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in Gießen
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Geschichte der Rabbiner und weiterer Kultusbeamten im 19./20. Jahrhundert
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19./20. Jahrhundert
Gießen (Hessen)
Texte/Berichte zur jüdischen Geschichte der Stadt -
Berichte aus dem jüdischen Gemeinde- und Vereinsleben
Die nachstehend wiedergegebenen Texte mit
Beiträgen zur jüdischen Geschichte in Gießen wurden in jüdischen Periodika
gefunden.
Bei Gelegenheit werden weitere Texte eingestellt.
Die Texte hat dankenswerterweise Susanne Reber
abgeschrieben.
Übersicht:
Berichte
aus dem jüdischen Gemeinde- und Vereinsleben
Die Befürworter von liberalen Reformen in der Gemeinde
formieren sich (1845)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 9. Juni 1845: "Gießen, 20. Mai (Frankfurter Journal) Die
Reformbewegungen im Judentum haben auch hier begonnen. Am 11. d. vereinigten
sich nämlich die Freunde des Fortschritts aus der hiesigen israelitischen
Gemeinde, zu denen die Mehrzahl derselben gehört, zu einer gemeinsamen
Besprechung über die jetzt, mit Rücksicht auf die nahe bevorstehende zweite
Rabbinerversammlung, im Interesse der heiligen Sache vorzunehmende Schritte.
Sicherm Vernehmen nach hat man vorerst eine Gegenerklärung gegen die
Protestation der 77, jedem zeitgemäßen Fortschritte abgeneigten und an den
abgelebten Talmudismus (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Talmud) sich anklammernden Rabbinen,
welche nächstens der Öffentlichkeit übergeben werden dürfte beschlossen und
eine zweite Versammlung auf den 18. dieses Monats verabredet." |
Leichenteile aus der Anatomie der Universität werden
auf Initiative von Rabbiner Dr. Levi nun würdiger beigesetzt sowie andere
Mitteilungen (1860)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 18. September 1860: "Aus dem Großherzogtum Hessen, im
August (1860) (Privatmitteilung). Die Religion der Liebe ist nicht
diejenige, welche von der Liebe spricht, sondern jene, welche diese Liebe
durch Taten zeigt; deshalb sah sich ein Rabbiner veranlasst, einen Missstand
mit Erfolg zu bekämpfen, welche auf dem Standpunkte des Judentums mit der
dem Nebenmenschen schuldigen Achtung und Liebe sich nicht verträgt. – An der
Universität zu Gießen war es nämlich bisher Gebrauch, dass die Überreste der
menschlichen Leichen, nachdem sie auf dem Anatomietische der Wissenschaft
gedient hatten, ohne Bekleidung, ja sogar ohne Sarg, durcheinander in ein an
der Friedhofsmauer gegrabenes Loch geworfen, und da, nicht als ob sie die
Überreste einer menschlichen Leiche gewesen wären, verscharrt wurden. Es
sind zwar die Leichen von Verbrechern, welche der Anatomie überliefert
werden, aber auch im Schuldvollen sollen wir nach den Lehren des Judentums
den Bruder achten (5. Buch Mose 25, 3) und die Leiche des Gehängten soll
nicht über Nacht am Galgen bleiben (daselbst 21, 23), weshalb der
großherzogliche Rabbiner Dr. Levi zu Gießen sich aufgefordert fühlte,
wegen dieses das religiöse Gefühl tief verletzenden Verfahrens gegen die
menschliche Leiche bei der betreffenden Staatsbehörde Beschwerde zu führen,
in Folge deren auf eine an den Professor der Anatomie ergangene Verfügung
derselbe sich bereiterklärte, die Überreste der Leiche eines Individuums
christlichen Glaubens in einem Sarge gesondert und die eines Individuums
mosaischen (vgl.
https://de.wiktionary.org/wiki/mosaisch) Glaubens auf eine ähnliche
Weise auf einem israelitischen Friedhofe beerdigen zu lassen. Es genügt
diese einfache Mitteilung, um auf gleiche Fälle in anderen
Universitätsstädten aufmerksam zu machen.
Die Rabbiner-Witwen-und-Waisen-Kasse zahlt jetzt an zwei Witwen verstorbener
Vereinsmitglieder jährliche Gehalte aus, welche größtenteils aus den Zinsen
der Vereinskasse bestritten werden. Es ist zu verwundern, dass die Kasse,
welche auf diese Weise bereits ihre segensreichen Früchte spendet, nicht
einer größeren Teilnahme sich erfreut, insbesondere, dass sie noch immer von
den israelitischen Gemeinden unbeachtet bleibt, welche durch eine
Beteiligung an derselben auf eine liebevolle und höchst billige Weise den
Hinterbliebenen ihrer Rabbiner die ihnen schuldige Unterstützung zusichern
könnten. Auf eine solche Beteiligung der Gemeinden hoffte jene
Generalversammlung, welche am 22. Oktober 1857 zur Frankfurt a. M. die
Statuten der Kasse revidierte und denselben folgende Abstimmung hinzufügte:
C. Beteiligung der Gemeinden § 16. Die Gemeinden respektive Rabbinatsbezirke
sind berechtigt, ihre angestellten Rabbiner und Prediger in die Kasse
einzukaufen und die Beiträge für dieselben zu entrichten. Die näheren
Modalitäten sind von der Direktion unter sorgfältiger Berücksichtigung aller
bezüglichen statutenmäßigen Bestimmungen mit den betreffenden Gemeinden,
respektive Rabbinatsbezirken zu vereinbaren. Eine Bestimmung, welche von den
israelitischen Gemeinden aus vielen Gründen die sorgfältige Beachtung
verdient." |
Ein jüdisches Brautpaar lehnt den traditionellen
Brauch bezüglich der Chaliza ab (1862)
Anmerkung: Zum Thema Chaliza vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Chalitza-Schuh sowie den Artikel
http://juedisches-recht.org/mc-famil-r-schwagerehe.htm
Dazu auch zum jüdischen Scheiderecht
https://de.wikipedia.org/wiki/Scheidebrief
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 19. August 1862: "Gießen, im August (Privatmitteilung) Bei
Gelegenheit einer Trauung, im Begriffe, dem Bräutigam und seinem Bruder die
Versprechen wegen Ketubba (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Ketubba) und Chaliza (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Chalitza-Schuh) abnehmen zu lassen,
erklärte mir Ersterer, im Angesichte und mit Zustimmung des Letzteren, wie
auch im Angesichte und mit Zustimmung seiner Braut und ihres Vaters: 'Herr
Rabbiner! Ich und mein Bruder und meine Braut, wir alle wollen nicht, dass,
wenn ich ohne Kinder sterben sollte, diese meine künftige Frau irgendeine
Verbindung mit diesem meinem Bruder haben soll, er soll sie weder heiraten
noch ihr Chalizah geben; es ist das ihr und mein bestimmter Wille. In
Gegenwart dieser beiden Zeugen geben mir alle drei Ihnen diese Erklärung und
dass wir mit dieser Voraussetzung unsere Ehe schließen.' Auf meine Anfrage,
ob er diese Voraussetzung zur Bedingung der Gültigkeit der Trauung mache,
ward er stutzig und erwiderte: Nein, das nicht, er wolle sich ohne Vorbehalt
trauen lassen, nur aber bitte er mich, von seiner und seines Bruders und
seiner Braut geschehenen Erklärung amtliche Notiz zu nehmen, was denn auch
geschehen ist. Eine ganz ähnliche Erklärung machte mir später ein Bräutigam
in Verbindung mit seiner Braut, dessen Bruder in Amerika war. Beide Ehepaare
sind inzwischen mit Kindern gesegnet und beide Vorkommenheiten darum ohne
weitere praktische Folgen geblieben. Anders ist es dem nachstehenden
vielleicht noch niemals vorgekommenen Falle. Vor etlichen Jahren wanderte
ein junger Mann nach Amerika aus, dessen Bruder im Begriffe war, zu
heiraten, nachdem er zuvor diesem den gewöhnlichen Chaliza-Vertrag
ausgefertigt, also dann erklärt hatte, vorkommenden Falles seiner
hinterbliebenen Witwe Chaliza erteilen zu wollen. Das junge Ehepaar
ward mit einem Kinde gesegnet, welches aber starb. Und nun brach über
dasselbe der Geist des Unfriedens herein, der so weit ausartete, dass es zu
tätlichen Misshandlungen und in beiden Ehegatten die Überzeugung zur Reife
kam, dass sie fortan unmöglich mehr zusammenbleiben könnten. Sie kamen daher
gütlich überein, sich scheiden zu lassen, was nach unseren Landesgesetzen
geschehen kann, indem sie eine desfallsige gemeinschaftliche Eingabe bei dem
Landesherren einreichen ließen. Die Sache war schon durch alle Instanzen
gerichtlich verhandelt und zulässig befunden worden, ich hatte bereits mein
zustimmendes rabbinisches Gutachten darüber abgegeben, und das Ehepaar
harrte täglich des allerhöchsten Ausspruchs seiner Scheidung, die freilich
nur unter der Bedingung erfolgt wäre, dass ihr die religiöse Scheidung
über die Erstellung eines Scheidebriefes vorangehen und nachfolgen
müsse. Da wird der Mann plötzlich krank und stirbt. Anstatt von Menschen,
sind sie nun von Gott geschieden. Und nun ist die Frau eine Witwe. Aber ihr
Schwager ist in Amerika, und nicht allein das, er sitzt dort wegen
infamierender Handlungen auf eine längere Reihe von Jahren im Zuchthaus.
Könnte und wollte die Frau auch nach Amerika reisen (wie vor einigen Jahren
eine solche in derselben Absicht hierher!), so könnte ihr Schwager doch den
Chaliza-Akt nicht vollziehen, weil er gefangen ist. Auch macht sie
geltend, dass sie ja auf dem Punkte gestanden habe, von ihrem Manne
geschieden zu werden, sie habe von diesem nichts mehr wissen wollen und
ebenso wenig und noch weniger von seinem Bruder. Die Frau ist Braut und will
von mir getraut sein. Es wäre mir sehr erwünscht, über diesen gewiss höchst
seltenen Fall in diesen Blättern die Meinung solcher Männer zu vernehmen,
die gleich mir, gewohnt sind, in allem, was die jüdischen Ehegesetze
betrifft, sich möglichst an den Eben Haeser (vgl.
https://en.wikipedia.org/wiki/Even_Ha'ezer) zu halten. Rabbiner
Dr. Levi." |
Die liberalen Reformen sind an Gießen bislang
"so ziemlich alle ... spurlos vorübergegangen"
(1863)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 29. Dezember 1863: "Gießen, im Dezember (1863).
