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Geschichte / Geschichte der Synagogen
in Karlsruhe
Karlsruhe (Stadtkreis)
Texte/Berichte zur jüdischen Geschichte der Stadt im 19./20. Jahrhundert
Hier: Berichte zu den Rabbinern in Karlsruhe
sowie zu den Lehrern und weiteren Kultusbeamten und zum jüdischen
Schulwesen
Die nachstehend wiedergegebenen Texte mit
Beiträgen zur jüdischen Geschichte in Karlsruhe wurden in jüdischen Periodika
gefunden.
Bei Gelegenheit werden weitere Texte eingestellt.
Übersicht:
Übersicht über die Karlsruher Rabbiner von 1718 bis
1939
Rabbiner in der Hauptgemeinde (Synagoge
Kronenstraße):
- 1718 bis 1749: Rabbiner Uri Nathan Kahn (geb. in Metz, gest.
1749 in Karlsruhe): war zunächst Lehrer in Pforzheim; versah seit 1717 die
Rabbinergeschäfte in der unteren Markgrafschaft.
- 1750 bis 1769: Rabbiner Nathanael Weil (geb. 1687 in Stühlingen, gest.
1769 in Rastatt); zunächst in Stühlingen
aufgewachsen (als er fünf Jahre alt war, wurden sein Vater und sein Bruder
ermordet; von der Mutter erzogen); 1760 schickte ihn seine Mutter nach Fürth
zum Studium, später wechselte er nach Prag, wo sein Onkel Lippmann Weil (Bruder
seines Vaters) tätig war; eine enge Beziehung entstand zu seinem wichtigsten
Lehrer, dem Rabbiner Abraham Brod, dem er später nach Metz und Frankfurt am
Main folgte; Nathanael Weil wurde Rabbiner in Offenbach; nach dem Tod von
Rabbiner Brod 1717 kehrte er nach Prag zurück und war als Privatgelehrter
tätig; nach Ausweisung der Prager Juden 1743 wurde er 1745 nach Mühringen
als Rabbiner des Schwarzwaldkreises berufen, seit 1750 Rabbiner der beiden
badischen Markgrafschaften in Karlsruhe (Oberrabbiner).
- 1770 bis 1805: Rabbiner Tia Weil (Jedidja b. Nathanel;
geb. 1721 in Prag. gest. 1805 in Karlsruhe): war Nachkomme einer der ältesten
schwäbischen Rabbinerdynastien, die über seinen Vater Nathanael Weil (s.o.) in
gerader Linie auf den Nürnberger Oberrabbiner Jakob Weil (15. Jahrhundert)
zurückreicht: wuchs in Prag auf und studierte an der Jeschiwa seines Vater
Nathanael Weil; nach der Ausweisung der Prager Juden 1743 lebte er in Metz; 1748
kehrte er nach Prag zurück und übernahm die Leitung der Jeschiwa seines
Vaters; zeitweise Rabbiner in Votice, Böhmen, wo 1756 sein Sohn Nathan geboren
ist (s.u.); nach dem Tod seines Vaters 1769 wurde er dessen Nachfolger als
Oberlandesrabbiner der beiden Markgrafschaften.
siehe Wikipedia-Artikel zu Tia
Weil
(Quelle der Abbildung von Tia Weil: Ausstellung im jüdischen
Museum in Bouxwiller)
- 1805 bis 1808: Rabbinatsverweser: der Sohn von Rabbiner Tia Weil: Rabbiner
Nathan Weil (geb. 1756 in Votice, Böhmen, gest. 1829 in Karlsruhe): war
zunächst Privatgelehrter in Karlsruhe; seine Wahl auf die Stelle des Rabbiners
in Karlsruhe 1808 wurde von der Regierung annulliert; bis zu seinem Tod übte er
dann rabbinische Funktionen in der Stadt aus (in den Karlsruher Adressbüchern
immer als "Rabbiner" genannt, wohnhaft Kronenstraße 7 [1820, 1826
1828])
- 1805 bis 1809 Verweser der Stelle des badischen Oberlandesrabbinats: Rabbiner
Seligmann Reiss (geb. 1764 vermutlich im Elsass, gest. 1831 in Karlsruhe):
war seit ca. 1790 in Karlsruhe als "Kandidat" auf der Suche nach einer
Rabbinerstelle; nach 1809 behielt ihn Rabbiner Ascher Löw als Vertreter und
Assessor; 1819/20 kurzzeitig Stiftsrabbiner am Elias Wormserschen
Lehrhaus.
- 1809 bis 1837: Rabbiner Ascher Löw (ben Aryeh Löb; geb. 1754
in Minsk, gest. 1837 in Karlsruhe): aufgewachsen in Smilowitz, Volozhin, Minsk,
Glogau, Frankfurt/Main und seit 1765 in Metz; war 1783 Landesrabbiner der
würzburgischen Ritterschaft in Niederwerrn,
1785 Landesrabbiner des Fürstentums Wallerstein
(daher auch Ascher Wallerstein genannt); 1808 badischer
Oberlandesrabbiner.
- 1837 bis 1842: Rabbiner Elias Willstätter (geb. 1796 in
Karlsruhe,
gest. 1842 in Karlsruhe): lernte in Hanau, Karlsruhe; studierte in Würzburg;
war zunächst Talmudlehrer an der Model'schen Stiftung in Karlsruhe; erhielt als
Nachfolger von Jakob Ettlinger 1825 die Talmudlehrerstelle an der Wormser'schen
Stiftung; seit 1827 Vertreter von Rabbiner Ascher Löw; seit 1835 Stadt- und
Bezirksrabbiner in Hanau; 1837 Rabbinatsverweser in Karlsruhe und Bühl.
- 1842 bis 1875: Rabbiner Benjamin Willstätter (geb. 1813 in
Karlsruhe, gest. 1895 in Karlsruhe): studierte in Heidelberg; wurde als
Nachfolger seiner älteren Halbbruders Elias Willstätter 1842 Rabbinatsverweser
in Karlsruhe; 1847 definitive Anstellung als Karlsruher Stadt- und
Bezirksrabbiner.
- 1875 bis 1893: Rabbiner Dr. Adolf Arye Schwarz (geb. 1846 in
Tewel/Ungarn; gest. 1931 in Wien): studierte in Wien und Breslau; 1875 bis 1893
Rabbiner In Karlsruhe; 1914 bis 1930 Präses der ITL Wien, danach im
Ruhestand.
- 1894 bis 1919: Rabbiner Dr. Meier Appel (geb. 1851 in Jesberg, gest.
1919 in Karlsruhe): studierte in Breslau; 1879 Rabbiner in (Bad)
Homburg v.d. Höhe, 1886 bis 1893 zweiter Stadtrabbiner in Mannheim und
Direktor der Lemle Moses'schen Klausstiftung ebd.; 1894 bis 1919 Rabbiner in
Karlsruhe.
- 1904 bis 1912/13 (stellvertretender Rabbiner): Rabbiner Dr. Julius
Zimels (geb. 1872 in Brody, Österr.-Ungarn, gest. 1955 in Israel):
studierte in Breslau; 1902 stellvertretender Rabbiner in Chemnitz, 1904 bis
1912/13 stellvertretender Rabbiner und Religionslehrer in Karlsruhe, seit
1912/13 Stadtrabbiner in Freiburg, Konferenzrabbiner des Oberrates der
Israeliten in Baden; 1935/36 Ruhestand; 1936 Emigration nach Palästina.
- 1913 bis 1917: Rabbiner Dr. Herrmann Löb (geb. 1884 in Bruchsal,
gest. 1962 in Göteborg): studierte in Breslau und Freiburg; 1909 Rabbinatsassessor (2.
Rabbiner) in Freiburg; 1910 Rabbiner und Religionslehrer in Dresden; 1913
Stadtrabbiner in Karlsruhe, 1917 Prediger in Berlin, 1919 Prediger und Rabbiner
in Göteborg.
- 1919 bis 1923: Rabbiner Prof. Dr. Viktor Kurrein (geb. 1881 in
Linz, gest. 1974): studierte in Wien; zunächst Rabbiner in Meran und Salzburg;
1919 bis 1923 Rabbiner in Karlsruhe, seit 1923 Rabbiner in Linz; übernahm 1933
bis 1935 provisorisch auch das Rabbinat Amstetten (Niederösterreich); 1938
Emigration nach England.
- 1919 bis 1924: Rabbiner Dr. Julius Cohn (geb. 1878 in Graudenz,
Westpreußen, gest. um 1939/42 in England): studierte in Berlin; 1906 bis 1915
Religionslehrer und Hilfsprediger in Berlin; 1915 bis 1919 Rabbiner in Hoppstädten, 1919 bis 1924 zweiter Stadtrabbiner in Karlsruhe,
1924 bis 1928 Bezirksrabbiner in Stuttgart, 1928 bis 1939 Rabbiner in Ulm, 1939
nach England emigriert).
- 1925 bis 1939: Rabbiner Dr. Hugo Schiff (geb. 1892 in Hoffenheim,
gest. 1986 in Red Bank, Monmouth, NJ/USA): studierte in Heidelberg und Breslau;
1917-18 Feldhilfsrabbiner; 1922 bis 1925 Landesrabbiner in Braunschweig, 1925
Rabbiner in Karlsruhe; nach dem Novemberpogrom 1938 mehrere Wochen im KZ Dachau
festgehalten; März 1939 in die USA emigriert; seit 1940 an verschiedenen
Stellen als Rabbiner und Dozent an verschiedenen Hochschulen tätig): vgl. Wikipedia-Artikel
zu Rabbiner Hugo Schiff.
- 1932 bis 1934 zweiter Rabbiner: Rabbiner Dr. Hans Andorn (geb.
1903 in Hattingen, Ruhr, umgekommen 1945 im KZ Bergen-Belsen): studierte in
Berlin und Gießen; 1932 zweiter Rabbiner in Karlsruhe (Jugendrabbiner), seit
Juli 1934 Rabbiner in Nürnberg, 1938 Rabbiner in Den Haag, Übersiedlung nach
Zwolle; von dort 1943 deportiert ins KZ Westerbork, 1944 ins KZ Bergen-Belsen.
- 1934 bis 1936 zweiter Rabbiner: Rabbiner Ulrich B. Steuer (geb. 1912 in
Breslau, gest. 1973 in Milwaukee, WI, USA): studierte 1930 bis 1935 in Breslau;
Juni 1934 zweiter Rabbiner in Karlsruhe; seit August 1936 Bezirksrabbiner in
Heidelberg; September 1938 in die USA emigriert, wo er Rabbiner der Gemeinde
"Beth Sholom" in Fredericksburg, VA wurde; nach 1945 Rabbiner in
Columbus, OH und verschiedenen anderen Gemeinden in den USA.
Rabbiner der Israelitischen
Religionsgesellschaft (IRG):
- 1869 bis 1874: Rabbiner Gumbel Thalmann (geb. in Neubrunn bei
Würzburg, gest. 1880 in Karlsruhe): war Stiftsrabbiner und Privatlehrer in Karlsruhe;
versah in den Anfangszeiten der IRG Karlsruhe - zusammen mit Rabbiner Nathanael
Weil, s.u. - das noch inoffizielle Rabbinat.
- 1874 bis 1876: Rabbiner Dr. Herz Naftali Ehrmann (geb. 1849 in
Michelstadt, gest. 1918 in Lübeck): lernte in Altona und Mainz, studierte in
Berlin; 1874 bis 1879 Rabbiner der Israelitischen Religionsgesellschaft in
Karlsruhe; 1879 bis 1886 orthodoxer Rabbiner in Trier; 1886 bis 1903 Rabbiner in
Baden/Schweiz.
- 1876 bis 1882: Rabbiner Dr. Gabor Gedalja Goitein (geb. 1848 in
Hőgyész, Ungarn; gest. 1883 in
Karlsruhe): lernte an verschiedenen Jeschiwot, studierte in Berlin; 1873/74-1876
Lehrer in Aurich; seit 1876 Rabbiner der IRG Karlsruhe.
siehe Wikipedia-Artikel zu
Rabbiner Dr. Goitein
- 1883 bis 1923: Rabbiner Dr. Sinai Schiffer (geb. 1852 in
Námeztó; gest. 1923 in
Karlsruhe): lernte u.a. in der Jeschiwa in Preßburg, studierte in Berlin;
1884 Rabbiner der IRG Karlsruhe; starb durch einen Unfall in
Karlsruhe.
siehe Wikipedia-Artikel zu
Rabbiner Dr. Schiffer
- 1924 bis 1939: Rabbiner Dr. Abraham Michalski (geb. 1889 in Berlin,
gest. 1961 in Tel Aviv): studierte in Berlin und Münster; von 1912 bis 1919
Rabbiner in Westfalen (Recklinghausen), 1919 bis 1923 an der Israelitischen
Lehrerbildungsanstalt in Würzburg; seit 1924 Rabbiner der IRG Karlsruhe;
nach der Pogromnacht 1938 in das KZ Dachau verschleppt; im Dezember 1939 nach
Palästina emigriert; bis 1958 Rabbiner der Gemeinde Adass Jeschurun in Tel
Aviv.
siehe Wikipedia-Artikel
zu Dr. Michalski
Stiftsrabbiner:
1771 stiftete der Hoffaktor Salomon Meyer der jüdischen Gemeinde Karlsruhe
eine Summe von 6.000 Gulden und ein Haus am Zirkel mit dem Zweck, darin ein
Lehr- und Bethaus einzurichten und arme jüdische Kinder zu unterrichten
(Salomon Meyersche Stiftung, später auch Modelsche Stiftung genannt, da die
Familie 1809 den Nachnamen Model annahm). In dem Haus konnte ein gelehrter Jude
wohnen und jährliche eine Summe von 150 Gulden als Kohn- und Kostgeld erhalten,
außerdem noch 40 Gulden für Holz und Licht.
Eine weitere Stiftung - die 1819 gegründete Stiftung des Elias Wormser - hatte
den Zweck, jeweils einen Talmudstudenten mit 200 Gulden und einer Wohnung zu
unterstützen. Dafür hatte Elias Wormser sein Haus (seitdem: Elias Wormsersches
Lehrhaus) und ein Kapital von 6.000 Gulden hinterlassen.
- 1771 bis 1791: Rabbiner Pelta Moses Epstein (geb. 1745 in
Offenbach, gest. 1821 in Bruchsal): lernte in Frankfurt, Fürth und Prag;
erhielt an der Salomon Meyerschen Stiftung die Stelle eines
"Talmudlehrers und Unterrabbiners"; seit 1791 Landesrabbiner des
Fürstbistums Speyer in Bruchsal.
siehe Wikipedia-Artikel
zu Pelta Moses Epstein
- 1819/20 bis 1825: Rabbiner Jakob Ettlinger (geb. 1798 in
Karlsruhe, gest. 1871 in Altona): Stiftsrabbiner am Elias Wormser'schen
Lehrhaus, 1825 Leiter der Lemle Moses'schen Klausstiftung in Mannheim; seit 1836
Oberrabbiner für Schleswig-Holstein mit Sitz in Altona.
siehe Wikipedia-Artikel
zu Jakob Ettlinger
- 1825 bis 1830: Rabbiner Isaak-Eisik Friedberg (geb. in
Schluchtern, gest. 1870 in Bruchsal): war 1830 bis 1855 Bezirksrabbiner in Mosbach,
danach bis zu seinem Tod Bezirksrabbiner in Bruchsal.
- bis 1849 (?): Rabbiner Aaron Mayer Ettlinger (geb. 1769,
gest. 1849 in Karlsruhe): 1809 als "Haus-Rabi bey E. Reutlinger" in
Karlsruhe genannt; war Stiftsrabbiner in Karlsruher.
- 1849 bis 1874: Rabbiner Joseph-Joel Altmann (geb. 1818 in
Mosbach, gest. 1874 in Karlsruhe): studierte in Würzburg; 1849 Stiftsrabbiner
in Karlsruhe; war Rabbiner der orthodoxen Gruppe in der Karlsruher jüdischen
Gemeinde; unterrichtete Rabbinatskandidaten, die in Karlsruhe das Gymnasium
besuchten.
- bis 1880: Rabbiner Gumbel Thalmann: siehe oben bei den Rabbinern
der IRG.
- 1859 bis 1892: Rabbiner Nathanael Weil (geb. 1818 in Sulzburg,
gest. 1892 in Karlsruhe), war ein Urenkel von Oberrabbiner Tia Weil s.u.; lernte
in Sulzburg, Müllheim und Reichshoffen im Elsass, studierte in Würzburg;
zunächst Prediger und Religionslehrer in Aurich, 1859 Stiftsrabbiner in Karlsruhe.
- 1895 bis 1905 Rabbiner Dr. Bernhard Naftali Blumgrund (geb. 1864
in Bolescó, Ungarn, gest. 1905 in Hamburg): lernte in Budapest, Pápa und
Frankfurt am Main, studierte in Berlin; zunächst Hauslehrer in Stettin; 1895/96
am Rabbinerseminar Berlin; seit November 1895 Rabbiner an der Model'schen
Stiftung in Karlsruhe; starb kurz vor der Einführung in sein Amt als
Stiftsrabbiner in Hamburg.
- 1905 bis 1921: Rabbiner Dr. Jacob Kramer (geb. in Szombathely,
Ungarn, gest. 1923 in Karlsruhe): studierte in Berlin; war von 1905 bis zu
seinem Tod Stiftsrabbiner der Model'schen Stiftung in
Karlsruhe.
- ca. 1890 bis 1930: Rabbiner Akika E. L. Meyer (geb. 1859 in
Bauska, Kurland, gest. 1930 in Karlsruhe): war ab ca. 1880 Lehrer in
verschiedenen bayerischen Landgemeinden, ab ca. 1890 in Karlsruhe: Lehrer an der
Religionsschule der IRG und stellvertretender Rabbienr in Karlsruhe; 1928 bis
1930 Amtsinhaber des zweiten Stadt-Rabbinats.
Berichte zur Geschichte der
Rabbiner in der Hauptgemeinde (Synagoge Kronenstraße)
Zum Tod von Oberlandrabbiner Ascher Löw
(1837)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 22. August
1837: "Karlsruhe, 4. August (Privatmitth.) Am 23. Juli verstarb allhier der Oberrat und Oberlandrabbiner Ascher Löw. 27 Jahre war er das geistliche Oberhaupt der hiesigen Gemeinde und Mitglied des
Großherzoglichen Oberrats der Israeliten. Seine vielen Freunde im In- und Ausland werden diese Nachricht mit dem innigsten Gefühl der Teilnahme vernehmen. Das Leichenbegängnis fand auf eine höchst würdevolle Weise statt, und waren die Läden der hiesigen israelitischen Kaufleute bis zum Schlusse des Actus geschlossen. Am Grabe hielt der Sohn des Verblichenen, der
Bezirksrabbiner Ascher von Bühl, und der früher dem Verstorbenen substituierte
Rabbiner Elias Willstätter passende Reden. Der Verstorben hatte bereits das 83ste Lebensjahr erreicht." |
|
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 2.
September 1837: "Nekrolog.
