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Wolfhagen mit
Niederelsungen (Stadt Wolfhagen, Kreis
Kassel)
Jüdische Geschichte / Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english
version)
In Wolfhagen bestand eine jüdische
Gemeinde bis 1938/39. Bereits im Mittelalter gab es vermutlich eine
kleine jüdische Gemeinde am Ort, die allerdings in den Herbsttagen des Jahres
1235 im Zusammenhang mit einer Judenverfolgung vernichtet wurde. Dabei kamen 18
Menschen ums Leben.
Die Entstehung der neuzeitlichen Gemeinde geht in das 17. Jahrhundert
zurück. Bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts lebten drei
jüdische Familien in Wolfhagen, die jedoch auf Befehl des Landgrafen Philipp
aus der Stadt vertrieben wurden. Landgraf Moritz erlaubte 1592 einem
Juden die Niederlassung in der Stadt. 1621 und 1656 waren zwei jüdische
Familien, um 1700 und 1728 drei "Schutzjuden" (mit ihren Familien) in
Wolfhagen. 1740 wurden 40 jüdische Einwohner gezählt, 1788 59.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie
folgt: 1827 174 jüdische Einwohner (6,3 % von insgesamt 2.761 Einwohnern),
1849 236 (7,4 % von 3.199), 1861 258 (8,4 % von 3.058), 1871 234 (5,9 % von
2.866), 1885 173 (6,4 % von 2.717), 1887 194, 1888 190, 1886 106 (in 31
Familien), 1898 112 (von insgesamt 2932 Einwohnern; in 29 Haushaltungen), 1899
101 (von insgesamt 2932 Einwohnern; in 24 Haushaltungen), 1905 99 (3,9 % von 2.559). Um 1860
waren etwa 40 Wohnhäuser in jüdischem Besitz, die alle im Zentrum der Stadt
lagen. Damals gab es bereits eine größere Zahl von Handlungen und Läden, die
im Besitz jüdischer Familien waren. Auch gab es inzwischen mehrere jüdische
Handwerksmeister in der Stadt (sechs Metzger, drei Schlosser, zwei Schuhmacher,
ein Lohgerber, ein Buchbinder, ein Drechsler, drei Färber und ein
Leineweber).
Noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts war das Verhältnis zwischen Christen
und Juden in der Stadt angespannt. Im Bericht über die
Synagogeneinweihung 1859 (s.u.) wurde vom Berichterstatter angemerkt, dass in
Wolfhagen der "judengehässige Geiste... so handgreiflich aus allen Fenstern schaut und in der entschiedenen
Ablehnung von jederlei Teilnahme seitens der Stadtbehörden und
Geistlichkeit seinen vollsten Ausdruck gefunden (habe)".
An Einrichtungen bestanden eine Synagoge (s.u.), eine jüdische Schule
(Elementarschule/öffentliche israelitische Volksschule bis 1933, Gebäude
Gerichtsstraße 3),
ein rituelles Bad (unter dem Schulhaus) und ein Friedhof. Zur Besorgung religiöser Aufgaben der
Gemeinde war ein Lehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und
Schochet tätig war. Zeitweise war sogar ein zweiter Lehrer und Hilfsvorbeter
angestellt (siehe unten Ausschreibung von 1865). Bereits um 1720 wurde ein
Lehrer und Vorbeter der Gemeinde genannt. Um 1865/66 war Lehrer S.
Tannenbaum. 1868-69 wurden 31 Schüler von Lehrer Abraham Gutkind unterrichtet,
der damals als
Privatlehrer in Wolfhagen neben Lehrer Tannenbaum genannt wird (Quelle). Sein Nachfolger war ab
1873 Lehrer Abraham Flörsheim, der 1913 sein 40-jähriges Ortsjubiläum feiern konnte
(siehe Berichte unten; Flörsheim verstarb 1925 in Kassel). Flörsheim hatte um
1895 27 Kinder an der Volksschule der Gemeinde zu unterrichten, um 1896 25
Kinder, 1899 16 Kinder. Dazu unterrichtete Lehrer Flörsheim um 1897 6 Kinder in
Landau. Ihm folgte 1919 Lehrer Hermann Katzenstein (bis
zur Auflösung der Schule am 1. Januar 1934; die Lehrerwohnung war im
Schulgebäude Gerichtsstraße 3). Als Synagogendiener wird 1898 B. Alexander
genannt.
Von 1846 bis 1849 betrieb der u.a. über seine spätere Wirksamkeit an der
Realschule der Israelitischen Religionsgesellschaft in Frankfurt bedeutende
Lehrer Israel Meyer Japhet (1808-1892) ein Erziehungsinstitut in
Wolfhagen (weitere Informationen s.u.).
Die Gemeinde gehörte mit den
anderen Gemeinden des damaligen Kreises Wolfhagen zum Provinzialrabbinat
Kassel.
Von den Gemeindevorstehern werden genannt: um 1873 Salomon Rosenmeyer und
J. Lieberg, um 1887 die Herren M. Wertheim
und A. Samuel, um 1895/1898 M. Wertheim und J. Speyer (in Ofenberg), 1899 W. Möllerich und J. Speyer (Ofenberg).
An jüdischen Vereinen bestanden: ein Verein Hachnassath hallah
(Brautausstattungsverein, gegründet um 1850 durch Lehrer Japhet, siehe unten; um 1888/1899 unter Vorsitz von M. Wertheim), ein
Israelitischer Frauenverein (um 1888/1895 unter Vorsitz der Frau/1899 der
Witwe von M. Rosenmeyer), ein Israelitischer Armenverein zur Abwehr der
Hausbettelei (1888 unter Leitung von L. Reichart Sohn, um 1895 M. Reichart
II), der Verein Chewrat schlischi (1888 unter Leitung von W. Bloch,
1895/1899 unter Leitung von M. Wertheim) und der Verein Chewrat bachurim
(gegründet um 1850 durch Lehrer Japhet, siehe unten; um 1888/1895 unter Leitung von M. Wertheim, 1899 A. Kron).
Im Ersten Weltkrieg fielen aus der jüdischen Gemeinde Max Gutheim (geb.
11.7.1894 in Wolfhagen, gef. 16.6.1915), Julius Katzenberg (geb. 2.3.1886 in
Wolfhagen, gef. 16.2.1915) und Simon Moses (geb. 26.3.1898 in Breslau, gef.
25.7.1918).
Um 1924, als zur Gemeinde noch 71 Personen gehörten (2,6 % von insgesamt
2.768 Einwohnern), waren die Vorsteher der Gemeinde Salomon Kron und Moritz
Möllerich. Als Lehrer war der bereits genannte Hermann Katzenstein tätig. Er unterrichtete an
der Israelitischen Volksschule noch 12 Kinder. An jüdischen Vereinen bestanden
die Chevre Hachnosath-Kallah (Brautausstattungs-Verein; gegründet 1855,
1924/32 unter Leitung von Salomon Kron mit 1932 14 Mitgliedern; Zweck und
Arbeitsgebiet: Brautausstattung), die Chewrat HaSchlischi (gegründet
1833, 1924/32 unter Leitung von Josef Möllerich; Zweck und Arbeitgebiet:
Unterstützung Hilfsbedürftiger), die Chewras Noschim (Israelitischer
Frauenverein, 1924 unter Leitung von Frau Rosa Katzenberg, 1932 unter
Leitung von Frau Winterberg; Zweck und Arbeitsgebiete: Krankenpflege und
Bestattungswesen) und die Chevre Bachurim (gegründet 1811; 1924/32 unter
Leitung von Salomon Kron mit 1932 7 Mitgliedern, Zweck und Arbeitsgebiet:
Unterstützung Hilfsbedürftiger, Bestattungswesen). Im Schuljahr 1931/32 hatte
die Israelitische Volksschule noch 10 Kinder. Lehrer war weiterhin Hermann
Katzenstein. 1932 war Gemeindevorsteher wie schon einige Jahre zuvor Salomon
Kron.
Bereits im Herbst/Winter 1923/24 kam es auf Grund von Verleumdungen gegen
jüdische Einwohner zu Ausschreitungen gegen jüdische Familien und dem
Boykott ihrer Gewerbebetriebe (siehe Bericht unten).
1933 lebten noch 74 jüdische Personen in Wolfhagen (2,5 % von
insgesamt 3.020 Einwohnern). In
den folgenden Jahren ist ein Teil der
jüdischen Gemeindeglieder auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts,
der zunehmenden Entrechtung und der
Repressalien in andere Städte weggezogen (bis 1939 55 Personen, insbesondere
nach Kassel) beziehungsweise ausgewandert (1934 sechs Personen nach Paraguay, je
zwei Personen nach Palästina/Israel und nach Holland). Drei Personen sind in
Wolfhagen verstorben. Zu bestialischen Szenen kam es beim Novemberpogrom 1938.
SS-Leute in Zivil waren von der Zentrale des SS-Oberabschnitts Fulda-Werra in
Arolsen mit Autos nach Wolfhagen gekommen. Sie (und auch zahlreiche Personen aus
Wolfhagen) drangen zunächst in die
jüdische Schule und in das Haus der Familie Kron ein und versuchten, beide
Gebäude mit Brandbomben in Flammen zu setzen. Aus der jüdischen Schule wurde
ein Klavier aus dem zweiten Stock auf die Straße geworfen. Im Verlauf der Ausschreitungen
wurden weitere Häuser jüdischer Familien zerstört (u.a. das Schuhwarenhaus A.
Kann in der Mittelstraße) und schließlich die
Synagoge und das Haus der Familie Winterberg in der Mittelstraße in Brand
gesetzt. Fast alle der jüdischen
Männer wurden verhaftet und über Kassel in das KZ Buchenwald verschleppt. Bis
Juli 1939 hatten die meisten der jüdischen Einwohner Wolfhagen verlassen.
Von den in Wolfhagen geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Mathilde Baum geb.
Winterberg (1870), Bertha Behrens geb. Wertheim (1868), Elisabeth Bergmann
(1906), Leopold Bergmann (1902), Moses Block (1862), Martha Born geb. Wertheim
(1881), Ida Cohn geb. Winterberg (1875), Julius Flörsheim (1883), Caroline Frank
geb. Reichard (1894), Ida Gottschalk (1875), Rosa Grüneberg (1876), Alfred
Gutheim (1902), Frieda Gutheim (1886), Berta Heilbrun geb. Speyer-Ofenberg
(1879), Hermann Hiersteiner (1892), Rosa Hiersteiner geb. Höxter (1885), Ursel
Hiersteiner (1929), Ida Hirsch geb. Alexander (1873), Louise Joseph geb.
Reichhardt (1883), Bertha Kann geb. Kander (1895), Siegmund Kann (1889), Lina Katz geb. Reichhardt
(1882, vgl. Kennkarte unten),
Franziska Katzenberg (1858), Helene Kleeblatt (1866), Moritz Kleeblatt (1892),
Salomon Kron (1869), Albert Kron (1866), Gustav Kron (1878), Berta Lehmann geb.
Wertheim (1864), Sophie Marum geb. Rosenmeyer (1870), Paula Mayer geb.
Katzenberg (1882), Max Meyerhoff (1873), Joseph Möllerich (1885), Moses
Möllerich (1876), Meta Nachmann geb. Rosenmeyer (1875), Selma Pels geb. Speyer
(1880), Leopold Reichhardt (1884), Klara Reichhardt (1875), Otto Reichhardt
(1878), Julius Rosenmeyer (1871), Alfred Rosenstein (1935), Erich Rosenstein
(1932), Herbert Rosenstein (1937), Horst Rosenstein (1931), Walter J. Rosenstein
(1911), Mathilde Seckendorf geb. Wertheim (1874), Albert Speyer (1881), Emil
Speyer (1884), Julius Speyer-Kleeberg (1859), Heinrich (Heinz) Speyer-Ofenberg
(1913), Alma Wertheim geb. Katzenberg (1889), Anna Wertheimer geb. Reichhardt
(1876), Cissy Wulff geb. Wertheim
(1867).
Am "Platz der Freiheit" wurde vor einigen Jahren ein Gedenkstein
für alle vor dem 2. Weltkrieg in Wolfhagen ansässigen jüdischen Familien
errichtet (siehe Foto unten).
Aus der jüdischen Gemeinde lebte in Berlin
bis zu seinem Tod 2016 Lutz Kann (Jahrgang 1922, Sohn
von Siegmund Kann und Bertha geb. Kander), der Anfang 2013 (wie auch der
gleichfalls der jüdischen Gemeinde Wolfgangen entstammende Ralph Möllerich
[Ralph Mollerick, USA], siehe Bericht
in lokalo24.de) zum Ehrenbürger der Stadt Wolfhagen ernannt worden ist. Er
war mehrfach in Wolfhagen, u.a. zu den Gedenkveranstaltungen zum 9. November
1938. Am Haus der Familie Kann in der Mittelstraße 6 wurde im November
2012 eine Gedenktafel angebracht.
Links die Traueranzeige der Stadt Wolfhagen zum Tod von Lutz Kann am 19.
November 2016 in Berlin.
In der Mittelstraße 30 erinnert eine Tafel an die jüdische Familie
Winterberg, deren ehemaliges Wohnhaus am 9. November 1938 von
Nationalsozialisten durch Brandstiftung zerstört wurde.
Im Mai 2021 beschloss die Stadtverordnetenversammlung, dass in einem
Neubaugebiet in Wolfhagen zwei Straßen nach den früheren jüdischen Einwohnern
Lutz Kann und Ralp Möllerich (Mollerick)
benannt werden.
Ralph M. ist 2021 91 Jahre alt und lebt in Florida. Lutz Kann ist vor einigen
Jahren verstorben.
Von den in Niederelsungen geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Bernhard Eichholz (1892),
Isidor Eichholz (1890), Rosel Eichholz (1925), Ida Katz geb. Möllerich (1888),
Mathilde Katzenberg geb. Möllerich (1892), Minna Löwenstein geb. Eichholz
(1862), Minna Markus geb. Möllerich (1890), Max Möllerich (1896), Moritz
Möllerich (1886), Willi Möllerich (1893), Simon Möllerich
(1853).
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Allgemeine Beiträge
Erinnerungen an die
mittelalterliche Geschichte in Wolfhagen und die Judenverfolgung 1235 (aus einem
Artikel von 1888)
Aus
einem Artikel von Moritz Stern über: "Die Blutbeschuldigung zu
Fulda und ihre Folgen" in "Zeitschrift für
die Geschichte der Juden in Deutschland" 1888 S. 195: "...der Vorfall
erregte damals in Deutschland großes Aufsehen in Lauda und
Bischofsheim waren im Januar
desselben Jahres mehrere Juden unter der Anklage, einen Christen ermordet zu
haben, hingerichtet worden. Im Oktober oder November hatte eine Verfolgung
der Juden in Wolfhagen bei Kassel stattgefunden. Erst im Anfang
Dezember war dasselbe Schicksal, wie einige Wochen später in Fulda, 18 Juden
in Wolfisheim bei Straßburg zuteil
geworden. Gegen die ganze Judenschaft Deutschlands wurde nunmehr der
Verdacht des rituellen Christenmordes laut.
