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Groß-Gerau (Kreis Groß-Gerau)
Jüdische Geschichte / Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english
version)
In Groß-Gerau lebten Juden bereits im Mittelalter. Um 1339
erpresste Graf Wilhelm von Katzenelnbogen zehn Pfund Heller von ihnen. Bereits
damals soll es einen jüdischen Friedhof in der Stadt gegeben haben. 1401
gab es in der Stadt vier jüdische Steuerzahler, drei Männer und eine Frau. Von
ihnen wurden damals individuelle Abgaben ("Judengeld") gefordert. Ein
Haus wird um diese Zeit in der Stadt als "Judenhaus" ("des
iuden huß") bezeichnet.
Die Entstehung der neuzeitlichen Gemeinde geht in das 16./17. Jahrhundert zurück.
Von einer Synagoge hört man um 1620 (s.u.). 1663 waren mindestens drei jüdische
Familien in der Stadt. Genannt werden: Menle (ein 60-jähriger Krämer, seit 30
Jahren in Groß-Gerau, mit Frau und zwei Kindern), Isaak (ein 40jähriger Vieh-
und Fruchthändler mit Frau und 5 Kindern, sei 12 Jahren in der Stadt) sowie
Moses (Witwer mit drei Kindern, seit 10 Jahren in Groß-Gerau). Diese drei
Familien wurden damals vertrieben und verzogen nach Pfungstadt. 1696 werden drei
jüdische Familien in der Stadt genannt, von denen damals zwei ausgewiesen
wurden. Die jüdischen Familien lebten vom Vieh-, Pferde-, Leinwand- und
Spitzenhandel. Im 18. Jahrhundert stieg die Zahl der jüdischen Einwohner
an (1725 5 jüdische Familien, 1738 60 Personen, 1744 70 Personen, 1770 12
Familien). Auch die in Klein-Gerau und Wallerstädten
lebenden Juden gehörten zeitweise zur jüdischen Gemeinde in Groß-Gerau. Von
großer Bedeutung waren im 18./19. Jahrhundert die Viehmärkte in Groß-Gerau,
zu denen jüdische Viehhändler aus der Umgebung in die Stadt kamen.
Im 19. Jahrhundert stieg die Zahl der jüdischen Einwohner weiter an:
1829 45 jüdische Einwohner (3,8 % von insgesamt 1.719 Einwohnern), 1861 68 (2,8
% von insgesamt 2.426 Einwohnern), 1875 127, 1885 141 (4,1 % von 3.360), 1900
126 (2,8 % von 4.486), 1910 140 (2,5 % von 5.594 Einwohnern).
An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde eine Synagoge (s.u.), eine
Religionsschule, ein rituelles Bad und einen Friedhof. Zur Besorgung religiöser
Aufgaben der Gemeinde war ein Lehrer angestellt, der zugleich als
Vorbeter und Schochet tätig war (Ausschreibungen der Stelle siehe unten). Seit
der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts gehörte die Gemeinde dem liberalen Rabbinat
Darmstadt I ein, doch wurden die Gottesdienste nach orthodoxem Ritus abgehalten.
Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eröffneten die jüdischen
Familien zahlreiche Handlungen und Gewerbebetriebe, die für das wirtschaftliche
Leben in der Stadt von großer Bedeutung waren.
Im Ersten Weltkrieg fielen aus der jüdischen Gemeinde Wolf Kahn (geb.
1881 Hetschbach, gef. 21.7.1918 / vermisst), Friedrich (Fritz) Marx (geb.
17.8.1892 Groß Gerau, gef. 3.10.1918), Moritz Mayer (geb. 1.9.1884 Groß Gerau,
gef. 4.10.1914) und Sigismund Schott (geb. 10.8.1894 Groß Gerau, gef.
5.3.1915).
Um 1925, als zur Gemeinde etwa 200 Personen zählten (3,3 % von ca. 6.000
Einwohnern), gehörten dem Gemeindevorstand an: Adolf Oppenheimer, Heinrich
Hirsch und Jacob Gottschall. Als Kantor und Lehrer war Julius Rothschild
angestellt. Er erteilte auch den Religionsunterricht an den höheren Schulen.
Nach 1933 ist ein Großteil der jüdischen Gemeindeglieder (1933: 167
Personen) auf Grund der zunehmenden Entrechtung und der Repressalien weggezogen
beziehungsweise ausgewandert: 31 konnten auswandern, 96 sind bis zur teilweise möglichen
Auswanderung in andere Städte gezogen (Frankfurt, Mainz und Wiesbaden, von
denen sie teilweise deportiert wurden). Vermutlich letzter jüdischer Lehrer
der Gemeinde war von 1933 bis 1936 Carl Hartogsohn (geb. 1905 in Emden,
umgekommen nach der Deportation, weitere Informationen zu ihm auf der Seite zu Höchst
am Main). 1938/39 lebten noch etwa 30 jüdische Personen in der Stadt. Beim Novemberpogrom
1938 wurde die Synagoge zerstört (s.u.), jüdische Häuser beziehungsweise
Wohnungen geplündert und verwüstet (besonders das Haus des Gemeindevorstehers
Gustav Hirsch und das Haus der Familie Emil Marx). Nach entwürdigenden Aktionen
und Misshandlungen wurden die jüdischen Männer in das KZ Buchenwald gebracht.
Die verbliebenen Frauen und älteren Menschen lebten danach unter unmenschlichen
Verhältnissen in ihren verwüsteten Häusern, u.a. wurden ihnen am 14. November
die Gasleitungen abgestellt. Am 7. November 1940 lebte kein Jude mehr in der
Stadt.
Von den in Groß-Gerau geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von
Yad
Vashem, Jerusalem Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945", ergänzt durch Angaben aus Angelika Schleindl:
Verschwundene Nachbarn s. Lit.): Bertha Berney geb. Mayer (1889), Rosalie
Blatt geb. Hirsch (1882), Siegfried Blatt (1875), Klara Bodenheimer
geb. Mayer (1896), Siegfried Dahlerbruch (1911), Hulda (Hilda) Falkenstein geb.
Mart (1876), Gertrude Flörsheimer geb. Heitmann (1904),
Auguste Goldberger (1889), Motiz Goldberger (1878), Hermann Gottschall (1878),
Jakob Gottschall (1864), Adolf Guckenheimer (1877), Frieda Guthmann geb. Gerson
(1887), Jakob Guthmann (1869), Max (Marx) Guthmann (1877), Carl Hartogsohn (1905), Hedwig
Hertz geb. Oppenheimer (1905), Clara Herz geb. Strauss (1865), Erna Hirsch
(1910), Ferdinand Hirsch
(1875), Fritz Hirsch (1888), Ida Hirsch (1898), Jakob Hirsch (1880),
Julius Hirsch (1882), Lina Hirsch (1890), Recha Hirsch geb.
Mayer (1894), Sophie Hochstädter (1872), Armin Israel (1886), Salomon Israel (1879), Johanna Kahn
(1895), Leopold Kahn (1889), Minna Kahn geb. Guthmann (1881), Albert Kaufmann
(1883), Hedwig Kaufmann geb. May (1896), Julius (Isaak) Keller (1877, siehe
Kennkarte unten), Josephine
Kleeblatt geb. Hirsch (1874), Johanna Kossmann
geb. Mayer (1874), Betty Löwenstein geb. Hirsch (1884), Klara Mainzer geb. Hirsch
(1883), Else Mann geb. Kahn (1897), Inge(borg) Mann (1927), Max Mann (1894), Emil Marx
(1873), Hedwig Marx (1909), Jakob Marx (1883), Michael Marx (1873), Ferdinand Marxsohn (1869), Julius Mayer (1890),
Betty (Betti) Meyerhoff geb. Oppenheim (1868), Otto Nussbaum (1906), Johanna (Anna) Reis geb. Guckenheimer (1872),
Gertrude Rosenthal geb. Kahn (1911), Johanna
Schallmann geb. Marx (1871; Geburtsname nicht: Strauss), Markus Schott (1864), Mathilde Schott geb.
Guckenheimer (1877), Jacob Simon
(1856), Siegmund Strauß (1869), Jenny Wallach geb. Marxsohn (1874).
Am 16. November 2012 wurden in Groß-Gerau (vor dem Haus Darmstädter
Straße 10 / Ecke Sandböhl) erstmals "Stolpersteine" zur
Erinnerung an Mitglieder der Familie Kahn verlegt: für Leopold Kahn (1889) und
Johanna Kahn geb. Kahn (1895), die in Auschwitz ermordet wurden sowie für die
in die USA geflüchteten Personen Julius Kahn (1884), Frieda Kahn geb.
Flörsheimer (1891) und Karl Kahn (1915). Weitere Verfolgungen folgten in
den kommenden Jahren: Übersicht siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Groß-Gerau.
