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in Worms
Weitere Textseiten zur jüdischen Geschichte in Worms
- Texte aus dem 19./20. Jahrhundert zur
mittelalterlichen und neuzeitlichen jüdischen Geschichte in Worms
- Texte zu den Rabbinern und Lehrern
der jüdischen Gemeinde vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert
- Berichte aus dem jüdischen Gemeinde- und Vereinsleben im 19./20.
Jahrhundert (diese Seite)
- Berichte zu einzelnen Personen aus der
jüdischen Gemeinde im 19./20. Jahrhundert
- Zum alten jüdischen Friedhof in Worms
("Heiliger Sand")
- Zum neuen jüdischen Friedhof in
Worms-Hochheim
Worms (kreisfreie
Stadt, Rheinland-Pfalz)
Texte/Berichte zur jüdischen Geschichte der Stadt im 19./20.
Jahrhundert
Hier: Berichte aus dem jüdischen Gemeinde- und Vereinsleben im 19./20.
Jahrhundert
Die nachstehend wiedergegebenen Texte mit
Beiträgen zur jüdischen Geschichte in Worms wurden in jüdischen Periodika
gefunden.
Bei Gelegenheit werden weitere Texte eingestellt.
Hinweis: Die
Texte wurden dankenswerterweise von Susanne Reber (Mannheim) abgeschrieben.
Übersicht:
Berichte aus dem
jüdischen Gemeindeleben
Publikation
über den Napoleonischen Erlass von 1808 wegen den Vor- und Zunamen der Juden
und seine Ausführung in Worms (1915)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 12. Februar 1915: "Der Napoleonische Erlass von 1808
wegen der Vor- und Zunamen der Juden und seine Ausführung in Worms. Von Max
Levy, Worms 1914. Buchdruckerei Eugen Kranzbühler (Gebr. Enyrim) Worms
Eine interessante Studie, die etwas mehr enthält, als der ausführliche
Titel besagt, denn es werden auch Angaben über Alter und Beschäftigung der
damaligen Wormser Juden gemacht. In Beziehung auf das erstere ist zu
bemerken, dass das älteste männliche Mitglied der Wormser Gemeinde 85, das
älteste weibliche 84 Jahre alt war. In Bezug auf das Letztere sei
hervorgehoben, dass die meisten Mitglieder dem Handelsstande angehörten, und
dass es nur wenige Handwerker, 5 Metzger und etwa ebenso viele Vertreter
anderer Gewerbe gab. Was nun der Hauptinhalt der Schrift anbetrifft, so
erließ Napoleon am 20. Juli 1808 ein Edikt des Inhalts, dass die Juden Vor-
und Familiennamen annehmen müssten. Dieses Gebot traf die Wormser Juden nur
in geringem Grade. Denn während in vielen Teilen Deutschlands die Juden sich
mit Vornamen biblischer Herkunft begnügten und an diese die Vatersnamen
fügten, führten die Wormser Juden neben ihren biblischen Vornamen, solche
Namen, die Herkunft und Beschäftigung andeuteten. Sie behielten also auch
nach dem Edikt diese Namen bei, nur einige benutzten die Vergünstigung,
indem sie Josua in Jean, Amschel Löb in August Ludwig, Manasse in Marc,
Liebmann in Leonhard verwandelten. Die Frauen machten in größerem Umfang von
dem Rechte Gebrauch, ihre Vornamen zu ändern und so schwanden viele alte
Namen, die sich auf althebräische Bibelnamen zurückführen ließen oder
romanischen oder altdeutschen Ursprungs waren. Die Trägerinnen der Namen
Fraedge, Gütel, Jendle, Kehle, Memmel, Prendel, um nur einige zu nennen,
tauschten diese in schöner klingende französische: Francoise Antoinette,
Julie, Catherine, Marthe, Jeanne um. L. G."
Hinweis auf die Liste:
https://www.a-h-b.de/de/projekte/familienforschung/name-adoption-lists/worms |
Die jüdischen Einwohner des Kreises Worms werden den
fünf Hauptgemeinden Worms, Monsheim, Westhofen, Mettenheim und Osthofen
zugeteilt (1840)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 6. Juni 1840: "Worms, 12. Mai. (Frankfurter Journal). Für
die Reorganisation der israelitischen Religionsgemeinde des Kreises Worms
ist ein bedeutender Schritt geschehen, und zwar in Folge der tätigen
Bemühungen des großherzoglichen Kreisrates Herrn Städel*, welcher auf
seinen höchsten Ortes erstatteten Vortrag zum ferneren Handeln in dieser
Sache ermächtigt wurde. Aus seinem desfälligen unterm 1. Mai erlassenen
Ausschreiben ersieht man zur Genüge, dass die große Mehrzahl der
israelitischen Religionsgemeinden als solche sich in einem wenig
erfreulichen Zustande befinden. Die Zahl dieser Gemeinden war, im Verhältnis
zu der Menge ihrer Mitglieder und der Größe ihrer Mittel, viel zu groß, als
dass die meisten unter ihnen eine den Bedürfnissen des religiösen Kultus
entsprechende Einrichtung hätten erhalten können. Es fehlte daher meist an
Synagogen, hinreichend dotierten Religionslehrerstellen und anderen
unentbehrlichen Hilfsmitteln. Nur durch die Vergrößerung der Gemeinden und
die Konzentration ihrer finanziellen Mittel konnte diesem immer fühlbarer
werdenden Übelstande abgeholfen werden. Hiernach sind nun sämtliche
israelitische Bewohner des Kreises Worms zu den fünf Hauptgemeinden Worms,
Monsheim,
Westhofen,
Mettenheim und
Osthofen vereinigt worden. Der in Worms
angestellte Rabbine wird zur Hälfte aber von den Landgemeinden besoldet.
Eine jede der fünf Gemeinden hat aus ihren Mitteln einen tüchtigen
Religionslehrer zu besolden. Auch soll an jedem Hauptorte eine geräumige
Synagoge gebaut werden.
*Anmerkung: mit dem Kreisrat Städel ist Gustav Eduard Städe gemeint. |
Grundsatzpapier zu Reformen in der jüdischen Gemeinde
(1848)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 17. Juli 1848: "Worms, im Juli (Privatmitteilung). In dem
mutsfrischen, lebendigen Südwestdeutschland scheint man die Bewegung der
Zeit schneller auf das Gebiet der Religion verpflanzen zu wollen. Zeugnis
dessen gibt Ihnen der, von Ihnen mitgeteilte Ausruf des 'badischen
Landesvereins' (No. 27). Als ein weiteres Zeugnis übersende ich Ihnen heute
folgenden Aufruf nebst Programm eines hiesigen Komitees. Es lautet:
'An unsere deutschen Glaubensbrüder.
Unsre Religion, die reine und erhaben, die uns unversehrt durch die Fluten
der Weltgeschichte hindurchtrug, uns Licht gewährte in den Zeiten der
tiefsten Finsternis, uns mit Kraft ausrüstete, allen Gefahren zu trotzen,
und Trost spendete in den traurigsten Lagen, wurde durch den harten Druck,
der Jahrtausende lang auf uns lastete, zu einem Konglomerat äußerlicher
Vorschriften, die ganz des lebendigen Gedankens entbehren, maschinenmäßig
ausgeübt werden, daher statt zu erheben, niederdrücken.
Mit der freiern Entwicklung des Geistes, die am Ende des vorigen
Jahrhunderts in Folge der Verbesserung unsrer politischen und sozialen
Stellung eintrat, fiel auch alsbald ein Lichtstrahl in diesen dichten Nebel
und Einzelne begannen zu erkennen, wie sehr man sich bisher verfehlte, indem
man das heilige Wesen der Religion schwinden ließ und tote Formen an dessen
Stelle setzte zur Verehrung des lebendigen Gottes. Die Anzahl derer, die
sich von den äußerlichen Formen lossagten, wuchs an, ohne, dass dadurch
wahre Religiosität gefördert worden wäre, da dem wahren Geiste keine Altäre
gebaut, der Innerlichkeit keine entsprechende Institutionen geschaffen
wurden. Gar arg sah es da auf dem Gebiete des Judentums aus. Der
Indifferentismus, der Krebsschaden alles Lebens und Strebens, griff auf
höchst bedauerliche Weise um sich, und der Abfall entriss uns eine Anzahl
unserer talentvollsten Geister.
Durch das Auftreten gesinnungstüchtiger und tatkräftiger Rabbinen ward es
einigermaßen besser. Ihr begeisterter Ruf weckte einen großen Teil aus dem
lethargischen Schlafe, und das lebendige Wort, dass sie lebendig
verkündeten, brachte Wärme und Begeisterung in die erkalteten Herzen. Wo sie
wirken konnten und wirkten, ward es den Gemeinden klar, dass noch ein großes
und ruhmvolles Ziel vor uns liege, das wir an unserm Glauben, so er im
Geiste der Gegenwart wieder aufersteht, einen Schatz besitzen, den wir um
keinen Preis hingeben dürfen. Die Gemeinden fingen an, Religionsschulen zu
stiften, den Gottesdienst umzugestalten, selbst Versuche zu einer
durchgreifenden Reform zu machen. Doch der Schlendrian, dem alle Zustände
preisgegeben waren, ließ es auch hier zu keiner energischen Tat kommen. Die
Zurücksetzung, mit der eine hohle Politik im Namen des romantischen
christlichen Staates die Bekenner des Einig-Einzigen brandmarkte, lähmte den
freien Mut. Um allen etwas zu geben, gab man niemandem etwas Ganzes,
wahrhaft Befriedigendes und Erhebendes. Was geschah, war nicht eine
Vermittelung der Gegensätze, eine Versöhnung zwischen Vergangenheit und
Zukunft, man setzte viel mehr dem alten Gewande einen modernen Flicken auf,
sodass es weder von Anhängern des Herkömmlichen, den Zeremoniellen, noch
denen, welche der Fortbildung im Geiste huldigen, den Ideellen zusagen
konnte. Im Gottesdienste wurden zu den veralteten, dem Inhalte wie der
Sprache nach in uns erstorbenen Gebeten, solche, die aus dem neuerwachten
Leben hervorgegangen, hinzugefügt, der vermoderten Leiche die Arme eines
Lebendigen eingesetzt. In der Religionsschule herrschte die Knechtschaft
statt der Freiheit, da der Religionslehrer beiden Klassen in der Gemeinde
verantwortlich war, zweien Herren zumal dienen musste, da er nirgends als
freier Mann sprechen, nirgends den Springquell seines Herzens ganz
erschließen durfte. In den Institutionen der Gemeinde ward Gegenwärtiges
neben Verjährtes hingestellt, es fehlte die Gestaltung, in welcher der ganze
Geist des Judentums befriedigt worden wäre, er sich ganz dargestellt hätte –
überall nur Stück- und Flickwerk.
Es trat ein Zustand ein, um Vieles noch unerquicklicher, denn der frühere.
Der Parteikampf erwachte in den Gemeinden um das Kleinste und Unbedeutendste,
der nicht mehr mit Wärme und Begeisterung, wie sonst, wo es ein hohes Ziel
zu erringen gilt, sondern mit der Wut der Leidenschaft geführt wurde. Es
handelte sich um einen Lappen mehr oder weniger und gekämpft ward mit einer
Heftigkeit und Erbitterung, die nur schaden, nichts nutzen konnte. Wie hätte
es auch anders sein können in einer gereizten Zeit, wo jede Kraftäußerung
Demagogie war, und jeder Frische mit Misstrauen begegnet wurde? Da brachen
die Ereignisse der jüngsten Monate welterschütternd herein, die ganze
ungeteilte Freiheit in allen Richtungen der Gesellschaft ward in ganz
Deutschland, ja fast in ganz Europa das heilige Losungswort. Der freie Geist
feiert seinen Sieg über alles ihm Widersprechendes und Widerstrebende, er
schleuderte die Zwangsjacke weit weg, in welcher Vorurteil und Bevormundung
ihn solange geschnürt hielten. Die Macht der falschen Autorität, welche bis
jetzt auch das |
Ungerechteste
rechtfertigen musste, ist gebrochen; es gelten fortan nur, was in sich
selbst keine Berechtigung trägt, sich durch sich selbst rechtfertigt. Der
Lüge helfen fortan die Jahre ihres Bestehens nicht mehr, die Zeit hat es
endlich begriffen, dass die junge Wahrheit allein die Ehre des Alters für
sich hat, da sie vom Anbeginne her ist. Der Stab ist gebrochen über dem
leeren Formalismus, der an unserm besten Marke zehrte und jeder
lebenskräftigen Entwickelung hemmen in den Weg trat, die lebendig gewordene
Zeit will das Tote begraben wissen, damit alles Leben atme. Der Lebensbaum
der Geschichte hat seine welken Blätter abgeschüttelt, damit ungehindert die
neue Blüte sich ansetze. Im Sturme kündet sich der neue Frühling der Völker
an, und alle Herzen, die nicht zu hoffen verlernt haben, jubeln ihm
entgegen; wer im starren Winter die Kraft nicht einbüßt, rüstet sich, ihn
würdig zu empfangen.
Sollen wir, die wir alljährlich seit undenklicher Zeit das Fest der Freiheit
feiern, allein untätig bleiben, die wir für die Wahrheit zuerst auf den
Kampfplatz der Weltgeschichte traten, sollen wir stumpfsinnig die Hände in
den Schoß legen, während die Wahrheit ihre glorreiches Banner aufrollt? Wir
haben der Knechtschaft Widerstand geleistet, wie keine andere Gemeinschaft,
wir haben darum auch besonders das Recht und die Pflicht unsre volle
Tätigkeit zu entwickeln, wenn wir mit der Errungenschaft der Gegenwart auch
auf unserm religiösen Gebiete Ernst machen, wenn wir mit unserm Judentum als
organisches Glied wieder in die Geschichte eintreten, als wahrhafte Juden im
Reiche der Freiheit eine tatkräftige Stellung uns erringen wollen.