Anmerkung: Über Lauda und
Bischofsheim siehe Grätz Geschichte der Juden VII² S. 99 Note 4 und
Carmoly, 'Israelitischer Volkslehrer', hrsg. von L. Stein Jg. VII (Frankfurt
1857) S. 18. Für Wolfhagen gibt das Nürnberger Memorbuch (Revue des
études juives IV, 9/10) den Monat Marcheschwan an. Dieser währte damals vom
15. Oktober bis zum 12. November." |
|
Aus
einem Artikel in "Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland"
1889 S. 98: "Zehn in den Schriften von Zunz und Steinschneider bereits
notierte hebräische Klagelieder liegen durch A. Berliner in dem Sammelbande
Kobez al Jad (Berlin) 1887, 29 S., nunmehr im vollständigen Abdrucke
vor. Nach Deutschland gehören: 1) Menachem ben Jakob von Worms über Vorfall
in Boppard, Ellul 1179, unter
namentlicher Hervorhebung des erschlagenen R. Juda; 8) Mordechai b. Elieser
über Verbrennung des Uri Ben Joel halevi 1216; 9) Salomo b. Abraham über
Verfolgung zu Erfurt 1221; 4) Klagelied
über Verfolgung zu Wolfhagen (16 Personen) und
Fulda (1235);..." |
In dem Buch von Gustav Siegel über die Geschichte der
Stadt Wolfhagen wird auch über die jüdische Geschichte berichtet (1930)
Anmerkung: es geht um das 1929 erschienene Buch von Gustav Siegel: Geschichte
der Stadt Wolfhagen in Hessen. Wolfhagen. Selbstverlag Magistrat. 1929 218 S.
Antiquarisch zu
beziehen über www.zvab.com.
In den unten stehenden Berichten zur 700-Jahrfeier Wolfhagens wird aus diesem
Buch zitiert (vgl. dort weitere Anmerkung) |
|
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 7. Februar 1930: "Wolfhagen. In der letzten
Sonntagsnummer des 'Kasseler Tageblattes' macht Herr Paul Heidelbach auf
eine neue Geschichte der Stadt Wolfhagen von dem verdienstvollen
hessischen Geschichtsschreiber und Obertelegraphen-Inspektor Gustav Siegel
aufmerksam, die auch wir empfehlen möchten. Dem Heidelbachschen Artikel entnehmen
wir, dass der Bau der Stadt Wolfhagen um das Jahr 1226 begonnen wurde. Es
war die Zeit vieler Judenverfolgungen, schon einige Jahre nach ihrer
Gründung war Wolfhagen der Schauplatz einer schrecklichen Metzelei gegen
eine Schar von aus Frankreich vertriebener
Glaubensgenossen." |
700-Jahrfeier der Stadt Wolfhagen - zur jüdischen
Geschichte der Stadt (1931)
Anmerkung: Der Inhalt der nächsten beiden Artikel geht zurück auf teils wörtlich
zitierte Angaben in der o.g. "Geschichte der Stadt Wolfhagen in Hessen. Im Auftrage des
Magistrats neu bearbeitet von Gustav Siegel. Selbstverlag des Magistrats der
Stadt Wolfhagen, 1929". Deutlich wird eine - vom Verfasser seinerzeit
vermutlich unbeabsichtigte - unfreundliche Darstellung
in den Jahren vor der NS-Zeit, indem antijüdische Zitate aus Quellen früherer
Jahrhunderte unkommentiert übernommen werden. Zu Gustav Siegel:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_Siegel_(Heimatforscher).
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 17. März 1931: "Zur 700-Jahrfeier der
Stadt Wolfhagen. Eine interessante Stadtgeschichte. Die Stadt
Wolfhagen begeht am kommenden Sonnabend das Fest ihres
siebenhundertjährigen Bestehens. Die Geschichte der jüdischen Einwohner
dürfte weitere Kreise interessieren und verdient, wiedergegeben zu
werden. 'Zu der alten Wolfhager Bürgerschaft traten', so heißt es in dem
von der Stadt herausgegebenen Buch, 'um Beginn des 16. Jahrhunderts noch
Angehörige eines anderen Volkes, vereinzelte Juden. Sie wussten sich aber
keine Freunde zu erwerben, machten sich vielmehr durch ihren überlegenen
Geschäftsgeist und ihren ausgeprägten Erwerbssinn von Anfang an
verhasst. In einer Beschwerde von Bürgermeister und Rat an den Landgrafen
Moritz vom 2. März 1592 heißt es, dass nach der Reformation noch drei
Juden in Wolfhagen eine Zeitlang geduldet, 'doch wegen ihres bösen Lebens
und Wandels in Wucher, Verhinderung ehrlicher Zünfte und Gewerbe, Auf-
und Abnehmung, auch in Lästerung unsers Erlösers und Seligmachers
fortfuhren, deshalb bei Landgraf Philipp und Wilhelm verklaget und auf
fürstlichen Befehl aus Stadt und Amt vertrieben' worden seien (Marburg,
Judensachen 355).'
'Als Landgraf Moritz 1592 wieder drei Juden in Hessen zuließ und einem
davon die Niederlassung in Wolfhagen erlaubte, erhoben Bürgermeister und
Rat sofort Beschwerde. Wie sie angaben, sei 'alles zum höchsten
befremdet, solches Ungesinde wieder aufzunehmen', sie baten daher um
Wiederausweisung des zugedachten Juden. In der Begründung führten sie
noch an: 'dass sie dann viel weniger mit einem Juden, unser aller Erbfeind,
welcher den, zu dem wir alle unser Zuflucht nehmen (sc. gemeint Jesus),
zum äußersten verfolget und damit bei den Unverständigen allerhand
böse Gedanken und Ärgerniss verursacht, Welcher sich des Wuchern so |
wenig
schämt und scheuet, dass er sich daran allein nähret und dazu befehligt
(zu) sein auswürklich darf hören lassen, damit auch oft groß Gut und
Geld zusammenbringt'. (Marb., Judens. 355). Hiernach musste der für
Wolfhagen zugelassene Jude dort bereits angelangt sein und seinen Handel
aufgenommen haben. Dabei scheint es trotz des Einspruchs der Stadt auch
geblieben zu sein, denn 1621 waren bereits zwei Judenfamilien ansässig (Lyncker,
10). Ihre Zahl nahm dann infolge der schlechten Zeitläufe fortgesetzt zu.
1720 zählten sie bereits 40 Köpfe, auch ein eigener 'Schulmeister' - er
hieß Jankoff und war aus Polen - war schon vorhanden. 1788 betrug die
Kopfzahl sogar 59 (Marb. Judens. 37). 1789 beantragte darum der Magistrat
die Verminderung der 20 Familien starken Judenschaft in Wolfhagen auf
8-10. Ein Erfolg war ihm aber trotz der Fürsprache der Ober-Rentkammer in
Kassel nicht beschieden. Es wurde ihm lediglich bedeutet, bei der
Genehmigung von Aufnahmegesuchen künftig vorsichtiger zu sein und auf
diese Weise die Zahl der jüdischen Familien zu vermindern (Marb., Judens.
57).
Die rechtliche Stellung der Juden war etwas eigenartig. Sie müssten dem
Landesherrn jährlich eine bestimmte Abgabe (Schutzgeld) zahlen und
betrachten sich so als unter dessen Schutz stehend, daher auch der Name
'Schutzjuden'. Andererseits beanspruchten Bürgermeister und Rat in den
städtischen Sachen die Gerechtigkeit über sie, suchten sie dabei aber
von der Vergünstigung möglichst fernzuhalten. Das führte natürlich zu
vielen Streitigkeiten.
Am 15. Mai 1674 beschlossen sowohl der alte wie der neue Rat unter
Zuziehung des Gemeindeworthalters, dass ein Bürger sein Haus, das er aus
Wolfhager Gehölz erbaut habe, an einen Juden nicht verkaufen dürfe. Bei Zuwiderhandlung
solle er das ihm aus dem Stadtwalde unentgeltlich überwiesene Bauholz bei
Heller und Pfennig bezahlen (Lyncker, 19). Dessen ungeachtet hatten sie
Juden 1687 eigene Wohnhäuser inne. Darauf fußend, suchten sie 1688 die
Regierung zu bestimmen, ihnen gleiche Rechte wie den Bürgern einzuräumen.
In einer langen Eingaben führen sie aus, sie würden hinsichtlich der
Angaben und Lasten (oneribus) den Bürgern zwar gleichgestellt, bei
allen Vergünstigungen (commoda) und Nutzungen (Bauholz, Brennholz
usw.) dagegen übergangen. Demgegenüber erklärten Bürgermeister und
Rat, die Nutzungen würden nicht auf die Häuser, sondern lediglich nach
den Bürgerrecht verteilt, ganz gleichgültig, ob es sich dabei um Hausbesitzer
handelt oder nicht. Die Juden seien aber nicht im Besitze des
Bürgerrechts. Ihre Abgaben seien zudem viel zu gering festgesetzt. Die
beiden ältesten Schutzjuden zahlten nicht einmal die ihrer Handlung und
ihrem Kaufgewerbe entsprechenden Sätze, obwohl sie es so trieben, dass
'fast nicht eine Handlunge zu erdenken, welche sie nicht exerzieren und so
stark treiben, dass ein Christ allhier in keiner Handlung vor ihnen
fortkommen kann (Marb. Judens. 357). Die Entscheidung zog sich sehr lange
hin, wie sie endlich ausfiel, ist unbekannt.
Der Begräbnisplatz der Wolfhager Juden
befand sich an der Liemecke, er ist noch erhalten. Die Erbauung des
heutigen Schützenhauses in seiner unmittelbaren Nähe führte 1793 zu
heftigen Beschwerden gegen die Stadt, die aber schließlich abgewiesen
wurden. Der Totenweg zur Liemecke ging 1793 durch das Schützenberger Tor.
Die Benutzung des Neuen Tores war ihnen verboten und wurde damals bei
einem trotzdem unternommenen Versuche gewaltsam verhindert (Marb., Judens.
358).'
'Unter der Fremdherrschaft erlangten die Juden zwar die bürgerliche
Gleichberechtigung, büßten sie dann aber nachher zum Teil wieder ein.
Dagegen blieben ihnen die neuen Zunamen, die sie auf Anordnung der
westfälischen Regierung 1909 hatten annehmen müsste. Erst die
kurherrische Verfassung 1931 brachte ihnen endliche Freiheit und restlose
Gleichberechtigung mit den ´übrigens Bürgern. Herbert
Philippstal." |
Aus der jüdischen Geschichte in
Wolfhagen nach der Stadtchronik von 1929 (Artikel von 1931)
Artikel
in "Jüdisch-liberale Zeitung" vom 11. März 1931: "Wolfhagen.
'Zu der alten Wolfhager Bürgerschaft traten um den Beginn des 16.
Jahrhunderts noch Angehörige eines anderen Volkes, vereinzelte Juden. Sie
wussten sich aber keine Freunde zu erwerben, machten sich vielmehr durch
ihren überlegenen Geschäftsgeist und ihren ausgeprägten Erwerbssinn von
Anfang an verhasst. In einer Beschwerde von Bürgermeister und Rat an den
Landgrafen Moritz vom 2. März 1592 heißt es, dass nach der Reformation noch
3 Juden in Wolfhagen eine Zeit lang geduldet, 'doch wegen ihres bösen Lebens
und Wandels in Wucher, Verhinderung ehrlicher Zünfte und Gewerbe, Auf- und
Abnehmung, auch in Lästerung unseres Erlösers und Seligmachers (sc. =
Jesus) fortfuhren, deshalb bei Landgraf Philipp und Wilhelm verklaget
und auf fürstlichen Befehl aus Stadt und Amt vertrieben' worden seien. Als
Landgraf Moritz 1592 wieder drei Juden in Hessen zuließ, und einem davon die
Niederlassung in Wolfhagen erlaubte, erhoben Bürgermeister und Rat
sofort Beschwerde. Wie sie angaben, sei 'alles zum höchsten befremdet,
solches Ungesinde wieder aufzunehmen', sie baten daher um Wiederausweisung
der zugedachten Juden. Dabei scheint es trotz des Einspruches der Stadt auch
geblieben zu sein, denn 1621 waren bereits zwei Judenfamilien ansässig. Ihre
Zahl nahm dann in Folge der schlechten Zeitläufte zu. 1720 zählen sie
bereits 40 Köpfe, auch ein eigener 'Schulmeister' - er hieß Jankoff und war
aus Polen - war schon vorhanden. 1788 betrug die Kopfzahl sogar 59. 1789
beantragte darum der Magistrat die Verminderung der 20 Familien starken
Juden schafft in Wolfhagen auf 8 bis 10. Ein Erfolg war ihm aber trotz der
Fürsprache der Oberrent-Kammer in Kassel nicht beschieden. Es wurde ihm
lediglich bedeutet, bei der Genehmigung von Aufnahmegesuchen künftig
vorsichtiger zu sein und auf diese Weise die Zahl der jüdischen Familien zu
vermindern.'
'Am 15. Mai 1674 beschlossen der alte wie der neue Rat unter Zusicherung des
Gemeindeworthalters, dass ein Bürger sein Haus, das er auf Wolfhager Gehölz
erbaut habe, an einen Juden nicht verkaufen dürfe. Bei Zuwiderhandlung solle
er das ihm aus dem Stadtwald unentgeltlich überwiesene Bauholz bei Heller
und Pfennig bezahlen. Dessen ungeachtet hatten die Juden 1687 eigene
Wohnhäuser inne. Darauf fußend, suchten sie 1688 die Regierung zu bestimmen,
ihnen gleiche Rechte wie den Bürgern einzuräumen. In einer langen Eingabe
führten sie aus, sie würden hinsichtlich der Abgaben und Lasten den Bürgern
zwar gleichgestellt, bei allen Vergünstigungen (commoda) und Nutzungen
(Bauholz, Brennholz usw,) dagegen übergangen. Demgegenüber erklärten
Bürgermeister und Rat, die Nutznießungen würden nicht auf die Häuser,
sondern lediglich nach dem Bürgerrecht verteilt, ganz gleichgültig, ob es
sich dabei um Hausbesitzer handle oder nicht. Die Juden seien aber nicht im
Besitz des Bürgerrechts. Ihre Abgaben seien zudem viel zu gering
festgesetzt. Die beiden ältesten Schutzjuden zahlten nicht einmal die ihrer
Handlung und ihrem Kaufgewerbe entsprechenden Sätze, obwohl sie es so
trieben, das 'fast nicht eine Handlung zu erdenken, welches sie nicht
exerzieren und so stark treiben, dass ein Christ allhier in keiner Handlung
vor ihnen fortkommen kann'.
Unter der Fremdherrschaft erlangten die Juden zwar die bürgerliche
Gleichberechtigung, büßten sie nachher aber zum Teil wieder ein. Dagegen
blieben ihnen die neuen Zunamen, die sie auf Anordnung der westfälischen
Regierung 1808 hatten nehmen müssen. Erst die kurhessische Verfassung vom
Jahre 1831 brachte Ihnen endlich volle Freiheit und restlose Gleichstellung
mit den übrigen Bürgern. Heute zählt die Gemeinde 65 Seelen'.
Geschichte der Stadt Wolfhagen in Hessen. Im Auftrage des Magistrats neu
bearbeitet von Gustav Siegel. Selbstverlag des Magistrats der Stadt
Wolfhagen, 1929." |
Bericht über eine Reise durch Nordhessen, u.a. durch
Wolfhagen (1858)
Anmerkung: Der Reisebericht wurde erstellt von Isaak Rosenmeyer, Oberlehrer
in Homonna
https://de.wikipedia.org/wiki/Humenné.
Artikel
in "Allgemeine Zeitung des Judentums" vom 10. Mai 1858: "Meine Reise über
Galizien nach Deutschland.
