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zu den Synagogen in
Baden-Württemberg
Steinsfurt (Stadt Sinsheim, Rhein-Neckar-Kreis)
Jüdische Geschichte / Betsaal/Synagoge
Bitte besuchen Sie auch die Website des
Vereins Alte Synagoge Steinsfurt e.V.
www.synagoge-steinsfurt.org
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde
In dem bis zum Anfang des 19. Jahrhundert zur Kurpfalz gehörenden
Steinsfurt bestand eine jüdische Gemeinde bis 1937. Ihre Entstehung geht in die
Zeit des 17. Jahrhunderts zurück. Erstmals wird 1572 eine jüdische
Familie mit zusammen fünf Personen am Ort genannt. 1659 waren keine jüdischen
Personen am Ort.
Hinweis: der in einzelnen Darstellungen als erster namentlich bekannter
"jüdische" Einwohner Isaak Wolf (genannt 1688) war Christ, seine
beiden Heiraten und die Taufen seiner Kinder sind im reformierten Kirchenbuch
verzeichnet.
1803 waren vier jüdische Familien am Ort; 1807 sind die Brüder Löw Feis
Weil und Moses Feis Weil Schützbürger in Steinsfurt. Im 19. Jahrhundert
entwickelt sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie folgt: 1825 35jüdische
Einwohner, 1832 42, 1836 45, 1839 43, 1864 62, 1871 höchste
Zahl mit 83 Personen, 1875 80, 1880 69, 1885 58, 1890 61, 1895 62, 190061, 1905
58, 1910 55.
An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde eine Synagoge (s.u.), eine
Religionsschule und ein rituelles Bad. Die Toten der Gemeinde wurden im
jüdischen Friedhof bei Waibstadt
beigesetzt (Anmerkung: in Sinsheim lassen sich keine Beisetzungen aus
Steinsfurt nachweisen). Zur Besorgung religiöser Aufgaben
der Gemeinde war ein Lehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet
tätig war (siehe unten Ausschreibung der Stelle von 1850). Die Gemeinde
wurde 1827 dem Rabbinatsbezirk Sinsheim zugeteilt.
Die Steinsfurter Juden
erwarben sich ihren Lebensunterhalt überwiegend mit Vieh- und
Landesproduktenhandel.
Im Ersten Weltkrieg fielen aus der jüdischen Gemeinde Julius Weil (Sohn
von Moritz Weil), Fritz Weil (Sohn von Samuel Weil) und Julius Weil (Sohn von
Sigmund Weil). Ihre Namen finden sich in einer
historischen Gedenkinschrift in der (ehemaligen) Synagoge sowie auf der
Gedenktafel der Gemeinde für die Gefallenen des Ersten
Weltkrieges.
Hinweis: nicht unter den Gefallenen des Ersten Weltkrieges war Ludwig
Freudenthaler, der erst 1929 an einem Schlaganfall gestorben ist.
1925 wurde von Hermann Weil (s.u.) eine Haushaltsschule gestiftet. Am
Haus Alte Friedhofstraße 4 befindet sich seit 1984 eine Gedenktafel für den
Stifter.
Um 1924, als zur jüdischen Gemeinde noch 49 Personen gehörten (3,5 %
von insgesamt etwa 1.400 Einwohnern; nach Volkszählungsergebnis von 1925 waren
es noch 36 Personen), waren die Vorsteher der Gemeinde Samuel
Weil, Sigmund Weil, L. Freudenthaler und Adolf Weil. Den Religionsunterricht der
jüdischen Kinder erteilte Lehrer Herz aus Ittlingen.
Den Religionsunterricht der Kinder an den höheren Schulen erteilte Lehrer Maier
Rosenberger aus Sinsheim. An jüdischen
Vereinen gab es den Israelitischen Männerverein (1924 unter Leitung von Samuel
Weil, 1932 unter Leitung von Adolf Weil) und den Israelitischen Frauenverein (1924 unter Leitung von Babette
Weil). 1932 waren die Gemeindevorsteher Samuel Weil (1. Vors.), Adolf
Weil (2. Vors.) und Gustav Weil (3. Vors.). Als Kantor, Religionslehrer und
Schochet kam Lehrer Arthur Auerbacher aus Sinsheim regelmäßig nach Steinsfurt.
Im Schuljahr 1931/32 hatte er noch drei jüdischen Kindern den
Religionsunterricht zu erteilen.
Zur jüdischen Gemeinde in Steinsfurt gehörten 1924 auch die sechs noch in Rohrbach
lebenden jüdischen Personen; die Rohrbacher Gemeinde war bereits 1906
aufgelöst worden; nach 1925 wurden die Rohrbacher jüdischen Einwohner der
Sinsheimer Gemeinde zugeteilt.
An ehemaligen, bis nach 1933 bestehenden Handels- und Gewerbebetrieben
im Besitz jüdischer Familien / Personen sind bekannt: Holz- und Baustoffhandlung Moritz Eichtersheimer
(Ansbachstraße 30), Viehhandel und Althandel Max Kahn (Steinfurter Straße 27), Handelsmann Adolf Weil
(Lerchenneststraße 7), Händler Aron Weil (Steinsfurter Straße 28), Viehhandlung und Metzgerei Gustav Weil
(Dickwaldstraße 1), Viehhandlung Hugo Weil (Steinsfurter Straße 38), Viehhandlung Josef Weil
(Lerchenneststraße 2, abgebrochen), Viehhandlung und Landwirtschaft Karl Weil (Steinsfurter
Straße 21), Getreide- und Futtermittelhandlung Siegfried Weil (Steinsfurter Straße
29).
