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Lugano (Kanton
Tessin, Schweiz)
Jüdische Geschichte / Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde
In Lugano besteht eine jüdische
Gemeinde (comunità israelita di Lugano) seit 1917; am 20. Mai
1918 wurde die Gemeinde als solche in das behördliche Register eingetragen. Zunächst gehörten ungefähr
60 (in 20 Familien) der in Lugano um 1920 zusammen etwa 100 jüdischen Personen
zur Gemeinde. Seit den 1930er-Jahren zogen in Lugano etliche jüdische Familien
aus Galizien und anderen Teilen Osteuropas zu. Nach 1945 kamen zahlreiche
Überlebende des Holocausts dazu. Vorübergehend lebten in Lugano über 1000
jüdische Personen. Nach Gründung des Staates Israel sind viele nach Israel
weitergezogen.
Die Zahl der jüdischen Einwohner der Stadt entwickelte sich wie folgt:
1870 noch keine jüdischen Einwohner, 1888 4, 1900 4, 1910 44, 1920 etwa 100,
1930 171, 1950 401, 1970 489, 1990 250, 2000 165 (Quelle: Historisches Lexikon
der Schweiz).
Um 1950 gehörten etwa 50 jüdische Familien zur jüdischen Gemeinde.
Prägende geistliche Persönlichkeit war damals der Rachower Rebbe Salmen
Friedmann (bzw. Rabbiner Eugen Schlomo Salmen Friedmann), der 1948 zum
Rabbiner der Gemeinde gewählt wurde. Unter ihm erfolgte die streng-orthodoxe,
chassidische Prägung der Gemeinde. 1952 wurde in Lugano eine orthodoxe
Talmudschule (Jeschiwa, Schweizerische Talmud-Hochschule) gegründet, die
1954 nach Luzern auf den Bramberg umzog (seit
1968 in einem Neubau in Kriens-Obernau).
An Einrichtungen bestand zunächst ein Betraum, seit 1959 eine Synagoge (s.u.), eine
Talmud- und Religionsschule,
ein rituelles Bad (im Synagogengebäude) und ein Friedhof (bereits seit 1918). Zur Besorgung religiöser Aufgaben der
Gemeinde war zeitweise ein eigener Lehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter
und Schochet tätig war (1921 wird Simon Schischa als Vorbeter und Lehrer
genannt; vgl. unten Ausschreibung der Stelle 1925 vermutlich nach dessen Weggang).
Bereits vor 1920 entstand ein erstes streng koscher betriebenes jüdisches Hotel,
das von Adolf Kempler betriebene Kurhotel und Restaurant 'Villa Federico' (siehe
Anzeigen unten). Dieses war für viele Jahre ein Mittelpunkt des jüdischen
Lebens in Lugano, in dem sich zu den Feiertagen zahlreiche Kurgäste aus der
ganzen Schweiz und anderen Ländern trafen (vgl. Bericht von 1931 zur Feier der
Pessachtage in Lugano, s.u.). In den 1960er- und 1970er-Jahren gab es sogar zwei
koscher geführte Hotels in Lugano, in denen sich jüdische Gäste aus der
ganzen Welt trafen. Auch im benachbarten Locarno gab es zeitweise eine koscher
geführte Pension. Derzeit gibt es kein Hotel mehr in jüdischem Besitz in
Lugano.
Nachfolger des oben genannten Rachower Rebbe Salmen Friedmann (gest. 1980) wurde
Rabbiner Ben Zion Rabinowicz (geb. 1935) von den Bialer Chassidim (vgl. Wikipedia-Artikel
Biala (Hasidic dynasty) mit biographischen Angaben zu
Rabbi Ben Zion Rabinowicz.
Liberale jüdische Gemeinde. Von 1968 bis in
die 1980er-Jahre bestand eine weitere jüdische Gemeinde, die liberal geprägte Associazone
Ebraico del Cantone Ticino. Ihr gehörten zeitweise über 70 Mitglieder an,
vor allem aus deutschsprachigen Ländern stammende Überlebende der
NS-Zeit.
Chabad-Gemeinde: seit 2009 besteht eine
Chabad-Außenstelle in Lugano unter dem aus New York stammenden Rabbiner
Yaakov Tzvi Kantor, der in enger Zusammenarbeit mit der orthodoxen Gemeinde
wirkt und in der Synagoge regelmäßig als Kantor fungiert. Auf Initiative der
Chabad besteht ein koscheres Lebensmittelgeschäft in der Stadt (Via
Lambertenghi 2).