Persönlichkeiten:
| Arthur Kahn (1850 in Groß-Gerau
- 1928 in Berlin): Arzt und Schriftsteller. Wanderte nach Amerika aus; in
New York setzte er sich erfolgreich für die Errichtung eines Heine-Denkmals
ein. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland begründete er u.a. mehrere
Hilfswerke (Altershilfe Groß-Berlin; Hilfswerk für Ostjuden) und jüdische
Wohlfahrtseinrichtungen in Berlin. Er schrieb Novellen und Romane über das
Leben in jüdischen Kleingemeinden. |
| Wilhelm
Hammann (1897-1955, nicht jüdisch): Lehrer, ab 1927 KPD-Abgeordneter
im hessischen Landtag, 1933 verhaftet, 1935 Zuchthaus Rockenberg, dann KZ
Buchenwald; Angehöriger des illegalen internationalen Lagerkomitees. Als
Blockältester des Blockes 8 war er für 328 Kinder zuständig und konnte
durch sein mutiges Auftreten gegenüber der SS das Leben von 158 jüdischen
Kindern retten. Nach 1945 war Hammann erster Landrat des Kreises
Groß-Gerau. Wilhelm Hammann wurde als "Gerechter aus den
Nationen" durch Pflanzung eines Baumes in der Allee der Gerechten in
Yad Vashem, Jerusalem geehrt. In Groß-Gerau ist eine Straße nach ihm
benannt. Artikel
über Wilhelm Hammann (wikipedia) Quelle
des Fotos |
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus der Geschichte der
jüdischen Lehrer
Ausschreibungen der Stelle des Religionslehrers / Vorsängers / Schochet 1860 /
1861 / 1867 / 1868 / 1870 / 1876 / 1878 / 1907 / 1910
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 26. Dezember 1860:
"Vakanz. Die Stelle eines Religionslehrers, Vorbeters und
Schochet bei der hiesigen Gemeinde, mit welcher nebst freier Wohnung ein
Einkommen von circa 350 Gulden verbunden ist, wird zu Ostern vakant und
soll bis dahin wieder besetzt werden. Reflektierende belieben sich unter
Franco-Einsendung ihrer Zeugnisse an den Synagogen-Gemeinde-Vorstand zu
wenden. Groß-Gerau, den 14. Dezember 5621 (=1860/61)". |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2. Januar 1861:
"Vakanz. Die Stelle eines Religionslehrers, Vorbeters und
Schochet bei der hiesigen Gemeinde, mit welcher nebst freier Wohnung ein
Einkommen von circa 350 Gulden verbunden ist, wird zu Ostern vakant und
soll bis dahin wieder besetzt werden. Reflektierende belieben sich unter
Franko-Einsendung ihrer Zeugnisse an den Synagogen-Gemeinde-Vorstand zu
wenden. Groß-Gerau, den 14. Dezember 5621". |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. Mai 1867: "Lehrer
gesucht! In der israelitischen Gemeinde zu Groß-Gerau, Großherzogtum
Hessen, ist die Stelle eines Religionslehrers, Vorsängers und Schächters vakant. Fixer Gehalt 300 Gulden, Nebeneinkünfte 100-130 Gulden; freie Wohnung.
Befähigte Bewerber, die sich über Kenntnisse und religiösen Lebenswandel
ausweisen können, wollen sich in portofreien Briefen wenden an den
Israelitischen Vorstand." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25. November 1868:
"Lehrer-Stelle vakant! In der israelitischen Gemeinde zu
Groß-Gerau, Großherzogtum Hessen, ist die Stelle eines Religionslehrers,
Kantors und Schächters sofort zu besetzen; es wird namentlich auf einen
tüchtigen Religionslehrer reflektiert. Fixer Gehalt 400 Gulden; Nebenakzidenzien
inklusive Schechitah-Gebühren, belaufen sich auf mehr als 100 Taler. Sollte
Bewerber zugleich als Elementarlehrer fungieren können, so würde sich
sein Einkommen noch bedeutend besser stellen. Ein solcher brauchte nicht
Schächter zu sein, da ein dazu geeignetes Gemeindemitglied die
Schechitah-Funktionen gegen mäßige Vergütung übernehmen würde. - Nur
tüchtige und zum Unterrichten befähigte Lehrer wollen ihre Zeugnisse
baldigst einsenden an den Vorstand. Baruch Marxsohn." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 14. Dezember 1870:
"Die Stelle eines Religionslehrers, Vorsängers und Schächters in
der israelitischen Gemeinde Groß-Gerau, Großherzogtum Hessen, ist zum 1.
Januar 1871 zu besetzen. Fixer Gehalt 400 Gulden; Nebeneinkünfte circa
150 Gulden pro Jahr. Freie Wohnung; Vergütung für Heizung des
Schullokals. Reflektierende wollen sich wenden an den Vorstand B.
Marxsohn". |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 23. August 1876:
"Die Religionslehrer-, Vorbeter- und Schächterstelle zu Groß-Gerau
(Großherzogtum Hessen) ist vakant geworden und soll zum 1. Dezember
diesen Jahres wieder besetzt werden. Gehalt 1.028 Mark 57 Pfennig pro
Jahr, sowie ca. 500 Mark Nebenverdienste. Qualifizierte Bewerber wollen
unter Vorlage ihrer Zeugnisse an den unterzeichneten Vorstand sich wenden.
Groß-Gerau, den 18. August 1876. M. Marx." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 22. Mai 1878:
"In der israelitischen Gemeinde zu Groß-Gerau ist die Stelle eines
Religionslehrers, Chasan und Schochet bis zum 1. Dezember diesen Jahres zu
besetzen. Fixer Gehalt 1.000 Mark, Nebeneinkünfte 5-600 Mark. Meldungen
an den Vorstand." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 12. März 1891:
"Die Stelle eines Religionslehrers, Kantors und Schächters wird mit
dem 1. August dieses Jahres vakant. Fixes Gehalt per Jahr 1.000 Mark nebst
ca. 5-600 Mark Nebeneinkünften. Nur seminaristisch gebildete Lehrer
wollen sich beim unterzeichneten Vorstande melden. Groß-Geraus (Hessen).
Der Vorstand: Bernhard Hirsch." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21. März 1907:
"Die hiesige Kantor-, Religionslehrer- und Schächterstelle
ist am 1. Juni diesen Jahres zu besetzen. Gehalt mit Nebeneinkommen ca.
Mark 2.000. Seminaristische gebildete Bewerber wollen sich unter Einreichung
von Zeugnisabschriften beim Unterzeichneten melden.
(Groß-Gerau).
Der
Vorstand der israelitischen Religionsgemeinde
Adolf Oppenheimer." |
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Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 28. Oktober 1910:
"Aus der Lehrerwelt.
Frankfurt a Main. Vakanzen. Jacobsonschule in
Seesen Oberlehrer für neuere Sprachen und Deutsch per 1. April; Vorbeter,
Religionslehrer und Schächter in Groß-Gerau, Einkommen ca. 2.000
Mark." |
Zum Tod des Lehrers Neumann (1920; Lehrer in
Groß-Gerau vor 1900)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. März 1920: "Friedberg in
Hessen, 7. März (1920). Unsere Gemeinde hat einen schweren Verlust
erlitten. Am Heiligen Schabbat mit
der Toralesung Teruma starb in Frankfurt am Main infolge einer
Operation Herr Lehrer Neumann, der mehr als zwanzig Jahre die Funktionen
eines Lehrers, Kantors und Schochets hier ausgeübt hat. Schüler der Präparandenanstalt
zu Burgpreppach und des Seminars zu Köln war er nacheinander in
Lohrhaupten, Herborn, an der Israelitischen Religionsgesellschaft in Gießen,
in Reinheim, Groß-Gerau und schließlich dahier tätig. Überall wusste
er sich durch große Pflichttreue und Gewissenhaftigkeit die Zufriedenheit
der Gemeinden zu erwerben. An seinem Grabe sprachen Herr Rabbiner Dr.
Sander, Gießen, der besonders das Lehrgeschick des Verstorbenen
hervorhob, Herr Lehrer Ehrmann, dahier, für den ‚Unabhängigen Verein
israelitischer Lehrer Hessens’ und für den ‚Bund gesetzestreuer jüdischer
Lehrer Deutschlands’, denen der Verewigte angehört hatte, Herr Rektor
Philipps von der hiesigen Volksschule, das Vorstandsmitglied Herr
Ferdinand Krämer für die Gemeinde und Herr Studienassessor Ehrmann,
Frankfurt am Main, im Namen der Schüler. Möge sein Andenken ein
gesegnetes sein! Seine Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens." |
Carl Hartogsohn wechselt als Kantor und Lehrer nach
Höchst am Main (1936)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 23. Juli 1936:
"Aus der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main - Höchst. Die
trotz der vor einer Reihe von Jahren bereits erfolgten Eingemeindung
selbstständig gebliebene Jüdische Gemeinde Höchst
am Main, die ihre Synagoge und ihre anderen Einrichtungen den
Anforderungen des überlieferten Judentums gemäß aufrechterhält, hat,
nach der Pensionierung ihres bisherigen verdienstvollen Beamten, Herrn
Lehrer Levy, nunmehr Herrn Kantor und Lehrer Carl Hartogsohn, der
seit fast drei Jahren in Groß-Gerau (Hessen) amtiert, zu ihrem
Beamten gewählt. Herr Hartogsohn wird noch vor den Jomim Hanauroim (hohe
Feiertage) sein neues Amt antreten". |
Berichte aus
dem jüdischen Gemeinde- und Vereinsleben
Eine Antisemitenversammlung fand in Groß-Gerau statt
(1891)
Artikel in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 14. Mai 1891: "Groß-Gerau, 4.
Mai (1891). Die angekündigte Antisemiten- Versammlung fand heute
Nachmittag hier statt. In Ermangelung eines Lokals, denn kein Wirt hatte
seinen Saal für den Antisemitenhäuptling hergegeben, gab man sich in der
auf freiem Felde liegenden Dreschhalle Rendezvous (Anmerkung: Herr Böckel,
der sich in seinem ‚Reichsherold’, in dem der dümmste Quatsch auf das
Langweiligste breit getreten wird, über diese Versammlung anfänglich gründlich
ausschwieg, berichtet endlich am 12. Mai, dass die Versammlung so groß
gewesen sei, dass kein Lokal in Groß-Gerau sie hätte fassen können). Es
muss als eine Ironie des Schicksals bezeichnet werden, in einem Raum, der
sonst dem Dreschen des Strohs gewidmet ist, den Hetzapostel seine
Alltagsrede abwickeln zu sehen. Ab und zu wurde ihm von dem zahlreich
erschienenen Volk, das sich heute kein billigeres Vergnügen verschaffen
konnte, als Böckel’s Arena zu besuchen, wilder Beifall gezollt. Das
anständigere Publikum Groß-Geraus und der Umgegend blieb der Versammlung
fern. Der Inhalt der Rede erstreckte sich über alles Mögliche und Unmögliche.