Wir müssen Wahrheit und Würde im Gottesdienst, Übereinstimmung zwischen
Glauben und Leben erstreben, leere Formen entfernen, dem Geiste des
Judentums neue Institutionen schaffen. Wir dürfen nicht mehr mit dem Munde
um die Rückkehr nach Palästina, um die Wiedereinführung des blutigen
Opferdienstes beten, während unser Herz doch mit allen seinen Fibern, mit
den stärksten Banden an das deutsche Vaterland gekettet ist, während das
Geschick desselben mit dem unsern unauflöslich verbunden, was uns lieb und
teuer von ihm umschlossen ist, während blutige Opfer unserm durch unsre
eigene Geschichte geläuterten Gefühle ein Greuel ist. Wir dürfen nicht um
die Zerstörung des Tempels gedenken, aber wozu eine Trauer heucheln, die
längst nicht mehr im Herzen haftet, und Klagelieder um eine geschichtliche
Tatsache ertönen lassen, in der wir die liebevolle Hand Gottes preisen? Wir
dürfen unsere Kleinen in der Religionsschule nicht mehr mit einer Masse von
Satzungen behelligen lasse, in der die sie von den Eltern bei Seite gesetzt
sehen, die der lebendige Geist des Judentums als toten Ballast über Bord
wirft, nicht mehr in einer toten Sprache beten, während Wort und Klang
unserer deutschen Muttersprache uns ebenso verständlich als lieblich und
darum allein geeignet sind, uns zu unserm Schöpfer zu erheben. Wir dürfen
nicht mehr zu Hause gewisse religiöse Einrichtungen und Satzungen, weil
herkömmlich, als bedeutungsvoll beibehalten, die wir draußen, als jeder
Bedeutung für uns entbehrend, längst beiseite gesetzt haben. Wohin soll
dieser Widerspruch zwischen Glaubenserfahrung und Leben führen? Versündigung
an der Wahrheit hat auf dem Gebiete der Politik jüngst verheerende Stürme
heraufbeschworen; kann sie auf dem Boden der Religion, deren Mark und Wesen
doch nur die Wahrheit ist, minder gefährlich sein? - Es muss endlich dieser
Widerspruch gelöst, diese Todsünde der Unwahrheit und Heuchelei aus unserer
Mitte verbannt werden. Dem echten Geiste unsers Glaubens muss ein neuer
Tempel auf der alten Grundfeste erbaut werden, in welchem wieder ein
jugendlich frischer und freier Lebenshauch für unsre strebsame Jugend
ausgeht. Es muss das Starre im Judentum flüssig, die spröde Satzung im Feuer
des Lebens geläutert, der abgestandene Stoff wieder durch das geschichtliche
Ferment in Gärung gebracht, der ganze Glaubensinhalt wieder vom Geiste
ergriffen, durchgeistigt werden. Es wird dies von allen Gesinnungsvollen
längst gefühlt, und wenn wir es unternehmen, diesen Gefühlen Ausdruck zu
geben, so geschieht dies nicht aus Überschätzung unserer schwachen Kräfte,
sondern weil kein anderer jetzt, wo uns der rechte Augenblick gekommen
scheint, das Wort ergriffen hat.
So erlauben wir uns denn, von diesen Gesinnungen und Bestrebungen geleitet,
als von den hiesigen |
"Reformfreunden
gewähltes Komitee, Euch beigefügtes, von denselben zu dem ihrigen gemachtes
Programm zu überwachen, in welchem die Grundzüge unseres
Glaubensbekenntnisses niedergelegt sind. Prüft es reiflich und legt Eure,
wenn auch abweichenden Ansichten dazu nieder, wenn Ihr es nicht vorziehen
solltet, durch ein Ähnliches eurer religiösen Überzeugung einen
entsprechenden Ausdruck zu geben. In wenigen Tagen kann dies geschehen sein.
- Dann wollen wir uns bis zum 23. Juli zu einer Beratung hier versammeln, zu
welcher wir Euch oder Eure Abgeordneten hiermit mit der Bitte, uns zuvor die
Zahl der Teilnehmer anzuzeigen, herzlich einladen. Unsere durch
geschichtliche Erinnerungen berühmte Stadt dürfte sich hierzu besonders
eignen. Sie ward einst die Mutter der Gemeinden Israels genannt: Wir hoffen,
dass durch unsre Versammlung von ihr wieder ein neuer kräftiger und
belehrender Geist für die Synagoge Deutschlands ausgehen wird, so wie wir
uns des ernsten Willens, des aufrichtigen Strebens und der Reinheit unserer
Absichten bewusst sind. - Genehmigt unsern glaubensbrüderlichen Gruß.'
Worms 23. Juni 1848
Das Komitee der jüd. Reformfreunde zu Worms
M. Edinger, Jakob Fulda, Felix Gernsheim, C. M. Goldschmidt, F. Langenbach,
Emanuel Marx
Hieran reiht sich Folgendes: 'Programm der Reform in der jüdischen
Religionsgemeinde zu Worms.
1) Wir begrüßen die in unserm Vaterlande errungene, vollständige
Gewissensfreiheit als den glänzendsten Sieg wahrhafter Religiosität, da die
Religion in der göttlichen Freiheit des Menschen ihren Ausgangspunkt hat und
nur in freier Aneignung und Entwickelung wahrhaft gedeihen kann.
2) Von dieser Gewissensfreiheit den vollen Gebrauch zu machen, halten wir
daher vollständige Gewissensfreiheit auch auf dem Gebiete des Judentums und
weisen darum jede Bevormundung nicht nur von außen, sondern auch von innen
entschieden zurück. Um die Gewissensfreiheit unter uns zur Wahrheit zu
machen, wollen wir unsrer religiösen Überzeugung auch einen entsprechenden
Ausdruck schaffen, wollen wir dahin arbeiten, dass sich unser häusliches
Leben gemäß derselben gestalte, dass sie sich in unserm Kultus darstelle,
dass unsere Kinder in ihr offen und entschieden ohne Rückhalt und Schwanken
belehrt und erzogen werden.
4) Wir bedauern, dass unsre übrigen Glaubensbrüder noch nicht zu diesem
freien Standpunkt, der vom Judentum gefordert wird und den die Gegenwart in
allen Richtungen anstrebt, gelangt sind, dass sie durch die Schuld einer
unerquicklichen Vergangenheit hinter der Anforderung unsrer Religion wie
unsrer Zeit zurückstehen, leben aber in der festen Zuversicht, dass die
Zukunft sie sämtlich auf ihn hinführt.
5) Unsre Absicht ist daher nicht ein Schisma in der Judenheit hervorzurufen,
wir erkennen vielmehr,vor wie nach, in allen Angehörigen derselben nicht nur
unserer Brüder – als solche erkennen wir alle Menschen, nach dem Ausspruche
des Propheten: Haben wir nicht alle einen Vater, hat nicht ein Gott uns
geschaffen - sondern auch unsere Glaubensbrüder. Wir wissen uns in Einheit
mit ihnen durch eine gemeinschaftliche freuden- und leidenvolle Geschichte,
durch den geistigen Gehalt unsers Glaubens und Kultus, durch die heilige
Schrift, mit der auch uns der geschichtlich entwickelte Geist des Judentums
(die Tradition) verbindet, aus der auch wir die Lehren des Glaubens
schöpfen, die auch uns zur Richtschnur für unsern religiösen und sittlichen
Lebenswandel dient, durch die gemeinschaftliche Hoffnung auf ein glorreiches
Ziel der Geschichte, das einst allen Menschen den Frieden bringt, alle in
Liebe vereinigt zum Wandel im göttlichen Lichte.
6) Wir wollen nur eine besondere Gemeinde bilden, weil viele bis jetzt
bestehenden Gemeindeinstitutionen keinen Ausdruck unsrer religiösen
Überzeugung bilden, eine Menge von noch geltenden Zeremonien unser
religiöses Bedürfnis nicht befriedigt und sonst noch manche als religiöse
überlieferten, noch nicht durch eine offene Erklärung abrogierten
Vorschriften in schneidendem Widerspruche mit unser religiösen Gesinnung
stehen. Sich aber äußerlich zu einer Gemeinde bekennen, deren Institutionen,
Zeremonien und Vorschriften zum großen Teile dem Innern widerstrebten, darin
sehen wir eine Lüge, die der wahre Geist des Judentums, das auf Wahrheit und
Wahrhaftigkeit gegründet ist, zu allen Zeiten von sich wies, und welcher für
uns und unsere Angehörigen eine Ende zu machen, wir für unsre erste Pflicht
halten.
7)Wir wollen eine besondere Gemeinde bilden, |
weil
es uns in dem bisherigen Gemeindeverbande nicht gegönnt ist, unserer
religiösen Gesinnung, die das geschichtlich entwickelte Judentum in uns
bildete, im Kultus Gestalt und Leben zu verschaffen und dieselbe somit als
eine lebendige, kräftigende und heiligende unseren Kindern zu vererben; weil
wir überhaupt befürchten, dass nach dem bisherigen Verlaufe sowohl das
herkömmliche als das im Geiste der Gegenwart entstandene und mit ihm
versöhnte Judentum mit dem jetzigen Geschlechte absterbe und nur da eine
gesicherte Zukunft für es sehen, wo es dem Parteikampfe entrückt in
ungeschmälerte Freiheit seinen lebendigen Inhalt entwickeln und darstellen
kann.
8) Die Hauptgrundsätze, die fortan uns leiten sollen, sind:
a) Die jüdische Religion ist als die Wahrheit dem Wechsel der Zeit nicht
unterworfen, somit eine unabänderliche, ewige.
b) Die jüdische Religion schuf sich einen Ausdruck im äußeren Leben durch
Institutionen, Zeremonien, Satzungen. Diese gehören als äußere Erscheinung
der Zeit an, bilden das Gewand, das im Verlaufe der Geschichte geändert
werden kann und geändert wurde, ohne dem garstigen Inhalte Eintrag zu tun.
c) Institutionen, Zeremonien und Satzungen haben nur dann eine heiligende
Kraft, wenn sie der Ausdruck eines anerkannte religiösen Gedankens oder
einer bestimmten religiösen Gesinnung sind und wir uns derselben bei der
Ausübung bewusst werden, wenn sie aus dem gotterfüllten Herzen und Geiste
kommen und auf Herz und Geist wieder rückwirken. Die Ausübung ist hingegen
eine besonders auf dem religiösen Gebiete unwürdige Lüge, wenn unser Inneres
durch dieselbe in seine religiöse Stimmung versetzt, ihm keine religiöse
Wahrheit zugeführt wird.
d) Handlungen, die der Ausdruck eines Gedankens oder einer Gesinnung sind,,
welcher oder welche aber im Widerspruch steht mit unsrer heutigen, durch den
ganzen Verlauf der Geschichte bedingten Denk- oder Gesinnungsweise müssen
von unserm religiösen Gebiete entfernt werden.
e) Wir gehören vollständig unserm Vaterlande an, es ist für uns an die
Stelle von Palästina getreten. Wir haben keine Sehnsucht mehr nach Palästina
zurückzukehren und nehmen daher in unsre Liturgie kein Gebet um die Rückkehr
in dasselbe auf. Die Sprache Palästinas ist uns eine ehrwürdige, aber tote,
die Sprache des Vaterlandes ist unsre Muttersprache, in ihre allein werden
wir beten.
f) Der Tempelkultus und der blutige Opferdienst war einst eine entsprechende
Form des Gottesdienstes, ist uns aber gänzlich entfremdet. Die Erinnerung an
denselben als solche findet daher ebenfalls keinen Raum mehr in unserm
Gottesdienste.
g) Alle nur auf Palästina bezüglichen Gebote und Vorschriften haben für uns
keine Geltung mehr.
h) Dass alle Menschen Kinder Gottes sind, unter sich also im Verhältnisse
von Brüdern stehen, ist eine der Grundlehren des Judentums. Wenn wir daher
auch in den überlieferten Vorschriften, die auf eine Absonderung unserer
Glaubensgenossen von den Bekennern eines anderen Glaubens abzielten, eine
von den damaligen Verhältnissen dringend geforderte Notwehr nicht verkennen:
So sehen wir zugleich in der heutigen Beibehaltung derselben eine arge
Versündigung an einer der Hauptwahrheiten unsrer Religion und fordern daher
mit allem Nachdruck ihre Ausscheidung aus unserm religiösen Gebiete.
i) In den Werken der Liebe, durch welche sich die brüderliche Gesinnung
gegen unsere Mitmenschen kundgibt, erkennen wir die wahrhaftige Arbeit am
Reiche Gottes, die wahrhafte Betätigung der Frömmigkeit. Die Übung derselben
ist daher höchste Religionspflicht, gegen welche jede andere religiöse
Kundgebung zurückzustehen hat.
k) Ein Institut oder eine Zeremonie kann durch einen Ausspruch der
Gemeinschaft in ihrer Form geändert werden, wenn dadurch der Wahrheit, deren
Ausdruck sie sein soll, kein Abbruch geschieht.
l) Auch das weibliche Geschlecht hat mit dem männlichen in religiöser
Beziehung, nach jeder Richtung hin, gleiche Berechtigung und gleiche
Verpflichtung.
m) Wir verlangen von jedem Vater oder Vormund nach der Geburt eines Kindes,
sei es Knabe oder Mädchen, eine öffentliche Kundgebung, deren Form noch
näher zu bestimmen ist, dass er das Kind in der Religion des Judentums
erziehen wollte.
n) Wir verlangen von dem herangewachsenen |
und
der Schule tretenden Knaben oder Mädchen die Ablegung eines
Glaubensbekenntnisses, durch welches die Befähigung wie der Wille zum
Eintritte in die Gemeinde bezeugt wird.
o) Wir verlangen die religiöse Trauung, als eine Einrichtung, die der
bürgerlichen die religiöse Weihe verleiht. Aber wir verlangen auch, dass das
Brautpaar gegenseitig das Gelöbnis der Treue und Liebe ablege und dass die
Ringe gegenseitig gewechselt werden.
p) In unseren Geistlichen sehen wir die Männer, die nicht den toten
Buchstaben uns lehren, sondern das lebendige Bewusstsein der Gemeinde und
das durch dieses Bewusstsein belebte Wort aussprechen sollen. Sie haben
daher im Geiste des von der Gemeinde ausgestellten Bekenntnisses in der
Synagoge wie in der Religionsschule zu lehren.
q) Als die angemessene Gemeindeverfassung der Zukunft erkennen wir
diejenige, welche allen Gliedern der Gemeinde Gelegenheit gewähret, sowohl
unmittelbar als auch durch Vertreter sich auszusprechen und an der
Gestaltung des religiösen Lebens sich zu beteiligen. Wir verlangen daher
periodisch wiederkehrende, öffentliche Gemeindeversammlungen und eben solche
Synoden.'" |
Veränderungen in der Gemeinde durch das neue Wahlrecht
(1849)
Artikel in der Zeitschrift "Der treue Zionswächter"
vom 7. Dezember 1849: "Worms. Wie mit dem 6. März eine
segenbringende Zeit für die deutschen Israeliten im Allgemeinen heranbrach,
so war sie für die hiesige jüdische Gemeinde eine besonders segenbringende.
