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zu den Synagogen in
Baden-Württemberg
Schorndorf (Rems-Murr-Kreis)
Jüdische Geschichte
Übersicht:
Zur jüdischen Geschichte
in Schorndorf
In Schorndorf bestand zu keiner Zeit eine jüdische
Gemeinde. Aus dem Mittelalter sind keine Spuren für eine jüdische
Niederlassung zu ermitteln. Weder schriftliche Quellen noch mündliche
Überlieferungen oder Flur- und Straßennamen geben einen Anhaltspunkt für eine
mittelalterliche jüdische Ansiedlung. Da Schorndorf zum Herzogtum
Württemberg gehörte, galten auch für die Zeit vom Ende des 15. bis zum Anfang
des 19. Jahrhunderts die einschränkenden Bestimmungen, die Juden einen
Aufenthalt grundsätzlich verbaten. Aus der Zeit um 1800 ist ein zum Christentum
konvertierter Jude bekannt namens Christan Friedrich Michael Dessauer, Graveur
("Pitschierstecher") und Gold-/Silberarbeiter (geb. 1772 in
Horkheim nach dem
Seelenregister 1801 des Stadtarchives Schorndorf; geb. in
Unterschwandorf nach
dem Seelenregister von 1822 des Stadtarchives Schorndorf). Dessauer war blind
und stand in öffentlichem Almosen.
Im 19./20. Jahrhundert kam es zur Niederlassung weniger jüdischer
Familien/Personen. Nach den Ergebnissen der Volkszählungen entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie
folgt: 1875 ein jüdischer Einwohner, 1880 3, 1885 1, 1890/95 0, 1900 2 (Ehepaar
Fetterer), 1905 4 (Familie Fetterer), 1910 8 (vermutlich Familie Fetterer,
Ehepaar Anspach und ?), 1925 4 jüdische Einwohner (Familie Anspach ohne den 1924
verstorbenen Julius Anspach).
Bis in die Zeit nach 1933 waren unter den wenigen jüdischen Einwohnern vor allem
die Mitglieder der Familie von Julius Anspach, der seit 1905 in
Schorndorf war und ein kleines Warenhaus am oberen Marktplatz innehatte. Nach
seinem Tod 1924 (Grab auf dem jüdischen Friedhof Ludwigsburg) führte seine Frau
Selma Anspach das Warenhaus bis um 1936 weiter (weiteres zur Familie Anspach
siehe unten).
Weitere jüdische Einwohner:
Die Familie Alexander Fetterer und seine Frau Anna geb. Valfer, die um 1902/06 in Schorndorf
lebte (vgl. Hildegard Kattermann: Geschichte und Schicksale der Lahrer
Juden; Hg. Stadtverwaltung Lahr 1979²; zur Familie von Anna geb. Valfer
https://www.geni.com/people/Anna-Valfer/2139070) und deren beide Kinder
in Schorndorf geboren sind:
- Ernst Fetterer: geb. 1906 in Schorndorf, seit 1920 wohnt er in
Lahr, 1924 in Kippenheim, später Pirmasens,
Gengenbach, Stuttgart; 11. November 1938 bis 6. Januar 1939 im KZ Dachau; 1.
Dezember 1941 von Stuttgart nach Riga deportiert, 1944 Stutthof
Konzentrationslager, umgekommen.
- Johanna (Hannchen) Levy geb. Fetterer: geb. 1902 in Schorndorf, später
wohnhaft in Pirmasens, verheiratet mit F. Levy; 26. April 1942 ab Stuttgart deportiert in das Ghetto Izbica, umgekommen.
Dr. Robert Hirsch (geb. 1857 in Tübingen): war 1881 bis 1883
stellvertretender Amtsrichter in Aalen und Schorndorf, danach in Backnang und
Ulm; 1939 starb er in Stuttgart an Suizid (Grab Pragfriedhof, Israelitischer
Teil). Zu seiner Familie siehe
https://www.geni.com/people/Robert-Hirsch/6000000001694308779
1933 lebten noch fünf jüdische Einwohner (Familie Anspach). Am 1.