Berichte aus der Geschichte der jüdischen
Gemeinde in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens
Allgemeine Gemeindebeschreibungen 1919
und 1921
Gemeindebeschreibung
im "Jüdischen Jahrbuch für die Schweiz", Jahrgang 1918 S. 258:
"Lugano.
Im Jahre 1917 wurde nach langen Bemühungen in Lugano, woselbst ca. 100
jüdische Personen wohnen, eine jüdische Gemeinde gegründet. die heute
bereits 20 Mitglieder mit 60 Seelen zählt. Der 5-gliedrige Vorstand
besteht aus: Isidor Rosenstein, Präsident; Adolf Kempler, Kassier und F.
Denneberg, Beisitzer.
Institutionen: Betsaal (Via Canova 10). - Rituelles Bad (Via Colle
6). - Die Errichtung eines jüdischen Friedhofes ist bei der hohen
Regierung beantragt." |
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Gemeindebeschreibung
im "Jüdischen Jahrbuch für die Schweiz", Jahrgang 1921 S. 182:
"Lugano. Die im Jahr 1917 gegründete Gemeinde wurde am 20.
Mai 1918 ins Register eingetragen. Sie zählt ca. 20 Mitglieder. Der
Vorstand besteht aus den Herren: A. Fraifeld, J. Rosenstein, W. Friedmann,
H. Schneider, L. Weil.
Institutionen: Betsaal (Via Nassa 25). - Rituelles Bad (Via Al
Colle 6). - Koscher Fleisch-Ausgabe. - Der Friedhof ist seiner Bestimmung
übergeben worden. - Vorbeter und Lehrer: Simon Schischa". |
Aus der Geschichte der
jüdischen Lehrer
Ausschreibung der Stelle des Religionslehrers / Vorbeters / Schochet
(1925)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 12. Februar
1925: "Die Israelitische Gemeinde in Lugano, Schweiz, sucht
zum baldigen Eintritt einen Schauchet, Vorbeter und Religionslehrer
bei Gehalt von Frs. 4000 im Jahr. Hohes Nebeneinkommen. Reflektanten, die
auf streng gesetzestreuem Boden stehen und von orthodoxen Rabbinern
Zeugnisse aufweisen können, belieben ihre Offerten einzureichen an die Comunita
Israelita, Lugano." |
Aus
der Geschichte jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen
Anzeigen der Pension A. Kempler beziehungsweise des Kurhotels und Restaurants Villa
Federico (Federigo, Inh. A. Kempler, 1916 / 1921)
Anzeige
im "Jüdischen Jahrbuch für die Schweiz", Jahrgang 1916 S.
225:
"Pension A. Kempler. Koscher
Lugano (Südschweiz) 15. September bis 15. Mai.
Schuls - Tarasp - Engadin. 1. Juni bis 15. September.
Näheres erbitte auf Informationswege." |
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Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. April
1922: "Lugano (Schweiz). Kurhotel und Restaurant Villa Federigo,
(Inh.: A. Kempler)
empfiehlt sich dem erholungsbedürftigen Publikum zu behaglichstem
Aufenthalt. Angenehme, luftige Wohnräume mit allem modernen Komfort.
Herrliche Lage. Vorzügliche Küche, mäßige Preise. Vorzügliche
Referenzen aus den ersten Kreisen der Orthodoxie aller Länger.
Anfragen erbittet der Besitzer A. Kempler."
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Pessachtage im Hotel in Lugano (1931)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 23. April 1931 (nur
teilweise abgeschrieben): "Festtage in Lugano.
Schwarz-Weiß. Durch endlose Schneefelder saust der Zug
Berlin-Zürich-Milano. Es sind die immerweißen 'Täler' der St. Gotthardt.