Am 23sten Juli dieses Jahres starb dahier, nach einer mehrjährigen durch Altersschwäche herbeigeführten Kränklichkeit, in einem Alter von 83 Jahren, der
Oberrat und Oberlandrabbiner Ascher Löw, nachdem er 27 Jahre hindurch, als Rabbiner der hiesigen Orts- und der dazugehörigen Bezirksgemeinde, und als geistliches Mitglied des Großherzoglichen
Badischen Oberrats der Israeliten, treu und redlich sein Amt verwaltet hatte. Er wurde im Jahr 1754 zu
Minsk in Litauen geboren, und kam schon früh, als Knabe, mit seinem Vater
(Aryeh
Loeb Ben Asher) nach Metz in Frankreich, wohin dieser zur selbigen Zeit als Oberrabbiner berufen wurde. Von der Natur mit einem hellen und scharfsinnigen Geiste glücklich begabt, genoss er frühzeitig den Unterricht seines Vaters, welcher durch sein vielumfassendes und gründliches Wissen im Gebiete der Talmud-Gelehrsamkeit in einem ausgezeichneten Rufe stand, und als der Verfasser zweier Werke, von welchem das eine
Schaagat Aryeh rabbinische Abhandlungen über besondere kasuistische
Fragen, das andere Ture Eben gelehrte Erörterungen über einzelne Traktate des Talmuds enthält, unter den Talmudgelehrten rühmlichst bekannt ist. In Folge dieser für seine Ausbildung so günstigen Umstände, wurde auch er schon als Jüngling auf diesem weitumfassenden Gebiete einheimisch, und auch sein Ruf verbreitete sich allenthalben, und drang bald auch nach Deutschland. Als sein Vater in den letzten Jahres seines Lebens sein Augenlicht verloren hatte, unterstützte er denselben sehr tätig in seiner Amtsausführung, und während er zu diesem Behufe sich noch in Metz aufhielt, verehelichte er sich mit der Tochter eines reichen, als Talmudgelehrten ebenfalls bekannten Israeliten, in
Niederwerrn unweit Schweinfurt, im Unter-Mainkreise des Königreichs Bayern. Erst nach dem Tode seines Vaters verließ er Metz und wurde im Jahr 1783 als Rabbiner in
Niederwerrn aufgenommen, und nach 2 Jahren in derselben Eigenschaft in
Wallerstein, in Rezatkreise desselben Landes, wo er 25 Jahre hindurch in diesem
letztern Beruf wirkte. Bei der im Jahr 1809 erfolgten Organisation des jüdischen Kirchenwesens im Großherzoglichen Baden, erhielt er den Ruf als geistliches Mitglied des Oberrats der Israeliten und Landrabbiner der (damaligen) mittelrheinischen Provinz-Synagoge, und als Ortsrabbiner dahier, welchem er auch, obgleich er zur nämlichen Zeit auch zur Antretung einer anderen Stelle im Konsistorium zu Metz, und sogar zu Paris berufen wurde, im Jahre 1810 folgte. Sein Wissen im Gebiete der Talmudgelehrsamkeit erweiterte sich täglich in dem Maße, dass er darin eine Weltberühmtheit erlangte, und allenthalben als eine sehr achtbare Autorität anerkannt wurde, an die man sich zur Entscheidung schwieriger zu seinem Fache gehörender Fragen, oft aus den entferntesten Gegenden, wandte. Er verband mit einem scharfsinnig und gründlich forschenden Geiste, einem glücklichen ganz ausgezeichneten Gedächtnisse einen unermüdlichen, bewundernswerten Eifer für das ihn fast zum natürlichen Bedürfnisse gewordene Talmudstudium, sodass kein Lebens-Verhältnis, keine Lebens-Prüfung, deren er manche bitter zu bestehen hatte, ihn in seinem Studium stören konnte, seinen hellen Forscherblick zu trüben, seinen unvergleichlichen Treueeifer erhalten zu machen vermocht hätte. Sein Forschen aber war kein blindes, geistloses Forschen und Weiterbauen auf den Grundlagen unhaltbarer Prämissen, wie dies von manchen Talmudgelehrten seiner Zeit betrieben wurde, sondern er wusste diesem Studium eine für den Denker höchst interessante und geistergötzende Seite abzugewinnen, und er brach in dieser Beziehung eine neue Bahn, auf welcher er die scharfsinnigsten und geistreichsten Gebäude talmudischer Gelehrsamkeit mit einer seltenen Kunst und erstaunenswerter Gründlichkeit auszuführen verstand. Und es war darum für seine Schüler, deren er beständig mehrere um sich hatte, und unter deren Zahl mehrere noch lebende und bereits verstorbene im In- und Ausland angestellte Rabbinen und Rabbinats-Kandidaten gehören, nicht sowohl in Rücksicht des materiellen Inhalts seines Unterrichts, als vorzüglich in Rücksicht des formellen und der Art der Mitteilung, zur Belebung und Schärfung der Denkkraft, von höchster Wichtigkeit, seinen Unterricht anzuhören. Aber auch das Gebiet weltlicher Wissenschaften ließ er nicht unberührt, und er war namentlich mit einigen fremden Sprachen nicht unbekannt, und besonders mit der französischen Literatur des vorigen Jahrhunderts sehr vertraut.
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Obgleich auf diese Weise sein Geist eine etwas philosophische Richtung erhielt, und manche ihm fremdartige Idee in sich aufnahm, so blieb er dennoch ein treuer Anhänger streng-orthodoxer Grundsätze und zeichnete sich durch ein unerschütterliches Festhalten dessen,
was er in Gemäßheit dieser Grundsätze festhalten zu müssen glaubte, besonders aus. Übrigens hasste er das Übertriebene in religiösen Grundsätzen und Handlungen, weil er darin die Spuren einer verwerflichen Frömmelei oder Scheinheiligkeit erkannte; und wer diese Spuren an sich trug, schien
ihm verdächtig, und seines nähern Umgangs unwürdig. Andererseits war er
tolerant gegen jeden Andersdenkenden, insofern er dessen Grundsätze als das Ergebnis redlicher Forschung erachtete; die Sucht, Andersdenkende zurückzustoßen und und zu verfolgen, kannte er
nicht, im Gegenteile war ihm der Besuch derselben jederzeit willkommen. Überhaupt verstand er seine Zeit, wusste was die Klugheit gebot und zog seinem Berufe die Grenzlinie, innerhalb welcher er sich bewegen durfte. Gern unterhielt er sich im häuslichen Kreise seiner Freunde, und suchte dadurch dem Bedürfnisse gesellschaftlicher Mitteilung Genüge zu leisten, auf welche er sonst hätte verzichten müssen, weil er seine Wohnung höchst selten verließ, und so dem öffentlichen Kreise der Gesellschaft entzogen wurde. In diesen Privatgesprächen, welche er durch seine oft sehr muntere Laune zu würzen wusste, entwickelte er bisweilen so viel Scharfsinn und Weisheit, dass auch diese für den denkende Geist von nicht geringem Interesse waren. Die angestrengte Geistestätigkeit seiner Jugendzeit blieb übrigens nicht ohne nachteilige Folgen für sein Alter, und namentlich waren die vielen seinem Studium gewidmeten schlaflosen Nächste von höchst nachteiligem Einflusse für das Licht seiner Augen, welches in den späteren Jahren seines Lebens, durch oft wiederkehrende krankhafte Zufälle, allmählich schwächer wurde, und in den letzten Jahren endlich ganz schwand. Er konnte in den späteren Jahren seines Lebens wegen seines vorgerückten Alters und der in Folge desselben herbeigeführten Kränklichkeit, seinem Amte nicht mehr kräftig vorstehen, weswegen ihm schon im Jahre 1827, auf sein eigenes Ansuchen, von der Großherzoglichen
Badischen Regierung, ein Substitut ernannt wurde, welchem er in den letzten zwei Jahren wegen oft wiederkehrender sehr bedenklicher Krankheitszufälle seine Amtsführung ganz überlassen musste.
Sein Geist lieb zwar mit wenigen Unterbrechungen, bis in den letzten Monaten seines Lebens frisch und klar, und fast ununterbrochen, wenn auch im
Stillen, tätig, jedoch war seit mehreren Jahren die jugendliche Schöpferkraft von ihm gewichen, und seine Geistestätigkeit war lediglich noch eine reproduzierte, die freilich, bei einem so reichen Materiale, immer noch eine ansehnliche Ausbeute talmudischen Wissens zu liefern im Stande war. Seine zwei Jahre anhaltende Kränklichkeit hatte sich zuletzt in einen mehrmonatlichen, mit sehr schmerzhaften Leiden verbundenen Krankheitszustand verwandelt, dass selbst seine Angehörigen die Stunde seiner Erlösung als eine wünschenswerte ansahen. Der Verewigte selbst sah ihr mit frommer Ergebung entgegen, bis sie ihn am 23. Juli
dieses Jahres morgens 5 Uhr zu einem höheren Sein abberief. Seine gelehrten Abhandlungen über einzelne Abschnitte des Talmud, sowie rabbinische Synagogen-Vorträge enthaltenden Manuskripte werden vielleicht demnächst von einem vermöglichen Israeliten in Wilna, an welchem der Verewigte dieselben vor mehreren Monaten, auf dessen dringendes Ansuchen, gegen ein angemessenes Honorar verabfolgen ließ, zum Drucke befördert werden. Seine ausgezeichneten Leistungen im Gebiete der Talmud-Gelehrsamkeit fanden bei allen, die sie zu würdigen verstanden, gebührende Anerkennung, welche sich auch noch nach seinem Tode, durch die tiefe Trauer aller die ihn kannten, unverkennbar kund tat.
So ist ein Mann von der Schaubühne der Welt abgetreten, dessen Geist über ein halbes Jahrhundert an dem Horizonte des Wissens so hell leuchtete, und dem in so vielen Rücksichten, und namentlich in Rücksicht seiner talmudischen Kenntnisse, nicht leicht ein anderer seines Faches in unserem deutschen Vaterlande an die Seite zu setzen sein dürfte. Und die allseitige Anerkennung dieser Leistungen wird sein Andenken, als ein monumentum aere
perennius, gewiss in der Brust eines jeden, der ihn kannte und zu würdigen wusste, auch fortan frisch erhalten!
'Sanft ruhe sein Körper, und sein Geist labe sich an dem Lichte, das denen zu schauen vergönnt ist, die da selig
sind!'
Karlsruhe im August 1837.
Einsender des vorstehenden Nekrologs kann es nicht unterlassen, auch noch über die
feierliche und würdevolle Bestattung des Verewigten, sowie über manche andere ihm nach seinem Tode zu Teil gewordene ehrende Anerkennung, einiges kurz zu berichten. Zuvörderst fühlt er sich verpflichtet, des seit fast einem Jahre hier in das Leben getretenen Vereins
'Zur Handhabung der gesetzlichen Ordnung bei Leichenbegängnissen' (Chewrah
nos'ei Hamitah = Bruderschaft der Sargträger), mit dankender Anerkennung zu erwähnen, indem es wohl dem Bestehen desselben allein zuzuschreiben sein dürfte, dass es in der hiesigen
israelitischen Gemeinde jetzt möglich wird, bei allen Leichenbegängnissen, wie es auch bei dem Leichenbegängnisse des Verewigten auf sehr würdige Weise geschah, eine der Würde und dem Ernste der Sache angemessene, und das Gewissen des Einzelnen auf keine Weise verletzende, Ordnung zu beobachten. Vor Abgang der Leiche versammelten sich, wie gewöhnlich, alle welche die Leiche begleiten wollten, in einem dem Sterbehause nahe gelegenen Lokal. Von dieser Zeit an bis zum Schluss des Bestattungs-Aktes blieben bei diesem Trauerfalle ausnahmsweise die Laden der hiesigen israelitischen Kaufleute geschlossen. Zur festgesetzten Stunde setzte sich der Leichenzug in folgender Ordnung in Bewegung. Vor der Leiche gingen die beiden Diener der längst allhier bestehenden Wohltätigkeits-Gesellschaft
(Chewrah Kadischa), schwarz gekleidet und in eckigen Hüten; neben der Leiche gingen die Mitglieder dieser Gesellschaft, ebenfalls in schwarzer Kleidung und in ihren gewöhnlichen Synagogenmänteln, sowie die vor Abgang der Leiche außerdem aus dem Vereine
Nos'ei Hamitah (Sargträger) zum Tragen und Abwechseln bestimmten Individuen, in schicklicher Ordnung Kolonnenweise; hinter der Leiche folgten die drei leidtragenden Söhnen des Verstorbenen, der Rabbinats-Substitut im Synagogenornat, einige andere jüdische Geistliche, die Mitglieder des Synagogen-Rats, die Schuljugend mit ihren Lehren, die Mitglieder des Vereins
Nos'ei Hamitah (Sargträger), sodann die übrigen Gemeinde-Mitglieder, alle in schwarzer Kleidung, paarweise hintereinander; den Schluss des durch die Beiwohnung fast sämtlicher hiesigen
israelitischen Gemeinde-Mitglieder sehr langen Leichenzugs, bildeten zwei Wagen, in welchen auch die von der
Großherzoglichen Regierung ernannten christlichen Mitglieder des Oberrats der Israeliten die Leiche begleiteten. Auf dem Friedhof hielt der Sohn des Verewigten, Herr
Bezirksrabbiner Ascher von Bühl, und darauf der vormalige Substitut des Verewigten und dermalige Verweser der Stelle desselben, Herr
Rabbiner Elias Willstätter, passende Reden. Ebenso wurden sowohl am Beerdigungstage einige Stunden vor der Beerdigungs-Zeit, sowie im Laufe der Trauerwoche, von Rabbinats-Kandidaten und anderen Individuen passende Trauervorträge zur Ehre des Verewigten in dessen Wohnung gehalten. Es lässt sich hiernach von den Amtsbrüdern des Verewigten, auch von den entfernten, erwarten, dass sie gegen denselben diese Pflicht der Pietät, auf die er sich gewiss einen gerechten Anspruch erworben hat, zu erfüllen nicht versäumen, und ihm dieses Denkmal der Verehrung willig weihen werden.
Karlsruhe im August 1837." |
Die Rabbiner Elias Willstätter und Benjamin Willstätter werden in
ihren Ämtern als Konferenzrabbiner und Gemeinderabbiner bestätigt
(1847)
Artikel
in der Zeitschrift "Der treue Zionswächter" vom 13. Juli
1847: "Karlsruhe. Die seit dem Ableben des hochberühmten
Oberlandesrabbinen Ascher Löb, Sohn des (hebräisch) im Jahre 1837 vakante Stelle eines Oberlandesrabbinen des Großherzogtums und Gemeinderabbinen unserer Residenz ist dieser Tage endlich nach 10-jähriger Vakanz definitiv wieder besetzt worden. Nach dem Scheiden Jenes wurden nämlich beide Stellen vereint von dem Konferenzrabbinen E. Willstätter provisorisch verwaltet. Als aber im Jahre 1842 auch dieser
Konferenzrabbiner starb, wurden beide Funktionen getrennt, und die des Oberrabbinen, sowie offenen Stelle beim Oberrat provisorisch vom Oberrat Epstein – mehrfach in diesen
Blättern als Zielscheibe aller Angriffe der badischen Neologie genannt – verwaltet, die als Gemeinderabbiner der Synagogen-Gemeinde Karlsruhe vom Rabbiner B. Willstätter. Durch großherzogliches Ministerial-Rescript sind jetzt die beiden provisorischen Inhaber definitiv in ihrer Stellung, die somit nicht wieder in einer Person vereint, bestätigt werden. In
Bruchsal ist jüngstens ebenfalls der greise würdige
Rabbiner E. Präger, aus der Zahl der 116, mit Tode abgegangen und dessen Sohn,
M. Präger, schon bei Lebzeiten dem Vater adjungiert, an dessen Stelle getreten." |
Witzige Bemerkungen von Oberrabbiner Ascher Löw
(1849)
Artikel
in der Zeitschrift "Der treue Zionswächter" vom 19. Januar
1849: "Witzige Bemerkungen des hochseligen Oberrabbiners Ascher Löw zu Karlsruhe
Zu W. lebte ein achtbarer Mann, der aber von seiner Laune beherrscht, nicht immer Sitte und Anstand beachtete. Je nachdem seine Vermögensumstände waren, kleidete er sich ganz fürstlich, oder er ging zerlumpt einher, und ließ sein Kopf- und Barthaar wild wachsen.
In einem solchen Anzuge und höchst unanständigen Äußeren betrat er einst das Zimmer des hochseligen Oberrabbiners Ascher Löw. Mit lächelnder Miene bewillkommte er ihn mit jenem biblischen Verse:
(hebräisch, dem Webmaster ist nicht klar, welcher biblische Vers
gemeint ist; Hinweise erbeten)
In demselben Orte lebte auch ein sehr gediegener scharfsinniger Gelehrter, dem aber Fortuna nicht reichlich bedacht, und mitunter ihm gar nicht hold war; ja selbst die Bemühungen unseres
seligen Oberrabbiners, demselben eine kleine Unterstützung zu verschaffen, blieben ohne allen Erfolg. Bald aber änderte sich das Geschick unseres Gelehrten. Was man der Gelehrsamkeit verweigerte, das spendete man reichlich der Frömmigkeit. Es hatte sich selbst der Ruf von der
Religiosität des Mannes in der Stadt verbreitete. Es ging auch das Gerücht, dass er sich im Genusse so sehr beschränkte, dass er sogar der Fleischspeisen sich enthalte. Einem solchen
kernfesten Manne hielt sich jeder für verpflichtet, nach Kräften beizustehen. Unser Gelehrter hatte nun sorgenlos sein tägliches Brot. Als hierauf in einer Gesellschaft jemand sich sich verwundernd über die große Enthaltsamkeit des Mannes äußerte, und wissbegierig fragte, weshalb dieser kein Fleisch esse, antwortet ihm der selige Oberrabbiner:
'Würde er Fleisch essen, so könnte er kein Brot genießen.'" |
Rabbiner
Dr. Adolf Schwarz veröffentlicht Predigten (1885)
Anzeige
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 3. März
1885:
"Fest-Predigten für die
Hauptfeiertage des Jahres von
Dr. Adolf Schwarz, Stadt- und Konferenz-Rabbiner in
Karlsruhe.
301 Seiten. octav, Preis 5 Mark. J. Bielefeld's Verlag in Karlsruhe
(Baden)." |
Rabbiner Dr. Adolf Schwarz wurde nach Wien berufen
(1892)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
23. Juni 1892: "Karlsruhe. Rabbiner Dr. A. Schwarz, der 17 Jahre in hiesiger Gemeinde amtierte, Herausgeber der
Toseftah und vieler Bände Predigten, ist an das neu zu gründende Rabbinerseminar nach Wien berufen worden und wird Ende dieses Jahres dahin übersiedeln." |
Ausschreibung der Stelle des Stadtrabbiners
(1893)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 4. August
1893: "Vakanz.