War früher die Vorstandswahl eine beschränkte, so kann sich jetzt die ganze
Gemeinde daran beteiligen. Schon jetzt genießen wir hier die Früchte davon,
denn der frühere Vorstand, der sich ganz der Reform in die Arme warf, ward
gestürzt und an dessen Stelle Männer, die fast alle, mit Ausnahme eines
einzigen, dem orthodoxen Judentum angehören. Es ist wahr, sie werden manchen
Kampf zu bestehen haben, aber ihre Aufgabe ist eine schöne. An diesen
Männern ist es gelegen, damit wieder die hiesige Gemeinde, wie einst in
alten Zeiten, hinsichtlich ihrer Frömmigkeit hervorrage unter ihren
Schwestergemeinden. Möge der Vorstand vor allem seine Blicke der Schuljugend
zuwenden und bedenken, wie durch den Unterricht des früheren
Religionslehrers, diejenigen Kinder, die seinen Unterricht genossen haben,
verdorben wurden, daher es nötig sei, will man einen Religionslehrer
berufen, dieses ein Mann sei, von dem man die Überzeugung hat, dass er
wahrhaft orthodox sei. - Als Adler* seine Stelle antrat, gab er sich
den Schein eines Orthodoxen, wie leicht könnte die Gemeinde zum zweiten Male
betrogen werden, sollte es irgendeinem Heuchler gelingen, sich durch
niedrige Schmeichelei das Vertrauen des Vorstandes zu gewinnen. - Wir kennen
aber die Männer des Vorstandes zu genau, um von ihnen zu glauben, sie würden
sich durch Heuchelei täuschen lassen.
*Anmerkung: Es handelt sich um Prediger Dr. Abraham Adler vgl. u.a.
Artikel von 1847 (interner Link). |
Jüdische Gemeindeglieder in mehreren Behörden und
weitere Mitteilungen aus der Gemeinde (1852)
Hinweis: Dr. Ludwig Levysohn schreibt sich auch "Lewysohn".
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 2. Februar
1852: "Worms, 19. Januar (Privatmitteilung). Die hiesige an sich
kleine Stadt (sie zählt 8.000 Seelen) zeigt das gewiss interessante Bild,
einen Bürgermeister*, zwei Angestellte der Regierungskommission, ein
Mitglied des Stadtrats und einen Taxator der städtischen Pfand- und
Leihanstalt, sämtlich israelitischer Konfession, in ihrer Mitte zu haben.
Wenn durch solche Erscheinungen in Verbindung mit dem Umstande, dass eine
ziemliche Zahl Israeliten sich hier befinden, die durch Kenntnisse,
Geschäftsbetrieb und Lebensweise sich auszeichnen, die früher hier wie
überall geherrschte Trennung der Israeliten von ihren christlichen
Mitbrüdern allmählich verschwindet, so ist dies nur höchst erfreulich. - In
der Tat hat unsere hiesige erste Gesellschaft (Kasino*) vor einigen Tagen
zum ersten Mal durch Kugelung* einen Israeliten aufgenommen, damit also auch
ihrerseits faktisch die Scheidewand zwischen Juden und Christen
niedergerissen.
Übrigens muss auch anerkannt werden, dass die hiesigen israelitischen
Bewohner für Förderung der Intelligenz nach Möglichkeit besorgt sind und ein
Beweis mag darin liegen, dass im hiesigen Gymnasium* – das im Ganzen von
circa 480 Schülern besucht ist – 38 Israeliten sich befinden.
Was den Religionsunterricht dieser und der 72 israelitischen Kinder der
Stadtschule, ferner jener drei Privatunterrichtsanstalten betrifft, ist
dafür in der Person des seit mehr als 4 Monaten angestellten Herrn Dr.
Lewysohn* aus Frankfurt/Oder gesorgt, dessen tätiges Streben in dieser
Beziehung hier lobend anerkannt werden muss. - Wie als Religionslehrer so
auch als Prediger zeigt sich die Wirksamkeit des Herrn Dr. L.(ewysohn)* als
eine segensreiche, da er in der letzern Eigenschaft die schroffen
Gegensätze, die in der hiesigen Gemeinde in religiöser Beziehung herrschen,
mit vielem Takt zu vermitteln und die verschiedenen Parteien zu vereinigen
sucht. Die Predigten desselben, welche er monatlich ein Mal in dem
hebräischen und zwei Mal in dem heutigen Gottesdienste hält, sind ebenso
belehrenden als erbauenden Inhalts, und es ist zu hoffen, dass das Wirken
dieses Mannes mit der Zeit die schönsten Früchte tragen werde.
Was den deutschen Gottesdienst anbelangt, so muss ich noch bemerken, dass
derselbe in Gebet, Vorlesen aus der Tora und Predigt unter Mitwirkung eines
gut eingeübten Chors besteht und vierzehntäglich des Nachmittags abgehalten
wird, und wäre zu wünschen, wenn dieser dem Zeit- wie religiösen Bewusstsein
entsprechende Gottesdienst überall eingeführt werden würde.
Diesem Bewusstsein entsprechen die hiesigen Vereine, der Männer- und
Frauenkrankenverein, der Brennmaterialverteilungsverein und der Verein für
die Ausstattung armer Mädchen.
Im Augenblicke wird die Errichtung eines neuen israelitischen Krankenhauses
zu erstreben gesucht, wobei namentlich unser konfessionsverwandter
Bürgermeister seiner rastlosen Tätigkeit für die gute Sache wegen rühmlich
erwähnt werden muss. Ich behalte mir vor, Ihnen demnächst darüber
ausführlich Mitteilung zu machen.
Schließlich benachrichtige ich Sie, dass im benachbarten
Mainz vor
kurzem Herr Dr. Adler, bisher Rabbiner zu
Kissingen,
zum ersten und der bisherige Prediger und Religionslehrer Dr. Cohn in Mainz,
zum zweiten Rabbiner von Mainz von Seiner Königlichen Hoheit dem Großherzog
ernannt worden sind.
*Anmerkungen: * Bürgermeister Ferdinand Falk Eberstadt
https://www.worms-erleben.de/erleben/erleben-und-feiern/kultur/Geschichte/persoenlichkeiten/eberstadt_ferdinand.php
und
https://de.wikipedia.org/wiki/Ferdinand_Eberstadt und
https://www.worms.de/de/kultur/stadtgeschichte/wussten-sie-es/liste_persoenlichkeiten/1808_ferdinand-eberstadt.php
und
https://www.regionalgeschichte.net/bibliothek/biographien/eberstadt-falk-ferdinand.html
und
https://www.lagis-hessen.de/pnd/116329947 und
https://www.wormser-baeder.de/juedisches-museum-wAssets/docs/Boennen_JuedGemeinde_2016.pdf
und
http://www.rijo.homepage.t-online.de/pdf/EN_DE_JU_eberstadt_ferdinand.pdf
(englisch)
* Kasino:
http://www.kasino-gesellschaft-worms.de/
* Kugelung:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kugelung
* Gymnasium:
https://de.wikipedia.org/wiki/Rudi-Stephan-Gymnasium
* Dr. Lewysohn:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Lewysohn und
Artikel von 1859 (interner Link) |
Über die Gemeindeverhältnisse in der Zeit von
Prediger Dr. Louis Levysohn (1852)
Artikel in der Zeitschrift "Der treue Zionswächter"
vom 30. Juli 1852: "Worms, im Juni 1852. (Eingesandt.) So oft
ich mir auch schon vorgenommen habe, die Verhältnisse der hiesigen Gemeinde
in diesem Blatte zu besprechen, so stand mir die Wahrheit stets mahnend
gegenüber mit dem Rufe (hebräisch): sei nicht vorschnell. Nicht
unbekannt ist es, dass auch die hiesige Gemeinde denselben Kampf
durchzukämpfen hatte wie so viele andere Gemeinden in Israel, und wie leicht
vom Parteigeist bewältigt wären der Feder Worte entkommen, welche nach der
einen oder andern Seite hin, einer zündenden Brandrakete gleich Verderben
angerichtet hätten. Es war daher das Ratsamste zu schweigen.
Nun aber, da die Gemeindeverhältnisse sich anders gestaltet, da die Arena
geschlossen zu sein scheint, (hebräisch) da ist Schweigen Sünde. Seit
der Anstellung unseres Predigers Herrn Dr. Louis Lewysohn*)* ist der Friede
in die Gemeinde zurückgekehrt; sein kollegialer **) Verkehr mit unserem
würdigen Rabbiner, Herrn Bamberger*, ist der Gemeinde ein belehrendes und
nachahmenswertes Beispiel geworden, welches mit Zuversicht uns hoffen lässt,
dass es deren vereintem Streben gelingen wird, (Hebräisch) zu sein. - Mag
die Zeitung des Judentums (gemeint "Allgemeine Zeitung des Judentums",
vgl. Artikel oben), in einer ihrer vorletzten Nummern ein ??!
(Hebräisch) in empfehlender Erinnerung zu bringen, für rätlich halten; ich
aber behaupte, dass derjenige dem es (Hebräisch) zu tun ist, alles aufbieten
soll und muss, jeden (Hebräisch) fernzuhalten; denn so weit wir auch in den
Annalen der Geschichte zurückblicken, wir finden stets dieselbe Wahrnehmung,
die einen halten stets an das überkommene Gesetz, die andern, von der
herrschende Idee der Zeit ergriffen, schnitten den Faden der
*) War früher Prediger in Frankfurt an der Oder
**) Obgleich (hebräisch) verfehlte er dennoch nicht, aus der stets frisch
sprudelnden Quelle der Gelehrsamkeit unseres Rabbiners (hebräisch) zu
schöpfen. |
Vergangenheit
entzwei, und der Gegenwart allein nur Rechnung zu tragen; - und die Trophäen
dieses Kampfes unter dem alten Baume der Erkenntnis des Guten und des Bösen,
waren sie andere als Hass und Zwietracht? Andere als Unglaube und
Indifferentismus?
Soll das religiöse Leben geweckt werden, soll die Liebe die Herzen einigen
und allesamt unter das alte, aber heilbringende Banner: (hebräisch)
wieder zusammenscharen; dann muss das Volk belehrt werden, belehrt in
Wahrheit, aber nicht mit dem schneidenden Wort der Polemik, sondern mit dem
des Friedens, welche der unzertrennliche Gefährte der Wahrheit und der
Wissenschaft ist.
Unser Prediger, Herr Dr. Lewysohn, weiß vorzüglich den Religionsunterricht
für die Jugend wahrhaft religiös fruchtbringend zu machen. Mit sanfter
Belehrung versöhnt er die Gemüter und bauet somit die Brücke, worauf die
Vergangenheit und die Gegenwart sich liebevoll begegnen, ohne vom Strome des
Irrglaubens berührt zu werden. Besonders gehaltvoll war auch der
gottesdienstliche Vortrag am hohen Geburtstagsfeste Seiner Königlichen
Hoheit, unseres geliebten Großherzogs. - Bei voll gedrängter Synagoge von
allen Konfessionen entblödte Herr Dr. Levysohn nicht, die Vaterlandsliebe
und die Liebe zum Fürsten vom Standpunkte des Talmuds so klar zu erörtern,
dass auf vieles Verlangen diese siegende Kraft der Wahrheit, und würden alle
die jungen Herren Geistlichen einen ähnlichen Weg einschlagen, würden sie es
nicht verschmähen, die Alten um Rat zu fragen (hebräisch) und den Weg
der Versöhnung und der Belehrung anbahnen, wahrlich es sähe nicht so traurig
aus im Judentume.