Von Isaak Rosemeyer, Oberlehrer in Homonna. (IV. Schluss.)
Wir setzen unsere Streif- und Querzüge fort und erwähnen hier noch einige
insbesondere niederhessische Gemeinden. Unter den Landstädten zeichnet sich
Eschwege aus und leistet in der Tat der
Kreisrabbiner Goldmann Vorzügliches. Im Kreise Fritzlar fungiert der
Kreisrabbiner Wetzlar, welcher seinen Rabbiner Sitz in
Gudensberg hat. Auffallend ist die
heterogene Gesinnung der Gemeindeglieder dieses Rabbinerbezirkes. Während
Fritzlar als neu verschrien ist, gilt
wiederum Felsberg und insbesondere
Gudensberg als orthodox und müssen
sich in Niedenstein, einer kleinen,
meistens von Juden bewohnten Stadt, die Männer, um sich zu rasieren, auf den
Boden (= Dachboden) flüchten, so stark ist das hyperorthodoxe Gefühl
der Frauen und die Herrschaft des schönen Geschlechts.
Auf unseren Wanderungen in Hessen fanden wir fast überall ein reges
jüdisches Leben, vortrefflich eingerichtete israelitische Volksschulen, gut
geschulte Chöre mit tüchtigen Kantoren, strebsame Lehrer und für ihren Beruf
begeisterte Rabbinen. Nur hier und da, insbesondere dort, wo ungebildete
Gemeindevorsteher das Ruder ergriffen haben, hat das israelitische
Schulwesen Rückschritte gemacht.
Es ist Erev-Schabbat-(?)Abend und wir wiederum im Kreise der lieben
Eltern. Uns zu Ehren hatten sich die Anverwandten aus Nah und Fern hier
eingefunden und bald auch die Chebre-Leute (sc. Mitglieder der
Chewra Kadischa, Wohltätigkeitsverein / Beerdigungsbruderschaft) der Gemeinde, und so wurde
herkömmlicher Sitte gemäß dieser Abend durch Gebet zugebracht. Die Gebete
wurden von den Mitgliedern der Brüderschaft in größter Ordnung vorgetragen
und wird beim Anbruch des Tages vom Lehrer der Gemeinde eine entsprechende
Abhandlung gesprochen.
Das Chebrewesen erfreut sich in Wolfhagen der Teilnahme sämtlicher
Gemeindeglieder und verdienen die dahier von Herrn Japhet (sc. Israel
Meyer Japhet, siehe unten), dermalen Lehrer
in Frankfurt am Main, gestifteten Vereine, wovon der eine sich zur Aufgabe
stellt, arme Jünglinge im Studium zu unterstützen (gemeint der o.g.
Verein Chewrat Bachurim), der andere wiederum arme
Jungfrauen ausheiratet (gemeint der o.g. Verein Hachnassath Hallah), umso mehr öffentliche Anerkennung, da durch sie
schon so manches Gute gestiftet worden ist.
Meine freien Tage sind vorüber, die angenehmen Stunden in dem elterlichen
Hause zu Ende, ich verlasse die Meinigen verstimmt und versetze mich, in dem
ich die Strecke von Kassel bis Myslovics mit Stillschweigen übergehe auf das
Schiff nach Szolnok..." |
Aus der Geschichte der
jüdischen Lehrer und der Schule
Lehrer Israel Meyer Japhet verlegt
seine Lehr- und Erziehungsanstalt von Wolfhagen nach Kassel (war von 1846 bis
1849 mit seinem Lehr- und Erziehungsinstitut in Wolfhagen; 1849)
Anmerkung: über Israel Meyer Japhet vgl. unter anderem:
https://en.wikipedia.org/wiki/Israel_Meyer_Japhet;
https://www.laurentius-musikverlag.de/synagogale-musik/israel-meyer-japhet/;
verschiedene seiner Werke wurden auch später neu aufgelegt, u.a.:
Israel Meyer Japhet: Die Accente der heiligen Schrift. Hansebooks 2017. ISBN
9783744617468 (Nachdruck der Originalausgabe von 1896). 204s.
Israel Mayer Japhet: Hirsch-Haggada. die Haggada für Pessach. Mit Übersetzung
und Kommentar von J.M. Japhet, nach dem Forschungssystem von Samson Raphael
Hirsch, erläutert von Dr. A. Michalski. Basel, Zürich: Morascha-Verlag 1996.
Genealogische Informationen:
https://www.geni.com/people/Israel-Japhet-twin/6000000008796764680
Anzeige
in "Allgemeine Zeitung des Judentums" vom 17. September 1849: "Lehr- und
Erziehungsanstalt zu Kassel für israelitische Töchter.
Seit der Verlegung meiner Lehr- und Erziehungsanstalt von Wolfhagen
nach hiesigen Orte habe ich mit derselben zugleich eine jüdische
Töchterschule hierselbst gegründet. Indem ich dies hierdurch zur
öffentlichen Kenntnis bringe, erlaube ich mir gleichzeitig beizufügen, wie
die Tätigkeit der Anstalt auf die Erziehung und Beaufsichtigung ihrer
Zöglinge und die sittlich-religiöse Aufführung derselben sowohl in als außer
dem Hause sich erstreckt. - Vollständigen Unterricht in sämtlichen Realien,
in der französischen Sprache, Zeichnen, Musik und weiblichen Handarbeiten
erhalten die Pensionärinnen durch namhafte, an dem Institute wirkende Lehrer
und Lehrerinnen, und zwar vom 6. bis zum 14. Jahre in einer, dem Alter des
Zöglings entsprechenden Klasse der Töchterschule und vom 14. Jahre ab
in der, an dieselbe sich anschließenden Fortbildungsklasse. Englisch
und Italienisch werden nur auf besonderes Verlangen gelehrt. Eltern, welche
dem Institute ihre Kinder zuzuführen beabsichtigen, werden ersucht, sich
über das Nähere in portofreien Briefen gefälligst an mich zu wenden.
Kassel, 1. September 1849. J. M. Japhet, Vorsteher einer Lehr-
und Erziehungsanstalt hierselbst." |
Zum Tod des Lehrers Israel Meyer
Japhet (1892 in Frankfurt)
Anmerkung: der im Text genannte Dr. Heinemann - Schwiegersohn von Israel
Meyer Japhet - war Dr. Heinrich Heinemann (1844
Wildeshausen - 1898 Frankfurt), vgl. https://www.geni.com/people/Heinrich-Heinemann/6000000008799171562.
Er hatte Dorothea geb. Japhet geheiratet (geb. 1849 in Wolfhagen), die bereits
1880 in Frankfurt gestorben ist.
Artikel
in "Der Israelit" vom 17. November 1892: "Frankfurt am Main, 13.
November. Ein schwerer Gang war es, zu dem wir uns heute Morgen rüsteten; es
galt Abschied zu nehmen von einem treuen Freunde und Genossen, von einem der
edelsten, selbstlosesten und charakterlautesten Männer auf Weit und Breit,
er galt dem im Lehren ergrauten und weit über das Weichbild unserer
Vaterstadt hinaus bekannten und verehrten Israel M. Japhet - das
Gedenken an den Gerechten ist zum Segen -; das Ehrengeleit auf
seinem letzten Wege zu geben. Nicht nur für seinen engeren Freundeskreis,
auch für entferntere Kreise war es eine erschütternde Trauerkunde, als am
vergangenen Freitag sich die Nachricht verbreitete, Japhet sei gestorben;
ließ auch die schwere Krankheit, die acht Tage vorher den 75-jährigen Greis
plötzlich anfiel, einen schlimmen Ausgang befürchten, war man also auf einen
solchen auch nicht unvorbereitet, doch fühlte jeder einen tiefgehenden
Schmerz, der die Trauerkunde vernahm; war der Verstorbene doch wie bereits
in voriger Nummer erwähnt, fast 40 Jahre hier als Lehrer tätig und konnte
einen großen Teil der Männer und Frauen der Religionsgesellschaft seine
Schüler und Schülerinnen nennen, und wer einmal den Unterricht dieses
vorzüglichen Pädagogen genossen, der hatte ihn in sein Herz geschlossen, der
musste mit kindlicher Anhänglichkeit ihm zugetan sein. So war er seinen
Schülern ein liebevoller Erzieher, der nie die Geduld verlor, stets die Ruhe
bewahrt und dessen vorzügliche pädagogische Begabung ihn befähigte, sich so
in die Anschauung des Kindes zu versetzen, dass sein Unterricht auch bei
Schwachbegabten schöne Erfolge erzielte. Seinen Kollegen war er ein
warmherziger und lieber Freund, der gern mit seiner pädagogischen Erfahrung
den jüngeren, und das waren ja fast alle, beistand, und dessen tiefes und
umfassendes Wissen alle zu bewundern Gelegenheit hatten; mehr aber mussten
sie bei diesem Wissen die Bescheidenheit dieses Mannes bewundern. Was
Wunder, dass die Kunde von seinem Tode überall mit dem Ausdruck tiefsten
Schmerzes aufgenommen wurde. Heute Morgen haben wir nun den Edlen bestattet;
ein unabsehbares Gefolge geleitete die irdischen Überreste des greisen
Lehrers, voran gleich hinter den nächsten Leidtragenden, Mitglieder der
Familie, die obersten Klassen der Realschule der israelitischen
Religionsgesellschaft (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Samson-Raphael-Hirsch-Schule) nebst dem ganzen Lehrerkollegium. Auf dem Friedhofe
gab zuerst der Direktor der Schule, Herr Dr. M. Hirsch - sein
Licht leuchte - (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Mendel_Hirsch) in warm empfundenen Worten ein Lebensbild des
Verstorbenen, der mit Begründung der Schule in dieselbe als Lehrer
eingetreten und durch seinen Pflichteifer, seine Gewissenhaftigkeit, sein
Lehrgeschick das Verdienst sich erworben zu der Entfaltung und glücklichen
Entwicklung der Schule einen Hauptanteil beigetragen zu haben. Dann
schilderte er auch die Verdienste des Verfassers um die Hebung des
Synagogengesanges durch seine Kompositionen, die bereits in vielen Gemeinden
des In- und Auslands Eingang gefunden, und so ein unsichtbares Band von
Gemeinde zu Gemeinde bilden. Hierauf ergriff der Schwiegersohn des
Verstorbenen, Herr Dr. Heinemann das Wort, der tiefbewegt, mit oft
von Tränen erstickter Stimme den Heimgegangenen als Familienvater
schilderte; wie er die eine Sorge hatte, jede Sorge von den Seinigen
zurückzuhalten, wie er bei schweren Schicksalsschlägen seinen Blick zu Gott
wendend und in ihm sich aufrecht haltend, seine Fassung bei
|
allem
inneren Schmerz bewahrte und durch seine Ruhe seiner mit ihm leidenden
Familie den Gramm und Schmerz milderte und erleichterte. Dann schilderte er
die Harmonie seines ganzen Wesens, die sich in seinem Schriften und in
seinen Synagogengesängen deutlich ausprägt, schilderte seine Arbeitslust und
Arbeitskraft, die bis in die letzten Tage seines Lebens anhielt. So ward ihm
noch die Freude zu Teil, in jüngster Zeit ein Werk zu vollenden, an dem er
zehn Jahre lang mit Ausdauer und Liebe arbeitete, und an dem sein Herz hing.
Es ist eine umfassende Schrift über die Akzente, die uns ungeahnte
Aufschlüsse über viele dunkle Partien der Exegese geben wird. Leider war es
ihm nicht gegönnt, das Werk in die Öffentlichkeit eingeführt zu sehen, doch
es ist druckfertig, und es wird eine Ehrenpflicht der Familie sein, dieses
letzte Werk des Heimgegangenen baldigst dem Druck zu übergeben. Hierauf
sprachen dann Herr Schnerb, Dirigent des Synagogenchors, im Namen
desselben einige Worte des Dankes an den Heimgegangenen, der 37 Jahre den
Chor geleitet hat.
Fügen wir nun noch dem in voriger Nummer bereits kurz skizzierten Lebensgang
des Verfassers die folgenden Notizen bei: Derselbe wurde im Jahre 1818 zu
Kassel geboren, besuchte dort, nachdem er die Schule verlassen, das von
M. Büdinger geleitete Lehrerseminar, bestand in seinem 17. Jahre die
Lehrerprüfung, und trat dann in die deutsche Schule zu Gudensberg als Lehrer
ein und richtete auf Veranlassung Rabbis Mordechai Wetzlar - das
Andenken an den Gerechten ist zum Segen - den Synagogenchor ein.
Zugleich besuchte er die Talmudvorlesungen des Rabbiners und bildete sich
unter dessen Leitung weiter im hebräischen Wissen aus. Nach einigen Jahren
gründete er in Wolfhagen eine Lehranstalt, die er nach wiederum drei
Jahre nach Kassel verlegte. Im Jahre 1853 wurde er dann nach Frankfurt
berufen, um in die daselbst zu gründende Schule als Lehrer einzutreten.
Hier unterrichtete er bis acht Tage vor seinem Tode. Mit der Abfassung einer
hebräischen und deutschen Fibel begann er seine schriftstellerische
Tätigkeit, seinen schulgrammatisches Werk Metek sefatayim, zwei
Teile, fand den Beifall der Fachgenossen und wurde, wie bereits erwähnt, in
vielen Plätzen eingeführt, seine Hagada, die ins Deutsche übertragen
und mit vielen Erklärungen versehen ist, ist eingeschätztes Familienbuch
geworden und hat viel zur Hebung der Pessach-Feier in den Familien
beigetragen. Das in Aussicht gestellte Werk über die Akzente lässt bei der
umfassenden Kenntnis des Verfassers von der hebräischen Sprache Gediegenes
und Vollkommenes erwarten. Außerdem war der Verstorbene Verfasser viele
wissenschaftliche Abhandlungen, die sich durch Feinheit des Stils und
Gediegenheit des Inhalts auszeichnet. Auch diese Blätter enthalten eine
Reihe von Aufsätzen aus seiner Feder, sowie eine von ihm verfasste
Komposition der Zur mischelau ochalnu."
|
|
Artikel
in "Der Gemeindebote" vom 18. November 1892: "Frankfurt am Main, 13.
November. Am 10. dieses Monats starb dahier Herr Israel M. Japhet, Lehrer an
der Realschule der Israelitischen Religionsgesellschaft (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Samson-Raphael-Hirsch-Schule), im Alter von 74
Jahren. Seit seinem 17. Lebensjahr den Lehrerberuf ausübend, blieb er demselben bis zu seinem Tode treu. Zuerst wirkte er als Lehrer in
Wolfhagen,
sodann in Gudensberg in Kurhessen und endlich seit fast 40 Jahren, April
1853, in hiesiger Stadt. Bei Begründung der Schule an dieselbe berufen,
widmete er derselben seine Kraft, bis ein Schlaganfall, dem er nach acht
Tagen erlegen, ihn seiner Tätigkeit entriss. Sehr bekannt wurde Japhet als
pädagogischer Schriftsteller und als Komponist hebräischer Melodien. Seine
hebräische Lehrfibel Pi Ollalim - vor nahezu 50 Jahren zum ersten Mal
aufgelegt - ist noch heute eine der besten und erlebte zahlreiche Auflagen.
