündig, das jüngste erst 3 Jahre alt ist.  R."      

  
Das Bezirksrabbinat wird mit Dr. Julius Fürst besetzt (1858)      
Anmerkung: Dr. Julius Fürst (geb. 1826, gest. 1899 Mannheim; Sohn des Rabbiner Salomon Fürst): Rabbiner in Endingen/Schweiz 1854 bis 1858, danach in Merchingen, Bayreuth und Mainz, 1880-1899 Rabbiner an der Klaus in Mannheim (gab 1890 ein "Glossarium Graeco-Hebraeum" heraus, in dem er die im rabbinischen Schrifttum enthaltenen griechischen und lateinischen Worte verzeichnete und ihre Bedeutung in Midrasch und Talmud erforschte).  

Merchingen AZJ 15031858.jpg (101729 Byte)Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 15. März 1858: "Aus dem Rabbinatsbezirke Merchingen (Baden), im März (1858). Das Rabbinat Merchingen ist nun wieder definitiv besetzt. Bei der am 27. Dezember vorigen Jahres stattgehabten Beratung der 17. Vorsteher des Bezirks wurde Herr Dr. Julius Fürst, zur Zeit Rabbiner in Endingen in der Schweiz, einstimmig zum diesseitigen Bezirksrabbiner gewählt, welche Wahl nun auch bereits Großherzoglicher Oberrat und hohes Ministerium genehmigt hat.   
Diese Wahl hat im ganzen Lande Sensation erregt, denn man glaubte sicher, dass der diesseitige Bezirk einen Mann von altem Schrot und Korn, d.h. der nur Lamden und Chusid (sc. frommer Talmudgelehrter) ist, wählen würde. Allein das alte lateinische Sprichwort: die Zeiten ändern sich und mit ihnen ändern auch wir uns, hat sich auch hier wieder bewährt. Jede Zeit macht ihre Anforderungen geltend, und dringt, trotz aller Hindernisse, endlich durch. Auch bei uns ist man zur Überzeugung gelangt, dass ein Rabbiner mehr als Talmud kennen muss, wenn er seiner hohen Aufgabe zeitgemäß entsprechen soll.  
In dem Gewählten glauben wir den Mann gefunden zu haben, der mit gediegenen talmudischen Kenntnissen auch ein anderweitiges gründliches Wissen verbindet, und der bei seinem sanften Charakter, so Gott will, recht segensreich wirken wird, wozu ihm ein weites Feld geboten ist."

    
Über das Wirken des Bezirksrabbiners Dr. Fürst (Bericht von 1859)     

Merchingen AZJ 01011859.jpg (71822 Byte)Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 1. Januar 1859: "Merchingen, im November (1859). Erlauben Sie mir, jetzt, nach Verlauf von dreiviertel Jahren, in Kurzem das Wirken unseres neuen Bezirksrabbiners Herrn Dr. Fürst zu zeichnen. Um zunächst vom Gottesdienste zu beginnen, so hat es alle Freunde der Religion gefreut, dass unser Rabbiner sogleich sein Augenmerk darauf gewendet, und sowohl hier wie in den sämtlichen Gemeinden des Bezirks durch angemessene Ordnung, Einführung von Gesang und angemessenen Vortrag der Gebete, auch hier und da durch Einfügung deutscher Gebete den Gottesdienst zu heben versuchte. Erleichtert wurde ihm dies durch das bereitwillige Entgegenkommen erleuchteter Synagogenräte und namentlich der Lehrer und Vorbeter. Ich erwähnte hier namentlich ein Zirkular unseres Bezirksrabbiners über den     
Merchingen AZJ 01011859a.jpg (407271 Byte)Gottesdienst am Jom Kippur (? hebräische Buchstaben nicht lesbar), dann die Einführung der Konfirmation hier und in den übrigen Gemeinden; letztere fand hier am Wochenfeste statt und hatte durch die herrliche Predigt den erhebendsten Eindruck auf die zahlreichen Zuhörer gemacht. Schon im Hinblick auf die Ankunft unseres Rabbiners hatte sich ein Männergesangverein gebildet, welcher alsdann den Herrn Rabbiner mittelst eines Schreibens ersuchte, die Stelle als Ehrenpräsident anzunehmen. Dieser Verein hat schon ebenfalls durch seine Produktionen viel zur Verherrlichung des Gottesdienstes beigetragen. Im laufe des Sommers erfreuten wir uns an solchen Sabbaten, wo Herr Dr. Fürst nicht in auswärtigen Gemeinden war, um die Schulen zu inspizieren und zu predigen, einer Predigt, und statt des bisher eingeführten Schiur (Lernstunde) am Nachmittag einer Homilie in der Synagoge, in den Wintermonaten wird meist bloß eine Homilie abgehalten. Dieselben werden mit großem Eifer gehört und erfreuen sich des größten Beifalls. Die gleich Sorge wie dem Gottesdienst wendet er dem Schulweisen zu; wöchentliche mehrere Male besucht er die hiesige Schule, und sucht bei Behörden wie bei Gemeinden zur Verbesserung des Schulwesens zu wirken. Es sind z.B. in dem Bezirk drei Gemeinden zu mittellos zur Besoldung eines Religionslehrers; während die Kinder für den Elementarunterricht die christliche Ortsschule besuchen, müssen sie eine Stunde weit gehen in die Religionsschule des nächsten Ortes. Herr Fürst forderte daher in jeder seiner Gemeinden zur Gründung eines Bezirksvereins auf, damit allmählich solchen mittellosen Gemeinden zur Besoldung eines Lehrers beigesteuert werden könne. Bei jeder Festmahlzeit wird zu diesem Behufe kollektiert, und unterziehen sich meist die Lehrer der Sammlung der ständigen Beiträge. Es wird wohl einige Jahre dauern, bis der Zweck erreicht werden kann; allein besser spät als gar nicht, und ist das Unternehmen unseres Rabbiners umso löblicher, dass er sich durch die späte Erfüllung nicht abhalten lässt. In ähnlicher Weise hat derselbe bei der Behörde für diesen Zweck gewirkt. Es werden nämlich nach einer Verordnung des höchstseligen Großherzogs Karl Friedrich vom Jahre 1809 aus hierzu erhobenen Steuern sämtlicher Israeliten des Landes eine Anzahl junger Leute jährlich zur Erlernung eines Handwerks unterstützt und außerdem arme Israeliten mit kleineren Gaben jährlich bedacht. Die Rabbiner haben jährlich über die eingehenden Gesuche durch die Ämter an die Kreisregierungen zu berichten. Herr Rabbiner Fürst nahm hiervor Anlass, in seinem Berichte darzustellen, dass die aus jenen Unterstützungsgeldern an Arme verabreichten Gaben zu klein seien, um wirksam helfen zu können, dass sie oft zu einer Zeit kommen, wo es der Arme weniger bedarf und verbraucht, während es im Fall dringender Not fehle. Hier wüssten die Ortsvorgesetzten besser Zeit und Verhältnisse abzuwägen, und man möge diesen die Sorge für ihre Armen ganz überlassen; diese Gelder, wie sie jetzt verteilt wären, seien meist nutzlos vergeudet. Dagegen schilderte er die Übelstände solcher Gemeinden, welche zu arm sind, um Lehrer zu besolden, deren es im ganzen Lande sicherlich viele gebe, und bat schließlich, dass dahin gewirkt werde, dass diese Unterstützungsgelder zur Anstellung von Lehrern in armen israelitischen Gemeinden verwendet werden; diese könnten dann umso eher für ihre Armen selbst sorgen. Der zur Unterstützung israelitischer Handwerkslehrlinge bestimmte Teil solle fortwährend diesem Zwecke dienen; aber man müsse hier dem oft eintretenden Falle entgegentreten, dass israelitische Handwerker oft ihren gewählten Beruf verlassen. Mit Rücksicht darauf, dass solche Fälle weniger in der Stadt vorkommen, als auf dem Lande, sei zu erwägen, dass auf dem Lande ein Handwerker von seinem Gewerbe allein ohne Landbesitz sich nicht nähren könne, da christliche Handwerker auf dem Lande meist ererbten Grundbesitz haben. Daher sei dem israelitischen Handwerker, der seinen Wohnsitz nicht wählen könne, wie er sich für die Betreibung seines Gewerbes am meisten eigne, oft zu jenem Wechsel des Berufes genötigt. Solle daher der wohltätige Zweck Carl Friedrichs nicht illusorisch werden, so müsse man die Hindernisse dazu wegräumen, und es müsse dem Israeliten gleichfalls das Recht gewährt sein, in jedem Ort des Großherzogtums sich nach gehörigem Ausweis das Bürgerrecht zu erwerben. Am Schluss wird die Hoffnung ausgesprochen, dass das Werk Carl Friedrichs durch die hochherzige Gesinnung seines Enkels in derselben humanen und gerechten Weise auch zu Ende geführt werde. Zu wünschen ist, dass sämtliche Rabbinen, welche ja jährlich Gelegenheit dazu haben, ebenfalls diese Anträge stellen; alsdann ist zumal bei dem jetzigen Systemwechsel in Preußen, der auch auf die kleineren Staaten von Einfluss sein wird, eine Besserung in diesen Beziehung zu hoffen. Wir freuen uns indes, das unser Bezirksrabbiner den    
Merchingen AZJ 01011859b.jpg (64027 Byte)Anfang hierzu gemacht und offen den Behörden die Nachteile dargelegt hat, wie sich denn derselbe mit Eifer und großer Uneigennützigkeit dem Wohle seiner Gemeinden und der Förderung der religiösen Interessen widmet. So erteilt derselbe mehreren jungen Leuten, die sich hier für das Schulfach oder das Studium der Theologie vorbereiten, unentgeltlich zwei Stunden täglich Unterricht im Talmud. So entfaltet er nach allen Seiten seine ersprießliche Tätigkeit und gratulieren wir uns aufrichtig, Herrn Dr. Fürst seinem Vaterlande und unserem Bezirke gewonnen zu haben, und nehmen wir mit Vergnügen wahr, dass derselbe ebenfalls gern unter uns weilt.  Aron Rosenfeld, Hauptlehrer."  