(Privatmitteilung) Wer unsern Gottesdienst besucht, wird sich wundern, zu
vernehmen, dass an uns so ziemlich alle Reformen, die sich im Schoße anderer
Gemeinden segensvoll entwickelt haben, spurlos vorübergegangen sind, die von
rabbinischen Autoritäten eingeführten Kürzungen der Gebete, werden hier
ignoriert und die jeden Israeliten mit Pietät erfüllende hebräische Sprache
wird von dem mit dürftiger Orgelbegleitung exekutierten Chor in einer Weise
gesungen und rezitiert, dass hierbei der ästhetische Sinn eines jeden
gebildeten Menschen auf das Unangenehmste berührt wird. Wie ist es unter
solchen Verhältnissen möglich, sich zu erbauen und zu erheben? Was sollen
unsere Kinder für einen Begriff von Gottesverehrung bekommen, wenn wir sie
in die Synagoge führen? Unser Rabbiner Dr. Levi, der bekanntlich ein
trefflicher und gefühlvoller Redner ist, predigt in ganz unregelmäßigen,
möglichst großen Zwischenräumen und werden hierdurch diejenigen
Gemeindeangehörigen, welche namentlich eine Predigt hören wollen, gar nicht
gewahr, wenn eine solche überhaupt gehalten wird. Unsere Synagoge ist
allerdings in Bezug auf ihren Platz ein der Religion spottendes Gebäude (siehe
zur alten Synagoge in der früheren Zozelsgasse), sie steckt in einer
schmutzigen Gasse zwischen Ökonomiegebäuden (landwirtschaftliche Gebäude),
worin, Dank unserem energischen Vorsitzenden, während des Gottesdienstes
Frucht gedroschen oder die Dislokation von Rindvieh (Rinder werden aus oder
in der Stall getrieben) vorgenommen wird; es entstehen die skandalösesten
Störungen. Inzwischen ist die gegründete Hoffnung vorhanden, dass im
nächsten Jahre mit dem Neubau einer Synagoge begonnen wird, wozu bereits ein
passender Platz gekauft ist, und wenn wir auch dermalen kein würdiges
Gotteshaus besitzen, so dürfte und müssten doch seitens des Vorstandes und
des Rabbinen (Rabbiner Dr. Benedikt Levi) ernstliche Maßregeln vorgenommen
werden, um dem gegenwärtig wahrhaft jämmerlichen Zustande der
Kultusangelegenheiten ein Ende zu machen. Es ist durchaus nicht richtig, mit
der Einführung einer zeitgemäßen Liturgie bis zur Vollendung der neuen
Synagoge zu warten, Reformen sind umso wirksamer, wenn sie vorbereitet
werden; mit der Abschaffung von ganz unpassenden, spezifisch christlichen
Melodien hat man nicht zu zögern und andere, von nationalem Charakter
getragene, zu substituieren. Ich verweise hierbei auf die wertvollen
Arbeiten des Herrn Weintraub (wahrscheinlich ist der Königsberger
Kantor Hirsch Weintraub gemeint). Der Grund, dass auch bei einem
reformierten Gottesdienste dessen Besuch ein schwacher bleibt, ist eine
überwundene Phrase. Wie dem auch sei, der gegenwärtige Kultuszustand muss
gründlich reformiert werden, wenn der größte Teil der Gemeinde nicht den
Sinn für das Religiöse und für eine öffentliche Andachtsübung ganz und gar
verlieren soll. Mögen diese Zeilen die Berufenen animieren, die religiösen
Verhältnisse von Grund auf zu heben und zu bessern! Es soll mich freuen,
Ihnen bald von einer Neuerung Anzeige machen zu können."
Anmerkung: zu Kantor Hirsch Weintraub:
http://worldcat.org/identities/viaf-98296577/ |
Über
jüdische Strafgefangene im Großherzogtum Hessen (u.a. Marienschloß) - Lehrer
Levi aus Angenrod wird Lehrer an der Vorschule des Gymnasiums in Gießen -
Umbenennung der "Judengasse" in Gießen in "Rittergasse"
(1880)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 16. März 1880: "Gießen, 8. Februar (1880). Über
den geringen Prozentsatz, den die Juden des Großherzogtums Hessen zu den
Strafgefangenen des Landeszuchthauses Marienschloß liefern, ist
bereits voriges Jahr in diesem Blatte berichtet worden. Es liegt mir nun
aber der 20. Hauptrechenschaftsbericht des Vereins zur Unterstützung und
Beaufsichtigung der aus den Strafanstalten des Landes Entlassenen
aus den Jahren 1876-1877 vor. Darnach haben im Jahre 1878 in den 4
Strafanstalten Marienschloß, Darmstadt, Mainz und Dieburg im
Ganzen 2029 Gefangene sich befunden, darunter nur 28 Juden, also der 72.
Teil, während diese doch schon den 33 Teil der Einwohnerschaft des Landes
bilden. Es sollte mich wundern, wenn die Herren Antisemiten diese
Erscheinung nicht damit erklären wollten, dass es den Juden an Mut zur
Verübung von Schlechtigkeiten fehle. Ad vocem Antisemiten, habe ich schon
oft bei mir gedacht: 'nomen omen', oder 'kischmo ken hu' (= 'wie
sein Name, so ist er'). Denn es gibt für diese Herren schlechterdings
keine bessere Bezeichnung, als die sie sich selbst beilegen:
'antisemitisch'. Ihr ganzes liebloses Gebaren ist antisemitisch, das
heißt anti dem Geiste der Liebe, der sich in den Männern semitischen
Blutes Alten und Neuen Testaments kund gibt, jenen Männern, denen die
antisemitischen Herren der Gegenwart nicht würdig wären, die Schuhriemen
zu lösen. - Sodann ist ein weiterer Fortschritt zu Gunsten unserer
Glaubensgenossen im Schulwesen des Großherzogtums zu verzeichnen. Der
seitherige Elementarlehrer Levi zu Angenrod
ist zum Lehrer an der Vorschule des hiesigen (= Gießen) Gymnasiums
ernannt worden, das heißt nicht zum Religionslehrer, sondern zum
ordentlichen Klassenlehrer. Vielleicht der erste derartige Fall in
Deutschland. - Das Dritte, was ich Ihnen zu melden habe, dürfte
vielleicht da und dort einen Sporn zur Nachahmung abgeben. Ich hatte
an unseren Stadtvorstande folgendes Schreiben gerichtet: ...'Bei dieser
Gelegenheit wollte ich mir die Bitte erlauben, Sie möchten geneigt sein,
der im Neustadter Stadtviertel gelegenen sog. Judengasse einen
anderen Namen zu geben. Seit ich hier lebe, also seit mehr denn 50 Jahren,
wohnen meine Glaubensgenossen, gegenwärtig 120 Familien, überall in der
Stadt, nur nicht in jener Gasse. Herr H. B. allein hat einige Zeit zur
Miete darin gewohnt, ist aber auch daraus weggezogen. Es wäre an der
Zeit, dass aus den Mauern unserer aufgeklärten Stadt, mit so humanem
Vorstand an der Spitze, ein solches mittelalterliches zweck- und
gegenstandsloses Überbleibsel schwinde, das nur geeignet ist, in einem
Teile ihrer Einwohnerschaft unangenehme Empfindungen zu wecken. Mit- und
Nachwelt Gießens braucht nicht daran erinnert zu werden, dass es hier
jemals ein Ghetto gegeben hat. Und die Anwohner jener Gasse werden die
Umtaufe derselben gewiss nicht ungern vernehmen.' Unser Stadtvorstand ist
hierauf mit größter Bereitwilligkeit eingegangen und hat sofort die Judengasse
nach einem benachbarten den Namen 'Ritter' führenden Hause in eine 'Rittergasse'
umgetauft. Vivat sequentes! Dr. Levi." |
Die Israelitische Religionsgesellschaft bildet sich
(1886)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
15. November 1886: "Gießen, 12. Nov. Endlich nach langem Kampfe ist
das Werk vollbracht. Es bildet sich in Gießen eine orthodoxe
Separat-Gemeinde. Ein großer Teil der hier wohnhaften Juden hat bereits
ihren Austritt aus der Religionsgemeinde erklärt und haben sich der neuen
Religionsgesellschaft alle diejenigen angeschlossen, die Herz und Sinn für
die alten Traditionen des Judentums und für deren heilige Interessen bewahrt
haben.
Die Veranlassung zu dieser Trennung wurde durch zwei Ursachen begründet.
Erstens sind von den Leitern der alten Gemeinde unsere religiösen
Bedürfnisse total vernachlässigt worden, so ist z.B. in der großen Gemeinde,
die aus 140 Mitgliedern besteht, für keinen Religionsunterricht gesorgt
worden. Wem die Mittel fehlten, seinen Kindern Privatunterricht erteilen zu
lassen, was doch mit schweren Kosten verknüpft war, dem sind sie groß
geworden und aufgewachsen wie die Heiden, und leider ist hier eine ziemliche
Anzahl von jungen Leuten – vorhanden -, die nicht hebräisch lesen können.
Zweitens dadurch, dass eine große Anzahl der hier wohnenden Juden, weil sie
das hohe Einzugsgeld, das ihnen abgefordert wurde, nicht bezahlen konnten –
nicht stimmberechtigt waren, also zu den Fremden gezählt wurden – die kein
Recht haben, ihre Wünsche zum Ausdruck zu bringen – was die Leitung der
Gemeinde solchen Männern anvertraut, die wohl im allgemeinen Verkehr für
ehrenhaft gelten, aber für die heiligen Pflichten des Judentums wenig übrig
hatten. – Möge es der jungen Gemeinde gelingen, die hohen Kosten, die nun
entstanden, aufzubringen. Amen - so mehrte es sich und so breitete es
sich aus (2. Mose 1,12)" |
Über die Zahl der jüdischen Gefängnisinsassen in Hessen -
Bericht von Rabbiner Dr. Levi (1888)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 15. März 1888: "Gießen, im März (Privatmitteilung). Die Zahl der
Insassen der Gefängnisse eines Landes gibt bekanntlich einen ziemlich
sicheren Maßstab für die, inmitten der Einwohnerschaft desselben herrschende
Moralität oder sittliche Bildung ab. Da möge denn, wie in früheren Jahren
schon einmal, in dieser Zeitung auf das günstige Prozentverhältnis
hingewiesen werden, in welchem die jüdischen Sträflinge des Großherzogtums
Hessen zu den Gesamtsträflingen des Landes stehen. Die Juden des
Großherzogtums bilden 3, sage 3 % der Einwohnerschaft desselben. Nach dem
mir vorliegenden '24. Hauptrechenschaftsbericht der Großherzoglichen
Zentralbehörde des Vereins zur Unterstützung und Besserung der aus den
Strafanstalten Entlassenen für die Jahre 1884 und 1885' befanden sich damals
in den 4 Strafanstalten des Landes in
Darmstadt, Mainz,
Dieburg und Marienschloss (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Kloster_Marienschloss) nur 20
Israeliten. Diese trugen also nicht 3 % der Gefängnisse bei, gewiss ein
günstig sprechendes Verhältnis, das auch wie mir bekannt ist, in den beiden
letzten Jahren keine Änderung erfahren hat." |
Zum Ergebnis der Reichstagswahl in Gießen und dem Erfolg der Antisemiten (1890)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 18. April 1890: "Gießen, 14. April. Der seltsame
Ausfall lenkt die allgemeine Aufmerksamkeit auf unsere Stadt. Man hat mich
schon mehrmals gefragt, warum vorzugsweise in den Provinzen Oberhessen, der
großherzoglichen und ehemals kurhessischen, Antisemiten in den Reichstag
gewählt worden seien, und meinten, es müsse da etwas faul im Staate sein,
d.h. die Juden der betreffenden Gegenden müssen wohl besonders durch
wucherische und betrügerische Geschäfte, die sie trieben, Abneigung und Hass
bei den Bewohnern erzeugt haben. Nichts ist falscher als diese Annahme. Die
Juden hierum stehen moralisch und religiös hinter anderen jüdischen
Gemeinden gleicher Lebensstellung nicht zurück; zeichnen sich auch nichts
weniger als durch größere Wohlhabenheit aus. Es gibt nur wenig Wucherer oder
betrügerische Handelsleute unter ihnen; und diese wenigen sind von ihren
eigenen Glaubensgenossen ebenso missachtet, wie von den christlichen. Auch
gibt es verhältnismäßig ebenso viel, wo nicht mehr christliche als jüdische
Wucherer und Betrüger in den Orten, die antisemitisch gewählt haben. Von den
wucherischen Hetzern selbst nicht zu reden. Der Grund, warum die
antisemitischen Hetzprediger in vielen Orten, besonders in Dörfern so viel
Anklang gefunden haben, ist hauptsächlich der, weil in den von ihnen
veranstalteten Versammlungen keine Gegenredner aufgetreten respektive
zugelassen worden sind. In Gießen und
Friedberg und anderen größeren Orten
würden ihnen kompetente Gegner entgegengetreten sein, und gewiss mit Erfolg,
an denen es in den kleineren Orten fehlte. Lassen Sie giftspeiende Blätter
wie in Kassel und
Marburg auch anderwärts erscheinen und
von Haus zu Haus transportiert werden und deren Inhalt in mündlicher Rede
mit lügnerischen Tatsachen und würzigen Anekdoten schmücken; sie werden
überall beim leichtgläubigen, den Juden ohnehin aus ganz anderen Gründen
abgeneigten Landvolke Glauben und Anklang finden. Ob von Seiten der
Vorstände unserer Gemeinden dem nicht zu begegnen gewesen wäre und künftig
in ähnlichen Fällen nicht zu begegnen sein möchte, ist eine andere Frage.
