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zu den Synagogen in
Baden-Württemberg
Wollenberg (Stadt Bad Rappenau, Landkreis
Heilbronn)
Jüdische Geschichte / Betsaal/Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english
version)
In dem bis zum Anfang des
19. Jahrhunderts zum Ritterkanton Kraichgau gehörenden und im Besitz der Herren
von Gemmingen-Guttenberg befindlichen Ort Wollenberg bestand eine jüdische
Gemeinde bis 1938. Ihre Entstehung geht in die Zeit des 17. Jahrhundert zurück.
Um 1660 werden hier erstmals Juden genannt. 1723 sind es inzwischen zehn jüdische
Männer (acht davon mit ihren Familien), die im Alter von 22 und 57 Jahren
waren.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie
folgt: 1825 108 jüdische Einwohner (30,0 % von insgesamt 360 Einwohner), 1830
150 (36,6 % von 410), 1875 97 (26,1 % von 371), 1887 81, 1896 41 (in 13
Familien), 1898 42 (in 13 Haushaltungen, von insgesamt 306 Einwohnern), 1900 32 (12,5 % von 257).
An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde eine Synagoge (s.u.), eine
Schule und ein rituelles Bad. Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war
ein Lehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war.
Als Lehrer werden genannt: um 1887/1898 Lehrer Emanuel Reis
(unterrichtete 1896/1898 an der Religionsschule der Gemeinde sechs Kinder; er
erteilte den Religionsunterricht auch in
Hüffenhardt, Siegelsbach und
Obergimpern), um 1901 Lehrer L. Röthler
(unterrichtete 1901 sechs Kinder). um 1903 Lehrer L. Aberbach.
Die Gemeinde wurde 1827 dem Rabbinatsbezirk
Sinsheim zugeteilt.
An jüdischen Vereinen gab es: einen Israelitischen Frauenverein
(1869 genannt, 1896/1905 unter Leitung der Frau von K. Kern), einen
Israelitischen Armenunterstützungsverein (1896/1901 unter Leitung von M. B.
Kern), einen Israelitischen Sterbe- und Beerdigungsverein (bzw.
Israelitischer Leichenbestattungsverein, 1896/1901 unter Leitung von K. Kern
und J. Löbmann, 1905 L. Löbmann), einen Israelitischen Wohltätigkeitsverein
(1905 unter Leitung von J. Kahn).
Von den Gemeindevorstehern werden genannt: um 1869 Hermann Kern, um
1876/1879 Heinrich Kern, um 1896 C. Kern, S. Kahn und J. Löbmann.
Die jüdischen Einwohner Wollenbergs nahmen aktiv am dörflichen Leben teil.
Marx Bär Kern war 1877 bis 1901 einer der damals drei Gemeinderäte. Von den
drei Gastwirtschaften am Ort wurde eine von einem jüdischen Wirt betrieben. Die
meisten jüdischen Gewerbetreibenden betätigten sich als Viehhändler, Lazarus
Löbmann hatte eine Mehlhandlung, Isak und Samuel Kahn waren Metzger.
Im Ersten Weltkrieg fielen aus der jüdischen Gemeinde Ferdinand Löbmann
(geb. 20.9.1877 in Wollenberg, vor 1914 in Bingen wohnhaft, gef. 6.10.1915) und
Leutnant Hermann Kern (geb. 24.9.1894 in Wollenberg, vor 1914 in Heilbronn
wohnhaft, gef. 30.6.1918). Ihre Namen stehen auf den Gefallenen-Gedenktafeln in
der evangelischen Kirche.
An ehemaligen, bis nach 1933 bestehenden Handelsbetrieben im Besitz jüdischer
Familien sind bekannt: Viehhandlung Heinrich Kahn (Wohnhaus Deinhardstraße
50, Stall Zum Forst 25), Textilgeschäft Salomon Kahn und Eisenwarengeschäft
(Inh. nicht mehr bekannt, Deinhardstraße 15, abgebrochen), Schuhcreme-Handel
Ferdinand Löbmann (Am Kirchberg 4), Viehhandlung Karl Mayer und Sohn Juske
Mayer (Deinhardstraße 5), Eisenwarenhandlung Gustav Reis (Deinhardstraße 4),
Kurzwarenhandlung Julius Steinberg (Deinhardstraße 27).