Worms. Bei der letzthin abgehaltenen Wahl des Gemeindevorstands sind
zwei Juden als Gemeinderäte gewählt und von hoher Regierung auch bestätigt
worden. Unserem Bürgermeister Herrn Ferdinand Eberstadt* hier ist es
gelungen, durch ein so treffliches Gutachten das Ansinnen der christlichen
Hospitalverwaltung, welche ihm das Präsidium daselbst streitig machen
wollte, weil er Jude ist und diese Anstalt eine rein christliche wäre,
zunichte zu machen. Ist vielmehr von großherzoglicher Regierung bestätigt
worden.- Wenn es möglich ist, eine Abschrift dieses großartigen Aktenstückes
zu bekommen zu können, werde ich dasselbe des Gesamtjudentums Ihrem
schätzbaren Blatte übergeben. -
Anmerkungen: Prediger Dr. Louis Levysohn: vgl.
Artikel von 1851 (interner Link)
Rabbiner Jakob Bamberger vgl.
Artikel von 1864 (interner Link)
Großherzog:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_III._(Hessen-Darmstadt)
Bürgermeister: Ferdinand Falk Eberstadt siehe Links oben beim ersten Artikel
von 1852. |
Verschiedene Mitteilungen aus der Gemeinde
(1853)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 17. Mai 1853: "Worms, 27. April (1853). (Privatmitteilung)
Nach den veröffentlichten Programmen der hiesigen öffentlichen Anstalten,
besuchen die Kommunal-Stadtschule 72, das Gymnasium 46 Schüler
israelitischer Konfession (auf dem letztern befinden sich 37 Schüler
katholische und 85 protestantische Schüler, obschon die letztern 2/3, die
Katholiken 2/9 und die Israeliten 1/9 der Einwohnerzahl ausmachen). Auf
beiden Anstalten erteilt unser Prediger, Herr Dr. Levysohn, zu je 4
Stunden wöchentlich den Religionsunterricht. - Die Unterrichtsanstalt für
Mädchen, welche unser früherer Prediger, Herr Adler, gegründet,
erfreut sich von jüdischer wie von christlicher Seite der regsten Teilnahme
und spricht gewiss für ihre Leistungen der Umstand, dass sie bei ihrem
vierjährigen Besuchen, neben der Konkurrenz, zweier bereits früher
vorhandenen Mädcheninstituten am hiesigen Orte dennoch an 70 Schülerinnen
zählt. - In den letzten Tagen gelangte hierher die Nachricht, dass der
früher hierorts und später in New York angestellte Kantor, Herr Grün,
nach einer kurzen Krankheit gestorben ist. Herr Grün lebte auch nach seinem
Abgange von hier stets in liebevoller Erinnerung der hiesigen Gemeinde, die
ihm wegen eifriger Beteiligung an der Gesangsleitung beim deutschen
Gottesdienste zu Dank verpflichtet ist. Ein großer Teil der trefflichen
Melodien ist von ihm komponiert und haben seine Leistungen ungeteilte
Anerkennung stets gefunden: Friede seiner Asche! - Die Auswanderung nach
Amerika ist auch in unserm Rheinhessen so groß, dass die zur hiesigen
Gemeinde gehörende Filialgemeinde
Herrnsheim in Folge der vermindernden Gliederzahl sich aufgelöst hat. -
Zum Schlusse sei bemerkt, dass der gegenwärtig in Leipzig sich befindende
Eleve des dortigen Konservatoriums, der 13jährige Virtuose, Fritz
Gernsheim, von dessen Leistungen jüngst die Straßburger und süddeutschen
Blätter so viel Rühmliches berichteten, der Sohn eines hiesigen
israelitischen Arztes (Dr. med. Abraham Gernsheim, Anm. S.R.) ist." |
Anmerkungen: Dr. Levysohn: Rabbiner Dr.
Levysohn:
Artikel auf Seite der Rabbiner und Lehrer in Worms (interner Link)
- zu Lehrer Adler:
Artikel auf Seite der Rabbiner und Lehrer in Worms
- zu Kantor Grün: Elias Grün
https://archive.org/stream/bub_gb_t3c7AQAAMAAJ?ref=ol#page/n53/mode/2up
- zu Fritz Gernsheim (1839 – 1916):
https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Gernsheim und
https://www.worms.de/de/kultur/stadtgeschichte/persoenlichkeiten/listen/1839_Friedrich-Gernsheim.php
und
https://www.geni.com/people/Friedrich-Gernsheim/6000000035444950393.
|
Verschiedene Mitteilungen aus der Gemeinde (1853 II)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 5. Dezember 1853: "Worms, 28. November
(Privatmitteilung) In diesen Tagen erhielt das hiesige Komitee zur
Renovierung jüdischer Altertümer einen Brief vom Prager Rabbinat, welcher
die erfreuliche Nachricht brachte, dass Herr Oberrabbiner Rappoport
und Herr Prediger Dr. Kämpf bei der österreichischen Behörde sammeln
zu dürfen, nachsuchen werden. Wie auch der Erfolg sein mag, so fühlt sich
jetzt schon gedachtes Komitee gegen jene Herren zum tiefsten Danke
verpflichtet. Auch von dem Konsistorium zu Bordeaux traf neben einem Beitrag
für die Renovation eine ermunterndes Schreiben ein.- Herr R. Frank
(Mitglied des Komitees) ist vom Ministerium zum Stellvertreter bei den
Handels- und Friedensgerichten in Worms,
Pfeddersheim und
Osthofen
ernannt worden. - Als Kuriosum erlaubt sich Ref. noch mitzuteilen, dass es
in letzter Zeit schon zum zweiten Male vorgekommen, dass die haute
volée jüdischer Bettler eine Vorliebe zu christlichen Quartieren
besitzt und in solchen das schöne Geschlecht seine Niederkunft zu halten
beliebt; die Humanität der Herren Wirte, die hierbei volle Anerkennung
verdient, hindert jedoch nicht, dass der hiesigen Gemeinde nicht
unbeträchtliche Kosten verursacht haben. Da die Väter der jungen Weltbürger
in der Regel inzwischen anderweitig auf Reisen – sich befinden, so werden
wir nächsten Donnerstag eine vaterlose Se'uda (gemeinsames Essen zu
besonderem Anlass) zu feiern das Glück haben."
Anmerkung: zu Oberrabbiner Rappoport vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Salomo_Juda_Rapoport. |
Bericht zu Besuchen in Worms (1856)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 24. November 1856: "In Worms ließ mir das schnaubende Dampfross
nur so viel Zeit, den fleißigen Mitarbeiter dieser Zeitung, Herrn Prediger
Dr. Levysohn, aufzusuchen. Die vielen jüdischen Merkwürdigkeiten dieser
Stadt, als die Synagoge, Raschis Stuhl, die Mauernische, den Totenhof usw.
habe ich bereits früher unter der Führung des verstorbenen Predigers Herrn
Dr. Adler, dessen würdige Gattin einem blühenden Mädcheninstitute vorstand,
in Augenschein genommen."
Anmerkungen: zu Prediger Dr. Levysohn vgl.
Artikel von 1851 (interner Link)
Rahel Adler, geb. Hochstädter vgl.
Artikel von 1859 (interner Link) |
Verschiedene Mitteilungen aus der Gemeinde (1857)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 13. Juli 1857: "Worms, im Juni (1857). (Privatmitteilung) In der
jüngsten Zeit sind kurz nacheinander zwei weibliche Personen christlichen
Glaubens zum Judentum übergetreten, die eine in
Pforzheim,
die andere in
Landau. -
Einer frühern Nachricht von hier folge die Ergänzung, dass die auf dem
Schiffe vermissten Gegenstände des Dr. Adler in New York später
wieder gefunden wurden. - In einem Manuskript fand ich die Notiz, dass im
Jahre 1727 hierorts in der Judengasse 72 Häuser und 119 'Hausgesäß' waren;
jedes Haus führte einen Namen, mitunter poetisch-klingende, wie 'zur
Freude', 'zum Paradiese' u.a.m. - Im 'Frankfurter Journal' wird mit Recht
gegenüber den zersplitterten und unzulänglichen Kräften der einzelnen Länder
angeraten, dass Baden, Hessen, die bayerische Pfalz und Frankfurt zur
Errichtung eines jüdischen Lehrerseminars sich vereinigen möchten."
Anmerkung: zu Dr. Adler siehe
Artikel auf der Seite der Rabbiner und Lehrer in Worms
|
Klage über den "Indifferentismus" in der Gemeinde
(1860)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 11. Juli 1860: "Worms, den 4. Juli. Die hiesige jüdische
Gemeinde schläft den tiefen Schlaf des Indifferentismus. Gar manches
Beachtenswerte ereignet sich aber: da war keiner, der nachfragte, und
keiner der aufsuchte (Hesekiel 34,6). Rabbiner Dr. Sachs aus Duisburg
hat sich um die hiesige Predigerstelle beworben, und hat verflossenen Sabbat
Paraschat Chukat (Schabbat mit dem Wochenabschnitt Chukat = 4. Mose
19,1-22,1) in der Synagoge gepredigt, um der Gemeinde offen und klar und
ohne Rückhalt seine Ansichten vorzulegen. Zum Texte seiner Predigt nahm er
die Verse 16, 17 und 18 aus 4. Buch Mose Kap. 37, warum derselbe nicht aus
der betreffende Sidra (Wochenabschnitt, vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Parascha) genommen ward:
(Hebräisch). Seinen ausgesprochenen Überzeugungen nach, dürfte er nun
zwar nicht zu den Männern des entscheidenden Fortschritts gehören, aber auch
nicht zu denen gezählt werden, die da glauben, dass das Judentum ein
abgeschlossenes, fertiges sei. Was darf das Judentum von einem solche Manne
erwarten? - Wir können dem Prediger das Zeugnis des guten Vortrages geben.
Über das Resultat werde ich zur Zeit berichten. M."
Anmerkung: Bewerber auf die Predigerstelle in Worms war Dr. Simon Sachs
(geb. in Glogau): studierte in Berlin und Leipzig (doch unklar, ob er einen
Abschluss als Rabbiner hatte), im Jahr 1844 Mitglied der Braunschweiger
Synode, später Religionslehrer in Anklam,
, bis 1846 in Neustadt bei Pinne; Lehrer in Posen, Gniew (Mewe,
Westpreußen), 1859-60 in Duisburg, um 1863 in Berlin, von wo er sich noch
auf die Rabbinatsstelle in Bamberg beworben hat. Quelle:
http://steinheim-institut.de:50580/cgi-bin/bhr?id=1535&suchename=Sachs,
ergänzt durch Angaben in einem Artikel in "Berichte, Studien und Kritiken
für jüdische Geschichte in Literatur" vom 11. Juni 1846 S. 183.
|
Weiteres Wachstum der orthodoxen israelitischen
Religionsgesellschaft (1871)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 20. September 1871: "Worms, 19. Sept. Die hiesige
orthodoxe israelitische Religionsgesellschaft schreitet langsam
vorwärts und wird, wenn ihre von Herrn Levy auf die hochherzigste
Weise mit einem Kostenaufwande von circa 12.000 fl. erbaute Synagoge erst
vollendet sein wird, einen großen Teil der hiesigen Gemeindemitglieder
umfassen. An den verflossenen Neujahrstagen hat Herr Ehrmann, ehemals
Feldrabbiner der großherzoglichen hessischen Division, welcher gegenwärtig
hier sein Jahr zu Ende dient, in der provisorischen Synagoge der genannten
Gesellschaft gepredigt und alle seine Zuhörer begeistert. Derselbe ermahnte
zu Frieden und Eintracht, wies aber mit beredeten Worten nach, dass man die
Wahrheit nicht dem Frieden opfern dürfe und vor allem festhalten müsse zu
den gottoffenbarten Gesetzen Israels und den heiligen Institutionen des
Judentums." |
Antisemitische
Umtriebe in Worms (1890)
Anmerkung: Zu Theodor Fritsch siehe den Wikipedia-Artikel
"Theodor Fritsch".
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom
18.. Juli 1890: "Worms, 16. Juli (1890). Der 'Frankfurter
Zeitung' wird geschrieben: Der Antisemitismus sucht auch hier -
voraussichtlich aber ganz und gar vergeblich - Feld für seine Agitationen
zu gewinnen. In der letzten Tagen wurden nämlich zahlreiche Familien
durch Zusendung (Poststempel Worms) der 'deutsch-sozialen Blätter' nebst
einem Flugblatte überrascht respektive belästigt. Widrig und ekelhaft
und überall den blindesten Hass verratend ist der ganze Inhalt dieser
Blätter. Das Flugblatt (mit Nr. 39 bezeichnet) behandelt die beiden
Fragen: 'Was kosten uns unsere Juden?' und 'Warum muss die
Sozialdemokratie wachsen und immer wieder wachsen?' Unterzeichnet sind
beide Ausführungen mit ''Theod. Fritsch, Techniker in Leipzig'.
In dem ersten Aufsatze leistet sich der Verfasser unter anderem den
blühenden Unsinn: 'Alle Steuern, Zölle und Staatsabgaben sind
verhältnismäßig unbedeutend gegen den unerhörten
Juden-Unterhaltungstribut, den das Volk fortwährend aufzubringen hat'.