    
Zur Rabbinerwahl in Merchingen (1860)      

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 24. April 1860: "Aus dem Rabbinatsbezirke Merchingen (in Baden). Der Schluss des Artikels in No. 14 dieser Zeitung datiert: 'Mannheim, den 11. März', konnte leicht zu der Ansicht führen, als hätte Herr Rabbiner Löwenstein bei der jüngsten Rabbinerwahl in Merchingen (am 1. März) während des Wahlaktes einen Kandidaten der Würzburger Schule zur Wahl vorgeschlagen. Dem ist aber nicht so. Herr Rabbiner Löwenstein hat während der Wahlhandlung keinen Bewerber namhaft gemacht. Allein dass der Erfolg der Wahl den Herrn Wahlkommissar sehr unangenehm berührt hat, dass er viel lieber einen Bewerber aus der hyperorthodoxen Würzburger Schule gewählt gesehen hätte, daran wird niemand zweifeln, der die vor der Wahl gehaltene Rede mit angehört, und die Richtung des Herrn Rabbiner Löwenstein kennt. 
Bei der Ernennung desselben zum Wahlkommissar gab man sich von gewisser Seite der süßen und sichern Hoffnung hin, dass nunmehr die Wahl eines Hyperorthodoxen gesichert sei, selbst wenn er nicht einmal korrekt Deutsch zu schreiben vermöge. Allein die Herren Vorsteher des Bezirks dachten anders als die beiden Herrn Bezirksältesten. Die große Mehrheit der Gemeinden sich zu der Überzeugung gelangt, dass ein Rabbiner der Jetztzeit mehr als Talmud kennen muss, wenn er seinen Bezirk nach innen und außen würdig und segensreich vertreten soll. Was von der Zeit einmal als Bedürfnis anerkannt ist, das dringt auch in die äußersten Schichten, und nur eine kranke Phantasie kann sich das Veraltete als eine neue Zukunft vormalen. 
Zur Wiederbesetzung unserer Rabbinatsstelle haben bereits drei Besprechungen, respektive Wahlen stattgefunden. Bei den zwei letzten hat Herr Rabbiner Flehinger von Meisenheim jedes Mal die Majorität der Stimmen erhalten. Bei der letzten sogar von 17 Stimmen 15; denn nach dem jüngsten Beschlusse Großherzoglichen Oberrats vom 10. Februar dieses Jahres No. 123, hat der bei der Wahl persönlich zu erscheinende Synagogenrats-Vorsteher nicht etwa seine subjektive Ansicht, sondern vielmehr die seiner Gemeinde auszusprechen. Von den fünf Gemeinden, deren Vorsteher nicht für Flehinger gestimmt, hat aber die Majorität dreier Gemeinden die Erklärung abgegeben: dass sie mit der Wahl ihrer Vorsteher nicht einverstanden sind, sie ihre Stimmen vielmehr ebenfalls für Flehinger abgeben. 
Wir wollen nun ruhig abwarten, ob unser Großherzoglicher Oberrat den 2 Stimmen mehr Rechnung trägt, als den 15. Dem Gerückte, dass derselbe eine 4te Wahl anordnen werde, können wir kaum Glauben schenken."     

 
Werbeanzeigen für eine Publikation von Bezirksrabbiner Flehinger (1880) 

Merchingen AZJ 31081880.jpg (43121 Byte)Anzeige in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 31. August 1880: "Wiederholt sei hiermit empfohlen: Flehinger’s Rabbiner in Merchingen. Erzählungen aus den heiligen Schriften der Israeliten für die kleinere israelitische Jugend. 18. Auflage. Preis geb. 75 Pfennig. –
dto. Für die reifere israelitische Jugend. 4. Auflage. Brochürt 2 Mark. 
Es sind Exemplare durch alle Buchhandlungen zu beziehen. 
Jäger’sche Buch-, Papier- und Landkartenhandlung, Frankfurt am Main."
 
   
Merchingen AZJ 12101880.jpg (46019 Byte)Anzeige in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 12. Oktober 1880: "Wiederholt sei hiermit empfohlen: Flehinger’s, Bezirks- und Konferenz-Rabbiner in Merchingen (Großherzogtum Baden), Erzählungen aus den heiligen Schriften der Israeliten…"   wie oben 
  
Merchingen Lit 01.jpg (58741 Byte) Merchingen Lit 01a.jpg (47123 Byte)

Links: Titelblatt der "Erzählungen und Belehrungen aus den heiligen Schriften der Jisraeliten, nebst einem Anhange: Begebenheiten in den Tagen Mathithjahu's und seiner Söhne. Dargestellt für die reifere israelitische Jugend von B. H. Flehinger, Bezirksrabbiner in Merchingen. Dritte verbesserte Auflage. Frankfurt am Main, Jaeger'sche Buch=, Papier= und Landkartenhandlung. 1865." 

