Baisingen Friedhof 154.jpg (62551 Byte)  Segnende Hände der Kohanim auf einem Grabstein in Baisingen


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Winnenden (Rems-Murr-Kreis)
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Zur jüdischen Geschichte in Winnenden          
     
In Winnenden gab es zu keiner Zeit eine jüdische Gemeinde.
 
Aus dem Mittelalter gibt es vor dem 15. Jahrhundert keine Nachweise für eine jüdische Ansiedlung. 1418 lebten jedoch ein oder mehrere Juden in der dem Grafen von Württemberg gehörenden Stadt. Die Juden Winnendens sollten damals zu einer außerordentlichen Reichssteuer zusammen mit den übrigen Juden der Grafschaft 400 fl. beitragen.   
 
Unklar ist die Herkunft des Namens der Flur "Judenkirchhof" am Bogen links der alten Straße nach Breuningsweiler, möglicherweise die Erinnerung an eine mittelalterliche (?) jüdische Begräbnisstätte. 
 
Auf Grund der württembergischen Ausschließungsgesetzgebung durften sich vom Ende des 15. Jahrhunderts bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts keine jüdischen Personen in der Stadt niederlassen.  

Erst im 19./20. Jahrhundert werden bei den Volkszählungen wieder einige jüdische Personen genannt, sowohl in der Stadt als auch in den klinischen Einrichtungen.
 
1. Die Volkszählungsergebnisse nennen für Winnenden-Stadt: 1864 2, 1867 1, 1871 0, 1880 und 1885 je 1, 1895 11, 1900 4, 1905 1, 1910 4 jüdische Personen, teilweise wird es um bei den Volkszählungen zufällig ortsanwesende und nicht um ortsansässige Personen gehandelt haben. Bei der Höchstzahl von 11 jüdischen Personen 1895 handelte es sich wohl insgesamt um Mitglieder der beiden Familien Thalheimer aus Affaltrach: 
 
Seit Ende des 19. Jahrhunderts hatten in Winnenden mehrere - meist auswärts lebende - jüdische Viehhändler ihre Niederlassungen. Der erste "Viehjude" (so im Volksmund genannt) war wahrscheinlich Jakob Thalheimer (geb. 5. August 1859 in Affaltrach als Sohn von Arthur Thalheimer [geb. 1824 in Affaltrach als Sohn von Bär Thalheimer und Frau Kella] und Babette geb. Stern). Er hat sich vermutlich 1892 in Winnenden niedergelassen, danach seit 1899 in Cannstatt, wo er in den folgenden Jahren in der Marienstraße (heute Liebenzeller Straße) 3 lebte. Von hier aus betrieb er weiterhin den Viehhandel in Winnenden, wo er zur Unterbringung des Viehs für Handelsgeschäfte einen Stall gemietet hatte. Er war verheiratet mit Rebekka geb. Lindner (geb. 1865 in Affaltrach). Die Viehhandlung Thalheimer wird erstmals 1911 in der Winnender Zeitung genannt. Jakob Thalheimer starb 1932 in Cannstatt, seine Frau ebd. 1939 (beide beigesetzt im jüdischen Steigfriedhof). 

1892 bis 1899 lebte auch die Familie von Moritz Thalheimer (bzw. Moses Löb, geb. 1855 in Affaltrach als Sohn von Schmayes/Jesaias Thalheimer [1813 geborener Sohn von Bär Thalheimer und seiner Frau Kella s.o.] und seiner dritten Frau Babette geb. Sulzbacher) mit seiner Frau Karoline geb. Thalheimer (geb. 1858 in Affaltrach als Tochter von August Thalheimer und seiner Frau Babette geb. Stern) in Winnenden zusammen mit ihren Kindern Bertha (geb. 1883 in Affaltrach, später verheiratete Schöttle), August (geb. 1884 in Affaltrach) sowie Anna (geb. 1887 in Affaltrach). Bertha und August Thalheimer gehörten später zu den Triebkräften der Arbeiterbewegung in Deutschland; August stand nach der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts 1919 an der Spitze der KPD Deutschlands; zeitweise in Moskau als Dozent; nach 1933 in Frankreich; später Internierung in verschiedenen Lagern; 1941 nach Kuba, wo er 1948 gestorben ist. Bertha war zunächst in der SPD aktiv; 1918 bei den Gründungsmitgliedern der KPD. Im Haus der Familie Thalheimer in Cannstatt (Rippoldsauer Str., ehemals Moltkestr. 77) verkehrten lange die Großen der Sozialdemokratie Deutschlands, häufig u.a. Clara Zetkin. Nach dem Tod von Karoline geb. Thalheimer am 1. Mai 1922 (beigesetzt im jüdischen Steigfriedhof) verzog Moritz Thalheimer von Cannstatt.   
Vgl. Wikipedia-Artikel zu August Thalheimer  https://de.wikipedia.org/wiki/August_Thalheimer und Dokumente https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/olf/struktur.php?bestand=51045 sowie zahlreiche weitere Literatur und Beiträge im Internet.
 