Das durch die Übersiedlung unseres bisherigen Rabbiners, Herrn Dr. Adolf Schwarz, nach Wien freigewordene
Stadtrabbinat
wird hiermit wiederholt zur Bewerbung ausgeschrieben. Die Stelle ist, abgesehen von freier Wohnung und nicht unbedeutenden
Kasualien, mit einem Gehalt von 5000 M. Ausgestattet, einschließlich des Honorars für Erteilung des Religionsunterricht an den höheren Schulen. Bewerber, welche akademisch gebildet, anerkannt gute Prediger und Schriftgelehrte sein müssen, wollen sich unter genauer Angabe ihrer bisherigen Tätigkeit und ihrer persönlichen Verhältnisse bis spätestens
15. September d. J. an uns wenden.
Karlsruhe, 1. August 1893. Synagogenrat I. V.: A. Seeligmann." |
Einführung
von Stadtrabbiner Dr. Meier Appel in sein Amt (1894)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom
11. Mai 1894: "Karlsruhe, 5. Mai (1894). Am 6. vorigen Monats
beim Abendgottesdienste wurde Herr Stadtrabbiner Dr. Appel durch
den Synagogenrat in sein neues Amt dahier eingeführt. Auf die herzliche
Ansprache des stellvertretenden Gemeindevorstandes, Herrn Stadtrats
Homburger, erwiderte Herr Dr. Appel mit gleicher Herzlichkeit. Die
Antrittsrede des Herrn Dr. Appel beim Sabbatgottesdienste hatte zum Text
2. Samuel 10,12 und erfreute sich ungeteilten Beifalls. Der Redner
forderte die Gemeinde zur Mithilfe auf zur Erreichung der Ziele, denen er
zustrebe. - Möge das Wirken unseres neuen Rabbiners, dem allerseits
großes Vertrauen entgegengebracht wird, ein von Gott gesegnetes
sein!" |
Stadtrabbiner
Dr. Meier Appel wurde zum Konferenzrabbiner ernannt (1894)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 29. Juni 1894: "Stadtrabbiner Dr. Appel in Karlsruhe wurde
zum Konferenzrabbiner, d.i. zum Mitglied der Religionskonferenz des
Großherzoglichen Oberrats der Israeliten,
ernannt." |
Rabbiner Dr. Julius Zimels wurde zum zweiten Rabbiner
gewählt (1904)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 24. Juni 1904: "Karlsruhe. Als zweiter Rabbiner der
hiesigen israelitischen Gemeinde wurde Dr. Julius Zimels, bisher in
Chemnitz, gewählt und von der Regierung bestätigt." |
Vortrag
von Rabbiner Dr. Meier Appel (1911)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 7. April
1911: "Am 22. vorigen Monats hielt Stadtrabbiner Dr. Appel in
Karlsruhe in Baden auf Veranlassung des Vereins für jüdische Geschichte
und Literatur im dortigen großen Rathaussaal einen Vortrag über 'Den
Sozialismus der Propheten'." |
Rabbiner
Dr. Meier Appel wird mit der Friedrich-Luisen-Medaille ausgezeichnet (1912)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 7.
Oktober 1912: "Karlsruhe. Rabbiner Dr. Appel erhielt die Friedrich-Luisen-Medaille."
|
Rabbiner
Dr. Julius Zimels wechselt nach Freiburg;
Dr. Herrmann Löb wird zweiter Rabbiner in Karlsruhe (1913)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 29. August 1913:
"Als Rabbiner für Freiburg und
Sulzburg ist Dr. Julius Zimels,
bisher in Karlsruhe, ernannt und Herr Dr. H. Löb von Bruchsal ist als
zweiter Rabbiner nach Karlsruhe versetzt worden."
|
Predigten von Rabbiner Dr. Meier Appel werden publiziert
(1914)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 28.
August 1914: "Die Predigten , die Herr Rabbiner Dr. Appel in Karlsruhe
in Baden am 4. und 8. August gehalten hat, liegen gedruckt vor (Karlsruhe, A. Bielefeld); der Reinertrag ist für das Rote Kreuz bestimmt. Aus der zweiten Rede seien folgende Sätze hier mitgeteilt:
'Aber wie sagt der Psalmist von den Missetätern? 'Nach ihrer Tat gib ihnen, nach ihrer Bosheit: gib's ihnen, wie sie's machen, vergilt ihr
Tun.' Sie haben einen Bund der Heimtücke, der Rachsucht und des Todes geschlossen, auf unserer Seite aber stehen die lichten Mächte der Wahrheit und der Treue, auf unserer Seite steht der starke Geist der Eintracht, der Entschlossenheit, des Todesmutes, der opferwilligsten Vaterlandsliebe. Ist es nicht ein erhebendes Bild, das das deutsche Reichstag uns vor wenigen Tagen geboten hat, der mit Einstimmigkeit das Vorgehen unseres Kaisers gebilligt und allen Anträgen der Reichsregierung zugestimmt hat? Ist es nicht ein wunderbares Bild, das das deutsche Volk der Welt geboten hat, das sich einmütig und entschlossen, ohne Ruhmredigkeit und ohne Geschrei, mit ruhiger Selbstverständlichkeit in den Dienst des Vaterlandes gestellt hat, ist es nicht erhebend zu sehen, wie Männer und Jünglinge freudig zu den Waffen eilen, um ihr Leben fürs Vaterland einzusetzen, wie Frauen und Jungfrauen, ja selbst Kinder sich dazu drängen, um in der Krankenpflege oder sonst einer Weise sich der Allgemeinheit nützlich zu machen? Ja! Die drohende Gefahr
hat eine gewaltige sittliche Kraft im deutschen Volke ausgelöst, der Sturm der Zeit hat reinigend auf die sittliche Atmosphäre des deutschen Volkes gewirkt; ja, die Fluten, die auf uns eingestürmt sind, sind für uns ein Bad sittlicher Kräftigung und sittlicher Erneuerung geworden. Darum
'fürchten wir uns nicht, wenn die Erde zittert, wenn die Berge wanken tief im
Meer', denn mit uns ist Gott'.
Was wollen wir viele Worte machen? Auf zur Tat! Unsere Kämpfer werden ihre Pflicht erfüllen, denn sie sind beseelt von dem besten Geiste der Manneszucht und des Mutes. Sie werden durch die Todesverachtung, wie durch ihre Gesittung dem deutschen Namen Ehre machen. An die Zurückbleibenden möchte ich die Mahnung richten, die schon Jesaja ausgesprochen hat mit den Worten: In Ruhe und Gelassenheit liegt euer Heil, im Stillehalten und Vertrauen liegt eure Stärke.' Haltet euch fern von jeder übertriebenen Ängstlichkeit, von jeder sinnlosen Aufregung; eine jede Gefahr ist schon halb überwunden, wenn man ihr mit Ruhe und Überlegung entgegentritt. Auch die Sorge um die im Felde stehenden Gatten, Brüder und Söhne darf keine lähmende sein; befehlt eure Lieben in Gottes
Hand.'" |
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Links:
Rabbiner Dr. Meier Appel mit Ehefrau Anna geb. Willstätter als Rabbiner in Karlsruhe.
Quelle: Juden in Karlsruhe Hrsg. von Heinz Schmitt 1988 S. 166 |
70. Geburtstag von Rabbiner Prof. Dr. Adolf Schwarz
(1916)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 21. Juli 1916: "Wien. Professor Dr. Adolf
Schwarz, 1875 - 1893 Rabbiner in Karlsruhe und seitdem Rektor der damals eröffneten
Israelitisch-Theologischen Lehranstalt in Wien, feierte am 15. Juli seinen
70. Geburtstag.
Ein Schüler von Jellinek und Weiß - Wien und Frankel - Breslau folgte er in seiner persönlichen Lebensführung wie in seinen wissenschaftlichen Arbeiten ganz den Bahnen seines Lehrers Frankel. Er arbeitete hauptsächlich auf dem Gebiet der Tosefta und der hermeneutischen Regeln der mündlichen Lehre, jener Regeln, auf denen sich die Folgerungen der Talmudlehrer gründen." |
Auszeichnung für Rabbiner Dr. Viktor Kurrein
(1918)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 31. Mai
1918: "Rabbiner Dr. Viktor Kurrein in Karlsruhe wurde das
österreichische Ehrenzeichen zweiter Klasse vom Roten Kreuz mit der
Kriegsdekoration taxfrei verliehen". |
Zum
Tod der Frau von Rabbiner Dr. Appel - Anna geb. Willstätter (1918)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 24. Januar 1919: "Am 31. Dezember starb in Karlsruhe die Gattin
des Stadtrabbiners Dr. Appel, Frau Anna Appel geb. Willstätter,
nach längerem Leiden im 66. Lebensjahre. Die große Beteiligung bei der
Bestattungsfeier sowie die allgemeine, dem Gatten und den Söhnen
entgegengebrachte Teilnahme bezeugten, welcher Verehrung und Liebe sich
die Verblichene in ihrem Wirkungskreis als Rabbinerin, als Wohltäterin
und Helferin aller Bedrückten erfreut
hatte." |
Zum Tod von Rabbiner Dr. Meier Appel (1919)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 14. Februar 1919: "Karlsruhe. Rabbiner Dr. Meier
Appel ist im 68. Lebensjahre verschieden." |
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Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 21. Februar 1919: "Karlsruhe, 14. Februar (1919).
Wenige Wochen nach dem Tode seiner Gattin, deren Verlust ihn schmerzlich
niederbeugte, ist unser geistliches Oberhaupt, Stadt- und
Konferenz-Rabbiner Dr. Appel, von hinnen geschieden. Zu der
Bestattungsfeier hatte sich eine zahlreiche Trauerversammlung eingefunden,
darunter die Vertreter des Kultusministeriums und der städtischen
Behörden unter Führung des Oberbürgermeisters. Die zahlreichen Reden an
der Bahre gaben ein treues Bild von der vielseitigen Wirksamkeit des
arbeitsfrohen, aufrechten und charakterfesten Mannes auf religiösem,
pädagogischem und sozialem Gebiet, von seiner Tätigkeit im Dienste des
badischen und deutschen Judentums. Den einleitenden Nachruf hielt Rabbiner
Dr. Kurrein (Karlsruhe). Rabbiner Dr. Grzymisch (Bruchsal)
zeichnete die Arbeit des Verstorbenen für die berufliche und soziale
Hebung des Rabbinerstandes, ergreifende Worte der Würdigung fand Rabbiner
Dr. Italiener (Darmstadt). Für den Oberrat der Israeliten, dessen
Religionskonferenz der Entschlafene seit 1894 angehört hatte, sprach Geheimrat
Mayer, der neben dem religiösen das vaterländische Empfinden des
Heimgegangenen hervorhob, für die Israelitische Gemeinde Synodalrat
Mayer, für die Familie der ältere Sohn, da der jüngere - Rabbiner
in Bingen - durch die feindliche Besetzung verhindert war, dem Vater die
Grabrede zu halten. Es folgten die Vertreter der Vereine, denen der
Verblichene in leitender Stellung angehört hatte, als Israelitischer
Landeswaisenverein, Vereinigung badischer Israeliten, Centralverein
deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, Landesasyl für israelitische
Greise, Karl-Friedrich-Loge. Als letzter sprach ein Vertreter der
ehemaligen Schüler. Die Gemeinde Karlsruhe hat ein Oberhaupt von warmem
religiösen und sozialen Empfinden, von starker rhetorischer und
pädagogischer Begabung, der Rabbinerstand einen eifrigen Verfechter
seiner Standesinteressen, das Judentum einen begeisterten Verkünder
seiner Lehren, die Judenheit einen aufrechten Vorkämpfer für ihre
religiösen und politischen Interessen
verloren." |
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Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 14. März 1919: "Rabbiner Dr. Meier Appel (Karlsruhe in
Baden). Wiederum ist einer jener älteren Rabbinergeneration des
Breslauer Seminars dahingegangen, aus deren Reihen wir in den letzten
Jahren zu manchen zu Grabe tragen mussten. Am 8. Februar ist Dr. Meier
Appel, Stadt und Konferenzrabbiner zu Karlsruhe, nach kurzer Krankheit
gestorben. Seine vielseitige segensreiche Wirksamkeit im Dienste des
Judentums verdient im Rahmen eines kurzen Lebensbildes festgehalten zu
werden.
Meier Appel wurde am 19. September 1851 zu Jesberg
als Sohn eines Lehrers geboren. Er besuchte die Lateinschule in Fritzlar
und das Gymnasium in Kassel. Als er 16 Jahre alt war, verlor er den Vater.
Damit war er auf sich selbst gestellt. Diese frühe Selbständigkeit und
das Beispiel der energischen Mutter, die durch Erteilung von
Handarbeitsunterricht den Lebensunterhalt für sich und ihre anderen
Kinder aufbrachte, bis er selbst auch für sie sorgen konnte, legten mit
den Grund zu der selbstsicheren Festigkeit und dem ruhigen Selbstgefühl,
mit dem er später durchs Leben schritt. Seine berufliche Ausbildung
empfing er auf dem Breslauer Seminar und an den Universitäten Marburg und
Breslau. Seine erste Anstellung bekam er 1879 in Homburg
vor der Höhe; dann wirkte er von 1886 bis 1894 als Stadtrabbiner in Mannheim,
von da an in Karlsruhe. Der 1. April dieses Jahres hätte seine
25-jährige Jubelfeier gebracht. Seit 1894 war er zugleich Mitglied der
Religionskonferenz des Oberrats der Israeliten, der obersten
Religionsbehörde Badens.
Wenn so auch sein Lebensweg ständig aufwärts geführt hat, so blieb er
doch in seinem Wesen einfach und schlicht, jeder Pose abhold. Er war von
wahrer Herzensfrömmigkeit, sein Judentum war ihm nicht Lippenbekenntnis,
sondern Herzenssache. Wer ihn als Rabbiner auf der Kanzel, als Lehrer in
der Schule hörte, der empfand, dass ihm nicht ererbtes Wissen, sondern
erarbeitete innerste Überzeugung geboten wurde. Begeistert verfocht er
die Idee der Fortentwicklung des Judentums. Unter Abweisung eines
einseitigen individualistischen oder traditionalistischen Standpunktes
wollte er Werthollen und Kernhaftes erhalten, Veraltetes und Abgestorbenes
beseitigt wissen, gerade um auch in der äußeren Form den wahren Ausdruck
innersten religiösen Gefühles zu schaffen. Fest war er davon überzeugt,
dass nur die Aufrechterhaltung der religiösen Idee genügend Kraft habe,
die Judenheit zusammenzuhalten. Bestimmt und festumrissen trug er seine
Ansichten vor und verfocht sie und ihre Konsequenzen, wo und gegen wen es
auch sei. Andere Rücksichten als die, die in der Sache selbst begründet
waren, kannte er nicht. Charakterlose Streberei, eine sich an alles
anpassende Geschmeidigkeit, jegliche Leisetreterei und Hinterhältigkeit
waren ihm in tiefster Seele verhasst. Sein Wirken ging weit über den
Kreis seiner Gemeinde hinaus. Innerhalb der religiösen Oberbehörde
widmete er seine Kräfte der Entwicklung des badischen Judentums. Diese
seine Arbeit entzieht sich der Kenntnis einer weiteren Öffentlichkeit;
unver- |
gessen
bleiben noch heute seine formschönen und gehaltvollen Reden, die er
jeweils bei der Eröffnungsfeier der Synodaltagungen gehalten hat und die
ob ihres hohen sittlichen Pathos auch von religiös Andersdenkenden
rückhaltlos anerkannt wurden. Mit Eifer beteiligte er sich an den
Arbeiten der Berufsverbände der Rabbiner. Beim Allgemeinen wie beim Liberalen
Rabbinerverband gehörte er dem Zentralausschuss an. Er besaß auch ein
hohes Standesbewusstsein. Bis in seine letzten Tage widmete er besonderes
Interesse und tätige Mitarbeit der beruflichen und sozialen Hebung des
Rabbinerstandes, insbesondere der Festigung seiner Stellung innerhalb der
Gemeindeverwaltung. Aber auch der Kampf für die politischen Interessen
der deutschen Judenheit sah ihn in vorderster Reihe. Lange Jahre war er
Vorsitzender der 1892 gegründeten Vereinigung badischer Israeliten, die
sich später als Landesverband des Zentralvereins deutscher Staatsbürger
jüdischen Glaubens konstituierte. Mit diesem Zeitpunkt trat er
gleichzeitig in den Vorstand des Zentralvereins ein. Sein starkes
Rechtsempfinden machte ihm den Kampf für die politische
Gleichberichtigung der Juden zur Pflicht. Seine vaterländische Gesinnung
ließ ihm den Antisemitismus doppelt schmerzlich empfinden. - Mit starkem
Rechtsgefühl verband er ein warmes soziales Empfinden. War es nun die Fürsorge
für Waisen oder für arme Sieche und Greise, handelte es sich um
Unterstützung Ortsfremder oder um die Förderung der für Einheimische
bestimmten Institutionen: überall griff er mit Rat und Tat ein. Die
Ämter, die er in den betreffenden Vereinen innehatte, waren nicht nur
dekorativer Natur, sondern erforderten ratlose Betätigung. Und gerade das
weite Gebiet der Wohlfahrtspflege war es, auf dem ihm in unermüdlicher
Mitarbeit seine ihm nur um 6 Wochen im Tod vorausgegangene Gattin (eine
Tochter des Rabbiner und Oberrats Benjamin Willstätter (seligen Andenkens
in Karlsruhe) zur Seite stand.
Keineswegs ging er unter in der Tagesarbeit seines Berufes, fortwährend
suchte er neue Bildungsmöglichkeiten; er war ein verständnisvoller
Freund der bildenden Künste und begeisterter Naturfreund. Wie im
öffentlichen Leben, so zeigte er sich am im privater Verkehr. Wen er als
treu und gerade - ihm wesensverwandt - erkannt hatte, dem brachte er
Vertrauen und herzliche Wärme entgegen; wessen Art und Tun er als
unaufrichtig empfand, gegen den kannte er keine
Nachsicht.
Er hat nur ein Alter von 67 Jahren erreicht. Ein heiterer und ruhiger
Lebensabend nach einem arbeitsreichen Leben war ihm nicht vergönnt. Die
Kriegsjahre mit ihren Aufregungen mannigfacher Natur sind nicht spurlos an
ihm vorübergegangen. Der Tod seiner treuen Lebensgefährtin hat seine
Lebenskraft gebrochen. Die Treue - den hervorstechendsten Zug seines
Wesens - hat er nun auch im Tode bewahrt.
Möchte es der jüdischen Gemeinschaft niemals an solch arbeitsfrohen, begeisterungsfähigen
und charakterfesten Männern fehlen, wie Meier Appel es gewesen ist. Ehre
seinem Andenken!" |
Rabbiner
Ulrich Steuer wechselt nach Heidelberg (1936)
Artikel in der "CV-Zeitung" (Zeitschrift des
"Central-Vereins") vom 27. August 1936: "Rabbiner
Ulrich Steuer wurde nach Fortgang von Bezirksrabbiner Dr. Fritz
Pinkuß vom Synagogenrat und der Bezirkssynagoge Heidelberg zum
Bezirksrabbiner gewählt. Der neu gewählte Bezirksrabbiner, der Absolvent
des Jüdisch-Theologischen Seminars zu Breslau ist, hat bisher etwa
zweieinhalb Jahre das Amt des zweiten Rabbiners in Karlsruhe
bekleidet." |
Berichte
zur Geschichte der Rabbiner in der Israelitischen Religionsgesellschaft (IRG)
Ausschreibung der Stelle des Rabbiners der Israelitischen
Religionsgesellschaft (1876)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 28. Juni 1876: "Israelitische Religionsgesellschaft
Karlsruhe.