     
Spendenaufruf von Bezirksrabbiner Flehinger für eine in Not geratene Familie (1882)  

Merchingen Israelit 06121882.jpg (84541 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 6. Dezember 1882: "Aufruf und dringende Bitte! 
Ich erlaube mir, die israelitischen Glaubensgenossen um ihre Mildtätigkeit anzurufen. 
Vor einigen Jahren starb einer unserer Glaubensbrüder des diesseitigen Bezirks, welcher als ein ehrenhafter, frommer Mann vielfach bekannt war. Er hinterließ eine greise, gebrechliche Witwe, welche leider nunmehr sehr wenig Augenlicht besitzt. Ferner noch einen stets arbeitsunfähigen Sohn, welche beide auf immer den Beistand ihres Sohnes und Bruders bedürfen. Auch dieser wurde nach dem Tode seines Vaters von harten Schicksalen und Krankheit so heimgesucht, dass nach Verlauf von bereits 1 Jahr sein Geschäft gerichtlich verkauft wurde. Um nunmehr wieder ein Geschäft gründen zu können, wodurch die schwer geprüfte Familie den weiteren Unannehmlichkeiten und vielleicht gar noch der Obdachlosigkeit entrissen werden kann, bedarf es den Anspruch um baldige Hilfe und bitte daher dringend um wohlwollende Beiträge, die ich anzunehmen und weiterzubefördern gern bereit bin. 
Merchingen, am 23. November 1882. Großherzoglicher Badischer Bezirksrabbiner Flehinger
Wir sind gern bereit, Gaben in Empfang zu nehmen und weiterzubefördern. Die Expedition des 'Israelit'."  

    
Zum Tod von Rabbiner Baruch Hirsch Flehinger (1890)   

Merchingen AZJ 27021890.jpg (46481 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 27. Februar 1890: "Darmstadt. Vor kurzem starb hier der pensionierte Bezirks- und Konferenz-Rabbiner B. H. Flehinger im Alter von 80 Jahren. Derselbe war früher Rabbiner in Meisenheim und in Merchingen im Großherzogtum Baden. - Als Konferenz-Rabbiner war er auch Mitglied des Großherzoglichen Oberrats der Israeliten. Er war Verfasser zweier biblischer Geschichtsbücher, wovon das für die ‚kleinere Jugend’ 20 und das für ‚reifere Jugend’ 5 Auflagen erlebte." 
    
Merchingen AZJ 28021890.jpg (25180 Byte)Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 28. Februar 1890: "Karlsruhe, 20. Februar (1890). Der frühere Bezirksrabbiner Dr. Flehinger von Merchingen, bekannt als Herausgeber eines Geschichtsbüchleins für die israelitische Jugend, ist, 80 Jahre alt, in Darmstadt gestorben."            

  
Zum Tod von Bezirksrabbiner (Rabbinatsverweser) Dr. Louis Heilbut (1884)     
Dr. Louis Heilbut (geb. 1849 in Altona, gest. 1884 in Merchingen): studierte bei Rabbiner Jakob Ettlinger in Altona, dann bei Dr. Esriel Hildesheimer in Berlin: zunächst Prediger in Tarnowitz, dann in Frankfurt am Main und Biblis, seit 1883 für ein Jahr bis zu seinem plötzlichen Tod Rabbinatsvikar (noch unter Rabbiner Flehinger) / rabbinatsverweser in Merchingen und Tauberbischofsheim.                

Merchingen Israelit 28081884.jpg (63793 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. August 1884: "Merchingen, 24. August (1884). Herr Dr. Heilbut, unser allbeliebter Rabbiner, wurde gestern plötzlich im blühendsten Mannesalter vom Tode dahingerafft. Der Verstorbene war ein Schüler Dr. Hildesheimers, war anfangs in Tarnowitz Prediger und wurde schließlich hier als Rabbiner angestellt. Seine wahre Frömmigkeit, seine gediegene wissenschaftliche Bildung sowie sein liebenswürdiger Charakter werden ihm in den Herzen aller, die ihn kannten, ein unauslöschliches Andenken bewahren."
   
Merchingen Israelit 04091884.jpg (161589 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4. September 1884 (der Abschnitt wird leicht abgekürzt zitiert): "Merchingen (Baden). Am Tag des Heiligen Schabbat, dem 2. Elul (= Schabbat, 23. August 1884). Eine tief traurige Veranlassung ist es heute, die mich bitten lässt, die Spalten Ihrer geschätzten Zeitung zu benützen, um einen unersetzlichen Verlust, den die Gesamtheit (= das Judentum) leider erlitten, zu registrieren, mehr noch das Bewusstsein dieses Verlustes wach zu erhalten.   
Unser geliebter Führer, Herr Dr. Louis Heilbut – das Andenken an den Gerechten ist zum Segen – weilt seit dem Vortag zum 1. Elul (= Donnerstag, 21. August 1884) nicht mehr unter uns – denn Gott hat ihn genommen – Seit einem Jahre als Verweser der Bezirksrabbinate Merchingen und Tauberbischofsheim tätig, ist es ihm durch sein segensreiches, pflichttreues Wirken gelungen, sich die allseitige Liebe, Verehrung und Hochachtung weit über die Marken seines Amtskreises in seltener Weise zu erringen, was die äußerst zahlreiche Beteiligung von nahe und ferne, trotz Freitag (Vortag vor Schabbat), bei seiner heute stattgefundenen Beerdigung bekundete. Die nichtjüdische Bevölkerung; der Gemeinderat in corpore, die verehrliche Geistlichkeit, Lehrer und Schüler der Kommunalschulen nahmen den gleichen Anteil und es dürften nur wenige Augen tränenleer bei dem unabsehbaren Trauerzuge geblieben sein. ... – Eine gesetzestreue Jugend heranzubilden war die Zielscheibe seines unablässigen Strebens. 
Bei Herrn Bezirksrabbiner Dr. L. Heilbut - unser Lehrer, der Herr und unser Meister, Herr Jehuda, das Andenken an den Gerechten ist zum Segen - fand der Segensspruch unseres Vaters Jakob - Jehuda, die preisen deine Brüder (1. Mose 49,8) - die wahrhaftigste Verwirklichung.  
In Altona geboren, war er zehn Jahre lang der Schüler des Großen Gaon, unseres Lehrers, unseres Herrn und Meisters Jakob Ettlinger seligen Andenkens, dann begann und vollendete er seine akademischen Studien in Berlin, wo er das Rabbinerseminar des Herrn Rabbiner Dr. Hildesheimer – sein Licht leuchte – frequentierte, und bei diesem, seinem hochverehrten Lehrer, in doppelter Weise, als der Schüler eifrigsten einer und als Hauslehrer bei dessen Kindern sieben Jahre tätig war, was ein selten inniges Freundschaftsband mit dieser rühmlichst bekannten Familie bleibend zur Folge hatte. – Tarnowitz, Frankfurt am Main, Biblis,
  