1933 lebten noch 32 jüdische Personen in Steinsfurt. Sie
konnten rechtzeitig vor Beginn der Deportationen nach Nord- und Südamerika
auswandern.
Von den in Steinsfurt geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Ida Bierig geb. Weil
(1873), Johanna Richheimer geb. Weil (1895), Bertha Ullmann geb. Weil (1863),
Lina Weil (1872).
Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus der Geschichte der
jüdischen Lehrer
Ausschreibung der Stelle des Religionslehrers (1850)
Anzeige im "Großherzoglich Badischen Anzeige-Blatt für den
See-Kreis" vom 11. September 1850 (Quelle: Stadtarchiv Donaueschingen):
"Die mit einem festen Gehalte von 135 fl. und einem jährlichen Schulgelde von 48
kr. für jedes
die Religionsschule besuchende Kind, und dem Vorsängerdienste samt den davon
abhängigen Gefällen verbundene Religionsschulstelle bei der
israelitischen Gemeinde Steinsfurt, Synagogenbezirks Sinsheim,
ist zu besetzen. Die berechtigten Bewerber um dieselbe werden daher aufgefordert, mit ihren
Gesuchen unter Vorlage ihrer Aufnahmeurkunden und der Zeugnisse über
ihren sittlichen und religiösen Lebenswandel, binnen sechs Wochen mittelst
des betreffenden Bezirksrabbinats bei der Bezirkssynagoge Sinsheim sich
zu melden.
Bei dem Abgange von Meldungen von Schul- oder
Rabbinats-Kandidaten können auch andere inländische befähigte Subjekte
nach erstandener Prüfung bei dem Bezirksrabbiner, zur Bewerbung zugelassen
werden"
|
40-jähriges Dienstjubiläum des Lehrers Ferdinand Hanauer (1908)
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 11. September
1908: "Steinsfurt in Baden. Lehrer Ferdinand Hanauer begeht am
14. dieses Monats sein 40jähriges Dienstjubiläum". |
Lehrer Hanauer wird u.a. 1899 genannt bei
der
Trauerfeier für Rabbiner Dr. Hillel Sondheimer in Heidelberg.
|
Aus dem jüdischen Gemeindeleben
Die jüdischen Gemeindeglieder sind zur Teilnahme an den
Gemeindeversammlungen verpflichtet (1898)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 21. Oktober 1898:
"Ganz besonders interessant ist aus den Mitteilungen aus der Praxis
des Großherzoglichen Oberrats die folgende über den Zwang zur Teilnahme
an Gemeindeversammlungen. Nach § 4 der Geschäftsordnung für die
Versammlungen der israelitischen Gemeinden und Gemeindevertretungen vom
25. Oktober 1895 (Verordnungsblatt Seite 92) sind die zur Teilnahme an
Synagogenratswahlen berichtigten Mitglieder der israelitischen Gemeinde Steinsfurt
zum Erscheinen bei den ordnungsmäßig anberaumten Gemeindeversammlungen
verpflichtet. Die Erfüllung dieser Verpflichtung kann durch Anordnung und
Ausspruch von Geldstrafen gemäß § 31 P. des Strafgesetzbuches erzwungen
werden. der Synagogenrat in Steinsfurt ist daher zu veranlassen, eine
weitere Gemeindeversammlung zu berufen und das dortige Bürgermeisteramt
um Androhung einer Geldstrafe von drei Mark gegen jedes nicht erscheinende
Gemeindemitglied zu ersuchen." |
Unfug gegen jüdische Bewohner des Ortes (1925)
Artikel
in der "Jüdisch-liberalen Zeitung" vom 2. Januar 1925:
"Steinsfurt bei Sinsheim. Während eines Balles wurden den
israelitischen Bewohnern durch Verstopfen des Schlüssellochs die Türen
versperrt, ferner wurde ein Stall angezündet. Für die Ergreifung der
Täter wurden von der Staatsanwaltschaft 300 Mark ausgesetzt." |
Berichte
zu einzelnen Personen aus der jüdischen Gemeinde
Moses Weil von Steinsfurt - bisher Lehrer in Grombach -
wird Lehrer in Rohrbach (1849)
Anzeige im "Großherzoglich Badischen Anzeige-Blatt für den
See-Kreis" vom 27. Oktober 1849 (Quelle: Stadtarchiv Donaueschingen):
"Die durch das Ableben des Hauptlehrers Karl Kaufmann
erledigte, nach erfolgender Erledigung des Vorsängerdienstes mit diesem
zu vereinigende Hauptlehrerstelle an der öffentlichen israelitischen
Schule in Rohrbach bei Sinsheim,
wurde dem Schulkandidaten Moses Weil von Steinsfurt,
dermaligem Religionsschullehrer und Vorsänger bei der israelitischen
Gemeinde Grombach,
übertragen."
|
Loeb Weil hat sich nicht zur
Musterung für das Militär gemeldet (1851)
Anzeige im "Großherzoglich Badischen Anzeige-Blatt für den
See-Kreis" vom 1. April 1851 (Quelle: Stadtarchiv Donaueschingen):
"Sinsheim. [Die ordentliche Konskription pro 1850
betreffend.]
Beschluss.
Nachstehende Konskriptionspflichtigen, welche in der Aushebungstagfahrt
ausgeblieben sind, und sich der öffentlichen Aufforderung vom Dezember
vorigen Jahres ungeachtet bis jetzt nicht gestellt haben, werden unter
Verfällung in die Kosten, ein jeder zur Zahlung einer Geldstrafe von 800
fl. verurteilt, und des badischen Staatsbürgerrechts verlustig
erklärt:
darunter: Nr. 12: Loeb Weil von Stensfurt.