Keine Partei blieb unverschont. Die Freizügigkeit, Gewerbefreiheit,
Konkursordnung, Zivilprozessordnung usw., alles wurde zitiert, um
vermittelst an den Haaren herbeigezogener Beispiele die falsche
Gesetzgebung zu beleuchten, die den Mittelstand untergräbt. Antisemiten-Häuptling
Böckel hält es für das beste Mittel, um dem geringen Stand aufzuhelfen,
die Konkursordnung umzugestalten. Redner vergisst wohlweislich anzugeben,
dass gerade im antisemitischen Lager in der letzten Zeit sich Bankrotteure
der schlimmsten Sorte produziert haben. Böckel gibt ferner seinem
Unwillen darüber Ausdruck, dass er in der jüngsten Donnerstagsitzung im
Reichstag, nachdem 5 Gegner gegen seine Partei gesprochen hätten, nicht
zu Wort habe kommen können. Wir hätten dem Reichstag das Vergnügen, den
Teutschesten aller Teutschen zu hören, nicht missgönnt. Das volle Maß
seines Zornes ergießt sich über das bürgerliche Gesetzbuch, das in
seiner jetzigen Fassung den völligen Ruin des Mittelstandes herbeiführen
muss. Nur schade, dass man an hoher Stelle die großen Kenntnisse Böckel’s
nicht zu würdigen weiß, sonst hätte man ihn doch in die Kommission wählen
müssen. Er spricht von dem Elende Italiens, von der Verjudung des
hessischen Landtags, von der in 1893 stattfindenden hessischen
Landtagswahl, von der Presse, und fordert schließlich die Versammelten
auf, sein Blatt zu unterstützen. Die ganze Rede war eine Aufhetzung der
hier friedlich nebeneinander wohnenden Konfessionen. Nicht wäre es zu
wundern, wenn sich die Exzesse wiederholen, wie in Windecken, so
man nach einer Versammlung die Grabsteine des jüdischen Friedhofs umriss.
Wie weit diese gemeinen Hetzereien führen, wird die Zukunft lehren. Aber
es wäre endlich an der Zeit, wenn diesem Treiben, das der hochselige
Kaiser Friedrich als eine Schmach des Jahrhunderts bezeichnete, ein Ende
bereitet würde." |
Generalversammlung der Chewro Kadischo
(Wohltätigkeits- und Bestattungsverein) und Einweihung der neuen Gemeindestube
(1934)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 1. März 1934:
"Groß-Gerau, 15. Februar (1934) (Anfang des Artikels
verkürzt wiedergegeben): "Am Rausch-Chaudesch Adar (vorabend
1. Adar = 15. Februar 1934) fand abends die Generalversammlung der
hiesigen Mitglieder der Chewro-Kadischo und gleichzeitig die
Einweihungs-Feier der neu hergerichteten Gemeindestube statt. Der
erste Gemeindevorsitzen, Herr Julius Kahn, übergab nach
einleitenden Worten das Gemeindezimmer seiner Bestimmung. Hierauf ergriff
der erste Vorsitzende der Chewro, Herr Markus Schott das Wort und
dankte allen Mitgliedern, die dazu beigetragen haben, dass dieses Zimmer
hergerichtet werden konnte. In großangelegtem Aufbau hielt unser Kantor
und Lehrer, Carl Hartogsohn, die Einweihungsrede und wies darauf
hin, dass der neu hergerichtete Raum nunmehr der Jugend Gelegenheit geben
werde, sich ganz besonders in echt jüdischem Sinne zu betätigen, vor
allem das jüdische Wissen zu verbreiten und zu vermehren. Die in allen
Teilen harmonisch verlaufene Feier hielt die Mitglieder noch bis zur
Mitternachtsstunde zusammen". |
Berichte zu
einzelnen Personen aus der Gemeinde
Antisemiten vor Gericht wegen Beleidigung des
Kaufmannes Julius Hirsch aus Groß-Gerau (1902)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 20. November 1902: "Darmstadt, 17. November (1902).
Heute hatten sich vor der Strafkammer Amtsrichter Dr. Mahr, Rechtsanwalt
Dr. Geßner, Oberrechnungsrevisor Reitzel, sämtlich aus Darmstadt, und Hofbuchhändler
Reitzel aus Cannstatt, wegen Beleidigung zu verantworten. Sie haben am
Abend des 7. August nach feucht-fröhlich verbrachten Stunden, auf der
Fahrt von Mainz nach Darmstadt, den zwanzigjährigen Kaufmann Julius
Hirsch auf Großgerau, gröblich beleidigt. Die Angeklagten, von denen
die Herren Dr. Mahr, Geßner und Oberrechnungsrevisor Reitzel als
Antisemiten bekannt sind, begrüßten den ihnen unsympathischen jüdischen
Reisegefährten bereits beim Eintritt in das Coupe mit Rufen wie: 'Es
riecht nach Knoblauch! Macht die Fenster auf!' Sodann fuhr einer der Viere
den Kläger an: 'Wie können Sie es wagen, bei uns einzusteigen, wir
wollen unter uns bleiben.' Da Hirsch trotzdem blieb, war er nunmehr
während der Fahrt bis Großgerau der Zielpunkt fortgesetzter
Beleidigungen, zumeist antisemitischer Natur. So wetzte Dr. Mahr ein
Messer an seiner Stiefelsohle und sagte dabei: 'Nun wollen wir einmal
anfangen, zu beschneiden; soll ich bei Dir /zum seinem Freunde gewandt)
oder bei dem Jüngling (Hirsch beginnen.' In der gleichen Tonart ging es
weiter und kurz vor Groß-Geraus meinte er: 'Was wird sich das Rebeckche
freue!' Hofbuchhändler Reitzel witzelte: 'Wie kann man sch als Germane
beschneiden lassen; ich hätte mich doch lieber umgebracht.' Der andere
Reitzel meinte: 'Er ist ja gar kein Germane, sondern ein Semite.'
Rechtsanwalt Dr. Geßner beteiligte sich zwar nicht an den antisemitischen
Redensarten der Übrigen, riet ihnen vielmehr ab, dafür aber drohte er
dem Hirsch, der empört ausrief, er werde die Herren in Groß-Gerau
feststellen lassen und zur Rechenschaft ziehen: 'Was wollen Sie denn
überhaupt, es hat Ihnen ja niemand etwas getan, gehen Sie her, ich werde
Ihnen einen Tritt versetzen.'
Hirsch verließ in Groß-Gerau in furchtbarer Aufregung weinend das Coupe
und veranlasste den Stationsvorsteher, die Sistierung seiner Peiniger auf
dem Bahnhof in Darmstadt vornehmen zu lassen. Das geschah auch auf
telephonisches Ansuchen.
Es konnte nicht in allen Punkten festgestellt werden, wer die
verschiedenen Beleidigungen ausgestoßen hatte, wohl aber ergab die
Beweisaufnahme, dass Mahr und die beiden Reitzel unter Mahrs Führung sich
an der eigenartigen Belustigung, die sie lediglich als Ausfluss eine
übermütigen Stimmung angesehen wissen wollten, beteiligt hatten,
während Dr. Geßner nur die oben erwähnte Äußerung zur Last fiel. Die
Angeklagten stellten mit Ausnahme des Dr. Mahr, der einige Beleidigungen
zugab, ihre Schuld in Abrede und ihre Verteidiger, in erster Linie der
Geheime Justizrat Dr. Osann, taten ihr Möglichstes, die eidlichen
Aussagen des Hauptbelastungszeugen Hirsch zu erschüttern. Dr. Osann
erlaubte sich dabei einige recht geschmacklose Redewendungen gegen die
Zeitung, die den 'unschuldigen' Vorgang ganz niederträchtig aufgebauscht
habe, um im Auftrag und Interesse der Juden eine strenge Bestrafung des
harmlosen Ulkes zu erzwingen.
Der Gerichtshof erachtete die Angaben des Hirsch, von einzelnen
belanglosen Widersprüchen abgesehen, für glaubwürdig und kam auf sie
hin zu einer Verurteilung der vier Angeklagten. Amtsrichter Dr. Mahr
erhielt als Rädelsführer eine Geldstraße von 150 Mark (15 Tage
Gefängnis), Rechtsanwalt Dr. Geßner 70 Mark (7 Tage Gefängnis),
Oberrechnungsrevisor Reitzel 70 Mark (7 Tage Gefängnis), Hochbuchhändler
Reitzel 50 Mark (5 Tage Gefängnis). Dazu wurden ihnen die Kosten des
Verfahrens einschließlich der dem als Nebenkläger auftretenden Julius
Hirsch erwachsenden notwendigen Auslagen auferlegt. Der Staatsanwalt - die
Klage war ex officio erhoben worden - hatte gegen Dr. Mahr 300 Mark, für
Dr. Geßner und die beiden Reitzel Freisprechung mangels Beweises beantragt.
Die Verhandlungen dauerten bei überfülltem Zuschauerraum über fünf Stunden
bis in den späten Nachmittag hinein.