Merchingen Israelit 04091884a.jpg (112264 Byte)waren seine segensreichen Wirkungskreise, bis er seit einem Jahre die Verwaltung des hiesigen Bezirksrabbinates übernahm und in oben besagter Weise verwaltete, dem Worte des Talmuds Jeruschalmi entsprechend… und nicht nur die junge, tief betrübte Gattin, seit 14 Tagen Wöchnerin mit einem zweiten Töchterchen, verliert einen treu hingebenden Gatten; die Schwiegereltern einen Sohn im wahrhaftigsten Sinn des Wortes und der einzige Bruder den treuesten Ratgeber. Am Heiligen Schabbat Paraschat Reeh (Schabbat mit der Toralesung Reeh = 5. Mose 11,26 - 26,17, das war Schabbat, 16. August 1884), nachdem er seine Predigt beendet und (etwa im Vorgefühl des nahenden Heimgangs -) den Vers 'bis hierher kommst du, und nicht weiter, und hier stehe es dem Trotze deiner Wogen':  darin erwähnte, ereilte ihn das Krankenlager und schon am Mittwoch kehrte seine reine Seele, nachdem sie nur 35 Jahre – jung an Tagen, aber reich an Taten – hienieder gewaltet, zu den lichten Höhen zurück. 
Herr Dr. Sondheimer aus Heidelberg eilte hierher, dem Verewigten, obgleich am Monatsbeginn (Rosch Chodesch), doch einen warmen Nachruf zu widmen, und wer möchte sich nicht gerne dem von ihm ausgesprochenen Wunsche anschließen, dass Gott die tief betrübten Hinterbliebenen trösten und sich der gebeugten jungen Witwe mit ihren unmündigen Kinderchen in seiner großen Barmherzigkeit annehmen möchte! Der Tod wird verschlungen auf ewig (Jesaja 25,8) und seine Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens. C.G." 

           
Ausschreibung der Stelle des Rabbinatsvikars (1884)  

Merchingen Israelit 30101884.jpg (70854 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 30. Oktober 1884: "Die in Folge Ablebens des Herrn Rabbiners Dr. Heilbut in Erledigung gekommene Stelle eines Rabbinatsvikars des Herrn Bezirksrabbiners Flehinger ist unter höherer Genehmigung wieder zu besetzen. Gehalt 1.500 Mark nebst ziemlich bedeutenden Nebengefällen und freier Wohnung. Bewerber wollen sich innerhalb 4 Wochen unter Vorlage ihrer Qualifikationszeugnisse bei dem Unterzeichneten melden. Ledige Bewerber werden vorzugsweise berücksichtigt.  
Merchingen, den 27. Oktober 1884. Strauß, Bezirksältester."  

    
Ausschreibung der Stelle des Bezirksrabbinates Wertheim - zusammen mit dem Bezirksrabbinat Merchingen (1885)        

Anzeige in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 27. Oktober 1885:  "Das Bezirksrabbinat Wertheim, mit welchem die Verwaltung des Bezirksrabbinates Merchingen verbunden ist, soll neu besetzt werden. Die festen Bezüge betragen 1800 bis 2000 Mark neben freier Dienstwohnung. Die Akzidenzien in dem umfassenden Dienstbezirke (29 Gemeinden) sind nicht unerheblich. Die Bestallung erfolgt mit der Bedingung, dass der Inhaber der Stelle im Falle einer organisatorischen Änderung auf Verlangen der zuständigen Behörde seinen Wohnsitz von Wertheim nach Mosbach zu verlegen hätte. Bewerbungsgesuche sind unter Beifügung einer Darlegung des seitherigen Lebensganges, ferner der Nachweise über die allgemeine wissenschaftliche und fachliche Ausbildung, sowie über erlangte Autorisation zur Ausübung von Rabbinatsfunktionen und über die seitherige Berufstätigkeit binnen 6 Wochen bei der unterzeichneten Behörde einzureichen. 
Karlsruhe
, den 15. Oktober 1885. 
Großherzoglicher Badischer Oberrat der Israeliten. Der Ministerial-Kommissär: Joos.
"      

    
    
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer und der Schule   
Über die 1869 eingerichtete, gemischt-konfessionelle Volksschule in Merchingen (1870) 
    

Merchingen AZJ 04011870.jpg (192209 Byte) Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 4. Januar 1870: "Merchingen (Baden), 15. Dezember (1870): Die 'Neue Badische Landeszeitung' schreibt von hier: Seit dem 23. vorigen Monats besteht hier eine gemischte Volksschule, hervorgehend aus der bisherigen evangelischen und öffentlichen israelitischen Volksschule. 
Ängstliche, vom Einflusse langjähriger Gewohnheit beherrschte Gemüter suchten noch in der zwölften Stunde gegen die Errichtung der einheitlichen Schule dadurch zu wirken, dass sie verbreiteten, es könne der Religionsunterricht und die Sabbatfeier im Lehrplan nicht diejenige Würdigung finden, wie solche im beiderseitigen Interesse der Konfessionsgemeinden gewünscht wird, auch müssten die Verhältnisse der bisher in getrennten Schulen unterrichten, aus verschiedenen Lebenskreisen entnommenen Schuljugend zu heterogen erscheinen, dass nicht Unbilden etc. daraus zu befürchten wären. 
Diese Befürchtungen haben sich nicht verwirklicht. Ich freue mich vielmehr konstatieren zu können, dass die kleine Schulbevölkerung in größter Eintracht beisammen lebt, dass eine neue Tätigkeit, ein Wissenseifer dieselbe beseelt, und viele der bis jetzt in getrennten Schulen gewesenen Schüler in den Freistunden sich aufsuchen, um ihre Aufgaben gemeinschaftlich zu machen. 
Die Lehrer, von der erhöhteren Bedeutung der gemischten Schule durchdrungen, wirken mit anerkennenswertem Gleiße und es gebührt endlich dem Ortsschulrate das Verdienst, den Lehrplan mit der Einsicht geordnet zu haben, dass der Religionsunterricht, ohne irgendwie zu stören, den beiden Konfessionsteilen gerecht wird. 
Dieses günstige Resultat der gemischten Schule hier, ist auch den aufmerksamen Freunden der Schule nicht fremd geblieben und stimmt dieselben zur Freude. 
Man kommt zur Einsicht, dass die gemischte Volksschule dem Prinzipe des Rechtsstaats gerecht wird, dass sie ein Fortschritt auf dem Gebiete des sozialen Lebens ist, welches 'gleiches Recht für Alle' zur Devise hat; dass dieses dem Kinde in der Schule eingepflanzte Rechtsbewusstsein geeignet ist, den Jüngling vor Vorurteilen zu schützen und dem Manne jene sittliche Kraft zu verleihen, welche ihn unbefangen in der menschlichen Gesellschaft das Wahre und Rechte erstreben lässt. 
Wir fügen diesem Artikel der 'Neuen Badischen Landeszeitung' hinzu, dass im Gegensatze hiervon die Verwaltung unseres Religionsschulwesens besseren Händen anvertraut sein müsste. Da herrscht eine Anarchie, bei Gemeinden wie bei Lehrern, wie sie zu des seligen Eppstein Zeiten nicht denkbar gewesen wäre. Die alte Bachurimsverdingzeit scheint im vollen Anzuge. 
Unsere sonstigen inneren Zustände, respektive die längst projektierte und allseitig ventilierte neue Kirchenverfassung, wird noch längere Zeit, ohne irgend Eines Verschulden, in ruhendem Zustande verbleiben müssen." 