Dies wird den Verurteilten auf diesem Wege bekannt gegeben und um Fahndung
auf dieselben gebeten.
Sinsheim, den 21. März 1851. Großherzogliches Bezirksamt." |
Zum Tod von Leopold Weil (1917)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 9. März 1917:
"Aus Steinsfurt (Baden) wird berichtet. unser langjähriges
Synagogenratsmitglied Herr Leopold Weil von hier wurde zur letzten Ruhe
auf dem Verbandsfriedhofes in Waibstadt bestattet. Herr Lehrer Hanauer von
hier hielt die Trauerrede. Herr Bürgermeister und Reichstagsabgeordneter
Rupp aus Reihen war mit vielen Bürgern erschienen, ebenso aus seinem
Heimatorte Bürgermeister und Gemeinderäte, um ihn die letzte Ehre zu
erweisen." |
Über den Getreidehändler Hermann Weil
(1868-1927)
Hermann Weil (1868 Steinsfurt - 1927 Frankfurt am Main), Getreidehändler, 1888-1907 in Buenos Aires, danach in Frankfurt
a am Main; seine Firma "Weil Hermanos & Cie." beherrschte nach 1900 für einige Jahre den Weltgetreidemarkt (mit eigener Schiffscharterfirma); Weil stiftete Millionenbeträge für zahlreiche wohltätige Zwecke; er wurde Ehrenbürger der Stadt Frankfurt a.M. und Ehrendoktor der Universität Frankfurt
a.M.; Weil wurde in einem Mausoleum beim jüdischen Friedhof Waibstadt
beigesetzt.
Erinnerungen in Steinsfurt und Umgebung: Gebäude der Haushaltsschule (s.o.) mit Gedenktafel;
"Hermann-Weil-Weg" (Waldweg am Ortsausgang in Richtung Adersbach), hier auch die
"Hermannsruh" und die nach dem Vater von Hermann Weil benannte
"Josephsruhe". |
Weitere Dokumente
Postkarte
an Kaufmann
Moses Weil in Steinsfurt (1904)
(aus der Sammlung von Peter Karl Müller,
Kirchheim/Ries) |
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Die Karte
wurde aus Heilbronn vermutlich von einem Angehörigen der Familie Weil am
23. April 1904 nach Steinsfurt geschickt: "Meine Lieben! Eben
wollte nach Steinsfurt fahren, aber ich bin bei der lieben Hedwig
geblieben... Ich komme nächsten Montag auf einige Stunden zu Euch. Alles
andere mündlich. Gruß und Kuss..." |
Zur Geschichte des Betsaales / der Synagoge
In einem Bericht von 1803 "Zur
Kenntnis des Landes, Beschreibung aller Orte der Amtskellerei Hilsbach" wird über
die Juden in Steinsfurt berichtet: "Vier Judenfamilien leben im Ort, welche nach
Rohrbach in die Schule gehen, weil hier
keine Synagoge ist". Damals gab es offensichtlich noch keinen Betsaal am Ort.
Ein solcher wurde erst in den folgenden Jahrzehnten eingerichtet, als die Zahl
der jüdischen Einwohner zugenommen hatte (1825 35 Personen). Dieser erste Betsaal
("Judenschule") befand sich bis 1893 im Haus Lerchenneststraße 2, dem damaligen
Anwesen von Josef Weil. Das Gebäude besteht nicht mehr. An seiner Stelle wurde
ein Gebäude der Sparkasse errichtet.
Obwohl gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Zahl der jüdischen
Gemeindeglieder bereits zurückging, entschloss sich die Gemeinde nach 1890 zum
Bau einer neuen Synagoge. Der alte Betsaal im Anwesen des Leopold Weil
entsprach wohl nicht mehr den Anforderungen der Zeit. 1892 konnte man ein
geeignetes Grundstück an der Adersbacher Straße erwerben. Anfang 1893 stellte
der Synagogenrat Steinsfurt beim Großherzoglichen Bezirksamt Sinsheim den
Antrag auf Genehmigung des Baus eines israelitischen Bethauses. Die Finanzierung
des Baues sollte durch Abhaltung einer Lotterie erfolgen. Zur Verlosung kamen
Gold- und Silberwaren und sonstige Gebrauchsgegenstände im Wert von 2.556 Mark.
Es kamen 4.000 Lose – einschließlich 400 Freilose – das Stück zu 1 Mark
zur Ausspielung. Die Ziehung der Gewinne musste unter Aufsicht eines Notars
vorgenommen werden, außerdem mussten drei sachverständige Bürger zugegen
sein. Der Synagogenrat schlug hierfür Ratschreiber Würfel, Waisenrichter
Fischer und Kaufmann G. Brecht vor. Mit dem Erlös aus dem Verkauf der Lose und
weiteren Spenden jüdischer Bürger (auch aus Übersee) konnte der Bau der
Synagoge bestritten werden.