1933 lebten noch 21 jüdische Personen in Wollenberg. Von diesen Personen
sind zwei noch am Ort verstorben, drei ausgewandert und neun in andere Ort in
Deutschland verzogen. Die letzten elf wurden am 22. Oktober 1940 in das KZ Gurs
in Südfrankreich deportiert. Von ihnen sind zwei in französischen Lagern
gestorben und zwei in Auschwitz ermordet worden. Eine jüdische Frau konnte noch
in die USA emigrieren, sechs jüdische Personen sind verschollen. Von drei
Wollenberger Juden, die nach auswärts verzogen waren, sind zwei in
Theresienstadt und eine Person in Izbica umgekommen.
Von den in Wollenberg geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen
Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Adolf Heilberg (1862),
Rosa Herz geb. Kahn (1895), Bruno Isaak (1901), Frieda Kahn geb. Oppenheimer
(1886), Ludwig Kahn (1904), Salomon Kahn (1885), Aron Kern (1863), Bernhard Kern
(1863), Ferdinand Löbmann (1885), Siegmund Löbmann (1891), Jenny Maier geb. Löbmann
(1883), Karl Maier (1879), Karola Maier (1922), Siegfried Nissensohn (1862),
Erna Reis (1905), Gustav Reis (1881), Johanna Reis geb. Oppenheim (1882), Cilli
Steineberg geb. Thalheimer (1867), Julius Steineberg (1868), Julius Stern
(1865), Emanuel Strauss (1869), Caroline Ullmann geb. Kern (1899).
Zur Erinnerung an die im Oktober 1940 nach Gurs deportieren jüdischen Einwohner
Wollenbergs wurden auf Grund einer Initiative einer Konfirmandengruppe 2008 zwei
Gedenksteine erstellt, einer für das zentrale Mahnmal
in Neckarzimmern, einer zur Aufstellung in Wollenberg. Nachdem am Ort
mehrere Jahre das Geld zur Aufstellung nicht zusammengebracht wurde, steht der
Gedenkstein inzwischen neben der Kirche in Wollenberg. Vgl. ein Artikel
in der "Heilbronner Stimme" vom 20.11.2011.
Hinweis auf "Stolpersteine" für das Ehepaar Karl Maier und Jenny
geb. Löbmann
(Quelle: Website
friedenswoche-minden.de)
An
das Wollenberger Ehepaar Karl Maier und Jenny geb. Löbmann erinnern
"Stolpersteine" von dem Haus Wilhelmstraße 18 in Minden. Karl
Maier ist 1879 in Horkheim; seine Frau
Jenny geb. Loebmann 1883 in Wollenberg; die beiden hatten zwei Kinder. Die
Familie lebte zunächst in Sontheim,
später in Wollenberg. Hier betrieb Karl Maier ein gut gehendes
Viehhandelsgeschäft, das er jedoch 1937 zwangsweise aufgeben musste. Nach
dem Novemberpogrom 1938 wurde Karl Maier verhaftet und in das KZ Dachau
beschleppt. Im Herbst 1940 verließen Karl und Jenny Maier Wollenberg. Sie
lebten zunächst in Hausberge bei ihrem Sohn, seit Anfang Januar 1941 in
Minden, hier zuletzt im Haus von Albert Müller in der Wilhelmstraße
18.
Ende
Juli 1942 wurden sie deportiert, zunächst in das Ghetto
Theresienstadt, wo Albert Maier 1943 umgekommen ist; seine Frau Jenny 1944
in Auschwitz. Die beiden Kinder des Ehepaares überlebten. Tochter Erna
konnte rechtzeitig emigrieren; Sohn Justin wurde deportiert, hat jedoch
überlebt. |
Aus der Geschichte der jüdischen
Gemeinde
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer
Ausschreibung der Religionslehrerstelle 1899 bis 1904
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 9. Oktober 1899:
"Die mit einem Gehalte von 750 - 900 Mark und Nebeneinnahmen im
Betrage von 250 Mark verbundene Stelle eines Religionslehrers, Kantors und
Schächters in Wollenberg, Bezirk Sinsheim und dessen Filialen,
soll baldigst besetzt werden. Meldungen mit einfachen Zeugnisabschriften,
die nicht zurückgesandt werden, sind zu richten an die
Bezirkssynagoge. I.V.