Eine vielleicht noch größere Verbreitung hat sein Lehrbuch der hebräischen
Grammatik, Metek Sefatayim, gefunden. Seine hebräischen Gesänge,
unter dem Namen Schire Jeschurun, erschienen, wurden seinerzeit von
Spohr und anderen empfohlen. Außer diesen seinen bekanntesten Werken
übersetzte Japhet noch den Sidur, das tägliche Gebetbuch ins Deutsche
und edierte eine Ausgabe der Pessach-Haggadah mit guter Übersetzung
und Erläuterung. Noch kurz vor seinem Tode vollendete er ein neues Werk über
die Vorlesung aus Tora und Propheten. - Wie groß die Verehrung war, welcher
sich der Verstorbene zu erfreuen hatte, davon legte die überaus zahlreiche
Beteiligung an seinem Leichenbegängnisse Zeugnis ab. Am Grabe sprach der
Direktor der Schule, Dr. M. Hirsch (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Mendel_Hirsch), ferner Herr Dr. Heinemann, ein
Schwiegersohn des Verstorbenen, und Herr Schnerb, sein Nachfolger als
Synagogenchordirigent. " |
Erinnerung an Israel Meyer Japhet
(Artikel von 1929)
Artikel
in "Der Israelit" vom 19. September 1929: "(Zwei Meister der
jüdischen Musik). Israel Meyer Japhet (1818-1892).
J. M. Japhet wurde im Jahre 1818 zu Kassel geboren, besuchte dort, nachdem
er die Schule verlassen, das von M. Büdinger geleitete Lehrerseminar,
bestand in seinem 17. Jahre die Lehrerprüfung, trat dann in die deutsche
Schule zu Gudensberg als Lehrer ein
und richtete auf Veranlassung von Rabbi Mordechai Wetzlar (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Mordechai_Wetzlar) den
Synagogengesang ein. Gleich besuchte er die Talmudvorlesungen des Rabbiners
und bildete sich unter dessen Leitung weiter im hebräischen Wissen aus. Nach
einigen Jahren gründete er in Wolfhagen eine Lehranstalt, die er nach
wiederum drei Jahre nach Kassel verlegt.
Im Jahre 1853 wurde er dann nach Frankfurt am Main berufen, um in daselbst
zu gründende Schule als Lehrer einzutreten. Hier unterrichtete er bis acht
Tage vor seinem Tode (10. November 1892). Mit der Abfassung seiner
hebräischen und deutschen Fibel begann er seine schriftstellerische
Tätigkeit, sein schulgrammatisches Werk Sefat Emet, zwei Teile, fand
den Beifall der Fachgenossen und wurde in vielen Plätzen eingeführt, seine
Hagada ins Deutsche übertragen und mit vielen Erklärungen versehen
ist, ist ein geschätztes Familienbuch geworden und hat viel zur Hebung der
Pessachfeier in den Familien beigetragen. Außerdem war Japhet Verfasser
vieler wissenschaftlicher Abhandlungen, die sich durch Feinheit des Stils
und Gediegenheit des Inhalts auszeichnen. So groß wie sein Wissen und seine
pädagogische Tätigkeit, war auch seine Bescheidenheit und die Lauterkeit
seines Charakters; er genoss die ungeteilte Liebe seiner Kollegen, Schüler
und aller, die ihn kannten.
Japhet veröffentlichte auch Synagogengesänge unter dem Titel 'Schire
Jeschurun'. Der Generalmusikdirektor Dr. Louis Spohr (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Louis_Spohr) erachtet dieselben als
'korrekt in der Harmonie und einfach in der Modulation'. Ignaz Lachner
(vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Ignaz_Lachner) zollt Japhet 'aufrichtige Bewunderung' und empfiehlt die Gesänge als 'ganz
vorzüglich'. Nach Musikdirektor Georg Goltermann (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Goltermann) zeichnen sich die
Japhet'schen Kompositionen durch 'gute Stimmführung' aus.
Am 13. November 1892 wurde Japhet unter großer Beteiligung zur letzten Ruhe
gebettet." |
Über den Lehrer Dr. Moses Gabriel
Alifeld (um 1853 Prediger und Privatlehrer in Wolfhagen, Bericht von 1865)
Anmerkung: nach dem "Biographischen Handbuch der Rabbiner"
http://steinheim-institut.de:50580/cgi-bin/bhr?id=36 und dem Internetportal
"Westfälische Geschichte" und handelt es sich um Dr. Moses Gabriel Alifeld, geb.
um 1820 in Schlüchtern, war ein Schüler
des Seckel Wormser in Michelstadt und
wurde von diesem ordiniert. 1844/1848 Studium in
Marburg, dann Rückkehr nach Schlüchtern,
um 1853 Prediger und Privatlehrer in Wolfhagen, verheiratet um 1855 mit
Sarchen geb. Rothschild Link:
http://www.westfaelische-geschichte.de/per8013; später Prediger in
Beverungen. November 1862 Rabbiner in Pasewalk, wurde 1866 einvernehmlich
entlassen; eine Tochter von ihm war Adele Alifeld (geb. 29. Dezember 1865 in
Pasewalk, umgekommen im März 1943; Stolperstein in Berlin, Nassauische Straße
30, Link:
https://www.stolpersteine-berlin.de/de/biografie/2409
Artikel
in "Der Israelit" vom 25. Januar 1865: "Aus Kurhessen, im Januar. In
Nummer 49 Ihres geschätzten Blattes wurde das Benehmen des Rabbiners
Alifeld in Pasewalk gerügt, welcher sich als aktives Mitglied eines
Gesangvereins aufnehmen ließ, in welchem positiv christlich-konfessionelle
Lieder, und zwar auch bei religiösen Akten, ausgeführt werden, und der
Berichterstatter sprach seine Entrüstung darüber aus, dass ein 'Rabbiner'
sich solches von einem christlichen Geistlichen verweisen lassen musste.
Auch die 'Allgemeine Zeitung des Judentums' ließ sich diesen Vorfall
berichten, und selbst Herr Dr. Philippson tadelt das Ungeziemende in
dem Falle, dass ein Rabbiner Mitglied eines Gesangvereines ist. Herr
Alifeld selbst verteidigt sich nun in der neuesten Nummer der
'Allgemeinen Zeitung des Judentums', dass er anlässlich seiner Stimme und
weil ihm die Mitglieder des Gesangverein so freundlich entgegenkommen, sich
bewogen gefunden habe, in diesem Verein sich aufnehmen zu lassen, und
zitierte mehrere Stellen aus Talmud und Poskim, nach welchen man Chillul
HaSchem zu vermeiden habe. Da Herr Alifeld behauptet, sich bei
dem Grabgesang nicht beteiligt zu haben, so liegt allerdings Entschuldigung
für ihn vor; und wir sind weit entfernt, die Richtigkeit dieser Behauptung
in Zweifel zu ziehen. Aber rechtfertigen lässt sich das Betragen des Herrn
Alifeld dennoch nicht, denn nicht als Rabbiner, sondern als Jude,
durfte er nicht in einem Vereine mitwirken, in welchem Passions- und andere
geistliche Lieder gesungen werden. Hier heißt es... Die Nichtbeteiligung an
dem viel besprochenen Grabgesang konnte ihn, wie Herr Alifeld gesehen, nicht
vor Missdeutungen und falschem Verdachte schützen, und Herr Alifeld hat das
Wort des weisen Königs unbeherzigt gelassen... Dass er 'anlässlich seiner
Stimme' in den Verein zu treten für angemessen fand, ist lächerlich, und
lässt sich wohl von einem 20-jährigen Jünglinge, nicht aber bei einem
49-jährigen Mann mehr hören. Auch möge niemals ein anderer Chillul
HaSchem geschehen, als dass ein mit schöner Stimme begabter Jude
nicht Mitglied eines Gesangsvereins wird! Übrigens wollen wir allen,
denen der Rabbiner hier anstößig ist, zum Trost und zu Beruhigung sagen,
dass Herr Alifeld gar kein Rabbiner ist, und er sich diesen Titel
selbst zugelegt hat. Herr Alifeld ist ein geborener Kurhesse - er ist aus
Schlüchtern gebürtig - hätte als
solcher das Rabbinatsexamen in Kassel bei dem Landrabbinat machen müssen,
was aber bis jetzt noch nicht geschehen ist. Infolgedessen fand er auch in
Wolfhagen nur als Privatlehrer und Prediger eine Stelle, später in
den preußischen Orte Beverungen, von wo aus er in die Stellung
eingetreten ist, die er gegenwärtig begleitet. La Rise." |
Ein Lehrer wird für mehrere Familien, gegebenenfalls
als Gemeindelehrer gesucht (1864)
Anzeige in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 4. Oktober 1864: "Mehrere Familienväter der
israelitischen Gemeinde Wolfhagens bei Hessen-Kassel, suchen einen
tüchtigen Lehrer, welcher außer den herkömmlichen
Elementargegenständen auch in der französischen und möglichst in der
englischen Sprache Unterricht erteilen und Zeugnisse einer höheren
pädagogischen Bildung vorlegen kann. Gehalt 400 Thaler. Aussicht auf
Anstellung als Gemeinde-Lehrer. Franko-Anfrage. A. Lieberg."
|
Ausschreibung der Stelle des zweiten Lehrer /
Elementarlehrer / Vorbeter (1865)
Anzeige
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 28. Februar 1865:
"Lehrer-Gesuch.
Der unterzeichnete Vorstand sucht einen zweiten Lehrer, der in den
gewöhnlichen Elementarfächern Unterricht erteilen kann und hilfsweise
den gottesdienstlichen Vorsängerdienst mit übernimmt, auf 3 Jahre
einstweilen provisorisch anzustellen. Gehalt 175 Taler. -
Unverheiratete Reflektanten wollen sich alsbald bei dem unterzeichneten
Vorstand melden und Zeugnisse gleichzeitig franko einsehen.
Wolfhagen in Kurhessen. Der Vorstand der israelitischen
Privatschule." |
Ausschreibung der Stelle des
Lehrers und Vorsänger (1873)
Anmerkung: auf diese Ausschreibung hin bewarb sich Lehrer Abraham Flörsheim.
Anzeige
in "Jüdische Volkszeitung" vom 12. Februar 1873: "Am 1. April dieses Jahres
wird die hiesige Lehrer- und Vorsängerstelle vakant. Gehalt: 300 Taler Fixum
und freie Wohnung. - Qualifizierte Bewerber wollen sich unter Einsendung ihre
Zeugnisse baldigst bei dem unterzeichneten Vorstand melden.
Wolfhagen bei
Kassel, den 19. Januar 1873. Der Vorstand der israelitischen Gemeinde.
Salomon Rosenmeyer. J. Lieberg." |
Anzeige von Lehrer A. Flörsheim
(1893)
Anzeige
in "Der Israelit" vom 5. Oktober 1893: "Haushälterin.
Ein gebildetes israelitisches Fräulein, gesetzten Alters, welches schon lange Jahre einen
Haushalt selbstständig führte, prima Zeugnisse besitzt, wünscht ähnliche
Stellung, am liebsten bei älterem Herrn oder Witwer. Offerten erbeten an
A. Flörsheim, Lehrer in Wolfhagen bei Kassel. " |
40-jähriges Ortsjubiläum von Lehrer Abraham Flörsheim (1913)
Mitteilung im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 11.
Juli 1913: "Wolfhagen. Lehrer A. Flörsheim beging sein
40-jähriges Ortsjubiläum". |
70. Geburtstag von Lehrer Abraham Flörsheim (1915)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. Oktober 1915: "Wolfhagen,
5. Oktober (1915). Herr Lehrer A. Flörsheim dahier, der am Schmini
Azeret (= 30. September 1915) in ungewöhnlicher körperlicher
Rüstigkeit und geistiger Frische seinen 70. Geburtstag feiern konnte,
blickt in diesen Tagen auf eine von Erfolgen reich gesegnete Tätigkeit im
öffentlichen Schuldienste, nachdem er vorher 1/2 Jahr als Hauslehrer
tätig gewesen war. Da der größte Teil der Gemeindemitglieder - u.a.
auch die beiden Gemeindeältesten - gegenwärtig im Felde steht und sich
ein Sohn des Jubilars - er wirkte als Mittelschullehrer in Frankfurt am
Main - in französischer Gefangenschaft in Algier befindet, wurde vorerst
von einer größeren Feier abgesehen; man beschränkte sich auf
persönliche Beglückwünschungen. Die 'Israelitische Lehrerkonferenz
Hessens' ließ ihrem Senior durch die beiden Vorsitzenden Oppenheimer - Treysa
und Rosenstein - Rotenburg zwei
stimmungsvolle Gemälde überreichen; Herr Neuhaus - Fritzlar
sandte namens der 'Freien Vereinigung' eine gehaltvolle Adresse. Außerdem
waren noch eine größere Anzahl von schriftlichen und telegraphischen
Beglückwünschungen eingegangen. Auf ausdrücklichen Wunsch der Schulaufsichtsbehörde
wird der verdiente Lehrer erst nach beendigtem Kriege in den Ruhestand
treten." |
Anmerkung: der genannte Sohn von Abraham
Flörsheim war der 1883 in Wolfhagen geborene Julius Flörsheim.
Dieser war bis 1938 im städtischen Schuldienst in Frankfurt, ab 1939
Leiter der Flersheim-Sichel-Stiftung (Frankfurt). Er wurde im Oktober 1941
nach Litzmannstadt (= Lodz) deportiert und ist umgekommen. |
Zum Tod von Lehrer i.R. Abraham Flörsheim
(1925)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16. Juli
1925: "Kassel, 12. Juli (1925). In fast vollendetem 80.
Lebensjahre verschied im Krankenhause zu Frankfurt am Main der bei seinem
Sohne, Oberlehrer Flörsheim, in Frankfurt zu Besuch weilende Lehrer i.R.
Abraham Flörsheim. Bis zu seiner Pensionierung vor wenigen Jahren wirkte
er in reichem Segen an der israelitischen Volksschule in Wolfhagen
seit 1873. Durch sein friedliches Wesen und seine edle Gesinnung genoss er
dort die größte Achtung und Sympathie in allen Schichten der
Bevölkerung. Nachdem er in den Ruhestand getreten war, lebte er in
hiesiger Stadt." |
|
Artikel
in "Jüdisch-liberale Zeitung" vom 24. Juli 1925: "Kassel. Im 80. Lebensjahr
verstarb der seit seiner Zurruhesetzung hier lebende emeritierte Lehrer A.
