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Schweinsberg (Stadt
Stadtallendorf, Kreis Marburg-Biedenkopf)
Jüdische Geschichte / Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english
version)
In Schweinsberg bestand eine jüdische
Gemeinde bis 1938/42. Ihre Entstehung geht in mittelalterliche Zeiten
beziehungsweise in die Zeit des 17. Jahrhunderts zurück. 1332 erhielt
der Patrimonialherr Schenck von Schweinsberg von Kaiser Ludwig dem Baier das
Privileg, vier jüdische Familien in der Stadt zu halten. 1594 gab es
zwei jüdische Haushaltungen in Schweinsberg.
17./18. Jahrhundert: 1611 werden vier jüdische Einwohner genannt. 1697
zog der Jude Hehle aus Schweinsberg in Heringen
(Werra) zu. In der
zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts waren etwa vier jüdische Familien in der
Stadt. Ihre Zahl stieg im 18. Jahrhundert (1744 11 jüdische Haushaltungen, 1774
5). 1774 wird ein Pferdehändler Höxter genannt, Vorfahr der bis nach 1933 in
Schweinsberg ansässigen Familie Höxter.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie
folgt: 1827 31 jüdische Einwohner (3,5 % von insgesamt 882), 1853 34 (3,2
% von 1.059), 1861 46 (4,8 % von 958), 1871 52 (5,6 % von 932), 1885 40 (4,8 %
von 839), 1895 45 (5,3 % von 844), 1905 46 (5,9 % von 780).
An Einrichtungen bestanden eine Synagoge (s.u.), eine
Religionsschule, ein rituelles Bad und ein Friedhof. Zur Besorgung religiöser
Aufgaben der Gemeinde war ein Lehrer angestellt, der zugleich als
Vorbeter und Schochet tätig war (vgl. Ausschreibung der Stelle 1876). Der
Lehrer war meist auch für den Unterricht der Kinder in Niederklein zuständig.
Als Lehrer werden u.a. genannt: 1825 A. Bornheim (war spätestens 1843 in
Gemünden an der Wohra als Lehrer),
1835 Salomon Stern, 1840 David Gottschalk, 1841 Moses Kaufmann, Seit 1880
war als Vorbeter, Schochet und Toravorleser der Handelsmann Gerson Simon in
der Gemeinde tätig (siehe Bericht zu seinem 70. Geburtstag unten). Er hatte
auch Aufträge in umliegenden Gemeinden wie in Homberg
(Ohm). Die Gemeinde
gehörte zum Rabbinatsbezirk Oberhessen mit Sitz in Marburg.
Im Ersten Weltkrieg fielen aus der jüdischen Gemeinde Berthold
Schaumberg (geb. 1.11.1895 in Schweinsberg, gef. 19.7.1917) und Rudolf
Schaumberg (geb. in Schweinsberg, gef. 29.10.1920).
Um 1925, als noch 32 Personen zur jüdischen Gemeinde gehörten (3,6 %
von insgesamt 887 Einwohnern), war Gemeindevorsteher Gustav Schaumberg III.
Weiterhin war der schon genannte Gerson Simon als Kantor und Schochet
tätig.
1933 lebten noch 27 jüdische Personen in der Stadt (zehn jüdische
Männer mit Frauen und Kindern). In
den folgenden Jahren ist ein kleinerer Teil der
jüdischen Gemeindeglieder auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts,
der zunehmenden Entrechtung und der
Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert. Dennoch blieben relativ
viele am Ort: 1938 waren noch 21 jüdische Personen, 1939/40 noch 17 jüdische
Personen in Schweinsberg. Die letzten jüdischen Einwohner wurden Ende Juli
1942 nach Rauischholzhausen
verbracht, um Schweinsberg in der NS-Sprache "judenfrei" zu machen
(Moritz Katz, Paula Katz geb. Jacob, Albert Feibelmann, Moses Schirling,
Hannchen Schirling geb. Rothschild, Rosa Schaumberg). Von Rauischholzhausen
wurden diese Personen am 6. September 1942 in das Ghetto Theresienstadt
deportiert.