Vielleicht wären da sogenannte Reiseprediger am Orte, welchen Gedanken ich
schon einmal dem Vorstande des deutsch-israelitischen Gemeindebundes
nahelegen wollte. In gleicher Weise wollte ich diesem auch schon den Wunsch
aussprechen, womöglich aller Orten, wo ein antisemitisches Blatt erscheint,
einen Mann zu bestellen, der ihm in geeigneter Weise in Wort und Tat
entgegentrete. Kein Opfer, dafür gebracht, wäre zu groß."
Anmerkung: vgl.
https://www.wikiwand.com/de/Reichstagswahl_1890: In Gießen wurde der
Antisemit Wilhelm Pickenbach gewählt:
https://www.wikiwand.com/de/Wilhelm_Pickenbach
Siehe auch den Artikel
Rabbiner Dr. Levi äußert sich über den Antisemitismus
(1890). |
Antisemitische Provokationen (1891)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
15. Januar 1891: "Gießen, 8. Januar (1891). Ein würdiges
Seitenstück zu dem von Ihnen gemeldeten Wormser Vorgang ist leider von
hier zu berichten. Am Samstag, den 3. dieses Monats, nachts 12 Uhr,
betraten zwei als durchaus ehrenwert und besonnen bekannte junge Leute,
ein Christ und ein Jude, das Seitenzimmer des Café Hetler und ließen
sich an einem leeren Tische nieder. Außer ihnen befanden sich in dem
Raume nur noch 3 Korpsstudenten und ein Fortassessor, die ohne jede
Veranlassung die Letztgekommenen zu hänseln und aufzureizen begannen,
Äußerungen wie: 'Kerle saufen nur Wasser,' 'müssen die Kerle 'rausekeln',
'werft doch die Judenbuben 'raus', usw. fielen, ohne von der Gegenseite,
die augenscheinlich jeden Auftritt vermeiden wollte, beachtet zu werden.
Schließlich erhob sich einer dieser vielversprechenden Jünglinge und
fasste, nachdem er die zum Hauptraume führende Türe geschlossen und eine
andere geöffnet hatte, den einen der beiden Herren mit dem Ausruf an die
Brust: 'Junger Mann, wollen Sie gutwillig herausgehen?' Bei der sich naturgemäß
entwickelnden Prügelei (4 gegen 2) wurde sogar von dem Hirschfänger des Forstassessors
Gebrauch gemacht." |
|
Mitteilung
in der "Allgemeinen Jüdischen Zeitung" vom 22. Januar
1891: "Aus Worms, wie aus Gießen
wird von groben antisemitischen Exzessen gemeldet, welche von Korpsstudenten
gegen harmlose jüdische Wirthausbesucher begangen worden sind." |
Die Beeidigung der Rekruten wird ohne konfessionelle
Trennung vorgenommen (1891)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 20. November 1891: "Aus Gießen. Den Lesern dieses Blattes dürfte aus
vorigem Jahrgang noch erinnerlich sein, dass ich in einer
Immediatvorstellung an Seine Majestät den Kaiser Allerhöchstdenselben
untertänigst gebeten habe, befehlen zu wollen, dass die Beeidigung der
Rekruten hier nicht mehr, wie der zeitige Oberst angeordnet hatte, in
verschiedener Weise (Katholiken und Protestanten in ihren Kirchen, die
Israeliten im Kasernenhof), sondern wie vordem immer von allen Konfessionen
zusammen unter freiem Himmel geschehen solle, und dass daraufhin auf
Allerhöchsten Befehl der Kriegsminister mir erwiderte, es liege in der vom
Regierungskommandeur angeordneten Eidesweise kein Verstoß gegen die
bestehenden Bestimmungen vor, daher keine Veranlassung genommen werden
könne, eine Abänderung des bei dem genannten Regimente beobachteten
Verfahrens anzuordnen. Es gereicht mir nun zu großer Freude und hoher
Befriedigung, mitteilen zu können, dass gestern die Beeidigung der
Rekruten hier wieder in früherer Weise nach Belehrung durch die respektiven
Geistlichen von allen gemeinsam unter freiem Himmel stattgefunden hat.
Gießen, den 12. November 1891. Rabbiner D. Levi." |
(Kleine) Niederlage für die Antisemiten (1891)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
5. März 1891: "Gießen, 1. März. Einen erfreulichen Verweis für
den Niedergang der antisemitischen Torheit auch in hiesiger Stadt, mag der
folgende Vorfall bilden: Eine Wirtschaft, die früher nur von Antisemiten
besucht war, scheint bei dieser Sorte Kundschaft ihre Rechnung nicht mehr zu
finden. Der neue Unternehmer des Gasthofs teilt nämlich in seinem heutigen
Inserate, neben dem Bestreben, die Gäste durch ein gutes Glas Bier erquicken
zu wollen, auch noch mit, dass er 'Hetze nicht dulden werde. Gäste seien
willkommen, ob Christ oder Jude.'
Man fängt auch endlich hier an, an dem bis zum Überdruss abgenutzten Lügen
und Gemeinplätzen der Herren Judenfresser keinen Geschmack mehr zu finden." |
Der Gelehrte Carl Vogt äußert sich über den Antisemitismus
(1892)
Vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Vogt.
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 15. Juli 1892: "Gießen, 5. Juli. Carl Vogt, der berühmte
Gelehrte, hielt dieser Tage auf einem Bankett, das ihm zu Ehren hier in
seiner Vaterstadt gegeben wurde, eine Rede, worin er u. a. sagte: 'Ich habe
in allen Ländern, die ich besucht, erkennen müssen, dass die Gefühle für
Deutschland im Auslande leider nicht derart sind, wie ich es häufig
gewünscht hätte. Machen Sie sich wohl vertraut mit dem Gedanken, meine
Herren, dass Deutschland im Auslande nicht geliebt ist, dass Sie im Auslande
nicht als Freunde geliebt werden.' Warum? Carl Vogt gibt die Antwort dahin,
dass 'nichts so sehr im Auslande verachtet wird als der deutsche
Antisemitismus! Man kann es nicht begreifen, dass so ein zivilisiertes Volk,
wie das deutsche, ein Volk, das einen Goethe, einen Schiller, einen Lessing
besitzt, einen solchen Schandfleck duldet. In England wird der
Antisemitismus als ein Niedergang der deutschen Zivilisation betrachtet!'" |
Über den "Verein zur Beförderung des Handwerks unter den Israeliten in
Oberhessen" (1894)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 11. Mai 1894: "Gießen, 4. Mai. Es gereicht mir zur
Freude, mitteilen zu können, dass eine Empfehlung des Großherzoglichen
Provinzial-Direktors, Freiherr von Gagern (vgl.
https://www.lagis-hessen.de/pnd/116337834), zu Gunsten unseres 'Vereins
zur Beförderung des Handwerks unter den Israeliten in Oberhessen' an
sämtliche israelitischen Gemeinden des Großherzogtums versandt wurde und
gute Resultate verspricht. Die Gemeinde
Friedberg ist, neben den persönlichen Beiträgen der Mitglieder, mit
einem jährlichen Beitrag der Korporation als nachahmungswertes Muster
vorangegangen. Am 21. Januar dieses Jahres fand die Generalversammlung des
Vereins statt. Die Einnahmen betrugen im Berichtsjahr 1.575 Mark, die
Ausgaben 1.229 Mark. – Dem soeben erschienenen zweiten Rechenschaftsbericht
ist auch ein Auszug aus den Statuten beigegeben; der § 5 derselben enthält
die Bestimmung, dass der Verein seine Zwecke durch Veranstaltung von
populären Vorträgen über jüdische Wissenschaft zu erreichen sucht.
Leider teilt der Rechenschaftsbericht über diesen Punkt nicht das Geringste
mit. – Die Gesamtzahl der vom Verein bisher unterstützten Lehrlinge betrug
12, nach erst zweijährigem Wirken des Vereins gewiss ein ganz
anerkennenswertes Resultat. Die jetzige Zahl der Mitglieder betrug 190. Der
Verein erstreckt seine Wirksamkeit nicht nur auf Oberhessen, sondern auch
auf die benachbarten Gebiete, zu dem die antisemitische Agitation noch immer
ihre Orgien feiert." |
Erfolgreiche Arbeit des Talmud-Tora-Vereins
(1894)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
14. Juni 1894: "Gießen, 12. Juni. Bezugnehmend auf die in der
Nummer 45 u. 46 des 'Israelit' erschienene Notiz, freut es uns konstatieren
zu können, dass die Erfolge des neugegründeten Vereines Talmud-Tora
alle Erwartungen übertreffen. Es muss jeden glaubenstreuen Juden umso mehr
erfreuen, als der Schein der Tatsachen nicht ganz entspricht. Viel edles
Feuer für die Erhaltung der Heiligen Tora glimmte in den Herzen der
Gießener Judenheit, und dies brauchte bloß angefacht zu werden, um einer
Flamme gleich emporzusteigen. Ein Samenkorn war's bloß, der in den
Herzensgrund der hiesigen jüdischen Gemeindemitglieder gestreut wurde und
dieser entfaltete sich wahrlich zur schönsten Blüte. Der Eifer für das
Torastudium bekundete sich zwar schon gelegentlich der Konstituierung des 'Talmud-Tora-Literatur-Vereines',
den lobend hervorzuheben der einzige Hauptzweck des ersten Berichts war,
jedoch die verflossenen Festtage berichtigen uns zu den schönsten Hoffnungen
für das Gedeihen des Vereins, indem die Beteiligung eine regere und größere
war. Nicht bloß von berufener Stelle wird dem Vereine das regste Interesse
entgegengebracht, sondern aus allen Schichte der jüdischen Bevölkerung
kommen Erklärungen zum Beitritt und Zustimmungsbekundungen. Hier bewährt
sich in des Wortes wahrster Bedeutung der Satz 'doch nicht verwitwet soll
Israel sein' (Jeremia 51,5) Israel ist und bleibt nie verwaist.
Die Tora hat ihre Heimstätte hier nicht ganz verloren, das jüdische
religiöse Gefühl, es wurzelte in den Herzen der hiesigen Judenheit, bis es
durch die Tat sich jetzt bekundet hat. Wollen wir uns aus vollem Herzen
wünschen, dass der hiesige Verein gedeihe und auch anderwärts Verbreitung
und Nachahmung finde. Ari." |
Gründe für die
Abspaltung der Israelitischen
Religionsgesellschaft und Hoffnung auf Wiedervereinigung der beiden Gemeinden
(1894)
Anmerkung: der Artikel wird aus Sicht der liberal gesinnten "Allgemeinen
Zeitung des Judentums" geschrieben.