Rabbiner Dr. Eschelbacher,
Bruchsal, den 4. Oktober 1899." |
|
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4. März 1901:
"Religionsschulstelle.
Die Religionsschulstelle zu Wollenberg, nebst den Filialen Hüffenhardt,
Obergimpern und Siegelsbach,
mit einem Gehalt von 950 Mark, freier Wohnung und Nebeneinnahmen ist per 1.
Mai dieses Jahres (eventuell später) zu besetzen.
Bezirkssynagoge Sinsheim zu Heidelberg." |
|
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 1. August 1901:
"Religionsschulstelle.
Die mit Schächter- und Vorbeterdienst verbundene
Religionslehrerstelle zu Wollenberg, Bezirkssynagoge Sinsheim,
nebst den zugehörigen Gemeinden Hüffenhardt,
Obergimpern,
Siegelsbach
ist sofort zu besetzen. Gehalt 1.000 Mark, freie Wohnung, Nebeneinkommen.
Verheiratete bevorzugt. Meldungen an Rabbiner Dr. Oppenheim,
Mannheim, F.1,11." |
|
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 1. August 1904:
"Religionsschulestelle, verbunden mit Vorsänger und Schächterdienst
in Wollenberg und Hüffenhardt. Sitz in Wollenberg. Gehalt 900
Mark, außer freier Wohnung und Nebeneinnahmen. Meldungen an die
Bezirkssynagoge Heidelberg Dr. Pinkuß." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21. November 1904: "Religionsschulstelle.
Die mit Vorbeter- und Schächterdienst verbundene Religionslehrerstelle in
Wollenberg, Hüffenhardt
und Siegelsbach, Amt Sinsheim, mit
dem Sitz in Wollenberg, ist möglichst bald zu besetzen. Gehalt 1.050
Mark, freie Wohnung und Nebeneinkommen. Meldungen sind zu richten an die Bezirkssynagoge
Heidelberg: Dr. Pinkuß." |
Die Lehrerstelle wird mit Religionslehrer Tuch
besetzt (1910)
Mitteilung
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 26. August
1910: "Aus Baden. Die mit dem Vorsänger- und Schächterdienst
verbundene Religionsschulstelle in Neckarbischofsheim
(mit Filiale Waibstadt) wurde dem Religionslehrer Bloch in
Grünsfeld
(Baden) übertragen, jene in Wollenberg (Baden) dem Lehrer Tuch in
Speyer am Rhein." |
Berichte aus dem jüdischen
Gemeindeleben
Die Gemeinde geht der Auflösung entgegen
(1929)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 5. Dezember 1929: "Obergimpern
(Baden). Unsere Gemeinde teilt auch das Los aller Landgemeinden und
steht vor ihrer Auflösung. Eine Familie ist diese Woche wieder
weggezogen, andere werden folgen. Vor dem Kriege war hier noch eine
stattliche religiöse Gemeinde, wo Schabbos und Feiertage noch streng
gehalten wurden; das hat sich auch noch bis heute bei den noch ansässigen
Familien bewahrt. Obergimpern ist eine der ältesten Gemeinden der
Umgegend; die schöne zweistöckige Synagoge, welche mitten im Orte steht,
wurde im Jahre 1805 von den damaligen Gemeindemitgliedern unter großen
Opfern erbaut. Nach dem Kriege wurde sie neu restauriert und sind schon
einige Jahre ohne Minjan. Auch unsere Nachbargemeinden Wollenberg,
Siegelsbach,
Rappenau,
Grombach, alle vor dem Kriege noch stattliche
Gemeinden, stehen vor ihrer Auflösung. In Obergimpern haben die Juden
neben ihrem Geschäft noch größere Landwirtschaft selbst betrieben und
haben in der Arbeit den anderen Bauern nicht
nachgegeben." |
Über einzelne
Personen aus der jüdischen Gemeinde
Über den aus Wollenberg stammenden Wormser Kantor
Raimund Isaac (1891)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2. März 1891: "Worms.