Von den in Schweinsberg geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Albert
Feibelmann (1878), Julius Feibelmann (1921), Flora Haas geb. Schaumberg (1891),
Anneliese Höxter geb. Latte (1908), Erika (Erna) Höxter (1923), Ilse Höxter
(1926), Levy Leo Höxter (1888), Louis Höxter (1890), Rosa Höxter geb.
Nussbaum (1892), Blanka Katz (1921), Jakob Katz (1857), Manfred Katz (1923),
Moritz Katz (1891), Paula Katz geb. Schaumberg (1894), Paulina Oppenheim geb.
Schaumburg (1891), Rosa Rosenbaum geb. Katz (1870), Dora Rosenbusch geb.
Schaumberg (1861), Jettchen Rothschild geb. Schaumberg (1872), Arthur Schaumberg
(1895), Brunhilde Schaumberg (1921), Flora Schaumberg geb. Schirling (1895),
Gustav Schaumberg (1875), Gustav Schaumberg (1904), Hermann Schaumberg (1865),
Moritz Schaumberg (1869), Rosa Schaumberg (1888), Sally Schaumberg (1894),
Samuel Schaumberg (1884), Selmar Schaumberg (1904), Siegfried Schaumberg (1886),
Siegfried Schaumberg (1925), Werner Schaumberg (1923), Hännel (Hannchen)
Schirling geb. Rothschild (1862), Moses Schirling (1860), Salomon Simon
(1883).
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus der Geschichte der
jüdischen Lehrer
Ausschreibung der Stelle des Religionslehrers / Vorbeters / Schochet
1876
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 10. Januar 1877: "Die
Erledigung der nachverzeichneten israelitischen Lehrer- und
Vorsängerstellen im Kreise Kirchhain, Regierungsbezirk Kassel, als:
1) zu Halsdorf, kompetenzmäßiges Diensteinkommen 870 Mark.
2) Holzhausen, kompetenzmäßiges Diensteinkommen 915 Mark.
3) Schweinsberg, kompetenzmäßiges Diensteinkommen 870 Mark, wird
hierdurch mit dem Bemerken veröffentlicht, dass geeignete Bewerber um die
eine oder andere Stelle ihre mit den erforderlichen Prüfungs- und
Führungszeugnisse zu versehende Meldungsgesuche innerhalb sechs Wochen
bei unterfertiger Behörde einreichen mögen. Marburg, den 27. Dezember
1876. Königliches israelitisches Vorsteheramt. Dr. Munk." |
Berichte zu
einzelnen Personen aus der Gemeinde
Zum 70. Geburtstag von Gerson Simon (1923)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. September 1923:
"Schweinsberg, 2. September (1923). Am 25. August beging Herr
Handelsmann Gerson Simon, Schweinsberg, seinen 70. Geburtstag. Herr Simon
versieht die Stelle eines Vorbeters, Schochets und Toravorlesers
ununterbrochen seit 43 Jahren heute noch in voller Rüstigkeit. Die
Gemeinde schenkte ihm einen Tallis (Gebetsschal), wofür er sich in einer
schönen Ansprache in der Synagoge bedankte, indem er die Jugend ermahnte,
auch fernerhin, wie es in Schweinsberg schon von jeher gewesen, treu zum
Glauben der Väter zu halten." |
Zur Geschichte der Synagoge
1733 bat die Schweinsberger Judenschaft darum, im
unteren Teil der Scheune von "Judt Moses" eine "gemeine
Schul" (Synagoge) einzurichten. Bisher sei die "Schul" im Haus
des "Judt Nehm" (gemeint Nehm Schmuhl) eingerichtet gewesen.
