Baisingen Friedhof 154.jpg (62551 Byte)  Segnende Hände der Kohanim auf einem Grabstein in Baisingen


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Wollenberg (Stadt Bad Rappenau, Landkreis Heilbronn) 
Jüdische Geschichte / Betsaal/Synagoge

Übersicht: 

bulletZur Geschichte der jüdischen Gemeinde  
bulletBerichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde   
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer  
Berichte aus dem jüdischen Gemeindeleben  
Berichte zu einzelnen Personen aus der Gemeinde   
bulletZur Geschichte der Synagoge   
bulletFotos / Darstellungen  
bulletLinks und Literatur   

       

Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english version)     
    
In dem bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts zum Ritterkanton Kraichgau gehörenden und im Besitz der Herren von Gemmingen-Guttenberg befindlichen Ort Wollenberg bestand eine jüdische Gemeinde bis 1938. Ihre Entstehung geht in die Zeit des 17. Jahrhundert zurück. Um 1660 werden hier erstmals Juden genannt. 1723 sind es inzwischen zehn jüdische Männer (acht davon mit ihren Familien), die im Alter von 22 und 57 Jahren waren. 
    
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie folgt: 1825 108 jüdische Einwohner (30,0 % von insgesamt 360 Einwohner), 1830 150 (36,6 % von 410), 1875 97 (26,1 % von 371), 1887 81, 1896 41 (in 13 Familien), 1898 42 (in 13 Haushaltungen, von insgesamt 306 Einwohnern), 1900 32 (12,5 % von 257).
  
An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde eine Synagoge (s.u.), eine Schule und ein rituelles Bad. Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war ein Lehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war.
Als Lehrer werden genannt: um 1887/1898 Lehrer Emanuel Reis (unterrichtete 1896/1898 an der Religionsschule der Gemeinde sechs Kinder; er erteilte den Religionsunterricht auch in Hüffenhardt, Siegelsbach und Obergimpern), um 1901 Lehrer L. Röthler (unterrichtete 1901 sechs Kinder). um 1903 Lehrer L. Aberbach.  
 
Die Gemeinde wurde 1827 dem Rabbinatsbezirk Sinsheim zugeteilt.  
 
An jüdischen Vereinen gab es: einen Israelitischen Frauenverein (1869 genannt, 1896/1905 unter Leitung der Frau von K. Kern), einen Israelitischen Armenunterstützungsverein (1896/1901 unter Leitung von M. B. Kern), einen Israelitischen Sterbe- und Beerdigungsverein (bzw. Israelitischer Leichenbestattungsverein, 1896/1901 unter Leitung von K. Kern und J. Löbmann, 1905 L. Löbmann), einen Israelitischen Wohltätigkeitsverein (1905 unter Leitung von J. Kahn). 
 
Von den Gemeindevorstehern werden genannt: um 1869 Hermann Kern, um 1876/1879 Heinrich Kern, um 1896 C. Kern, S. Kahn und J. Löbmann.  
 
Die jüdischen Einwohner Wollenbergs nahmen aktiv am dörflichen Leben teil. Marx Bär Kern war 1877 bis 1901 einer der damals drei Gemeinderäte. Von den drei Gastwirtschaften am Ort wurde eine von einem jüdischen Wirt betrieben. Die meisten jüdischen Gewerbetreibenden betätigten sich als Viehhändler, Lazarus Löbmann hatte eine Mehlhandlung, Isak und Samuel Kahn waren Metzger. 
 
Im Ersten Weltkrieg fielen aus der jüdischen Gemeinde Ferdinand Löbmann (geb. 20.9.1877 in Wollenberg, vor 1914 in Bingen wohnhaft, gef. 6.10.1915) und Leutnant Hermann Kern (geb. 24.9.1894 in Wollenberg, vor 1914 in Heilbronn wohnhaft, gef. 30.6.1918). Ihre Namen stehen auf den Gefallenen-Gedenktafeln in der evangelischen Kirche.     
   