April 1933 standen SA-Posten vor dem Kaufhaus der Familie Anspach auf dem
Marktplatz. Die SA-Männer drohten den Kunden des Warenhauses Anspach sogar mit
der Einlieferung ins Konzentrationslager, falls sie den Boykottaufruf missachten
sollten. Kreispropagandaleiter Viktor Eisenbraun rief am selben Tag in der
örtlichen Tagespresse zum Boykott gegen die Juden auf. Zwischen 1933 und 1937
verließen alle Mitglieder der Familie Anspach Schorndorf und emigrierten in die
USA (siehe unten). Ihren Besitz und alles, was sich die Familie in den Jahren
zuvor in Schorndorf aufgebaut hatte, mussten sie zwangsweise verkaufen.
Von den in Schorndorf geborenen und/oder längere Zeit am Ort
wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Ernst Fetterer
(1906), Johanna (Hannchen) Levy geb. Fetterer (1902).
Berichte aus der
jüdischen Geschichte in Schorndorf
In jüdischen Periodica des 19./20. Jahrhunderts wurden noch keine Berichte zur
jüdischen Geschichte in Schorndorf gefunden.
Zur Geschichte der Familie Anspach
(aus: J. Hahn: Jüdisches Leben in Ludwigsburg S. 343-344; Blatt
Familienregister Schwäbisch Gmünd
http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=1-446732-43)
Isaak (genannt: Julius) Anspach ist am 19. Mai 1884 in
Weiler bei Bad Kreuznach geboren als Sohn von Mich(a)el Anspach und der Babette geb. Stern
(Grab im jüdischen Friedhof Weiler). Er kam 1905
nach Schorndorf und gründete hier ein kleines Warenhaus (Textilwarengeschäft) am
oberen Marktplatz (Marktplatz 5). Julius Anspach war seit 21./22. April 1909 in
(Hochberg/Stuttgart) verheiratet mit Selma
geb. Neuburger, eine am 19. Dezember 1885 in
Hochberg geborene Tochter des Siegmund Neuburger und der Adelheid geb.
Kusiel. Das Ehepaar hatte drei Kinder:
- Helmut, geb. 6. März 1910 in Schorndorf; seit März 1931 (bis 1. Oktober
1936) Mitinhaber des elterlichen Geschäftes; war Mitglied und Förderer von
Kultur- und Sportvereinen in Schorndorf; emigrierte im Februar 1937 allein nach
Detroit/USA, wo er zunächst als Gelegenheitsarbeiter seinen Unterhalt verdienen
musste; 1940 bis 1943 Angestellter in einem Warenhaus in Detroit; verheiratet
seit 1940 mit Frieda geb. Frank aus
Kirchberg/Hunsrück (zwei Kinder: Renié und Jeffrie); Frieda Anspach starb am
6. September 1995; Helmut Anspach wohnte 1997 noch teils in Southfield, MI/USA,
teils in Boca Raton, FL/USA;
- Kurt, geb. 31. Oktober 1912 in Schorndorf; 1928 bis 1933 Lehrling, dann
Angestellter bei der Gewerbebank Schorndorf (jetzt Volksbank); war Mitglied in
Sport- und Kulturvereinen Schorndorfs; emigrierte im September 1933 allein nach
Spanien, wo er in einem Filmvertrieb Arbeit fand; im September 1936 nach
Österreich, Oktober 1938 nach den USA; 1938 bis 1943 als Buchhalter, dann als
Verkäufer tätig; 1943 bis 1945 in der US Army (im Mai 1945 als Besatzungssoldat
kurzzeitig wieder in Schorndorf); 1945 bis 1951 Reisevertreter für verschiedene
Formen, dann Buchhalter und später Betriebsleiter eine Firma in Chicago;
verheiratet seit 1939 mit Helen geb. Gordon aus Pittsburgh, PA/USA (zwei Kinder:
Stefanie und Kennetz); das Ehepaar wohnte bis 1951 in Detroit, MI und später
(noch 1997) in Homewood, IL/USA, einer Vorstadt von Chicago, IL/USA; 1985 war
Kurt Anspach auf Einladung der Stadt zu Besuch in Schorndorf;
- Lore Babette, geb. 2. Februar 1919 in Schorndorf; 1929 bis 1935 Besuch
der Realschule Schorndorf; 1935 bis 1936 Besuch der Frauenklasse des Katharinenstifts Stuttgart; 1936 bis 1938 Ausbildung im
Kindergärtnerinnen-Seminar Berlin; im Juli 1938 in die USA emigriert; hier
zunächst als Haushaltshilfe tätig; Verheiratet seit 1940 mit Eric Otten (geb.