Ein Signal, und der Zug rutscht in schwarze Nacht hinein, die beinahe eine
halbe Stunde dauert. Wieder ein Pfiff und neue Schneefelder tun sich auf,
um schon nach einigen Minuten wieder in Nacht und Nichts überzugehen. So
dauert das Spiel zwischen Schwarz und Weiß eine ganze Weile. Es ist wie
ein Ringen, Wehen, aus denen das Neue geboren wird. Ein letzter schriller
Schrei der Lokomotive. und der Frühling ist geboren! Wir sind auf der
anderen Seite des St. Gotthard, und ein warmer italienischer Himmel hängt
über einer südlichen Vegetation, daran das Auge sich garnicht satt sehen
kann. In Minuten nur sind wir aus dem weißen Reich des Winters in ein
grünes Mailand gelangt, allwo alles im vollen Blühen steht. Bäume, die
wir nicht kennen, sind in weißes, gelbes und violettes Glockenkleid wie
in Brautgewand gehüllt. Die kleinen Stationen tragen italienische Namen,
die einsteigenden Menschen lärmen, lamentieren und lachen in Worten, die
wie die Bezeichnungen in den Klaviernotenheften klingen. Auch der stramme
Schweizer Schaffner, der in Zürich noch ein allerliebstes Schwizerdütsch
sprach, hat sich in einen Stockitaliener verwandelt und sagt 'Biletto!'
und 'Grazie!' Wir sind in Italien, noch im Lande Tells, aber unter dem
Himmel Mussolinis.
Lugano. Lugano streckt sich lachend zwischen dem San Salvatore und
Montebre, einem See entlang, der so blau ist wie die Adria und in
herrlichsten Windungen die Füße der schweizerischen und italienischen
Berge bespült, wie ein großer Palmengarten. Vom Hotel 'Federico'
aus (ebenso komfortabel wie rituell zuverlässig vom bekannten Hotelier
Kempler geführt), schauen wir zur Landungsstation, die, wie das ganze
Viertel, den Namen Paradiso trägt. Leuchtete dieses Wort nicht aus allen
Schildern und klänge es hier nicht aus jedem Munde, man würde von selber
in diesem Winkel, zwischen Hotel und Dampfer, am Ufer zwischen den
blühenden Palmen, Linden und Kastanien und dem blauen Wasser vor den
greifbar nahen Bergspitzen, auf das Wort Paradies kommen. Ja, Palmen, sie
machen das Bild von Lugano aus. Wo man hinschaut, im Garten, in den
Alleen, auf den Straßen, im Park, am wasser, oben auf der Höhe und unten
im Tale, überall schlanke, hohe Dattelpalmen, die Krone oben wie einen
japanischen Sonnenschirm zum Schutz vor der Wärme über den Kopf
ausgebreitet, der hohe knorrige Stamm in grüngrauen Werg gehüllt. Das
Thermometer zeigt schon am frühen Vormittag 28 Celsius...
...Auf der sonnigen Veranda trinken wir einen schwarzen Kaffee, und ein
anderer Ober, der bis dahin in Genf gearbeitet hatte, erzählt uns von
'seinen Beziehungen' zu Briand und Stresemann. Stresemann war der erste
Gentleman, denn er gab... Überhaupt die Deutschen! ...
Am Ufer stößt ein Uniformierter in die Posaune. Es gilt uns und dem Dampfer.
Auf der anderen Seite, im 'Paradiso' von Lugano, rüsten sich schon die
Menschen im Federico, die Königin Sabbat zu
empfangen.
Die Festgemeinde. Etwa hundert Wallfahrer halten ihr Pessachfest
auf Schweizerboden unter italienischem Himmel, im 'Federico'. Davon
kommen nur drei oder vier Familien aus Deutschland. Es soll am Sederabend
hoch hergegangen sein. Wir kamen erst zu den letzten Festtagen hinzu. Das
jüdische Leben in dieser internationalen Achttagegemeinde pulsiert so
frisch, wie es an einem Fest des Frühlings mitten im paradiesischen
Frühling des Südens nur pulsieren kann. Brave, biedere
Schweizerjuden, auch solche aus Elsass und Frankreich, sind glücklich, an
einem richtigen Festg'ttesdienst mit Heimatmelodien im Hotel teilnehmen zu
können. Sie freuen sich mit dem schönen 'Jigdal' fast mehr als
mit der klaren Aussicht von Montebre ins liebliche Tal. Kempler hat der
Gemeinde mittags und abends eine Festtafel gedeckt, die bei aller
Großzügigkeit den intimen Familienzauber beibehält. Es brennen
Festlichter abends, und hebräische Melodien werden von der milden
Abendluft hinuntergetragen bis zum 'Paradiso', wo wimpelbehangene und
lampionbesäte Motorboote mit Sang und Klang auf dem blauen Wasser
schaukeln.
Ausklang. Alles lacht, der See, der Himmel, die Menschen, die Blüten an
den Bäumen und die Vögel in der Luft. Italienisch kann man nur
singend und lachend sprechen. Wir haben acht Tage lang kein Wort von Not
gehört. Hitler kennt keiner. Paradiso! ...