An ehemaligen, bis nach 1933 bestehenden Handelsbetrieben im Besitz jüdischer Familien sind bekannt: Viehhandlung Heinrich Kahn (Wohnhaus Deinhardstraße 50, Stall Zum Forst 25), Textilgeschäft Salomon Kahn und Eisenwarengeschäft (Inh. nicht mehr bekannt, Deinhardstraße 15, abgebrochen), Schuhcreme-Handel Ferdinand Löbmann (Am Kirchberg 4), Viehhandlung Karl Mayer und Sohn Juske Mayer (Deinhardstraße 5), Eisenwarenhandlung Gustav Reis (Deinhardstraße 4), Kurzwarenhandlung Julius Steinberg (Deinhardstraße 27).
    
1933 lebten noch 21 jüdische Personen in Wollenberg. Von diesen Personen sind zwei noch am Ort verstorben, drei ausgewandert und neun in andere Ort in Deutschland verzogen. Die letzten elf wurden am 22. Oktober 1940 in das KZ Gurs in Südfrankreich deportiert. Von ihnen sind zwei in französischen Lagern gestorben und zwei in Auschwitz ermordet worden. Eine jüdische Frau konnte noch in die USA emigrieren, sechs jüdische Personen sind verschollen. Von drei Wollenberger Juden, die nach auswärts verzogen waren, sind zwei in Theresienstadt und eine Person in Izbica umgekommen.    
      
Von den in Wollenberg geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Adolf Heilberg (1862), Rosa Herz geb. Kahn (1895), Bruno Isaak (1901), Frieda Kahn geb. Oppenheimer (1886), Ludwig Kahn (1904), Salomon Kahn (1885), Aron Kern (1863), Bernhard Kern (1863), Ferdinand Löbmann (1885), Siegmund Löbmann (1891), Jenny Maier geb. Löbmann (1883), Karl Maier (1879), Karola Maier (1922), Siegfried Nissensohn (1862), Erna Reis (1905), Gustav Reis (1881), Johanna Reis geb. Oppenheim (1882), Cilli Steineberg geb. Thalheimer (1867), Julius Steineberg (1868), Julius Stern (1865), Emanuel Strauss (1869), Caroline Ullmann geb. Kern (1899). 
 
Zur Erinnerung an die im Oktober 1940 nach Gurs deportieren jüdischen Einwohner Wollenbergs wurden auf Grund einer Initiative einer Konfirmandengruppe 2008 zwei Gedenksteine erstellt, einer für das zentrale Mahnmal in Neckarzimmern, einer zur Aufstellung in Wollenberg. Nachdem am Ort mehrere Jahre das Geld zur Aufstellung nicht zusammengebracht wurde, steht der Gedenkstein inzwischen neben der Kirche in Wollenberg. Vgl. ein Artikel in der "Heilbronner Stimme" vom 20.11.2011.   
    
Hinweis auf "Stolpersteine" für das Ehepaar Karl Maier und Jenny geb. Löbmann     
(Quelle: Website friedenswoche-minden.de
)   

Minden Stolperstein MaierKarl 010.jpg (26126 Byte)An das Wollenberger Ehepaar Karl Maier und Jenny geb. Löbmann erinnern "Stolpersteine" von dem Haus Wilhelmstraße 18 in Minden. Karl Maier ist 1879 in Horkheim; seine Frau Jenny geb. Loebmann 1883 in Wollenberg; die beiden hatten zwei Kinder. Die Familie lebte zunächst in Sontheim, später in Wollenberg. Hier betrieb Karl Maier ein gut gehendes Viehhandelsgeschäft, das er jedoch 1937 zwangsweise aufgeben musste. Nach dem Novemberpogrom 1938 wurde Karl Maier verhaftet und in das KZ Dachau beschleppt. Im Herbst 1940 verließen Karl und Jenny Maier Wollenberg. Sie lebten zunächst in Hausberge bei ihrem Sohn, seit Anfang Januar 1941 in Minden, hier zuletzt im Haus von Albert Müller in der Wilhelmstraße 18. 
Minden Stolperstein MaierJenny.jpg (27268 Byte)Ende Juli 1942 wurden sie deportiert, zunächst in das Ghetto  Theresienstadt, wo Albert Maier 1943 umgekommen ist; seine Frau Jenny 1944 in Auschwitz. Die beiden Kinder des Ehepaares überlebten. Tochter Erna konnte rechtzeitig emigrieren; Sohn Justin wurde deportiert, hat jedoch überlebt.       