Vermutlich konnte der Betraum dann auch im Haus des Moses eingerichtet werden. 1792
wird berichtet, dass die "Judenschul" schräg hinter dem Haus von
Schmul Moses stand. 1822 waren die Inhaber der Betständer 1-8: Moses
Elias Sohn, Nehm Höxter, Kaufmann Höxter, Seligmann Schaumberg, Samuel
Schaumberg, Salomon Höxter, Isaak Schaumberg und Jakob Katz. Die Stände 9 bis
12 blieben vakant und wurden jährlich an den Meistbietenden vermietet. In der
"Weiberschule" (Frauenempore) hatten einen festen Platz: Res Elias
Sohn, Sara Höxter, Brendel Schaumberg, Fradchen Höxter, Brendel Schaumberg und
Brendel Katz.
1859 wurde die Synagoge renoviert, nachdem zuvor auch über den Abbruch und
Neubau einer Synagoge in Schweinsberg diskutiert worden war.
Bei einem großen
Stadtbrand im Oktober 1872 wurde die Synagoge völlig zerstört. Fünf Torarollen konnten
damals glücklicherweise gerettet werden. Eine neue Synagoge wurde
1873/74 erstellt. Am 22. November 1924 konnte das 50-jährige Bestehen der
Synagoge feierlich begangen werden. Dabei predigte der aus Schweinsberg
stammenden Lehrer Samuel Schaumberg. Die Zeitschrift "Der Israelit"
berichtete über das Ereignis:
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4. Dezember 1924: "Schweinsberg,
24. November (1924). Am vorigen (Schabbat) Paraschat Chaje Sara
(Schabbat mit der Toralesung Chaje = 1. Mose 23,1 - 25,18, das war
Schabbat, 22. November 1924) fand in der kleinen prächtig geschmückten
Synagoge Schweinsberg, im Beisein der öffentlichen Behörden, die
50jährige Jubiläumsfeier der 1874 für die abgebrannte neu erbauten
Synagoge statt. In feierlichem Gottesdienst verrichtete der in hohem Alter
noch mit melodisch jugendlicher Stimme begabte Herr Gerson Simon die
Schabbosgebete und ein Schweinsberger Kind - Herr Lehrer Samuel Schaumberg
- zurzeit in Neukirchen (Bezirke Kassel) verstand es in schöner Predigt
die Herzen aller Zuhörer zu rühren. Noch 4 Balbatim (Bürger) aus
damaliger Zeit hatte die Sechio (Verdienst), durch ihre Anwesenheit
gefeiert zu werden. Rühmend soll hierbei noch der echt jüdischen
Gastfreundschaft gedacht werden und eine Abendveranstaltung hielt die
Teilnehmer noch bis in die tiefste Nacht in schönster Gemütlichkeit
beisammen". |
Anmerkung: der im Bericht genannte
Lehrer Samuel Schaumberg (geb. 1884 in Schweinsberg) war von 1936 bis 1942
Lehrer am Philanthropin in Frankfurt/Main. Er wurde 1942 deportiert und
ermordet. |
Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge niedergebrannt
und zerstört. Zuvor sind große Teile der Inneneinrichtung zerstört und in den
vorbeifließenden Mühlgraben geworfen worden. Die Stadt übernahm das 3,39 ar
große Grundstück ließ die Brandruine bis auf die Sockelmauern abbrechen und
installierte hier eine Viehwaage. 1949 kam das Synagogengrundstück an die
Jewish Restitution Successor Organization (JRSO), die es schließlich Ende 1950
an einen Schweinsberger Privatmann verkaufte.