Nur nach Festausgang hörte und einen einsamen Seufzer, und Jemand sagte:
'Nun ist Jomtow (Feiertag) aus!...' Und ein anderer: 'Schwere
Zeiten!...' Das klang gut deutsch...
-tz." |
Anzeigen
jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen
Verlobungsanzeige von Rosa Galitzki und Ahron
Rothschild (1930)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
30. Mai 1930: "Statt Karten - mit Gottes Hilfe.
Rosa Galitzki - Ahron Rothschild.
Lugano - Frankfurt-Main Obermainanlage 19. 1. Siwan 5690 (=
28. Mai 1930)". |
Verlobungsanzeige und Hochzeitsanzeige
von Selma Kempler und Salomon Bollag (1933 / 1934)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 9. November
1933:
Selma Kempler - Salomon Bollag. Verlobte.
Lugano - November 1933 - Baden/Schweiz". |
|
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 26. April
1934:
Statt Karten - Gott sei gepriesen.
Selma Kempler - Salomon Bollag
zeigen hiermit ihre - so Gott will - am Lag BaOmer 3.
Mai (1934) in Lugano Hotel Villa Federico stattfindende Vermählung
an. Lugano Trauung
2 Uhr Baden." |
Zur Geschichte der Synagoge
Zunächst wurden die Gottesdienste der Gemeinde in Beträumen
abgehalten. 1916 war der Betraum in der Via Canova 10, 1921 in der
Via Nassa 25 (Obergeschoss über einem Restaurant).
Anfang der 1950er-Jahre plante die Gemeinde den Bau einer Synagoge. Mitte
der 1950er-Jahre konnte an der Via Maderno ein Grundstück mit einer bestehenden
Villa erworben werden. Der Bau der Synagoge in Einbeziehung des bestehender
Villa wurde nach den Plänen des Architekten Daniele Moroni Stampa (1893-1981)
1958 und 1959 durchgeführt. In der Villa selbst wurden Büros und ein
Schulzimmer eingebaut. Im neu erstellten Kubus wurden der Betsaal, die
Talmudschule (Bet Hamidrasch) und das rituelle Bad (Mikwe) untergebracht. Am 14.
Juni 1959 wurde die Synagoge feierlich
eingeweiht.
Ein schwerer Anschlag auf die Synagoge geschah
am 13./14. März 2005, als ein 58-jähriger im Tessin wohnhafter
Italiener eine mit Brennstoff gefüllte Flasche ins Untergeschoss des Gebäudes
warf. Der Brand richtete schwerste Schäden im Synagogengebäude und in einem
benachbarten Textilgeschäft an. Beim "stark vermindert
zurechnungsfähigen" Täter wurde von einem "irrationalen
Antisemitismus" ausgegangen.
Die durch den Anschlag beschädigte Synagoge konnte wieder renoviert werden und
ist bis zur Gegenwart Mittelpunkt des religiösen jüdischen Lebens in der
Stadt.
Adresse/Standort der Synagoge: Via Maderno 11
Hinweis: Adresse der Chabat Lugano e del Cantone di Ticino: Via Landriani 3 6900
Lugano Website www.JewishLugano.com
Fotos
(Quelle des Fotos: Seite
religionenschweiz.ch (Website des Religionswissenschaftlichen Seminars der
Universität Luzern); hier finden sich auch weitere Fotos von Edwin Egeter)
Links und Literatur
Links:
Literatur:
 | Ron
Epstein-Mil: Die Synagogen der Schweiz. Bauten zwischen Emanzipation, Assimilation und
Akkulturation.
Fotografien von Michael Richter
Beiträge zur Geschichte und Kultur der Juden in der Schweiz. Schriftenreihe des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds, Band 13.
2008. S. 237-239 (hier auch weitere Quellen und
Literatur). |
 | Presseartikel zum Brandanschlag auf die Synagoge in der
Blick.ch vom 14. März 2005 mit Fotos; Link
zum Presseartikel. |
 | Weiterer Presseartikel von Yved Kugelmann in JNS -
Israswiss: "Lugandorra und die Brandstifter": Link
zum Presseartikel |
 | Presseartikel von Peter Bollag in der
"Jüdischen Allgemeinen" vom 29. Januar 2009: "Das jüdische
Tessin. Wo die Schweiz Italien ist. Die charedische Orthodoxie prägt das
jüdische Tessin". Link
zum Presseartikel. |

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