        
        
        
Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde  
       
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer 
Ausschreibung der Religionslehrerstelle 1899 bis 1904    

Wollenberg Israelit 09101899.jpg (61483 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 9. Oktober 1899: "Die mit einem Gehalte von 750 - 900 Mark und Nebeneinnahmen im Betrage von 250 Mark verbundene Stelle eines Religionslehrers, Kantors und Schächters in Wollenberg, Bezirk Sinsheim und dessen Filialen, soll baldigst besetzt werden. Meldungen mit einfachen Zeugnisabschriften, die nicht zurückgesandt werden, sind zu richten an die Bezirkssynagoge. I.V. 
Rabbiner Dr. Eschelbacher, 
Bruchsal, den 4. Oktober 1899."  
 
Wollenberg Israelit 04031901.jpg (44469 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4. März 1901: "Religionsschulstelle
Die Religionsschulstelle zu Wollenberg, nebst den Filialen Hüffenhardt, Obergimpern und Siegelsbach, mit einem Gehalt von 950 Mark, freier Wohnung und Nebeneinnahmen ist per 1. Mai dieses Jahres (eventuell später) zu besetzen. 
Bezirkssynagoge Sinsheim zu Heidelberg."   
 
Wollenberg Israelit 01081901.jpg (52615 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 1. August 1901: "Religionsschulstelle
Die mit Schächter- und Vorbeterdienst verbundene Religionslehrerstelle zu Wollenberg, Bezirkssynagoge Sinsheim, nebst den zugehörigen Gemeinden Hüffenhardt, Obergimpern, Siegelsbach ist sofort zu besetzen. Gehalt 1.000 Mark, freie Wohnung, Nebeneinkommen. Verheiratete bevorzugt. Meldungen an Rabbiner Dr. Oppenheim, Mannheim, F.1,11."  
 
Wollenberg Israelit 01081904.jpg (32072 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 1. August 1904: "Religionsschulestelle, verbunden mit Vorsänger und Schächterdienst in Wollenberg und Hüffenhardt. Sitz in Wollenberg. Gehalt 900 Mark, außer freier Wohnung und Nebeneinnahmen. Meldungen an die Bezirkssynagoge Heidelberg Dr. Pinkuß."    
 
Hueffenhardt Israelit 21111904.jpg (61386 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21. November 1904: "Religionsschulstelle. Die mit Vorbeter- und Schächterdienst verbundene Religionslehrerstelle in Wollenberg, Hüffenhardt und Siegelsbach, Amt Sinsheim, mit dem Sitz in Wollenberg, ist möglichst bald zu besetzen. Gehalt 1.050 Mark, freie Wohnung und Nebeneinkommen. Meldungen sind zu richten an die Bezirkssynagoge Heidelberg: Dr. Pinkuß." 

          
Die Lehrerstelle wird mit Religionslehrer Tuch besetzt (1910)  

Neckarbischofsheim FrfIsrFambl 26081910.jpg (36933 Byte)Mitteilung im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 26. August 1910: "Aus Baden. Die mit dem Vorsänger- und Schächterdienst verbundene Religionsschulstelle in Neckarbischofsheim (mit Filiale Waibstadt) wurde dem Religionslehrer Bloch in Grünsfeld (Baden) übertragen, jene in Wollenberg (Baden) dem Lehrer Tuch in Speyer am Rhein."