Am 10. August 1893 konnten die Bauarbeiten vergeben
werden. Den Plan zum Synagogenbau hatte der Kreisbaumeister Anton Dick aus
Hoffenheim entworfen (Quelle: Generallandesarchiv Karlsruhe 277 Nr. 8248,
Bauantrag der jüdischen Gemeinde; Hinweis vom 13.9.2013 von C. Flothow). Er entwarf ein etwa neun Meter breites und zwölf Meter langes Gebäude
mit einer angebauten Nische für den Toraschrein. Am 25. September 1893, dem
ersten Tag des Laubhüttenfestes, wurde die feierliche Grundsteinlegung
vorgenommen, zu der Lehrer Hanauer die Rede hielt. Am 13. Juli 1894
konnte die Synagoge eingeweiht werden. In einer feierlichen Prozession wurden
die Torarollen vom bisherigen Betsaal zur neuen Synagoge gebracht. Zwei Tage
lang wurde in Steinsfurt gefeiert. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde in der
Synagoge ein Ehrenmal mit den Namen der im Ersten Weltkrieg aus der jüdischen
Gemeinde Gefallenen angebracht. Über die Einweihung berichtete die
Zeitschrift "Der Israelit":
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 26. Juli 1894:
"Steinfurt (Baden). Die kleine jüdische Gemeinde dahier feierte am
letzten Freitag die Einweihung ihrer neu erbauten Synagoge. Die
Festlichkeit verlief in allen Teilen würdig und erhebend. Mit Recht
konnte Herr Rabbiner Dr. Sondheimer aus Heidelberg in seiner Festpredigt
hervorheben, wie alle Bewohner Steinsfurts ohne Unterschied des Glaubens
in seltener Einmütigkeit durch Beflaggen der Häuser und Beteiligung an
der Feier wetteiferten. Sowohl der katholische als auch der evangelische
Geistliche des Dorfes waren unter den Ehrengästen." |
Über 40 Jahre diente die Steinsfurter Synagoge als
gottesdienstliches Zentrum der Gemeinde. Auf Grund der nach 1933 schnell zurückgehenden
Zahl der jüdischen Gemeindeglieder wurde am 25. Oktober 1938 das an der früheren Adersbacher
Straße liegende Synagogengebäude (heute Dickwaldstraße 12) an eine in der
Nachbarschaft lebende Familie verkauft; die Auflassung erfolgte am 10. Juli
1939. Von dieser Familie war 1892 das Grundstück für den Synagogenbau gekauft
worden. Beim Novemberpogrom 1938
blieb das Gebäude unversehrt, da sich der neue Besitzer gegen eine Inbrandsetzung wehrte.
Allerdings wurden jüdische Häuser schwer beschädigt und einige jüdische
Einwohner misshandelt. Bei Kriegsende 1945 ist das Dach der ehemaligen Synagoge
beschädigt worden und musste neu gerichtet werden. Das Synagogengebäude
wurde in der Folgezeit bis 1967 als Lager für landwirtschaftliche Produkte
verwendet.
Seit den 1970er-Jahren befand sich das ehemalige
Synagogengebäude in einem immer schlechter werdenden Bauzustand. Hochwasserschäden,
ein undichtes Dach trugen hierzu wesentlich bei. Der Grundstein von 1893 blieb
erhalten, wurde jedoch – vermutlich bereits 1938 - aufgebrochen und
ausgeraubt. Das Gefallenendenkmal im Inneren wie auch die farbige Bemalung der Wände
blieben erhalten. Am 11. Juni 1992 wurde unter dem Vorsitz des damaligen
Ortsvorstehers Richard Herbold von 17 Bürgern aus Steinsfurt und Umgebung der
Verein "Alte Synagoge Steinsfurt e.V." gegründet. Der Verein machte sich zur
Aufgabe , die Synagoge zu erhalten und einer sinnvollen Nutzung zuzuführen.
Bis 1996 wurde von den Eigentümern das Synagogengebäude dem Verein zur
Verfügung gestellt. 1996 wurde es jedoch wieder neu verpachtet. Da am Ort kein
Bedarf für eine öffentliche Nutzung des Gebäudes vorhanden ist, lag dem
Verein "Alte Synagoge Steinsfurt e.V." jedoch weiterhin daran, in der ehemaligen
Synagoge einen Ort der Begegnung, eine
Gedenkstätte und ein überregionales Dokumentationszentrum einrichten.
Im Frühjahr 2007 konnte ein Pachtvertrag zwischen den Verein "Alte
Synagoge Steinsfurt e.V." und der Stadt Sinsheim abgeschlossen werden.
Damit waren die rechtlichen Voraussetzungen für eine Sanierung des Gebäudes
gegeben. 2015 konnte die Innenbemalung der ehemaligen Synagoge
restauriert werden (siehe Presseartikel unten). Am 10. November 2018 wurde der Synagogenplatz als Gedenkplatz für die Opfer des
Nationalsozialismus eingeweiht.
Fotos
Historische Ansichtskarte
(Quelle: Sammlung Hahn) |
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Die Ansichtskarte
von Steinsfurt wurde am 3. November 1898 von Steinsfurt nach Helmstadt
verschickt. Auf der Karte sind außer der Synagoge an Steinsfurter Motiven
zu sehen: die Mühle, der Reisbrunnen, die Restauration, der Bahnhof und
die Zufluchtstätte Friedrichs des Großen. Rechts
Ausschnittvergrößerung: die Synagoge in
Steinsfurt. |
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Historisches Fotos
(Quelle: Sammlung Realschule
Waibstadt: hier
anklicken) |
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Synagoge Steinsfurt (Aufnahmejahr nicht bekannt) |
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Fotos um 1985
(Fotos: Hahn) |
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Ansicht der Synagoge von der
Dickwaldstraße |
Seitenansicht
(von Süden) |
Der Grundstein
von 1893 |
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Fotos Oktober 1988
(Fotos: Hahn) |
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Die ehemalige
Synagoge |
Die Eingangtüre |
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Der Grundstein von 1893.
Wie das Foto rechts zeigt, wurde er aufgebrochen
und ausgeraubt. |
Die Erinnerung an die im
Ersten Weltkrieg
gefallenen jüdischen Gemeindemitglieder |
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Ausmalungen im Bereich des
früheren Toraschreines |
Bemalungen der
Synagogendecke |
Pflanzen breiten sich im (!)