Die Stelle eines Rabbiners unserer Religionsgesellschaft ist erledigt und
soll bis zum 1. August dieses Jahres wieder besetzt werden.
Qualifizierte Bewerber wollen sich unter Anschluss ihrer Zeugnisse an den
Unterzeichneten wenden, wo auch Näheres zu erfahren ist.
Der Vorstand J.H. Ettlinger." |
Sijum-Feier des Talmudvereins im Haus von Rabbiner Dr.
Schiffer (1889)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 9. Dezember
1889: "Karlsruhe i. Baden. Wem es am verflossenen Dienstag Abend vergönnt war, Zeuge einer
Sijum-Feier im Hause unseres hochverehrten Rabbiners, des Herrn Dr. Schiffer
- sein Licht leuchte - zu sein, der wird ganz bestimmt unwillkürlich sich die beruhigenden Worte zugerufen haben: Karlsruhe bewährt doch immer noch, oder besser gesagt, immer mehr und mehr seinen alten Ruf als
'Mutterstadt in Israel', einer Stätte, wo Talmud und Tora gepflegt und
Gott sei gepriesen auch nach den gewonnenen Lehren gelebt wird.
Die vor circa 8 bis 9 Jahren von Dr. Goitein - er ruhe in Frieden -
ins Leben gerufene Chewra Schass (Talmud-Verein) vollendete heute den Traktat
Pessachim. An 3 Wochenabenden versammelte sich in der Behausung des Herrn Dr. Schiffer ein großer Teil der Mitglieder des
israelitischen Religionsgesellschaft, großenteils Bankiers und Kaufleute, um dem Talmud-Vortrage unseres geliebten Rabbiners beizuwohnen, der sich, trotz überhäufter Berufsarbeiten, sehr angelegen sein lässt und weder Mühe noch Opfer scheut, die Aufmerksamkeit für, und die Liebe zum Gesetzstudium anzuregen und wach zu erhalten.
Vor dem Beginne des von Frau Dr. Schiffer glänzend hergerichteten Sijum-Mahles wurde, wie üblich, die letzte
Mischna und die dazu gehörende Gemara vorgetragen und die vorgeschriebenen Gebete verrichtet. Alsdann machte Herr Dr. Schiffer mit Hinweis auf den
Jehi Razon, der am Ende eines jeden Traktats gebetet wird und im Anschluss auf unsere alltägliche Gebetsstelle in
'großer Liebe zu lernen und zu lehren und zu beachten und zu tun' ganz besonders darauf aufmerksam, dass
nicht das Bedenken die Hauptsache ist, sondern die Tat - 'nicht das Philosophieren über das Religionsgesetz, nein die Ausübung desselben, die herzenswarme und gefühlvolle Tat, ist und bleibt die
Hauptsache'. Während des Mahles überboten sich einzelne Mitglieder des Vereins in geistessprudelnden, von wahrer, religiöser Begeisterung eingegebenen Worten der
Tora, zu deren getreuen Wiedergabe hier der Raum und mir die Zeit gebricht. Jedoch kann ich es nicht über mich gewinnen, einiges hier unerwähnt zu lassen. -
Herr Dr. D. Mannheimer, der leider eine zu kurze Zeit unserem Vereine angehörte, indem er nächste Woche
Karlsruhe verlässt, um die Rabbinerstelle in Lauenburg anzutreten, aber es wohl verstanden, selbst in den wenigen Monaten seines
Hierseins sich die Herzen der Schuljugend und die unserer Gemeinde zu gewinnen, wies auf unsern Wochenabschnitt hin, der uns durch den Stein, auf welchem unser Stammvater Jakob sein müdes Haupt legte, die Andeutung gibt, dass derselbe der
Ewen Schtija und der Sulam (Leiter, 1. Mose 28,12) der Sinai sei. Denn
Sulam ist an Zahlenwert dem Sinai gleich und erinnert uns dankerfüllt an unsern verehrten Rabbiner und Gastgeber, Herr Dr. Sinai Schiffer.
Gegen 11 Uhr schloss die Feier, die jedes Mitglied geistig gehoben und in den Vorsatz bestärkte, die Vorträge immer pünktlicher und fleißiger zu besuchen." |
25-jähriges Dienstjubiläum von Rabbiner Dr. Sinai Schiffer
(1909)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. Januar
1909: "Karlsruhe, 4. Januar. Die 'Israelitische
Religionsgesellschaft' zu Karlsruhe feierte vorigen Freitagabend (Erew
Schabbat Kodesch) ein hohes Fest zu Ehren der 25-jährigen Wirksamkeit ihres geachteten und geliebten
Rabbiners, Herrn Dr. S. Schiffer. Wie man zu einem intimen Familienfeste rüstet, so traf man die Vorbereitungen in der Gemeinde, in der sich Haupt und Glieder wie zu einer Familie gehörig fühlen, zur würdigen Begehung des Jubiläums. Seit Monaten flüsterte man es sich zu, seit Wochen freute man sich über die geplanten Überraschungen, und besonders darüber, dass es wirklich eine Überraschung werden sollte, denn nichts ließ den Jubilar die bevorstehende Feier seines Jubiläums vermuten.
Die Vertreter der Gemeinde und ihrer Körperschaften versammelten sich im Hause des
Vorstehers M. Altmann und zogen von dort in geschlossener Reihe in die Wohnung des kurz vorher benachrichtigten Jubilars. Namens der Verwaltung brachte der Präses, Herr M. A. Straus die herzlichsten Glückwünsche dar, besonders hervorhebend die öffentliche und private Wirksamkeit des Jubilars, die der Erhaltung und Ausgestaltung sämtlicher Institutionen zugute kommt. Als Ausdruck der Anerkennung und des Dankes der Gemeinde überreichte Herr Straus in einer Mappe eine namhafte Ehrengabe, an der sich außer der gegenwärtigen auch auswärtige frühere Mitglieder beteiligt hatten. Die
Religionsschule sandte als Vertreter Schüler und Schülerinnen derselben Klasse, in deren Namen der
Abiturient Fr. Wormser, anknüpfend an eine von dem Jubilar gehörte Deutung eines Talmudwortes in verständnisvoller Weise seine und auch der Schüler Verehrung aussprach. Mit dem Gelöbnis zur Treue zu den
empfangenen Lehren überreichte derselbe einen praktischen schönen Bücherschrank. Für die Mädchen trug die kleine
Else Schäfer unter Überreichung eines Blumenarrangements einen von einem Freunde sinnig verfassten poetischen Gruß vor. Für die Beamten trat alsdann
Herr Oberkantor J. Baruch vor, um in seinem und der Herren Kollegen Namen, in einem talmudischen Satz eingekleidet, die herzlichsten Glückwünsche auszusprechen, unter Hervorhebung des guten Einvernehmens zwischen Rabbinat und den übrigen Beamten. Für die altehrwürdige
Chewra Kaddischa Gemillut chassodim (Wohltätigkeitsverein) ergriff
Herr Kaufmann D. Ettlinger das Wort, um in ergreifenden Worten die Tätigkeit des Rabbis als Lehrer von
Wohltätigkeit an den Lebendenden zu feiern. Mit Überreichung eines kostbaren Silberkastens verknüpfte der den Wunsch, dass derselbe nur in frohem Kreise zur Benützung gelange. Der Ehrenpräsident der
Chinuch Neorim, Herr Jakob Ettlinger, brachte in begeisterten Worten die Wünsche des unter Leitung des Jubilars sich kräftig entwickelnden Vereins dar und überbrachte einen bequemen kunstvollen Ruhesessel. Auf sämtliche Ansprachen erwiderte der Gefeierte unter Hervorhebung der Bedeutung jeder einzelnen Körperschaft in innigen bewegten Worten für die dargebrachten Huldigungen und Gaben herzlich dankend.
Seinen Höhepunkt erreichte das Fest beim Freitag-Abendgottesdienst. Zur festgesetzten Stunde versammelten sich die Gemeinde-Mitglieder und zahlreiche Freunde des Jubilars in der sinnig und festlich geschmückten
Synagoge. Nach Kabbalat Schabbat brachte der verstärkte Synagogenchor das
Ma towu in schöner Weise zum Vortrag. Unterdes bestieg Herr
Rabbiner Dr. Kramer die Kanzel zur Festrede. In eindrucksvoller Weise schilderte derselbe im Anschluss an den Vers
Zur Lebenserhaltung hat mich Gott gesandt (1. Mose 45,5) die Wirksamkeit des Rabbi, die ausschließlich der Erhaltung, der Pflege und Kräftigung des überlieferten Judentums gewidmet ist. Seine sich nie
verleugnende Liebe zu jedem Einzelnen, das immer wache Bewusstsein an der Spitze der Gemeinde zu stehen, und seine profunde Gelehrsamkeit, die ihm auch außerhalb seines engeren Kreises eine gewichtige Stimme in jüdischen Fragen verleihen – machen ihn zum
Vater und Vorbild. Tief ergriffen erstieg hierauf der Jubilar die Kanzel, um in Anlehnung an Jesaja
an die Wohltaten Gottes will ich preisen (Jesaja 63,7) seinen Dankgefühlen Ausdruck zu verleihen. Der Ermahnung, fest zusammenzuhalten und dem von wenigen begeisterten Männern geschaffenen großen Werke, der
Gründung unserer Religionsgesellschaft auch künftighin Dauer und Festigkeit zu geben, folgten segnende Worte für die Gemeinde und
ganz Israel. Den Schluss der Feier bildete der Chorgesang von Psalm 150. Der beste Beweis für die Feststimmung der Gemeinde war, dass die Mitglieder aus eigener Initiative
Jigdal anstimmten." |
70. Geburtstag von Rabbiner Dr. Sinai Schiffer
(1922)
Vgl. Wikipedia-Artikel
"Sinai Schiffer"
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
23. November 1922: "Rabbiner Dr. Sinai Schiffer - sein Licht
leuchte.
Zu seinem 70, Geburtstag am 6. Kislew.
Mit frohem Gefühle und freudiger Anerkennung nehmen wir den 70. Geburtstag des Herrn
Rabbiner Dr. Schiffer zum Anlass, die vielfache Wirksamkeit zu verzeichnen, die der Jubilar entwickelt hat. Einer Familie entsprossen, deren Geschlechter mit glänzenden Namen im jüdischen Schrifttum vertreten
sind, wurde Sinai Schiffer am 6. Kislew (5)613 = 17. November 1852 in Namesto (Ungarn)
geboren. Nach dem frühzeitigen Tode seines Vaters, Verfassers des bekannten
Har Sinai, übersiedelte er nach Niepolomice und hierauf nach Berbovce. Hier wurde er schon in zarter Kindheit von seinem Onkel, Rabbiner Emanuel Deutsch, zur Pflege des
Tora- und Talmud-Studiums angeleitet und angehalten. Als 17-jähriger besuchte er die Preßburger
Jeschiwa und wurde ein hervorragender Schüler des Ktav
Sofer. Kurze Zeit wirkte er als Erzieher im Hause der Familie Cohn in Rawitsch und ging hierauf nach Berlin, um sich am
Hildesheimer'schen Seminar für den rabbinischen Beruf vorzubereiten. Nach einer
glänzend bestandenen Reifeprüfung widmete er sich den philosophischen Studien und wurde in Leipzig zum Doktor phil. promoviert. Im Jahre 1888 wurde er Stiftsrabbiner in Hannover und seit 1. Januar 1884
wirkt er als Rabbiner der Israelitischen Religionsgesellschaft in Karlsruhe. 1886 vermählte er sich mit der Tochter der sehr angesehenen Familie Herzmann aus
Zurawno, die immer seine idealen Bestrebungen förderte und fördert. Schon frühzeitig war der methodische Fleiß, der systematische Geist der Forschung, der eindringende Scharfsinn und die tiefen und umfassenden talmudischen Kenntnisse, die Dr. Schiffer verkörpert, in die jüdisch-wissenschaftliche Welt gedrungen und es wird ihm überall Bewunderung und Anerkennung entgegen gebracht.
Von seinen bis nun im Drucke erschienen Werken seien folgende aufgeführt. 1) Moses Montefiore, Biographie, Halberstadt 1881. 2) Adolf Cremieux, Biographie, Halberstadt 1882.
|
3) Moses
Mendelssohn, Biographie, Halberstadt 1888. 4) Das Buch Kohelet nach Auffassung der Weisen des
Talmuds und des Midrasch, Leipzig 1888. 5.) Pirke Aboth und ihre Verwertung für den Religionsunterricht, Breslau 1893. 6) Die Ausübung des
Mezizo, Herausgegeben von der Freien Vereinigung des orthodoxen Judentums, Frankfurt a. M. 1906. 7) Die Feuerbestattung vom Standpunkt der
Halacha, Frankfurt a. M. 1912. 8. Tisporet Hasaken Frankfurt a. M. 1912. 9.
BeAninei Smi Refoah, Berlin 1913.
Zahlreich sind die Schaalot uTschuwoth (Fragen und Antworten,
Responsen) über die modernen und modernsten Fragen, die aus aller Welt an den Karlsruher
Raw gerichtet werden und unter denen sich sehr viele Schaalot
(Fragen) von Rektor Dr. David Hoffmann - das Andenken an den Gerechten
ist zum Segen - befinden. Nur der unerschwinglichen Kosten wegen ist eine Drucklegung dieses außerordentlich wertvollen Materials anlässlich der Jubelfeier unterblieben.
Alle, die dem vornehmen Geiste im Leben nahe stehen, sind darin einig, dass nur ein geringer Teil der Bedeutung des Jubilars in seinen Schriften niedergelegt sind. Der Kern seines Könnens und Schaffens bleibt seine Wirksamkeit als
Raw und Jugendbildner der Religionsgesellschaft Karlsruhe.
In 39-jähriger Tätigkeit hat er diese Gemeinde, die bei seinem Dienstantritt klein und unbedeutend war, zu einer jüdischen Mustergemeinde herangezogen, die ein Bollwerk der süddeutschen Orthodoxie bildet und in der das
Talmudstudium in die weitesten Kreise gedrungen ist. Unvergänglich sind seine Verdienste um die
'Freie Vereinigung des orthodoxen Judentums', die Hebung des orthodoxen Judentums, die Hebung der
'Agudas Jisroel' und der orthodoxen Rabbiner-Vereinigung.
Möge der Jubilar mit seinem ganzen reichen Intellekte und seinem großen Herzen noch lange Wirken zur Freude seiner Familie, zum Gedeihen seiner Gemeinde und zum Wohle des gesamten Judentums." |
Zum Tod von Rabbiner Dr. Sinai Schiffer
(1923)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 1. November
1923: "Rabbiner Dr. Sinai Schiffer - das Andenken an den
Gerechten ist zum Segen -. Karlsruhe, 28. Okt.
Einem furchtbaren Schicksal ist unser Rabbiner, Dr. S. Schiffer, im siebzigsten Lebensjahre nach dem unerforschlichen Ratschluss des Höchsten
anheim gefallen; auf dem Wege zum Frühgottesdienst infolge nebligen Wetters von einem Straßenbahnwagen zu Boden geworden, hauchte er noch am gleichen Abend seine Seele aus, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Noch am Freitag Nachmittag, kurz vor Eintritt des Sabbatfriedens, haben noch seine irdischen Reste, von einer unübersehbaren Menge geleitet, ihre Ruhestätte gefunden.
Rabbiner Dr. S. Schiffer hat zu den hervorragendsten Talmide Chachomim
(Talmudgelehrte) gehört, deren sich die rabbinische Welt Deutschlands erfreuen durfte. Mit Recht pflegte man seinen Namen neben denen Hoffmanns, Feilchenfelds und weniger
diesen Männern Ebenbürtiger zu nennen. Schon in jungen Jahren als Studierender aus Ungarn nach Deutschland gekommen, besuchte er das Berliner Rabbinerseminar, promovierte mit einer gründlichen Arbeit über
'Kohelet_ und wirkte dann kurze Zeit als Stiftsrabbiner in Hannover, bis ihn das Vertrauen der Karlsruher Religionsgesellschaft an die Stätte berief, die durch das Andenken des
Korban Natanel und seiner Nachfolger geweiht war. Ganz der Wirksamkeit für seine Gemeinde, insbesondere dem
Lehren und Lernen hingegeben, in bescheidener Zurückhaltung nur selten und ungern ins öffentliche Leben hinaustretend, hat er zur inneren Stärkung der kleinen, aber für das ganze badische Judentum vorbildlichen Gemeinde Großes
beigetragen. Aber weit darüber hinaus leuchtete der Strahl seiner
Tora-Weisheit. Zu jedem wichtigen halachischen Zeitproblem hat der Heimgegangene das Wort ergriffen und mit sicherem Takt, an der Hand eines reichen, gründlichen Wissens, dem Maßstab des göttlichen Gesetzes an die immer neuer sich erhebenden Fragen der Gegenwart gelegt. An selbstständigen Abhandlungen in Buchform erschienen so sein Gutachten über
Tisporet Hasaken, seine geistesscharfe kritische Besprechung der Meziza-Frage, sein Referat zur Feuerbestattung sowie unzählige Responsen in den verschiedenen halachischen Zeitschriften der letzten Jahrzehnte, zu deren fleißigsten Mitarbeitern er gehörte. Leider war es ihm nicht mehr vergönnt, seine druckfertigen
Tschuwot im Druck erscheinen zu sehen; es wäre zu wünschen, dass dies wenigstens jetzt nach seinem Heimgang recht bald nachgeholt werde.
Einem harmonischen, glücklichen Familienleben ist der greise Thoragelehrte entrissen worden; möchte seiner Gattin und seinen Kindern wie der jüdischen Gesamtheit, von der es in diesem Falle mit Fug und Recht heißen muss:
Chacham schämet hakol Kerobaw (= 'wenn ein Weiser stirbt, so sind
alle seine Verwandten'), der Trost aus Himmelshöhen werden, dessen unser armes Geschlecht so sehr bedarf.
Seine Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens." |
Beisetzung von Rabbiner Dr. Sinai Schiffer
(1923)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8. November
1923: "Karlsruhe, 29. Oktober (1923). Die Beerdigung des Herrn
Rabbiner Dr. Schiffer fand am Freitag nachmittag 3 Uhr statt. Wegen der Nähe des Sabbats musste von längeren Hespedim
(Trauerreden) abgesehen werden. Kurze Nachrufe hielten die Herren Rabbinatsassessor
Meier, M. Altmann vom Vorstande, Kaufmann Ettlinger im Namen der Chewra und im Namen der Familie der Schwiegersohn des Verstorbenen
Dr. Lieben aus Prag.