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 7. September 1894: "Gießen, 2. September. Es sind auswärts
über die religiösen Gemeindeverhältnisse in Gießen so irrige
Meinungen verbreitet, und es ist kürzlich an die Mitglieder der
israelitischen Religionsgemeinschaft hier an öffentlicher Stelle die Mahnung
ergangen, in ihrer Trennung von der Gemeinde zu beharren, dass es geboten
erscheint, eine wahrheitsgetreue Darlegung derselben zu veröffentlichen. Neu
in die Religionsgemeinde Eintretende haben, mit Genehmigung der
Großherzoglichen Regierung, ein nach ihren Vermögensverhältnissen zu
bemessendes, sogenanntes Einzugsgeld zu zahlen oder zu ihrer Gemeindesteuer
ein besonderes Synagogen-Standgeld zu entrichten; in welchem letzterem Falle
sie damit aber noch nicht ordentliche Gemeindemitglieder werden, denen z.B.
aktives und passives Wahlrecht bei Vorstandswahlen zustände. Eins wie das
andere wollten sich mehrere Hierhergezogene nicht gefallen lassen; sie
gründeten darum für sich eine besondere Religionsgesellschaft mit einem
Gottesdienste, die einem Viertel oder Fünftel der Muttergemeinde
herangewachsen ist, während diese auch ihrerseits an Mitgliedern zugenommen
hat. Hätte der Vorstand seinerzeit die Forderung eines Einzugsgeldes oder
eines besonderen Standgeldes fallen lassen, oder auf ein geringes Maß
reduziert, es wäre niemandem eingefallen, sich von der Gemeinde zu trennen,
ja, es steht nicht zu zweifeln, dass in solchem Falle die Ausgetretenen samt
und sonders wieder in dieselbe zurücktreten würden, wie denn das auch
bereits von vielen geschehen ist. Und warum auch nicht! Unterscheiden sich
doch die Ausgetretenen, wie sie selbst zugestehen, in ihrem religiösen
Denken und Tun nicht im Geringsten von den Mitgliedern der Muttergemeinde.
Befinden sie sich doch mit ihnen in allen religiösen Hinsichten auf gleicher
Stufe und sich nicht um ein Haar mehr orthodox als diese. Ja, Viele meinen
sogar, wenn man beide auf eine Wagschale legte, man müsste scharf hinsehen,
um zu gewahren, wohin sich das Zünglein neige. Das orthodoxe Mäntelchen, das
man von auswärtiger Seite bemüht ist, den Mitgliedern der
Religionsgesellschaft umzuhängen, und über das sie selbst gewiss im Stillen
lachen, zerfällt bei unserm Betracht in Staub. Und so darf man sich denn
auch der sicheren Hoffnung hingehen, dass über kurz oder lang eine
Wiedervereinigung beider Gemeinden in eine erfolgen werde, wie es im
religiösen Interesse nicht minder wie im pekuniären derselben dringend zu
wünschen wäre." |
Neun Jahre Israelitische Religionsgesellschaft
- ein orthodoxer Rabbiner wird gewählt (1895)
Anmerkung: der Artikel wird aus Sicht der konservativ-orthodox gesinnten
Zeitschrift "Der Israelit" geschrieben.
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
4. April 1895: "Gießen, 3. April. Als vor neun Jahren am
hiesigen Platze 30 jüdische Familien zusammengingen, um eine
Religionsgesellschaft zu bilden, haben die Gegner derselben behauptet:
Erstens: Ein Boden für das orthodoxe (gesetzestreue) Judentum ist hier nicht
vorhanden. -
Zweitens: Die Gesellschaft hat mit der Religion nichts zu tun, die
Konstituierung ist nur geschehen, um Geld zu sparen; aus
Sparsamkeitsrücksichten sind 30 Familien aus ihrer Muttergemeinde
ausgeschieden. -
Nun sind neun Jahre verstrichen! Wenn man gefragt wird. Sind die religiösen
Zustände hier seit dieser Zeit besser geworden, oder nicht, so kann jeder,
der die jüdischen Verhältnisse vor 9 Jahren kannte und sie jetzt kennt mit
bestem Gewissen diese Frage bejahen.-
Vor 9 Jahren war ein Religionsunterricht nicht vorhanden. -
Wenn ein jüdisches Kind Bar Mitzwa (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Bar_Mitzwa) wurde; so schrieb man ihm
die Paraschah (Wochenabschnitt aus der Tora, vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Parascha), die ein Bar Mitzwa
in der Synagoge vortragen soll, mit lateinischen Buchstaben auf – der Knabe
musste selbe auswendig lernen – und sie vor dem Sefer Tora
(Torarolle vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Tora#Die_Torarolle) ohne Neginoth (gemeint:
ohne die richtigen Betonungen) hersagen.
Die Schechita (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Schächten) war in zweifelhaften Händen
– Der frühere Schochet (Schächter) hat das Siegel (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Hechscher) an viele Metzger (Fremde,
vermutlich gemeint: auch nichtjüdische Metzger) abgegeben und ließ das
Fleisch von letzteren zeichnen. –
Wie anders ist das heute!
Die Religionsgesellschaft sowohl wie die alte Gemeinde (unter Rabbiner Dr.
Levi) haben junge tüchtige Religionslehrer engagiert. Der
Religionsunterricht ist obligatorisch geworden, es gibt hier kein jüdisches
Kind, welches nicht am Religionsunterricht teilnimmt.
Die Schechita ist in bewährten Händen, sie ist von beiden Gemeinden
dem Religionslehrer der Religionsgesellschaft, einem religiösen und
zuverlässigen Manne übertragen worden, und wird gewissenhaft besorgt.
Es hat sich ein Verein für jüdische Literatur und Geschichte gebildet, an
welcher sich eine große Anzahl von Juden beteiligt haben, und jeden Samstag
wird ein Vortrag über den Wochenabschnitt gehalten.
Nun war unstreitig eine hochwichtige Frage, für die Erhaltung unserer
Religion, die Rabbinerfrage.
Das oberhessische Rabbinat, zu dem 108 Gemeinden gehören, ist beinahe das
größte Rabbinat in Deutschland und unmöglich kann der großherzogliche
Rabbiner (Dr. Benedikt Levi), der im 90. Lebensjahr steht, alles so
versehen, wie es wünschenswert ist.
Die Juden der Provinz Oberhessen sind zumeist religiös, sie verlangen, dass
ihre Kinder im Glauben ihrer Väter unterrichtet werden, dass der Rabbiner
sich um den Religionsunterricht und die Schochetim (Schächter) und um
alle Institutionen kümmere.
Es haben sich deshalb im Januar dieses Jahres etwa 50 Vorsteher der
Landgemeinden hier versammelt. An der Versammlung nahmen teil die Mitglieder
der Religionsgesellschaft, auch beehrten die Versammlung mit ihrer
Anwesenheit: Herr Dr. Marx –
Darmstadt, sowie Herr Dr. Cahn –
Fulda. Letztere Herren haben durch ihre zu aller Herzen gehenden Reden
die Anwesenden begeistert und man fasste den Entschluss, die Mittel für die
Anstellung eines gesetzestreuen Rabbiners aus der Versammlung vorläufig
durch freiwillige Zeichnungen aufzubringen. Es hat sich zu diesem Zweck ein
Kultusverein gebildet. Die von jeher gerühmte Opferwilligkeit der Juden hat
sich auch hier bewährt, und man konnte sofort zur Rabbinerwahl schreiten.
Nachdem man sich mit verschiedenen Kandidaten ins Einvernehmen setzte, wurde
einstimmig Herr Rabbiner Dr. Leo Hirschfeld gewählt, der von vielen
gesetzestreuen Rabbinern empfohlen wurde. Herr Dr. Hirschfeld ist 27 Jahre
alt, geborner Deutscher, ein vorzüglicher Redner, beherrscht meisterhaft die
deutsche Sprache und besitzt, was die Hauptsache ist, ein hervorragendes
jüdisches Wissen. – Auf einen Besseren und Würdigeren konnte die Wahl nicht
fallen und es herrscht hier in den Kreisen der Gottesfürchtigen allenthalben
die größte und aufrichtigste Freude über die glückliche Requisition. Herr
Dr. Hirschfeld hat sofort sein Amt angetreten und ist bereit, seine Kraft in
erster Linie der Provinz zur Verfügung zu stellen.
Möge die Wirksamkeit des Herrn Dr. Hirschfeld eine gesegnete sein zum Nutzen
und Frommen aller derer, die an Gott glauben und ihn anrufen. " |
Gründung
eines "Vereines für jüdische Geschichte und Literatur" (1902)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 20. November 1902: "Gießen, 19. November (1902). Am
2. dieses Monats wurde dahier ein 'Verein für jüdische Geschichte und Literatur'
gegründet, dem bis heute schon über hundert Mitglieder beigetreten sind.
Diese rekrutieren sich aus den Mitgliedern der beiden hiesigen
Religionsgemeinschaften, der Studentenschaft und den jungen Kaufleuten.
Gemäß der in der Generalversammlung vom 16. dieses Monats genehmigten
Statuten findet alle 14 Tage ein Diskussionsabend im Vereinslokale und im
Laufe des Winters 5-6 Vorträge statt, wozu neben den einheimischen
Kräften auch auswärtige Redner berufen werden sollen. So spricht bereits
am 23. dieses Monats Herr Landrabbiner Dr. Prager aus Kassel im Saale des
'Hotel Einhorn' dahier. Vorsitzender des Vereins ist Herr
Provinzialrabbiner Dr. Sander. Möge der junge Verein blühen, wachsen und
gedeihen." |
|
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 24. November 1902: "Gießen, 23. November (1902). Sie
berichteten in voriger Nummer Ihres Blattes, dass hier ein Verein für
jüdische Geschichte und Literatur begründet wurde, dem auch Mitglieder
der hiesigen Religionsgesellschaft beigetreten seien. Wie ich nun von
zuständiger Seite erfahre, stehen die leitenden Kreise der hiesigen
israelitischen Religionsgesellschaft dem neuen Vereine vollständig
fern." |
Vortrag
im "Verein zur Förderung des Handwerks unter den Juden in Gießen"
(1902)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 11. Dezember 1902: "Gießen, 8. Dezember
(1902). Im 'Verein zur Förderung des Handwerks unter den Juden in
Gießen' hielt gestern Abend Herr Alfred Fröhlich von hier vor
einer zahlreich erschienenen Zuhörerschaft einen mit großem Beifall
aufgenommenen dreiviertelstündigen Vortrag über das Thema:
'Bedeutende jüdische Frauen in der Geschichte.' Nachdem der Redner
einen übersichtlichen Blick auf die Stellung des jüdischen Weibes im
Allgemeinen gelenkt hatte, anfügend und mit Beispielen belegend, dass die
jüdische Frau zu allen Zeiten als helfende Genossin und nicht als Sklavin
auftrat, dass ihr Wirkungskreis stets das Haus war, dass ihr die Pflege
und Erziehung der Kinder oblag, dass ihr nicht allein von Seiten des
Gatten, sondern auch von Fremden stets besondere Hochachtung gezollt
wurde, dass es ihr an aufopfernder Liebe nie gefehlt hatte, dass sie an
allen öffentlichen Ereignissen, an den festlichen Versammlungen, ...
allgemeinen Wohl und Wege ihres Volkes lebhaft teilnahm, schilderte er die
bedeutendsten jüdischen Frauen, die als Fürstinnen, Märtyrerinnen
auftraten. Der wirkungsvolle Vortrag wurde zum Schluss reichlich applaudiert
und dem Redner namens des Vereins von dessen Vorsitzenden, Herrn Dr. Stamm,
öffentlicher Dank ausgesprochen." |
Vortrag von Dr. Adolf Kohut im "Verein für
jüdische Geschichte und Literatur" (1903)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 20. März 1903: "Gießen. Im Verein für jüdische Geschichte und
Literatur sprach Dr. Adolf Kohut über 'Friedrich den Großen und Kaiser Josef
II. in ihren Beziehungen zu Juden und Judentum'. Im 18. Jahrhundert ging
den Juden nach tausendjähriger Erniedrigung die Sonne der Humanität auf.