Es gibt noch Richter in Hessen, aber leider ist ein großer Teil derselben
antisemitisch." |
|
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 28. November 1902:
Derselbe Bericht (wie oben) erschien auch in der "Allgemeinen Zeitung
des Judentums". |
Zum Tod von Marx Haas (1903)
Artikel in
der Zeitschrift 'Der Israelit' vom 10. Dezember 1903: "Groß-Gerau,
2. Dezember (1903). Heute wurde auf dem hiesigen Friedhofe die irdische Hülle
des nun in Gott ruhenden Herrn Marx Haas aus Frankfurt am Main dem dunklen
Schoße der Erde übergeben. Herr Haas war langjähriger, verdienstvoller
Präses der hiesigen Gemeinde, sowie erster Vorsteher des israelitischen
Friedhofsverbandes. In diesen beiden Eigenschaften hat er es stets
verstanden, die ihm anvertrauten Ehrenämter gewissenhaft und nach
streng-orthodoxen Prinzipien zu verwalten. Bereits vor zwei Jahren war der
Verblichene nach Frankfurt am Main übergesiedelt, um in der Familie
seines braven Sohnes seinen Lebensabend in gottgefälliger Weise zu
verbringen. Leider war ihm die Zeit in dem Kreise seiner Lieben nur kurz
bemessen; denn eine tückische Krankheit raffte ihn jäh hinweg. Der
Dahingegangene hatte überall durch seinen vortrefflichen Charakter und
durch sein liebenswürdiges Wesen lebhafte Sympathie und größte Wertschätzung
gefunden, wovon die große Teilnahme bei der Beerdigung beredtes Zeugnis
ablegte. An seiner Bahre sprach auch in diesem Sinne sein persönlicher
Freund, Herr Rabbiner
Dr. Marx – Darmstadt. Die guten Eigenschaften des Verblichenen
darstellend. Schilderte er denselben als wahren, frommen Jehudi, der im
Verein mit seiner ihm vor einigen Jahren im Tode vorausgegangenen Gattin
es verstanden, seinen einzigen Sohn auch zu einem braven, gesetzestreuen
Jehudi zu erziehen. S. Hofmann, Lehrer." |
Fabrikant Heinrich Hirsch wurde zum stellvertretenden
Bürgermeister ernannt (1919)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 14. Februar 1919: "In Groß-Gerau wurde, da der
Bürgermeister infolge hohen Alters von seinem Amte zurückgetreten ist,
Herr Fabrikant Heinrich Hirsch, seither unbesoldeter Beigeordneter,
zum stellvertretenden Bürgermeister ehrenamtlich ernannt. Dies ist gewiss
ein Zeichen der Wertschätzung, welche der Genannte bei seinen Mitbürgern
genießt, und ein Beweis der Eintracht und des friedlichen Nebeneinanderlebens der verschiedenen Konfessionen
daselbst." |
Kennkarte
aus der NS-Zeit für den in Groß-Gerau gebürtigen Isaak Keller |
|
Am 23. Juli 1938 wurde
durch den Reichsminister des Innern für bestimmte Gruppen von
Staatsangehörigen des Deutschen Reiches die Kennkartenpflicht
eingeführt. Die Kennkarten jüdischer Personen waren mit einem großen
Buchstaben "J" gekennzeichnet. Wer als "jüdisch"
galt, hatte das Reichsgesetzblatt vom 14. November 1935 ("Erste
Verordnung zum Reichsbürgergesetz") bestimmt.
Hinweis: für die nachfolgenden Kennkarten ist die Quelle: Zentralarchiv
zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland: Bestände:
Personenstandsregister: Archivaliensammlung Frankfurt: Abteilung IV:
Kennkarten, Mainz 1939" http://www.uni-heidelberg.de/institute/sonst/aj/STANDREG/FFM1/117-152.htm.
Anfragen bitte gegebenenfalls an zentralarchiv@uni-hd.de |
|
Kennkarte
für
Julius Isaak Keller (1877-1942) |
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Kennkarte (ausgestellt in
Frankfurt 1940) für Isaak Keller, geb. 26. Juli 1877 in Groß-Gerau,
später wohnhaft in Frankfurt am Main. Isaak bzw. Julius Isaak Keller
wurde vom 7. November 1941 bis 6. Mai 1942 im KZ Dachau inhaftiert. Am 6.
Mai 1942 wurde er in die Tötungsanstalt Hartheim verbracht und dort am
26. Juni 1942 ermordet. |
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Anzeigen
jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen
Anzeige der Wurstfabrik Hermann Gottschall (Klein-Gerau, 1935)
Anzeige
in der "Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung" vom 15.
April 1935:
"Wurstfabrik Hermann Gottschall.
Klein Gerau (Hessen).
Spezialität: Gerauer Landwurst.
Verlangen Sie bitte Preisliste. Stelle noch Wiederverkäufer
ein." |
Zur Geschichte der Synagoge
Eine erste Synagoge wird in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges (1620)
genannt. Sie stand zwischen den Häusern des Barbiers Georgen und des Glöckners
Philip Wolff und wurde im Krieg zerstört. Zu den Gottesdiensten kamen schon
damals auch die in der Umgebung lebenden Juden. Im Juli 1660 baten die
Juden der Stadt in einem Schreiben an Landgraf Georg II. darum, dass sie die
Synagoge wieder aufbauen könnten. Die Genehmigung wurde zunächst erteilt,
obwohl sich der evangelische Superintendent Fentzer dagegen aussprach.
Landgraf Ludwig VI. nahm 1662 die Erlaubnis zum Bau der Synagoge zurück und
vertrieb drei jüdische Familien aus Groß-Gerau (s.o.). Die in Groß-Gerau
verbliebenen Juden konnten erst 1665 wieder Gottesdienste im Haus des Jacob
Götschel abhalten, jedoch vorläufig keine Synagoge mehr bauen.
Erst 1738 erhielt die Judenschaft der Stadt die Erlaubnis, eine neue Synagoge zu errichten. Im Hof des Schutzjuden Ahron in der damaligen Schafstraße konnte sie gebaut werden. Mit Baumeister Johann Adam Lautenschläger wurde am 10. Februar 1738 ein Vertrag zum Bau der Synagoge abgeschlossen. Sie sollte etwa 11 mal 8 Meter groß werden. Von Seiten der Judenschaft unterschrieben den Vertrag Moses Ahron, Ahron Mortge und Sussmann Samuel. Der Baumeister erhielt nach dem Vertrag für seine Arbeiten 750 Gulden. Wann die Synagoge eingeweiht wurde, ist nicht bekannt.
Über 140 Jahre diente die um 1740 fertiggestellte Synagoge als religiöses Zentrum der jüdischen Gemeinde in Groß-Gerau. In den 1880er-Jahren erwies sie sich für größer gewordene jüdische Gemeinde als zu klein und nicht
mehr zeitgemäß. Unter dem Gemeindevorsteher Bernhard Hirsch wurde eine neue Synagoge geplant. Der
Beschluss zum Bau der neuen Synagoge wurde
im Herbst 1889 gefasst:
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. November 1889:
"Groß-Gerau, 1. November 1889. Die hiesige israelitische Gemeinde
benutzt für ihren Gottesdienst bisher ein baufälliges, auch räumlich
nicht ausreichendes Haus, das in seiner äußeren Erscheinung kaum seinen
Zweck erraten lässt. Um diesem Übelstande abzuhelfen, hat sich der
Vorstand der israelitischen Gemeinde zur Ausführung eines
Synagogenneubaues entschlossen und beabsichtigt gleichzeitig, die
politische Gemeinde um einen Beitrag anzugehen, da sonst die Last für die
kleine israelitische Gemeinde zu groß sein dürfte." |
Die Planung und Bauleitung übernahm der damalige
Kreis-Bautechniker Lohr, mit der Ausführung der Maurer- und Steinhauerarbeiten
wurde Bauunternehmer Göbel, mit den Zimmererarbeiten W.H. Diehl beauftragt. Am 26.
Juni 1891 war die Grundsteinlegung für die Synagoge, worüber ein Bericht
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 6. Juli 1891
vorliegt:
Groß-Gerau, 26. Juni (1891). Heute Nachmittag, 5 Uhr,
beging die israelitische Religionsgemeinde Groß-Gerau die Feier der
Grundsteinlegung auf dem Bauplatze der neuen Synagoge. Die Angehörigen
derselben waren hierzu zahlreich erschienen, weiter nahmen Teil der mit der
Bauleitung betraute Kreis-Bautechniker, Herr Lohr, Herr Bauunternehmer Göbel,
welcher die Maurer- und Steinhauerarbeit ausführt, sowie eine Reihe anderer
Mitbürger der Stadt. Eröffnet wurde die Feier mit einer gediegenen Ansprache
des israelitischen Lehrers, Herrn Israel. Derselbe warf einen Rückblick auf
vergangene Zeiten, berührte hierauf die Gegenwart, gedachte des Gebotes der
Nächstenliebe und nahm sodann Veranlassung, der politischen Gemeinde, ihren
Vertreten, wie Allen, welche in der Angelegenheit des Neubaues der Synagoge der israelitischen
Kultusgemeinde Entgegenkommen bewiesen, im Namen derselben zu danken. An die
Ansprache des Herrn Israel, welche auf die Teilnehmer an der Feier einen
günstigen Eindruck machte, reihte sich ein passendes Gebet. Nachdem Herr Israel
geendet, erfolgte durch den Vorsteher der israelitischen Gemeinde, Herrn
Bernhard Hirsch, die Verlesung der in den Grundstein einzuschließenden, die
Bedeutung der Sache würdigenden Urkunde. Mittlerweile waren durch das
bereitstehende Personal des Herrn Göbel die Vorbereitungen zum Schließen des Grundsteines
getroffen wurden. Die Kapsel, welche in den Grundstein eingeschlossen wurde,
nahm die vorerwähnte Urkunde, Lose der zum Zwecke der Aufbringung der Mittel
für den Synagogenbau gestatteten Lotterie und Tageszeitungen auf, es erfolgte
sodann die Vermauerung. Am Grundstein sind angebracht die Namen des Bauführers
Müller, des Maurer-Poliers Traiser und des Steinhauer-Poliers Bott. Den Schluss
der Feier bildeten die üblichen drei Hammerschläge seitens des Herrn Lehrer
Israel, des Bauleiters Herrn Lohr und des Gemeindevorstehers Herrn Bernhard
Hirsch, wobei jeder der Herren seine Wünsche für das gute Gedeihen des Werkes
äußerte. Den am Baue bisher beschäftigten Arbeitern wurde zur Feier des Tages
eine angemessene Bewirtung, bestehend in gutem Bier und Essen, zuteil. Die Bauarbeiten
selbst dürften nunmehr ungestörten Fortgang nehmen, es steht zu hoffen, dass
dieselben ohne irgend welchen Unfall zu Ende geführt und das kommende Jahr in
seinem Verlaufe die Einweihungs-Feier bringen wird! |
Die Finanzierung der neuen Synagoge wurde teilweise über eine Lotterie gesichert. Dazu waren
80.000 Lose zu einer Mark ausgegeben wurden. 1.500 Preise im Gesamtwert von
36.000 Mark waren ausgesetzt.
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20. Juli 1891: "Gross-Gerauer
Lotterie für den Neubau einer Synagoge daselbst.
36,000 Mark Gesamtwert Gewinne. Zwei Ziehungen: 10.000 Mark in erster
Ziehung. 26,000 Mark in zweiter Ziehung.
Erste Ziehung schon am 20. August darunter Haupttreffen 12,000 Mark 2mal
je 3,000 Mark usw. in baarem Gelde wird auf Wunsch ein Teil des Gewinne
mit geringem Nachlass vergütet. 1 Los 1 Mark, 11 Lose 10 Mark.