     
    
Berichte aus dem jüdischen Gemeindeleben        
Die Gemeinde geht der Auflösung entgegen (1929)   

Obergimpern Israelit 05121929.jpg (98153 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 5. Dezember 1929: "Obergimpern (Baden). Unsere Gemeinde teilt auch das Los aller Landgemeinden und steht vor ihrer Auflösung. Eine Familie ist diese Woche wieder weggezogen, andere werden folgen. Vor dem Kriege war hier noch eine stattliche religiöse Gemeinde, wo Schabbos und Feiertage noch streng gehalten wurden; das hat sich auch noch bis heute bei den noch ansässigen Familien bewahrt. Obergimpern ist eine der ältesten Gemeinden der Umgegend; die schöne zweistöckige Synagoge, welche mitten im Orte steht, wurde im Jahre 1805 von den damaligen Gemeindemitgliedern unter großen Opfern erbaut. Nach dem Kriege wurde sie neu restauriert und sind schon einige Jahre ohne Minjan. Auch unsere Nachbargemeinden Wollenberg, Siegelsbach, Rappenau, Grombach, alle vor dem Kriege noch stattliche Gemeinden, stehen vor ihrer Auflösung. In Obergimpern haben die Juden neben ihrem Geschäft noch größere Landwirtschaft selbst betrieben und haben in der Arbeit den anderen Bauern nicht nachgegeben."  

        
        
Über einzelne Personen aus der jüdischen Gemeinde   
Über den aus Wollenberg stammenden Wormser Kantor Raimund Isaac (1891)     

Wollenberg Israelit 02031891.jpg (181352 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2. März 1891: "Worms. Am vergangenen Sonntage bewegte sich ein unendlich großer Leichenzug nach dem jüdischen Friedhofe, um hier die sterblichen Überreste des nach mehrmonatlichem schweren Leiden verstorbenen Kantors Reimund Isaac dem Schoße der Erde zu übergeben. Der Ungemein große Leichenkondukt, sowie der tiefe Ernst, der sich auf allen Gesichtern lagerte, waren beredtes Zeugnis, dass man einem Manne die letzte Ehre erweise, der im Leben durch sein Wirken die Linie des Alltäglichen um Bedeutendes überschritten haben müsse.  
Isaac war im Jahre 1827 in Wollenberg (Großherzogtum Baden) geboren. Nachdem er sich für das Lehrfach vorbereitet, besuchte er das Seminar zu Karlsruhe. Sein erste Anstellung war zu Mingolsheim bei Bruchsal. Von hier aus übernahm er eine Religionslehrerstelle im hiesigen kreise und übersiedelte dann im Jahre 1857 hierher, um seinen späteren Schwiegervater im Amte zu unterstützen. Nach dessen Tod wurde ihm die Stelle eines 2. Kantors und Schochet übertragen, welche Stellen er bis zum vorigen Jahre bekleidete, wo alsdann der Vorstand die Schechitah seinem Schwiegersohne übertrug, während er das Amt eines Kantors noch selbst verwaltete. Wie sehr freute man sich, dass dem gewissenhaften Mann jetzt der schwere Beruf der Schechita abgenommen und er jetzt mit Ruhe den Abend seines Lebens verbringen könne; aber die Worte der heiligen Schrift 'Und er sah die Ruhstatt, dass sie gut...' (1. Mose 49,15) hatten für ihn keine Bedeutung. Der Keim der Krankheit war schon zu stark in ihm entwickelt. Trotzdem sahen wir ihn morgens und abends am Vorbeterpulte, um hier seines Amtes zu walten, bis ihn die Krankheit so heftig ergriff, dass er 2 Monate lang das Zimmer und Bett hüten musste, bis ihn am vergangenen Freitag ein sanfter Tod von seinem Leiden erlöste.   Dem Schmerz über den Verlust eines solch gewissenhaften beamten gab denn auch Herr Rabbiner Dr. Stein in bewegten Worten Ausdruck, indem er den Verstorbenen in seiner Gewissenhaftigkeit, Aufrichtigkeit und Bescheidenheit schilderte. Ergreifend war, was der Redner über seine Leistungen als Kantor sprach. Wie er durch die uralten traditionellen Melodien an den Hohen Feiertagen die Gottesbesucher zur Andacht stimmte und wie selbst bei seinen Funktionen an den Werktagen .... auf ihm lag. Wer in solcher Weise seine Pflichten erfüllt hat, der stirbt nicht; er lebt fort nicht nur in den Herzen der Seinen, sondern auch in denen der ganzen Gemeinde. (Rdsch.)."        