Bezeichnend für den Charakter des Verfassers und die ganze Art und Weise
der antisemitischen Hetze ist auch der Schluss: 'Wenn unser Volk durchaus
Luxus treiben will, so mag es sich neben Schoßhündchen und Goldfischchen
noch Kakadus, Schildkröten, Chamäleons, Klappenschlagen, zahme Krokodile
und anderes Ungeziefer halten, aber den Judenluxus ertragen wir auf die
Dauer nicht.' Offener zeigt sich die Absicht der Antisemiten in dem
zweiten Aufsatze. Die Aufforderung Fritsch's lautet: 'Weist Juda aus dem
Lande'. Nur so, meint er, könne die Sozialdemokratie schwinden, anders
helfe 'kein Gott und kein Teufel'." |
Jüdische Einwohner werden von antisemitisch gesinnten
Korpsstudenten angegriffen und verletzt (1891)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 12. Januar 1891: "Worms, 5. Jan. Wie allwöchentlich
hielten auch am vergangenen Samstag die hier anwesenden Corpsstudenten in
Anwesenheit ihrer Alten Herren – unter diesen die Herren Oberbürgermeister
Küchler und Kreisrat Gros – im Festhaus einen 'S.C.- Abend' ab. Zu gleicher
Zeit fand in dem großen Saale desselben Lokals das Kränzchen einer
Tanzstundengesellschaft, zu der hauptsächlich Juden gehören, statt. Von
Anfang an hatten schon die Herren Studenten versucht, die Geselligkeit der
Tanzenden zu stören, waren jedoch von ihren Alten Herren davon abgehalten
worden. Sobald sie sich aber in vorgerückter Nachtstunde allein sahen,
ließen sich nicht mehr zurückhalten, sondern besudelten einen älteren Herrn,
der zu der Tanzgesellschaft gehörte, auf die gemeinste und brutalste Art.
Der Angegriffene konnte sich nur mit Mühe in ein Zimmer retten, wo mehrere
ältere Herren gemütlich beim Spielchen saßen. Aber dahin folgten ihm die
Zudringlichen unter Führung zweier Wormser Bürgersöhne. Nach einigen
unverschämten Äußerungen griffen die jungen Leute mit dem Rufe: 'Jetzt aber
mal drauf, auf die Judde!' die nichtsahnenden Herren an. Es entwickelte sich
eine Schlägerei, deren Resultat war, dass ein hiesiger hochangesehener
Bürger und ein Commis aus mehreren Kopfwunden stark blutend von einem
herbeigerufenen Arzt verbunden werden mussten. Die Geschichte wird ein
gerichtliches Nachspiel finden.
Worms, 7. Jan. In einer Zuschrift an das 'Wormser Tageblatt' erklären
'Die hiesigen leider bei dem Angriff auf friedliche Israeliten beteiligt
gewesenen Studenten' (Corpsstudenten aus
Gießen),
dass sie an einer Provokation keinen Anteil gehabt hätten. Diese sei von
einigen fremden Studenten ausgegangen, die zu Besuch anwesend waren und ohne
Wissen und Willen der hiesigen Studenten den Skandal hervorriefen. Was die
höchst unfeine Äußerung: 'Jetzt gehn mer uff die Judde' betreffe, so
bedauerten sie, dass die fremden Besucher bereits abgereist seien, von den
hiesigen Studenten habe keiner die Äußerung getan. Was schließlich die
Besudelung eines älteren Herren betreffe, so werde zweifelsohne, falls die
Beschuldigung sich als richtig erweise, auch von studentischer Seite gegen
die Betreffenden vorgegangen werden. - Das Wort in Ehren, aber hoffentlich
wird den feinen Herren auch von anderer Seite noch der Standpunkt klar
gemacht werden.- Die Vorgänge vom Samstagabend bilden noch immer das
Tagesereignis und mit der höchsten Entrüstung wird von dem frechen Benehmen
der Corpsstudenten gesprochen. Übrigens kamen bei dem Streite, in den der
Skandal schließlich ausartete, nicht unerhebliche Verwundungen auf beiden
Seiten vor."
Anmerkungen: Oberbürgermeister Küchler:
https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Küchler_(Politiker,_1846)
Kreisrat Gros:
https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Gros. |
Zwei religiöse Traditionen (Minhagim) sind "dem
Zeitgeist zum Opfer gefallen"
(1891)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 23. Februar 1891: "Worms. Zwei alte alte religiösen
Traditionen (minhagim atikim) unserer altjüdischen Gemeinde sind seit 14
Tagen dem sogenannten Zeitgeist zum Opfer gefallen.
1) Die Feier Erew Rosch Chodesch Adar (Vorabend zum 1. des Monats Adar)
der Chebra-Kadischa*, welche Hunderte von Jahren alljährig mit
religiösem Ernste begangen ward.
2) Die Feier des 10. Adar, welcher ebenfalls Jahrhunderte schon in der
Synagoge hier, durch Slichot (Bußgebete, vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Slichot), Taanit (Fasttag, vgl.
https://www.jewiki.net/wiki/Ta'anit_(Mischna)), Haskarat Neschamot (Totengedenken,
vgl.
https://www.jewiki.net/wiki/Haskarat_Neschamot) zum Andenken jener
Märtyrer gefeiert ward, welche dazumal um der Heiligung des Gottesglaubens
willen freiwillig ihr Leben dem Mordbeile Wahnverblendeter hingaben.
Ob nun dieses Unterlassen auf Veranlassung des Religionsvorstandes oder des
Rabbiners Herr Dr. Stein* oder aus Vergessenheit geschah, weiß ich nicht.
*Anmerkungen: Chebra-Kadischa:
https://de.wikipedia.org/wiki/Chewra_Kadischa
Rabbiner Dr. Stein:
https://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Stein_(Rabbiner))
|
Ein erster Jugendgottesdienst fand statt
(1891)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 19. Februar 1891: "Worms. Vergangenen Sabbat hat hier der
erste Jugendgottesdienst nachmittags 3 Uhr stattgefunden. Derselbe war von
Schülern und Schülerinnen, sowie Erwachsenen sehr zahlreich besucht. Herr
Dr. Stein sprach in sinniger Weise über das Gotteshaus als Har
(Berg), Feld (Sadeh) und Haus (Beit)." |
Richtigstellung zur Meldung von der Abschaffung zweier religiöser Traditionen (Minhagim, 1891)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 2. März 1891: "Worms, 27. Februar (1891). Unter Bezugnahme auf
Ihren aus hier datiertem Bericht in Nr. 16 Ihres Blattes beehre ich mich,
Ihnen Folgendes zur Richtigstellung mitzuteilen:
Ihr Korrespondent behauptet: 'Zwei alte religiöse Traditionen (minhagim
atikim) seien hier in Worms in 14 Tagen dem sogenannten Zeitgeist zum
Opfer gefallen', hierauf bemerke ich:
1) Die Feier der Chewra Kadischa wird auch in diesem Jahre, wie in
mehreren, früheren, auf Beschluss des Vorstandes, - der längst gefasst, ehe
die fragliche Korrespondenz erschien - vor Erew Rosch Chodesch Adar
Scheni (Vorabend zum 1. des Monats Adar scheni)* abgehalten.
2) Vor der Feier des 10. Adar heißt es in der alten Wormser Selicha (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Slichot), die in den Händen der
Gemeindemitglieder und sicher auch Ihres Korrespondenten ist: ... Die Feier
konnte also nicht stattfinden, weil sie am Adar Scheni zu begehen
ist. Im Minhagim-Buch steht noch deutlicher: ..."
Anmerkung: *Mittwoch, 1. Adar II 5651 war der 11. März 1891. |
Auffindung von Dokumenten des Gemeindearchivs aus 17./18.
Jahrhundert (1891)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 14. Mai 1891: "Worms. In den jüngsten Tagen hat die
hiesige israelitische Gemeinde ein Geschenk erhalten, für dessen Bedeutung
sich auch weitere Kreise interessieren dürften. Man sollte annehmen, dass
eine Gemeinde wie die hiesige, welche auf eine so große Vergangenheit
zurückblicken kann, auch im Besitze eines bedeutenden Archivs sei. Dies ist
jedoch nicht der Fall. Jedenfalls ist ein großer Teil desselben gestohlen,
oder verschleudert oder auch nicht zum geringsten Teile in Verkennung der
Wichtigkeit der Schriftstücke in das uralte Frauenbad* hinter der Synagoge
geworfen worden. Einen nicht unbedeutenden Rest hat nun das
Vorstandsmitglied Herr Julius Goldschmidt* auf dem schwer zugänglichen
Speicher über der Frauensynagoge* aufgefunden. Wir gewinnen durch diese
Schriftstücke einen Einblick in die Geschichte der hiesigen jüdischen
Gemeinde, während des 18. und 17. Jahrhunderts und noch etwas weiter zurück.
Wir lernen aus demselben die Leiden unserer Vorfahren kennen, aber auch
ihren vortrefflichen Charakter, ihre Frömmigkeit, ihre Ausdauer, ihre
Rechtschaffenheit und ihre Tüchtigkeit, für die geschichtliche Forschung
geben sie interessante Aufschlüsse über das Verhältnis der Judenschaft zur
Stadt, zu den Bischöfen, zu den Herzogen von Dalberg* und zu den deutschen
Kaisern. Herr Goldschmidt hat nun diese alten Schriftstücke in
vortrefflicher Weise geordnet, mit kurzem Inhalte versehen und der
israelitischen zum Geschenke übergeben. Diese mühevolle Arbeit enthält noch
ein hübsches Relief durch den Umstand, dass Herr Goldschmidt* für diese
Archivreste einen schönen Schrank anfertigen ließ, dessen innere Einrichtung
von der Liebe des Stifters zu seinem Gegenstande beredtes Zeugnis gibt. Herr
Goldschmidt*, dem von Seiten seiner Kollegen deren Dank in den wärmsten
Ausdrücken ausgesprochen wurde, rufen wir zu: (Hebräisch).
Nach einer Bestimmung des Schenkgebers, welche auch vom Vorstande
gutgeheißen wurde, dürften einzelne Schriftstücke nicht aus Händen gegeben
werden. Hingegen hoffe ich, im Laufe der Zeit manches Wertvolle in Ihrer
geschätzten Zeitung zu veröffentlichen. R. (wahrscheinlich Samson
Rothschild, Anm. S.R.)"
*Anmerkungen: zu Julius Goldschmidt, Kaufmann (1838 -1904):
http://www.wormserjuden.de/Biographien/Goldschmidt-I-3.html
zum Frauenbad:
https://www.worms-erleben.de/erleben/entdecken-und-staunen/sehenswuerdigkeiten/synagoge-und-Mikwe.php
Zur Frauensynagoge:
https://schumstaedte.de/entdecken/frauenschul-in-worms/#view-0
Zu den Herren von Dalberg:
https://de.wikipedia.org/wiki/Dalberg_(Adelsgeschlecht) |
Literaturhinweis: Gerold Bönnen:
Beschlagnahmt, geborgen, ausgeliefert. Zum Schicksal des Wormser jüdischen
Gemeindearchivs.
https://www.worms.de/juedisches-museum-wAssets/docs/aufsatz_beschlagnahmt-geborgen-ausgeliefert.pdf
|
Ein Komitee bemüht sich um die Unterstützung der
Juden in Russland (1891)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 22. Juni 1891: "Worms. Das hiesige Zweigkomitee der Alliance
israélite hat eine Versammlung einberufen, um über Unterstützung unserer
unglücklichen Glaubensgenossen in Russland zu beraten. Es wurde ein Komitee
gewählt, das unverzüglich die nötigen Schritte tue, um Gelder für
besagten Zweck zu sammeln. In der gestern stattgefundenen Sitzung konnte die
angenehme Mitteilung gemacht werden, dass 8.000 Mk. gezeichnet worden sind." |
Anfrage des Bataillons-Kommandos an das Rabbinat
(1892)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 24. November 1892: "Worms. Das Kommando des hiesigen
Bataillons hat an das Rabbinat die Anfrage gerichtet, ob und zu welcher Zeit
nächsten Freitag Gottesdienst abgehalten werde, da es beabsichtige, sich
durch eine Deputation vertreten zu lassen. In Folge dessen hat der
Vorstand der israelitischen Gemeinde beschlossen, dass Freitag um 9 1/2 Uhr
ein feierlicher Gottesdienst für Seine Königliche Hoheit den Großherzog
stattfinden werde. Seither wurde dieses Fest stets am vorhergehenden oder
darauffolgenden Schabbat gefeiert." |
Wiedereinweihung der Synagoge im israelitischen Hospital
(1896)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 9. November 1896: "Worms. Am vergangenen
Sabbate Paraschat Wajera (Schabbat mit der Toralesung Wajera = Gen
18-22) vollzog sich hier eine würdige Feier. Im israelitischen Hospitale
hat die Chewra Kadischa (heilige Bruderschaft, vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Chewra_Kadischa) ein Lokal, in welchem
Herr Rabbiner Dr. Stein allsabbatlich nach dem Mussaf-Gottesdienste
(vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Musaf) einen religiösen Vortrag
hält. Auch eine Synagoge befindet sich in genanntem Hause, welche früher für
den Werktagsgottesdienst benützt wurde (jetzt die Levy'sche Synagoge) und
jetzt nur noch der Chewra Kadischa (heilige Bruderschaft) für den
Gottesdienst am Jom Kippur Katan (Vortag vor einem jüdischen
Monatsbeginn) dient. Die Synagoge wurde renoviert und durch den
Mincha-Gottesdienst (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Mincha) eingeweiht. Bei dieser Gelegenheit
hatte Herr Lehr, Sohn eines früheren Lehrers, die heilige Lade mit
einem prächtigen, in Leipzig angefertigten Vorhange geschmückt. Nach der
Feier hatte der Vorsitzende der Chewra Kadischa, Herr Jakob Strauß,
die Anwesenden zu einem Mahle geladen, bei dem es an trefflichen Reden,
besonders von Seiten des Herrn Dr. Stein, nicht fehlte. Dass nach der Feier
auch der Armen gedacht worden, ist selbstredend.
Anmerkungen: zu Rabbiner Dr. Stein = Rabbiner Dr. Alexander Stein, siehe
https://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Stein_(Rabbiner) und
Artikel zum Tod von Rabbiner Stein (1914) (interner Link)
zur Levy'schen Synagoge vgl.