       
Ausschreibung der Kantor- und Schochetstelle (1882)       

Merchingen Israelit 08061881.jpg (55708 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8. Juni 1881: "Die Kantor- und Schochetstelle dahier ist zu besetzen und werden Bewerber um dieselbe eingeladen, unter Vorlage von Befähigungs- und Sittenzeugnissen mit uns sich ins Benehmen zu setzen, mit dem Anfügen, dass solche Bewerber, welche sich gleichzeitig über ihre Befähigung zur Erteilung des Religionsunterrichts ausweisen können, zunächst Bevorzugung zu gewärtigen haben. 
Merchingen, den 6. Juni 1882. 
Der Synagogenrat. Strauss, Vorsteher."

   
Zum Tod von Lehrer D. Callner (1909)      

Merchingen Israelit 25031909.jpg (118637 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25. März 1909: "Merchingen, Baden, 8. März (1909). Am 28. Februar wurde Lehrer D. Callner unter großer Beteiligung zu Grabe getragen. Viele Freunde und Kollegen waren von nah und fern herbeigeeilt, um dem Toten die letzte Ehre zu erweisen. Der stattliche Trauerzug gab Kunde von der allgemeinen Beliebtheit des Verstorbenen. Neben der Gattin und den Kindern verliert auch die Gemeinde Merchingen in dem Heimgegangenen einen gewissenhaften, überzeugungstreuen Lehrer; einen seltenen Vorsänger, der durch seine klangvolle Stimme, getragen von wahrhafter Gottesfurcht, seine Gemeinde zu tiefster Andacht zu stimmen verstand; einen vorzüglichen gewissenhaften Schochet; einen bewährten Mohel (Beschneider), der als solcher in den entferntesten Kreisen bekannt war; einen großen Talmudisten und selbstlosen edlen Menschen. Am Grabe gab Herr Bezirksrabbiner Dr. Löwenstein der Anerkennung und Würdigung all dieser Eigenschaften besonders dadurch Ausdruck, dass er dem Heimgegangenen nachträglich den Ehrentitel Morenu ("unser Lehrer") verlieh. Herr Lehrer Scheuermann feierte im Auftrag der badischen Lehrer den Verstorbenen durch warme Abschiedsworte. Herr Lehrer Bravmann - Merchingen dankte namens der dortigen Gemeinde für die 27-jährige segensreiche Wirksamkeit. 
Zum Schlusse schilderte Lehrer E. Wertheimer als Spezialfreund des Verklärten dessen Lehrtätigkeit und segensreiche Wirksamkeit. Auf Anregung des Lehrers Wertheimer beschlossen die Bezirkskollegen, den Verklärten - er ruhe in Frieden - noch dadurch besonders zu ehren, dass sie während der Schloschim (Trauerzeit) einen Schiur für denselben lernen. Das Andenken an den Gerechten ist zum Segen."  

      
      
Berichte zu einzelnen Personen aus der jüdischen Gemeinde
         
Fahndung nach Isaak Fisch von Merchingen (1849)
    

Anzeige im "Großherzoglich Badischen Anzeige-Blatt für den See-Kreis" vom 7. April 1849 (Quelle: Stadtarchiv Donaueschingen): "Karlsruhe. [Aufforderung] Der 16-jährige Isaak Fisch von Merchingen, Bezirksamtes Adelsheim, soll wegen verschiedener Unterschlagungen in Untersuchung gezogen werden; da dessen gegenwärtiger Aufenthaltsort unbekannt ist, so wird er hiermit aufgefordert, sich binnen drei Wochen anher zu stellen, um sich wegen des hier zur Last gelegten Verbrechens zu verantworten, widrigens lediglich nach Lage der Akten gegen ihn erkannt würde.  
Zugleich werden sämtliche Gerichts- und Polizeibehörden ersucht, auf Isaak Fisch, dessen Signalement hier beifolgt, zu fahnden und ihn auf Betreten mit Laufpass hierher zu weisen. 
Signalement. Große 2', Körperbau schwach, Gesichtsform rund, Nase und Mund klein, Haare und Augen braun, Zähne gut. 
Karlsruhe, den 26. März 1849. Großherzogliches Stadtamt."    

 
Hinweis auf den in Merchingen geborenen späteren Oberrabbiner von Luxemburg Isaac Blumenstein (1843 - 1903)    
(eingestellt auf Grund einer Mitteilung von Holger Hübner, Berlin)    

Merchingen GE Blumenstein Isaak 010.jpg (135654 Byte)Links: Eintragung der Geburt und der Beschneidung von Isaak Blumenstein in einem jüdischen Personenstandsregister Merchingen: HStA Stgt J 386 Bü 348 Bild 104, zugänglich über   https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/olf/struktur.php?bestand=5632. Demnach ist Isaak Blumenstein als Sohn des Merchinger Schutzbürgers und Handelsmann Joseph Blumenstein und seiner Frau Adelheid am 26. September 1843 in Merchingen geboren und wurde am 3. Oktober beschnitten; Zeugen der Geburt und Beschneidung waren Metzgermeister Hayum Fleischhacker und Handelsmann Abraham Heß; beurkundet von Bezirksrabbiner Zacharias Israel Staadecker.
 
Rabbiner Dr. Isaac Blumenstein (geb. 26. September 1843 in Merchingen, gest. 3. August 1903 in Luxemburg): Studium in Breslau; 1870 als Rabbinatskandidat in Mannheim; seit 1871 Großrabbiner in Luxemburg.      
Blumenstein hielt den viel und teilweise falsch überlieferten Feldgottesdienst zu Jom Kippur vor Metz im Deutsch-Französischen Krieg; siehe dazu den Beitrag von Holger Hübner: Der Feldgottesdienst zu Jom Kippur vor Metz 1870; erschienen in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte Jg. 63 2011 (Heft 2, April 2011) S. 105-121. 
Hinweis: Zusammenfassung des Beitrages von Holger Hübner (eingestellt als pdf-Datei).  
Merchingen Kol Nidre HJunker 010.jpg (160248 Byte) Merchingen Blumenstein Lit 010.jpg (165666 Byte)
Darstellung des Jom-Kippur-Gottesdienstes vor Metz 1870 
mit Rabbiner Dr. Blumenstein, wie er nach der Darstellung
 von Hermann Junker stattgefunden hat.  
(Quelle des Fotos
Abbildung eines Erinnerungstuches an den legendenhaft
 ausgeschmückten Gottesdienst zu Jom Kippur vor Metz 1870 auf 
dem Buch von Nachum T. Gidal: Die Juden in Deutschland von
 der Römerzeit bis zur Weimarer Republik. Gütersloh 1988.
 