Flörsheim, einer der heute immer seltener werdenden Lehrerveteranen. 46
Jahre hat der Verstorbene in Wolfhagen, vorher auch in
Korbach (Waldeck) mit
großem Segen gewirkt und durch sein leutseliges und allzeit zuvorkommendes Wesen überall Freunde gefunden. Seltene körperliche und
geistige Frische haben den beliebten alten Herrn bis vor kurzem
ausgezeichnet. Während eines Aufenthaltes bei seinen Kindern in Frankfurt
ist er im dortigen Krankenhause verstorben und daselbst auf dem
israelitischen Friedhof zur letzten Ruhe gebettet worden. Namens der
israelitischen Lehrerkonferenz Hessens, der der Verewigte als eins seiner
ältesten und eifrigsten Mitglieder angehörte, gab Lehrer Ganz,
Niederaula, der
Trauer um den Verlust des wackeren Berufsgenossen beredten Ausdruck. "
|
Berichte
aus dem jüdischen Gemeinde- und Vereinsleben
Ergebnis einer Kollekte in der
Gemeinde (1893)
Mitteilung in "Der Israelit" vom 9. November 1893: "Wolfhagen, Bezirk
Kassel. Durch Lehrer Flörsheim, Challah-Geld von nachgenannten Frauen: Flora Reichhardt
1.50, Rika Kron 0.80, Hannchen Kann 3, Mich. Wertheim
0.50, M.Winterberg Witwe 0.50, Rosa Katzenberg 0.75, Sophie Reichhard
0.50, Rickchen Möllerich 0.75, Speier Weißenbach 0.75, Franziska
Flörsheim 2, Moses Wertheim 0.50, zusammen abzüglich Porto 11.30 Mark,
wovon je 1.50 Mark M'S und B'Ch." |
Versammlung des "Central-Vereins"
(1910)
Anmerkung: zum Central-Verein vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Central-Verein_deutscher_Staatsbürger_jüdischen_Glaubens
Artikel
in der Zeitschrift "Im deutschen Reich" vom April 1910 S. 338: "In
Wolfhagen, Bezirk Kassel, hat am 6. März für die Gemeinden des
betreffenden Kreises einschließlich der benachbarten Gemeinde mein Pressen
eine Central-Vereinsversammlung stattgefunden, die sehr gut besucht
war, und der Vertreter der Gemeinden Breuna,
Zierenberg,
Volkmarsen,
Naumburg und
Meimbressen beiwohnten. Der in dieser
Versammlung von Herrn Rechtsanwalt Dr. Katzenstein aus Kassel gehaltene
Vortrag: 'Die deutschen Juden und der Central-Verein deutscher
Staatsbürger jüdischen Glaubens' fand lebhaften Beifall. 29 Anwesende
erklärten sofort ihren Beitritt zum Central-Verein, und die Vertreter der
auswärtigen Gemeinden versprachen, in ihren Gemeinden für den Anschluss an
den Verein zu werben und in ihren Wohnorten selbst als Vertrauensmänner
wirken zu wollen." |
85-jähriges Bestehen der Frauenchewro (Frauenverein)
und 25-jähriges Jubiläum von Rosa Katzenberg als erste Vorsteherin (1930)
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 5. Dezember 1930: "Wolfhagen.
Am Sonntag, den 30. November, feierte die hiesige Frauenchewro ein
Doppeljubiläum. Es waren 85 Jahre seit ihrer Gründung verflossen, und 25
Jahre waren es her, seit Frau Rosa Katzenberg als erste Vorsteherin
den Verein führt. Im festlich geschmückten Saale fand ein Essen statt,
an dem zirka 80 Personen teilnahmen. Der Sitz der Vorsitzenden war reich
mit Blumen geschmückt. Nachdem Frau Katzenberg die Anwesenden, besonders
die von auswärts erschienenen Gäste, aufs herzlichste begrüßt hatte,
hielt Herr Lehrer Katzenstein die Festrede. Er gab zunächst einen
Überblick über den geschichtlichen Werdegang des Vereins, sprach über
die Aufgaben und Ziele desselben - über Gmilus Chesed (=
Wohltätigkeit) - und wie der Verein in der langen Zeit seines Bestehens
diese Aufgaben in der richtigen Weise ausgeführt hat. Sodann gedachte er
der toten Vorsteherinnen und Mitglieder und feierte die Verdienste der
Jubilarin, den Müttern und Großmüttern nachzustreben, das Erbe zu
erhalten und weiter auszubauen, schloss der Vortragende seine mit großem
Beifall aufgenommenen Ausführungen. Es folgten nunmehr einige
wohlgelungene theatralische Aufführungen der Schuljugend sowie des
Jugendbundes, die alle herzlichen Beifall fanden. Herr Kaufmann (Zierenberg)
wünschte dem Verein noch weiteres Blühen und Gedeihen und dankte im
Namen der auswärtigen Gäste für den genussreichen Abend. Herr
Kreisvorsteher Möllerich dankte allen, die zum Gelingen der Veranstaltung
beigetragen, in wohlgelungenen Versen. Ein gemütliches Tänzchen, wozu
die Kapelle Gelonka (Kassel) die Musik stellte, hielt die Teilnehmer noch
lange bis nach Mitternacht zusammen." |
Berichte
zu einzelnen Personen aus der Gemeinde
Zum Tod von Levi Möllerich in
Niederelsungen (1894)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. Januar 1894: "Wolfhagen,
2. Januar (1894). Von einem herben Schicksalsschlag wurde die in unserem
Nachbarorte Nieder-Elsungen wohnhafte, bei Juden und
Christen sehr angesehene und beliebte Familie Levi Möllerich betroffen.
Am gestrigen Tage sollte nämlich die Hochzeit des jüngsten Sohnes
stattfinden. Aber des Psalmisten Wort: 'Vom Ewigen werden des Mannes
Schritte festgestellt...' (Psalm 37,23) hat sich hier bewahrheiten
sollen, der Freudentag wurde gar plötzlich in einen Tag des bittersten
Leides und der tiefsten Trauer verwandelt, denn der 74-jährige geliebte
Vater hauchte nach nur eintägiger Krankheit am Tage vor der Hochzeit
seines Sohnes seine reine, gottergebene Seele aus. Einige Stunden vor
seinem Tode ließ er sich noch das Sefer Hachajim (sc. Gebet- und
Erbauungsbuch) geben und sagte in Demut und Ergebenheit die Pflichtgebete,
denn von bangen Ahnungen war sein Herz bewegt. Wessen Auge könnte bei
solchen herben Schicksalsschlägen frei von Tränen bleiben. Ist es doch
ein frommer, vollkommener und rechter Mann in des Wortes schönster
Bedeutung, der uns entrissen worden, ein Mann, der keine Kosten und Mühen
gescheut, wenn es galt, etwas für Gott und seine heilige Religion zu tun.
Und was er den Armen gewesen, das vermögen nur sie selbst zu schildern.
Aber dafür hat sich auch an ihm des Sängers Wort erfüllt 'Siehe,
also ist der Mann gesegnet, der den Ewigen fürchtet' (Psalm 128,4),
indem ihm nämlich das Glück zuteil worden, mit acht Söhnen und einer
Tochter, die er zu echten Jehudim erzog und die stets sein Stolz
und seine Freude waren, beschenkt zu werden. Irdische Güter wurden ihm
reichlich zuteil, sodass er nie mit Sorgen zu kämpfen hatte, und sein
Name ist ein geehrter und geachteter bei allen, die mit ihm in Verbindung
standen. Sein Haus war offen für Wohlfahrt in der weitgehendsten
Weise, indem er von einer wackeren Frau im wahrsten Sinne des
Wortes hierbei unterstützt wurde. - Am Grabe ergriff in Vertretung
der Herrn Rabbinern, Herr Lehrer Wertheim aus Volkmarsen
das Wort, um in beredter Weise das gottgefällige Leben und Wirken der
Verstorbenen zu schildern. Dass ihm dies in der besten Weise gelungen,
bewies die Rührung, die alle Anwesenden bei seinen Ausführungen ergriff.
Nach ihm hielt sodann sein zweitjüngster Sohn, der aus dem entfernten Gailingen
(Baden), woselbst er an der dortigen Handelsschule als Sprachlehrer
wirkt, herbeigeeilt war, um mit seinen sämtlich anwesenden Geschwistern
den großen Verlust zu beklagen, eine tief ergreifende Rede. Er sprach mit
tränenerstickter Stimme von dem schönen Familienleben seines Vaters, von
seinem religiösen Wirken und gedachte der Freude seines seligen
Vaters - das Gedenken an den Gerechten ist zum Segen - das
einige Band der Liebe und Einigkeit, welches alle seine Kinder stets
umschlungen. Er erwähnte, dass das (Psalmwort 133,1) Siehe, wie schön
und lieblich ist's, wenn Brüder zusammenwohnen selten in einer
Familie so sehr zur Geltung gelangt sei, wie bei ihnen. Sodann forderte er
seine Brüder auf, sich am Grabe des geliebten Vaters im Geiste die Hand
zu reichen zum feierlichen Gelöbnis auch ferner, nachdem ihnen die Krone
ihrer Familie entrissen, stets einig und friedfertig weiter zu leben. Er
schloss seine Rede mit der Ermahnung, das Andenken des teuren
Entschlafenen dadurch zu ehren, dass sie in den Wegen desselben weiter
wandeln. Kein Auge blieb bei dieser Rede tränenleer. Dasselbe beobachtete
man, als am Schabbat die acht Söhne in der Synagoge vortraten, um
das Kaddisch vorzutragen. - Wohl ist uns der Besten einer entrissen
worden, aber oben, wo die Gerechten um Gottes Thron versammelt sind, wird
auch er weilen, auf seine Familie herabblicken, sie beschützen und gro0en
Lohn für seine guten Taten erhalten. 'Er macht verschwinden den Tod
für immer, und es löscht Gott, der Herr die Träne von jeglichem
Angesicht" (Jesaja 25,8)". |
Zehn Jahre vor der NS-Zeit: unschuldige jüdische
Einwohner in Wolfhagen werden verleumdet und angegriffen (1924)
Artikel
in der "CV-Zeitung" (Zeitschrift des
"Central-Vereins") vom 7. Februar 1924: "Das Ende
folgenschwerer Verleumdungen.
Unschuldige jüdische Angeklagte in Wolfhagen.
Vor der ordentlichen Strafkammer des Landgerichts Kassel fand am 30. und
31. Januar ein Prozess gegen 21 Einwohner aus Wolfhagen /Bezirk Kassel)
statt, die angeklagt waren, am 22. und 23. September 1923 Mitglieder der
Jungdeutschen Ordens bei einer Zusammenkunft in Wolfhagen überfallen und
verprügelt zu haben. Die Anklage lautete bei achtzehn Beschuldigten auf
schweren Landfriedensbruch, bei drei Beschuldigten auf Anstiftung hierzu.
Die Verhandlung hat deshalb über Wolfhagen hinaus größtes Interesse
für die deutsche Judenheit, weil ihr Verlauf die Verlogenheit der
Judenhetze symptomatisch beleuchtete. Unter den Angeklagten befanden sich
auch fünf jüdische Einwohner aus Wolfhagen.
Zweien, die verurteilt wurden, war vorgeworfen (Moses Block [nicht:
Moses Bloch] und seinem,
nach dem eidlichen Gutachten des Kreisarztes geistig minderwertigen Sohn Julius), durch ermutigende Zurufe ('Nur fest drauf' usw.) zu der Straftat
als Rädelsführer aufgereizt zu haben. Den Mitgliedern der jüdischen
Gemeinde, Kreisvorsteher Moritz Möllerich, Abraham Katzenstein und Samuel
Klebe, hatte man zur Last gelegt, durch Geschenke (Schnaps) und Zureden zu
der Straftat angestiftet zu haben.
Seit den Vorfällen im September war ein regelrechter Boykott gegen die
jüdischen Einwohner in Wolfhagen bemerkbar, der sich in nächtlichen
Überfällen, im Beschmieren jüdischer Häuser mit Hakenkreuzen,
Einschlagen von Fenstern, Beschädigung von Gartenzäunen und vor allem in
einem ausgesprochenen Lieferungsstreik nichtjüdischer Gewerbetreibender
und Landwirte zeigte. Sogar der Ausschluss des Kaufmanns Möllerich aus
dem örtlichen Bürgerverein, dem er seit seiner Gründung angehörte, war
wegen des durch die angebliche Anstiftung zu dem Landfriedensbruch
'bewiesenen' unwürdigen Verhaltens Möllerichs verlangt worden - und dies
alles, obwohl die drei Genannten ständig ihre Unschuld beteuerten und
sich niemand in den vier Monaten vor der Verhandlung gefunden hatte, der
ihre Beteiligung an der Straftat aus eigener Kenntnis bestätigen konnte.
In der Hauptverhandlung wurde festgestellt, dass die Anzeige gegen
Möllerich, Katzenstein und Klebe jeder Grundlage entbehrte. Der
vernichtenden Kritik, die ihre Verteidiger, Rechtsanwälte Dr. Kugelmann
(Kassel) und Dr. Marx (Frankfurt) an der Wahrheitsliebe der Mitglieder des
Jungdeutschen Ordens Wolfhagen und Umgebung übten, schloss sich das
Gericht bei der Begründung des freisprechenden Urteils an. Selbst der
Staatsanwalt hatte die Freisprechung beantragt. Der Vorsitzende erklärte
wörtlich:
'Bei Möllerich, Katzenstein und Klebe ist auch nicht der Schimmer
eines Beweises dafür erbracht, dass sie sich irgendwie an den Vorgängen
beteiligt haben. Es ist nicht hervorgetreten, dass sie irgendwie versucht
haben, die kommunistische Partei oder andere Leute dazu zu missbrauchen,
jungen Leuten, die ihnen religiös und politisch feindlich gesinnt sind,
eins auszuwischen. Es ist eine unglückselige Eigenschaft der Deutschen,
dass sie verallgemeinern. Wenn irgend etwas passiert bei einem, der einer
bestimmten politischen Richtung oder Konfession angehört, dann heißt es
immer: die Konfession oder die Parteirichtung. So ist des geschehen, dass
die Hetze ganz zu Unrecht getrieben wurde. So sind die Vorgänge gegen die
Juden in Wolfhagen, die das Gericht aufs lebhafteste bedauert,
psychologisch zu erklären. Der Freispruch erfolgt nicht wegen Mangels an
Beweisen, sondern, wie das Gericht nochmals besonders betont, weil die
Angeklagten tatsächlich unschuldig sind. Durch diese Erklärung
werden sich die Verhältnisse in Wolfhagen hoffentlich wieder
regeln.' Möge dieser Freispruch Verleumdern eine Warnung sein. Die zu Unrecht
Beschuldigten werden, nachdem das Gericht gesprochen hat, gegen neue
Verleumdungen rücksichtslos vorgehen." |
|
Artikel
in der "Jüdisch-liberalen Zeitung" vom 28. August 1925: "Wolfhagen.
(Ein erfreulicher Freispruch). 23 jüdische Einwohner unseres Ortes
waren angeklagt, vor etwa zwei Jahren Mitglieder des Jungdeutschen Ordens
überfallen und verprügelt zu haben. Wegen schweren Landfriedensbruchs hatten
sich 18 Bewohner und wegen Anstiftung hierzu vier weitere Mitglieder der
jüdischen Gemeinde vor Gericht zu verantworten. Drei Beschuldigte wurden von
der Strafkammer in Kassel freigesprochen, weil nach den Worten des
Vorsitzenden in der Urteilsbegründung auch nicht der Schimmer eines Beweises
in der Verhandlung erbracht worden sei. Auch bei der vierten Angeklagten,
Frau Paula Giesberg, die seinerzeit wegen Krankheit nicht vor Gericht
erscheinen konnte, gegen die daher erst kürzlich verhandelt wurde, stellte
sich nicht der geringste Anhaltspunkt einer Schuld heraus. Vielmehr wurde
vom Gericht ermittelt und betont, dass Frau Giesberg erst einige Stunden
nach dem Vorfall von den Geschehnissen Kunde erhielt. Es erfolgte daher auch
in diesem Falle kostenlose Freisprechung. Die Gerichtskosten hat die
Staatskasse zu tragen. Rechtsanwalt Dr. Marx, Frankfurt, hatte die
Verteidigung aller Angeklagten übernommen. Bei der stark antisemitischen
Einstellung der hiesigen Einwohnerschaft ist der mit der Rehabilitierung
alle jüdischen Angeklagten beschlossene Prozess mit großer Genugtuung zu
begrüßen. " |
|
Artikel in "Der Israelit" vom 27. August 1925: "Kassel, 15.