Synagogengebäude aus |
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Fotos 2001:
Fotos aus der Sammlung der Realschule Waibstadt zur Dokumentation
des
schlechten baulichen Zustandes der ehemaligen Synagoge |
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Synagoge von
der
Dickwaldstraße |
Hinweistafel |
Rechter Fassadenteil
mit Zerfallserscheinungen |
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Eingangstüre |
Rechter Fassadenteil mit
starken Mauerrissen |
Rechter Fassadenteil mit
senkrechtem Maurerriss |
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Seitenfenster |
Schäden im Inneren an der Decke
durch eingedrungenes
Wasser |
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Fotos 2004:
(Fotos: Hahn, Aufnahmedatum 7.7.2004) |
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Der Ostteil des
Gebäudes |
Die Fassade zur
Dickwaldstraße |
Der Grundstein von 1893, der
im
November 1938 aufgebrochen wurde |
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Die ehemalige Synagoge von
Nordwesten |
Eingangsportal |
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Modell der ehemaligen Synagoge, erstellt
von Schüler/innen
der Realschule Waibstadt |
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Modell der
ehemaligen Synagoge |
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Vor Beginn der Restaurierung am Tag des
offenen Denkmals
10. September 2006 |
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Die ehemalige
Synagoge im Abendlicht |
Für die Gefallenen des Ersten
Weltkrieges |
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Originale
Deckenbemalungen |
Bemalung im Bereich des
Toraschreines |
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Ende 2007: die
Restaurierung
hat begonnen
(Fotos erhalten von Siegfried Bastl,
Realschule Waibstadt) |
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Das Dach wird
erneuert |
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Fotos
vom Frühjahr 2012
(Fotos: Hahn) |
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Blick von
Norden/Nordwesten |
Blick von Westen auf das
Eingangsportal |
Blick von Südwesten |
Das
Foto oben in hoher Auflösung |
Das
Foto oben in hoher Auflösung |
Das
Foto oben in hoher Auflösung |
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Das Eingangstor
mit Hinweistafel |
Blick zum Bereich des
früheren Toraschreines |
Gedenkinschrift für die
Gefallenen
und Erinnerungstafel Familie Weil |
Das
Foto oben in hoher Auflösung |
Das
Foto oben in hoher Auflösung |
Das
Foto oben in hoher Auflösung |
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Erinnerungstafel
für die im Holocaust
ermordeten Angehörigen der Familie
Weil - angebracht beim Weil-
Familientreffen im April 2009 |
Gedenkinschrift
"Zum ehrenden
Andenken "1914/18 der im Weltkrieg
gefallenen Krieger" aus der jüdischen
Gemeinde Steinsfurt |
Deckenbemalung |
Das
Foto oben in hoher Auflösung |
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Fotos vom Frühjahr 2019
(Fotos Christhard Flothow) |
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Blick von Westen auf die
ehemalige Synagoge |
Innenansicht |
Blick über den Synagogenplatz
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Berichte zur Renovierung der ehemaligen Synagoge
Bericht im "Staatsanzeiger für
Baden-Württemberg" vom 11. Juli 2008
Artikel
im "Staatsanzeiger" vom 11. Juli 2008: "Die alte
Synagoge in Steinsfurt wird für 185.000 Euro saniert - Spende und
Änderung der Baupläne ermöglichten die Rettung des Denkmals"
-
zum Artikel: bitte links anklicken. |
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Mai 2015:
Die Wandbemalung wird
restauriert |
Artikel in der
"Rhein-Neckar-Zeitung" vom 8. Mai 2015: "Sinsheim-Steinsfurt: Wandbemalung der alten Synagoge wird restauriert.
Wichtiges Zeugnis der Geschichte: Erinnerungsstätte für jüdische Kultur
Sinsheim-Steinsfurt. (q) Die alte Synagoge in Steinsfurt hat 1938 die Reichskristallnacht und auch die letzten Kriegstage vor 70 Jahren unbeschadet überstanden. So ist sie zum historischen Zeugnis der Geschichte der Juden in Baden-Württemberg geworden..."
Link
zum Artikel |
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Oktober 2015:
Gedenkveranstaltung zum 75.
Jahrestag der Deportation nach Gurs |
Artikel in der "Rhein-Neckar-Zeitung" vom
Oktober 2015: "Sinsheim gedenkt der Deportierten: 'Die Erinnerung und
Mahnung sind stets wichtig'
Mit einer Gedenkfeier in der alten Synagoge wurde zum 75. Jahrestag der
Deportation der Juden aus der Region nach Gurs gedacht - Ausstellung noch
bis 8. November geöffnet
Sinsheim-Steinsfurt. (abc) Eine Veranstaltungsreihe anlässlich der
Deportation Badischer Juden in das französische Vernichtungslager Gurs vor
75 Jahren fand jetzt mit einer Gedenkfeier in der Alten Synagoge
(Dickwaldstraße) einen ihrer Höhepunkte. Die Volkshochschule, die 'Denkmal
Aktiv AG' des Wilhelmi-Gymnasiums, das Spielmobil Kraichgau sowie nicht
zuletzt der Trägerverein des 1893/94 direkt am Goldbach errichteten Gebäudes
erinnerten damit an den Abtransport jüdischer Mitbürger aus der Region auf
den Befehl des damaligen Gauleiters Wagner am 20. Oktober 1940. Gestaltet
worden war die gut besuchte Veranstaltung von Schülern des Gymnasiums unter
der Schirmherrschaft von OB Jörg Albrecht, der zwischen etlichen Text- und
Liedbeiträgen auch ein Grußwort sprach. 'Man kann solche Dinge nicht oft
genug in Erinnerung rufen', legitimierte das Stadtoberhaupt die
Veranstaltungsreihe nochmals und lobte alle Beteiligten für die mehr als
gelungene Gedenkfeier. Neben dem Erinnern sei es ihm zufolge auch wichtig,
immer wieder zu mahnen, damit sich die damaligen Geschehnisse nicht
wiederholen mögen. Das Lob des Oberbürgermeisters galt allen voran der
Schuldekanin Jutta Stier, die den Nachwuchs seit vielen Jahren dafür
begeistere, die deutsch-jüdische Geschichte aufzuarbeiten. Ihr sprach auch
der Direktor des Wilhelmi-Gymnasiums, Thomas Gißmann, ausdrücklichen Dank
aus und rief alle Anwesenden dazu auf, gemäß Deutschlands kollektiver
Verantwortung, Menschen anderer Nationalitäten und Glaubensrichtungen mit
Toleranz und Achtung zu begegnen. Diese Botschaft wurde auch in den
Beiträgen der vorwiegend weiblichen Mitglieder der 'Denkmal Aktiv AG'
deutlich, wobei diese zunächst auf die Geschichte der Deportation eingingen.