Synagogenseite
Worms (interner Link) sowie
https://de.wikipedia.org/wiki/Levy%E2%80%99sche_Synagoge_Worms.
|
Der Landtagsabgeordnete Fabrikant Reinhardt sucht den
Antisemitismus zu bekämpfen
(1901)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 23. Mai 1901: "Worms, 21. Mai. Der national-liberale
Landtagsabgeordnete, Herr Fabrikant Reinhardt*, hat dieser Tage seinen
Wählern Bericht erstattet über die letzten Verhandlungen der Zweiten Kammer.
Da Reinhardt bei der Beratung der von den Sozialdemokraten eingebrachten
Anträge über die Arbeiterverhältnisse den Ausspruch getan, dass er bei
Anstellung von Arbeitern in seiner Fabrik nicht danach frage, ob der
Arbeiter Sozialdemokrat sei oder nicht, wurde er in vielen Zeitungen ob
dieser Äußerungen heftig angegriffen und gerade deshalb war ein überaus
zahlreiches Publikum erschienen, um hierüber die Ansichten des Herrn
Abgeordneten genauer kennenzulernen.
Nachdem Herr Reinhardt in überaus glänzender Weise seinen Standpunkt
klargelegt, sprach er auch über die Verhetzungen, die die Presse unter den
Konfessionen hervorrufe. Er könne es nicht fassen, wie man heute noch,
anstatt den Frieden unter den Konfessionen herbeizuführen, denselben
systematisch untergrabe. Anknüpfend an diese im heiligen Ernste gesprochenen
und von der Versammlung stark applaudierten Worte, möchte ich einen Brief
des Abgeordneten Reinhardt mitteilen, den mir derselbe unterm 26. Juni 1893
geschriebenen, zur Zeit, als mein Schriftchen 'Aus Vergangenheit und
Gegenwart der israelitischen Gemeinde Worms'* kurz vorher erschienen war.
Der Brief lautet: 'Mit ganz besonderem Interesse habe ich die mir bis jetzt
unbekannt gewesenen Sagen des Nissim-Buches* gelesen. Zu welchen
Verwirrungen das Volk durch Verhetzungen im Mittelalter geführt werden
konnte, dazu genügt ein Blick in die Geschichte. Wie es aber möglich ist,
dass in unseren Tagen Ähnliches vorkommen kann, das ist tief zu beklagen und
die Ursache ist nur in den Missständen in der Presse zu suchen. Gott gebe,
dass darin bald Wandlung geschaffen werde.
Mit aller Hochachtung. Ihr ergebener (gez.) Reinhardt, Landtagsabgeordneter.
Lehrer Rothschild."
*Anmerkungen: Zu dem Landtagsabgeordneten Reinhardt:
https://de.wikipedia.org/wiki/Nikolaus_Andreas_Reinhart_(Unternehmer,_1841)
vgl.
https://www.lagis-hessen.de/pnd/1129697878
Zur Publikation 'Aus Vergangenheit und Gegenwart der israelitischen
Gemeinde Worms': siehe
Artikel (interner Link)
Zum 'Nissim-Buch' vgl.
Artikel (interner Link). |
Jüdische Beteiligung beim Hessisch-Pfälzischen Musikfest
(1901)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 10. Juni 1901: "Worms, 4. Juni (1901). Am 26. und 27. Mai
fand dahier das Hessisch-Pfälzische Musikfest statt, unter Beteiligung der
Verein von
Darmstadt,
Alzey,
Landau und
Neustadt.
Dieses großartig verlaufene Musikfest hat insofern auch Bedeutung für eine
jüdische Zeitschrift, weil am ersten Tage die 'Zerstörung Jerusalems' von
Klughardt aufgeführt wurde, ein sowohl für Chor als auch Orchester
großartiges Werk, welches die Zerstörung des zweiten Tempels durch Titus
behandelt. Die Klage und der Jammer der bis zur Verzweiflung kämpfenden
Juden, der Sieg der Römer, kommen hier ergreifend zum Ausdruck und
versöhnend und beruhigend wirkt der Schlusschor in den Worten: 'Der Israel
zerstreuet, der wird es auch sammeln wieder, und wird seines Volkes hüten,
gleichwie seiner Herde ein Hirt. Ich bin barmherzig, spricht der Herr und
will nicht ewiglich zürnen. Und der Herr wird alle die Tränen abwischen vom
Angesicht, und wird in jeglichem Lande aufheben die Schmach seines Volkes;
denn der Herr hat solches gesagt.'
Am zweiten Tage stand Prof. Gernsheim – Berlin, ein geborener Wormser, am
Dirigentenpulte. Es erfüllt uns mit Stolz, dass ein Glaubensgenosse
großartige Triumphe gefeiert hat. Diesem Konzert wohnte auch der Großherzog
mit Gemahlin und anderen Fürstlichkeiten bei. Ehe der Großherzog ins
Festhaus eintrat, nahm er für die ausgestellten Hassia-Vereine den Rapport
des Hauptmanns a. D. Gernsheim entgegen."
Anmerkungen: - zum Oratorium 'Die Zerstörung Jerusalems':
https://books.google.de/books/about/Die_Zerst%C3%B6rung_Jerusalems.html?id=Xk7oxAEACAAJ&redir_esc=y
- zu August Klughardt:
https://de.wikipedia.org/wiki/August_Klughardt
- zu Titus:
https://de.wikipedia.org/wiki/Titus
- zu Prof. Gernsheim:
https://www.worms.de/de/kultur/stadtgeschichte/persoenlichkeiten/listen/1839_Friedrich-Gernsheim.php
und
http://www.warmaisa.de/wormser-juden/friedrich-gernsheim-komponist-1839-1916/
- zum Großherzog:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Ludwig_(Hessen-Darmstadt)
- Hauptmann a.D. Gernsheim war wahrscheinlich Joseph Gernsheim vgl.
Artikel in der Seite zu Personen aus der jüdischen Gemeinde Worms
|
Über den Besuch einer gelehrten Frau in Worms
(1902)
Anmerkung: der Artikel bezieht sich vor allem auf den Besuch von Nina
Salaman in Worms. Zu ihr
https://en.wikipedia.org/wiki/Nina_Salaman
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 20. März 1902: "Eine seltene Frau. Von S.(amson)
Rothschild – Worms.
In der hiesigen Raschikapelle, so genannt, weil sich in derselben der 'Raschistuhl'
befindet, liegt ein Fremdenbuch offen, dessen Lektüre manchmal ein
unterhaltsames Stündchen gewährt. Wir begegnen hier den Namen von
Fürstlichkeiten, kirchlichen Würdenträgern, Vertretern der Kunst und
Wissenschaft, der Industrie und des Handels. Interessant sind hierbei die
Religion, welche zuweilen in der Rubrik 'Bemerkungen' sich finden. Neben
einer Bemerkung 'Wir glauben all' an einen Gott' finden sich auch, besonders
von evangelischen Geistlichen, die hebräisch geschriebenen Worte: 'Friede
über Israel'. Nicht minder interessant sind hier die Mitteilungen,
welche der Synagogendiener zuweilen an einzelne knüpft, über die man
besonders befragt. So erzählte er eines Tages:
'Da kommt ein Mann, sein Aussehen ist das eines Rabbiners; in seiner
Begleitung befindet sich ein Herr, dem er in der Synagoge alles genau
erklärt und dabei viele hebräische Worte spricht. Der Synagogendiener will's
nicht glauben und ärgert sich über diesen 'unerhörten Spaß'. Es war Dr.
Paulus Cassel. Gar manche interessante Namen habe ich in dem 'Raschibuch'
schon gelesen und gar manche schätzbare Bekanntschaft habe ich schon gemacht
von Personen, die hierher gekommen sind, um die 'Altertümer' der jüdischen
Gemeinde von Worms zu sehen; aber noch nie habe ich mit 'Fremden' eine
weihevollere Stunde erlebt, als vor wenigen Monaten mit einem erst kurz
verheirateten Ehepaar aus London: Dr. med. Salomon und Frau Nina geb.
Davis. Ich erfüllte gerne ihren Wunsch, an einem freien Nachmittage ihr
Cicerone zu sein und so gingen wir zuerst zur Synagoge. Unterwegs fragte
Frau Dr. S.:
'Ich war heute Morgen auf dem Friedhofe, da fiel mir das Wort leelef
haschischi auf. Was bedeutet dies?'
Eine derartige Frage ist von einer Dame noch nicht an mich gestellt worden.
Ich konnte mein freudiges Erstaunen über diese Bemerkung noch nicht zum
Ausdrucke bringen, als die Dame fortfuhr:
'Nicht wahr, Rabbi Meir Rothenburg* liegt hier begraben?' Es ist doch
derselbe, der das Trauerlied verfasst hat: Scha'ali Serufa BaEsch*.
War ich durch diese beiden Bemerkungen schon angenehm überrascht, so sollte
mein Erstaunen noch gesteigert werden als Frau Dr. Salomon die Inschrift an
der Außenseite der Synagoge angebrachten
Tafel geläufig las und mit der Jahreszahl übersetzte. Als ich die Sefer
Tora (sc. Torarolle) von Maharam (sc. Rabbi Meir von Rothenburg),
aus welcher hier nur an Matnad Jad (sc. Festgeschenk, das zu den drei
großen Festtagen gebracht wird) gelesen wird, öffnete, las sie ganz
geläufig aus derselben; ebenso vermochte sie auf dem Friedhofe auch die
schwierigsten Inschriften der Grabsteine mit den Jahreszahlen entziffern.
Als ich auf dem Rückwege vom Friedhofe bei Frau Dr. Salomon auch den Namen
'Raschi' erwähnte, gestand sie mir äußerst bescheiden, dass sie auch
'Raschi' verstehe und auch den Talmud*.
'Nach einem kurzen Aufenthalte in Italien reisen wir nach Berlin zu
mehrmonatlichem Aufenthalte und dort studiere ich noch fleißig den Midrasch*.'
Gerne nahm sie von mir zu diesem Zwecke eine Empfehlung an Dr.
Hildesheimer (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Esriel_Hildesheimer) an. Auf mein
Befragen, ob ihr Vater Rabbiner oder aus Russland in England eingewandert
sei, sagte sie mir, dass ihr Vater geborener Engländer und Ingenieur sei,
der aber täglich einige Stunden mit dem Studium der hebräischen Sprache
verbringe und auch sie für diese Sprache und die in derselben geschriebenen
Schriften zu begeistern verstanden hat.
Wochen waren vergangen, da erhalte ich aus Berlin ein Buch zugesandt, das
den Titel trägt: Smirot BaLaila (sc. Lieder in der Nacht) Songs of
Exile (Gesänge aus der Verbannung). By Hebrew Poets, translated by Nina
Davis. Vor dem Titelblatt finden sich als Motto die Worte: 'Meine Seele
wartet auf den Herrn, mehr als Wächter auf den Morgen, Wächter auf den
Morgen' (Psalm 130,6). Das erste Blatt trägt eine Widmung für den Vater
('To my Father'), die anderen Blätter enthalten die englische
Übersetzung hebräischer Gedichte von Eleasar ben Kalir*, Salomon ibn *Gabirol',
Jehuda Halevi*, Baruch ben Samuel*, Meir von Rothenburg*, aus dem Talmud*,
aus der Midrasch rabbah und Midrasch Tanchuma.
Die letzte Seite enthält den die mit hervorgehobenen hebräischen
Buchstaben markierte Jahreszahl des Erscheinens des Buches. Ein leeres
Blatt vor dem Titelblatt trägt außer einer freundlichen Widmung für mich in
deutscher Sprache noch die folgenden hebräischen Worte: (Hebräisch)
Welche Hochachtung hätte Heinrich Heine, der sich in dem vierten Teil des
Gedichtes 'Prinzessin Sabbat' so bitter über die Unwissenheit der jüdischen
Damen in der jüdischen Literatur auslässt, der geistreichen Verfasserin
entgegengebracht! Mir aber drängen sich bei der genussreichen Lektüre dieses
trefflichen Werkes unwillkürlich die Worte auf die Lippen: (Hebräisch)."
* Anmerkungen: Paulus Cassel:
https://de.wikipedia.org/wiki/Paulus_Stephanus_Cassel
* Rabbi Meir Rothenburg:
https://de.wikipedia.org/wiki/Meir_von_Rothenburg *
https://www.deutsche-biographie.de/sfz8031.html
* Scha'ali Serufa BaEsch: 'Frage, im Feuer Verbrannte, nach der Trauernden
Wohl, die zu wohnen verlangen im Hof deiner heiligen Wohnung, die schmachten
im Staub der Erde und leiden, die verstört sind wegen des Brandes deiner
Rollen ...'). Das Lied wird noch heute am 9. Aw, dem Gedenktag der
Zerstörung des Tempels, in der jüdischen Liturgie gebetet..
* Talmud:
https://de.wikipedia.org/wiki/Talmud
* Midrasch:
https://de.wikipedia.org/wiki/Midrasch
* Das Buch von Nina Davis (bzw. Nina Ruth Davis Salaman) erschien mehrfach
und kann noch heute bezogen werden. Erstausgabe
https://www.abebooks.de/erstausgabe/Songs-exile-Hebrew-poets-translated-Nina/7514423761/bd
Online zu lesen:
https://archive.org/details/songsofexilebyhe00salaiala/mode/2up
* Eleasar ben Kalir:
https://de.wikipedia.org/wiki/Elasar_ha-Qallir
* Salomon ibn Gabirol:
https://de.wikipedia.org/wiki/Solomon_ibn_Gabirol
* Jehuda Halevi:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jehuda_ha-Levi
* Baruch ben Samuel:
https://en.wikipedia.org/wiki/Baruch_ben_Samuel |
Ergebnis der Vorstandswahlen der Gemeinde
(1908)
"Rheinlandfeier" der jüdischen Frontsoldaten
(1925)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 17. September 1925: "Die Rheinlandfeier der jüdischen
Frontsoldaten
Worms, 8. September. Der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten veranstaltete
seine diesjährige Hauptversammlung vom 5. bis 7. September 1925 in Worms und
Köln, um im Jahre der Jahrtausend-Feier auch seinerseits die Verbundenheit
der jüdischen Gemeinschaft mit dem deutschen Volke feierlich zu bekunden.