Jedes Los gültig für beide Ziehungen. Moritz Strauss junior Mainz.
Generaldebiteur." |
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Weitere Anzeigen der Lotterie
für den Neubau der Synagoge: |
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Am Freitag, 9. September 1892 war die Einweihung
der Synagoge. Über die Einweihung liegen in zwei jüdischen
Zeitschriften Berichte vor, zum einen in der "Allgemeinen Zeitung des
Judentums" vom 23. September 1892:
Großgerau, 11. September (1892). In würdiger Weise
fand letzten Freitag die Einweihung unserer neuen Synagoge statt; um 3 Uhr
Nachmittags wurde in der alten der letzte Gottesdienst abgehalten; in einer
weihevollen Abschiedsrede gedachte Herr Rabbiner Dr. Selver aus Darmstadt der
Stätte, in welcher über 140 Jahre Geschlecht auf Geschlecht seine Andachten
verrichteten; alsdann wurden die Tora-Rollen in feierlicher Weise durch Herrn
Rabbiner Dr. Saalfeld aus Mainz den Trägern übergeben; der Zug, welcher sich
nun durch die mit Fahnen und festlich geschmückten Häuser der Hauptstraße
inmitten der nach Tausenden zählenden Zuschauermenge unter den Klängen der
Musik nach der neuen Synagoge in Bewegung setzte, bot einen prächtigen Anblick;
voran die Schulkinder, das Musikkorps, Ehrendamen, Schlüsselträgerin, die
beiden Rabbiner, israelitischer Gemeinde-Vorstand, die Behörden, an ihrer
Spitze Herr Kreisrat von Löw in großer Uniform, die Geistlichkeit, Stadt- und
Kirchen-Vorstand, Lehrer, ferner eine große Anzahl Festteilnehmer. Die
Übergabe des goldenen Schlüssels erfolgte mit Anrede durch die Tochter des
ersten Vorstehers Herrn Bernhard Hirsch an Herrn Baumeister Lohr und von diesem
an Herrn Kreisrat von Löw; derselbe begleitete die Überreichung an Herrn
Rabbiner Dr. Selver mit den Worten: er möge die Tür zu dem Gotteshause
öffnen, welches unserm gemeinsamen Gott geweiht werden solle. Sodann öffnete
Herr Rabbiner Dr. Selver die Tür zur Synagoge und es begann der
Festgottesdienst. Die Gesänge des aus Knaben und Mädchen gebildeten Chors*
unter Mitwirkung des Vorbeters, das Anzünden des ewigen Lichtes unter
Weihespruch, das Einstellen der Tora-Rollen nahmen die Aufmerksamkeit der
Zuhörer gefangen, in noch höherem Grade die sich daran schließende
Festpredigt des Herrn Rabbiner Dr. Selver über den Test (2. Buch Moses Kap. 25
Vers 8): "Und sie sollen mir ein Heiligtum machen, dass ich wohne in ihrer
Mitte". Nach Absingen eines Chorliedes folgte alsdann das Weihegebet über
die einzelnen Teile der Synagoge, welchem Herr Rabbiner Dr. Saalfeld in warmer,
ergreifender Weise Ausdruck verlieh. Den Schluss der erhebenden Feier bildete
der allgemeine Segen für Kaiser und Großherzog, sowie die Behörden und der
dreifache Segen für die versammelte Gemeinde. |
Derselbe, ausführlicher gehaltene Bericht über die Einweihung der Synagoge
in Groß-Gerau erschien in der orthodox geprägten Zeitschrift "Der
Israelit". Dieser Bericht enthält weitere Details der
Einweihungsfeierlichkeiten. Charakteristisch ist jedoch, dass der (im
obigen Bericht kursiv gesetzte) Hinweis auf einen gemischten Chor fehlt, da es sich um ein Charakteristikum einer
liberal geprägten Synagoge handelt.
"Großgerau, 11. September (1892). In würdiger,
erhebender Weise fand letzten Freitag die Einweihung unserer neuen Synagoge
statt; um 3 Uhr Nachmittags wurde in der alten der letzte Gottesdienst
abgehalten; in einer weihevollen Abschiedsrede gedachte Herr Rabbiner Dr. Selver
aus Darmstadt der Stätte, in welcher über 140 Jahre Geschlecht auf Geschlecht
seine Andachten verrichteten; alsdann wurden die Tora-Rollen in feierlicher
Weise durch Herrn Rabbiner Dr. Saalfeld aus Mainz den Trägern übergeben; der
Zug, welcher sich nun durch die mit Fahnen und festlich geschmückten Häuser
der Hauptstraße inmitten der nach Tausenden zählenden Zuschauermenge unter den
Klängen der Musik nach der neuen Synagoge in Bewegung setzte, bot einen
prächtigen Anblick; voran die Schulkinder, das Musikkorps, Ehrendamen,
Schlüsselträgerin, die beiden Rabbiner, israelitischer Gemeinde-Vorstand, die
Behörden, an ihrer Spitze Herr Kreisrat von Löw in großer Uniform, die
Geistlichkeit, Stadt- und Kirchen-Vorstand, Lehrer, ferner eine große Anzahl
Festteilnehmer nebst Gemeindemitglieder. Die Übergabe des goldenen Schlüssels
erfolgte mit Anrede durch die Tochter des ersten Vorstehers Herrn Bernhard
Hirsch an Herrn Baumeister Lohr und von diesem an Herrn Kreisrat von Löw;
derselbe begleitete die Überreichung an Herrn Rabbiner Dr. Selver mit den
Worten: er möge die Tür zu dem Gotteshause öffnen, welches unserm gemeinsamen
Gott geweiht werden solle. Unter Hinweis auf die über dem Eingang angebrachte
hebräische Inschrift, welche er ins Deutsche übersetzte: Öffnet euch, ihr
Tore, dass einziehe ein Volk, das Gerechtigkeit suchet und die Treue wahret,
öffnete Herr Rabbiner Dr. Selver die Tür zur Synagoge, welche jedoch die
Festteilnehmer nicht zu fassen vermochte und Viele daher in der geöffneten
Vorhalle weilen mussten.
Nun begann der Festgottesdienst, für welchen ein besondere Programm entworfen
war, das in schönster Weise durchgeführt wurde. Die einleitenden Gesänge des
Chores unter Mitwirkung des stimmlich gut begabten Vorbeters, das Anzünden des
ewigen Lichtes unter Weihespruch, das Einstellen der Torarollen unter des
"Ono Adonai"-Gesanges, der darauffolgende Chor, nahmen die
Aufmerksamkeit der Zuhörer gefangen, in noch noch höherem Grade die sich daran
schließende Festpredigt des Herrn Rabbiner Dr. Selver; ausgehend von den Worten
der Tora 2. Buch Moses Kap. 25 Vers 8 "Und sie sollen mir ein Heiligtum
machen, dass ich wohne in ihrer Mitte" beleuchtete derselbe in durchdachter
formvollendeter Weise die Bedeutung und den Wert israelitischer Bethäuser in
ihrer Vergangenheit und zu allen Zeiten, sowohl für Israel als auch für die
ganze Welt, als erste und älteste Hüterin des einheitlichen Gottesglaubens und
der Worte Gottes, wie sie uns durch Moses überliefert, einer ewigen Quelle
gleich, den Segen der Opferwilligkeit, wie sich dieses durch den Bau dieses
Gotteshauses bewahrheite; und so erflehe auch er Segen, den Männern und den
Frauen und allen denen, die durch ihre Opfer und Wirken den Bau
ermöglicht.
Nach Absingen eines Chorliedes folgte alsdann das Weihegebet über die einzelnen
Teile der Synagoge, welchem Herr Rabbiner Dr. Saalfeld in warmer, ergreifender
Weise Ausdruck verlieh; der Schluss der erhebenden Feier bildete der allgemeine
Segen für Kaiser und Großherzog, sowie die Behörden und der dreifache Segen
für die versammelte Gemeinde.
Zur Vervollständigung dieses Berichtes wollen wir noch anführen, dass die
Synagoge in maurischem Stil erbaut, sowohl der äußern Form wegen, als auch
durch ihre innere geschmackvolle und gediegene Ausstattung dem Erbauer zur
höchsten Ehre gereicht und als Zierde der Stadt Großgerau angesehen werden
kann; Ehre auch den um Herbeischaffung der Mittel sich verdient gemachten
Vorstehern Herrn H. Marxsohn und B. Hirsch. |
Über die Architektur der Groß-Gerauer Synagoge liegt folgende Beschreibung vor (Anni
Bardon s.Lit.): Der zweigeschossige Backsteinbau wurde errichtet, als die
Gemeinde über einhundert Mitglieder zählte. Er war Schule und Bethaus für die
Juden des ganzen Gerauer Landes. Die Westfassade war in drei Teile, der inneren
Anordnung entsprechend, gegliedert. Der mittlere Risalit überragte die beiden
seitlichen und wurde von einer flachen Kuppelbedachung gekrönt. Ein breites
Gesims betonte den horizontalen Abschluss unterhalb des Daches und trug die
beiden Gesetzestafeln. Die drei Risalite werden jeweils von polygonalen Pfeilern
gerahmt, die kleine Laternen mit Kuppelbedachung krönen und wesentlich über
das Abschlussgesims hinausgezogen sind. Die Rundbogenfenster durchlaufen nicht
beide Geschosse, sondern geben die innere Doppelgeschossigkeit wieder. Die
Westfassade der Groß-Gerauer Synagoge erweckt den Eindruck einer Basilika mit
niedrigen Seitenschiffen dadurch, dass die beiden Eckrisalite niedriger sind als
der mittlere Teil. Im Gegensatz zu diesen christlichen Merkmalen erinnern die überkuppelten
Pfeiler an den Ecken an arabische Minarette. Die Bauform und das Baumaterial
(rote Klinkersteine) trugen dazu bei, dass die Synagoge sich aus der Reihe der
anderen Gebäude im Stadtbild hervorhob. Die optische Unterscheidung durch den
etwas orientalisierenden Baustil ist wahrscheinlich der Ausdruck dafür, dass
die Groß-Gerauer Juden in einem schon hohen Grad integriert waren . .
."