    
Über Herbert Kahn (1917-1991)     

Herbert Kahn (1917 Wollenberg - 1991 Haifa), um 1960 Lehrer der Israelitischen Religionsgemeinschaft in Stuttgart; setzte sich seit 1975 für den Aufbau der christlich-jüdischen Beziehungen zwischen Württemberg und Israel ein; in der ehemaligen Fortbildungsstätte Kloster Denkendorf (bis 2009) erinnerte an ihn ein "Herbert-Kahn-Zimmer". 

    
    
    
Zur Geschichte des Betsaals / der Synagoge   
        
Die jüdischen Familien wohnten bis in das 19. Jahrhundert hinein vor allem in dem 1667 erstmals genannten herrschaftlichen "Judenhaus", das mitten im Dorf lag ("langer Bau" bzw. auch "Judenbau" genannt). Hier war nach einem Bericht von 1727 neben neun Wohnungen auch die Synagoge (Judenschule) untergebracht. Dieser Betsaal im Judenbau war bei der zunehmenden Zahl der jüdischen Einwohner Wollenbergs mit der Zeit zu klein geworden, auch muss der Bauzustand des gesamten "Judenbaus" um 1780 so katastrophal gewesen sein, dass die jüdischen Männer sich in diesem Jahr eindringlich an die Herrschaft wandten. Der Judenbau sei "so schlecht und baufällig, dass nicht einer trocken darin wohnen kann, sondern das wenige Mobiliar, so wir haben, verfault, ja sogar regnet es uns in die Betten. Die Schule (Betsaal) [...] ist noch elender beschaffen, wir können unser Gebet nicht mehr darinnen verrichten, unsere Stühle sind voll Wasser und Schnee, sodass wir sie gar nicht mehr gebrauchen können...". "Untertänigst und fußfälligst" baten die Vertreter der Gemeinde, "dass wir armen Tropfen eine bessere Wohnung und Schule bekommen".  
       
Viel geschah erst einmal nicht. Im Blick auf die Synagoge wurde überlegt, ob es günstiger sei, an den alten Bau eine neue Schule anzubauen oder der jüdischen Gemeinde einen Bauplatz zu geben, wo sie diese auf eigene Kosten errichten konnten. Dann entschied sich jedoch die herrschaftliche Familie zu einem völligen Neubau des Judenbaus, in dem 13 Wohnungen, die Synagoge, Metzgerei, Backofen und Bad sowie ein kleiner Viehstall untergebracht werden sollten. Den Baukosten von etwas mehr als 4.000 Gulden sollten Miete und andere Einnahmen von 216 Gulden jährlich gegenüberstehen. Im Januar 1790 konnte der Neubau bezogen werden. Da in den folgenden Jahren weitere jüdische Familien nach Wollenberg zuzogen, wurde 1795 von der Herrschaft ein weiteres Judenhaus mit sechs Wohnungen erstellt. Für den Betsaal im Judenbau wurde eine Synagogenordnung erstellt, über deren Einhaltung der "Judenschultheiß" zu wachen hatte. Nachdem das andere Judenhaus 1795 bezogen war, erwies sich der Betsaal im Judenbau als nicht mehr ausreichend; er war sowieso schon zu eng bemessen gewesen. 1823 beantragte die jüdische Gemeinde deshalb eine Vergrößerung, etwa durch Einbau einer Frauenempore. Man hatte inzwischen sogar einen Betrag für eine neue Synagoge angespart. 
        
Da eine Vergrößerung des bisherigen Betsaales nicht zu verwirklichen war, wurde 1824 ein Grundstück für einen Neubau in der heutigen Deinenhardstraße erworben. Für den Betrag von 1.875 Gulden konnte der Bau, in dem auch die Schule und eine Lehrerwohnung untergebracht waren, 1825 fertiggestellt werden. Die Unterhaltung der Synagoge erfolgte weitgehend durch Gebühren und Strafen. Die Religionslehrer und Vorsänger holte sich die Gemeinde teilweise von weit her. Darunter waren Mannes Hermann aus Hainshart bei Nördlingen oder Salomon Isak aus Hechingen, bis der Staat forderte, nur noch inländische (das heißt badische) Vorsänger anzustellen. Unter den danach angestellten Personen war Lehrer Kern aus Wollenberg selbst, sein Nachfolger Stern aus Siegelsbach.  
       