Friedrich der Große in Preußen und Kaiser Joseph II. in Österreich
beseitigten die Schranken, wodurch der jüdische Stamm in das Kulturleben der
Völker eintrat. Der große Staatsmann, Denker und Philosoph Friedrich dem
Großen waren alle Religionen gleich. Es gab damals zwei Kategorien von
Juden, die sogenannten Ordentlichen, die privilegierten Schutzjuden, welche
sich durch 300 bis 500 Taler einen Schutzbrief erwarben und die sogenannten
Unordentlichen, über denen stets das Damoklesschwert der Ausweisung
schwebte. Friedrich der Große huldigte dem Grundsatze, dass man es nie mit
den reichen Leuten verderben solle. Deshalb ernannte er Juden zu Hof- und
Finanzmännern, er gab Veitel Ephraim das Recht, Münzen mit seinem Bildnisse
zu prägen. Mit der völligen Umgestaltung der politischen, wissenschaftlichen
und künstlerischen Zustände der Zeit Friedrich des Großen nahmen auch Handel
und Literatur bei den Juden einen Aufschwung, Kunst und Literatur blühten
unter ihnen. Die besondere Gunst des 'Alten Fritz' erwarb sich Moses
Mendelssohn, der bekannte Philosoph und jüdische Gelehrte. Als er es wagte,
die poetischen Erzeugnisse des Königs in einer Zeitschrift zu beurteilen,
wurde man bei Hofe neugierig auf diesen Juden. Zur Verantwortung gezogen,
verteidigte er sich in Sanssouci also: 'Wer Verse macht, schiebt Kegel, und
wer Kegel schiebt, er sei, wer er wolle, König oder Bauer, muss sich
gefallen lassen, dass der Kegeljunge sagt, wie er schiebt.' Es bedurfte
vielseitiger Verwendung, bis Mendelssohn das Privilegium eines Schutzjuden
erhielt, das ist die Versicherung, nicht an jedem beliebigen Tage über die
Grenze gewiesen zu werden. Die Berliner Akademie der Wissenschaften schlug
Mendelssohn wegen Lösung einer Preisaufgabe und wegen seiner in alle
europäischen Sprachen übertragene Schrift: 'Phädon oder die Unsterblichkeit
der Seele' zur Aufnahme als Mitglied vor, doch diese scheiterte am König.
Friedrich der Große war ein Verehrer der Rabbinen, ein Feind aller
Proselyten und Denunzianten. Was Friedrich der Große für die Juden in
Deutschland, das war der Kaiser Josef II. für die in Österreich. Josef II.
verkündete das Recht der Glaubens- und Gewissensfreiheit, ihm gebührt das
Verdienst, den Verschmelzungsprozess des biblischen und traditionellen
Judentums mit der modernen Weltanschauung herbeigeführt zu haben. Er
schaffte die Abzeichen, die damals die Juden tragen mussten, ab, ebenso den
Judeneid, gestattete ihnen das Erlernen von Handwerken, Künsten und
Wissenschaften, sowie den Betrieb des Ackerbaues. Die Pforten der
Universität öffneten sich für die Juden, die Gründung von Elementar- und
Normalschulen wurde angeordnet und alle Ausschreitungen gegen sie vermieden
werden. Auch den Leibzoll hob Josef II. auf, ferner, die doppelten
Gerichtstaxen, Passagierscheine und alle ähnlichen Bedrückungen. Er verlieh
den Juden Auszeichnungen und Charaktererhebungen und kümmerte sich nicht um
das Toben der Reaktion. Er ordnete das jüdische Gemeinwesen und ließ 177,
zur Zeit einer böhmischen Hungersnot, Gaben an alle Mittellosen, ohne
Unterschied der Religion, austeilen. Jüdische Kranke wurden in christlichen
Spitälern verpflegt. Josefs II. Initiative ist es zu verdanken, wenn auch
andere Fürsten nach ihm den Geist der Humanität predigten. Als man einst
Friedrich den Großen auf die Taten Kaiser Josefs II. für die Juden
aufmerksam machte, sagte er: 'Es freut mich, daß mein Bruder in Wien so viel
Gutes thut, aber ist es nicht seine Pflicht, so zu handeln, da er doch König
von Jerusalem ist?' (Josef II. hatte vom Papste den Ehrennamen König von
Jerusalem)."
Anmerkungen: - Dr. Adolf Kohut:
https://de.wikipedia.org/wiki/Adolph_Kohut
- Friedrich der Große:
https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_II._(Preußen)
- Joseph II.:
https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_II.
- Damoklesschwert:
https://de.wikipedia.org/wiki/Damokles
- Hof- und Finanzmänner:
https://de.wikipedia.org/wiki/Hoffaktor
- Veitel Ephraim:
https://de.wikipedia.org/wiki/Veitel_Heine_Ephraim
- Moses Mendelssohn:
https://de.wikipedia.org/wiki/Moses_Mendelssohn
- Sanssouci:
https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Sanssouci
- Schutzjude:
https://de.wikipedia.org/wiki/Judenschutz
- Proselyten:
https://de.wikipedia.org/wiki/Proselytismus
- Abzeichen: Zwangskennzeichnung von Juden, siehe
https://de.wikipedia.org/wiki/Judenstern
- Judeneid:
https://de.wikipedia.org/wiki/Judeneid
- Toleranzpatent:
https://de.wikipedia.org/wiki/Toleranzpatent
- Leibzoll:
https://de.wikipedia.org/wiki/Leibzoll
- Vgl. auch Artikel
zur Erinnerung an Wolf Breidenbach von 1914 |
Vortrag
von Rabbiner Dr. Leo Hirschfeld im "Verein der Sabbatfreunde" (1906)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 23. November
1906: "Gießen. Am 11. des Monats hielt Herr
Provinzialrabbiner Dr. Hirschfeld im Verein der Sabbatfreunde einen Vortrag
über das Thema 'Talmudisch gelehrte Frauen'. Er besprach in seiner
Einleitung Frauenemanzipation, Frauenstudium und gelehrte Frauen im
Allgemeinen und ging dann auf sein eigentliches Thema über.
Beim jüdischen Volke finden wir schon in den ältesten Zeiten gelehrte
Frauen, die sich natürlich fast durchweg mit dem Torastudium beschäftigt
haben. Redner erwähnt zuerst nichtjüdische Frauen, die durch ihre
nichtjüdischen Kenntnisse bekannt wurden, wie z.B. die gelehrte Königin
Christine von Schweden, die Tochter Gustav Adolfs und in unserer Zeit Rahida
Remi (Ruth Lazarus), die bekanntlich auch zum Judentum übertrat. - Bei den
Juden beschäftigten sich die Frauen seit den ältesten Zeiten mehr oder
weniger mit dem Religionsstudium, um ihren religiösen Pflichten nachgehen zu
können. Mehrere Frauen erwarben sich ein großes talmudisches Wissen,
trotzdem eifrige Gelehrte – ähnlich den Gegnern der Frauenemanzipation
unserer Zeit – sich geäußert zu haben: 'Die Frau braucht nur das Spinnrad zu
kennen' und dergleichen. - Die gelehrten Frauen jeder Zeit werden von ihren
Zeitgenossen erwähnt und bewundert. Schon in der Bibel ist die Sunnamiterin
bekannt, die nach dem Talmud eine große Gelehrsamkeit besaß. Im Talmud
werden erwähnt: Beruvia, die Frau des großen Rabbi Meir, die täglich 300
Halachot besprochen haben soll (Berachot, Pessachim) und von der mehrere
Gespräche im Talmud enthalten sind. Die Magd des Rabbi Jehuda Hanassi, die
den Schülern des großen Rabbi viele schwere Stellen erklärt hatte, und die
im Talmud in Gelehrtengesprächen oft als Autorität erwähnt wird. Ebenso die
Magd des Rabbi Gamaliel, die aber nicht so populär wie ihre Kollegin ist.
Jaltha,die Frau des Rabbi Nachman und a. m. - In späteren Zeiten die schöne
Rahel, die Tochter Raschis, die in Abwesenheit ihres Vaters religiöse
Entscheidungen fällte und gelehrte Abhandlungen im Hebräischen geschrieben
hat, wie Raschi selbst im 'Hapardes'erwähnt. Die Frau des Rabbi Elieser aus
Mainz, Verfasser des 'Sefer Hakoach'. Sara,
Tochter des R. David Oppenheims, die eine Megilla selbst schrieb, die noch
jetzt in Prag an Purim gebraucht wird. (R. E. Flekels in seinen Gutachten),
die Mutter Akiba Igars in Posen, Frau Konsul Luzatto in Italien (starb 1871)
und mehrere andere.
Zum Schluss besprach der Referent die Zwecke der Sabbat-Vereine und die
Wichtigkeit der Frauenmitarbeit für die Sabbatheiligung. - Der Vortrag übte
auf die vielen Hörer und Hörerinnen – der Saal war überfüllt – einen tiefen
Eindruck aus. M.S."
Anmerkungen: - Christine von Schweden:https://de.wikipedia.org/wiki/Christina_(Schweden)
- Gustav Adolf:https://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_II._Adolf
- Nahida Remi (Ruth Lazarus):
https://de.wikipedia.org/wiki/Nahida_Ruth_Lazarus
- Talmud:
https://de.wikipedia.org/wiki/Talmud#Babylonischer_Talmud
- Beruvia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Berurja
- Rabbi Meir:
https://de.wikipedia.org/wiki/Rabbi_Meir
- Halachot:
https://de.wikipedia.org/wiki/Halacha
- Berachot:
https://de.wikipedia.org/wiki/Bracha
- Pessachim:
https://www.talmud.de/tlmd/talmud-uebersetzung/pessachim/
- Rabbi Jehuda Hanassi:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jehuda_ha-Nasi
- Rabbi Gamaliel:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gamaliel_I.
- Rabbi Nachman:
https://de.wikipedia.org/wiki/Rabbi_Nachman
- Rahel:
https://de.wikipedia.org/wiki/Rachel_(Tochter_des_Raschi)
- Raschi:
https://de.wikipedia.org/wiki/Raschi
- Hapardes: Jüdische Gesetzestexte von Raschi
https://www.sefaria.org/Likkutei_HaPardes
- Rabbi Elieser:
https://de.wikipedia.org/wiki/Elieser_ben_Nathan_aus_Mainz
- R. David Oppenheim:
https://de.wikipedia.org/wiki/David_Oppenheimer_(Rabbiner)
- Megilla:
https://de.wikipedia.org/wiki/Megilla_(Mischna)
- Purim:
https://de.wikipedia.org/wiki/Purim
- R. E. Flekels:
https://de.wikipedia.org/wiki/Eleasar_Fleckeles |
Vortrag
von Rabbiner Dr. Cahn (Fulda) im "Verein der Sabbatfreunde" (1907)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 4. Januar 1907: "Gießen. Am Sonntag, den 23.
Dezember (1906) hielt Herr Provinzialrabbiner Dr. Cahn - Fulda
hier im 'Verein der Sabbatfreunde' einen Vortrag über das Thema
'Wissenschaftliches Judentum und jüdisches Wissen', in welchem Redner den
ungeheuren Unterschied zwischen den beiden angeführten so ähnlich
klingenden Termini, die Entstehungszeit der Reformbewegung und die
segensreiche Tätigkeit S. R. Hirsch's für die Erhaltung des orthodoxen
Judentums besprach. Dann machte Herr Provinzialrabbiner Dr. Hirschfeld
- Gießen Mitteilung von der Errichtung eines Lesesaals des Vereins,
wo sich die Mitglieder, besonders die Jugend, zum Lesen jüdischer
Zeitschriften und Bücher versammeln werden. M.S."