Am Sonntag Nachmittag 4 Uhr fand eine größere Trauerfeier in der Synagoge statt, die vollangefüllt war mit Gemeindemitgliedern und auswärtigen Gästen. Zunächst sprach Herr
Rabbinatsassessor Meier Worte der Würdigung, sodann ergriff Herr Rabbiner
Dr. Unna, Mannheim, das Wort zu einem ergreifenden Nachrufe im Auftrag des Berliner Rabbinerseminars. Für den Orthodoxen Rabbinervorstand sprach Herr
Distriktsrabbiner Dr. R. Breuer, Aschaffenburg, deren Reden nachhaltigen Eindruck hinterließen. Zuletzt sprach noch
Herr M. Altmann den Dank der Gemeinde an ihren treuen Führer aus. Mit einem ergreifenden
Gebet des Herrn Kantor Baruch schloss die eindrucksvolle Gedenkfeier.
Am Sonntag den 4. November veranstalteten die öffentlichen Kreise der jüdischen Bevölkerung eine Trauerkundgebung in ihrer Synagoge, wobei angesehene Rabbis ergreifende Hespedim
(Trauerreden) hielten." |
Zum
Tod der Witwe von Rabbiner Dr. Sinai Schiffer (1931)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 30. April 1931: "Karlsruhe, 21. April. Am
Sonntag, den 19. April, verschied nach kurzem, schweren, Krankenlager Frau
Rabbiner Dr. Schiffer. Mir ihr wurde eine Frau von seltenen
Geistesgaben und feinfühligem Empfinden zu Grabe getragen. Vier
Jahrzehnte war sie hindurch an der Seite ihres Gatten - das Andenken an
den Gerechten ist zum Segen -, des unvergesslichen Rabbiners der
israelitischen Religionsgesellschaft in Karlsruhe, Vorbild und Beispiel
für die jüdischen Frauen, die mit Vertrauen und Hochschätzung zu ihr
aufblickten. Sie war es, die ihrem Gatten mit Verständnis und Taktgefühl
in allen Lagen des Lebens treu zur Seite stand. Als älteste Tochter des
hochangesehenen Rabbi Chajim Herzmann - das Andenken an den
Gerechten ist zum Segen - hatte sie in sonniger Jugend den Keim gelegt
zu der Gewissenhaftigkeit und Pflichttreue, die sie ihr ganzes Leben
hindurch auszeichneten. Sie war ängstlich bedacht, nicht um Haaresbreite
von der genauesten Erfüllung der Gottesgebote abzuweichen. Ihre größte
Freude war es, in geheimer Verschwiegenheit Wohltaten üben zu können,
ihr einziger Stolz, dass auch ihre Töchter das Höchstmaß des Wissens
mit dem Höchstmaß der Gottesfurcht vereinten. Sie betrachtete es als das
größte Glück, gleichgesinnte Schwiegersöhne gefunden zu haben, die in
Gottesfurcht und Wissenschaft in gleichem Maße hervorragen. Ihre
Enkelchen wussten, dass sie den Großeltern eine Freude machten, wenn sie
durch Erfüllung einer Mizwah Gott dienten. Das Streben, für Gott und die
Ihren zu wirken, erhielt die Entschlafene jung; alt wurde sie – als
durch ein herbes Geschick ihr der Gatte entrissen wurde. Sie betrachtete
es als sein teures Vermächtnis, die Erinnerung an ihn wach zu halten bei
nah und fern. Der Schmerz und die Trauer unterwühlte ihre Kraft. Auf
ihrem Krankenbette übertönte die Leiden die Besorgnis, kein Verbot
übertreten zu müssen und die Betrübnis, ihren Lieben Mühen zu
verursachen. Groß war das Gefolge, das ihr die letzte Ehre erwies.
Herr Rabbiner Dr. Michaelski schilderte im Anschluss einen Vers des
Wochenabschnitts das vorbildliche Leben der Verstorbenen; im Namen der
Töchter, Schwiegersöhne und Enkel gab der Schwiegersohn, Herr Dr.
Willi Weil, dem heißen Dank und der tiefen Wehmut in bewegten Worten
Ausdruck und schloss mit dem Wunsche, dass ihr Verdienst den Ihren
und ihrer Gemeinde beistehen möge. Ihre Seele sei eingebunden in den
Bund des Lebens." |
Theologische Ausführung über den Namen des Berges
Horeb / Sinai von Rabbiner Dr. Abraham Michalski
(1928)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 24. Mai
1928: "Des Berges Namen.
Von Rabbiner Dr. Michalski in Karlsruhe.
Einen Berg hat Gott sich erkoren, um auf ihm seine Lehre zu künden, nicht einen der hoch ragenden
Gipfel, doch einen Berg, der erklommen sein will, um den Menschen zur Gottesnähe zu heben. Berghoch türmen sich die Schwierigkeiten, die der
Befolgung des Gotteswortes sich entgegenstellen, einem Berge gleich ragend erscheint einst dem Frommen die Verführung und Verlockung des
'Hervorbringers des Bösen', des Reizes zum Bösen, dem sie widerstanden, Tränen entströmten dann ihren Augen, wenn sie sprechen:
'wie konnten einen so hohen Berg wir erzwingen?! (Sukka 52) doch Gott, der diesen Trieb geschaffen, hat als Heilmittel ihm die Tauroh geschaffen.
(Kidduschin 30 und Bawa Batra 16) Am Fuße des Berges bleiben
gar viele, denen es unnötig erscheint, ihn zu ersteigen, Ausreden suchend und Ausflüchte machend, um die Gotteslehre nicht halten zu müssen; doch schon die Namen, die der Sinai trägt, die Wahrzeichen ihm sind, widerlegen und entkräften sie alle.
(Bamidbar Raba 10) 'Was sollen Gebote wir halten,' so hört man gar manche Bequemlichkeit und Gleichgültigkeit bemängeln,
'deren Sinn wir nicht begreifen, deren Grund wir nicht verstehen, die nicht geeignet erscheinen, das Glück und den
'Fortschritt zu fördern.' (Har Elohim =) Berg Gottes, des himmlischen Richters, das ist der erste Name des Sinai, der zu erkennen gibt, dass der Staubgeborenen vermessener Wahn sich nicht anmaßen darf, zu Gericht zu sitzen über den himmlischen Richter, dass des Erdgeformten beschränkter Geist, der ein winziger Bruchteil dessen, dem er entstammt, nicht zu fassen, nicht zu ahnen vermag die Weisheit dessen, der im Gotteswort den Bauplan enthüllt, nach dem Er die Schöpfung gebildet.
'Für die Zeiten des grauen Altertums mögen vielleicht,' so sprechen andere, die nicht zurückstehen wollen, hinter denen, die sich einbilden, gebildet zu sein,
'die Gottesgebote bestimmt gewesen sein, doch jetzt sind sie längst veraltet und überholt, sind nicht mehr zeitgemäß, entsprechen nicht mehr dem Zeitgeist, der doch der Herren eigener Geist, in dem die Zeit sich
spiegelt.' Ewigkeitswert hat was ein Ewiger geboten, nicht zeitlich bedingt und begrenzt ist das Wort
dessen, der die Zeiten überdauert. Er allein vermag es außer Kraft zu setzen, wenn Er die Zeit für gekommen hält, Er, in dessen Augen tausend Jahre gleich dem gestrigen Tag.
Baschansberg, das ist des Sinai zweiter Name (vgl. Psalm 68, 16-18.) (hebräisch
und deutsch:) 'denn Gott ist dort gekommen,' Er kann auch jederzeit wieder kommen, wenn er es für geboten hält, ein Gesetz aufzugeben, dessen Geltungsdauer nur Er, der Gesetzgeber, kennt. (Vgl.
Matnot Kehuna z.St.). 'Der Freigeborene,' so brüsten sich manche in vermessenem Stolz,
'kann und darf doch nicht ein Joch tragen, das an den Willen eines Höheren ihn kettet, zu Sklaven eines Mächtigen ihn verdammt, dass in Bande und Fesseln ihn gelegt, die er sprengen und abstreifen
muss.' Höckeriger Berg ist des Sinai dritter Name (sc. Psalm
68,17), 'Berg über Herabhängende, Hochtragende, vor ihnen erwählt, (hebräisch) sie zurückstellend und als unbrauchbar erweisend. Bergesriesen hadern und streiten mit dem niedrigeren Sinai ob seiner Erwählung, himmlische Stimme weist zurück ihren Anspruch,
'warum rechtet ihr, vielrückige Berge, diesen Berg hat Gott zu seinem Wohnsitz erwählt, Er wird auch für immer dort
thronen' (Psalm 68, 17). Es ergibt sich daraus, so meint Raw Aschi, (Megilla
29) wer sich überhebt, ist mit Fehler behaftet, (hebräisch) Darf Überhebung es noch wagen, dem Gottesgebot zu trotzen?!
Geheuchelte Bescheidenheit wird anderen zum Vorwand, die mahnende Stimme des Gewissens zu übertönen.
'Kann der Erdenwurm dem unnahbaren Schöpfer in der Höhe mit der Verfolgung seiner Gebote einen Dienst erweisen? Steht Er nicht viel zu hoch um hiervon berührt zu werden?
Berg des Verlangens Berg des Verlangens ist des Sinai vierter Name, (hebräisch
und deutsch:) denn Gott verlangt danach dort zu wohnen, Muss dieser Wunsch nicht genügen? Ist doch des Menschen
Vervollkommnung Inhalt Seines Sehnens!
'Der Lohn des Frommen, die Strafe des Frevlers ist ja nicht wahrnehmbar auf
Erden'. Leugnen viele die Gerechtigkeit Gottes, 'was schadet es, wenn man bequem es sich
macht.' Berg Horeb 'Horeb' ist des Sinai fünfter Name (hebräisch
und deutsch:) auf ihm wird das Schwert gezückt, nicht immer bleibt es in der Scheide, es weiß, den Sünder zu treffen.
'Sollen wir uns absondern von den Völkern', so fragen schließlich manche,
'uns ausschließen und trennen von ihnen durch die Erfüllung von Geboten, die eine Scheidewand errichten zwischen zwei gleich geschaffenen Menschen, zwischen den gleichen Bewohnern der erde, die auch Geschöpfe Gottes
sind?' Berg Sinai 'Sinai', das ist des Gottesberges sechster Name, der seine Wirkung und sein Wesen kündet.
(hebräisch) durch ihn haben sich die Völker den Hass Gottes zugezogen, auch sie haben die Möglichkeit gehabt, zur Gottesnähe sich emporzuschwingen, sie haben sie voll Trotz und Stolz verworfen, |
sie wollen, um von Israel nur nicht beschämt zu werden, es seinem Gott entfremden es zu sich hinüberzuziehen, es betören, dass es die Treue seinem Gotte bricht, dass keinen Herold Gott auf Erden habe, der Seinen Namen künde und verehre. Gar stark ist die Versuchung Israels in allen Zeiten und in allen Landen, gar manche sind erlegen ihr und wurden selbst nun Helfer und Genossen denen, die die befehden, hassen und verachten, die Gott die Treue wahren. Doch deren Mut bleibt ungebrochen, die klein an Zahl, an willen stark, die Völker führen zur Erkenntnis Gottes, uns Schwert der Strafe abzuwenden suchen, indem bereitwillig sie Gottes Wunsch willfahren, nicht murren und nicht trotzen und nicht fragen, sondern gehorsam nur dem Ziel entgegen streben
dem Sinai im Heiligtum (sc. Psalm 68,18), das stets von Heiligkeit des Sinai
umgeben." |
Zum Tod der Frau von Rabbiner Goitein: Ida Goitein geb. Löwenfeld
(1931)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 29. Oktober 1931: "Frau Rabbiner Goitein - sie ruhe in
Frieden.
Mannheim, 27. Okt.
Für all die Vielen, die an unseren heiligen Neujahrsfest-Tagen Frau Dr. Goitein ihre Glückwünsche dargebracht hatten, kam die Trauerkunde, dass sie am 10. Marcheschwan entschlafen sei, fast unerwartet. Denn trotz des hohen Alters – sie hat in dem historischen Jahr 1848 das Licht der Welt erblickt - war sie ihnen allen in unveränderter geistiger Frische entgegengetreten. Hier ist das
Wort 'sie ist sanft entschlafen' keine leere Redensart, und ein ungewöhnlich harmonischer Tod beschloss das Leben dieser ungewöhnlichen Frau. Die Tochter Viktor Löwenfelds in Posen, des Lieblingsschülers Rabbi
Akiba Egers, war sie Gattin des Rabbiners Gabor Goiteins - das Andenken
an den Gerechten ist zum Segen - geworden und war nach dessen kurzer Tätigkeit in
Aurich nach Karlsruhe gekommen, wohin ihr Gatte als Rabbiner der erst kurz gegründeten Religionsgesellschaft berufen worden war. Das junge Paar |
eroberte sich in den wenigen Jahren ihres dortigen gemeinsamen Lebens die Liebe und Achtung der ganzen Gemeinde. Das schwere Schicksal, das durch den frühen Tod des Gatten über die junge Witwe hereinbrach, ein Schicksal, das andere erdrückt hätte, offenbarte erst all die Kräfte, die in der wunderbaren Frau schlummerten. Mit eiserner Energie, mit unerhörter Selbstverleugnung begann sie nun die Aufgabe, ihre Kinder im Sinne ihres verstorbenen Gatten zu gesetzestreuen Juden, zu selbstständigen Menschen zu erziehen. Weit ihrer Zeit voraus, ließ sie ihre Töchter
Berufe ergreifen und wurde damit vorbildlich für die Erziehung der Töchter ihres Karlsruher Kreises. Die jungen Menschen, die damals in ihrem Hause verkehrten, in dem sich ernstestes Streben mit Fröhlichkeit verband, wo die Güte Ida Goitein
wie eine wärmende Sonne alle umgab, sprechen noch jetzt als reife Männer und Frauen mit tiefer Dankbarkeit von den bleibenden Werten, die sie dort fürs Leben empfangen haben. Die seltene Gabe, allen Menschen und vor allem allem Menschenleid mit tiefem Verständnis, mit heißem Helfenwollen gegenüberzutreten, ist ihr bis ins höchste Alter geblieben. Wie wäre es sonst zu verstehen, dass sie, die als Sechzigjährige nach Mannheim übersiedelte, wo ihre älteste Tochter als Gattin des
Rabbiners Dr. Unna lebt, sich nach wenigen Jahren einen neuen, großen Kreis sie liebender und bewundernder Menschen hätte schaffen können! Der große Schmerz, dass ihr einziger Sohn dem Weltkrieg zum Opfer fallen musste, machte ihr Mitfühlen für alle, die sich ihr in seelischer oder materieller Not nahten, nur umso größer. Im Gottvertrauen und fast noch mehr im aufopfernden Wirken und Leben für einzelne und für die Gesamtheit des jüdischen Volkes fand sie Trost. Ihrer tiefen Frömmigkeit, ihrer begeisterten Liebe zu ihrem Volk gelang es, viele Abseitsstehende dem Judentum wieder zuzuführen. Wohl selten war nach dem Tod eines Menschen und eines so unendlich
bescheidenen Menschen, dem keine äußere Stellung, dem kein Reichtum Glanz verlieh, eine solche Kundgebung des aufrichtigen Schmerzes, ein Zeichen solcher Liebe und Verehrung einer ganz großen Gemeinde zuteil, wie es dieser Frau zuteil geworden ist. Ihr Andenken wird in unzähligen Herzen weiterleben, und die Spuren ihres Wirkens werden unverwischbar sein.
Die Trauerfeier in Karlsruhe, wo die Dahingeschiedene neben ihrem Gatten auf dem
Friedhof der Israelitischen Religionsgesellschaft beigesetzt wurde, gestaltete sich zu einer erhebenden Kundgebung der Verehrung und Liebe. Herr
Rabbiner Dr. Michalski schilderte das Wirken der Verstorbenen in der Gemeinde, wo sie ihrem Gatten eine verständnisvolle Mitarbeiterin war. Dann entwarf der Schwiegersohn,
Rabbiner Dr. Unna, Mannheim, ein Bild ihrer Persönlichkeit. Er zeigte, wie sich in ihrem Wesen das alte traditionelle Judentum mit den modernen Ideen harmonisch vereinigte, wie sie eine unerschütterliche Energie und Willenskraft, durch welche sie trotz schwerer Schicksalsschläge immer sich selber und ihren Idealen treu blieb, mit einer unerschöpflichen Liebe verband. So wurde sie nicht nur ihren Kindern und einem weiten Kreise von Freunden und Verehrern Führerin und Leiterin, sie war auch auf dem Gebiete der Wohltätigkeit und des sozialen Wirkens unermüdlich und mit reichem Erfolg tätig.
Herr Jakob Ettlinger sprach im Namen der Israelitischen Religionsgesellschaft,
Herr Justizrat Dr. Straus, München im Namen der Familie, und Herr Rabbiner Dr. Lauer gab für die zionistische Ortsgruppe Mannheim,
Herr Rechtsanwalt Dr. Friedberg für die zionistische Ortsgruppe Karlsruhe den Gefühlen der Trauer Ausdruck. Die beiden letzten Redner betonten die Liebe der Verblichenen zu
Erez Jisrael und ihre bewundernswerte aufopfernde Tätigkeit für den Aufbau des Heiligen Landes.
Ihre Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens." |
Beitrag von Rabbiner Dr. Michalski über "Die Mischnah
als Lehrstoff im Religionsunterricht"
(1936)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 27. Februar 1936:
Text wird nicht abgeschrieben, da es keine direkten Bezüge zur
jüdischen Geschichte in Karlsruhe gibt. |
Berichte zur Geschichte der Stiftsrabbiner
Zum
Tod des aus Karlsruhe stammenden Oberrabbiners R. Jakob Ettlinger (1871)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20. Dezember
1871: "Oberrabbiner Jakob Ettlinger - er ruhe in Frieden.
Am Sabbat Chanukkah ereilte uns eine Trauerbotschaft, die unsere Festesfreude in tiefe Wehmut umwandelte: wir wollten jedoch die Festesfreude unserer Leser nicht
trüben und schwiegen daher bis heute. Denn wohin dringet wohl die Kunde, dass
Israel einen seiner größten Männer verloren, ohne dass sie den den tiefsten Schmerz, die innigste Trauer und herzzerreißendes Wehe hervorrufe!
Ach, die Krone unseres Zeitalters, der Stolz und der Ruhm unseres Geschlechtes, die Zierde der deutschen Judenheit, der Fürst des Heiligen Landes
(nasi erez jisrael), Rabbi Jakob Ettlinger, Oberrabbiner zu Altona, ist von uns gegangen und hat uns Alle weinend, klagend, trauernd zurückgelassen!
'Und das ganze Haus Israel, sie sollen beweinen den Brand derer, welche
der Ewige verbrannt hat' (3. Mose 10,6).
Und das ganze Haus Israel hat Grund und Ursache genug, den Verlust des Mannes zu beweinen, der eine Leuchte gewesen den Söhnen seines Volkes.