   
Merchingen ImDtReich 081903 S498.jpg (111524 Byte)Artikel zum Tod von Rabbiner Dr. Isaac Blumenstein in der Zeitschrift "Im deutschen Reich" vom August 1898 S. 298: "Luxemburg, 9. August (1898). Im eben vollendeten 60. Lebensjahr ist am 3. dieses Monats der Rabbiner Dr. I. Blumenstein plötzlich am Herzschlage verstorben. Als der einzige offizielle jüdische Feldprediger während des Krieges 1870/71, war er es, welcher jenen jüdischen Feldgottesdienst abhielt, welcher durch das Bild 'Jom Kippur im Felde' weithin bekannt worden ist. In Anbetracht seiner Dienste während jenes Feldzugs wurde ihm das Eiserne Kreuz am weißen Bande verliehen. In Luxemburg, wo er 32 Jahre segensreich gewirkt hat, erfreute er sich allgemeiner Verehrung. Der hiesige nationalliberale 'Volksbote' schreibt: 'Am Leichenzuge, der sich von der Synagoge aus bewegte, nahmen teil Vertreter der Regierung, des Staatsrates, der Deputiertenkammer, der Obergerichtshofes, des Bezirksgerichtes, der Staatsanwaltschaften, der Bureaus der Stadtrates, der Militärbehörden, der Presse usw. usw. Das Konsistorium war vollzählig erschienen; ebenso war die hiesige Loge, deren Mitglied er gewesen, sehr zahlreich vertreten. Eine vielhundertköpfige Menschenmenge aller Stände und aller Konfessionen angehörend, bildete den Schluss des Leichenzuges.' Der Bericht schließt mit den Worten: 'Sein Andenken wird nicht bloß bei seinen Religionsgenossen, sondern auch bei allen Andersgläubigen stets gesegnet bleiben!'" 
Vgl. Online-Informationen über die Großrabbiner von Luxemburg   

         
Zum Tod von Abraham Strauß (1892)  

Merchingen Israelit 08091892.jpg (200100 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8. September 1892: "Merchingen, Anfang Elul. Tiefe Trauer bemächtigte sich unserer Gemeinde durch den plötzlichen Tod des Herrn Abraham Strauß. Er war bei Juden und Christen belliebt, hoch geachtet wegen seiner Einfachheit, seiner Hochherzigkeit und Mildtätigkeit, er war Jedem ein treuer Berater, ein neidloser, opferfreudiger Freund, ein Vater der Witwen und Waisen. Schmerzlich ist daher für uns dieser Verlust. Von seinem ersten Auftreten bis zu seinem Ende hat er sich um unsere jüdische und politische Gemeinde verdient gemacht. Schon früher, noch als junger Mann, zur Zeit der Vorstandschaft seines seligen Vaters, Lazarus Strauß - er ruhe in Frieden - führte er im gerechten Eifer für die Erhaltung des wahren Judentums die Feder siegreich gegen die Neologie, und später, als jener nach fünfzigjähriger kraftvoller, segensreicher Tätigkeit das Zeitliche segnete, wurde diese Einstimmung zum Leiter der Gemeinde und des Bezirks berufen. Seiner unermüdlichen Tatkraft verdankte unser Bezirk die Wahl der frommen Rabbinen, des Dr. Louis Heilbut - das Andenken an den Gerechten ist zum Segen - für Merchingen, und nach dessen frühem Hinscheiden die des jetzigen Bezirksrabbiners in Mosbach, Herrn Dr. Löwenstein, Erfolge. Solche glaubenseifrige Männer berief er an die Spitze der Bezirke in dem zielbewussten Streben, in den Gemeinden den religiösen, frommen Sinn unter den Lehrern und Haushaltsvorständen zu erhalten und aus den Kindern eine Generation heranzubilden, die im schweren Kampfe mit den Neuerungen der heutigen Zeit festhält an Tora und Gebot. So wird keiner der heiligen Gebräuche hier seitdem vernachlässigt, alle jüdischen Institutionen werden aufs äußerste beobachtet und aufrecht erhalten. War doch auf die Instandhaltung des Eruw, der Mikwe, der Schechita sein Augenmerk besonders scharf gerichtet. Dass diese Leistungen den besten Erfolg hier aufzuweisen haben, muss man dem Einfluss seiner Persönlichkeit zuschreiben, einer Macht, die er sich erworben durch seine Beliebtheit, seine gewissenhafte Pflichterfüllung, seine im tiefsten Innern empfundene Überzeugung, die eines jeden Gegners Widerspruch ausschloss und die Gesinnungstreuen nie ermüden ließ. Denn wie er im öffentlichen Leben wirkte, so war er auch im eigenen Hause strengstens einer, der sich genau an die Gebote hielt. Er war ein fleißiger Besucher unserer Synagoge und befolgte die Gebote ebenso streng und ernst, wie er sie seine Familie lehrte, und diese wusste und verstand seine Ansichten hochzuschätzen. War er ja der beste, liebevollste Gatte, der streng-gute Vater, der angenehme Verwandte, wie er sich denn überhaupt in seinem ganzen Leben durch seine offenkundige Liebenswürdigkeit ausgezeichnet. So hat denn Herr Dr. Löwenstein wohl mit vollem Recht in seiner tief empfundenen Rede am Grabe des Freundes dem Dahingeschiedenen nachgerufen: 'Die achtundsechzig Jahre Deines Lebens, teuerer Freunde, waren ein wahres 'Leben' eines echten Jehudi. Mögen die, die Dir nahe standen, Dir gleichen'. Seine Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens. D.K."    

  
Zum Tod von Karoline Strauß (1907)        

Merchingen FrfIsrFambl 02081907.jpg (14790 Byte) Meldung im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 2. August 1907: "Merchingen. Hier starb im hohen Alter von 103 Jahren Frau Karoline Strauß. Sie war gesund bis ans Ende."  

   
Auszeichnung für Emanuel Strauß in Osterburken (1908)       

Osterburken Israelit 31121908.jpg (22185 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 31. Dezember 1908: "Osterburken, 28. Dezember (1908). Der Großherzog von Baden verlieh dem Bezirksältesten, Herrn Emanuel Strauß hier, das Verdienstkreuz des Ordens vom Zähringer Löwen." 

   
60. Geburtstag des aus Merchingen stammenden Landauer Kantors und Lehrers Willy Steinem (1928)        

Landau BayrGZ 15061928.jpg (80453 Byte)Artikel in der "Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung" vom 15. Juni 1928: "60. Geburtstag. 
Unser langjähriges, treu bewährtes Vereinsmitglied, Herr Oberkantor und Lehrer Willy Steinem in Landau (Pfalz), feierte am 18. Mai seinen 60. Geburtstag. Aus diesem Anlass wurden ihm seitens seiner dankbaren Gemeinde und anderer Korporationen wohlverdiente Ehrungen zuteil. Ist er doch nicht nur ein tüchtiger Schulmann, sondern, mit prächtigem Bariton ausgestattet, auch ein anerkannter Künstler auf dem Gebiete des synagogalen Gesanges. Steinems Wiege stand in Merchingen (Baden). Früh verwaist, wurde er im hause des Lehrers Oppenheimer in Arnstein (Unterfranken) erzogen, besuchte dortselbst die Präparandenschule, sodann das staatliche Schullehrerseminar in Würzburg. Nachdem er einige Jahre in Kirn an der Nahe und Wiesbaden amtierte, wurde er an die Kultusgemeinde Landau berufen, woselbst er nun über 3 Jahrzehnte segensreich wirkt. Weit über den Kreis seiner Amtstätigkeit hinaus ist er in allen Schichten der Bevölkerung als charaktervoller Mann geachtet und geehrt, ob seines sonnigen Gemüts und unverwüstlichen Humors, besonders von seinen Kollegen geschätzt und geliebt. A.St. – U."   