Anmerkungen: - Rabbiner Dr. Cahn: vgl.
Artikel von 1920 zum Tod von Provinzialrabbiner Dr. Michael Cahn
- Rabbiner S. R. Hirsch:https://de.wikipedia.org/wiki/Samson_Raphael_Hirsch
- Rabbiner Dr. Hirschfeld:https://de.wikipedia.org/wiki/Leo_Jehuda_Hirschfeld
|
Generalversammlung des Israelitischen Frauenvereins
(1909)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
4. März 1909: "Gießen, 21. Februar. Vergangenen Sonntag hielt der
Frauenverein 'Einigkeit' im Hotel Zentral seine Generalversammlung ab. Die
zweite Vorsitzende, Frau A. Fröhlich, begrüßte die ziemlich zahlreich
Erschienenen und gedachte der im vergangenen Jahre verstorbenen Mitglieder,
besonders der tatkräftigen und zielbewussten Präsidentin, Frau Bankier
Grünewald. Der Verein, der zurzeit 70 Mitglieder zählt, hat auch im
vergangenen Jahre zahlreiche Unterstützungen an Bedürftige gewahrt, Kranke
und Wöchnerinnen der hiesigen Klinik besucht und unterstützt und den dahier
verstorbenen Schwestern die letzten Liebesdienste erwiesen. Besonders hat er
sich einer hier wohnhaften russischen Familie angenommen und lässt zurzeit
deren künftige Ernährerin, ein junges Mädchen, im Nähunterricht ausbilden.
Bei der vorgenommenen Vorstandswahl wurde Frau A. Fröhlich zur Präsidentin,
Frau L. Rosenthal zur Stellvertreterin und Frau L. Baer zur Rendantin
ernannt."
Anmerkungen: - A. Fröhlich: vgl.
Artikel von 1933 zum Tod von Alfred Fröhlich
- Bankier Grünewald: Jacob Grünewald, Bahnhofstraße 50
https://www.giessener-anzeiger.de/stadt-giessen/handel-im-wallpfoerter-quartier-92639384.html
- Rendantin: Schatzmeisterin |
Über die Zuschläge auf die Einkommensteuer in den
einzelnen jüdischen Gemeinden im Bezirk Gießen
(1909)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
25. Mai 1909: "Gießen, 20. Mai. Die israelitische
Religionsgemeinden unseres Kreises erheben im Rechnungsjahre 1909 zusammen
24.495 Mk. Umlagen zur Bestreitung ihrer Bedürfnisse. Über zwei Drittel
hiervon entfallen auf die Religionsgemeinde Gießen, die 16.500 Mk. erheben,
während die übrigen 19 Gemeinden zusammen noch nicht 8.000 Mk. erheben. Den
höchsten Zuschlag auf die ganze Einkommenssteuer erhebt die Gemeinde
Leihgestern mit 122,84 Prozent (199
Mk.); es folgen der Reihe nach
Großen-Buseck 194,346 Prozent (850 Mk.),
Watzenborn-Steinberg mit
Garbenteich 77,416 Prozent (145 Mk.), Londorf
mit Kesselbach, Rüddingshausen und Geilshausen,
Obbornhofen mit Bellersheim und
Wohnbach 63.688 Prozent (40 Mk.), Lang-Göns
mit 60,514 Prozent (40 Mk.), Allendorf a.
d. Lumda 50,121 Prozent (600 Mk.), Hungen
mit Inheiden und Utphe 48,955 Prozent (1.700 Mk.),
Holzheim mit Grüningen 40,436 Prozent
(300 Mk.), Steinbach 38,002 Prozent
(70 Mk.), Beuern 36,508 Prozent (248 Mk.),
Langsdorf mit Birklar 36,205 Prozent
(92 Mk.), Alten-Buseck 34,670
Prozent (134 Mk.), Lollar mit
Ruttershausen,
Mainzlar und
Daubringen 29,791 Prozent (150
Mk.), Dreis a. d. Lumda 27,079 Prozent (227 Mk.), Gießen 22,870
Prozent (16.500 Mk.), Reiskirchen
22.267 Prozent (100 Mk.), Wieseck 14,075
Prozent (167 Mk.) und Lich 12,851 Prozent
(247 Mk.)." |
Der antisemitische Kandidat in Gießen siegt bei der
Reichstagswahl (1911)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 31. März 1911: "Die Reichstagswahl in Gießen hat mit einem
Siege des antisemitischen Kandidaten geendet. Das ist überaus traurig. Ob
die Nation liberalen dieses bedauernswerte Resultat verschuldet, ob, wie es
scheint, etwa 1.000 Anhänger der wirklich freisinnigen Partei zu dem Siege
des Antisemiten beigetragen haben, oder ob die Sozialdemokraten, infolge
mangelhafter Organisation, nicht alle auf dem Platz waren – dies zu
unterscheiden ist unsere Aufgabe nicht; wir haben es nur auf das Lebhafteste
zu bedauern, dass eine Partei, gegen die wir uns aufs Allerschärfste wenden
müssen, ein Mandat wiedererlangt hat, von dem man hoffen konnte, dass es ihr
entrissen war."
Anmerkung: - Nationalliberalen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Nationalliberale_Partei |
Aus der Gießener Medizinerschaft sollen alle
jüdischen Personen ausgeschlossen werden (1919)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 19. Dezember 1919: "Aus Gießen wird uns berichtet: Die hiesige
Medizinerschaft, welche den größten Teil der Studenten der medizinischen
Fakultät an der hiesigen Universität umfasst, hat beschlossen, alle
Angehörigen der semitischen Rasse aus der Gießener Medizinerschaft
auszuschließen. Diese Resolution ist eine Folge der skrupellosen
antisemitischen Hetze unter den Studenten, die vor etwa einem halben Jahr
hier eingesetzt hat. Bereits im Oktober wurden in einem medizinischen
Universitätsinstitut antisemitische Hetzblätter verteilt, gegen deren
Verbreiter ein Verfahren eingeleitet wurde." |
Jüdische Schüler werden belästigt, Fenster
jüdischer Wohnungen und der Synagoge werden eingeworfen (1920)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
29. Januar 1920: "Gießen, 2. Januar (1920). Die Gießener
israelitische Religionsgesellschaft richtete ein Anschreiben an den
Magistrat, in dem sie sich über das ungezogene Benehmen der Schüler der
Gießener höheren Lehranstalten gegen die jüdischen Mitschüler und die
Verrohung, die sich in der Zertrümmerung der Fenster jüdischer Wohnungen
und Gotteshäuser kundtut, beschweren. Der Oberbürgermeister erklärte,
dass die Stadtverwaltung für die Abstellung der Missstände unzuständig
sei, dass aber ein Einschreiten der zuständigen Stellen geboten
erscheine." |
Vortrag von Rabbiner Dr. Dienemann vor dem Reichsbund
jüdischer Frontsoldaten (1921)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 21. Januar 1921: "Gießen, 14. Januar. Die Ortsgruppe
Gießen des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten trat zum ersten Male mit
einem Vortragsabend an die Öffentlichkeit. Herr Rabbiner Dr. Dienemann (Offenbach)
sprach über das Thema: 'Die deutschen Juden nach dem Kriege.' In
begeisterten und von hohem sittlichen Ernste getragenen Worten schilderte er
die gegenwärtige Lage der deutschen Juden und sprach von deren Rechten, aber
auch von ihren Pflichten. Seine Ausführungen wurden von dem zahlreich
erschienenen Publikum mit großem Beifall aufgenommen. An der Aussprache
beteiligten sich außer den Vertretern der beiden hiesigen jüdischen
Verbindungen und einigen anderen Herren auch Herr Rabbiner Dr. Sander.
Mit dem Danke an den Herrn Referenten und an die Diskussionsredner schloss
der Vorsitzende, Herr Lehrer Otto Grünebaum, die Versammlung. - Die
Ortsgruppe darf mit Genugtuung auf den ersten öffentlichen Abend
zurückblicken."
Anmerkungen: - Reichsbund jüdischer Frontsoldaten:
https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsbund_jüdischer_Frontsoldaten
- Rabbiner Dr. Dienemann:
https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Dienemann
- Rabbiner Dr. Sander:
https://de.wikipedia.org/wiki/David_Sander |
Der
Landtag von Hessen beschäftigt sich mit den antisemitischen Exzessen an der
Universität Gießen (1921)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 30. Juni 1921: "Gießen. Dem Landtage des Volksstaates Hessen
ist unter Bezugnahme auf die antisemitischen Exzesse an der Universität
Gießen folgende Anfrage der Abgeordneten Bauer und Genossen zugegangen: 'Das
rüpelhafte Verhalten gewisser Studentenkreise in Gießen und das unerhörte
Verhalten der Senatsbehörde in Gießen, bei der im Anschluss an den Fall des
jüdischen Studenten Falkenstein in Gießen getroffenen disziplinarischen
Entscheidung, ist geeignet, das Ansehen der Gießener Hochschule zu
schädigen. Was gedenkt die Regierung zu tun, um diese Missstände zu
beseitigen und damit eine weitere Schädigung des Ansehens der Gießener
Hochschule zu verhindern?'" |
Gemeindeveranstaltungen im Winter 1921/22
(1921)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 23. Dezember 1921: "Gießen, 16. Dezember. In unserer Gemeinde hat
sich im Laufe des Winters ein recht reges Leben entwickelt. Eingeleitet
wurde das Semester durch eine Abendunterhaltung, die die Ortsgruppe Gießen
des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten veranstaltete. Die ganze Feier war
dermaßen großzügig angelegt, dass sie noch lange im Gedächtnis der
Teilnehmer lebendig bleiben wird. Am Sonntag, den 4. Dezember, hatte der
Frontbund einen wissenschaftlichen Abend. Herr Universitätsprofessor Dr.
Kinkel sprach über Volk, Rasse und Menschheit. Seine tiefgründigen
Ausführungen fesselten die Teilnehmer derart, dass stürmischer Beifall dem
Redner gezollt wurde. An der ebenfalls sehr interessanten Aussprach
beteiligten sich Herr Rabbiner Dr. Sander, Herr Dr. Steinreich und
Herr Dr. Smoira. Der Vorsitzende der Ortsgruppe, Herr Lehrer
Grünebaum, dankte allen Rednern des Abends und wies darauf hin, dass
demnächst ein weiterer wissenschaftlicher Abend folgen soll. Auch der
Synagogengesangverein wird demnächst mit einer Veranstaltung hervortreten
und den Beweis erbringen, dass er außer seinen gottesdienstlichen Aufgaben
auch die Geselligkeit zu pflegen weiß."
Anmerkungen: - Reichsbund jüdischer Frontsoldaten:
https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsbund_jüdischer_Frontsoldaten
Rabbiner Dr. Sander:
https://de.wikipedia.org/wiki/David_Sander |
Vortrag von Oberkantor Magnus Davidsohn in der Synagoge
(1922)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
17. März 1922: "Gießen, im März. Eine Weihestunde war
es, die Oberkantor Magnus Davidsohn aus Berlin vor kurzem seinen
zahlreich erschienenen Zuhörern in unserer Synagoge bereitete. Sein
kraftstrotzendes, imposantes Stimmmaterial, das in dem von ihm zum Vortrag
gebrachten hebräischen und deutschen Gesängen voll zur Geltung kam, nahm
sofort gefangen und eroberte sich im Sturm die Herzen der Zuhörer. Davidsohn
ist aber nicht nur Sänger, er ist auch geschmackvoller Rezitator, wie er es
in den Melodramen 'Abraham' und 'Die Sage von Rabbi Ammon' bewies. Hatte das
andächtig lauschende Publikum seinem Gefallen öffentlich Ausdruck geben
dürfen, Davidsohn wäre bestimmt mit Beifall überschüttet worden.