Um 1910 gab es in der Stadt die Viehhandlung von Benno Buxbaum, über den nur wenig bekannt ist; er dürfte wie der Cannstatter Metzgermeister Israel Buxbaum aus Merchingen stammen
 
1911 wird in einer Zeitungsanzeige in Winnenden erstmals die Viehhandlung Kaufmann genannt, zunächst von Isaak Kaufmann (geb. 1852 in Zaberfeld), der mit Sidonie geb. Stern verheiratet war. Er lebte zunächst wohl noch in Zaberfeld, spätestens seit 1923 in Cannstatt. Von beiden Orten aus betrieb Isaak Kaufmann bzw. die Söhne den Viehhandel in Winnenden. Die Söhne Jakob und Alfred Kaufmann übernahmen seine Viehhandlung (in einer Geschäftsanzeige im Januar 1920 in der Winnender Zeitung unterzeichnete Alfred Kaufmann). Jakob Kaufmann ist 1883 in Zaberfeld geboren und war später verheiratet mit Klara geb. Rosenfeld (geb. 1888 in Öhringen, 1944 ermordet im KZ Auschwitz). Sie lebten in Cannstatt in der Schillerstraße 19. Jakob Kaufmann starb am 10. November 1940 in Cannstatt und wurde im dortigen jüdischen Steigfriedhof beigesetzt. Auch seine Tochter Hanna (geb. 1923) wurde in Auschwitz ermordet. Der jüngere Bruder Alfred Kaufmann ist 1895 in Zaberfeld geboren. Er war verheiratet mit Karoline geb. Bonem (geb. 1899 in Metz) und lebte gleichfalls in Cannstatt. Zur weiteren Geschichte der Familienmitglieder berichtet E. Kögel (Beitrag online eingestellt, siehe unten bei Literatur). 
 
Die in Winnenden lebenden jüdischen Personen gehörten der Synagogengemeinde in Bad Cannstatt an.
 
In der NS-Zeit lebte 1944 bis 1945 versteckt in Winnenden (Schorndorfer Str. 56) der (jüdische) Jurist Robert Perlen (Rechtsanwalt in Stuttgart seit 1912; nach 1948 Präsident des Landgerichts). Robert Perlen ist 1884 in Esslingen geboren als Sohn von Emil Perlen und seiner Frau Henriette geb. Sänger. Er war seit 1926 verheiratet mit der (evangelischen) Martha geb. Gerke. Seine Anwaltspraxis in Stuttgart, die er gemeinsam mit Dr. Robert Mainzer führte, war eine der vornehmsten in Württemberg. Ende 1938 wurde ihm die Zulassung als Rechtsanwalt entzogen. Um der Deportation zu entgehen, lebte er vom 6. Juli 1944 an versteckt in Winnenden (Wohnung vermittelt über sein Dienstmädchen). Hier in Winnenden blieben Robert und Martha Perlen noch bis zum 1. Dezember 1949, ehe sie wieder nach Stuttgart zogen (Wernlinstr. 1). Robert Perlen starb 1961 in Stuttgart. Er und seine Frau (gest. 1979) wurden in der Familiengrabstätte Perlen im jüdischen Friedhof (Teil des Ebershaldenfriedhofes) in Esslingen beigesetzt.     
 
 
 
2. Die Volkszählungsergebnisse nennen für die klinischen Einrichtungen unter "Winnenden-Anstalt": 1875 7, 1880 4, 1885 7, 1890 4, 1895 3, 1900 6, 1905 7, 1910 8, 1925 10 und 1933 7 jüdische Personen.
 