Von 1892 bis in die NS-Zeit war die Synagoge in Groß-Gerau religiöses Zentrum der jüdischen Gemeinde der Stadt. Zu einem Einbruch in der Synagoge und einer damit verbundenen Schändung kam es bereits im August 1934:
Mitteilung
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 30. August 1934:
"Darmstadt. Nach einem Berichte der Groß-Gerauer 'Heimatzeitung'
sind in einer der letzten Nächte unbekannte Personen in die Synagoge von
Groß-Gerau eingebrochen, haben viele Gegenstände demoliert und viele
andere entwendet. Für die Ergreifung der Täter ist eine Belohnung
ausgesetzt worden." |
Im August 1936 fand der
letzte Gottesdienst statt. Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge durch
SA-Leute zerstört. Sie ist dabei vollständig ausgebrannt. Zerstört wurden
zahlreiche wertvolle Kultgegenstände, da in der Synagoge Groß-Gerau auch die
Ritualien der mittlerweile geschlossenen Synagogen Biebesheim, Gernsheim, Leeheim, Nauheim,
Trebur sowie von
Büttelborn, Erfelden und Mörfelden eingelagert waren. Die Synagogenruine wurde
Anfang 1939 abgebrochen. Das Grundstück als Grünanlage und einen Parkplatz
hergerichtet.
Im November 1978 wurde ein Gedenkstein für die Synagoge an ihrem Standort aufgestellt. Die Tafel trägt die Inschrift: "Hier stand das 1892 erbaute Gotteshaus der jüdischen Gemeinde. Es wurde am 9. November 1938 auf Befehl eines unmenschlichen Regimes zerstört. Den Lebenden zur Mahnung. Die Kreisstadt
Groß-Gerau".
Adresse/Standort der Synagoge: Frankfurter Straße
Fotos
Baupläne von 1892 für die
neue Synagoge
(Quelle: "Juden in
Groß-Gerau") |
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Längen- und Frontansicht |
Querschnitte durch die
Synagoge |
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Die Synagoge 1892 - 1938 |
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Verschiedene
Ansichten der Synagoge zwischen 1892 und 1938 |
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Quelle: Arnsberg Bilder s.Lit.
S. 77;
Hammer-Schenk s.Lit. Abb. 292 |
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(Quelle: Encyclopedia of
Jewish Life
s. Lit. I, 461) |
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Innenaufnahmen um 1935
(Quelle: Schleindl) |
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Gottesdienst in der Synagoge:
Männer
in Gebetsmänteln vor dem Toraschrein,
rechts Emil Marx |
Emil Marx nimmt den Toramantel
von der Rolle |
Emil Marx trägt die Torarolle
zum Lesepult |
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Die Zerstörung 1938 |
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Der Brand der Synagoge am
10.
November 1938 |
Die Synagogenruine Ende
1938
(Quelle: "Juden in
Großgerau") |
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Der Synagogenplatz
2007
(Fotos: Hahn, Aufnahmedatum 6.7.2007) |
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Blick auf den ehemaligen
Synagogenplatz
(hinter dem jetzigen Kreisverkehr
der Frankfurter Straße) |
Der als Parkplatz, aber auch
als
Gedenkstätte genutzte
ehemalige Synagogenplatz |
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Die Gedenktafel |
Die zerstörte Synagoge auf
der Gedenktafel |
Inschrift der Gedenktafel |
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Hinweistafel zur
jüdischen Geschichte am Synagogenplatz mit Text: "Zur Jüdischen
Geschichte Gross-Geraus: Die Existenz von Juden lasst sich in Groß-Gerau
bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen. Im Verlauf der Geschichte hatten
sie es in unserer Stadt nie leicht und waren immer wieder Zielscheibe und
Opfer von Verleumdungen, von Erpressungen und gar von Gewalttätigkeiten.
Doch die Juden blieben und verschafften sich durch harte Arbeit einen
Platz in der Gesellschaft. Nach der Gründung des Deutschen Reiches im
Jahre 1871 wurden sie endgültig Bürger des Landes, in dem ihre Vorfahren
schon seit vielen Jahren sesshaft waren. Ausgestattet mit gleichen Rechten
und Pflichten wie alle übrigen Bürger und Bürgerinnen, nahmen sie am
öffentlichen Leben dieser Stadt teil. Sie nutzten und unterstützten die
örtlichen Vereine. Sie musste wie alle Einwohner Abgaben leisten und
Mitbürger jüdischen Glaubens litten und starben als deutsche Soldaten
auf den Schlachtfeldern des I. Weltkrieges. Aber der unerklärbare
antisemitische Hass eines verbrecherischen Regimes, das auch in
Groß-Gerau genügend Anhänger und Mitläufer gewinnen konnte,
vernichtete innerhalb weniger Jahre eine blühende israelitische
Religionsgemeinde. Die Gefolgsleute dieser NS-Diktatur scherten sich einen
Dreck um die respektablen Leistungen jüdischer Mitbürger, die sie im
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereich zum Nutzen unserer
Stadt geschaffen haben. Fast 300 Groß-Gerauer Bürger jüdischen Glaubens
gab es vor Beginn der NS-Diktatur. Sie verloren ihre Heimat, ihre Familie,
ihre Gesundheit, ihr Leben."
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Erinnerungsarbeit
vor Ort - einzelne Berichte
Mai 2009:
Die Stadtverordnetenversammlung spricht sich mit
den Stimmen der CDU und der Kommunalen Bürgerinteressengemeinschaft gegen
die Verlegung von "Stolpersteinen" in Groß-Gerau
aus. |
Artikel in hr-online.de vom 6. Mai 2009 (Artikel
mit weiteren Berichten): "Gedenken an NS-Opfer. Keine Stolpersteine in Groß-Gerau
Stolpersteine aus Messing, die an Opfer des NS-Regimes erinnern, gibt es europaweit in 400 Kommunen. In Groß-Gerau wird es aber keine geben, hat das Stadtparlament entschieden – mit Argumenten, die nicht jedem einleuchten.
Mit 18 zu 14 Stimmen entschied die Stadtverordnetenversammlung am späten Dienstagabend, dass in Groß-Gerau keine der sogenannten Stolpersteine verlegt werden sollen. CDU und die Kommunale Bürgerinteressengemeinschaft (KOMBI) votierten gegen diese Form des Gedenkens an jüdische Mitbürger, die während des Dritten Reichs umgebracht wurden..."
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Oktober 2009:
Ein vom evangelischen Dekanat und dem
"Förderverein jüdische Geschichte und Kultur im Kreis
Groß-Gerau" erstellter Stadtplan "Orte der Erinnerung"
wird vorgestellt |
Artikel von Detlef Volk in der
"Main-Spitze" vom 24. Oktober 2009 (Artikel):
"Schicksale der jüdischen Mitbürger.
GROSS-GERAU - GESCHICHTE Groß-Gerau stellt Stadtplan "Orte der Erinnerung" vor.
Das Haus Nummer 21 in der Frankfurter Straße in Groß-Gerau ist ein stattliches Gebäude. Nur die wenigsten Bürger der Kreisstadt dürften allerdings wissen, dass hier der ehemalige Besitzer der Union-Brauerei Groß-Gerau wohnte: Ferdinand Marxsohn mit seiner Familie, 1943 in Theresienstadt gestorben.
Erinnerungen an die ehemaligen jüdischen Mitbürger in Groß-Gerau sind Mangelware. Ein Denkmal erinnert an den Standort der Synagoge, dort wird jeweils zum Jahrestag der Pogromnacht am 9. November 1938 eine Gedenkfeier abgehalten..."
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Hinweis: Der "Stadtplan
der Erinnerung" ist auch online eingestellt. |
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November 2012:
Erste Verlegung von "Stolpersteinen" in
Groß-Gerau |
Informationen zur Verlegung der
"Stolpersteine" über die Seite http://www.erinnerung.org/gg/haeuser/da10.html
Der Flyer
zur Verlegung ist auch intern eingestellt (Link
anklicken). vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Groß-Gerau |
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Juni 2014:
Dritte Verlegung von
"Stolpersteinen" in Groß-Grau |
Dritte
'Stolperstein'-Verlegung in Groß-Gerau (Main-Spitze, 18.06.2014) |
Anmerkung: in der Mainzer Straße (7,8,
17 und 22) wurden am 30. Mai 2014 insgesamt 13 "Stolpersteine"
verlegt. Weitere Stolpersteinverlegungen sind für 2014 geplant. Weitere
Informationen bei http://www.erinnerung.org/gg/stst.html
vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Groß-Gerau |
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Februar 2015:
Verlegung von "Stolpersteinen"
für Familie Mattes |
Artikel von in der "Frankfurter Neuen
Presse" vom 9. Februar 2015: "'Das jüdische Leben gehört zu Groß-Gerau'
Schüler der Prälat-Diehl-Schule zeigen Flagge gegen das Vergessen: Gemeinsam
mit ihrem Lehrer Udo Stein haben die Schüler den Lebensweg der Familie
Mattes, für die nun Stolpersteine verlegt wurden, nachgezeichnet. 'Man
sollte die Namen niemals vergessen', sagt der 15-jährige Rico, Schüler der
Prälat-Diehl-Schule (PDS), in Erinnerung an Alfred, Paula und Arnold Mattes.
Vor dem ehemaligen Wohnhaus der Familie Mattes in der August-Bebel-Straße
16, heute Verwaltungsgebäude des Groß-Gerauer Oberstufengymnasiums, wurden
zu deren Gedenken Stolpersteine verlegt. 300 Menschen, darunter etwa 150
Schüler der PDS, nahmen an der Gedenkveranstaltung teil. Im
Geschichtsunterricht bei ihrem Lehrer Udo Stein haben die Schüler den
Lebensweg der Familie Mattes rekonstruiert. Es gab keine Zeitzeugen, so
forschten sie in Archiven und Dokumenten und spürten dabei hautnah den
Aufstieg und traurigen Fall dieser jüdischen Familie nach. Die einst
kreditwürdigen, angesehenen Bürger Groß-Geraus mit einer Gardinenfabrik, die
viele Arbeitsplätze schuf, wurden von den Nationalsozialisten vertrieben,
entehrt und ihres Eigentums beraubt. Über Russland und Japan gelang ihnen
die Flucht nach Chicago. Nur ihr blankes Leben konnten sie retten.