Der teure Dahingeschiedene, der in einem Alter von 73 Jahren stand, war schon seit mehreren Jahren leidend, ohne jedoch seine geistige Frische und Regsamkeit verloren zu haben. Einige Tage vor dem
Chanukkah-Feste erkrankte er und zwar gleich schwer. Morgens und Abends versammelten sich die Gemeindemitglieder in der großen Synagoge, um zu Gott um die Genesung ihres geliebten Lehrers und Führers zu flehen. Allein
– es war beim Höchsten beschlossen, unsern Rabbi zu sich zu rufen, und so verschied er in der ersten Nacht des
Chanukkah-Festes. Nachdem man das erste Chanukkah-Lichtlein angezündet hatte, erlosch für uns das Gotteslicht, das so lang unserm Volke geleuchtet hatte; die Seele des Frommen verließ ihre irdische Wohnung und stieg in die lichten
Höhen empor zu Gott, dem Allmächtigen.
Rabbi Jakob Ettlinger - seligen Andenkens - war geboren in Karlsruhe; auch sein Vater, Rabbi
Ahron Ettlinger - das Andenken an den Gerechten ist zum Segen - war ein Talmudgelehrter. Dieser hielt schon früh sein äußerst talentvolles Kind zum Thora-Lernen an, und hatte das Glück, noch viele Jahre sich des die jüdische Welt erfüllenden Ruhmes seines großen Sohnes zu erfreuen. Aber auch in anderen Wissenschaften ließ ihn der Vater unterrichten, so dass der Reichbegabte noch sehr jung die Universität beziehen konnte. Er machte seine Studien in Würzburg, und war nebst den dem seligen Bernays, dem berühmten Chacham von Hamburg, einer der ersten Rabbinen, die Universitätsstudien gemacht haben. Von der Universität zurückgekehrt wurde er Kreisrabbiner von
Ladenburg, mit dem Sitze in Mannheim, wo er zugleich die Stelle als Klausrabbiner bekleidete. Hier war es, wo sein Ruf die ganze jüdische Welt zu durchdringen begann. Mehr als siebzig Schüler eilten nach Mannheim, um zu den
Füßen des jungen, gelehrten Rabbi zu sitzen, Schüler, von denen viele nur um ein weniges jünger waren als er, von denen viele später berühmte Männer wurden. Wir nennen nur
Herrn Rabbiner Hirsch - sein Licht leuchte - in Frankfurt a. M.,
Rabbi Gerschom Josaphat - sein Licht leuchte -, Rabbinatsassessor zu
Halberstadt, Rabbi Löb Ettlinger - sein Licht leuchte,
Bruder des Heimgegangenen und Nachfolger desselben in Mannheim und den bereits vor mehreren Jahren als Oberrabbiner in
Krefeld verstorbenen Bodenheimer - er ruhe in Frieden.
Im Jahre 1836, nach dem Tode des Oberrabbiners Rabbi Akiba Wertheim
- das Andenken an den Gerechten ist zum Segen, wurde Rabbi Jakob Ettlinger nach Altona als Oberrabbiner für diese Gemeinde, für Wandsbeck und für die damals dänischen Lande Schleswig und Holstein berufen. Hier, wo seid Jahrhunderten die berühmtesten Rabbiner Deutschlands ihren Sitz gehabt hatten:
Chacham Zebi, Rabbi Jonathan Eibeschütz, Kneßeth Jecheskel, Rabbi Raphael Cohen, Rabbi Chajim Hirsch Berliner (ein Großonkel des Herausgebers dieser Blätter) und viele Andere, wurde durch die Berufung Ettlingers der von Alters her hochgerühmten Gemeinde der alte Glanz wieder verliehen. Hier allein war es in ganz Deutschland, wo noch bis vor wenigen Jahren nach jüdisch-talmudischem Rechte gerichtet wurde und wo der Oberrabbiner Präsident dieses Gerichtshofes war. In Altona wirkte der Heimgegangene mehr als 35 Jahre
aufs Segensreichste und lebte für die heilige Gotteslehre und die Ausführung derselben. Er war es, der im Jahre 1844 die Erklärung von 173 Rabbinen gegen die Beschlüsse der Braunschweiger Rabbinerversammlung veranlasste und dadurch zum Heile des Judentums dieser wie allen nachfolgenden Rabbinerversammlungen und Synoden allen Kredit raubte und ihnen jeden Einfluss entzog. Hier war es, wo er seine bedeutenden talmudischen Werke, die Früchte unablässigen Studiums, über die Traktate
Suckah und Jabamoth, sowie seine Responsensammlung veröffentlichte. Von allen
|
Enden der Erde, aus der Nähe und aus der weiter Ferne kamen religiöse Anfragen an ihn, und sein Votum war überall
entscheidend.
Sollen wir das heilige, fromme, lediglich Gott geweihte Leben des Heimgegangenen schildern? Alle seine Tage und Stunden widmete er dem
Torastudium und gönnte sich nur ganz wenig Schlaf; sein heißestes und eifrigstes Streben war zu lernen und zu lehren. Mit welcher Rigorosität, mit welcher peinlichen Ängstlichkeit, aber mit welcher freudigen Hingebung er Gottes Gebote zu erfüllen strebte, das ist nicht zu sagen, nicht zu schildern; der immer so liebenswürdige, sanfte Mann konnte in den größten Zorn geraten, wenn irgend etwas ihm bei Erfüllung der Gottesgebote hindernd in den Weg trat. Auch in Altona hatte er stets eine
Jeschiwah und wir brauchen unter seinen dortigen Schülern einzig Herrn Rabbiner Dr. Hildesheimer
- sein Licht leuchte - in Berlin zu nennen, um zu zeigen, mit welchem Erfolg er auch hier lehrte. Und wie in
der Tora und im Gottesdienst so war er auch in der Wohltätigkeit
groß; stets war er bereit, wo er jemanden sich gefällig erzeigen konnte, und die Armen waren seine Haus- und Tischgenossen. Auch seine Kinder erzog er in seinem Sinne und Geiste; seine fünf Schwiegersöhne
- ihr Licht leuchte - sind sämtlich Säulen des orthodoxen Judentums; man braucht sie nur zu nennen, um sich ihrer Namen zu erfreuen; sie sind: Herr
Landesrabbiner Dr. Cohn - sein Licht leuchte - in Schwerin (Mecklenburg)
Herr Rabbiner Dr. Isaakssohn - sein Licht leuchte - in Filehne (bis vor kurzem Oberrabbiner in Rotterdam, wo er in Folge von Seiten des Vorstandes beabsichtigter Reformen seine Stelle niederlegte),
Herr Rabbiner Dr. Freymann - sein Licht leuchte - in Ostrowo, Herrn
Distrikts-Rabbiner M. L. Bamberger - sein Licht leuchte - in
Kissingen und Herr Meyer Ettlinger - sein Licht leuchte -, Kaufmann, in Karlsruhe. Und wie er seine Schwiegersöhne sich ausgesucht, so hat er auch seine Söhne erzögen, von denen der Älteste in
Mohilew in Russland lediglich dem Talmudstudium und der zweite als Kaufmann in Altona lebt; die anderen Kinder aus zweiter Ehe sind noch jung und werden unter göttlichem Beistande zur Ehre und zum Ruhme ihres großen Vaters heranwachsen.
Was wir noch besonders hervorheben wollen, das ist die große Liebe, welche der Heimgegangene für das Land unserer Väter hatte und die er allzeit tatkräftig bewährte. Stets nahm er sich der Armen im heilgen auf Eifrigste an: das Central-Commité für den Bau der Armen- und Pilgerwohnungen im heiligen Lande hat in ihm – noch ist die Wunde um R. Joseph Hirsch
- das Andenken an den Gerechten ist zum Segen - nicht vernarbt – seinen Präses verloren. Wann immer er des Landes der Väter gedachte, sei es im Gebete, in der Predigt aber auch nur im Gespräch, so übermannte ihn das Gefühl der Trauer und seine Augen flossen von Tränen über.
Sonntag, 10. Dezember, Vormittags 11 Uhr fand das Leichenbegängnis statt; Tausende von Menschen bildeten den
Conduct; von Altona, Hamburg und Wandsbeck war wohl kein Glaubensgenosse zurückgeblieben; auch viele Nichtjuden hatten sich angeschlossen; namentlich die Behörden Altonas, der Magistrat
etc. Im Trauerhause sprach der Schüler des Betrauerten, Herr Rabbiner Dr. Hildesheimer, der von Berlin herbeigeeilt war; am Grab hielt der Schwiegersohn des Verewigten, Herr
Landesrabbiner Dr. Cohn - sein Licht leuchte -, die Trauerrede. Ausnahmsweise wurde die Leiche auf dem alten Friedhof innerhalb der Stadt beigesetzt, so dass die irdischen Überreste Rabbi Jakobs neben denen seiner großen Vorgänger ruhen.
Er weilt nicht mehr unter uns; aber das Wort, das er gelehrt, der Geist, der ihn durchdrungen, die Saat, die er
gesäet – sie wirken fort und fort, und so können wir mit dem Talmud ausrufen: (hebräisch
und deutsch:) 'unser Vater Jakob ist nicht gestorben!' Rabbi Jakob Ettlingers segensreiches Andenken wird fortwirken für die kommenden
Geschlechter. Seine Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens." |
Zum
50. Todestag des aus Karlsruhe stammenden Oberrabbiners R. Jakob Ettlinger
(1921)
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 22. Dezember
1921: "Oberrabbiner R. Jakob Ettlinger.
(Zu seinem 50. Todestage: 25. Kislew 5682.) Von Dr. Isak Unna, Rabbiner in Mannheim.
Am ersten Chanukkatage werden 50 Jahre verflossen sein, seitdem R. Jakob Ettlinger, der Oberrabbiner von Altona, vom Schauplatz seiner gesegneten Tätigkeit abberufen wurde. Die Nachricht von seinem Tode rief überall große Trauer hervor; denn R. Jakob Ettlinger war einer der letzten der ganz Großen, die in Deutschland gewirkt hatten, und sein Name wurde nicht nur in Deutschland, sondern überall in der Judenheit mit hoher Verehrung genannt.
Jakob Ettlinger wurde 1798 zu Karlsruhe geboren. Den ersten Unterricht im jüdischen Schrifttum erhielt er von seinem Vater Ahron Ettlinger, der ebenfalls ein Gelehrter war; außerdem war in der talmudischen Wissenschaft R. Ascher Wallerstein, ein Sohn des Verfassers des
'Schagas arjei' sein Lehrer. In die profanen Wissenschaften wurde er früh eingeführt, so dass er schon mit jungen Jahren die Universität Würzburg beziehen konnte. Dort schloss er innige Freundschaft mit Isaak Bernays, dem späteren Hamburger Oberrabbiner. Jakob Ettlinger war einer der ersten deutschen Rabbiner, die akademische Bildung besaßen, und bei seinem Abgang von der Universität stellten ihm die Professoren glänzende Zeugnisse aus. Nach seiner Rückkehr von der Universität blieb er noch einige Jahre in Karlsruhe und widmete sich dort ganz der jüdischen Wissenschaft. Schon damals sammelte sich ein Kreis von Schülern um ihn, und er schrieb einen fortlaufenden Kommentar zum Traktat Sanhedrim, der aber erst viel später, ebenso wie seine übrigen Talmudkommentare, unter dem Titel
'Oruch Lener' veröffentlicht wurde. Schon in diesem Erstlingswerke zeigt sich seine Art der Erforschung des Talmud; er geht nicht darauf aus, durch scharfsinnige Dialektik zu glänzen, sondern durch tiefes Eindringen das wahre Verständnis zu fördern und Resultate für die Praxis zu erzielen. Das zeigt sich auch in der häufigen Anführung und Erläuterung der Entscheidungen des Maimonides.
Im Jahre 1825 wurde R. Jakob Ettlinger als Klausrabbiner nach Mannheim berufen. Während seiner Wirksamkeit an der Klausstiftung, wobei er auch das Kreisrabbinat Ladenburg zu verwalten hatte und als Mitglied der Religionskonferenz des Oberrats fungierte, vermehrte sich die Zahl seiner Schüler außerordentlich, und sein Ruf begann die jüdische Welt zu durchdringen. Hervorragende Autoritäten standen mit ihm im Briefwechsel, und von den Schülern, die damals zu seinen Füßen saßen, seien nur Samson Raphael Hirsch, der spätere Rabbiner von Ritolsburg und Frankfurt, und Gerschan Josophat, später Rabbinatsassessor in Halberstadt, genannt.
Als im Jahre 1836 der Altonaer Oberrabbiner R. Aliba Wertheimer starb, wurde ihm die Stelle angetragen und er folgte dem ehrenvollen Rufe. Mit dem Rabinat Altona waren auch die Gemeinde Wandsbeck und die damals dänischen Lande Schleswig und Holstein verbunden. In Altona hatten seit Jahrhunderten talmudische
Größen gewirkt wie Chacham Zewi, R. Jonathan Eibschütz, R. Raphael
Cohen u.v.a., und R. Jakob Ettlinger war ihr würdiger Nachfolger. Er war dort zugleich Präsident des jüdischen Gerichts, das bis zum Jahre 1866 in zivilrechtlichen Prozessen zwischen Juden nach biblisch-talmudischem Recht zu entscheiden hatte. Seine allgemeine Bildung ermöglichte es ihm auch, in wirksamer Weise gegen die damals sich ausbreitende Reform aufzutreten; im Jahre 1844 veranlasste er eine Erklärung von 173 Rabbinen gegen die Braunschweiger Rabbinatsversammlung, und diese Erklärung hat viel dazu beigetragen, die
verderbliche Wirkung dieser Versammlung und auch der nachfolgenden Rabbinatsversammlungen und Synoden zu paralysieren.
In Altona veröffentlichte er seine Kommentare zu verschiedenen Talmudtraktaten, sowie seine Responsensammlung
'Binjan Zijann', die außerordentliche wertvolle und interessante Gutachten über
Fragen modernen Charakters enthält. Von nah und fern kamen Anfragen an ihn und seine Ansicht galt überall als maßgebend
(Anmerkung: eine Sammlung homiletischer Betrachtungen unter dem Titel 'Minchas
Oni“, die eine Fülle von anregenden und geistreichen Gedanken enthält, wurde erst nach seinem Tode von seinem Sohne
herausgegeben). Auch die Schüler kamen von allen Seiten nach Altona,
um auf |
der
dortigen Jeschiwa den Worten des Meisters zu lauschen; von den zahlreichen
Männern mit klangvollen Namen, die dort seine Belehrung empfangen hatten,
sei nur Rabbiner Esriel Hildesheimer genannt. Die Art seines Lernens übt
einen mächtigen Einfluss aus. Mein seliger Vater, der zu seinen
Lieblingsschülern zählte, und von dem er an verschiedenen Stellen des 'Oruch
Lener' Bemerkungen anführt, erzählte oft von der tiefeindringenden Art,
wie er den Stoff behandelte, wie er jede Schwierigkeit bemerkte und in
seiner scharfsinnigen Weise zu lösen verstand. Tage und Nächte widmete
er dem Torastudium und gönnte sich nur ganz wenig Schlaf. Mit peinlicher
Genauigkeit und dabei mit inniger Hingebung erfüllte er jede Mizwa, und
auch seine Wohltätigkeit war eine unbegrenzte. Mit besonderem Eifer nahm
er sich der Armen des heiligen Landes an, zu dem er seine innige Liebe
hatte. Man erzählte von ihm, wenn er ihm Gebet, in der Predigt oder auch
im Gespräch des Landes der Väter gedachte, so übermannte ihn das
Gefühl der Trauer und seine Augen flossen von Tränen über. - Seine
Kinder erzog er ganz ins einem Sinne, und seine Schwiegersöhne waren alle
torakundig, zum Teil hervorragende Talmudei Chachomim.
Vor wenigen Wochen haben wir David Hoffmann zu Grabe getragen, und es
waren wohl ähnliche Empfindungen, die uns erfüllten, und die damals die
Zeitgenossen beim Tode Rabbi Jakob Ettlingers bewegten. Aber freilich:
Damals waren noch eine Anzahl von bedeutenden Gelehrten in Deutschland,
wenn sie auch seine Größe nicht erreichten. Aber wer kann heute in die
Bresche treten?" |
|
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 22. Dezember
1921: "Aus den Erinnerungen eines Altonaers.
Zu Oberrabbiner Ettlingers 50. Todestag.
Oberrabbiner Jakob Ettlinger war der letzte Vorsitzende des jüdischen Gerichtshofes in Altona. Da alle Zivilprozesse der drei Gemeinden Altona, Hamburg und Wandsbeck dort behandelt wurden und jeden Montag und Donnerstag Gerichtstag war,
nahm diese Tätigkeit sehr viel Zeit in Anspruch, sodass Ettlinger in seiner Gewissenhaftigkeit oft die Nächte zubrachte, um über schwierige Fälle nachzudenken. Trotzdem brachte es seine Liebe zur
Tora es fertig, die vielen bekannten Werke zu verfassen, die so berühmt sind, das sie in den großen
Jeschiwaus Polens und Russlands stark benutzt werden.
Am 14. Juli 1863 wurde vom König von Dänemark der jüdische Gerichtshof aufgehoben, und nun lebte er große Zaddik die letzten Jahre seines Lebens nur für sein Studium.
Früh 5 Uhr begann seine Tätigkeit. Nach dem Gottesdienst arbeitete er bekleidet
mit Tallis und Rabbenu Tam-Tesillin*) bis Mittag. Er gönnte sich nur eine halbe Stunde Mittagsschlaf und auf den Rat seines Arztes eine halbe Stunde Ausgang. Dann begannen wieder die Studien und die Stunden mit seinen Talmudjüngern. Schlaf in der Nacht gönnte er sich nur von 2-5 Uhr.
Trotzdem war er für jeden und zu jeder Zeit zugängig. Sprechstunde und Anmeldung, wie es heute Mode ist, gab es nicht. Man wusste, dass der Raw in der Beth-Din-Stube, über deren Türe die Worte
'Im eschkach jeruscholajim, tischlach jemini' (= 'wenn ich dich je
vergesse, Jerusalem, dann soll mir die rechte Hand verdorren' Psalm 137,5)
standen, sitzt, man klopfte an und wurde – einerlei ob ein Gemeindemitglied oder ein unbekannter, bedürftiger Fremder – freundlich aufgenommen. Er war unermüdlich in der Unterstützung Armer und ungewöhnlich gastfrei. Letztere Eigenschaft wird in den Werken
'Geschichte der Juden in Lübeck und Moisling von Rabb. Dr. S. Carlebach' hervorheben, worin folgende Worte des Lübecker Rabbiners
Sußmann Alexander Carlebach zitiert werden: 'Die Woche blieb ich in Altona, nahm fast täglich die Einladung des Oberrabbiners Ettlinger an, so auch an den folgenden Sabbat
...'