August. Wie erinnerlich, fand Ende Januar 1925 vor der Strafkammer in Kassel
ein Prozess gegen 21 Einwohner aus Wolfhagen Bezirk Kassel statt, die
angeklagt waren, im September 1923 Mitglieder des Jungdeutschen-Ordens
überfallen und verprügelt zu haben. Die Anlage lautete damals bei 18
Beschuldigten auf schweren Landfriedensbruch, bei vier Beschuldigten auf
Anstiftung hierzu. Von diesen vier Angeklagten, sämtlich Juden waren damals
drei freigesprochen worden, wobei der Vorsitzende in der Urteilsbegründung
ausdrücklich hervorgehoben, dass für die Schuld dieser drei jüdischen
Angeklagten auch nicht der Schimmer eines Beweises in Verhandlung erbracht
worden sei, und dass die Freisprechung nicht wegen Mangel an Beweisen
erfolgt, sondern weil die Angeklagten tatsächlich unschuldig seien. Das
Verfahren gegen die vierte Angeklagte, Frau Paula Giesberg aus
Wolfhagen, Bezirk Kassel, war damals abgetrennt worden, da Frau Giesberg
wegen Krankheit am Erscheinen verhindert war. Am 10. August dieses Jahres
fand nunmehr die Verhandlung gegen Frau Giesberg statt, die wie bei den
bereits freigesprochenen Angeklagten auch nicht den geringsten Anhaltspunkt
für Beteiligung an der Schlägerei ergab. Ja, es wurde festgestellt, dass
Frau Giesberg überhaupt erst einige Stunden nach dem Vorfall von der ganzen
Angelegenheit erfahren hatte. Die Verhandlung gegen sie endete infolgedessen
ebenfalls mit Freisprechung unter Überbürdung der Kosten auf die
Staatskasse. Die Verteidigung hatte wie in den früheren Prozessen
Rechtsanwalt Dr. Marx Frankfurt am Main übernommen."
|
Eisernes Kreuz für den
Kriegseinsatz von Berthold Block (1914)
Anmerkung: vgl. zu Berthold Block unten die Verlobungsanzeige von 1928.
Mitteilung
in "Dr. Bloch's österreichische Wochenschrift" vom 18. Dezember 1914: "Wolfhagen,
Bezirk Kassel. Musketier Berthold Block, im Infanterieregiment '83,
Radfahrer, Befehlsempfänger beim 1. Bataillonsstab." |
Zum Tod von Kreisvorsteher Meier Reichhardt (1927)
Anmerkung: Meier (auch Meyer, Mayer) Reichhardt ist am 11. Juli 1853 in
Wolfhagen als Sohn von Lazarus Reichhardt und seiner Frau Rosa geboren. Über
die Familie und die Verwandtschaft von Meier Reichhardt siehe als Ausgang die
Angaben zu Meyer Reichhardt in geni.com mit von dort ausgehenden Links zu
anderen Personen: https://www.geni.com/people/Meyer-Reichhardt/6000000017878463315
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 28. Januar 1927: "Wolfhagen. Unser Kreisvorsteher
Meier Reichhardt ist leider entschlafen. Mit ihm ist ein Mann
dahingegangen, der viele Jahre sich in vorbildlicher Weise dem jüdischen
Gemeindewesen widmete. Von 1902 bis 1913 war er Gemeindeältester, von
letzterem Jahre bis zu seinem Tode Kreisvorsteher. Er war allezeit darauf
bedacht, den Frieden in den Gemeinden seines Bezirks zu erhalten. Sein
versöhnliches Wesen, seine Arbeitskraft, sein Wirken und Schaffen werden
ihm ein dauerndes Andenken sichern." |
|
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 4. Februar 1927: "Wolfhagen. Meier
Reichhardt seligen Angedenkens. Wie schon in der letzten Nummer dieser
Zeitung von amtlicher Stelle gemeldet wurde, ist unser Kreisvorsteher
Meier Reichhardt gestorben. Sein Tod bedeutet nicht nur für die Witwe,
mit der er eine 47jährige harmonische Ehe führte, einen großen Verlust,
sondern auch für die ganze Gemeinde, die um ihn trauert. 'Ein Stück
Gemeinde geht mit ihm dahin', hörte man in den letzten Tagen von so
vielen Wolfhagern sagen, und dieser Satz spiegelt die wahre Stimmung
wider. Denn dass Meier Reichhardt für die Gemeinde und ihre Einrichtungen
wirkte, dass er sich für die Erhaltung ihrer Institutionen mit Erfolg
einsetzte, dass er im Gotteshaus in selbstloser Weise wirkte, das alles
war ihm Herzensbedürfnis. Er war ein aufrechter, aus tiefstem
Herzensgrund frommer Jehudi, der aufs genauste nach der alten Tradition
lebte. Bis in seine letzten Tage war er stets erster und letzter in der
Synagoge, wo er in würdiger und andächtiger Haltung verharrte. Lange
Jahre war er unser Bal tokea (= Schofarbläser an den hohen
Feiertagen) und mit ihm verlieren wir auch unseren letzten Levi, an denen
unsere früher so große Gemeinde seit Jahrhunderten keinen Mangel hatte.
Sein Leben und wirken war ein Segen; sein Andenken wird in der Gemeinde
stets in Ehren gehalten werden. 'Das Andenken des Gerechten sei zum
Segen'! Ktz. (= Lehrer Katzenstein)". |
|
Artikel in "Jüdisch-liberale Zeitung" vom 4. Februar 1927: "Wolfhagen.
(Tod des Kreisvorstehers). Im 74. Lebensjahre starb das als
Kreisvorsteher für die religiösen Interessen des Bezirks eifrig tätige
Mitglied unserer Gemeinde, Meier Reichhardt. Der Heimgegangene
erfreute sich in allen Kreisen der Bevölkerung großer Wertschätzung, was
auch die letzten Freitag stattgefundene Beisetzung bestätigte. "
|
Moritz Möllerich wird neuer Kreisvorsteher (1927)
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 25. März 1927: "Wolfhagen. An Stelle
des verstorbenen Kreisvorstehers Meier Reichhardt wurde am Mittwoch von
den Synagogenvorstehern des Kreises der seit 1912 amtierende
Gemeindeälteste Moritz Möllerich aus Wolfhagen einstimmig
zum Kreisvorsteher gewählt. Auch der Vater des Herrn Möllerich ist hier
Gemeindeältester und Kreisvorsteher gewesen." |
|
Artikel
in "Jüdisch-liberale Zeitung" vom 8. April 1927: "Wolfhagen.
(Neuer Kreisvorsteher). Für den kürzlich verstorbenen Kreisvorsteher M.
Reichhardt ist der seit 1912 Uhr hier an der Spitze der Gemeinde stehende
Herr Moritz Möllerich von den Synagogenältesten des Kreises einstimmig zum
Kreisvorsteher gewählt worden. Auch der Vater des Genannten hat das Amt des
Gemeindeältesten und Kreisvorstehers begleitet." |
70. Geburtstag von Adelheid Gutheim (1928)
Mitteilung
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 13. September 1928: "Wolfhagen,
2. September (1928). Ihren 70. Geburtstag beging hier Adelheid
Gutheim." |
Salomon Kron feiert sein 25-jähriges Jubiläum als
Gemeindeältester (1930)
Anmerkung: ausführlich zur Familie Salomon Kron aus Wolfhagen siehe im Buch
von E. Ernst (2016) S. 170-177. Salomon Kron (geb. 9.11.1869 als Sohn von
Abraham Kron und Rika geb. Dannenbaum) war verheiratet (seit 1901) mit Emma
geb. Goldschmidt aus Hoof. Er war Inhaber
einer Manufakturwarengeschäftes in der Mittelstraße 26. Das Ehepaar hatte zwei
Kinder: Theodor (geb. 28. Juni 1902) und Charlotte (geb. 31.
Dezember 1903, gest. 20. November 1915). Emma Kron geb. Goldschmidt starb
bereits am 16. September 1927 im Krankenhaus in Kassel. Salomon Kron musste sein
Geschäft 1938 aufgeben, nachdem es beim Novemberpogrom 1938 geplündert und
verwüstet worden war. Er zog Ende November 1938 nach Kassel. Am 11. April 1941
wurde er in Kassel verhaftet und in das KZ Breitenau in Guxhagen gebracht. Bei
der Zwangsarbeit in der Landwirtschaft starb er - auf Grund einer Herzschwäche
- am 21. Juni 1941. Er wurde im jüdischen
Friedhof in Kassel-Bettenhausen beigesetzt. Sein in die USA emigrierter Sohn
Theodor ließ nach 1945 einen Grabstein
aufstellen.
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 26. September 1930: "Wolfhagen. Herr
Salomon Kron (nicht: A. Krohn, s.u.) begeht am 1. Oktober sein
25jähriges Gemeindeältestenjubiläum. Durch seine Erfahrung und seine
Tatkraft hat er sich um die Gemeinde große Verdienste erworben. Er ist
sowohl bei der jüdischen als auch bei der christlichen Bevölkerung sehr
geschätzt und beliebt. Wir sprechen wohl im Namen vieler, wenn wir ihm
noch eine lange Reihe glücklicher Jahre im Dienst der Gemeinde
wünschen." |
|
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 3. Oktober 1930: Wolfhagen. Am 1.
Oktober (1930). feierte Herr Salomon Kron - nicht A. Krohn, wie es
in der vorigen Nummer dieses Blattes hieß - sein 25jähriges Jubiläum
als Gemeindeältester. Der Jubilar ist der erste Gemeindeälteste von
Wolfhagen, der ununterbrochen 25 Jahre dieses Amt bekleidete. Welcher
Wertschätzung sich Herr Kron in der hiesigen Gemeinde sowie in der ganzen
Stadt erfreut, kam so recht bei der Feier zum Ausdruck. Eine aus den
ältesten Mitgliedern und dem Lehrer bestehende Abordnung überbrachte die
Glückwünsche der Gemeinde sowie einen silbernen Pokal mit Widmung. In
seiner Ansprache hob Herr Lehrer Katzenstein das selbstlose und
segensreiche Wirken des Jubilars für Synagoge, Gemeinde und Schule
hervor. Herr Kreisvorsteher Möllerich überreichte ein Diplom des
Kreisausschusses sowie ein Glückwunschschreiben des Landrats, der wegen
seiner Ferien am Erscheinen verhindert war. Herr Bürgermeister Kilian
gratulierte namens der Stadt und übergab im Auftrag des Magistrats eine
Chronik der Stadt Wolfhagen. Auch vom Vorsteheramt der Israeliten war ein
Glückwunschschreiben eingelaufen. Allen Gratulanten dankte Herr Kron für
die Aufmerksamkeiten. Möchte es ihm vergönnt sein, noch recht lange sein
Amt in gewohnter Weise zum Segen der Gemeinde verwalten zu
können." |
Anzeigen jüdischer Gewerbebetriebe und
Privatpersonen
Anzeige von Alexander Speyer-Ofenberg (1867)
Anzeige
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 12. November
1867: "Annonce. Ich suche eine israelitische Dame, gesetzten
Alters, welche befähigt ist, da ich 3 Meilen von der Stadt wohne, meinen
Kindern, unter Errichtung eines selbstständig zu führenden Haushaltes zu
Kassel, eine gute Erziehung zu geben. Neben diesem aber auch, da meine
Kinder die dortigen Schulen besuchen werden, wäre es erwünscht, wenn die
Dame den Kindern in ihren Schularbeiten mit an die Hand gehen
könnte.
Reflektantinnen wollen bis zum 15. Dezember dieses Jahres sich
schriftlichen wenden an Alexander Speyer-Ofenberg zu Wolfhagen bei
Kassel." |
Anzeige des Lohgerbers A. Lieberg
(1870)
Anzeige in "Allgemeine Zeitung des Judentums" vom 19. April 1870: "Ein
junger Mann aus achtbarer Familie, der die Lohgerberei erlernt hat und sich
weiter in dieser Brosche, sowie im Ein- und Verkauf des Lehrers auszubilden
wünscht, findet bei mir Engagement.
Wolfhagen bei Kassel. A. Lieberg, Lohgerber." |
Anzeige des Mode-Manufaktur-Warengeschäftes J. L.
Reichhardt (1893)
Anzeige
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 4. März 1873:
"In meinem
Mode-Manufaktur-Waren-Geschäft können sofort zwei Lehrlinge, welche die nötigen Schulkenntnisse
besitzen, Placement finden. - Selbstgeschriebene Offerten bitte an mich zu
richten.
Wolfhagen in Hessen, 12. Februar 1873. J. L. Reichhardt." |
M. Speyer-Ofenberg sucht für sein Manufaktur-, Buckskin-
und Kurzwarengeschäft einen Lehrling (1878)
Anmerkung: Auffallend ist, dass sowohl in der Anzeige von M. Speyer-Ofenberg wie
auch in der Anzeige von W. Möllerich (s.u. 1891) betont wird, dass die
Geschäfte an Sonn- und Festtage geschlossen haben. Sollten die beiden
Geschäfte am Schabbat offen gewesen sein?
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21. August 1878: "Lehrlingsgesuch.
Für mein Manufaktur-, Buckskin- und Kurzwaren-Geschäft suche einen
Lehrling. Kost und Logis im Hause. Sonn- und Festtage geschlossen. M.
Speyer Ofenberg, Wolfhagen bei
Kassel." |
Anzeige des Tuch- und
Manufakturengeschäftes Vorenberg & Lieberg (1881)
Anzeige
in "Der Israelit" vom 23. Februar 1881: "Für unser Tuch- und
Manufakturwarengeschäft suchen auf Ostern oder Probe. Sofort einen Lehrling.
Sabbat und Festtage geschlossen.
Vorenberg & Lieberg in Wolfhagen, Regierungsbezirk Kassel. " |
Verlobungsanzeige von Bertha Wertheim und Max Lehmann (1884)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21. Januar 1884: "Verlobungs-Anzeige.
Bertha Wertheim - Max Lehmann.
Wolfhagen bei Kassel. Verden (Hannover) im Januar
1884." |
Anzeige des Schuhgeschäftes Moses
Kann (1884)
Anmerkung: es ist auffallend, dass an Sonn- und Feiertagen und nicht an
Sabbat und Feiertagen geschlossen ist, vermutlich ein liberal gesonnener
Inhaber.
Anzeige
in "Der Israelit" vom 21. Juli 1884: "Ein israelitischer
Schumachergehilfe, der gute Arbeit verfertigen kann, kann dauernde
Beschäftigung auf sogleich bekommen, wo Sonn- und Feiertage geschlossen, im
Schuhgeschäft bei
Moses Kann, Wolfhagen, Regierungsbezirk Kassel. " |
W. Möllerich sucht für seine Kolonial-, Kurz- und Eisenwarenhandlung einen
Verkäufer (1891)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20. Juli 1891: "Verkäufer
gesucht!
Suche für meine Kolonial-, Kurz- und Eisenwarenhandlung, verbunden
mit Frucht, Branntwein, Dielen und Farben, einen in diesen Branchen
routinierten Verkäufer.
Derselbe muss mit den Büchern vertraut sein und zuweilen kleine
Landtouren unternehmen können.
Das Geschäft ist an Sonn- und Festtagen streng geschlossen.
Reflektanten belieben ihre Zeugnisabschriften, Photographie nebst
Gehaltsansprüche, bei freier Kost und Wohnung im Hause, baldmöglichst an
den Unterzeichneten zu dirigieren.