Nach einem Festgottesdienst in der Synagoge und einer Besichtigung des
alten Friedhofes fand eine feierliche
Kundgebung im reich geschmückten Festhause statt. Der Staatspräsident von
Hessen, Ullrich*; mitsamt Vertretern aller Staats- und Stadtbehörden
sowie der Geistlichkeit waren zugegen. Ein Orgelvorspiel leitete die Feier
ein, worauf der Vorsitzende der Ortsgruppe Worms, Dr. Fried, die
Erschienenen begrüßte. Ihm folgte als Redner Herr Oberbürgermeister Rahn*
– Worms, der im Namen der Stadtverwaltung den Reichsbund in den Mauern der
ehrwürdigen Stadt Worms willkommen hieß, sich für einen Frieden aller
Konfessionen aussprach und in nicht misszuverstehender scharfer Weise die
üblen Bestrebungen völkischer Kreise aus der Stadt Worms verwies. Lang
anhaltender lauter Beifall der Tausende der Versammlung lohnte seine
Ausführungen. Im Namen des Vorstandes der jüdischen Gemeinde begrüßte
Sanitätsrat Dr. Nickelsburg den Reichsbund und gab einen historischen
Überblick über die ereignisreiche Geschichte der Wormser Judenheit. Ihm
folgte der Vorsitzende des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten, Dr. Leo
Löwenstein – Berlin, der im Namen seiner Kameraden für alle die
herzlichen Begrüßungsworte und für die außerordentlich liebenswürdige
Aufnahme dankte, mit der die Ortsgruppe Worms ihre Bundesfreunde empfangen
hatte. Er gedachte – während die Versammelten sich von ihren Sitzen erhoben
– der 12.000 gefallenen Kameraden, die als immerwährende Ehrenmitglieder des
Bundes geführt werden. Den eigentlichen Festvortrag hielt Dr. Goldstein
– Darmstadt, Mitglied des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten. Der Redner
gab einen historisch-politischen und rassenbiologischen Überblick über den
Begriff deutsches Judentum und setzte sich in überzeugender Weise mit den
Rassebesessenen auseinander, die in dem Juden, der seit fast zweitausend
Jahren auf deutschem Boden wohnt und an deutscher Kultur und Geistesbildung
mitarbeitet, den Fremden sehen wollen."
*Anmerkungen: Staatspräsident von Hessen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Ulrich und
https://www.lagis-hessen.de/pnd/124725902
Oberbürgermeister Rahn in Worms https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Rahn_(Politiker,_1880)
|
Berichte aus dem jüdischen Vereinsleben
Gründung eines Talmud-Tora-Vereins unter Rabbiner J.
Bamberger (1849)
Jahresbericht des israelitischen
Unterstützungsvereins (1868)
Allgemeiner Hinweis: Der "Israelitische Unterstützungsverein" unterstützte
keineswegs nur Menschen jüdischer Konfession, was auch dem jüdischen Prinzip von
Zedaka widersprechen würde, wonach nicht nur bedürftige
Juden unterstützt werden sollen.
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 1. April 1868: "Worms. Dem uns vorliegenden siebenten
Jahresbericht des israelitischen Unterstützungsvereins in Worms vom 15.
Februar 1867 bis zum 15. Februar 1868 entnehmen wir, dass dieser Verein 178
Mitglieder, eine Einnahme von 2103 fl. 57 kr. und eine Ausgabe von 2174 fl.
20 kr. hat. Von dieser erhielten 1644 gewöhnliche Arme 1145 fl. 51 kr. und
425 verschämte Arme 951 fl. 51 kr. An außerordentlichen Geschenken flossen
dem Vereine 279 fl. 51 kr. zu." |
25-jähriges Stiftungsfest des israelitischen
Unterstützungsvereines (1886)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 11. März 1886: "Worms. Am 21. vorigen Monats feierte der
hiesige israelitische Unterstützungsverein in dem festlich erleuchteten
Saale des Herrn Weil sein 25jähriges Stiftungsfest. Es beteiligten
sich an dem Fest ca. 70 Mitglieder und Freunde des Vereins. Der ehemalige
Präsident desselben, Herr Marcus Cahn – jetzt in Frankfurt - war zu
dieser Feier hierher gekommen. Herr Rabbiner Dr. Stein begrüßte die
Versammlung durch herzliches Willkommen und hielt eine mit großem Beifalle
aufgenommene Rede über die verschiedenen Zwecke des Vereins.
Nachdem noch von verschiedenen Mitgliedern Toaste ausgebracht wurden, in
welche die Anwesenden herzlich einstimmten, wurde noch besonders die
Tätigkeit zweier Mitglieder der Verwaltung hervorgehoben, von welchen der
eine das schöne Fest nicht mehr erlebte, der andere durch Unwohlsein
verhindert war, demselben beizuwohnen.
Herr Leopold Scheftel, der gegenwärtige Präsident des Vereins, widmet
seit 17 Jahren unverdrossen und unermüdet seine Kräfte dem Verein und scheut
keine Opfer an Zeit und Geld, um dessen Bestehen zu sichern, seine
segensreiche Wirksamkeit zu fördern.
Als 80jähriger Greis hat er bis vor ganz kurzer Zeit (wo ihn leider
Unwohlsein daran hindert) tagtäglich von 11 – 12 Uhr die Verteilung der
Unterstützungen geleitet, und den Armen, die ihn alle kennen und lieben,
stets mit freundlichem Angesicht die Gaben verabreicht.
Zu seinem 80jährigen Geburtstage (am Schabbat mit der Parascha Schemot)
hatte dessen Sohn, Herr Adolf Scheftel in New York, zur Feier des Tages dem
eisernen Stocke des Vereins die schöne Summe von M. 1.000, gleichzeitig aber
auch den gleichen Betrag zur Verteilung an hiesige Arme gesandt.
Herr Salomon Hüttenbach, welcher 14 Tage vor dem schönen Feste, auf
welches er sich so sehr gefreut hatte – zu seinem himmlischen Vater
abgerufen wurde, war ein eifriger und warmer Vertreter dieses Vereins. Er
war der Vater des Gedankens zur Gründung des eisernen Stockes und hat diesen
Lieblingsgedanken mit Liebe und Sorgfalt und mit gutem Erfolge gehegt und
gepflegt. Er war immer und überall bereit, die Not der Armen und Bedrängten
in der Nähe und Ferne zu mildern und kein gemeinnütziges Unternehmen gab es,
dem er seine rege Mitwirkung versagt hätte. Eine Sammlung für den eisernen
Stock ergab das schöne Resultat von mehr als M. 2.000 und stehen noch
weitere Gaben in Aussicht.
Schließlich will ich noch lobend und dankend eines dritten
Verwaltungsmitgliedes, des Herrn Mayer, gedenken, der durch den Tod
seines Schwagers Herrn Hüttenbach und das Unwohlsein des Herrn
Scheftel vermehrte Arbeit und Mühe bei der Verteilungskommission mit
unermüdlicher Hingebung leitet und bei der täglich stattfindenden Verteilung
niemals fehlet.
Anmerkung: zu Leopold Scheftel vgl.
Artikel zu seinem Tod (1893) und
Artikel über sein Vermächtnis für wohltätige Zwecke (1894) |
|
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 16. März 1886: "Über eine 25jährige Tätigkeit hat auch gegenwärtig der
'Israelitische Unterstützungsverein zu Worms' zu berichten. Dem Verein
ist es vollständig gelungen, die Hausbettelei auf das geringste Maß zu
reduzieren, und für die Armen der Stadt und Umgebung genügend zu sorgen. Er
hat ein bestimmtes Lokal und eine bestimmte Tageszeit für die Verteilung der
Gaben festgestellt, welche durch die Mitglieder einer Kommission geschieht.
Bemerkenswert ist jedoch, dass die Einnahmen des Vereins in diesen 25 Jahren
sich nicht viel geändert haben. 1861 kamen Mk. 2.555 ein und 1885 Mk. 2.685.
In einzelnen Jahren überstieg die Einnahme 3.000 Mk. Hiernach richteten sich
nun auch die Ausgaben. Der Fonds beträgt Mk. 8.624. Der Bericht hat leider
zu beklagen, dass eine große Zahl Gemeindemitglieder sich des Beitrittes
enthalten, sich also die Wohltaten des Vereins gefallen lassen, ohne die
Lasten desselben zu tragen." |
Über die Arbeit des israelitischen
Unterstützungsvereins (1886)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 27. April 1886: "Der
israelitische Unterstützungsverein in Worms, der vor kurzem seinen
25jährigen Bestand gefeiert, gab im verflossenen Jahre an Spenden für 1.281
Personen M. 2.714 aus und hat seinen eisernen Fonds auf M. 10.700 gebracht.
In dem Berichte wird hervorgehoben, dass sich die Zahl der
Gewohnheitsbettler, namentlich aus dem Auslande, bedeutend verringert,
dagegen bei der Ungunst der Zeit die Zahl der verschämten Armen bedeutend
vermehrt hat. Die Organisation des Vereins ist sehr löblich. Täglich 11 bis
12 Uhr sind zwei Komiteemitglieder im Geschäftszimmer des Vereins anwesend,
um Gesuche zu empfangen und abzufertigen. - Auch in Oran (Algerien)
hat sich nach Mitteilung der Arch. Isr. ein Verein gebildet zur Bekämpfung
der Bettelei. Der Verein erhielt in 6 Monaten an 7.000 Frcs. Durch 110
Mitglieder und seine Wirksamkeit beschäftigt sich bereits in erfreulichen
Maßen." |
Über die Arbeit des israelitischen Unterstützungsvereins (1887)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 21. April 1887: "Worms, im April (Privatmitteilung). Die
hiesige Gemeinde besitzt einen der bestorganisierten und seit lange schon
bewährten 'Unterstützungsverein', teils um Hilfsbedürftigen Gaben zu
reichen, teils um den Straßenbettel von Haus zu Haus zu verhindern.
Letzteres ist ihm denn auch wohl gelungen, und mit Recht macht er vielen
dortigen Familien den Vorwurf, dem Verein ihre Beiträge vorzuenthalten,
während sie doch die Wohltat, vom lästigen Hausbettel befreit zu sein, so
gut genießen, wie diejenigen, welchen den Verein unterstützen. Wie
unentbehrlich der Verein ist, ersieht man daraus, dass er im verflossenen
Vereinsjahre an Gewohnheitsbettler 207 aus dem Inlande, 297 aus dem Auslande
Spenden verabreichte. Außerdem unterstützte er 199 Handwerker, 'die bei ihm
vorsprachen', 36 Commis und 60 Lehrer, Gelehrte und Künstler (!).
Selbstverständlich wurden außerdem verschämte Arme (441), sowie mit
regelmäßigen Gaben Familien und Hospitaliten bedacht. Die Bilanz betrug M.
3.644 und man muss zugestehen, dass der Vereinsvorstand mit diesen Mitteln
in sparsamer und bedachtsamer Weise vorgeht. An Fonds besitzt der Verein M.
11.800." |
Festessen des Wohltätigkeits- und des Minjan-Vereins
(1891)
Über die Arbeit des Wohltätigkeitsvereines "Achawa"
(= Liebe) (1894)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 28. Juni 1894: "Worms. Wenn man auch in früherer Zeit
schon die Einsicht gewonnen hatte, dass vereinzelte Kräfte nichts Großes zu
leisten im Stande waren, so ist man doch besonders in der Gegenwart darüber
im Klaren, dass nur ein einmütiges und energisches Zusammenwirken vieler
Kräfte etwas Großes auszuführen vermögen. Diese Wahrheit ließe sich aus
vielen Gebieten mit Beispielen belegen. Doch wir wollen von den vielen nur
eines herausgreifen. Es ist leider zu bekannt, wie traurig die materiellen
Verhältnisse der Lehrer sind und wie dieselben sich noch trauriger
gestalten, wenn der Familie das Haupt genommen wird. Gar zu düstere Bilder
entrollen sich da vor unseren Augen, wer vermag, das Elend und den Jammer
der Hinterbliebenen zu beschreiben! Es war deshalb ein großes Verdienst des
Lehrers Klingenstein, dass er die Achawa gegründet und seine
Schöpfung so treulich und gewissenhaft gepflegt hat. Und wie er, so hat der
erst kürzlich verstorbene langjährige Präsident der Achawa, Herr Adolf
Teblée sel. Andenkens*, seine ganze Kraft dem Vereine gewidmet. So ist
dieser Verein in dem 'braven und guten
Frankfurt' so
großartig gediehen, dass er über ein bedeutendes Kapital verfügt und
tausende jährlich an Witwen, Waisen und kranke Lehrer verteilt. (Das
Vereinsvermögen beträgt ca. Mk. 200.000, verteilt wurden 1893 Mk. 15.000;
346 aktive Vereinsmitglieder zahlen Mk. 2.100; 941 Ehrenmitglieder Mk 5.800;
Geschenke Mk. 6.700).