Zu der wunderbaren, reinen Frömmigkeit gesellte sich harmonisch eine seltene Bescheidenheit. Als bei seinem 25-jährigen Amtsjubiläum, zu welcher Gelegenheit die große Altonaer Synagoge aufs Prächtigste mit Blumen und Girlanden geschmückt war, seine Frau ihn abends bei Tisch frug, wie ihm die Dekoration gefallen habe, war er ganz beschämt, sagen zu müssen, nichts davon gesehen zu haben. Es war nämlich seine Weise, mit zur Erde gesenkten Augen zu seinem Platze vorne zu gehen, und er sah nie, was rechts und links vorging.
Gern und liebevoll empfing er Kinder, die sich das Erlernte abhören lassen wollten, auch wenn es nur ein paar
Pesukim der Thora waren.
Als einige Jahre vor seinem Tode durch den antisemitischen Stadtarzt der Magistrat aufgestachelt wurde, den inmitten der Stadt gelegenen, von vier Straßen umgebenen, seit Jahrzehnten geschlossenen jüdischen Friedhof ausheben zu lassen, da er Tiefwasser habe und in Verbindung mit den Leichen gesundheitsschädliche Dünste errege, - entstand eine große Aufregung, denn alle Rabbonim der drei Gemeinden hatten dort ihre Ruhestätte. Doch die Proteste blieben erfolglos, und die Regierung willigte ein, aus dem Friedhof einen – Marktplatz zu machen. Der Oberrabbiner bat den Vorsteher Rabbi Meier Goldschmidt doch nichts unversucht zu lassen, den Friedhof zu retten. Dieser kam auf den Gedanken, den menschenfreundlichen Regierungspräsidenten in Kiel aufzusuchen. Der Regierungspräsident beantragte nun bei der ihm vorgesetzten Instanz in Schleswig, zur Prüfung der ganzen Angelegenheit einen Kommissar nach Altona zu senden. Da erinnerte sich der Oberrabbiner, dass der Pinchas Jecheskiel in seinem hinterlassenen letzten Briefe bestimmt hatte, falls einmal der ganzen Gemeinde ein Verhängnis drohe, solle der Rabbiner mit zehn gesetzeskundigen Männern an seinem Grabe beten. Der Oberrabbiner ordnete
daher für den Tag, an dem der Kommissar den Friedhof besuchen wollte, einen Gemeindefasttag an und betete mit einem erlesenen Minjan an dem Grabe. Es trat das Wunder ein, dass der Kommissar in den tief gegrabenen Stellen die Erde trocken vorfand.
Einige Jahre später, als Oberrabbiner Jakob Ettlinger starb, erlaubte die Regierung, ihn auf dem alten Friedhof beizusetzen."
Anmerkung: *Es am auch vor, dass er - so wenn er von der Reise kam und im
Zuge nicht fertig gebetet hatte – mit Tallis und Tefillin durch die Straßen ging. Die Christen, die ihn gleichfalls als einen Heiligen verehrten, wichen ihm ehrerbietig aus." |
Zum Tod von Rabbiner Aron Ettlinger (1849)
Anmerkung: Rabbiner Aaron Mayer Ettlinger (geb. 1769, gest. 1849 in Karlsruhe):
wird 1809 als "Haus-Rabbi bei E. Reutlinger" genannt; war verheiratet
mit Rachel geb. Ettlinger; Vater von Rabbiner Jakob Ettlinger.
Artikel
in der Zeitschrift "Der treue Zionswächter" vom 14. September
1849 (etwas abgekürzt zitiert, da sich Übersetzungsprobleme
einstellten; Hinweise für korrekte Übersetzung der hebräischen
Wendungen bitte an den Webmaster; Adresse siehe Eingangsseite): "Karlsruhe.
Unsere Gemeinde, unser Land, nein! das Gesamt-Haus Israel hat einen
schmerzlichen, einen herben Verlust erlitten. Eine Persönlichkeit, als
Mensch bieder im weitesten Sinne des Wortes, als Mann ein wahrhaft antiker
Charakter als Talmudist, ausgerüstet mit immensem Wissen, voller
Geistes-Schärfe, ein klarer, durchdringender Verstand, ...ein
Überbleibsel der leider immer mehr dahinschwindenden Heroen-Zeit, jener
Eiferer in Wort und Tat für den heiligen Urglauben der Väter, schied an
Jahren ein Greis, an Geistes-Frische und Tatkraft ein Mann, ein Jüngling
- der Rabbiner unserer Heiligen Gemeinde Ahron Ettlinger - das Andenken
an den Gerechten ist zum Segen - dieser Tage aus unserer Mitte. Der
Geschiedene gehörte in Wahrheit jenen Männern an, deren Verlust
zumal jetzt so hart auf Israel lastet, und wenn wie hier, mit dieser Treue
dieser Festigkeit im Glauben und Handeln, ein selbst in damaliger Zeit
bewährte und anerkannte Fülle des Wissens, eine echt philosophische Ruhe
und geistige Überlegenheit gepaart war, darf es uns kaum wundern, dass es
ein Verlust war, von dem die ganze Gemeinde es mit empfang, dass ein Ahron
dahingeschieden war. Und als ob es die Vorsehung selbst bewahrheiten
wollte, dass es ein Frommer gewesen, dem der Todesengel den sanften
Todeskuss aufdrücken sollte, war sein Ende so schön, und beseligend, wie
es nur immerhin das eines Gerechten hienieden sein kann. Umringt von
geliebten Kindern - unter ihnen sein älterer Sohn, der würdige
Oberrabbiner zu Altona, der nach mehrjähriger Abwesenheit, des greisen
Vaters teures Antlitz wiederschauen, seine kindliche Liebe Herz an Herz,
Mund an Mund für eine kurze Besuchszeit ihm weihen wollte - war es ihm
vergönnt, fast bis zum letzten Lebensmomente in ungestörter, ja ... in
erhöhter Geistestätigkeit sich ganz dem Studium, der
Gelehrtendiskussion mit seinem Sohn hinzugeben... Wir schweigen von
der allgemein bezeugten Trauer um den Dahingegangenen, von der
Leichenbestattung, ... wie sein jüngerer Sohn, Klausrabbiner zu Mannheim,
während der ältere, der Altonaer Oberrabbiner am Grab dem hochgeehrten
und geliebten Vater - das Andenken an den Gerechten ist zum Sinne -
im innigsten, kindlichen
Gefühle...". |
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Artikel
in der Zeitschrift "Der treue Zionswächter" vom 12. Oktober
1849: "Nekrolog.
Der 7. Ellul 5609 hat sich mit düsterer Trauerfarbe in die
Geschichtsblätter der israelitischen Gemeinde zu Karlsruhe
eingezeichnet. Eine Lebenssonne ist an ihm untergegangen, die erwärmend
leuchtete in die kalte, nächtige Ungläubigkeit des jetzigen Zeitalters;
und ein Lebensbaum ist an ihm gefällt worden, der mit seinen Früchten
der Gotterkenntnis sättigte und stärkte das nach dem Himmel sich
segnende Gemüt des Gläubigen; und eine Lebensquelle ist versieget, die
der dürren Wüste des Zweifelns die erfrischenden und labenden
Wasserstrahlen der religiösen Wahrheit spendete; und eine Lebensflamme
ist verlöscht worden, die Begeisterung zündete in den erstarrten Herzen
der Gleichgültigen und Glaubenserkalteten. Rabbiner Aron Ellinger
- seligen Gedenkens ist die Sonne, die untergegangen, und kein
schwacher Dämmer verkündigte das Hereinbrechen der Nacht. In der
Vollkraft der geistigen Tätigkeit endete sein Leben; schon spiegelte das
eisige Zucken des Todes um seine Lippen, schon wollte der Faden sich lösen,
der Körper und Seele zusammenhält, und noch arbeitete sein Geist mit
gewohnter Energie in dem Schacht der heiligen Lehre. Er war die Sonne, die
da kämpfte mit den trüben Wolken des Unglaubens und den Sieg davontrug.
Obgleich ein Greis, stand er gerüstet da, wie ein kampfglutiger
Jüngling, wenn es galt, für unsere heilige Religion in die Schranken zu
treten, und sie vor äußern und innern Feinden zu schützen. Besonders
kräftig und mutgestählt trat er diesen entgegen. Als die Alles
umstürzende Reformsucht auch in Baden zerstörend antrat, bekämpfte er
sie mit Wort und Werk, er machte ihr jeden Fußtritt streitig, und es
gelang ihm auch Gesinnungsgenossen um sich zu sammeln, die dem verheerenden
Gifte des irreligiösen Strebens einen Damm entgegen warfen. Nur seinem
unermüdlichen Glaubenseifer ist das Nichtzustandekommen jener Synode zu
verdanken, die sich vorigen Jahres in Karlsruhe wegen der Abdekretierung
jüdisch-religiöser Satzungen und heiliger Institutionen versammeln
wollte. Und er ist der Lebensbaum, der gefällt ist worden, an dessen
Zweigen Früchte der Gotteserkenntnis hingen. Wer sich ihm nahte, fühlte
den Einfluss dieser beseligenden Nähe, jedes Wort war unterricht und
Belehrung; in göttlichen und menschlichen Dingen äußerte er eine
bewundernswerte Genauigkeit und Durchdrungenheit in dem zu beratenden
Gegenstand. Er war eine merkwürdige Erscheinung! Männer, die ihre ganze
Kraft der religiösen Wissenschaft widmen, und mit rastloser Tätigkeit
und emsiger Anstrengung in dieses Feld sich versenken, pflegen gewöhnlich
der zerarbeitenden und durcheinander laufenden Geschäften der Welt
entfremdet zu sein. An ihnen geht in der Regel die hochaufschlagende
Wellenflutung der Zeitereignisse spurlos vorüber; er aber hatte mit
scharfem Blick die Verhältnisse des Lebens nach allen Seiten durchschaut
und kennen gelernt, und der Gelehrte wie der Ungelehrte, der Erfahrene wie
der Unerfahrene konnte sich bei ihm Rats erholen und entweder sein Wissen
bereichern oder seine Unklarheit aufhellen. Und er ist die Lebensquelle,
die versieht ist, aus welcher der frische Tropfen der religiösen Wahrheit
hervorsprudelte. In seinen religiösen Studien offenbarte sich der gesunde
starke Gedanke, in den Erklärungen und Auslegungen, die er den dunkeln
Stellen der heiligen Schrift oder des Talmud gab, blitze ein strahl der
Wahrheit durch, der überzeugend wirkte. Und er ist die Lebensflamme, die
verlöscht ist, die die Herzen begeisterte zur Glaubensglut. Wo die
Religiosität sich verflüchtigen wollte aus dem Gemüte, wusste er den
heiligen Funken wieder anzufachen; diesen hatte er das Aufleuchten des
Geistes in die rechten Bahnen gewiesen, jenen die Empfindungen der Seele
in die gemäße Richtung gestellt.
Er ging im Alter in das Grab ein, wie die Garbe zur Zeit eingeführt wird.
Er hätte noch länger leben können, der Verblichene; aber bei einem
längeren Leben hätte er denn auch mehr gelebt? Was heißt denn Leben?
Leben heißt der Zeitraum, den Gott dem Menschen zur Lösung seiner
Aufgabe auf Erden abgegrenzt hat, vollkommen und seiner Bestimmung gemäß
ausfüllen. Und der Verblichene hat seine Aufgabe in der edelsten
Bedeutung des Wortes gelöst. Als Israelite trug er die Krone der
Frömmigkeit und des Gottesssinnes auf seinem Haupt, mit echt
israelitischen Leistungen baute er sich an |
in
die Geschichte und in das Herz Israels; von ihm gilt in Wahrheit das Wort
des Propheten ...; als Mensch war er der geweihte Priester der Menschheit,
sein menschenfreundlicher Sinn eroberte sich Aller Herzen, die ihn
kannten, die Liebeswerke bezeichnen seinen lichten Weg durchs Leben. - Ja,
im Alter ging er in sein Grab ein; er hat gelebt; und als die Ähre
gereift war auf dem Felde der Tat, da fiel sie unter dem Messer des
unerbittlichen Schnitters, um als volle Garbe zur Zeit eingeführt zu
werden, und der kalte Nord fährt über das abgemähte Stoppelfeld, die
wallende Flut des Lebens ist gebrochen und der Tod hat sein eisiges
Gepräge zurückgelassen. - Er hat bloß gelebt? Lebt nicht mehr? Nein! er
lebt fort, sein Geist wirkt in seinen hinterlassenen Werken. Seine
Gottgläubigkeit, sein israelitischer Sinn ist nicht ins Grab mit
versunken; die Erde hat das Samenkorn überfurchtet, aber über dem Hügel
blühen und reifen Früchte, die in dem Ungläubigen den Glauben, in dem
Zweifelnden die Überzeugung nähren und in frischer Erhaltung bewahren.
Das Gedenken an den Gerechten ist zum ewigen Segen. Zum ewigen
Andenken bleibt der Gerechte, zum Segen und zum HJeile Aller, die zu
Israel sich bekennen, und in Israel ihr Heil, ihren Segen
suchen." |
Zum Tod von Stiftsrabbiner Bernhard Naftali Blumgrund (gest. in Hamburg
1905)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 17. März
1905: "In Hamburg ist am 7. dieses Monats kurz vor der
Einführung in sein Amt als Stiftsrabbiner, Rabbiner Blumgrund aus
Karlsruhe im 42. Lebensjahre gestorben. Als dessen Nachfolger in Karlsruhe
ist Dr. Kramer vom Berliner Rabbinerseminar gewählt
worden." |
Rabbiner Dr. Jakob Kramer wurde als Stiftsrabbiner berufen
(1905)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 17. März 1905: "Karlsruhe in Baden. Herr Dr. Kramer, der
seine Ausbildung an dem Rabbiner-Seminar in Berlin erhalten hat, wurde als
Stiftsrabbiner nach hier berufen." |
Zum Tod von Stiftsrabbiner und Lehrer an der Schule der Israelitischen
Religionsgesellschaft Dr. Jakob Kramer (1921, IRG)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
21. Juli 1921: "Stiftsrabbiner Dr. Jakob Kramer - das
Andenken an den Gerechten ist zum Segen. Karlsruhe, 18. Juli (1921).
Der in der Nacht zum 4. Siwan in Davos nach 2 1/2 jähriger Krankheit
erfolgte Tod des Stiftsrabbiners Dr. Jakob Kramer - das Andenken an den
Gerechten ist zum Segen - hat tiefste Erschütterung in unserer Religionsgesellschaft
und weit darüber hinaus hervorgerufen. Schied doch mit ihm ein Mann aus
unserer Mitte, der nicht bloß umfassende, gründliche
biblisch-talmudische Kenntnisse, sondern auch seltene gute
Eigenschaften besaß. Er war ein Sohn des vor kurzem in Wien
verstorbenen hochgeachteten Rabbinatsassessors Mosche Kramer - das
Andenken an den Gerechten ist zum Segen, von dem er in früher Jugend
in die talmudische Weisheit eingeführt wurde. Auf der Jeschiwa
seines Geburtsortes Eisenstadt und später in Preßburg oblag er mit
ungewöhnlichem Fleiße seiner weiteren talmudischen Ausbildung. Am
Berliner Rabbinerseminar, zu dessen lerneifrigsten und begabtesten Hörern
er zählte, wurde er zum Rabbiner approbiert. Seine Promotionsarbeit über
das 'Problem des Wunders' ist ein klassisches Zeugnis seines Scharfsinnes
und seiner Vertrautheit mit den religionsphilosophischen Werken alter und
neuerer Zeit. Im März 1905 übernahm er hier die Stelle eines Stiftsrabbiners
und eines Lehrers an unserer Religionsschule. In dieser Doppeleigenschaft
war Dr. Kramer unablässig bemüht, Torawissen zu verbreiten und
namentlich durch öftere gedankenvolle, von echt jüdischer Begeisterung
durchglühte homiletische und wissenschaftliche Vorträge auf Jung und Alt
belehrend und erzieherisch einzuwirken.
Was aber den Verstorbenen besonders auszeichnete und ihm allseitige
Sympathien zuwandte, das waren jene edlen Tugenden des Herzens und
Gemütes, die ihn in selten hohem Maße auszeichneten, vor allem seine
geradezu rührende Bescheidenheit und liebenswürdige Freundlichkeit
jedem, auch dem Geringsten gegenüber. Bei der am 8. Siwan hier
stattgefundenen Beerdigung zeigte sich die Trauer um den teuren
Verblichenen in imposanter Weise. Unter Anlehnung an einen talmudischen
Ausspruch zeichnet unser Rabbiner, Herr Dr. Schiffer, in tiefster
Ergriffenheit das Lebensbild des heimgegangenen Freundes und Mitarbeiters
und richtete mit Hinweis auf den Schriftvers 'Und es starb Elimelech,
der Mann der Noomi, und sie blieb zurück mit ihren beiden Söhnen' (Ruth
1,3) Worte schmerzlichen Mitempfindens an dessen gleichgesinnte tapfere
Gattin und an die beiden Söhne. Sodann widmete Herr M. Altmann als
Vorsteher der israelitischen Religionsgesellschaft und dessen Sohn H.
Josef Altmann im Auftrage des Chinuch-Neorim Vereins sowie Herr
Rabbiner Dr. Unna - Mannheim als Freund un Kollege und schließlich
noch Herr DR. Julius Rosenfeld als einstmaliger Schüler dem eueren
Verklärten wehmutsvolle Nachrufe.
Die Schatten der Nacht senkten sich, als wir schmerzerfüllt das Grab
des frommen, gelehrten Dr. Kramer - das Andenken an den Gerechten ist
zum Segen - mit dem innige Wunsche verließen: seine Seele sei eingebunden
in den Bund des Lebens".
|
Ausschreibung der Stelle des zweiten Rabbiners durch die
Israelitische Religionsgesellschaft
(1922)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
22. Juni 1922: "Die durch das Ableben des Herrn Stiftsrabbiners
Dr. Kramer frei gewordene Stelle
eines zweiten Rabbiners
soll baldmöglichst wieder besetzt werden. Talmudisch-akademisch
gebildete Bewerber werden gebeten, ihre Offerten unter Anschluss von
Zeugnisabschriften, sowie Angabe von Gehaltsansprüchen an Herrn M.
Altmann, Karlsruhe, Zirkel 1b (?), gelangen zu lassen.
Israelitische Religionsgesellschaft Karlsruhe." |
70. Geburtstag von Rabbiner Ekiba (Akiba) Meyer
(1929)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
21. Februar 1929: "Karlsruhe, 15. Januar. Der hier früher als Religionslehrer, dann als Rabbinatsassessor tätige Rabbiner E. Meyer, der aus Litauen stammt und sein reiches jüdisches Wissen jahrzehntelang in den Dienst der Jugenderziehung gestellt hat, beging am 5. Adar seinen 70. Geburtstag. Zahlreiche Generationen verneigen sich in dem Wunsche, dass dem verdienten Lehrer ein gesunder und froher Lebensabend beschieden sein möge."
|
Zum Tod von Stiftsrabbiner Ekiba Meyer
(1930)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
15. Mai 1930: "Karlsruhe, 12. Mai. Im Alter von 72 Jahren starb der Stiftsrabbiner Ekiba Meyer, der 40 Jahre hier als Lehrer und
Dajan (rabbinischer Richter) gewirkt hat. Er hat sich jeden Nachruf verbeten. Sein reichhaltiger literarischer Nachlass umfasst einen fast vollständigen Kommentar zur
Mechilta und zum Rambam
(= Maimonides) sehr viele Fragen und Antworten die Übertragung eines Wörterbuches ins Hebräische u. a.