Auf Grund dieser Zahlen ist deutlich, dass vor allem in der früheren "Königlichen Heilanstalt Winnental" bzw. "Heil- und Pflegeanstalt Winnental" in den Räumlichkeiten des ehemaligen Schlosses Winnenden seit den 1870er-Jahren auch jüdische Patientinnen und Patienten untergebracht waren. Die 1940 in der Klinik noch befindlichen jüdischen Patientinnen und Patienten wurden zusammen mit 389 anderen Patienten in die Tötungsanstalt Grafeneck verbracht und ermordet.
Dasselbe betrifft die Einrichtung der Paulinenpflege Winnenden, in deren sog. "Taubstummenasyl" immer wieder jüdische Patientinnen und Patienten untergebracht waren. Bei einer Recherche der Paulinenpflege 1985 konnten zwei Patienten festgestellt werden (vermutlich unvollständig):
Max May
(geb. 1880 in Ratibor als Sohn des Kaufmanns Isidor May und seiner Frau Regine geb. Biermann, gest. 1921 in Winnenden): gehörloser Schuhmacher aus Ratibor und in der Paulinenpflege seit 1910 (seine Eltern wohnten in Charlottenburg). Max May wurde am 18. März 1921 im jüdischen Friedhof in Hochberg beigesetzt (das Grab ist in den Dokumentationen des Friedhofes allerdings nicht verzeichnet).
Sarah Thalheimer (geb. 1866 in Lehrensteinsfeld als Tochter von Marx Thalheimer und seiner Frau Kresle (?) geb. Hirschmann, gest. 1924 in Winnenden): gehörlos, eingetreten in die Paulinenpflege 1921. Sarah Thalheimer wurde nach ihrem Tod im jüdischen Friedhof in Affaltrach beigesetzt, also in dem für ihre Heimatgemeinde zuständigen jüdischen Friedhof, vgl. http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=2-2902998.
  
Von den jüdischen Patientinnen und Patienten der Heil- und Pflegeanstalt Winnental sind in der NS-Zeit umgekommen (ermordet in der Tötungsanstalt Grafeneck; Angaben nach den Listen von Yad Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"; Liste vermutlich unvollständig): Hermann Einstein (1878 Buchau), Selma Heidenheimer (1879 Stuttgart), Gertrud (Gertrude) Heilborn (1898 Ravensburg), Hedwig Mannhardt (1894 in Gmünd bei Regensburg), Alfred Neu (1895 Weinheim), David Neumetzger (1896 Oberdorf), Julius Schloss (1881 Mainz), Charlotte Steiner (1897 Ulm).   
  
Aus Winnenden-Stadt ist umgekommen (nach Gedenkbuch des Bundesarchivs https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/directory.html.de?id=539287 und den Angaben des United States Holocaust Memoral Museum https://secure.ushmm.org/online/hsv/person_view.php?PersonId=5341138): Alfred Komany (geb. 30. Oktober 1897 in Winnenden, 1942 deportiert ab Drancy in das KZ Auschwitz und ermordet). Zu Alfred Komany liegen keine weiteren Informationen vor.   
   
    
    
Fotos    

Fotos zur jüdischen Geschichte in Winnenden sind nicht vorhanden    
     

    
   
 
Erinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte       

Noch keine Berichte vorhanden.    
  

    
     

     
Links und Literatur   

Links:  

bulletWikipedia-Artikel https://de.wikipedia.org/wiki/Klinikum_Schloß_Winnenden
bulletWebsite: https://www.zfp-winnenden.de/unser-zentrum/geschichte/ueberblick/1930-1950/euthanasie/ 
bullet https://www.gedenkort-t4.eu/de/historische-orte/qdwgq-heilanstalt-winnental-klinikum-schloss-winnenden#schnellueberblick      

Literatur:  

bulletGermania Judaica III,2 S. 1658.
bulletHans Veitshans: Historischer Atlas Bd. V, S. 45.
bulletFlurnamenverzeichnis der Landesstelle für Volkskunde Stuttgart (nicht veröffentlicht).
bulletJoachim Hahn: Erinnerungen und Zeugnisse der jüdischen Geschichte in Baden-Württemberg. 1988. S. 452. 
bulletders.: Jüdisches Leben in Esslingen. Geschichte, Quellen und Dokumentation. 1994. S. 337-338. 
bulletders.: Steigfriedhof Bad Cannstatt. Israelitischer Teil. Reihe Friedhöfe in Stuttgart 4. Band. 1995 S. 70.  
bulletMartin Eitel Müller: Euthanasie und Sterilisation in Winnental 1933-1945. Aus der Publikation: 175 Jahre Heilanstalt Winnenden. Winnender Veröffentlichungen. Band 3. Verlag Regionalkultur 2008. 
bulletEberhard Koegel: Oifach nemme komma - Weg und Schicksal der Winnender Viehjuden. Artikel war ursprünglich vorgesehen für Jahrbuch Winnenden 2009. Fassung ohne Fotos. 31 S.  Link zum Beitrag (pdf-Datei).
Im Beitrag wird u.a. ausführlich berichtet über die Viehhändlerfamilie Kaufmann aus Zaberfeld. 

  
   

                   
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Stand: 30. Juni 2020