Nun sollte man allerdings erwarten, dass auch alle jüdischen Lehrer dem
Vereine beitreten und ihre Kräfte in den Dienst der 'Achawa' stellten. Dies
ist aber leider noch lange nicht der Fall. Im Gegenteil, anstatt den Verein
zu stützen, sucht man allerorten Provinzialvereine zu gründen, die nicht
leben und sterben können und entzieht dadurch diesem Hauptvereine so viel
Nahrung. Es ist daher unser herzlichster Wunsch, dass wie von dem
Lehrervereine zu Hannover der Antrag ausging, alle jüdischen Vereine zu
zentralisieren, dieser Zentralverein endlich den Impuls geben möchte, dass
man auch hier zentralisiere, sodass alle Provinzialunterstützungsvereine,
die kleineren wenigstens, aufgingen in de einen großen, der da bekannt ist
unter dem Namen: Achawa."
Anmerkung: Adolf Teblée war seit 1887 Reallehrer an der israelitischen
Realschule (Philanthropin) in Frankfurt; er war seit 1868 Mitglied der
Achawa und übernahm 1872 den Vorsitz des Vereins; er starb am 6. Mai 1894 im
Alter von 76 Jahren. |
Über die Arbeit des israelitischen Unterstützungsvereins
(1900)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 28. Mai 1900: "Worms. Der Jahresbericht des israelitischen
Unterstützungsvereins dahier (39. Vereinsjahr) ist erschienen. Er
konstatiert mit Freude die wachsende Teilnahme der Gemeinde an den
Bestrebungen des Vereins, der den Haus- und Straßenbettel beseitigt und
vielen verschämten Armen eine ausgiebige Unterstützung zugewiesen hat. Der
Verein hat zu der von dem Frankfurter Hilfsverein anberaumten Versammlung
zwei Vorstandsmitglieder delegiert und ist dem in Frankfurt a. M.
begründeten 'Verband der Süddeutschen Unterstützungsvereine' als Mitglied
beigetreten. An Geschenken erhielt der Verein Mk. 900,55, der
unangreifbare Kapitalstock erhielt Mk. 950.-; auch für das neue Vereinsjahr
ist bereits eine Gabe von Mk. 1.000 für den letzteren zu verzeichnen. Im
abgelaufenen Vereinsjahre wurden für 1.811 Unterstützungen Mk. 3.702,40
verausgabt, zwar an: 149 Handwerker, 257 Gewohnheitsbettler aus dem Inlande,
1.132 Gewohnheitsbettler aus dem Auslande, 219 verschämte Arme, 24
Hausierer, 13 Gelehrte und Lehrer, 15 Kaufleute, 3 Künstler. Das Vermögen
des unangreifbaren eisernen Stocks beträgt Mk. 25.699, 91." |
Jahresbericht des Israelitischen Unterstützungsvereins (1901)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 20. Mai 1901: "Worms. Der Jahresbericht des
'Israelitischen Unterstützungsvereins' ist erschienen. Demselben ist zu
entnehmen, dass der Verein auch in diesem Jahre eine segensreiche Tätigkeit
entfaltet hat. Für 1.709 Unterstützungsgesuche wurden Mk. 3.697,65 bewilligt
und zwar: 1.253 Arme, 32 hiesige Arme, 49 Hausierer, 27 Kaufleute, 176
Handwerker, 12 sonstige Bittsteller. Den unangreifbaren Kapitalstock, der
die Höhe von Mk. 27.125,50 erreicht hat, wurden in diesem Jahr drei Gaben
zugewandt und zwar im Betrage von Mk. 1.000, Mk. 200 und Mk. 250. An
sonstigen Geschenken ging ein Mk. 686." |
42.
Jahresbericht des Israelitischen Unterstützungsvereins (1903)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 4. Juni 1903: "Worms. Der Jahresbericht des hiesigen
israelitischen Unterstützungsvereins (42. Vereinsjahr) ist erschienen: Er
gedenkt vor allem des im Laufe des Jahres verstorbenen
Vorstandsmitgliedes, Herrn Jakob Strauß, der dem Vereine nach dem
dereinstigen Ableben seiner Frau Mark 5.200 vermachte, deren Zinsen zur
Pflege von armen Kranken verwendet werden sollen. Es wurden im
Vereinsjahre 1839 Gaben verabreicht: 1030 an Arme vom Ausland; 208 an Arme
vom Inland; an 187 verschämte Arme, 68 hiesige Arme, 346 Handwerker. Die
Gaben bewegten sich von 0,50 bis 36 Mark. An Beiträgen von Mitgliedern
gingen ein Mark 1880,48; an Geschenken Mark 1292. Der eiserne Stock hatte
einen Zugang von Mark 450 und beträgt jetzt Mark
29.533,80." |
Vermächtnis
für wohltätige Zwecke der jüdischen Gemeinde - Spenden der
Narhalla-Gesellschaft für den israelitischen Unterstützungsverein und des
Turnvereins für das israelitische Hospital (1903)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 17. November 1903: "Worms. Die hiesige israelitische
Gemeinde ist dieser Tage freudig überrascht worden, indem eine kinderlos
verstorbene Frankfurterin, hier geboren, der Gemeinde für wohltätige
Zwecke Mark 27.000 testiert hat. Auch die Bürgermeisterei hat von
derselben Mark 900 erhalten zur gleichmäßigen Verteilung an jüdische
und christliche Arme. Bei dieser Gelegenheit will ich auch
mitteilen, dass die hiesige Narrhalla-Gesellschaft,
nachdem sie christliche Vereine bedacht hat, auch den israelitischen
Unterstützungsverein mit Mark 25 beschenkte, während der Turnverein dem
israelitischen Hospital Mark 50 zuwies." |
50.
Stiftungsfest des Israelitischen Unterstützungsvereins (1911)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 7. April 1911: "Worms, 29. März (1911). Am 18.
dieses Monats beging der israelitische Unterstützungsverein sein 50.
Stiftungsfest. Nach Begrüßung der Teilnehmer und einem Hoch auf den
deutschen Kaiser und den Großherzog von Hessen als die Schirmer und
Schützer des Friedens und seiner Segnungen hielt der Vorsitzende Rabbiner
Dr. Holzer die Festrede, die darin gipfelte, dass das Judentum von
altersher bis in die jüngste Gegenwart als Träger des reinen
Monotheismus den ethischen Gedanken entwickelte und stets hochhielt,
Barmherzigkeit und Wohl tun, als tatkräftige Menschenliebe übte,
während dem schönheitssuchenden Griechentum solch ethische Fundamentallehren
fremd waren. - Pietätvoll wurde ferner der Gründer des Vereins Markus
Levy und Markus Cahn sowie des verdienstvollen Ehrenpräses,
des Herrn Emeritus Rabbiners Dr. Stein, zurzeit in Karlsruhe
gedacht, der fast 40 Jahre den Verein geleitet und seine gedeihliche
Entwicklung sehr gefördert hat. Hierauf dankte Herr Max Levy namens des
Gemeindevorstandes der Verwaltung des Vereins für seine Liebestätigkeit
und gab in längerer Ausführung einen historischen Rückblick auf die
Leidenszeiten der Wormser Juden vom Beginn der Kreuzzüge bis in die
neuere Zeit. Zu Ehrenmitgliedern ernannt wurden die Herren Salomon
Honig und August Scheftel als älteste Mitglieder der
Verwaltung. Herr Ludwig Lohnstein ließ in schönen Lichtbildern
die verstorbenen sowie die noch lebenden Verwaltungsmitglieder, also von
1861 bis 1911, unter Rezitation von hübschen, poetischen Texten zu jedem
Bilde, teils ernsten, teils humoristischen Inhalts, Revue passieren. Ihm
sowie den Liederdichtern, den Herrn Schönfeld und Grünfeld, wurde für
diese Darbietungen herzlicher Dank gesagt. Eine namhafte Zeichnung für
den eisernen Fonds des Unterstützungsvereins in der Höhe von fast 1.300
Mark, die voraussichtlich sich noch vermehren wird, bildete den würdigen Schluss
der denkwürdigen Feier." |
Über
den Israelitischen Unterstützungsverein im Jubiläumsjahr (1911)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 21. Februar 1911: "Worms, 14. Juli (1911). Dem
diesjährigen Jahresbericht des Israelitischen Unterstützungsvereins in
Worms am Rhein geht aus Anlass des 50-jährigen Bestehens des Vereins eine
treffliche zusammenfassende Darstellung der Tätigkeit dieses Vereins auf
dem Gebiete der Armenfürsorge und alles dessen, was er zur Einschränkung
des Wanderbettels geleistet hat, voraus. Dieser Bericht, der den hohen
Verdiensten der derzeitigen Gründer um das Zustandekommen der Kasse zum
Zwecke einer organisierten Unterstützung notleidender Armer
vollaufgerecht wird, dabei aber auch die modernen Bestrebungen zur
Herbeiführung eines engeren Zusammenschlusses der Unterstützungsvereine
Deutschlands zur planmäßigen, zielbewussten Arbeit genügend würdigt,
stammt aus der Feder des jetzigen Vorsitzenden, des Rabbiners Dr. Holzer.
Am Schlusse dieser Jubiläumsausgabe finden alle die Gönner und Freunde
des Vereins Erwähnung, die innerhalb des genannten Zeitraums den Verein
mit namhaften Spenden, die zum Grundstockskapital geschlagen werden
konnten, bedacht haben. Im abgelaufenen Jahre wurden 2370 Personen gegen
2518 vom Vorjahre mit 4348,90 Mark unterstützt. Dem Vorstande der
Verwaltung gehören gegenwärtig an: die Herren Dr. J. Holzer, Hermann
Herz und L. Oppenheimer. Das Grundstücksvermögen beträgt 46.823,35
Mark. Die Bilanz schließt in Einnahmen und Ausgaben mit 7.032,40 Mark ab.
An Mitgliederbeiträgen gingen 2081,70 Mark ein, während an Spenden 2353
Mark gesammelt wurden." |
Geschäftsbericht
des Israelitischen Unterstützungsvereins (1914)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 2. Oktober 1914: "Worms, 25. September. Der seit 53 Jahren
bestehende israelitische Unterstützungsverein Worms am Rhein versendet
soeben seinen Geschäftsbericht, der einen interessanten Einblick in die
segensreiche Tätigkeit des Vereins bietet. Die in den vorletzten beiden
Geschäftsjahren gemachte erfreuliche Beobachtung, wonach die Zahl der bei
uns vorsprechenden Wanderarmen in stetiger Abnahme begriffen ist, haben wir
auch in diesem Jahre feststellen können, wenn auch diesmal freilich die
Abnahme nur eine geringe ist. Sie beweist zunächst eine merkliche
Bessergestaltung der bis vor kurzem überaus traurigen wirtschaftlichen
Verhältnisse unserer Glaubensgenossen in den östlichen Ländern Europas, aus
denen der bei weitem größte Teil von Wanderarmen kommt. Wir dürfen aber auch
diese erfreuliche Tatsache als einen Beweis ansehen für die immer deutlicher
zutage tretende günstige Wirkung der Maßnahmen, die sowohl von der deutschen
Zentralstelle für jüdische Wanderarmenfürsorge in Berlin, als auch den unter
Führung des israelitischen Hilfsvereins in Frankfurt a. M.
zusammengeschlossenen Unterstützungsvereinen des Großherzogtums Hessen und
Wiesbadens getroffen worden sind, um Unwürdige als solche zu erkennen, und
von den Kassen fernzuhalten. Dass wir dabei trotzdem uns jeder Rigorosität
enthalten und mit größter Liberalität und Nachsicht verfahren, glauben wir
hervorheben zu sollen, um Missverständnisse nicht aufkommen zu lassen. Die
Ausgaben unseres Unterstützungsvereins im laufenden Berichtsjahre waren
darum nicht kleiner, im Gegenteil, sie überstiegen die des vorigen Jahres um
ein Beträchtliches. Diese Tatsache verzeichnen wir als eine recht
erfreuliche, weil sie uns in den Stand gesetzt hat, hauptsächlich hier
wohnhaften Einzelnen und Familien nachdrücklicher als bisher geschehen war
und hoffentlich auch nachhaltiger beizustehen. Der Mitgliederbestand hat
sich trotz Beitritts einiger Herren gegen das Vorjahr nicht erhöht, denn zu
unserem tiefen Bedauern hat der Tod uns auch in diesem Jahr einige
geschätzte Mitglieder entrissen. Doch den schwersten Verlust haben wir durch
den unerwarteten Heimgang unseres hochverehrten Ehrenvorsitzenden, des Herrn
Ehrenrabbiners Dr. Alexander Stein erlitten, der am 30. Januar dieses
Jahres nach kurzer Krankheit sanft entschlafen ist. 40 Jahre hat der
Verblichene der Verwaltung des Unterstützungsvereins angehört, davon 37
Jahre als Vorsitzender. Zum Zeichen unserer nie endenwollenden Dankbarkeit
wird dem Heimgegangenen ein Gedenkblatt in unserem Jahresberichte gewidmet
bleiben. Der Verein unterstützte 1912/13 1.864 Personen mit 4.130,25 Mark;
1913/14 1.856 Personen mit 4.527,13 Mark. Der Bericht schließt mit der
Bitte, dass dem Verein auch in Zukunft tatkräftige Förderung zuteil werde.
Er kann der Mitwirkung weiter Kreise nicht entraten, soll er seiner Aufgabe,
'Armen und Notleidenden beizustehen' auch nur annähernd gerecht werden.
Mögen insbesondere edle Menschenfreunde sich bewogen fühlen, durch Spenden
für den unangreifbaren Kapitalstock die Erinnerung an ernste und freudige
Ereignisse sowie an teure Angehörige lebendig zu erhalten." |
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