W. Möllerich, Wolfhagen, Regierungsbezirk
Kassel." |
Anzeige des Manufakturgeschäftes M.
Hiersteiner (1893)
Anmerkung: auch bei M. Hiersteiner scheint (wie oben bei Moses Kann) das
Geschäft an Sonn- und Feiertagen und nicht an Sabbat und Feiertagen geschlossen
zu sein.
Anzeige in "Der Israelit" vom 31. März 1893: "Suche
per bald für mein Sonn- und Feiertags geschlossenes Manufaktur-Geschäft
einen Lehrling aus achtbarer Familie. Kost und Logis im Haus.
M. Hiersteiner, Wolfhagen (Regierungsbezirk Kassel)." |
Jacob Reichhardt II. sucht eine Haushälterin (1898)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. September 1898: "Suche
zur Führung meines kleinen Haushalts alsbald eine israelitische Haushälterin.
Offerten unter Angabe der Ansprüche bitte an mich gelangen zu
lassen.
Jacob Reichhardt II,
Wolfhagen, Regierungsbezirk
Kassel." |
Anzeige von Joseph Meyerhoff (1927)
Anzeige in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 4. Oktober 1927:
"Empfehle zum Einkellern Ia gelbe Industrie-Speisekartoffeln.
Für gesunde trockene Ware wird garantiert. Bestellungen erbittet
Joseph Meyerhoff, Wolfhagen." |
Verlobungsanzeige für Ruth Meyer und Berthold Block
(1928)
Anmerkung: nach dem Buch von Ernst Klein 2016 S. 66ff war Berthold Block
(Sohn von Moses Block) Uhrmachermeister und betrieb ein Geschäft in der
Mittelgasse in Wolfhagen.
Anzeige in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 22. Februar 1929:
"Ruth Meyer - Berthold Block Verlobte.
Soest in Westfalen Februar 1929 Wolfhagen
Zu Hause Sonntag, den 3. März". |
Kennkarte
aus der NS-Zeit |
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Am 23. Juli 1938 wurde
durch den Reichsminister des Innern für bestimmte Gruppen von
Staatsangehörigen des Deutschen Reiches die Kennkartenpflicht
eingeführt. Die Kennkarten jüdischer Personen waren mit einem großen
Buchstaben "J" gekennzeichnet. Wer als "jüdisch"
galt, hatte das Reichsgesetzblatt vom 14. November 1935 ("Erste
Verordnung zum Reichsbürgergesetz") bestimmt.
Hinweis: für die nachfolgenden Kennkarten ist die Quelle: Zentralarchiv
zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland: Bestände:
Personenstandsregister: Archivaliensammlung Frankfurt: Abteilung IV:
Kennkarten, Mainz 1939" http://www.uni-heidelberg.de/institute/sonst/aj/STANDREG/FFM1/117-152.htm.
Anfragen bitte gegebenenfalls an zentralarchiv@uni-hd.de |
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Kennkarte
der in Wolfhagen geborenen
Lina Katz geb. Reichhardt |
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Kennkarte (Erbach 1939)
für Lina Katz geb. Reichhardt (geb. 8. Oktober 1882 in Wolfhagen),
wohnhaft in Michelstadt
und Mainz; am 25. März 1942 deportiert ab Mainz - Darmstadt in das
Ghetto Piaski, umgekommen
Zur Geschichte der Tochter Doris Katz siehe die in der Literaturliste
genannten Beiträge. |
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Zur Geschichte der Synagoge
Eine erste - 1777 eingerichtete - Synagoge
(die alte "Judenschule") stand in der Schützeberger Straße 35. Sie
wurde bis zur Einweihung der neuen Synagoge 1859 verwendet und wenig später
abgebrochen. 1858/59 wurde eine neue Synagoge erbaut. Dazu erwarb die
jüdische Gemeinde ein 6,72 ar großes Grundstück von der Tochter des 1852
verstorbenen Stadtkämmerers Johannes Winter. Die neue Synagoge hatte eine
Größe von 17,70 m mal 14,35 m und war in Sandstein ausgeführt. Über ihre
Einweihung am 26. Oktober 1859 liegt folgender Bericht vor:
Zur Einweihung der neuen Synagoge (1859)
Anmerkung: Teils sehr kritischer Bericht eines Besuchers der
Einweihungsfeier.
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 14. November 1859: "Wolfhagen
in Kurhessen, im Oktober (1859). Die Synagogeneinweihung zu Wolfhagen,
einem Kreisstädtchen in Niederhessen, rief am 26. Oktober eine nicht
geringe Anzahl Glaubensgenossen aus den angrenzenden Ortschaften zu einer
herrlichen Feier in dem unter bedeutenden Geldopfern neu erbauten
prachtvollen Gotteshause zusammen, und niemand mag es unbefriedigt
verlassen haben, indem der Chorgesang, von sechszehn Mädchen- und fast
ebenso vielen Männerstimmen unter der Leitung des Herrn Musikus Euler in
Begleitung eines Orchesters ausgeführt, allein schon genügte, um das
schöne Fest noch lange in Erinnerung zu erhalten, wenn man erwägt, dass
eine jüdische Jugend es ist, der doch erst seit einigen Dezennien die
Pflege des Kunstsinnes vergönnt wurde, Meisterwerke wie den Chor aus der
Schöpfung von Haydn, das Hallelujah von Händel, Chorgesang aus Judas
Maccabäus, in einer jüdischen Synagoge meisterhaft, ja bezaubernd
aufzuführen. Aber auch die beiden Reden, gehalten von Herrn Dr. Adler,
Landrabbiner zu Kassel, können in ihrer anschaulichen Darstellungsweise,
gegriffen aus dem Synagogenleben, nicht ohne nachhaltige Belehrung
geblieben sein. In der alten Synagoge mahnte der Redner |
in
der Betrachtung über 'die letzte Versammlung' an die Nichtigkeit des
Menschen, der dem alten Gotteshause gleich in Staub zerfalle, so der Geist
aus ihm scheide, wie jenes nur Holz und Stein noch ist, nachdem der Geist
den Betenden es verlassen; sodann an die Nichtigkeit des menschlichen
Besitztums ohne die Tora, gleich dem alten Gotteshause, das seinen Wert
nur in den Torarollen habe, den es aber verliere, so diese daraus entfernt
seien. In 'der ersten Versammlung' in der neuen Synagoge wusste der Redner
dem Aufruf-Ritual recht sinnige Bedeutung zu geben, indem er dasselbe für
das Leben fruchtbar zu machen suchte: Wie wir dem Rufe zur Tora folgten,
sollten wir draußen im Leben folgen, wenn die Pflicht uns ruft; wie wir
beim Aufrufen den Segen empfingen, sollten wir draußen selbst zum Segen
werden; wie wir die Tora hoch und fest hielten mit den Händen, so sollten
wir sie draußen hoch und fest mit unserem Herzen halten, und ähnliche Anwendungen,
wodurch der Vortrag fasslich und beherzigend wurde, ohne gerade etwas
Großes und Universelles in sich zu tragen. Nur schade, dass der sonst so
aufrichtige Mann sich hier an der heiligen Stätte zum Werkzeug der
Schmeichelei musste brauchen lassen, wider alle innere Überzeugung zu
loben, zu segnen, zu feiern da, wo er mit Rücksicht auf die Zustände der
Juden Kurhessens, zumal der in Wolfhagen, zu segnen durchaus keine Ursache
vorhanden ist. Heil uns Israeliten Preußens, dass unsere Gebete für
Regent und Volk, für Vaterland und Vaterstadt aus dem tiefen Grunde
unserer Herzen zum Himmel steigen können! - Von Staatsbehörden habe ich
da den Herrn Landrat und den Herrn Steuerinspektor anwesend gesehen. Beide
Männer schienen mir von dem judengehässigen Geiste frei zu sein, der
dort so handgreiflich aus allen Fenstern schaut und in der entschiedenen
Ablehnung von jederlei Teilnahme seitens der Stadtbehörden und
Geistlichkeit seinen vollsten Ausdruck gefunden. Welcher Abstich doch
gegen Beverungen, das zur Verherrlichung der dortigen
Synagogen-Einweihungsfeier alle Glocken läuten ließ. - Sollten aber die
Ursache dieser traurigen Spaltung auch in Euch liegen, meine jüdischen
Glaubensgenossen, so lasst Euch von dieser Erscheinung aufrütteln, und
strebt aus Euch heraus nach einer bessern Stellung zu ringen.
Unangenehm hat mich ein Umstand berührt, der |
dem
festlichen Tone des sonst so wohlgeordneten Zuges Abbruch getan. Es war
die schlaue Spekulation mit Einlasskarten für 10 Sgr. per Stück. Zwei
handfeste Mitglieder vom Komitee hatten sich am Eingange des Gotteshauses
aufgestellt und wie eine geharnischte Brustwehr jeden zurückgedrängt,
der kein Billet aufzeigen konnte. Das war in einer reichen Gemeinde eine
feine Bettelei, die unverkennbar einer erhabenen, religiösen Handlung zur
Verherrlichung Gottes einen theatralischen Stempel, den Charakter eines
Schauspiels aufdrücken musste." |
|
Erhalten ist zur Einweihung auch die Festschrift:
Die letzte Versammlung im alten und die erste Versammlung im neuen
Gotteshause. Zwei Vorträge vor und zur Einweihung der neuen Synagoge zu
Wolfhagen am 28. Tischri (26. Oktober 1859) gehalten von Dr. L. Adler,
Kurfürstlich Hessischer Landrabbine. (Auf besonderes Verlangen des
Gemeinde-Vorstandes herausgegeben). Kassel 1859. Online
eingestellt (pdf-Datei; Archiv E. Klein). |
|
Mitteilung
in "Hebräische Bibliographie" vom Juli-August 1860 S. 65: "Adler, L.
Die letzte Versammlung im alten und die erste Versammlung im neuen
Gotteshause, zwei Vorträge vor und zur Einweihung der neuen Synagoge zu
Wolfhagen, 28. Tischri 5620 (26. Oktober 1859). 8. Cassel, Dr. von Gebr.
Gotthelf [1859] (22.S.)." |
1909 konnte das 50-jährige Bestehen der
Synagoge gefeiert werden. Zuvor war das Gebäude "gänzlich renoviert"
worden:
50-jähriges Jubiläum der Synagoge (1909)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4. November 1909: "Wolfhagen,
24. Oktober (1909). Die Synagogengemeinde feierte am verflossenen Sonntag
das 50-jährige Jubiläum des Bestehens ihrer Synagoge. Es hatten sich zu
dieser Feier auch eine große Anzahl auswärtige Gäste, meist geborene
Wolfhager, eingefunden. In der gänzlich renovierten und schön
geschmückten Synagoge fand unter Anwesenheit der Vertreter der Regierung
aus Kassel ein Festgottesdienst statt." |
Im Juli 1926 wurde eine Gedenktafel für die drei
Gefallenen der jüdischen Gemeinde (siehe oben) in der Synagoge
eingeweiht.
Einweihung der Gefallenengedenktafel in der Synagoge
(1926)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 22. Juli 1926: "Wolfhagen,
15. Juli (1926). Die hiesige Gemeinde hat in der Synagoge für ihre im
Weltkriege gefallenen Heldensöhne eine Gedenktafel anbringen lassen, die
am Sonntag feierlich eingeweiht wurde. Nach dem Minchohgebet leitete Herr
Klebe, der Vorsitzende der Kreisgruppe des Reichsbundes jüdischer
Fronsoldaten die Gedenkfeier ein und übergab die Tafel der Obhut der
Gemeinde. Herr Gemeindeältester Möllerich übernahm die Tafel mit Dank.
An der Hand der Tafelinschrift: 'Wie sind die Helden gefallen', hielt Herr
Lehrer Katzenstein, hier, in warmen Worten die Weiherede. Dann sprach Herr
Lehrer Bacher aus Kassel über Leben und Sterben der Gefallenen
anschließend an das Prophetenwort: 'Auf der Warte stand ich immerfort am
Tage, und auf einem Posten weilte ich alle Nächte.' Die eindrucksvolle
Feier schloss mit dem hebräischen Seelengedächtnisgebet und dem von den
Mitgliedern des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten gemeinsam
gesprochenen Kadisch". |
In der NS-Zeit wurde es für die
jüdische Gemeinde zunehmend schwierig, Gottesdienste in der Synagoge
abzuhalten. Durch die Zerstörung der Fenster und Teilen der Inneneinrichtung
des Gebäudes mussten die Gottesdienste bereits kurz nach 1933 in das
jüdische Schulgebäude Gerichtsstraße 3 verlegt werden; hier befanden sich
dann auch alle rituellen Gegenstände. Zum 1. November 1938 wurde das
Grundstück der Synagoge mit dem Gebäude an den unmittelbaren Nachbarn
Metzgermeister Waßmuth (Mittelstraße 17) verkauft. Ein Kaufvertrag von 6.000.-
RM für das Grundstück und 600.- RM für die Inneneinrichtung (ohne die 1926
eingeweihte Gefallenengedenktafel, die Gebotstafeln und Leuchtergehänge) wurde
notariell vereinbart (datiert auf den 27. Oktober 1938 zwischen Kaufmann Salomon
Kron von der israelitischen Gemeinde und Metzgermeister Waßmuth und seiner
Frau). Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge trotz des erfolgten
Besitzerwechsels durch die SS-Leute aus Arolsen unter Beteiligung Wolfhagener
Bürger (und Bürgerinnen) zerstört und niedergebrannt (vgl. oben). Die
Brandruine wurde später abgebrochen, noch brauchbare Sandsteine wurden
abgefahren, um damit eine geplante Schule am "Rosengarten" zu bauen. Auf
Grund der Zerstörung des Gebäudes und des zu beseitigenden Brandschuttes wurde
der Verkaufswert des Grundstückes reduziert, sodass Metzgermeister Waßmuth
1939 nur 2.000.- RM zu bezahlen hatte. Beim Restitutionsverfahren 1949 waren auf
Grund der Vereinbarung mit der JRSO (Jewish Restitution Successor Organization)
durch Metzgermeister Waßmuth 3.000.- RM für das Grundstück
nachzuzahlen.
Das zu den Gottesdiensten in der jüdischen Schule gebrachte Synagogeninventar
(Torarollen und weitere rituelle Gegenstände und Bücher) wurde beim
Novemberpogrom 1938 aus den Fenstern des Schulhauses auf die Straße geworfen
und dort angezündet.
Verkauf der Synagoge (1938)
Mitteilung
in der "Niederhessischen Zeitung" vom 10. November 1938 (rechte
Spalte): "Wolfhagen... Die hiesige Synagoge ging durch Kauf in
den Besitz des Metzgermeisters Ludwig Waßmuth über".
Anmerkung: die Mitteilung bezog sich auf den zum 1. November 1938
vollzogenen Verkauf des Gebäudes. |
Das Synagogengrundstück blieb bis 1957 unbebaut. 1964
bis 1976 entstand hier ein Neubau des "Konsum" (Coop).
Auf Grund einer Initiative einiger Bürgerinnen und Bürger wurde im Frühjahr 1993
ein kleiner Gedenkstein am Synagogengrundstück errichtet. Die Inschrift
lautete: "Hier stand die Synagoge von Wolfhagen, gebaut 1859,
niedergebrannt 10.11.1938". Nach der Neubebauung des Synagogengrundstückes
wurde 1998 durch den Heimat- und Geschichtsverein eine neue Gedenktafel
angebracht mit dem Text: "Hier stand die Synagoge der jüdischen Gemeinde
von 1859 bis 1938. Durch Brandstiftung in der Pogromnacht vom 10.11.1938 wurde
sie zerstört. 1998 Heimat- und Geschichtsverein".