Am vergangenen Sonntage bewegte sich ein unendlich großer Leichenzug nach
dem jüdischen Friedhofe, um hier die sterblichen Überreste des nach
mehrmonatlichem schweren Leiden verstorbenen Kantors Reimund Isaac dem
Schoße der Erde zu übergeben. Der Ungemein große Leichenkondukt, sowie
der tiefe Ernst, der sich auf allen Gesichtern lagerte, waren beredtes
Zeugnis, dass man einem Manne die letzte Ehre erweise, der im Leben durch
sein Wirken die Linie des Alltäglichen um Bedeutendes überschritten
haben müsse.
Isaac war im Jahre 1827 in Wollenberg (Großherzogtum Baden)
geboren. Nachdem er sich für das Lehrfach vorbereitet, besuchte er das
Seminar zu Karlsruhe. Sein erste Anstellung war zu Mingolsheim
bei Bruchsal. Von hier aus übernahm er eine Religionslehrerstelle im
hiesigen kreise und übersiedelte dann im Jahre 1857 hierher, um seinen
späteren Schwiegervater im Amte zu unterstützen. Nach dessen Tod wurde
ihm die Stelle eines 2. Kantors und Schochet übertragen, welche Stellen
er bis zum vorigen Jahre bekleidete, wo alsdann der Vorstand die
Schechitah seinem Schwiegersohne übertrug, während er das Amt eines
Kantors noch selbst verwaltete. Wie sehr freute man sich, dass dem
gewissenhaften Mann jetzt der schwere Beruf der Schechita abgenommen und
er jetzt mit Ruhe den Abend seines Lebens verbringen könne; aber die
Worte der heiligen Schrift 'Und er sah die Ruhstatt, dass sie gut...'
(1. Mose 49,15) hatten für ihn keine Bedeutung. Der Keim der Krankheit
war schon zu stark in ihm entwickelt. Trotzdem sahen wir ihn morgens und
abends am Vorbeterpulte, um hier seines Amtes zu walten, bis ihn die
Krankheit so heftig ergriff, dass er 2 Monate lang das Zimmer und Bett
hüten musste, bis ihn am vergangenen Freitag ein sanfter Tod von seinem
Leiden erlöste. Dem Schmerz über den Verlust eines solch
gewissenhaften beamten gab denn auch Herr Rabbiner Dr. Stein in bewegten
Worten Ausdruck, indem er den Verstorbenen in seiner Gewissenhaftigkeit,
Aufrichtigkeit und Bescheidenheit schilderte. Ergreifend war, was der
Redner über seine Leistungen als Kantor sprach. Wie er durch die uralten
traditionellen Melodien an den Hohen Feiertagen die Gottesbesucher zur
Andacht stimmte und wie selbst bei seinen Funktionen an den Werktagen ....
auf ihm lag. Wer in solcher Weise seine Pflichten erfüllt hat, der stirbt
nicht; er lebt fort nicht nur in den Herzen der Seinen, sondern auch in
denen der ganzen Gemeinde.
(Rdsch.)." |
Über Herbert Kahn (1917-1991)
Herbert Kahn (1917 Wollenberg - 1991 Haifa), um 1960 Lehrer der
Israelitischen Religionsgemeinschaft in Stuttgart; setzte sich seit 1975 für den Aufbau der christlich-jüdischen Beziehungen zwischen Württemberg und Israel ein;
in der ehemaligen Fortbildungsstätte Kloster Denkendorf (bis 2009) erinnerte an ihn ein
"Herbert-Kahn-Zimmer". |
Zur Geschichte des Betsaals / der Synagoge
Die jüdischen Familien wohnten
bis in das 19. Jahrhundert hinein vor allem in dem 1667 erstmals genannten
herrschaftlichen "Judenhaus", das mitten im Dorf lag ("langer Bau" bzw. auch "Judenbau"
genannt). Hier war nach einem Bericht von 1727 neben neun Wohnungen auch
die Synagoge (Judenschule) untergebracht. Dieser Betsaal im Judenbau war
bei der zunehmenden Zahl der jüdischen Einwohner Wollenbergs mit der Zeit zu
klein geworden, auch muss der Bauzustand des gesamten "Judenbaus" um 1780 so
katastrophal gewesen sein, dass die jüdischen Männer sich in diesem Jahr
eindringlich an die Herrschaft wandten. Der Judenbau sei "so schlecht und baufällig,
dass nicht einer trocken darin wohnen kann, sondern das wenige Mobiliar, so wir
haben, verfault, ja sogar regnet es uns in die Betten. Die Schule (Betsaal) [...]
ist noch elender beschaffen, wir können unser Gebet nicht mehr darinnen
verrichten, unsere Stühle sind voll Wasser und Schnee, sodass wir sie gar nicht
mehr gebrauchen können...". "Untertänigst und fußfälligst" baten die
Vertreter der Gemeinde, "dass wir armen Tropfen eine bessere Wohnung und Schule
bekommen".