Adresse/Standort der Synagoge: Biegenstraße
Fotos
(Quelle: Foto: Hahn, Aufnahmedatum
26.3.2008)
Hinweistafel zur jüdischen
Geschichte
am jüdischen Friedhof |
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Text der Tafel: "1332
erhält Ruprecht Schenck zu Schweinsberg das Recht zu Ansiedlung von vier
Juden; 1594 bezeugt ein schriftlicher Nachweis jüdische Bewohner und 1938
leben 21 jüdische Bürger in Schweinsberg. Am 8. November 1938, in der
sog. 'Reichskristallnacht', wird die 1874 in der Biegenstraße errichtete
Synagoge niedergebrannt und zerstört. Nach erzwungener Auswanderung,
Deportation und Ermordung ist die jüdische Gemeinde 1942
zerschlagen". |
Erinnerungsarbeit vor
Ort - einzelne Berichte
November 2023:
Verlegung von "Stolpersteinen" in Schweinsberg
Am 16. November 2023 wurden in Schweinsberg
"Stolpersteine" verlegt für Mitglieder der Familie Katz (Am Froschwasser 6)
und für Mitglieder der Familie Schaumberg (Neustadt 16). Bei der
Veranstaltung sprachen Bürgermeister Christian Somogyi und
Stadtteilvorsteher Reinhard Estor sowie Helmut Hermann (Förderverein
Geschichte Stadtallendorfs 1933-45 e.V.). Beteiligt waren bei der
Vorbereitung und Durchführung der Verlegung Schüler*innen der
Georg-Büchner-Schule. |
Links und Literatur
Links:
Quellen:
Hinweis
auf online einsehbare Familienregister der jüdischen Gemeinde
Schweinsberg |
In der Website des Hessischen Hauptstaatsarchivs
(innerhalb Arcinsys Hessen) sind die erhaltenen Familienregister aus
hessischen jüdischen Gemeinden einsehbar:
Link zur Übersicht (nach Ortsalphabet) https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/llist?nodeid=g186590&page=1&reload=true&sorting=41
Zu Schweinsberg sind vorhanden (auf der jeweiligen Unterseite zur
Einsichtnahme weiter über "Digitalisate anzeigen"):
HHStAW 365,777 Trauregister der Juden von Schweinsberg
1852 - 1889; enthält ein nachträglich zusammengestelltes Trauregister,
nachdem die original Synagogenbücher bei einem Brand zerstört worden
sind, daher auch ein Hinweis auf einen Brand in Schweinsberg im Oktober
1872, bei dem die Synagogenbücher der jüdischen Gemeinden Schweinsberg
und Niederklein verbrannt sind https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v2912378
|
Literatur:
| Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang -
Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. II S. 292. |
| Keine Artikel (da von der Synagoge nach 1945 nichts
erhalten) bei Thea Altaras: Synagogen in Hessen. Was geschah seit
1945? 1988 und dies.: Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in
Hessen. Was geschah seit 1945 Teil II. 1994. |
| Studienkreis Deutscher Widerstand (Hg.):
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der
Verfolgung 1933-1945. Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt. 1995 S. 160-161. |
| Pinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish
Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume
III: Hesse - Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992
(hebräisch) S. 587-588. |
| Barbara Händler-Lachmann / Ulrich Schütt:
"unbekannt verzogen" oder "weggemacht". Schicksale der
Juden im alten Landkreis Marburg 1933-1945. Marburg 1992. |
| Barbara Händler-Lachmann / Harald Händler
/Ulrich Schütt: 'Purim, Purim, ihr liebe Leut, wißt ihr was Purim
bedeut?' - Jüdisches Leben im Landkreis Marburg im 20. Jahrhundert. Marburg
1995. |
| Alfred Schneider: Die jüdischen Familien im
ehemaligen Kreise Kirchhain. Beiträge zur Geschichte und Genealogie der
jüdischen Familien im Ostteil des heutigen Landkreises Marburg-Biedenkopf
in Hessen. Hrsg.: Museum Amöneburg. 2006.
|
Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the
Holocaust".
First published in 2001 by NEW
YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad
Vashem Jerusalem, Israel.
Schweinsberg
(now part of Stadtallendorf) Hesse-Nassau. Jews lived there from the 17th
century, opened a synagogue in 1822, and numbered 52 (6 % of the total) in 1871,
dwindling to 27 in 1933. The synagogue was destroyed on Kristallnacht
(9-10 November 1938), and by 1939 most of the Jews had left; 13 perished in the
Holocaust.
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