Um 1920 war die Zahl der jüdischen Gemeindeglieder bereits stark zurückgegangen. Arthur Reis, der die Wollenberger Synagoge als "schön und geräumig" in Erinnerung hat, beschrieb die Situation der Gemeinde zu dieser Zeit: "Es gab dort weder Lehrer noch Vorbeter und oftmals konnte am Schabbat oder an den Feiertag kaum ein ‚Minjan’ aufgebracht werden. Jugend war so gut wie keine vorhanden" (Der eiserne Steg S. 30). Zu den hohen Feiertagen holte man sich zu den Vorbeterdiensten Hilfe von auswärts; der genannte Arthur Reis übernahm auch einmal diesen Dienst (ebd. S. 38).  
      
Beim Novemberpogrom 1938 wurde von einem SA-Trupp die Wollenberger Synagoge bis auf die Grundmauern zerstört. Das Grundstück musste die jüdische Gemeinde kostenlos an die politische Gemeinde abgeben und noch 250 RM für die Beseitigung der Mauerreste bezahlen. Die letzten Reste der Synagoge wurden um 1965 abgebrochen; das Gründstück 1971 an die Anlieger verkauft.
    
    
Plan  

Links: Plan der Grundstücke im Bereich der Deinhardstraße  17/19   
   
Die Synagoge stand auf dem Grundstück Flurstück Nr. 93 mit 2,38 ar. Dieses Grundstück ist durch Kaufvertrag vom 29.6.1939 an die politische Gemeinde Wollenberg verkauft worden. In dem Kaufvertrag heißt es u.a.: "Die Israelitische Gemeinde Wollenberg ist Eigentümerin der Synagoge Flurstück Nr. 93 mit 2,38 ar. Von diesem Gebäude stehen nur noch die Grundmauern, die aber auch beseitigt werden. Da die Grundmauern noch beseitigt werden müssen, ist ein Kaufpreis nicht zu bezahlen. Die Israelitische Gemeinde zahlt vielmehr an die Gemeinde Wollenberg eine Entschädigung von 250 Reichsmark. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Abräumungsarbeiten einen Kostenaufwand von 300 Reichsmark verursachen und der Platz für die Gemeinde einen Werk von 50 Reichsmark hat." Wann die Grundmauern abgerissen worden sind, lässt sich nicht mehr feststellen. 
1971 hat die Gemeinde Wollenberg das Grundstück Flurstück Nr. 93 an die angrenzenden Nachbarn verkauft (Deinhardstraße 17 und 19). Es ist zu diesem Zweck in einer Grundstück Flurstück Nr. 93 mit 1,75 ar und in ein Grundstück Flurstück Nr. 93/101 mit 63 m² aufgeteilt worden
.

Wollenberg Plan 002.jpg (46824 Byte)
Ortsplan Wollenberg vor 1938 mit eingezeichneter Synagoge (1) 
und Mikwe ("Judenbad", 2)


   
   
   
Fotos 
Historisches Foto:

Wollenberg Synagoge 100.jpg (117260 Byte)

Kirche und Synagoge in Wollenberg - Vergrößerung 
der Kopie einer historischen Ansichtskarte

Fotos nach 1945/Gegenwart:  

Foto um 1985:
(Foto: Hahn)
Wollenberg Synagoge 002.jpg (71671 Byte) 
   Blick auf das Gebäude Deinhardstraße 17 mit Anbau auf dem 
ehemaligen Synagogengrundstück
   
Neuere Fotos 
(Fotos: Hahn, Aufnahmedatum 30.9.2003) 
Wollenberg Synagoge 150.jpg (71065 Byte) Wollenberg Synagoge 151.jpg (52818 Byte)
  Blick auf die Häuser an der Deinhardstraße; der Anbau des Gebäudes Deinhardstraße 17
 (Garage) ist auf dem ehemaligen Synagogengrundstück erbaut 
   