Dann stellten sich die Jugendlichen einzeln vor und verrieten dem Publikum,
warum sie sich selbst mit dem Thema Deportation beschäftigen. Das Gedicht
'Was nun?' gab einen Ausblick in die Zukunft, ehe die hiesigen Denkmäler der
Judenverfolgung (u.a. der Gedenkstein anstelle der ehemaligen Synagoge in
Hoffenheim) aufgezählt wurden. Nach musikalischer Überleitung - ebenfalls
durch Schülerinnen des Wilhelmi-Gymnasiums - war 'Gedenken und denken und
aktiv werden' gefragt ehe mit 'Gegen das Vergessen' nochmals an den Sinn und
Zweck der Veranstaltung erinnert wurde. Das Schlusswort gehörte der
Schuldekanin, die darauf hinwies, dass der gastgebende Verein 'Alte Synagoge
Steinsfurt' stets Unterstützung brauche, um das besagte Gebäude zu erhalten.
Zwar hätten mittlerweile der Boden sowie die Elektroinstallation erneuert
werden können, doch gebe es auch sonst noch jede Menge zu tun. Wer sich
davon selbst überzeugen möchte, kann das ehemalige jüdische Gotteshaus an
jeden Sonntag bis einschließlich 8. November von 14 bis 17 Uhr besichtigen -
inklusive einer Ausstellung von Bildern und Texten zum Thema, die bis dahin
dort gezeigt wird. Die Veranstaltungsreihe '75 Jahre Deportation der Juden
aus Baden nach Gurs' geht am heutigen Mittwoch um 9.30 Uhr mit der
Vorführung des Films 'Elzer' im Citydome Sinsheim weiter und am Montag, 9.
November, um 17 Uhr mit einer Gedenkfeier auf dem Synagogenplatz in der
Kernstadt zu Ende."
Link zum Artikel |
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Januar 2019:
Veranstaltung zum
Holocaust-Gedenktag |
Artikel von Jutta Stier in "sinsheim-lokal.de"
vom 25. Januar 2019: "27.Januar 2019 – Gedenktag an die Opfer des
Nationalsozialismus / Holocaustgedenktag
Im Jahr 1996 wurde der 27.Januar in Deutschland von dem damals amtierenden
Präsidenten Roman Herzog zum 'Gedenktag an die Opfer des
Nationalsozialismus' erklärt. Seitdem wird am 27.Januar, dem Jahrestag der
Befreiung des KZ und Vernichtungslagers Ausschwitz durch die Rote Armee
1945, in Deutschland an alle Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Im
November 2018 wurde in Steinsfurt neben der ehemaligen Synagoge in der
Dickwaldstrasse ein Ort des Gedenkens für die Opfer des Nationalsozialismus
errichtet. Für jede Opfergruppe wurde im Boden des Platzes eine Gedenkplatte
eingelassen. An diesem besonderen Ort soll nun in Zukunft an alle Opfer
erinnert werden. 2019 ist der Gedenktag in Baden-Württemberg erstmals den
Menschen gewidmet, die wegen ihrer gleichgeschlechtlichen Liebe und
Sexualität ausgegrenzt und verfolgt wurden. Dies haben Schülerinnen der 'denkmal
aktiv AG' des Wilhelmi-Gymnasiums in Kooperation mit dem Verein 'Alte
Synagoge Steinsfurt' besonders aufgegriffen und eine Gedenkfeier
vorbereitet. Die Bevölkerung ist dazu herzlich eingeladen.
Sonntag, den 27.Januar 2019, 18.30 Uhr, Platz neben der Synagoge
(Synagogenplatz) in Steinsfurt."
Link zum Artikel
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Juli 2019:
Feier zum 125. Jahrestag der
Einweihung der
Synagoge |
Einladung zur Feier "125 Jahre Synagoge in Steinsfurt - Herzliche
Einladung.
Vor 125 Jahren wurde die Synagoge am 13. Juli 1894 in Anwesenheit der
Bürgerschaft von Steinsfurt eingeweiht. Über das zweitägige Einweihungsfest
konnte man dies lesen: "Die ... jüdische Gemeinde ... feierte am letzten
Freitag die Einweihung ihrer neu erbauten Synagoge. Die Festlichkeit verlief
in allen Teilen würdig und erhebend. Mit Recht konnte Herr Rabbiner Dr.