Adresse/Standort der Synagoge: Mittelstraße
15 (in der NS-Zeit hieß die Mittelstraße
"Adolf-Hitler-Straße")
Fotos
(Quelle: historisches Foto - Außenansicht Arnsberg Bilder S.
207; Innenansicht: Foto des Landesamtes für Denkmalpflege, 1928; publiziert: Außen- und Innenansicht bei Harold Hammer-Schenk
s. Lit.; Innenansicht
auch in: "Vertraut werden mit Fremdem". 2000 S. 35 s. Lit. bei Hofgeismar);
neuere Fotos: Hahn, Aufnahmedatum Juni
2008)
Erinnerungsarbeit
vor Ort - einzelne Berichte
November 2011:
Gedenkveranstaltung zum 9. November 1938:
siehe Bericht
und Fotos in der Website der Stadt Wolfhagen |
|
November 2012:
Gedenkveranstaltung zum 9. November 1938:
siehe Bericht
und Fotos in der Website der Stadt Wolfhagen.
Weiterer
Bericht in der Website der SPD Wolfhagen. |
|
November
2014: Gedenkveranstaltung zum 9.
November 1938 |
Artikel in
hna.de vom 10. November 2014: "Musik und Gedichte- Gedenkfeier der Stadt Wolfhagen zur Pogromnacht
Wolfhagen. Die Stadt Wolfhagen gedachte am Sonntagabend der Opfer und der schrecklichen Ereignisse während der sogenannten Reichspogromnacht. In der Nacht auf den 10. November 1938 wurden in Deutschland durch die Nationalsozialisten zahlreiche Synagogen, jüdische Geschäfte und Wohnhäuser zerstört..."
Link
zum Artikel |
|
Dezember 2015:
Eine Torarolle aus Wolfhagen
bleibt in der Marburger Synagoge erhalten |
Artikel in hna.de vom 3. Dezember
2015: "Ersatz in der Synagoge: Kostbare Wolfhager Thora wird nicht
begraben
Marburg/Wolfhagen. Die Thora der Wolfhager jüdischen Gemeinde überstand
die Nazi-Zeit in der Marburger Uni. Nach dem Krieg fand sie einen neuen
Platz in der dortigen Synagoge. Jetzt wurde sie durch eine neue ersetzt. Für
die Jüdische Gemeinde Marburgs hat das Ereignis historischen Charakter: Laut
singend, tanzend und klatschend haben mehr als 200 Marburger eine neue Thora
in die Synagoge gebracht. Das kostbare Buch ersetzt eine rund 170 Jahre alte
Thora, die ursprünglich zu der heute nicht mehr existierenden jüdischen
Gemeinde von Wolfhagen gehörte. 'In Wolfhagen gibt es aber keine jüdischen
Mitbürger mehr, denen man die alte Thora geben könnte' sagte Ernst Klein,
Vorsitzender des Arbeitskreises Rückblende - Gegen das Vergessen aus
Volkmarsen.
'In Wolfhagen gibt es aber keine jüdischen Mitbürger mehr, denen man die
alte Thora geben könnte.' Das kostbare Buch aus Wolfhagen hat die NS-Zeit
mit viel Glück überlebt: Unter dem Vorwand der wissenschaftlichen Recherche
wurde es gemeinsam mit rund 30 Thorarollen aus ganz Deutschland in der
Religionskundlichen Sammlung der Marburger Universität untergebracht. Nach
dem Zweiten Weltkrieg gingen die wertvollen Exemplare an die Gemeinde der
Displaced Persons in Marburg und von dort aus in die ganze Welt. Die
Wolfhager Thora gehörte zu den drei hebräischen Bibeln, die in Marburg
blieben. Ernst Klein weiß von jüdischen Zeitzeugen, dass im November 1938
während der Pogromnacht auch sakrale Gegenstände verschwunden seien. Laut
Zeitzeugen sei die Wolfhager Thora später von einem amerikanischen Soldaten
mitgenommen worden, der sie an die Marburger jüdische Gemeinde übergeben
habe. Sicher sei auf jeden Fall, dass die Thora tatsächlich aus Wolfhagen
stamme.
Am Friedhof entdeckt. Als der Israeli Amnon Orbach, der heute 85
Jahre alte Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, vor über 30 Jahren nach
Marburg kam, war er der einzige Jude in der Stadt. Die Liebe zu einer
deutschen Lehrerin hatte ihn nach Marburg verschlagen. Doch ein Leben ohne
Judentum konnte er sich nicht vorstellen. Deshalb suchte er nach Artefakten
der einst großen jüdischen Gemeinde Marburgs. Und er entdeckte drei
Thorarollen in einem Haus am jüdischen Friedhof. Zuordnen lässt sich nur die
Thora aus Wolfhagen.
Nicht mehr koscher. Längst ist sie an mehreren Stellen gerissen und
geflickt und an manchen Ecken kaum noch lesbar. Damit ist sie schon lange
nicht mehr koscher. Doch Amnon Orbach will sie nicht - wie im jüdischen
Ritus üblich - auf dem Friedhof begraben. Die alte Thora, die so viel erlebt
hat, ist ihm ans Herz gewachsen. Und seine Stellvertreterin Monika Bunk
ergänzt: 'Eine Rolle, die es geschafft hat, den Holocaust zu überstehen,
wollen wir nicht begraben.' Jetzt steht sie im Thoraschrank in der Marburger
Synagoge."
Link zum Artikel |
Links und Literatur
Links:
Quellen:
Hinweis
auf online einsehbare Familienregister der jüdischen Gemeinde Wolfhagen |
In der Website des Hessischen Hauptstaatsarchivs
(innerhalb Arcinsys Hessen) sind die erhaltenen Familienregister aus
hessischen jüdischen Gemeinden einsehbar:
Link zur Übersicht (nach Ortsalphabet) https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/llist?nodeid=g186590&page=1&reload=true&sorting=41
Zu Wolfhagen sind vorhanden (auf der jeweiligen Unterseite zur
Einsichtnahme weiter über "Digitalisate anzeigen"):
HHStAW 365,867 Gräberverzeichnis des jüdischen Friedhofs in Wolfhagen, aufgenommen im Juli 1938 durch Baruch Wormser aus Grebenstein, wohnhaft in Kassel,
Laufzeit: 1712-1723, 1795-1935 (1938)
Enthält: Bericht zur Geschichte des jüdischen Friedhofs mit Situationsplan,
hebräische und deutsche Grabinschriften mit Angaben zur Grablage https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v2719793
HHStAW, 365, 860 Trauregister der Juden von Wolfhagen 1825 - 1851
https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v4250857
HHStAW, 365, 857 Geburtsregister der Juden von Wolfhagen 1825 - 1852
https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v3031411
HHStAW, 365, 862 Sterberegister der Juden von Wolfhagen 1825 - 1852
https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v2126696
HHStAW, 365, 866 Sterberegister der Juden von Wolfhagen 1829 - 1936
https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v5493971
HHStAW, 365, 858 Geburts-, Trau- und Sterberegister der Juden von Wolfhagen 1837 - 1874
https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v1030596
HHStAW, 365, 861 Trauregister der Juden von Wolfhagen 1853 - 1898
https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v2379172
HHStAW, 365, 859 Geburtsregister der Juden von Wolfhagen 1853 - 1909
https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v4607237
HHStAW, 365, 863 Sterberegister der Juden von Wolfhagen 1853 - 1918
https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v2924765
HHStAW, 365, 868 Heiratsurkunden jüdischer Eheleute aus Wolfhagen und Abterode (3 Blatt) 1889 - 1892:
Heiratsurkunde der jüdischen Eheleute Salomon Kleeblatt aus Röhrenfurth
und Helene geb. Alexander aus Wolfhagen 1892, Heiratsurkunde der
jüdischen Eheleute Heinemann Loewenstein aus Iserlohn in Westfalen und
Bertha geb. Weilbrunn aus Abterode 1889 https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v1245495
HHStAW, 365, 864 Alphabetisches Namensverzeichnis von Juden aus Wolfhagen 1900 - 1900
https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v4250826
HHStAW, 365, 865 Alphabetisches Namensverzeichnis von Juden aus Wolfhagen
1900 - 1900 https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v4250827
|
Literatur:
| Umfassende Literaturhinweise siehe bei Michael
Dorhs [Zsst.]: Bibliographie zur Kultur und Sozialgeschichte der
Jüdinnen und Juden im Bereich der alten Landkreise Hofgeismar, Kassel,
Wolfhagen und in der Stadt Kassel. Ausführliche Zusammenstellung. 200 S.
Eingestellt als pdf-Datei (Stand
November 2023). |
| Germania Judaica Band I S. 486. |
| Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang -
Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. II S. 416-418. |
| ders.: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Bilder -
Dokumente. S. 207. |
| Harold Hammer-Schenk: Synagogen in Deutschland.
Geschichte einer Baugattung im 19. und 20. Jahrhundert. Bd. 2 1981 Abb.
136-137. |
| Thea Altaras: Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in
Hessen. Was geschah seit 1945 Teil II. 1994. S. 47.
Neuauflage der beiden Bände 2007² S. 144-145. |
| Studienkreis Deutscher Widerstand (Hg.):
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der
Verfolgung 1933-1945. Hessen II Regierungsbezirke Gießen und Kassel. 1995 S.
87-88. |
| Pinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish
Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume
III: Hesse - Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992
(hebräisch) S. 461-463. |
| Ernst Klein: Verschwundene Nachbarn - Verdrängte
Geschichte. Begleitbuch zur Dauerausstellung "Deutsch-jüdisches Leben
in unserer Region im Lauf der Jahrhunderte" in der Geschichtswerkstatt
Rückblende, Kasseler Straße 6 in Volkmarsen. ISBN 978-3-924259-11
17.50 €. |
| ders.:
"aber es ist besser als Butterbrot in D.". Lebenswege jüdischer
Kinder, Frauen und Männer aus Deutschland. Hrsg. Deutsch-Israelische
Gesellschaft e.V. Volkmarsen 2016. ISBN 978-3-981334-41-8.
Dazu Artikel in der "Waldeckischen Landeszeitung" vom 29.
November 2016 (Link
zum Artikel): "Neues Buch fasst Biografien von Überlebenden des Naziunrechts zusammen.
Unfassbare Lebensgeschichten.
Volkmarsen. Der seit drei Jahrzehnten engagierte Geschichtsforscher Ernst Klein hat ein neues Buch über die Lebenswege jüdischer Kinder, Frauen und Männer aus Vöhl, Volkmarsen und Kassel veröffentlicht.
Das 250 Seiten starke Werk enthält 40 Biografien von ehemals Verfolgten, mit denen Ernst Klein im Laufe seiner Recherchen für den Verein Rückblende - Gegen das
Vergessen' Kontakt aufgenommen hat. Sie erzählten ihm ihre Lebensgeschichte und er hielt sie fest - für die nächste Generation.
'Ich habe in den vergangenen Jahren die Erfahrung gemacht, dass sich unsere jüngere deutsche Geschichte am besten an junge Leute weitergeben lässt, wenn man die historischen Details an Personen und Orte festmachen kann.
Deshalb habe ich die Lebensgeschichten, die man mir erzählt hat,
aufgeschrieben.' Illustre Förderer Mit Familienfotos und Landkarten versehen, auf denen die unterschiedlichen Fluchtwege nachzuvollziehen sind, ist das neue Buch eine wertvolle Lektüre nicht nur für Schüler. Der ungewöhnliche Titel
'aber es ist besser als Butterbrot in D.' entstammt einem Briefzitat von Ilse Lichtenstein.
Sie war unmittelbar nach den Novemberpogromen 1938 nach Holland geflohen. In einem Brief schrieb sie ihrer Großmutter über die Lage und vermied es seitdem den Ländernamen Deutschland zu verwenden. Ernst Kleins Buchveröffentlichung wurde vom Auswärtigen Amt und der deutsch-jüdischen Gesellschaft finanziert. Anstelle eines Honorars erbat sich Klein eine genügend große Anzahl von Exemplaren, um sie an Schulen in der Region zu verschenken.
Eines der Vorworte stammt von dem israelischen Politiker Moshe Meron, der sich seinerzeit auch für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen dem Staat Israel und Deutschland einsetzte. Ernst Klein wird am kommenden Sonntag, 4. Dezember, um 16 Uhr in den Räumen der Geschichtswerkstatt im Haus Dr. Bock an der Kasseler Straße aus seinem Buch lesen.
Das Buch wird gegen Spenden abgegeben. Die Einnahmen sind für ein Museumsprojekt bestimmt. Wer sich für das Buch interessiert, sollte sich per Mail an Ernst Klein wenden:
ErnstWKlein@web.de."
|
| Brigitte Diersch:
'Und dann
war sie weg...'. Das kurze Leben der Doris Katz. In: "gelurt". Jahrbuch für
Kultur und Geschichte 2010. Hg. von Kreisarchiv des Odenwaldkreises. Erbach
2009. S. 197-217. Online zugänglich: https://archive.is/LmKf4
Hinweis: Der Beitrag erschien auch als erweiterter Sonderdruck: "...wir
schaufeln ein Grab in den Lüften..." Das kurze Leben der Doris Katz
(2. November 1924 - 5. März 1943) Hessen - Holland - Sobibór. Erbach 2010
70 S. (siehe Abbildung links). dies.: Doris Katz und ihre Familie auf der Flucht vor dem Holocaust, In: "gelurt".
Odenwälder Jahrbuch für Kultur und Geschichte 2020. Erbach/Odenwald 2019 S.
39-52.
Online zugänglich (pdf-Datei).
Anmerkung: die Mutter von Doris Katz - Lina geb. Reichhardt - stammt aus
Wolfhagen (Tochter von Jakob Reichhardt und Sophie geb. Stern). Der ältere
Bruder von Lina war Otto Reichhardt (geb. 1878 in Wolfhagen) lebte seit 1910
in Michelstadt.
English: Brigitte Diersch: Doris Katz and her Family
between November-Pogrom 1938 and Emigration or Deportation. Translation into
English by the autor. December 2019. Supplement to: Das kurze Leben der
Doris Katz. Erbach 2010.
Eingestellt als
pdf-Datei. Vgl. auch
https://www.dokin.nl/deceased_children/doris-katz-born-2-nov-1924/. |
Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the
Holocaust".
First published in 2001 by NEW
YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad
Vashem Jerusalem, Israel.
Wolfhagen
Hesse-Nassau. After the slaying of 18 Jews in 1235, no community was organized
until the 17th century. Members opened a religious school in 1788 and dedicated
a new synagogue in 1859. The community numbered 258 (8 % of the total) in 1861
and was affiliated with the rabbinate of Kassel. Since Jews handled most of the
town's commerce, Nazi propaganda was able to foster latent antisemitism in the
1920s. On Kristallnacht (9-10 November 1938), townspeople helped SS
troops from Arolsen destroy the synagogue and loot Jewish property. The
burgomaster, dissociating himself from the 'vandalism', saw to it that stolen
cash and valuables were returned to their owners. By November 1939, however, the
remaining 70 jews had left. Eleven emigrated and about 30 perished in the
Holocaust.
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|