     
     
Anzeigen jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen   
Anzeige des Manufaktur- und Herrenkonfektions-Geschäftes von N. Kahn (1907)     

Anzeige im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 29. März 1907: 
"Für mein am Samstag und Feiertagen geschlossenes Manufaktur- und Herren-Konfektions-Geschäft suche ich per 1. Mai einen Lehrling 
aus achtbarer Familie mit guter Schulbildung. 
Gebrüder Eisinger Nachfolge. Inh. N. Kahn. Merchingen
(Baden)."        

       

Kennkarten aus der NS-Zeit            
               
Am 23. Juli 1938 wurde durch den Reichsminister des Innern für bestimmte Gruppen von Staatsangehörigen des Deutschen Reiches die Kennkartenpflicht eingeführt. Die Kennkarten jüdischer Personen waren mit einem großen Buchstaben "J" gekennzeichnet. Wer als "jüdisch" galt, hatte das Reichsgesetzblatt vom 14. November 1935 ("Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz") bestimmt. 
Hinweis: für die nachfolgenden Kennkarten ist die Quelle: Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland: Bestände: Personenstandsregister: Archivaliensammlung Frankfurt: Abteilung IV: Kennkarten, Mainz 1939" http://www.uni-heidelberg.de/institute/sonst/aj/STANDREG/FFM1/117-152.htm. Anfragen bitte gegebenenfalls an zentralarchiv@uni-hd.de       
 
 Kennkarten des in Merchingen 
geborenen Joel Emrich 
 Merchingen KK MZ Emrich Joel.jpg (90666 Byte)  
   Kennkarte (Main 1939) für Joel (Julius) Emrich (geb. 9. Juni 1867 in Merchingen), Kaufmann,
 wohnhaft in Mainz; am 27. September 1942 deportiert ab Darmstadt in das Ghetto Theresienstadt, 
wo er am 18. März 1943 umgekommen ist  
 

      
      
      
Zur Geschichte des Betsaales / der Synagoge    
     
1737 erwarben die jüdischen Familien das Haus einer nichtjüdischen Familie, das sie zu einer Synagoge umbauten. Damals gab es bereits 40 jüdische Haushaltungen am Ort mit zusammen 210 Personen. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das Gebäude umgebaut oder durch einen Neubau ersetzt. Akten zur Merchinger Synagoge konnten bislang nicht gefunden werden, sodass ihre Baugeschichte nicht nachgezeichnet werden kann.    
     
Einige Nachrichten von Interesse liegen aus der Zeit Ende der 1850er-Jahre vor, als von Merchingen als Sitz des Bezirksrabbinates einige verändernde Impulse ausgingen, die das gottesdienstliche Leben in den Synagogen des Bezirks bestimmen sollten. Zunächst jedoch verhielt sich das Merchinger Rabbinat wie die meisten Landrabbinate gegenüber den in den größeren Städten durchgeführten Reformen sehr zurückhaltend. Bis zu seinem Tod im August 1857 war Zacharias Staadecker 25 Jahre lang Bezirksrabbiner in Merchingen. Er gehörte der Gruppe der strenggläubigen Rabbiner an, den ein umfassendes rabbinisches Wissen, aber keine Reformfreudigkeit auszeichnete. Darin war er sich einig mit dem im benachbarten württembergischen Berlichingen amtierenden, gleichfalls streng konservativen Rabbiner Hirsch Berlinger. Beide verband eine enge Freundschaft. Mit der Wahl des Nachfolgers von Staadecker am 27. Dezember 1857 sollte sich jedoch schnell einiges ändern. Die 17 Vorsteher des Rabbinatsbezirkes Merchingen sprachen sich einstimmig für den jungen, aus Heidelberg stammenden Rabbiner Dr. Julius Fürst aus. Diese Wahl wurde damals im ganzen Land als Sensation empfunden, da man annahm, der Merchinger Bezirk würde wiederum "einen Mann von altem Schrot und Korn" wählen. So war man nach Meinung der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" (15.3.1858) auch im Rabbinat Merchingen "zur Überzeugung gelangt, dass ein Rabbiner mehr als Talmud kennen muss, wenn er seiner hohen Aufgabe zeitgemäß entsprechen soll".
  
Dr. Fürst sah nach seinem Dienstantritt auch sogleich einen besonderen Schwerpunkt darin, in den Gemeinden seines Bezirkes die Gottesdienste behutsam zu reformieren. Dazu gehörten die Einführung deutscher Gebete und des Gemeindegesangs sowie der "angemessene" Vortrag der Gebete. Auch die Konfirmation als gemeinsame Feier einer Jahrgangsgruppe befürwortete er in den Gemeinden. Am Wochenfest (Schawuot) Anfang Juni 1859 wurde eine solch gemeinsame Feier auch erstmals in der Merchinger Synagoge gefeiert. Die Merchinger Gemeinde machte Fürsts Reformen insgesamt gerne mit. Unterstützt wurde er auch von einem vor seinem Dienstantritt in Merchingen gegründeten jüdischen Männergesangverein. An den Schabbaten hielt er nachmittags eine deutsche Predigt, die von der Gemeinde gerne gehört wurde. 
  
Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Inneneinrichtung der Synagoge von auswärtigen Nationalsozialisten zerschlagen. Der jüdische Kantor Bravmann und seine Frau wurden schwer misshandelt, konnten aber bald darauf auswandern. Am 5. Februar 1940 kaufte die bürgerliche Gemeinde das Synagogengebäude für 2.400 RM, das danach als Behelfsturnhalle zweckentfremdet wurde. 
   
Nach 1945 wurde das Gebäude von alliiertem Militär beschlagnahmt und der Jüdischen Vermögensverwaltung (JRSO) übertragen. Da der Verkauf der Synagoge unter Zwang zustande kam, hatte die Gemeinde Merchingen auf Grund eines vor dem Amtsgericht Mannheim geschlossenen Vergleichs 1950 noch einmal 6.000 DM nachzuzahlen. Noch im selben Jahr wurde die ehemalige Synagoge für 4.000 DM an die katholische Kirchengemeinde Hüngheim verkauft, die hierin ihre Filialkirche in Merchingen einrichtete. Angebaut wurde ein kleiner Kirchturm mit zwei Glocken. 1951 wurde die Kirche eingeweiht. 1975 bis 1977 ist eine umfassende Erneuerung des Gebäudes vorgenommen worden. Hierbei fand man in der Dachverschalung eine Genisa mit Resten von religiösen Schriften, Schächtmessern und anderen Ritualien. Von den Funden blieb jedoch offenbar nichts erhalten. 
   
Auf Anregung der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Heidelberg (Initiator war Vorstandsmitglied Pfarrer Herbert Duffner) wurde am 6. November 1983 an der ehemaligen Synagoge ein Gedenkstein enthüllt, den der Osterburkener Künstler Bernhard Reißfelder geschaffen hat. Der damalige badische Landesrabbiner Dr. Nathan P. Levinson sprach von der jüdischen Seite. Wenige Wochen später wurde der Gedenkstein durch eine Bronzetafel ergänzt. 
    