Seine Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens." |
Berichte zur Geschichte der jüdischen Lehrer und weiterer
Kultusbeamten
Für
den badischen Mittelrheinkreis wird Lehrer Rosenfeld zur Erhebung der Beiträge
der jüdischen Lehrer bestimmt (1841)
Anzeige im "Großherzoglich Badischen Anzeige-Blatt für den
See-Kreis" von 1841 S. 1114 (Quelle: Stadtarchiv Donaueschingen):
"Karlsruhe [Bekanntmachung]. Durch diesseitigen Beschluss vom
14. Januar dieses Jahres, Nr. 32, wurden zur Erhebung der Aufnahmstaxen
und Jahresbeiträge von den öffentlichen israelitischen Volksschullehrern
zu dem, in Folge des § 81 des Volksschulgesetzes vom 28. August 1835,
vermöge hoher Ministerialverordnung vom 29. November 1839,
Regierungsblatt Nr. 33, errichteten allgemeinen israelitischen
Schullehrer-, Witwen- und Waisenfonds, als Verrechner ernennt:
I. Für den Seekreis, Lehrer Moos in Randegg.
II. Für den Oberrheinkreis, Lehrer Flegenheimer in Müllheim.
III. Für den Mittelrheinkreis, Lehrer Rosenfeld in Karlsruhe.
Und
IV. für den Unterrheinkreis, Oberlehrer Dr. Wolff in Mannheim,
und die Verrechnung des allgemeinen israelitischen Schulfonds und
Schullehrer-, Witwen- und Waisenfonds dem großherzoglichen Kammerrat
Dollmätsch daher provisorisch übertragen; welches hierdurch zur
allgemeinen Kenntnis gebracht wird.
Großherzoglicher Oberrat der Israeliten". |
Lob auf den neuen Prediger und Religionslehrer Fromm
(1851)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Zionswächter"
vom 10. Oktober 1851: "Karlsruhe. Sie haben bereits in ihrem geehrten Blatte von Homburg aus die Ernennung des Herrn Fromm als Prediger und Religionslehrer daselbst gemeldet. Wir können hier zu jener Gemeinde nur Glück wünschen. Denn obgleich derselbe hier bloß als Privatlehrer fungierte, so wusste er sich doch die Herzen aller durch seine Freundlichkeit, neben strenger Religiosität, sowie durch seinen reinen Charakter zu gewinnen, und bei seinem Weggehen gab sich die erfreulichste Teilnahme allerwärts kund. Insbesondere überhäufte ihn die
Chewrat (Wohltätigkeitsverein), welcher derselbe während seines Aufenthalts dahier religiöse Vorträge hielt, mit Beweise ihrer Hochachtung. Sie veranstaltete nämlich bei seinem Abschiede ihm zu Ehren ein Festessen, und nachdem er bei dieser Gelegenheit in herzlichen, rührenden Worten seinen Dank hierfür ausgesprochen, überreichte sie dem Überraschten als Zeichen ihrer Anerkennung einen schön gearbeiteten silbernen Pokal mit seiner
Namens-Chiffer. Ehre dem Gefeierten, Ehre den Gebern." |
Das
"hebräische Sprachbuch" von Hauptlehrer M. Rosenfeld erscheint in
dritter Auflage (1859)
Anzeige in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 2. Mai 1859: "Beim Beginn des neuen Schuljahres mache ich die
Herren Schulvorstände auf das bei mir in dritter Auflage
erschienene
hebräische Sprachbuch von M. Rosenfeld, Hauptlehrer an der
israelitischen Schule zu Karlsruhe,
Preis kartoniert 6 Sgr. aufmerksam, und bemerke zugleich, dass jede
Buchhandlung in den Stand gesetzt ist, bei Einführung in Schulen
Frei-Exemplare zu gewähren.
Karlsruhe, im April 1859. A. Bielefelds Hofbuchhandlung".
|
Ausschreibung der Stelle des ersten Kantors
(1873)
Anzeige in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 4.
November 1873: "Cantor-Gesuch.
In der hiesigen israelitischen Gemeinde ist die Stelle eines ersten Cantors zu besetzen. Bewerber, welche mit der schönen Stimme begabt, musikalisch gebildet und befähigt sind, bei einem nach dem Mannheimer Ritus stattfindenden Gottesdienste zu fungieren und in Verhinderungsfällen des Dirigenten den Gesangschor zu leiten, wollen sich unter Vorlegung ihrer Zeugnisse über Befähigung u. Religiös-sittlichen Lebenswandel binnen 4 Wochen an den Unterzeichneten wenden.
Karlsruhe, den 19. October 1873. Der Synagogenrath. A. Bielefeld.
" |
Ausschreibungen der Stelle des zweiten Kantors (1875 / 1889)
Anzeige
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 10. August
1875: "Erledigte Cantorstelle.
Die Stelle des zweiten Cantors der israelitischen Gemeinde Karlsruhe soll auf 1. November d. J. Besetzt werden. Erfordernisse zur Bewerbung sind: Befähigung zur Erteilung des
Religionsunterricht, schöne Stimme, verbunden mit der nötigen musikalischen Ausbildung und Verständnis des Schächterdienstes.
Anerbieten sind unter Beifügung der Zeugnisse binnen 3 Wochen an die unterzeichnete Stelle zu richten.
Karlsruhe den 28. Juli 1875. Der Synagogenrath." |
|
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 14.
November 1889: |
Ausschreibung der Stelle des zweiten Kantors
(1895)
Anzeige
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 5. Juli
1895: "Erledigte Stelle eines zweiten Cantors.
Die Stelle eines II. Cantors in der hiesigen israelitischen Gemeinde, mit welcher ein Anfangsgehalt von M. 1500.- nebst freier Wohnung verbunden ist, soll
baldigst besetzt werden. Die Bewerber müssen ein Zeugnis über bestandene Lehrerprüfung in der Erteilung des Religionsunterricht beibringen, sowie auch im Besitze einer schönen Stimme, soweit musikalisch geschult sein, um den Gottesdienst mit Orgelbegleitung abhalten zu können. Außerdem müssen dieselben im Besitze eines Befähigungsnachweises in Betreff des Schächtens (für etwaige Aushilfe) und im
Schofar-Blasen bewandert sein.
Bewerbungen (vorzugsweise von ledigen Kandidaten) sind unter Beifügung von Familienpapieren binnen 14 Tagen anher einzureichen.
Karlsruhe, den 3. Juli 1895. Der Synagogenrath. J. B. Seeligmann." |
Zum Tod von Lehrer Samuel Würzburger
(Lehrer in der Israelitischen Religionsgesellschaft, 1902)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 4. Dezember 1902: "Karlsruhe. Vor einigen Tagen starb
dahier der emeritierte Religionslehrer der israelitischen
Religionsgesellschaft, Samuel Würzburger. Wer den Verstorbenen
noch in seinen besten Jahren gekannt hatte, wie er sich oft so leidend
fühlte, der hätte dem braven und tüchtigen Manne kein so langes Leben
(fast 87 Jahre) in Aussicht stellen können. Und wie war er in seinem
hohen Alter noch so geistig frisch sein Auge war nicht getrübt und
seine Säfte nicht geschwunden (5. Mose 34,7). Es war ein seltener
Genuss, mit dem ehrwürdigen Greise sich zu unterhalten. Schrift und
Inhalt seiner Briefe trugen bis vor Kurzem noch ganz den Stempel
jugendlicher Frische. Würzburger war in Siegelsbach,
Rabbinat Sinsheim, geboren und besuchte das evangelische Seminar zu
Karlsruhe, nachdem er vorher schon die Stelle eines Religionslehrers
bekleidet hatte. In Karlsruhe war er durch seine hervorragenden
hebräischen und talmudischen Kenntnisse und seine Leistungen, besonders
auf dem kantoralen Gebiete, ein Lieblingsschüler des seligen Oberrats
Epstein. Seine erste Lehrerstelle nach seiner Entlassung aus dem Seminare
war Külsheim, in welch großer
Gemeinde er fast ein Menschenalter verbrachte und seine Schule durch seine
Unterrichtsresultate zu einer der ersten des Großherzogtums emporhob. Man
muss den genialen Lehrer in seinem Berufe gesehen haben. Wie hatte er es
verstanden, die Schüler geistig zu wecken; man musste, ob man wollte oder
nicht, ein Zurückbleiben gab's nicht. Unterstützt wurde seine Lehrgabe
durch eine stramme Disziplin. Das talmudische die Ehrfurcht vor deinem
Lehrer gleiche der Ehrfurcht vor Gott (Aboth 1,3; 4.12) bestand bei
all seinen Schülern. Der Wunsch, seine Kinder höheren Lehranstalten
zuzuführen, veranlasste ihn, die so lange innegehabte Stelle in Külsheim
aufzugeben und eine solche bei der israelitischen Religionsgesellschaft zu
Karlsruhe anzunehmen, wo ihm eine Anzahl Mitglieder von seiner Seminarzeit
her noch ihre Liebe und Verehrung bewahrt hatten. Auch hier wirkte er
lange Zeit, bis ein körperliches Leiden ihn zwang, seinem Berufe zu
entsagen. Da er von seiner geistigen Frische nichts eingebüßt hatte,
traf man den ehrwürdigen Greis immer bei seinen Büchern. Stets
liebenswürdig im Umgang, tolerant auch gegen Andersdenkende, hat er sich
viele Freunde erworben, die mit seinen zahlreichen Schülern ihm stets ein
treues Andenken bewahren werden. Worms. S. Rothschild." |
25-jähriges Amtsjubiläum von Kantor Israel Baruch (Lehrer in der
Israelitischen Religionsgesellschaft, 1912)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 19. April 1912: "Karlsruhe. Kantor Baruch von der
Israelitischen Religionsgesellschaft feierte letzten Samstag sein 25-jähriges
Amtsjubiläum." |
Todesanzeigen für Kantor Israel Baruch
(1932)
Anzeigen in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 27. Oktober 1932:
"Hiermit geben wir davon Kenntnis, dass unser lieber Vater,
Großvater, Schwiegervater, Schwager und Onkel
Herr Israel Baruch
Kantor
im 69. Lebensjahre sanft entschlafen ist.
Frankfurt am Main, Leipzig, Nürnberg, Karlsruhe den 18.
Oktober 1932.
Die Beerdigung hat am 19. Oktober in Frankfurt am Main
stattgefunden.
Nachruf!
Am 18. Oktober verschied nach schwerer Krankheit in Homburg
v.d.H. unser langjähriger Kantor
Herr Israel Baruch - er ruhe in Frieden.
Der Verstorbene hat während seiner 43-jährigen Tätigkeit in unserer
Gemeinde das Amt des Kantors in vorbildlicher Weise versehen und durch
sein zuvorkommendes, freundliches Wesen sowie durch seine große
Herzensgüte und Wohltätigkeit die Wertschätzung und Zuneigung unserer
Gemeindemitglieder erworben.
Wir werden dem Verblichenen stets ein ehrendes und dankbares Gedenken
bewahren.
Vorstand der Israelitischen Religionsgesellschaft
Karlsruhe." |
Berichte zur Geschichte des jüdischen Schulwesens in
Karlsruhe
Anzeige der Lehr- und Erziehungsanstalt von Dr. H. Plato
(1865)
Anzeige
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 5. April
1865:
"Lehr- und Erziehungs-Anstalt für israelitische Knaben in
Karlsruhe.
Durch den Ankauf eines geräumigen Hauses mit Turnplatz und Garten in
gesunder Lage, sind wir im Stande, die körperliche Entwicklung der
Zöglinge in heilsamer Weise zu fördern. - Zahlreiches und tüchtiges
Lehrpersonal; Unterrichtsgegenstände: Hebräisch, Deutsch, Schönschreiben,
kaufmännisches Rechnen, kaufmännische Buchführung und Korrespondenz,
Französisch, Englisch, Mathematik, Naturkunde, Geographie, Geschichte,
Zeichnen, Turnen, Gesang. - Jährliche Pension fl. 300.
Nähere Auskunft und Anmeldung bei Dr. H. Plato." |
Prüfungen in der Schule der Israelitischen
Religionsgesellschaft (1890)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 24. April
1890: "Karlsruhe in Baden. Wieder fügte es sich, die
Zeit unserer Freiheit (gemeint: die Pessachfeiertage), meiner Reiseobliegenheiten ledig, im Kreise meiner lieben hiesigen Verwandten feiern zu können. Diese Festesfeier erreicht bei mir ihren Gipfelpunkt, wenn sich mir gleich Gelegenheit bietet, einer Religionsprüfung anwohnen zu können und ganz besonders einer solchen von Kindern orthodoxer Eltern. Denn bei diesen, deren Herzen im fruchtbaren Boden eines religiösen Hauses wurzeln, brauchen die Lehrer den Samen unseres heiligen Glaubens nur gewissenhaft und geschickt auszustreuen und er geht, vom göttlichen Segen begleitet, herrlich auf, indem der Lehrer nicht auch zugleich einen schweren Kampf mit hemmenden Verhältnissen aufzunehmen hat. Das von Natur aus gläubige Kindesherz lauscht begierig und freudig auf jedes Wort des Lehrers und im Elternhaus, wo es die praktische Anwendung des Erlernten regelmäßig vor Augen sieht, wird seine Glaubensinnigkeit immer mehr und mehr gestählt, nie belächelt und
bespöttelt.
Trotzdem kann es hie und da vorkommen, dass, wie ein Blitzstrahl im Nu die sorgfältig gepflegte Saat des umsichtigen, fleißigen Landmannes vernichtet, auch manches jüdische Herz, vom Schlage des Unglaubens getroffen, der Eltern und des Lehrers Müh und Sorgen dahingerafft. Auch kann dann und wann der bejammernswerte Fall eintreten, dass das Unkraut des Zweifels und das Ungeziefer des bösen Beispiels mancher Alters- und Schulgenossen, oder das Missverstehen nicht sehr empfehlenswerter Bücher und Flugschriften die schöne vielversprechende Saat angreift und der Eltern und des Lehrers paradiesische Hoffnungen untergräbt, ebenso wie es leider nicht selten geschieht, dass der der Schule Entwachsene, fern vom Elternhause,
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vom Wurme der Versuchung benagt wird und allmählich das bis dahin reine und starke Herz knickt und krank macht. Auch von der religionsfeindlichen Epidemie der Selbstsucht mit ihren selbsttötenden Höllengeburten: Genuss- und Vergnügungssucht, im Verein mit Dünkel, Hochmut und Größenwahn, deren Devise (hebräisch)
'meine Geistes- und Körperkraft hat mir alles dieses errungen', lautet – werden gegenwärtig von einer falschverstandenen Nachahmungssucht ergriffen, manche jüdischen Herzen befallen und dem Väterglauben entfremdet. Aber
- mit Gottes Hilfe - gedeihen viele und machen dem Judentume, den Eltern und Lehrern und der Menschheit Ehre und Freude und wachsen zum Ruhme Gottes, zum Heile der Welt heran. Darum gehe ich freudig zu jeder Religionsprüfung unbesorgt und unbekümmert, ob jeder dort geprüfte Schüler und jede Schülerin die die spätere Lebensprüfung mit Ehren besteht. Nicht jede Blüte entwickelt sich zur erhofften Frucht und nicht jede Frucht bleibt vom Wurmfraße frei.
So ging ich denn nach vollendetem Festnachmittagsgottesdienst in den hinter den Beträumen sich befindlichen Prüfungssaal der
israelitischen Religionsgesellschaft, der schon vor dem Eintritt der Examinanden
und Exeminatoren mit sich für Mischna und Gemara interessierenden Zuhörern ziemlich gefüllt war. Und ihre
rege Teilnahme wurde reichlich belohnt. Die Zöglinge der oberen Klassen, Schüler des Anstaltsdirektors, des
Rabbiners Herrn Dr. Schiffer - sein Licht leuchte - trugen aus Mischna
Megila aus verschiedenen Abschnitten mit richtigem Verständnis und echter Religionssinnigkeit das im abgelaufenen Schuljahre Erlernte und ebenso die der obersten Klasse verschiedene
Gemara-Stellen aus dem Traktat Berachot mit Raschi
und den Tossafot
vor. Den Schluss bildete die Prüfung aus Kizzur
Schulchan Aruch über die Schabbat- Vorschriften.
Ein noch viel zahlreicheres Publikum füllte die fast zu engen Räumen am 7. morgens von 8 ½ bis 12 ½, wo die 4 unteren Klassen der Schule geprüft wurden. Die Schüler, Knaben und Mädchen, beinahe 80 an der Zahl, entwickelten ein so schönes Wissen im Übersetzen von
Pentateuch, Gebet und Propheten verbunden mit grammatikalischen Erörterungen und Entwicklung religiöser Lehren und eine schöne Kenntnis der biblischen und nachbiblischen Geschichte, dass es fast rätselhaft scheint, wie es dem Leiter der Anstalt, dem verehrungswürdigen Rabbiner Herr Dr. Schiffer
- sein Licht leuchte - im Verein mit den 3 Lehrkräften gelungen, in den wenigen Stunden eine so anerkennenswerte Gewandtheit im jüdischen Wissen zu erzielen. 76 Kinder lasen nicht nur ziemlich geläufig mit dem rechten Akzent, - sie übersetzten auch schon ganz
Schema, Birchot HaNehenin, Ma Nischtana.
Der Feier entsprechende, von Herrn Dr. Schiffer sorgfältig ausgewählte und mit großer Mühe eingeübte Gedichte wurden von den besten Schülern und Schülerinnen recht gefühl- und verständnisvoll unter großem Beifall der Zuhörer vorgetragen. Darauf sprach Herr Dr. Schiffer
- sein Licht leuchte - den Eltern der Zögling innigen Dank für die treue Mitwirkung bei Anbau des Weinberges unseres Gottes mit der Bitte aus, auch ferner ihre Kinder zum fleißigen Schulbesuch und zum Betätigen des hier Erlernten im Haus anzuhalten. - Am Schlusse wurden die Zeugnisse ausgeteilt.
Möge die Glaubenssaat der Gesetzesbürgen, unserer Kinder, zum Weltenheile gedeihen!
Amen." |
Einweihung
des neuen Religionsschulhauses (1891)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom
22. Mai 1891: "In Karlsruhe fand am 6. dieses Monats die
Weinweihung des neuen Religionsschulhauses statt. Die Herren Rabbiner
Dr. Schwarz, Dr. Treitel und der Stadtrat Herr Adolf Bielefeld hielten
Ansprachen an die versammelten Festgenossen und empfahlen in
zündenden Worten die Pflege der hebräischen Sprache und der jüdischen
Wissenschaft, worauf die Feier durch einen Solo-Vortrag des Herrn Kantor
Rubin ihren Abschluss fand." |
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