Lobend gedacht sei auch des Musikdirektors Großjohann, der die
harmoniale Begleitung des Sängers mit seinem musikalischen Empfinden
ausübte, in dessen Hand aber auch die Begleitung des Herrn Kapellmeisters
Siefke lag, der sich seiner Violinvorträge mit Geschick entledigte.
Namentlich sei hier der Wiedergabe von Mendelssohns 'Kol Nidre'
gedacht. Die Veranstaltung war ein voller Erfolg."
Anmerkungen: - Oberkantor Magnus Davidsohn:http://info-netz-musik.bplaced.net/?cat=4558
- Mendelssohn: Gemeint ist Ludwig Mendelssohn, 1858 -1921.
- Kol Nidre:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kol_Nidre |
40-jähriges Bestehen der Israelitischen Religionsgesellschaft
(1927)
Artikel
in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und Waldeck" vom 21.
Januar 1927: "Gießen. Vierzigjähriges Bestehen der Israelitischen
Religionsgesellschaft. Am 15. Januar feierte die (orthodoxe)
Religionsgesellschaft ihr vierzigjähriges Jubiläum. Am Vormittag wurde ein
Festgottesdienst in der feierlich hergerichteten Synagoge abgehalten. Später
kam man zu einer Abendveranstaltung, wobei Herr S. Joseph zum Ehrenmitglied
und Herr Hofrat J. Grünewald zum Ehrenpräsidenten ernannt wurden. Beide
Herren sind von den Gründern der Gemeinde die einzigen Überlebenden. Hofrat
Grünewald kann sogar auf eine dreißigjährige Tätigkeit als Vorsitzender
zurückblicken. Der Gottesdienst der Gemeinde wurde zuerst in einem
gemieteten Lokal abgehalten. Eine eigene Synagoge wurde 1899 eingeweiht."
Anmerkungen: - J. Grünewald: Bankier und Hofrat Jakob Grünewald,
Bahnhofstraße 50
- Gründern der Gemeinde: Die Gründung der Israelitischen
Religionsgesellschaft fand 1886 statt, siehe
Bericht von 1886
. eine eigene Synagoge: Steinstraße 8, Nordanlage |
Das Lektorat für rabbinische Wissenschaften an der Universität soll wieder
eingerichtet werden - 60-jähriges Bestehen der Synagoge der
Religionsgemeinschaft - Zum Tod von Justizrat Dr. Katz (1927)
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 13. Mai 1927: "Gießen. Vor drei
Jahren ging an der hiesigen Universität das Lektorat für rabbinische
Wissenschaften, das zuletzt Dr. Weinberg innehatte, aus Mangel an den
nötigen Mitteln ein. Rabbiner Dr. Sander bewirkte, dass der hessische
Landesverband 2.000 Mark, der württembergische100 Mark und der bayrische 300
Mark bewilligte. Auch trat man an den Preußischen Landesverband heran, mit
dem Hinweis, dass es sich nicht um eine speziell hessische, vielmehr um eine
Angelegenheit der gesamten Judenheit handle, die allen in Gießen
Studierenden zugute käme. - Am 6. Juni begeht die Religionsgemeinschaft die
Feier des 60jährigen Bestehens der 1867 erbauten Synagoge, die 1892 beim
25jährigen Jubiläum noch eine Vergrößerung erfuhr. Aus diesem Anlass findet
ein Festgottesdienst statt. - Kürzlich verstarb hier Justizrat Dr. Katz.
Der Verstorbene war der erste Jude, der in Hessen zum Notar ernannt wurde.
Er war ein hervorragender Jurist, besonders geschätzt als
Kriminalverteidiger."
Anmerkungen: - Dr. Weinberg:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jechiel_Jaakov_Weinberg
- Rabbiner Dr. Sander:
https://de.wikipedia.org/wiki/David_Sander |
Verworfene Revision des Nationalsozialisten Haselmeyer - Renovierung des
Gemeindehauses der Religionsgemeinde (1927)
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 20. Mai 1927: "Gießen. (Verworfene
Revision des Hakenkreuzlers Haselmeyer). Die Strafkammer Gießen
verurteilte seinerzeit den Journalisten Haselmeyer (Frankfurt,
jetzt Erlangen) zu zwei Monaten
Gefängnis wegen Vergehens nach § 8,1 des Republikschutzgesetzes, sowie nach
§ 130 Strafgesetzbuch (Aufreizung zum Klassenhass). Der Angeklagte hatte in
einer erregt verlaufenden Versammlung in
Hungen die Republik einen 'Saustall' genannt, die mit Gewalt von den
Juden gereinigt werden müsse. Er hatte aufgefordert, die Juden zu
beseitigen, da sie einer Spinne gleichend ihre Netze überall hin
ausbreiteten und alles auslaugten. Sie schändeten deutsche Frauen und
Mädchen, und das einzige Mittel gegen sie bestehe darin, sie, wie die
Drohnen im Bienenvolke, mit Gewalt zu beseitigen. Der üble Hetzer muss nun
wohl oder übel seine Gefängnisstrafe abbrummen, da die dritte Instanz, der
erste Strafsenat des Reichsgericht die Revision kostenpflichtig verwarf. -
Renovierung des Gemeindehauses. Das Gemeindehaus der
Religionsgemeinde wurde gründlich renoviert. Der Betsaal in nüchterner Art
der neunziger Jahre gehalten, wurde stilvoll mit lebhaften Farben
dekoriert." |
An
den Universitätskliniken soll eine Koscherküche eingerichtet werden und
andere Mitteilungen (1927)
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 3. Juni 1927: "Gießen. Bei
der letzten Sitzung des Oberrates des hessischen Gemeindeverbandes in
Mainz wurde mitgeteilt, dass die in der Umgebung Gießens liegenden
Gemeinden Wieseck und Laubach (statt:
Lanbach) dem Verband beigetreten sind. Weiter wurde Herr Rabbiner
Dr. Sander beauftragt, die in Verfall geratenen geschlossenen
Friedhöfe Oberhessens zu besichtigen und nötigenfalls, soweit es möglich
ist, für Abhilfe zu sorgen. Außerdem wurden die Mittel zur Besoldung einer
Köchin bewilligt, die an einer noch zu errichtenden Koscherküche in den
Universitätskliniken angestellt werden soll. Da hier aus ganz Hessen
jüdische Patienten zusammenkommen, ist eine koschere Verpflegung unbedingt
nötig. Dementsprechend trat man an das Landesamt für das Bildungswesen in
Darmstadt heran, bei dem die Entscheidung liegt."
Anmerkungen: - Rabbiner Dr. Sander:
https://de.wikipedia.org/wiki/David_Sander
Koscher:
https://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCdische_Speisegesetze |
Kinderkostümfest
des Israelitischen Frauenvereins (1928)
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Wiesbaden und
Umgebung" vom 17. Februar 1928: "Gießen. Sonntag, den
12. Februar, veranstaltete der Israelitische Frauenverein ein
wohlgelungenes Kinderkostümfest als Vorfeier für Purim auf der
Liebigshöhe. Der Besuch von groß und klein war ein außerordentlich
zahlreicher. Ungefähr 130 Kinder wurden mit Kaffee und Kuchen bewirtet.
Zuerst wurde ein Prolog gesprochen. Dann folgten sehr gut einstudierte
Tänze verschiedener Art in besonders netten Kostümen. Die Jazzkapelle
bestand aus 14-jährigen Buben, die alle durch ihre fidele Musik
erfreuten, zu der auch die größere und kleinere Jugend fleißig
tanzte."
Anmerkung: - Purim:
https://de.wikipedia.org/wiki/Purim |
|
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 17. Februar 1928: derselbe Text wie oben. |
Landeskonferenz der jüdischen Lehrerschaft Hessens in Gießen
(1929)
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 17. Mai 1929: "Gießen. Am Donnerstag
fand hier eine Landeskonferenz der jüdischen Lehrerschaft des Voksstaates
Hessen statt. Bei einer öffentlichen Veranstaltung, die von sämtlichen
jüdischen Vereinen Gießens mit einberufen war, sprach der Bundesvorsitzende
M. Steinhardt aus Magdeburg über die Krisis in der deutschen
Judenheit. Er ging dabei ganz besonders auf die jüdische Bevölkerungspolitik
ein, die heute zum Schicksal der deutschen Judenheit geworden ist. Die
Landeskonferenz beschloss dann den Anschluss an den deutschen Reichsverband.
Im hessischen Lehrerverein sind sowohl die Orthodoxen als auch die Liberalen
vertreten. Die beiden Gießener Gemeinden bereiteten den Lehrern einen
herzlichen Empfang und gaben ein großes Festessen." |
Vortragsabend über Palästina - Wahlen in der orthodoxen
Religionsgesellschaft (1929)
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 16. August 1929: "Gießen. Vor den
hiesigen Zionisten sprach am Montagabend der gerade aus Palästina kommende
revisionistische Führer Z. Levanon. Er berichtete über die Vorgänge
im Heiligen Land und die nach seiner Meinung notwendigen Maßnahmen. Die
Ausführungen Z. Levanons fanden unter anderem auch bei der Gießener Presse
eingehende Würdigung. - Die orthodoxe Religionsgesellschaft wählte am
vergangenen Sonntag ihre Vorstände nach der neuen Wahlordnung, die jüngst
mit der neuen Verfassung in Kraft getreten ist. Zu Vorstandsmitgliedern
wurden ernannt: A. Fröhlich, L. Sondheim, S. Wetterhahn, J. Mendel, F.
Baer; zu Beiratsmitgliedern: F. Austerlitz, S. Joseph, J. Grünewald,
F. Loeb, Dr. L. Rosenthal."
Anmerkungen: - Palästina:
https://de.wikipedia.org/wiki/Völkerbundsmandat_für_Palästina
- F. Austerlitz:
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de835291 Frankfurter Straße
11
- J. Grünewald: Bankier und Hofrat Jakob Grünewald, Bahnhofstraße 50
- Dr. L. Rosenthal: Dr. Ludwig Rosenthal, Alicenstaße 40, geb. am 29.06.1900
in Philippstein
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de954279 |
Mendelssohnfeier der liberalen Religionsgemeinde (1929)
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 13. September 1929: "Gießen. Die liberale
Religionsgemeinde hielt am Sonntag in der Synagoge eine von allen Teilen der
Gießener Bevölkerung stark besuchte Mendelssohnfeier ab. Herr Rabbiner Dr.
Sander hielt die Festrede. Künstlerische Darbietungen gaben der Feier den
würdigen Rahmen. - Es ist verwunderlich - darin ist sich auch die hiesige
Lokalpresse einig, dass die Universität Gießen in keiner Weise von dem 200.
Geburtstag Mendelssohns Notiz genommen hat. Bei der jüdischen Feier war
sie nicht vertreten."