    
Adresse der ehemaligen Synagoge:    Buchenweg 15    
   
   
Fotos 
Historische Fotos: 

Historische Fotos sind nicht bekannt, Hinweise bitte an den 
Webmaster von "Alemannia Judaica", E-Mail-Adresse siehe Eingangsseite


Fotos nach 1945/Gegenwart:   

Foto um 1965:   
(Quelle:  Hundsnurscher/ Taddey
 s. Lit. Abb. 148) 
Merchingen Synagoge 100.jpg (51224 Byte) 
  Ehemalige Synagoge, jetzt Kirche: der Turm wurde erst Anfang der 1950er angebaut  
   
Fotos im Dezember 1983:
(Fotos: Hahn)
Merchingen Synagoge 105.jpg (62623 Byte)  Merchingen Synagoge 102.jpg (59009 Byte) 
   Aufnahme ähnlich wie oben  anderer Blickwinkel 
     
Merchingen Synagoge 107.jpg (61999 Byte)  Merchingen Synagoge 101.jpg (46159 Byte)  Merchingen Synagoge 106.jpg (59399 Byte) 
Innenaufnahme im Dezember 1983
 (Weihnachtsbäume) 
Blick nach Osten   Innenaufnahme 
    
     
    Merchingen Synagoge 103.jpg (94666 Byte)  Merchingen Synagoge 104.jpg (33432 Byte)
   Gedenktafel   Hinweistafel  
     
Fotos 2003:
(Fotos: Hahn bzw. D. Bluthardt (B), 
Aufnahmedatum 2.9.2003) 
Merchingen Synagoge 154.jpg (104515 Byte) Merchingen Synagoge 153.jpg (70571 Byte)
   Blick vom jüdischen Friedhof zur
 ehemaligen Synagoge (B) 
Die ehemalige Synagoge (B) 
  
     
  Merchingen Synagoge 162.jpg (54942 Byte) Merchingen Synagoge 163.jpg (37029 Byte)
  Seitenansicht (von Süden)  Seitenansicht (von Norden) 
     
  Merchingen Synagoge 161.jpg (53650 Byte) Merchingen Synagoge 160.jpg (29250 Byte)
  Gedenktafel  Hinweistafel 

         
         
 
Erinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte  

Dezember 2011: Pressebericht zur Erinnerung an die jüdische Gemeinde    
Artikel von Walter Brecht in den "Fränkischen Nachrichten" vom 24. Dezember 2011: "FN-Serie Heimat: Ehemalige blühende jüdische Gemeinde Merchingen endete 1942 in Auschwitz / Anfänge im 13. Jahrhundert nicht nachzuweisen.  Juden und Christen lebten im Einklang...."  
Link zum Artikel.     
 
Mai 2012: In Merchingen werden "Stolpersteine" verlegt   
Artikel in den "Fränkischen Nachrichten" vom 21. Mai 2012: "In Merchingen: 'Stolpersteine' für Ida und Nathan Fleischhacker verlegt / Geschichte der Familie kann bis 1720 zurückverfolgt werden. Große Kraft der Erinnerung in den Orten..."  
Link zum Artikel     
 

    
   

Links und Literatur 

Links:       

bulletWebsite der Stadt Ravenstein 
bullet Zur Seite über den Friedhof in Merchingen (interner Link)  

Quellen:   

Hinweis auf online einsehbare Familienregister der jüdischen Gemeinde Merchingen 
In der Website des Landesarchivs Baden-Württemberg (Hauptstaatsarchiv Stuttgart) sind die Personenstandsregister jüdischer Gemeinden in Württemberg, Baden und Hohenzollern einsehbar: https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/olf/struktur.php?bestand=5632     
Zu Merchingen sind vorhanden:    
J 386 Bü. 383 Merchingen Sterbefälle 1859 - 1875   http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=1-445991   
J 386 Bü. 384 Merchingen Begräbnisbuch 1810 - 1938  http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=1-445992 
J 386 Bü. 385 Merchingen Geburten 1815 - 1824, Sterbefälle 1815 - 1817, Eheschließungen 1818 - 1829  http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=1-445993   
J 386 Bü. 386 Merchingen Geburten 1826 - 1836, Eheschließungen 1826 - 1856, Sterbefälle 1826  - 1856 http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=1-445994    
J 386 Bü. 387 Geburten 1857 - 1858, Eheschließungen 1857 - 1859, Sterbefälle 1857 - 1859 http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=1-445995                
 
Hinweis auf die Dokumentation der jüdischen Grabsteine in Baden-Württemberg des Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg   
Im Bestand  https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/olf/struktur.php?bestand=24368  auf der linken Seite bei "Merchingen" über das "+" zu den einzelnen Grabsteinen; es sind 350 Grabsteine dokumentiert (mit Fotos).     
Im Bestand EL 228 b I Bü. 224 finden sich zum Friedhof Merchingen Belegungsplan, Belegungslisten, 8 Fotografien (s/w) und 14 Farbfotografien http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=2-1906715     

Literatur:         

bulletFranz Hundsnurscher/Gerhard Taddey: Die jüdischen Gemeinden in Baden. 1968. S. 198ff.
bulletMerchingen 1188-1988. Hg. Förderverein Schlossausbau e.V. Ravenstein 1988 (mit Abdruck von Karl Renz: Geschichte Merchingens. Adelsheim 1902), hierin Abschnitt "Die ehemalige Judengemeinde Merchingen" S. 209-216.  
bulletJoseph Walk (Hrsg.): Württemberg - Hohenzollern - Baden. Reihe: Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust (hebräisch). Yad Vashem Jerusalem 1986. S. 409-411.  
bulletsynagogenbuch-1.jpg (32869 Byte)Joachim Hahn / Jürgen Krüger: "Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...". Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen. Hg. von Rüdiger Schmidt, Badische Landesbibliothek, Karlsruhe und Meier Schwarz, Synagogue Memorial, Jerusalem. Stuttgart 2007.    
bullet Rudolf Landauer, Reinhart Lochmann: Spuren jüdischen Lebens im Neckar-Odenwald-Kreis. Herausgegeben vom Landratsamt NOK, 2008, ISBN: 978-3-00-025363-8. 200 S., 284 Fotos, 19,90 Euro.     
       
        


 

Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the Holocaust". 
First published in 2001 by NEW YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad Vashem Jerusalem, Israel.

Merchingen  Baden. The first Jews settled after the Thirty Years War (1618-48) and by 1740 they numbered 40 families. A synagogue was consecrated in 1737 and a cemetery opened in 1768. A Jewish elementary school was in operation from the 1830s. In 1850, the Jewish population reached a peak of 325. R. Dr. Y. Blumenstein served as one of the two Jewish chaplains in the Franco-Prussian War of 1870-71. With emigration and the exodus to the big cities, the Jewish population dropped to 101 in 1900 (total 967) and 39 in 1933. Under Nazi rule, 12 Jews emigrated by 1938 and six in 1939 after the synagogue was vandalized on Kristallnacht (9-10 November 1938). Nine others left for other German cities. The last three Jews (and three living in other cities) were deported to the Gurs concentration camp on 22 October 1940; five perished in Auschwitz. 
      
       

                   
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Stand: 15. Oktober 2013