Eindrucksvoll zeichneten die Schüler bei der Gedenkveranstaltung deren
Lebensweg nach: 'Wir waren sprachlos und geschockt von den Gräueltaten der
Nazis'. 'Wir möchten mit dieser Aktion nicht nur Position gegen das
Vergessen beziehen, sondern Flagge zeigen, uns deutlich sichtbar
engagieren', betonte Schulleiter Michael Montag in seiner Rede. Dabei
bedankte er sich bei der gesamten Schulgemeinde, bei Schülern, Eltern und
Lehrkräften, welche die drei Stolpersteine mit ihren Spenden finanziert
haben. 'Diese Urkunde ist Ausdruck ihrer Verantwortung', sagte Pfarrer
Wolfgang Prawitz vom evangelischen Dekanat Groß-Gerau, als er dem
Schulleiter stellvertretend für die Schulgemeinde die Patenschaftsurkunde
überreichte. Währenddessen wurden die Stolpersteine, angefertigt von dem
Künstler Gunter Demnig, von dem Groß-Gerauer Steinmetz Maximilian Schulda
und dessen Mitarbeiter im Bürgersteig vor der Eingangstür verlegt. 'Sie
haben mir, meinen Kindern und Enkelkindern einen Teil meiner
Familiengeschichte zurückgegeben, die verloren war', sagte Joan Zelkowicz,
die Tochter von Arnold Mattes, die aus Pittsburgh, USA, zur
Stolpersteinverlegung mit ihrem Mann angereist war. Und sie fügte erklärend
an, dass ihre Eltern und Großeltern niemals über deren Kindheit gesprochen
hätten, um sie mit ihren traurigen Erinnerungen nicht zu belasten. 'Indem
wir Stolpersteine legen', führte Landrat Thomas Will in seiner Rede aus,
'ziehen wir die schmerzliche Spur der Erinnerung auch durch unsere Stadt.
Und wir geben ein klares Bekenntnis ab: Das jüdische Leben gehört zu
Groß-Gerau, die Familie Mattes gehört zu Groß-Gerau, ja sie hat hier ihren
Ort. Das ist viel mehr als eine symbolische Geste. Das ist ein Gegenentwurf
wider das Vergessen, wider die Ortlosigkeit.' Auch Stadtrat Jochen Auer, der
für den Magistrat sprach, bedankte sich bei dem Engagement von Udo Stein und
den Schülern: 'Unsere Erinnerungsarbeit, Aufarbeitung der Geschichte, soll
vor menschenverachtenden Entwicklungen warnen und diese auch künftig
verhindern.' Petra Kunik von der jüdischen Gemeinde Frankfurt war glücklich
darüber, wie in Groß-Gerau junge Menschen die Aufgabe übernehmen, Spuren zu
suchen, denn schließlich führe die Erinnerungsarbeit zu der wichtigen Frage:
'Wie gehen wir heute miteinander und mit den Minderheiten um?' Das
evangelische Dekanat Groß-Gerau bereitet mit der Stadt Groß-Gerau und dem
jüdischen Verein für Geschichte und Kultur im Kreis Groß-Gerau weitere
Stolpersteinverlegungen vor. Dafür werden Paten gesucht, welche die Kosten
für einen Stolperstein in Höhe von 210 Euro übernehmen. Nähere Infos gibt es
bei Pfarrer Wolfgang Prawitz, Telefon (0 61 52) 18 74-14"
Link zum Artikel vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Groß-Gerau |
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November 2015:
Veranstaltung zum Gedenken an
den Novemberpogrom 1938 |
Artikel von Charlotte Martin in der "Frankfurter Neuen Presse"
vom November 2015: "Novemberpogrome. Marsch der Menschlichkeit
In Gedenken an die Reichspogromnacht 1938 zogen am Montag auch in der
Kreisstadt Hunderte Menschen im Schweigemarsch zur ehemaligen Synagoge.
Dekanin Birgit Schlegel sprach mahnend von inneren und äußeren Grenzen –
gestern und heute.
Dekanin Birgit Schlegel schlug in ihrer Ansprache am Montagabend mahnend den
Bogen über zwei markante, historische Novembertage hinweg ins Heute. Am
ehemaligen Platz der jüdischen Synagoge sprach sie zum Gedenken an die
Reichspogromnacht 1938 vor zahlreichen Zuhörern. Sie erinnerte an die Nacht
vom 9. auf den 10. November, als in Nazi-Deutschland die Synagogen brannten.
Auch in Groß-Gerau. Und sie sprach eindringlich von den jüdischen
Mitbürgern, die beschimpft, verspottet und leiblich wie seelisch grausam
verletzt wurden. 'Von nun an ging es für sie ums nackte Überleben, um
Flucht, um hastigen Aufbruch.' Schlegel sagte: 'Bis heute haben wir keine
wirkliche Antwort darauf, wie all dies geschehen konnte.' Zugleich erinnerte
Birgit Schlegel an den 9. November 1989, als im geteilten Deutschland die
Mauer, jene Folge der Abgrenzungspolitik als Resultat aus dem Zweiten
Weltkrieg, fiel. 'Es geht um Grenzen, um innere und äußere Grenzen. Einmal
um erbarmungslose Ausgrenzung, ein anderes Mal um ihre glückliche Aufhebung.
1989 brach nach zwei Diktaturen in Deutschland die erste Nacht des Friedens
an.' Die Worte der Dekanin, die das Gedenken an die Reichspogromnacht mit
brandheißer Aktualität aufluden, fanden unter den Zuhörern, die im
Schweigemarsch durch die Stadt zum Platz der ehemaligen Synagoge gezogen
waren, Zustimmung. Nicht genug mit der Erinnerung an den Mauerfall, Schlegel
skizzierte sodann die jetzige Situation: 'Auch heute spielen Grenzen wieder
eine Rolle, wird nachgedacht über Abgrenzung. Viele Menschen wollen zu uns
kommen, hoffen auf Frieden, auf Glück. Bedenken wir: Kein Mensch verlässt
freiwillig die Heimat.' Nachdrücklich fragte sie: 'Werden wir wieder Grenzen
ziehen? Innen, außen? Nationalistische Töne in Europa machen Sorge, denn es
geht wieder gegen das Fremde.' Sie zitierte die biblische Losung des
Vortags: 'Als Einheimischer soll euch der Fremde gelten.' Und resümierte:
'Woher kommt es, wenn manche sagen, das Boot sei voll? Wenn sie sagen, mehr
Menschen könnten wir nicht aufnehmen? Ist es Angst? Ist es Bequemlichkeit?
Stattdessen sollten wir den Reichtum sehen, der uns in den Ankommenden
begegnet, sollten zurückblicken, um beherzt nach vorn zu sehen.' Die Dekanin
legte gemeinsam mit Bürgermeister Stefan Sauer (CDU) einen Kranz vor der
Erinnerungstafel an die niedergebrannte Synagoge nieder. Würdevoll war die
musikalische Umrahmung durch den Posaunenchor der Stadtkirchengemeinde,
aufrüttelnd war zudem die Lesung dreier Schüler der Prälat-Diehl-Schule
(PDS), die bezeugte, dass auch die Jugend sich intensiv mit geschichtlicher
Aufarbeitung beschäftigt. Die Schüler zitierten Martin Niemöller, der zu den
wenigen Christen gehörte, die der Nazidiktatur Widerstand boten: 'Als die
Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen. Ich war ja kein
Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen.
Ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich
geschwiegen. Ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es
keinen mehr, der protestieren konnte.'
Die PDS-Schüler Viola, Julia und Jakob, die auch dem Schweigemarsch das
Transparent zum Gedenken an die Pogromnacht vorausgetragen hatten,
pointierten die große Fassungslosigkeit mit Worten Dietrich Bonhoeffers:
'Sahen wir nicht, dass es Christus war, der in den geringsten unserer Brüder
verfolgt und geschlagen wurde?' Eine Frage, die eingedenk heutiger Ablehnung
Fremder mit Ausrufezeichen versehen werden muss."
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Mai 2016:
Verlegung von 13 weiteren
"Stolpersteinen" in Groß-Gerau |
Artikel von Peter Mikolajczyk in der
"Frankfurter Neuen Presse" vom Mai 2016: "13 neue Stolpersteine.
'Erinnerung ist unsere ewige Pflicht'
Groß-Gerau hat seiner jüdischen Mitbürger gedacht: Der Künstler Gunter
Demnig verlegte am vergangenen Samstag 13 neue Stolpersteine.
58 000 Stolpersteine hat der Künstler Gunter Demnig nach eigenem Bekunden
bereits in ganz Europa verlegt. Am Samstag kamen 13 weitere hinzu, diesmal
in Groß-Gerau. Es war bereits die sechste Veranstaltung dieser Art in der
Kreisstadt. Aber der feierliche Rahmen, mit dem an geschehenes Unrecht
erinnert wurde, war nicht weniger gering. Wer mit wachen Augen durch die
Innenstadt geht, wird bereits an vielen Stellen über die golden glänzenden
Messingsteine stolpern, die zum kurzen Innehalten auffordern. Demnig, der
mit seiner frisch angetrauten Ehefrau Katja in die Stadt gekommen war, sah
man bereits von 8 Uhr an eifrig arbeiten: 13 Steine mit den Namen
vertriebener oder ermordeter ehemaliger jüdischer Mitbürger im
Straßenpflaster zu versenken, das braucht seine Zeit. Als rund eine Stunde
später Ökumene-Pfarrer Wolfgang Prawitz in der Walther-Rathenau-Straße 11
die nachdenklich gestimmten Gäste begrüßte, musste er kurz unterbrechen.
Demnig staubte mit seinem Steinschneider die Gesellschaft kräftig ein, bevor
er in die Darmstädter Straße weiterzog. 'Möge die Erinnerung uns auf den Weg
der Gerechtigkeit führen – es ist unsere ewige Pflicht', zitierte Wolfgang
Prawitz einen Satz von Jay Kahn, einem Nachkommen ermordeter Juden aus
Groß-Gerau. Es sei gemeinsame Aufgabe, die Erinnerung an unendliches Leid,
an die Verfolgung und Ermordung von Millionen Menschen wach zu halten.