Anmerkungen: - Mendelssohn:
https://de.wikipedia.org/wiki/Moses_Mendelssohn
Rabbiner Dr. Sander:
https://de.wikipedia.org/wiki/David_Sander |
Abendveranstaltung
des Jüdischen Jugendbundes (1929)
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen
und Waldeck" vom 6. Dezember 1929: "Gießen. Am
vergangenen Sonnabend trat zum ersten Mal der Jüdische Jugendbund,
der die gesamte jüdische Jugend Gießens zusammenfasst, mit einer größeren
Abendveranstaltung an die Öffentlichkeit. Fast die gesamte jüdische
Bevölkerung war vertreten und brachte durch ihr äußerst zahlreiches
Erscheinen ihre Sympathie mit der nunmehr geeinten Jugend zum Ausdruck. - Am
29. November ist einer der angesehendsten jüdischen Bürger unserer Stadt,
Herr Carl Frensdorf, im Alter von 59 Jahren gestorben. Er war der
Inhaber des größten Herrenbekleidungshauses am Platze. Als Vorsitzender des
Gießener Verkehrsvereins hat er durch eine eifrige ehrenamtliche Tätigkeit
sich für die Stadt große Verdienste erworben. Ferner war er Vorsitzender für
die Gaue Hessen und Hessen-Nassau des Reichsverbandes für Herrenbekleidung,
in dessen Reichsvorstand er sich befand. Am Montag fand unter einer großen
Beteiligung der Bevölkerung, der Behörden, der Reichswehrgarnison usw. die
Beisetzung statt."
Anmerkungen: - ...gesamte jüdische Jugend: Das bedeutet orthodoxe und
liberale Jugendliche
- Reichswehr:
https://de.wikipedia.org/wiki/Reichswehr
- Höchstwahrscheinlich hatte Carl Frensdorf auch als patriotischer Deutscher
auch im Ersten Weltkrieg gedient |
Erfolge der Nationalsozialisten bei den Wahlen der Gießener Studentenschaft -
antisemitischer Vorfall gegen das Gießener Stadttheater in Alsfeld (1930)
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 12. März 1930: "Gießen. Die
Wahlen zur Kammer der Gießener Studentenschaft (im Volksstaat Hessen
besitzen die Studentenschaften noch die staatliche Anerkennung und dürfen
Zwangsbeiträge einziehen) brachten die Nationalsozialisten auf einen
Schlag neun Sitze von den insgesamt 25 ein. Die Republikaner erhielten 4
(4) Sitze, die Großdeutschen diesmal nur 12 (21) Sitze. Die
nationalsozialistische Hetzpropaganda hat mit ihrer Presse und den Flugblättern,
die in der Universität verteilt wurden und die in bekanntem, keinesfalls
akademischem Ton über Juden und Judengenossen herzogen, ihre Schuldigkeit
getan. - Wie uns von der Intendanz des Gießener Stadttheaters
mitgeteilt wird, hat die nationalsozialistische Propaganda auf dem flachen
Land auch schon dem Gießener Theater zu unliebsamen Zwischenfällen
verholfen. Ein bezeichnender Vorfall am letzten Sonntag: das Gießener
Ensemble, unter dem sich auch einige Juden befinden, gibt es Alsfeld
ein Gastspiel. So oft nun die jüdische Künstlerin Frl. Heß
auftrat, wurde aus einer bestimmten Ecke von einigen Zuschauern gezischt
und gepfiffen. Es stellte sich heraus, dass es Nationalsozialisten waren,
die unter der Anführung eines Gießener Studenten bewusst störten und
ruhig angaben, dass sie allein das Auftreten einer jüdischen
Schauspielerin dazu veranlasse. Als Frl. Heß zu Beginn des
nächsten Aktes wieder auftrat, gab das Publikum den Störenfrieden, denen
man inzwischen das Handwerk gründlich gelegt hatte, die rechte Antwort:
Ein spontaner Beifall setzte auf offener Szene ein. Bürgermeister
Völsing sprach dem Ensemble sein aufrichtiges Bedauern über den Vorfall
aus."
Anmerkungen: - Studentenschaft:
https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Studentenschaft
- Großdeutschen:
https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Großdeutsche_Volksgemeinschaft_(GVG),_1924/25
- Bürgermeister Völsing: Dr. Karl Völsing |
Die jüdischen Pferdehändler sind vom Pferdemarkt
ausgeschlossen (1933)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. September 1933: "Keine Juden
auf dem Gießener Pferdemarkt. Gießen, 25. September
Am 27. September fand hier der Herbst-Pferdemarkt statt. Auf diesem
Markte nahmen keine Juden teil, da nach der Anordnung der
Bürgermeisterei Nichtarier ausdrücklich vom Besuch des Marktes
ausgeschlossen sind. Wie vom Viehhandel überhaupt ernährten sich bisher
viele Juden in den hessischen Landgemeinden, speziell vom Pferdehandel.
Diesen soll jetzt, wenn Gießen Schule macht, die Pferdemärkte geschlossen
werden." |
Vortrag von Rabbiner H. Mayer aus Frankfurt in der
Israelitischen Religionsgesellschaft (1934)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
14. Juni 1934: "Gießen, 10. Juni. Seit dem Hinscheiden unseres
noch in aller Erinnerung stehenden verewigten Provinzialrabbiners Dr. L.
Hirschfeld sel. A. war es zum ersten Mal, dass eine orthodoxe Organisation
es uns ermöglicht hatte, wieder einmal aus berufenem Munde den Geist zu
vernehmen, von dem das Wirken des Verewigten beseelt war. Wie groß das
Bedürfnis nach einem belehrenden Worte in den Kreisen der jüdischen
Bevölkerung Gießens vorhanden ist, erwies die über Erwarten große
Beteiligung bei dem Vortrag, den am Samstag, den 2. Juni die 'Freie
Vereinigung für die Interessen des orthodoxen Judentums' in der Synagoge der
Israelitischen Religionsgesellschaft veranstaltet hat. Herr Rabbiner H.
Mayer, Frankfurt a. M., der
als Sprecher dieser Organisation aufgetreten ist, verstand es, in
meisterhafter Rede die Probleme aufzurollen, die die Gegenwart an jeden
jüdischen Menschen stellt, wenn er die Zeichen der Welt verstehen will. Wenn
auch nicht jeder der Zuhörer sofort fähig gewesen sein dürfte, die
praktischen Konsequenzen, die von ihm verlangt wurden, zu ziehen, so sind
wir doch davon überzeugt, dass gerade die heutige Zeit dazu angetan sein
dürfte, durch Wiederholung derartiger Veranstaltungen, die sich aber auch
auf das Flachland unseres verwaisten Rabbinatsbezirkes ausdehnen müssten,
dem religiösen Leben Oberhessens einen starken Impuls zu vermitteln." |
Kundgebung des "Misrachi" (1935)
Gemeindebeschreibung von 1936
Artikel im "Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde
Frankfurt" vom Oktober 1936 S. 29: "Gießen.
Hauptstadt von Oberhessen, einzige Universität, des Landes Hessen, 36.000
Einwohner, 700 Juden. Schon 1150 erwähnt, erhält Gießen 1250 Stadtrecht,
kommt 1265 an Hessen-Kassel, schon 1604 an Hessen-Darmstadt. - Erste
Nachricht von Juden ist die Verfolgung von 1349. Im 16. Jahrhundert versucht
ein jüdischer Arzt in Gießen zu praktizieren. Da der Pfarrer seinen
Patienten kirchliche Strafen androht, versucht er es mit einem Kramhandel,
muss aber schließlich, ums sich zu ernähren, Geldgeschäfte machen!
1622 zählt die Gemeinde Gießen 23 Familien, die jahrzehntelang unter dem
Bekehrungseifer der evangelischen Mission schwer zu leiden haben, 1662
vertrieben, aber 1708 wieder zugelassen werden. Das Verhältnis der
Bevölkerung zu den Juden gestattet, dass die (Philipps-)Universität als
erste Deutschlands jüdische Studenten immatrikuliert. In der ersten Hälfte
dieses 18. Jahrhunderts hat die Gemeinde schon einen Rabbiner: Michael
Berr, der eine Verordnung gegen den in der Gemeinde herrschenden
Unfrieden erlässt! 1820 kann jeder inländische Jude, der mindestens 4.000
Gulden besitzt, Bürger werden. 1827 wird Dr. Abraham Wolf Rabbiner,
der spätere Rabbiner von Kopenhagen. Sein Nachfolger ist Dr. Levi,
der aus Mainz kommt und Provinzialrabbiner
wird. Sein Sohn Hermann Levi, 1839 geboren, wird der musikalische
Vertraute Richard Wagners, der erste Dirigent der Bayreuther Festspiele und
leitet die Uraufführung des 'Parsival' 1882. - Am 15.8.1861 wird
Henriette Fürth, die Frankfurter
Sozialschriftstellerin und Kämpferin für die Rechte der Frau, in Gießen
geboren. - Gießen ist Sitz eines liberalen und eines orthodoxen
Provinzialrabbinats. Das erstere bekleidet Dr. Sander, Rabbiner der
Israelitischen Religionsgemeinde; das andere mit der Israelitischen
Religionsgesellschaft verbunden, ist seit dem Hinscheiden des Rabbiners
Dr. Hirschfeld s. A. unbesetzt. - Liberale Synagoge stattlicher
maurischer Bau mit Gemeindehaus, gegenüber dem Theater; die ebenso
stimmungsvolle, orthodoxe Synagoge, Steinstraße 15. Jüdische
Leihbücherei und Buchhandlung Michel, Bleichstraße 28. Restaurant
Grünewald, Mühlstraße. Sehenswert: Marktplatz mit altem Rathaus und der
alten Hirsch-Apotheke, das Burgmannen-Haus, Kirchstraße; die 'neue Bäue',
das Weiselsche Haus, Sonnenstraße, mit köstlichen Schnitzereien an der
Hofseite; zahlreiche neue Bauten, Anlagen und Promenaden auf geschleiften
Festungswerken. - Beachtenswerte Tabak- und Zigarrenindustrie sowie
Eisengießereien. - Schöne Ausflüge: Zum Gleiberg, zum Dünsberg (500 m,
herrliche Aussicht) usw."
Anmerkungen: - Hessen-Kassel:
https://de.wikipedia.org/wiki/Haus_Hessen#Hessen-Kassel_und_Nebenlinien
- Hessen-Darmstadt:
https://de.wikipedia.org/wiki/Landgrafschaft_Hessen-Darmstadt
- Rabbiner Dr. Abraham Wolf:
https://www.lagis-hessen.de/pnd/104155760
- Dr. Levi:
https://de.wikipedia.org/wiki/Benedikt_Levi
https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/bio/id/3317
- Hermann Levi:
https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Levi vgl.
Bericht von 1933
- der erste Dirigent: Der erste Dirigent der Festspiele war Hans Richter
https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Richter_(Dirigent), dem aber nicht so
ein großer Erfolg vergönnt war, wie seinem Kollegen Hermann Levi.
- Parsival:
https://de.wikipedia.org/wiki/Parsifal
- Henriette Fürth:
https://de.wikipedia.org/wiki/Henriette_Fürth
http://www.frankfurterfrauenzimmer.de/ep10-detail.html?bio=df
- Rabbiner Dr. Sander:
https://de.wikipedia.org/wiki/David_Sander
- Rabbiner Dr. Hirschfeld:
https://de.wikipedia.org/wiki/Leo_Jehuda_Hirschfeld
- s. A.:https://de.wikipedia.org/wiki/Z%22l
- Jüdische Leihbücherei und Buchhandlung Michel:
https://www.giessen.de/index.php?ModID=7&FID=2874.1207.1&object=tx%7C2874.1207.1
- Hirsch-Apotheke:
https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/xsrec/current/137/sn/bd?q=YToxOntzOjU6InNhY2hlIjtzOjg6IkZhc3NhZGVuIjt9
- Restaurant Grünewald: vgl.
Anzeige von 1906
- Burgmannen-Haus:
https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/AW4TTT6PEATHSYABBLIIASUXEGC4S6HB
- Neue Bäue:
https://www.giessen.de/Rathaus/Newsroom/Aktuelle-Meldungen/Neuen-B%C3%A4ue-wird-zur-Fahrradzone.php?ModID=255&FID=2874.37847.1
- Weiselsche Haus:
https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/UUBYQPC3CWJAN7QU3K4NCDTIUARFVISS |
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