Viel geschah erst einmal nicht. Im Blick auf die Synagoge
wurde überlegt, ob es günstiger sei, an den alten Bau eine neue Schule
anzubauen oder der jüdischen Gemeinde einen Bauplatz zu geben, wo sie diese auf
eigene Kosten errichten konnten. Dann entschied sich jedoch die herrschaftliche
Familie zu einem völligen Neubau des Judenbaus, in dem 13 Wohnungen, die
Synagoge, Metzgerei, Backofen und Bad sowie ein kleiner Viehstall untergebracht
werden sollten. Den Baukosten von etwas mehr als 4.000 Gulden sollten Miete und
andere Einnahmen von 216 Gulden jährlich gegenüberstehen. Im Januar 1790
konnte der Neubau bezogen werden. Da in den folgenden Jahren weitere jüdische
Familien nach Wollenberg zuzogen, wurde 1795 von der Herrschaft ein weiteres
Judenhaus mit sechs Wohnungen erstellt. Für den Betsaal im Judenbau wurde eine
Synagogenordnung erstellt, über deren Einhaltung der "Judenschultheiß" zu
wachen hatte. Nachdem das andere Judenhaus 1795 bezogen war, erwies sich der
Betsaal im Judenbau als nicht mehr ausreichend; er war sowieso schon zu eng
bemessen gewesen. 1823 beantragte die jüdische Gemeinde deshalb eine Vergrößerung,
etwa durch Einbau einer Frauenempore. Man hatte inzwischen sogar einen Betrag für
eine neue Synagoge angespart.
Da eine Vergrößerung des bisherigen Betsaales nicht zu
verwirklichen war, wurde 1824 ein Grundstück für einen Neubau in der
heutigen Deinenhardstraße erworben. Für den Betrag von 1.875 Gulden konnte der
Bau, in dem auch die Schule und eine Lehrerwohnung untergebracht waren, 1825
fertiggestellt werden. Die Unterhaltung der Synagoge erfolgte weitgehend durch
Gebühren und Strafen. Die Religionslehrer und Vorsänger holte sich die
Gemeinde teilweise von weit her. Darunter waren Mannes Hermann aus Hainshart
bei Nördlingen oder Salomon Isak aus Hechingen,
bis der Staat forderte, nur noch inländische (das heißt badische) Vorsänger
anzustellen. Unter den danach angestellten Personen war Lehrer Kern aus
Wollenberg selbst, sein Nachfolger Stern aus Siegelsbach.
Um 1920 war die Zahl der jüdischen Gemeindeglieder bereits
stark zurückgegangen. Arthur Reis, der die Wollenberger Synagoge als "schön
und geräumig" in Erinnerung hat, beschrieb die Situation der Gemeinde zu dieser
Zeit: "Es gab dort weder Lehrer noch Vorbeter und oftmals konnte am Schabbat
oder an den Feiertag kaum ein ‚Minjan’ aufgebracht werden. Jugend war so gut
wie keine vorhanden" (Der eiserne Steg S. 30). Zu den hohen Feiertagen holte man
sich zu den Vorbeterdiensten Hilfe von auswärts; der genannte Arthur Reis übernahm
auch einmal diesen Dienst (ebd. S. 38).
Beim Novemberpogrom 1938 wurde von einem SA-Trupp die
Wollenberger Synagoge bis auf die Grundmauern zerstört. Das Grundstück musste
die jüdische Gemeinde kostenlos an die politische Gemeinde abgeben und noch 250
RM für die Beseitigung der Mauerreste bezahlen. Die letzten Reste der Synagoge
wurden um 1965 abgebrochen; das Gründstück 1971 an die Anlieger verkauft.
Plan
Links:
Plan der Grundstücke im Bereich der Deinhardstraße 17/19
Die Synagoge stand auf dem
Grundstück Flurstück Nr. 93 mit 2,38 ar. Dieses Grundstück ist durch
Kaufvertrag vom 29.6.1939 an die politische Gemeinde Wollenberg verkauft worden.