Sondheimer aus Heidelberg in seiner Festpredigt hervorheben, wie alle
Bewohner Steinsfurts ohne Unterschied des Glaubens in seltener Einmütigkeit
durch Beflaggen der Häuser und Beteiligung an der Feier wetteiferten. Sowohl
der katholische als auch der evangelische Geistliche des Dorfes waren unter
den Ehrengästen."
Genauso möchten wir dieses Jubiläum begehen. Wir laden in die Synagoge
Steinsfurt ein:
Samstag, den 13. Juli 2019, 19.30 Uhr 'Begegnungen - Erzählungen und Lieder.
Konzert des Künstlerduos Corinna und Bernhard Lorenz (Märchenerzählerin und
Musiker).
Sonntag, den 14. Juli 2019, 15.00 Uhr "Kurzweilige Festrede bei Kaffee und
Kuchen". Ebenso wie vor 125 Jahren kommt der Rabbiner aus Heidelberg, Herr
Pawelczyk-Kissin, in die Synagoge. Feiern Sie mit uns, herzlich
Jutta Stier. Weitere Informationen:
www.synagoge-steinsfurt.org."
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Artikel von Tim Kegel in der
"Rhein-Neckar-Zeitung" vom 11. Juli 2019: "Sinsheim-Steinsfurt. Alte
Synagoge ist ein Schmuckstück der Erinnerungskultur.
Vor 125 Jahren wurde sie eingeweiht - Fest am Samstag und Sonntag.
Sinsheim-Steinsfurt. Die ehemalige Synagoge in der Dickwaldstraße ist
aus dem Ortsbild nicht wegzudenken. Vieles hat sich in den vergangenen
Jahren um sie herum getan. Heute steht sie als Kleinod, von allen Seiten
sichtbar, am Synagogenplatz. Am Wochenende jährt sich die Einweihung zum
125. Mal.
Dr. Christhard Flothow, Historiker und Kassier des Vereins 'Alte Synagoge
Steinsfurt', führt ums Gebäude: Mit der in Teilen noch an den Wänden
hängenden Haustechnik, dem frei im Raum stehenden emaillierten Kohlenofen
und der feinen Schablonenmalerei an der Decke gibt es Momente, in denen das
gerade mal zimmergroße Häuschen wie ein Loft im Vintage-Stil anmutet: Karg,
sonderbar und doch anheimelnd. Wo der Zahn der Zeit genagt hat, das soll man
erkennen. Nur sorgt der Verein dafür, dass das Nagen aufhört. Oder zumindest
nachlässt.
Restauratorin Silke Böttcher - eine ausgewiesene Expertin, der es sogar
gelungen ist, eine Synagoge in Rohrbach zum Wohn- und Arbeitshaus ihrer
Familie umzunutzen - kümmert sich unter anderem darum. 'Als wir hier
reinkamen', erinnert sich Flothow, 'hing die Decke in Fetzen und bröselte
runter.' Manchmal seien Vereinsmitglieder in den Raum gekommen 'und dann lag
da wieder ein Stück'. Der Vorbesitzer, der die Räumlichkeiten zwar 'zum
Glück' nicht veränderte, ungeschickterweise aber Landwirtschaftsbedarf wie
Dünger oder Rattengift in der Synagoge lagerte, sorgte nachhaltig für
ungünstige Feuchtigkeitswerte vom Fundament übers Mauerwerk bis ins Dach,
das noch dazu undicht war. Ein Teil des Bauwerks war in den sumpfigen
Steinsfurter Auen-Lehm hinabgesackt. Mit speziellen Bindern und Kanülen
wurden die sich lösenden Putzstücke unterspritzt und dadurch abgefangen;
aufwendig wurde der Riss im Gebäude ausgebessert. Hinzu kommen viele Dutzend
weitere Kleinarbeiten, aber auch ein neues Dach. Gut 15 Jahre und geschätzte
200.000 Euro später, ist die Alte Synagoge ein Schmuckstück der
Erinnerungskultur.
Die reich verzierte Decke gilt als einzigartig. Noch nicht geklärt ist,
warum die damalige jüdische Gemeinde in Steinsfurt die Stirnseite des
Gebäudes, vor der einst ein Schrank mit den Tora-Rollen gestanden hat, mit
einem barock anmutenden Vorhang bemalen ließ. Zumal, wie Flothow meint, der
Schrein 'mit Sicherheit mit einem echten Vorhang' verhängt gewesen sein
muss.
Das spärlich nur mit einigen Stapelstühlen und einem Pult möblierte Gebäude
- kürzlich mit einem Vorplatz versehen - steckt voller Details, die auf eine
wechselvolle Geschichte deuten. Das silberne Kästchen am Türrahmen ist eine
'Mesusa', ein kleiner Behälter, der eine Schriftrolle mit Worten des
Propheten Mose enthält. 'Nach Rücksprache mit einem Rabbiner' habe man sich
dazu entschieden, die Mesusa im Hausinnern anzubringen, sagt Flothow, 'da
sie sonst vielleicht nicht lange hängen würde'. Gegenüber stehen
Bleistiftnotizen am Portal - Zahlenreihen, Dreisätze, einfache Rechnungen:
Die Notizen des Vorbesitzers des Gebäudes, der Kaufmann war.
Vor 125 Jahren wurde dieses Gebäude eingeweiht: am 13. Juli 1894. Über das
zweitägige Einweihungsfest berichtete nicht nur der örtliche Landbote,
sondern auch die in Frankfurt erscheinende Zeitung 'Der Israelit': Rabbiner
Dr. Sondheimer war extra aus Heidelberg angereist, und hob in seiner
Festpredigt hervor, wie 'alle Bewohner Steinsfurts ohne Unterschied des
Glaubens in seltener Einmütigkeit durch Beflaggen der Häuser und Beteiligung
an der Feier wetteiferten. Sowohl der katholische als auch der evangelische
Geistliche des Dorfes waren unter den Ehrengästen.' Der Bericht von damals,
sagt Vorsitzende Jutta Stier, habe den Verein nun dazu animiert, das 125.