1914; früher: Erich Ottenheimer); zwei Kinder: Ronald (Ron) Otten (geb. 1942) und
Linda Otten (geb. 1948); Familie Otten wohnte um 1960 in Chicago, IL/USA. Lore
Babette Otten starb am 13. Februar 2002 in Sarasota, FL/USA. Vgl. https://www.geni.com/people/Lore-Otten/6000000003668350212
Familie Anspach war in Schorndorf mehrere Jahre die einzige jüdische Familie.
Offiziell gehörte die Familie der kleinen israelitischen Gemeinde in
Schwäbisch Gmünd an ("Filiale
Schorndorf"), doch bestanden über die in
Ludwigsburg lebenden Verwandten Josef Neuburger (Bruder von Selma Anspach)
und Ludwig Stern (Vetter von Julius Anspach) enge Beziehungen zur dortigen
Gemeinde. Als Julius Anspach bereits am 2. Juli 1924 in Schorndorf verstarb,
wurde er am 4. Juli 1935 im neuen
israelitischen Friedhof in Ludwigsburg beigesetzt (Grab N 13). Das Kaufhaus
in Schorndorf führte seine Witwe bis um 1936 weiter, seit 1931 gemeinsam mit dem
Sohn Helmut. Zum 1. Oktober 1936 wurde die Firma zwangsweise "arisiert" und an
Georg Zollmann, Schorndorf verkauft. Ende Juni 1936 ist Selma Anspach nach Stuttgart verzogen (Rosenbergstraße 141). Von hier aus ist sie im Oktober
1939 zu den Kindern in die USA emigriert, wo sie selbst nicht mehr erwerbstätig
war. Sie starb am 12. April 1963 in Chicago/USA.
Fotos
(Fotos außer obere Reihe: Hahn, Aufnahmen vom August 2003
[Ludwigsburg] bzw. August 2019 [Schorndorf])
Haus Oberer Marktplatz 5
in Schorndorf -
ehem. Textilwarengeschäft Anspach |
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1905 eröffnete
Julius Anspach hier ein kleines Warenhaus / Textilwarengeschäft
Quelle: Wikimedia Commons,
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Oberer_Marktplatz_3-5-7_Schorndorf.jpg
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Grab von Julius Anspach in
Ludwigsburg |
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Julius Anspach
starb am 2.
Juli 1924 in Schorndorf und wurde im
neuen israelitischen Friedhof in Ludwigsburg beigesetzt. |
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Denkmal im alten
Stadtfriedhof in Schorndorf |
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Inschrift der
Gedenkplatte: "Zum Gedenken an die Schorndorfer Bürgerinnen und Bürger, die
durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft verfolgt und ermordet
wurden". Das Denkmal wurde 1989 von dem
Künstler Reinhard Scherer
(geb. 1948) gestaltet. |
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Hinweis auf "Stolpersteine"
in Schorndorf |
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In
Schorndorf wurden in den vergangenen Jahren mehrere "Stolpersteine" verlegt.
Dabei handelt es sich allerdings nicht um Gedenksteine für jüdische
Personen, sondern um solche für Angehörige der Sinti- und Roma-Familie
Guttenberger/Eckstein (siehe Fotos oben vor dem Haus Römmelgasse 11), die
1943 nach Auschwitz deportiert wurde, sowie um Gedenksteine für Opfer der "Euthanasie"-Aktion,
vgl. Liste
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Schorndorf
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Links und Literatur
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