Hinweis auf ungewöhnliche
 Darstellungen von Evangelisten als
 Juden auf der Kanzel der
 evangelischen Kirche in Wollenberg 
(Fotos: Bernd Göller, Bad Rappenau)
Wollenberg 003 Matthaeus.jpg (61537 Byte) Wollenberg 007 Lukas.jpg (78663 Byte)
   Die Evangelisten Matthäus (links) und Lukas (rechts) werden auf der Kanzel der 
evangelischen Kirche in Wollenberg bewusst als Juden dargestellt. Das Verhältnis zwischen j
üdischer und evangelischer Gemeinde war gut: 1848 stiftete die Wollenberger jüdische
 Gemeinde der evangelischen Kirche einen Kronleuchter.   
        

   
    

Links und Literatur  

Links:  

bulletWebsite der Stadt Bad Rappenau  
bulletWebsite der Projektgruppe "Judentum im Kraichgau" bei der Realschule Waibstadt - Seite zu Wollenberg  

Quellen:   

Hinweis auf online einsehbare Familienregister der jüdischen Gemeinde Sandhausen  
In der Website des Landesarchivs Baden-Württemberg (hier: Generallandesarchiv Karlsruhe) sind einige Familienregister aus badischen jüdischen Gemeinden einsehbar: 
Link zur Übersicht (nach Amtsgerichtsbezirken) https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/olf/struktur.php?bestand=12390 
Zu Wollenberg ist vorhanden (auf der jeweiligen Unterseite zur Einsichtnahme weiter über "Digitalisate anzeigen"):    
390 Nr. 3527: Wollenberg, evangelische und israelitische Gemeinde: Standesbuch 1810-1819  http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=4-1222173  
390 Nr. 3528: Wollenberg, evangelische und israelitische Gemeinde. Standesbuch 1820-1829  http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=4-1222174  
390 Nr. 3529: Wollenberg, evangelische und israelitische Gemeinde. Standesbuch 1830-1837  http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=4-1222175  
390 Nr. 3530: Wollenberg, evangelische und israelitische Gemeinde. Standesbuch 1838-1842  http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=4-1222176  
390 Nr. 3531: Wollenberg, evangelische und israelitische Gemeinde. Standesbuch 1843-1847  http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=4-1222177  
390 Nr. 3532: Wollenberg, evangelische und israelitische Gemeinde. Standesbuch 1848-1870  http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=4-1222178 .       

Literatur:  

bulletFranz Hundsnurscher/Gerhard Taddey: Die jüdischen Gemeinden in Baden. 1968. S. 300-301.  
bulletWolfram Angerbauer/Hans Georg Frank: Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn. S. 238-244. Eingestellt als pdf-datei.  
bulletArthur Reis: Der eiserne Steg. Heilbronn 1987.  
bulletJoseph Walk (Hrsg.): Württemberg - Hohenzollern - Baden. Reihe: Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust (hebräisch). Yad Vashem Jerusalem 1986. S. 329.     
bulletsynagogenbuch-1.jpg (32869 Byte)Joachim Hahn / Jürgen Krüger: "Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...". Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen. Hg. von Rüdiger Schmidt, Badische Landesbibliothek, Karlsruhe und Meier Schwarz, Synagogue Memorial, Jerusalem. Stuttgart 2007.  

     
       


 

Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the Holocaust". 
First published in 2001 by NEW YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad Vashem Jerusalem, Israel.

Wollenberg  Baden. Few Jews were present in the 16th-17th century. The community reached a peak population of 150 in 1830 (total 410) and then declined steadily to 21 in 1933. The synagogue built in 1825 was vandalized on Kristallnacht (9-10 November 1938), and the last 11 Jews were deported to the Gurs concentration camp on the 22 October 1940. All perished.  
     
      

                   
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Copyright © 2003 Alemannia Judaica - Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum
Stand: 30. Juni 2020