Jubiläum mit einem zweiten Einweihungsfest zu begehen.
'Begegnungen - Erzählungen und Lieder' heißt es am Samstag, 13. Juli, um
19.30 Uhr bei einem Konzert mit dem Künstlerduo Corinna und Bernhard Lorenz.
Die Märchenerzählerin entführt die Zuhörer mit unbekannten Geschichten und
Märchen für Erwachsene in eine andere Welt. Dazu spielt Musiker Bernhard
Lorenz selten gehörte Volkslieder und Eigenkompositionen. Der Eintritt
beträgt 12,50 Euro. Der Stadtrabbiner von Heidelberg, Janusz
Pawelczyk-Kissin, besucht am Sonntag, 14. Juli, - ähnlich wie vor 125 Jahren
- die Synagoge. Er wird nach den Grußworten der Gäste eine kurzweilige
Festrede halten. Die Feierstunde mit Rundgängen und geselligem Beisammensein
findet um 15 Uhr statt."
Link zum Artikel |
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Oktober 2019:
Bürgerpreis 2019 der
Denkmalstiftung Baden-Württemberg geht an den "Verein Alte Synagoge
Steinsfurt e.V."
Anmerkung: Es gibt mehr als 90000 Kulturdenkmale in Baden-Württemberg, und
die Denkmalstiftung Baden-Württemberg in Stuttgart fördert viele davon. 2019
erhielt der Verein "Alte Synagoge Steinsfurt e.V." den Bürgerpreis. Im
Schreiben der Denkmalstiftung an den Verein heißt es: "Damit würdigt die
Stiftung Ihren vorbildlichen Einsatz für den Erhalt und die Restaurierung
der alten Synagoge Sinsheim-Steinsfurt als Denkmal jüdischen Lebens.
Beispielhaft haben Sie darüber hinaus mit Schulen sowie den Städten und
Gemeinden in der Region mit Ausstellungen, Vorträgen, Lesungen und
Konzertveranstaltungen ein öffentliches Bewusstsein für die jüdische
Vergangenheit im Kraichgau geschaffen.
Der Preis ist mit 5000 € dotiert. Das Geld ermöglicht es dem Verein, den
nächsten Abschnitt bei der Restaurierung der Synagoge abschließen. |
Artikel
von Berthold Jürriens in der "Rhein-Neckar-Zeitung" vom 16. Oktober 2019: "Attentat
von Halle trübt die Freude. Alte Synagoge Steinsfurt erhält Bürgerpreis
der Denkmalstiftung..."
(zum Lesen bitte Abbildung des Artikels anklicken). |
Artikel
in der "Rhein-Neckar-Zeitung" vom 17. Oktober 2019: "Lebendiger Ort der
Erinnerung..."
(zum Lesen bitte Abbildung des Artikels anklicken) |
Artikel in "Denkmalstimme 4 2019" der
Denkmalstiftung Baden-Württemberg S. 4+9+10: "Bürgerpreis 2019 für die
Restaurierung der ehemaligen Synagoge Steinsfurt".
Eingestellt als pdf-Datei. |
Hinweis auf den Verein "Alte Synagoge Steinsfurt
e.V."
Der Verein "Alte Synagoge Steinsfurt
e.V." wurde am 13. Juni 1992 gegründet. Er setzt sich seitdem
für den Erhalt des ehemaligen jüdischen Bethauses ein. Der Verein hat in
der Folgezeit das Synagogengebäude, das 30 Jahre als Lager benutzt wurde,
ausgeräumt und die Außenanlage gesäubert. Jährlich wurde eine
kulturelle Veranstaltung durchgeführt; am "Tag des offenen
Denkmals" fanden Führungen statt. 2008 wurden Renovierungsarbeiten
aufgenommen; das Gebäude wird mit Unterstützung der Denkmalstiftung
Baden-Württemberg restauriert.
Alte Synagoge Steinsfurt e.V. Vorsitzende Jutta Stier
Kurpfalzstraße 131 74889 Sinsheim Mail bzw.
verein[et]synagoge-steinsfurt.org
Links: Faltprospekt des Vereins "Alte Synagoge Steinsfurt e.V.",
erhältlich über o.g. Adresse.
Internet: www.synagoge-steinsfurt.org
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Links und Literatur
Links:
Literatur:
| Franz Hundsnurscher/Gerhard Taddey: Die jüdischen Gemeinden in Baden.
1968. S. 264. |
| Wilhelm Bauer: Die ehemalige jüdische Gemeinde von Sinsheim.
1985. |
| Hans Appenzeller: Die jüdische Gemeinde Steinsfurt: Geschichte der
Familie Weil. 1989. |
| Joachim
Hahn / Jürgen Krüger: "Hier ist nichts anderes als
Gottes Haus...". Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte
und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen. Hg. von Rüdiger Schmidt,
Badische Landesbibliothek, Karlsruhe und Meier Schwarz, Synagogue Memorial,
Jerusalem. Stuttgart 2007. |
| Christiane
Twiehaus: Synagogen im Großherzogtum Baden (1806-1918). Eine
Untersuchung zu ihrer Rezeption in den öffentlichen Medien. Rehe: Schriften
der Hochschule für jüdische Studien Heidelberg. Universitätsverlag Winter
Heidelberg 2012.
Zur Synagoge in Steinsfurt: S. 36-38. |
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