In dem Kaufvertrag heißt es u.a.: "Die Israelitische Gemeinde Wollenberg
ist Eigentümerin der Synagoge Flurstück Nr. 93 mit 2,38 ar. Von diesem Gebäude
stehen nur noch die Grundmauern, die aber auch beseitigt werden. Da die
Grundmauern noch beseitigt werden müssen, ist ein Kaufpreis nicht zu bezahlen.
Die Israelitische Gemeinde zahlt vielmehr an die Gemeinde Wollenberg eine Entschädigung
von 250 Reichsmark. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Abräumungsarbeiten
einen Kostenaufwand von 300 Reichsmark verursachen und der Platz für die
Gemeinde einen Werk von 50 Reichsmark hat." Wann die Grundmauern abgerissen
worden sind, lässt sich nicht mehr feststellen.
1971 hat die Gemeinde Wollenberg das Grundstück Flurstück Nr. 93 an die
angrenzenden Nachbarn verkauft (Deinhardstraße 17 und 19). Es ist zu diesem
Zweck in einer Grundstück Flurstück Nr. 93 mit 1,75 ar und in ein Grundstück
Flurstück Nr. 93/101 mit 63 m² aufgeteilt worden.
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Ortsplan Wollenberg vor 1938
mit eingezeichneter Synagoge (1)
und Mikwe ("Judenbad", 2) |
Fotos
Historisches Foto:
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Kirche und Synagoge in
Wollenberg - Vergrößerung
der Kopie einer historischen Ansichtskarte |
Fotos nach 1945/Gegenwart:
Foto um 1985:
(Foto: Hahn) |
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Blick auf das Gebäude Deinhardstraße 17 mit Anbau auf dem
ehemaligen Synagogengrundstück |
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Neuere Fotos
(Fotos: Hahn, Aufnahmedatum 30.9.2003) |
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Blick auf die
Häuser an der Deinhardstraße; der Anbau des Gebäudes Deinhardstraße 17
(Garage) ist auf dem ehemaligen Synagogengrundstück erbaut |
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Hinweis auf ungewöhnliche
Darstellungen von Evangelisten als
Juden auf der Kanzel der
evangelischen Kirche in Wollenberg
(Fotos: Bernd Göller, Bad Rappenau) |
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Die Evangelisten
Matthäus (links) und Lukas (rechts) werden auf der Kanzel der
evangelischen Kirche in Wollenberg bewusst als Juden dargestellt. Das
Verhältnis zwischen j
üdischer und evangelischer Gemeinde war gut: 1848
stiftete die Wollenberger jüdische
Gemeinde der evangelischen Kirche einen Kronleuchter. |
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Links und Literatur
Links:
Quellen:
Literatur:
| Franz Hundsnurscher/Gerhard Taddey: Die jüdischen Gemeinden in Baden.
1968. S. 300-301. |
| Wolfram Angerbauer/Hans Georg Frank: Jüdische Gemeinden in
Kreis und Stadt Heilbronn. S. 238-244. Eingestellt
als pdf-datei. |
| Arthur Reis: Der eiserne Steg. Heilbronn 1987. |
| Joseph Walk (Hrsg.): Württemberg - Hohenzollern -
Baden. Reihe: Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from
their foundation till after the Holocaust (hebräisch). Yad Vashem Jerusalem
1986. S. 329. |
| Joachim
Hahn / Jürgen Krüger: "Hier ist nichts anderes als
Gottes Haus...". Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte
und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen. Hg. von Rüdiger Schmidt,
Badische Landesbibliothek, Karlsruhe und Meier Schwarz, Synagogue Memorial,
Jerusalem. Stuttgart 2007. |
Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the
Holocaust".
First published in 2001 by NEW
YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad
Vashem Jerusalem, Israel.
Wollenberg Baden. Few
Jews were present in the 16th-17th century. The community reached a peak
population of 150 in 1830 (total 410) and then declined steadily to 21 in 1933.
The synagogue built in 1825 was vandalized on Kristallnacht (9-10
November 1938), and the last 11 Jews were deported to the Gurs concentration
camp on the 22 October 1940. All perished.
vorherige Synagoge zur ersten Synagoge nächste Synagoge
|