Diesmal gelte es, der Familien Hirsch aus der Walther-Rathenau-Straße 11 und
Guckenheimer (Hausnummer 16) sowie einer Familie selben Namens in der
Darmstädter Straße 1 zu gedenken. Jochen Auer, der Bürgermeister Stefan
Sauer vertrat, bezeichnete die Stolpersteine als ein wichtiges Instrument
für die Aufarbeitung von Geschichte. 'Wir denken an ehemalige Mitbürger, die
hier gelebt, gearbeitet, gefeiert und gebetet haben', sagte er. Ein Mensch
sei erst dann vergessen, wenn sein Name nicht mehr erwähnt werde. Im Namen
des Vereins Jüdische Geschichte und Kultur mahnte Pfarrer Walter Ullrich,
die Erinnerung wach zu halten, denn nur so gelinge der Zugang zu dem
Unfassbaren, das vor rund 80 Jahren geschehen sei. 'Wir müssen ständig
aufmerksam, sein, denn ein übersteigerter Nationalismus macht sich auch
heute wieder breit', sagte Ullrich. Schließlich habe der Nationalsozialismus
aus damals mit einem übersteigerten Nationalismus im Bürgertum seinen Anfang
genommen. Anschließend referierten Schüler des Leistungskurses Geschichte
des Prälat-Diehl-Gymnasiums die Lebensgeschichten der drei jüdischen
Familien, welche die Schüler selbst recherchiert hatten. Derweil war Gunter
Demnig fleißig mit seinen Verlegearbeiten beschäftigt. Die Zeit drängte:
Bereits am Nachmittag war er wieder Hauptakteur bei der Verlegung einer
Stolperschwelle in Rüsselsheim."
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Oktober
2016: Verlegung von
"Stolpersteinen" für Familie Hirsch |
Artikel von Peter Mikolajczyk im
"Rüsselsheimer Echo" vom 12. Oktober 2016: "Stolpersteine in Groß-Gerau. Vier goldene Steine sollen an das Schicksal der Familie Hirsch erinnern
Vor dem Seniorenhaus Raiss wurden gestern vier neue Stolpersteine verlegt. Für die Familie Hirsch. Was genau haben sie zu bedeuten?
Groß-Gerau. Wer mit offenen Augen durch die Innenstadt geht, dem bleiben die Zeugnisse einer unheilvollen Vergangenheit nicht verborgen: Vor 13 Häusern sind sie bereits zu sehen, die goldenen Pflastersteine, die an das Vermächtnis ehemaliger jüdischer Mitbürger erinnern. Seit gestern sind es wieder vier mehr: Vor dem Haus in der Frankfurter Straße 48, heute bekannt als Seniorenhaus Raiss, fand die mittlerweile 14. Verlegung von Stolpersteinen in der Kreisstadt statt – diesmal im Gedenken an die Familie Hirsch.
Das Haus ist eng mit jüdischer Geschichte verbunden. Vor dem zweiten Weltkrieg wohnte der Metzger und Viehhändler Gustav Hirsch gemeinsam mit seiner Frau Lina Hirsch, geborene Mayer, deren Mutter Emma Mayer, geborene Kahn, und ihrer Tochter Liesel Hirsch hier. Gustav Hirsch war Vorsteher der jüdischen Gemeinde.
In der Pogromnacht umstellten SA-Leute sein Haus und viele Menschen schauten zu, wie es verwüstet und Möbel auf die Straße geworfen wurden. Gustav Hirsch wurde von November bis Dezember 1938 im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert. Der Familie gelang 1940 die Flucht in die USA, wo sie sich in Bridgeport eine neue Existenz aufbauten.
Pfarrer Wolfgang Prawitz zitierte bei der Verlegung der Stolpersteine einen Satz von Jay Kahn, eines ebenfalls aus der Stadt vertriebenen Juden:
'Möge die Erinnerung uns auf den Weg der Gerechtigkeit bringen – es ist unsere ewige Verpflichtung.' Besonders herzlich hieß er Melisa Pope mit ihrer Familie willkommen, die für diesen Tag aus den USA angereist war. Erster Stadtrat Richard Zarges bezeichnete es als
'eine Ehre, dass die Familie Pope in die Stadt ihrer Väter gekommen ist. Wir wünschen, dass sie hier wieder herzlich aufgenommen werden.'
'Ohne Name ist man ein Niemand'. Schüler des Prälat-Diehl-Gymnasiums rezitierten aus der Lebensgeschichte der Familie Hirsch. Petra Kunik, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Frankfurt, sagte, die Nazis hätten versucht, den Juden die Namen zu nehmen.
'Aber ohne Namen ist man ein Niemand. Deshalb bin ich besonders dankbar, dass auf den Stolpersteinen die Namen der Verfolgten
stehen.'"
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November 2017:
Gedenkstunde zur Erinnerung an den Novemberpogrom
1938 |
Artikel von Peter Mikolajczyk und Sven
Westbrock im "Rüsselsheimer Echo" vom 10. November 2017: "Reichspogromnacht.
Als die Synagogen brannten.
Die Reichspogromnacht liegt 79 Jahre zurück. Dass ihnen das Erinnern an die Verbrechen von damals noch immer wichtig ist, haben viele Menschen am Donnerstagabend bewiesen.
KREIS GROß-GERAU. Es war neblig und kalt. Trotzdem waren am Donnerstagabend 300 Menschen in Groß-Gerau dabei: Nach einem Schweigemarsch durch die Darmstädter und Frankfurter Straße wurde vor dem Denkmal für die ehemalige Synagoge an die Reichspogromnacht 1938 erinnert, in der das Unrecht an der jüdischen Bevölkerung einen vorläufigen Höhepunkt erreichte.
Der Pfarrer für Ökumene im Dekanat, Jürgen Prawitz, zitierte den Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel, erinnerte daran, dass 79 Jahre vergangen seien, seitdem die Synagogen brannten. Gleichwohl dürfe dem vergessen kein Ende gesetzt werden.
Die Oberstufenschüler des Prälat-Diehl-Gymnasiums, die sich engagiert der Erforschung des Nazi-Unrechtes widmen, schilderten dann eindringlich, wie die Meldungen über die Zerstörung der Synagogen im Starkenburger Land beim Gauleiter eingingen.
Von der Bergstraße über den Odenwald und Darmstadt bis Groß-Gerau brannten in jener unheilvollen Nacht 35 Synagogen, oder die Inneneinrichtung der Gotteshäuser wurde zertrümmert.
Weil die Feuerwehren keine Hand rührten, um die von der SA angezündeten Synagogen zu löschen, brannten viele noch am nächsten Tag, auch die in Groß-Gerau. Damit aber nicht genug: Dekanin Birgitt Schlegel erinnerte daran, dass an diesem Tag auch der Genozid gegen die jüdischen Mitbürger begann.
'Zuerst verloren sie ihre Würde, dann ihre Rechte und schließlich auch ihr
Leben,' sagte sie. Die Tatsache, dass der Geist aus dieser Zeit noch immer wach sei, müsse erschrecken. Birgit Schlegel ging dabei auf das neue Erstarken von Nationalismus und rechtem Gedankengut in Europa ein. Auch in Deutschland erfahre völkisches Denken wieder eine Auferstehung. Dahinter verberge sich aber nichts anderes als neuer Hass und Ausgrenzung.
Konzert in Bischofsheim. Eine etwas andere Art des Gedenkens gab es im Bischofsheimer Heimatmuseum.
Bericht weiter zitiert auf der
Seite zu Bischofsheim."
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Links und Literatur
Links:
Quellen:
Literatur:
| Germania Judaica II,1 S. 305; III,1 S. 474. |
| Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang -
Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. 1 S. 285-288. |
| ders.: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Bilder -
Dokumente. S. 77-78. |
| Anni Bardon: Synagogen in Hessen um 1900. In: 900
Jahre Geschichte der Juden in Hessen, Wiesbaden 1983. |
| Harold Hammer-Schenk: Synagogen in Deutschland. Geschichte
einer Baugattung im 19. und 20. Jahrhundert. Teil I S. 370. Teil II Abb. 292. |
| Angelika Schleindl: Verschwundene Nachbarn.
Jüdische Gemeinden und Synagogen im Kreis Groß-Gerau. Hg. Kreisausschuss
des Kreises Groß-Gerau und Kreisvolkshochschule. Groß-Gerau 1990. |
| Hans Georg Vorndran / Jürgen Ziegler: Juden
in Groß-Gerau. Eine lokale Spurensuche. 2. Aufl. 1989. |
| Studienkreis Deutscher Widerstand (Hg.):
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der
Verfolgung 1933-1945. Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt. 1995 S. 159-162. |
| Pinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish
Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume
III: Hesse - Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992
(hebräisch) S. 135-139. |
Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the
Holocaust".
First published in 2001 by NEW
YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad
Vashem Jerusalem, Israel.
Gross-Gerau
Hesse. No permanent community was established there until 1728, when the town
council authorized the building of a synagogue. The community numbered 141 (4 %
of the total) in 1885. A larger synagogue was opened in 1892 in the town center
and - though affiliated with the Liberal rabbinate of Darmstadt - kept to the
Orthodox mode of worship. Under the Weimar Republic, Jews attained prominence in
civis and commercial life. By 1925, the Jewish population had risen to 161 (3
%), but from 30 March 1933 the Nazi boycott campaign subjected Jews to public
insult, violence and ruin, compelling many to leave. On Kristallnacht
(9-10 November 1938), the synagogue was burned down and 24 Jews were attacked,
their homes looted and vandalized. Nearly all of the 140 Jews left after 1933 (more
than 30 emigrating), and on 7 November 1940 the town was declared "free of
Jews" (judenrein). In 1978 a memorial was erected on the site of the
destroyed synagogue and in 1984 Yad Vashem awarded the (posthumous) title of
Righteous among the Nations to Wilhelm Hamann of Gross-Gerau, who helped save
the lives of 150 children while imprisoned in the Buchenwald concentration camp.
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